Unterstützte Kommunikation - Markus Scholz - E-Book

Unterstützte Kommunikation E-Book

Markus Scholz

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  • Herausgeber: UTB
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Menschen mit komplexen Kommunikationsbedürfnissen sind – wie alle anderen Menschen auch – grundlegend auf Beziehungen und Kommunikation angewiesen. Um sie in ihrer Kommunikation wirksam unterstützen zu können, schlägt dieses Buch eine Brücke zwischen Theorie, Empirie und unmittelbarer Praxis der Unterstützten Kommunikation. Im Fokus des Lehrbuches stehen dabei sowohl die Einzelpersonen mit ihren jeweiligen Kommunikationsbedürfnissen als auch deren gesamtes Umfeld. Die Autoren liefern fundiertes Wissen über Kommunikationsmodelle, Unterstützte Kommunikation, deren Anwendung und stellen praktische Hilfen für die Unterstützte Kommunikation vor. LeserInnen erfahren, wie Maßnahmen zur Kommunikationsunterstützung sinnvoll durchgeführt, begleitet, überprüft und dokumentiert werden können.

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Seitenzahl: 183

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Markus Scholz · Jan M. Stegkemper

Unterstützte Kommunikation

Grundfragen und Strategien

Mit 12 Abbildungen und 7 Tabellen

Ernst Reinhardt Verlag München

Prof. Dr. Markus Scholz ist Professor für Psychologie und Diagnostik im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Er forscht zur optimalen Gestaltung von Lernmaterialien und Kommunikationsoberflächen.

Dr. Jan M. Stegkemper ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Pädagogik bei Geistiger Behinderung der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Kommunikationsdiagnostik und -unterstützung sind Teil seiner Lehr- und Forschungsschwerpunkte.

Hinweis: Soweit in diesem Werk eine Dosierung, Applikation oder Behandlungsweise erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass die Autoren große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angabe dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes entspricht. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen oder sonstige Behandlungsempfehlungen kann vom Verlag jedoch keine Gewähr übernommen werden. – Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnungen nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

UTB-Band-Nr.: 5827

ISBN 978-3-8252-5827-6 (Print)

ISBN 978-3-8385-5827-1 (PDF-E-Book)

ISBN 978-3-8463-5827-6 (EPUB)

© 2022 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag Ernst Reinhardt GmbH & Co KG behält sich eine Nutzung seiner Inhalte für Text- und Data-Mining i. S. v. § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Printed in EU

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

Satz: Katharina Ehle

Cover unter Verwendung eines Fotos von © iStock.com / fotosipsak. Agenturfoto. Mit Model gestellt.

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]

Inhalt

Vorbemerkung

Einleitung

1     Was ist Kommunikation und wie entwickelt sie sich?

1.1   Begriffsbestimmung und Kommunikations

1.2   Verbale und nonverbale Kommunikation

1.3   Kommunikationsentwicklung

1.4   Kommunikation mit Blick auf Form, Inhalt, Absicht und Wirkung

1.5   Absicht und Wirkung in konkreten Situationen

2     Was ist Unterstützte Kommunikation?

2.1   Menschen mit komplexen Kommunikationsbedürfnissen

2.2   Unterstützte Kommunikation

2.3   Körpereigene Formen

2.4   Externe Hilfsmittel

3     Grundfragen der Modalitäten Unterstützter Kommunikation

3.1   Welches Vokabular wird zur Verfügung gestellt?

3.2   Wie wird Bedeutung repräsentiert?

3.3   Wie wird das Vokabular optisch gestaltet, organisiert und dokumentiert?

3.4   Wie wird eine Nachricht ausgedrückt und was wird auf Seiten des UK-Nutzers bzw. der UK-Nutzerin vorausgesetzt?

3.5   Was wird auf Seiten des Empfängers bzw. der Empfängerin vorausgesetzt und wie wird eine Nachricht empfangen?

4     Wie kann Kommunikation diagnostiziert werden?

4.1   Grundüberlegungen zur Diagnostik

4.2   Methoden, Fokusse, Leitfragen und Verfahren

4.3   Das Partizipationsmodell als Möglichkeit der Verknüpfung von Diagnostik und Unterstützung

5     Wie kann Kommunikation unterstützt werden?

5.1   Entwicklungslogische Basis und interaktionales Verständnis

5.2   Anbahnung und Festigung intentional-vorsymbolischer Kommunikation

5.3   Anbahnung und Festigung intentional-symbolischer Kommunikation

5.4   Weitere Unterstützungsmöglichkeiten ab dem Erreichen der symbolischen Phase

5.5   Qualitätskriterien der Kommunikationsunterstützung

Schlussbemerkung

Glossar

Literatur

Sachregister

Hinweise zur Benutzung dieses Lehrbuches

Zur schnelleren Orientierung werden in den Randspalten Piktogramme benutzt, die folgende Bedeutung haben:

Begriffserklärung, Definition

(Fall-)Beispiel

Forschungsschlaglicht, Ergebnisse empirischer Studien

Merksatz

Praxistipp

Vorbemerkung

Menschen sind soziale Wesen und grundlegend auf Beziehungen und menschliche Kommunikation angewiesen. Aron R. Bodenheimer (1967) schreibt, dass wir qua Menschsein der Welt zugewandt sind, auf Suche nach Bestätigung, ob wir sind und wer wir sind.

Dieses Buch ist in den Jahren 2020 und 2021 inmitten der COVID-19-Pandemie entstanden. Während mehrerer Lockdowns mit Kontaktbeschränkungen, Ausgehverboten und Homeoffice-Pflicht wurde uns allen wohl schmerzhaft bewusst, wie fundamental zwischenmenschliche Nähe und unmittelbarer Austausch für uns sind. Uns einte die Hoffnung nach einem baldigen Ende der Kontaktbeschränkungen und die Suche nach alternativen Möglichkeiten, unser grundlegendes Austauschbedürfnis auch während „pandemischer Zeiten“ möglichst umfänglich zu befriedigen.

Dieses grundlegende Angewiesensein auf zwischenmenschliche Kommunikation und Beziehung gilt selbstverständlich für alle Menschen, auch für Menschen mit komplexen Kommunikationsbedürfnissen. Allerdings ist für sie der kommunikative Austausch mit anderen und die Suche nach Seins- und Selbstbestätigung (Bodenheimer 1967) nicht nur in Zeiten einer Pandemie erschwert. Die Gründe hierfür liegen nie allein in den Beeinträchtigungen der Betroffenen, sondern immer auchin deren sozialem Umfeld, strukturellen Rahmenbedingungen sowie der mehr oder weniger inklusiven Gesellschaft (Lage / Knobel Furrer 2014).

Um kommunikativ teilhaben zu können, sind Menschen mit komplexen Kommunikationsbedürfnissen vielfach auf Unterstützte Kommunikation angewiesen. Darunter verstehen wir alle Strategien, Maßnahmen und Hilfsmittel zur Kommunikationsunterstützung von Personen mit komplexen Kommunikationsbedürfnissen auf Seiten der Personen selbst sowie auf Seiten ihres Umfelds.

Einleitung

In diesem Buch möchten wir die unseres Erachtens zentralen Fragen aus dem Feld Unterstützter Kommunikation (UK) stellen und darauf aufbauend Strategien herausarbeiten, mittels derer die kommunikative Partizipation von Menschen mit komplexen Kommunikationsbedürfnissen substanziell unterstützt werden kann.

In Kapitel 1 adressieren wir die Frage „Was ist Kommunikation und wie entwickelt sie sich?“. Den ersten Teil bilden eine Begriffsklärung sowie die Vorstellung grundlegender Modelle des Kommunikationsprozesses und der Kommunikationsentwicklung. Im zweiten Teil wird der Zeichenbegriff aus der Linguistik eingeführt und erläutert sowie Kommunikation mit Blick auf Absicht, Form, Inhalt und Wirkung charakterisiert.

Kapitel 2 behandelt die Frage „Was ist Unterstützte Kommunikation?“. Dazu wird zunächst die heterogene Personengruppe „Menschen mit komplexen Kommunikationsbedürfnissen“ genauer bestimmt. Daran schließt sich eine Einführung in Unterstützte Kommunikation und ihre Chancen, Herausforderungen und Modalitäten an.

Das Kapitel 3 soll PraktikerInnen helfen, Möglichkeiten und Grenzen unterschiedlicher Kommunikationshilfen empirisch begründet abzuwägen und informierte Entscheidungen über Modalitäten Unterstützter Kommunikation zu treffen. Dafür beleuchten wir fünf Teilfragen zum Einsatz von Kommunikationshilfen: (1) Welches Vokabular wird zur Verfügung gestellt?, (2) Wie wird Bedeutung repräsentiert?, (3) Wie wird das Vokabular optisch gestaltet, organisiert und dokumentiert?, (4) Wie wird eine Nachricht ausgedrückt und was wird auf Seiten des UK-Nutzers bzw. der UK-Nutzerin vorausgesetzt? und (5) Was wird auf Seiten des Empfängers bzw. der Empfängerin vorausgesetzt und wie wird eine Nachricht empfangen?

Die Grundfrage des Kapitels 4 lautet „Wie kann Kommunikation diagnostiziert werden?“. Hierzu stellen wir zunächst grundlegende, konstruktivistisch fundierte Gedanken zur Diagnostik voran und ergänzen diese anschließend um Ausführungen zur Kommunikationsdiagnostik im engeren Sinne. Dabei besprechen wir konkrete Methoden, Leitfragen und auch Verfahren. Einen wesentlichen Aspekt des Kapitels bilden zudem unterschiedliche Fokusse und darauf bezogene sensibilisierende Fragen, die es PraktikerInnen ermöglichen sollen, ihren diagnostischen Blick zu weiten und dabei auf die Person und ihr Umfeld zu blicken. Das Kapitel schließt mit einer Betrachtung des Partizipationsmodells von Beukelman und Mirenda (2013), das aus unserer Sicht eine hilfreiche Brücke zwischen Diagnostik und Kommunikationsunterstützung schlägt.

Im Kapitel 5 steht schließlich die Frage „Wie kann Kommunikation konkret unterstützt werden?“ im Mittelpunkt. Dieses Kapitel baut auf den vorgestellten Theorien und Überlegungen auf und versammelt entwicklungslogisch sinnvolle sowie theoretisch und empirisch fundierte Strategien, mithilfe derer Personen in ihrer kommunikativen Entwicklung unterstützt werden können. Dabei denken wir unterschiedlichste Modalitäten Unterstützter Kommunikation mit und diskutieren Strategien mit Blick auf Personen mit komplexen Kommunikationsbedürfnissen sowie auf ihr Umfeld. Außerdem arbeiten wir heraus, wie Unterstützung im Kontext Unterstützter Kommunikation sinnvoll begleitet und dokumentiert und damit die Ergebnis- und Prozessqualität gesteigert werden kann.

Am Ende des Buches befindet sich ein Glossar, in dem wir alle zentralen Begriffe und Konzepte aus dem gesamten Buch noch einmal pointiert erläutern.

Bei der Beantwortung der Grundfragen Unterstützter Kommunikation über die folgenden Kapitel hinweg ist es uns besonders wichtig, aus theoretischen Überlegungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen praktische Konsequenzen abzuleiten. Dazu ergänzen wir den Text an geeigneten Stellen durch Forschungsschlaglichter und Praxistipps.

Mittels der Forschungsschlaglichter werden wichtige, z. T. auch sehr spezifische Fragen auf Basis aussagekräftiger wissenschaftlicher Studien beleuchtet. Wir weiten dabei bewusst den Blick über den deutschsprachigen Raum hinaus, auch auf internationale Forschung, um dort publizierte Erkenntnisse auch für LeserInnen eines einführenden Werkes zugänglich zu machen.

Bei den Praxistipps handelt es sich um konkrete Empfehlungen für die tägliche Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit komplexen Kommunikationsbedürfnissen. Sie leiten sich aus den besprochenen Theorien, Forschungsergebnissen und unseren eigenen Erfahrungen ab.

1 Was ist Kommunikation und wie entwickelt sie sich?

Im Folgenden stellen wir Kommunikation grundlegend dar und beschreiben unter Berücksichtigung zentraler kommunikations- und entwicklungstheoretischer sowie linguistischer Überlegungen, wie sie sich bei Menschen zeigt und entwickelt.

1.1 Begriffsbestimmung und Kommunikationstheorien

Der Begriff „Kommunikation“ leitet sich vom lat. communicatio (Mitteilung) bzw. communicare (mitteilen, gemeinschaftlich machen) ab (Kluge / Seebold 2012). Er beschreibt also nicht nur eine Informationsweitergabe, sondern schlichtweg „alle Verhaltensweisen und Ausdrucksformen, mit denen wir mit anderen Menschen bewusst oder unbewusst in Beziehung treten“ (Wilken 2018a, 11).

Übliche Kommunikationstheorien beziehen ähnliche Akteure und Elemente ein. So ist meist von einem / einer SenderIn, einer übermittelten Nachricht, Information oder auch einem Kommunikationsinhalt die Rede. Weiter wird davon ausgegangen, dass diese / r eine / n EmpfängerIn bzw. RezipientIn erreicht.

Das Verständnis von Shannon und Weaver

All diese Elemente finden sich bereits im klassischen Sender-Empfänger-Modell von Claude E. Shannon und Warren Weaver (1976), das eine lineare Vorstellung von Kommunikation widerspiegelt: Ein / e SenderIn möchte eine Information übermitteln. Dazu encodiert (verschlüsselt) er / sie diese Information und schickt sie durch einen Kommunikationskanal zu einem / einer EmpfängerIn. Von diesem / dieser wird die empfangene Nachricht dann decodiert (entschlüsselt) und weiterverarbeitet.

Diese Vorstellung erinnert an das Verschicken einer Nachricht per Rohrpost: Eine Botschaft wird von dem / der SenderIn eingepackt, durch einen Kanal geschickt und von dem / der EmpfängerIn wieder ausgepackt. Dies hängt damit zusammen, dass die Autoren ihr Kommunikationsmodell mit Blick auf technisch vermittelte Kommunikation entwickelt haben. Dadurch ist das Modell weniger geeignet, zu erklären, warum Menschen in einer Kommunikationssituation auch ganz unterschiedliche Vorstellungen kommunizierter Sachverhalte haben können und sich missverstehen. Es wird von den Autoren zwar zugestanden, dass es nicht nur die Möglichkeit einer „technischen“, sondern auch einer „semantischen Störung“ gebe – wie genau es zu einer solchen kommt, bleibt aber eher diffus.

Das Verständnis von Watzlawick et al.

Hier helfen die Überlegungen der KommunikationswissenschaftlerInnen und -psychologInnen Paul Watzlawick, Janet H. Beavin und Don D. Jackson weiter. Sie untersuchen die Entstehung kommunikativer Störungen und formulieren in diesem Zusammenhang fünf Axiome zur Kommunikation.

Ein Axiom bezeichnet dabei einen als absolut richtig erkannten Grundsatz. Aus einer solchen Aussage, die logisch nicht mehr hinterfragt werden kann, können weiterführende Aussagen abgeleitet werden. Um die Entwicklung der Axiome besser einordnen zu können, hilft es, zu berücksichtigen, dass die genannten AutorInnen sie aus der erkenntnistheoretischen Perspektive des Konstruktivismus formulieren. Sie gehen also davon aus, dass Wahrnehmung ein subjektiver Konstruktionsprozess ist, der sich nicht einfach auf eine ontische, also unabhängig vom Bewusstsein existierende, Realität stützen kann.

Axiom 1: „Man kann nicht nicht kommunizieren“ (Watzlawick et al. 2011, 60; Hervorhebung M. S. / J. S.).

Das erste Axiom der AutorInnen ist wohl auch das bekannteste. Die Annahme, dass Menschen nicht nicht kommunizieren können, wirkt argumentativ aber schnell angreifbar, wenn man nicht die ihr zugrunde liegende Setzung versteht. Dies kann an folgendem Beispiel gezeigt werden:

Eine junge Frau betritt ihre WG und ruft beim Betreten der Wohnung „Hallo!“ – es kommt keine Antwort ihres Mitbewohners zurück, da dieser gerade in seinem Zimmer schläft.

Hat der Mitbewohner nun etwas kommuniziert? Hat die junge Frau das Recht, deswegen enttäuscht von ihm zu sein? Um die Situation aufzulösen, gilt es zu beachten, dass Watzlawick et al. (2011) in zwei Schritten argumentieren. Sie legen zunächst fest, dass sich ein Mensch nicht nicht verhalten kann. Auch der Mitbewohner verhält sich: Er schläft. In einem zweiten Schritt gehen sie davon aus, dass jedes Verhalten kommunikativ interpretiert werden kann. Der Mitbewohner kann sich also nicht dagegen wehren, dass sein Schlafen von der jungen Frau als unhöfliches Nicht-Antworten interpretiert wird. Dass Menschen nicht nicht kommunizieren können, liegt also darin begründet, dass jedes Verhalten kommunikativ interpretierbar ist.

Praxistipp 1 – Kommunikatives Interpretieren

Wenn jedes Verhalten kommunikativ interpretiert werden kann, nimmt dies das Umfeld von Menschen mit komplexen Kommunikationsbedürfnissen in die Verantwortung. Häufig liegt es in der Hand dieses Umfelds, ob dem Verhalten einer Person Sinnhaftigkeit und ein kommunikativer Charakter zugesprochen werden. Wie im Weiteren gezeigt wird, ist es für die Entwicklung von Kommunikation hoch bedeutsam, dass dem Verhalten von Personen auch eine kommunikative Absicht unterstellt wird. Zugleich kann es aber auch zu einer Zumutung für Menschen mit komplexen Kommunikationsbedürfnissen werden, wenn ausnahmslos jedes Verhalten von ihnen kommunikativ interpretiert wird. Es gilt, diese beiden Aspekte also genau im Blick zu behalten und abzuwägen.

Axiom 2: „Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, derart, dass letzterer den ersteren bestimmt und daher eine Metakognition ist“ (Watzlawick et al. 2011, 64).

Die AutorInnen gehen davon aus, dass alle Kommunikationssituationen eine inhaltliche und eine zwischenmenschliche Komponente besitzen. Letztere bestimmt darüber, wie der Inhalt verstanden wird.

Wenn z. B. während einer Konferenz eine Kollegin, die Sie nicht leiden können, einen inhaltlichen Vorschlag macht, ist davon auszugehen, dass Sie eher geneigt sind, diesen inhaltlich abzuwerten.

Das bekannte Kommunikationsmodell Schulz von Thuns (2011) baut auf dieser Beobachtung von Watzlawick et al. (2011) auf. Er beschreibt darin, dass jede Nachricht vier Seiten umfasst: einen Sachinhalt, einen Beziehungsaspekt, eine Selbstoffenbarung mit Blick auf den / die SenderIn und eine Appellfunktion mit Blick auf den / die EmpfängerIn. I.d.R. will der / die SenderIn eine Nachricht in einer bestimmten Weise verstanden wissen. Aufgrund der immer präsenten vier Seiten einer Nachricht, kann der / die EmpfängerIn eine Nachricht aber in unterschiedlicher Weise verstehen. Hierin liegen also kommunikative Missverständnisse und Verblüffungserfahrungen begründet, auf die wir später in diesem Kapitel noch weiter eingehen werden.

Praxistipp 2 – Kommunikation ist mehr als Informationsweitergabe

Kommunikation ist deutlich mehr als reine Informationsweitergabe – dies gilt auch mit Blick auf Menschen mit komplexen Kommunikationsbedürfnissen. Entsprechend sollte hinterfragt werden, ob auch sie Vokabular zur Verfügung haben, das es ihnen ermöglicht, Zwischenmenschliches zu kommunizieren. Für Menschen, die sich verbalsprachlich ausdrücken, ist es selbstverständlich, bestimmte Seiten einer Nachricht akzentuieren zu können – bei Menschen mit komplexen Kommunikationsbedürfnissen wird hingegen in der Praxis häufig zu einseitig an die Übermittlung von Grundbedürfnissen und Sachinformationen gedacht.

Axiom 3: „Die Natur einer Beziehung ist durch die Interpunktion der Kommunikationsabläufe seitens der Partner bedingt“ (Watzlawick et al. 2011, 69 f.).

Durch eine Interpunktion wird ein Sinnabschnitt markiert. Watzlawick et al. (2011) gehen davon aus, dass jede / r KommunikationsteilnehmerIn eine Kommunikationssituation in Sinnabschnitte unterteilt.

Als beispielhafte Situation skizzieren sie folgenden Fall: Person A nörgelt – Person B zieht sich zurück – Person A nörgelt – Person B zieht sich zurück – Person A nörgelt – … (Watzlawick et al. 2011, 67).

Person A könnte hier den Sinnabschnitt setzen, dass sie Grund zum Nörgeln hat, weil Person B sich zurückzieht. Person B hingegen wird eher feststellen, dass sie sich zurückzuzieht, weil Person A an ihr herumnörgelt. Mitunter verfestigen sich solche, von den KommunikationsteilnehmerInnen zugeschriebenen Ursache-Wirkungs-Mechanismen. Menschen können dann über die Zeit höchst divergierende Sichtweisen auf ihre gemeinsame Kommunikationsgeschichte entwickeln (Watzlawick et al. 2011, 65 ff.).

Axiom 4: „Menschliche Kommunikation bedient sich digitaler und analoger Modalitäten. Digitale Kommunikationen haben eine komplexe und vielseitige logische Syntax, aber eine auf dem Gebiet der Beziehungen unzulängliche Semantik. Analoge Kommunikationen dagegen besitzen dieses semantische Potenzial, ermangeln aber der für eindeutige Kommunikation erforderlichen logischen Syntax“ (Watzlawick et al. 2011, 78).

Digitale Kommunikation bezeichnet in diesem Zusammenhang die (Verbal-)Sprache, analoge Kommunikation das Nonverbale. Ein Wort verweist i. d. R. präzise auf eine bestimmte Wortbedeutung, ist also in diesem Verständnis digital. Dies ermöglicht es, Informationen unabhängig von Zeit und Ort zu vermitteln. Nonverbales, wie z. B. Gestik und Mimik, kann hingegen besser verdeutlichen, wie es um den Beziehungsaspekt bestellt ist, also wie Personen zueinander stehen und wie eine geäußerte Nachricht verstanden werden soll.

Beide Formen haben demnach Stärken und Schwächen und können einander gewinnbringend ergänzen (Watzlawick et al. 2011, 71 ff.). Im Umkehrschluss gilt: Wird ein Aspekt (digital oder analog) weggelassen bzw. steht dieser generell nicht zur Verfügung, kann dies die Kommunikation merklich erschweren.

Axiom 5: „Zwischenmenschliche Kommunikationsabläufe sind entweder symmetrisch oder komplementär, je nachdem, ob die Beziehung zwischen den Partnern auf Gleichheit oder Unterschiedlichkeit beruht“ (Watzlawick et al. 2011, 81).

Auch Machtverhältnisse nehmen Einfluss darauf, wie Kommunikation funktioniert: In einer symmetrischen Kommunikationssituation stehen PartnerInnen auf derselben hierarchischen Ebene (z. B. Studentin und Student). Die Kommunikation verläuft dann eher spiegelbildlich und die PartnerInnen streben danach, eventuelle Unterschiede zu vermindern. In einer komplementären Kommunikationssituation hingegen existiert eine (hierarchisch bedingte) Ungleichheit der PartnerInnen (z. B. Dozentin und Student in einer Sprechstunde). In der Kommunikation werden sich beide dann eher ergänzen, die Ungleichheit wird dabei i. d. R. beibehalten, z. B. stellt der Student eher Fragen und die Dozentin gibt eher Antworten (Watzlawick et al. 2011, 79 f.).

Praxistipp 3 – Kommunikation auf unterschiedlichen Hierarchieebenen

Aus diesem Axiom lassen sich zwei Überlegungen folgern: Zum einen wird abhängig vom Verhältnis der KommunikationspartnerInnen unterschiedlich formelles Vokabular benötigt. Es ist also sinnvoll, zu hinterfragen, ob auch einer Person mit komplexem Kommunikationsbedürfnis eine Auswahl an Vokabular zur Verfügung steht, die es ihr erlaubt, situativ angemessen zu kommunizieren. Zum anderen kann eine dem Verhältnis angemessene Kommunikation gar nicht erst erlernt werden, wenn eine Kommunikationsunterstützung nicht auch für unterschiedliche Kommunikationssituationen sensibilisiert. Zu oft wird in der Praxis vergessen, einer Person auch Gelegenheit zu geben, sich mit Personen derselben „Hierarchieebene“ auszutauschen und sich auch in solchen Situationen als kommunikativ wirksam zu erfahren (Peer-Modeling Kap. 5.3).

1.2 Verbale und nonverbale Kommunikation

Ausgehend vom vierten Axiom von Watzlawick et al. (2011) wurde bereits besprochen, dass Menschen i. d. R. verbal und nonverbal kommunizieren; häufig auch in Kombination miteinander. Im Folgenden gehen wir dieser Beobachtung weiter nach und ergründen, wie Menschen (non-)verbal kommunizieren.

Verbale Kommunikation

Verbale Kommunikation beinhaltet „alles […], was dem konventionell etablierten System der Sprache zuzurechnen ist“ (Helfrich / Walbott 1980, 267).

Sie nutzt also Wörter als Zeichenund verbindet diese nach syntaktischen Regeln. Sie hat einen semantischen Gehalt (Inhalt und Bedeutung der Wörter bzw. der Sätze), nutzt Begriffe, die der Lexik, d. h. dem Wortschatz einer Sprache entstammen. Die Wörter werden von Menschen pragmatisch verwendet, d. h. in konkreten Situationen genutzt, um kommunikative Handlungen zu vollziehen.

Nonverbale Kommunikation

Nonverbale Kommunikation bezeichnet zunächst – in Abgrenzung zu verbaler Kommunikation – all jene Äußerungsformen, die ohne Wörter auskommen. Nonverbale Äußerungen lassen sich aber noch differenzierter betrachten. So unterscheiden Helfrich und Wallbott (1980) zwischen vokaler und nonvokalerKommunikation (Tab. 1).

Nonverbale Kommunikation

Vokal

(von Stimm- und Sprechwerkzeugen hervorgebracht / abhängig)

Nonvokal

(von Stimm- und Sprechwerkzeugen unabhängig)

Zeitabhängige Aspekte

Stimmabhängige Aspekte

Kontinuitätsabhängige Aspekte

Motorische Kanäle

Physio-chemische Kanäle

Ökologische Kanäle

Unter dem Vokalen versteht man dabei jene (Aspekte von) Äußerungen, die mittels der Stimm- und Sprechwerkzeuge hervorgebracht werden bzw. von diesen abhängig sind.

Hierzu zählen zeitabhängige Aspekte wie Sprechdauer, stimmabhängige Aspekte wie Stimmqualität und kontinuitätsabhängige Aspekte wie Versprecher.

Nonvokales ist „von den Stimm- und Sprechwerkzeugen unabhängig“ (Helfrich / Wallbott 1980, 268).

Es kann mittels motorischer (Mimik, Gestik, Blickkontakt, Körperhaltung), physiochemischer (taktile Aspekte, thermale Aspekte z. B. kalte Hände) sowie ökologischer Formen übermittelt werden (interpersonale Distanz, persönliches Auftreten, Territorialverhalten). Interkulturelle Untersuchungen zeigen, dass nonvokale Äußerungen mitunter sogar kulturunabhängig angelegt sind und universal mit den gleichen mimischen Äußerungsformen ausgedrückt und verstanden werden. Dies betrifft insbesondere grundlegende Emotionen wie Wut, Ärger, Trauer, Freude, Überraschung, Ekel und Scham (Eibl-Eibesfeldt 1999, 684).

Tab. 1: Vokale und nonvokale Aspekte nonverbaler Kommunikation (Helfrich / Wallbott 1980, 268).

1.3 Kommunikationsentwicklung

Nachdem wir Kommunikation grundlegend systematisiert und betrachtet haben, werfen wir nun einen Blick auf die Entwicklung von Kommunikation. Wir besprechen, wie sich die kommunikativen Möglichkeiten von Kindern von Geburt an entwickeln.

Betrachten wir vorliegende Modelle und Vorstellungen der vorsprachlichen Kommunikationsentwicklung (u. a. Aktas 2012; Coupe-O‘Kane / Goldbart 1998; Rowland 2011; Rowland / Stremel-Campbell 1987) zeigt sich, dass diese i. d. R. von drei aufeinanderfolgenden Phasen ausgehen: (1) Eine vorintentionale bzw. vorkommunikative Phase. Hier erkennen Kinder noch nicht, dass sie mithilfe von Signalen in ihrer Umwelt etwas bewirken können – sie sind hauptsächlich auf sich oder ein einzelnes Ziel bezogen. (2) Eine Phase intentional-vorsymbolischer bzw. informeller Kommunikation. Hier kommunizieren Kinder bereits zielgerichtet mit KommunikationspartnerInnen, aber noch ohne die Nutzung von Symbolen, welche Bedeutungen allgemein verständlich repräsentieren. (3) Eine Phase intentional-symbolischer bzw. formaler Kommunikation. In dieser kommunizieren sie schließlich mittels konkreter oder abstrakter Symbole (Sprache, abstrakte Piktogramme, Gebärden etc.).

Modell zur Kommunikationsentwicklung

Nachfolgend wird diese Abfolge anhand des Entwicklungsmodells von Rowland (2011) bzw. Rowland und Stremel-Campbell (1987) detaillierter ausgeführt. Das Modell orientiert sich an den Phasen, die von Säuglingen bzw. Kleinkindern in den ersten 24 Monaten durchlaufen werden. Durch Publikationen von Kane wurde das Modell auch im deutschsprachigen Raum verbreitet (Kane 1992; 1996; 2018). Es erweist sich als hilfreich, weil es auf die kommunikative Entwicklung fokussiert und dabei unterschiedlichste Ausdrucksformen berücksichtigt. Es bezieht lautliche und lautsprachliche Äußerungen ebenso ein wie Gesten, Gebärden oder piktografische Zeichen.

Obwohl die beiden Autorinnen von aufeinanderfolgenden Entwicklungsstufen sprechen, sollte nicht der Eindruck einer restriktiven Abfolge entstehen. Sie betonen, dass sich Kinder je nach kommunikativer Absicht bzw. Intention durchaus auch auf mehreren Stufen gleichzeitig befinden können (Rowland / Stremel-Campbell 1987). Zudem möchten wir darauf hinweisen, dass die Entwicklung kommunikativer Ausdrucksmöglichkeiten stark von der Umwelt abhängig ist und daher nicht als ausschließlich in der Person festgelegt betrachtet werden darf. Insbesondere die Bezugspersonen und deren Verhalten spielen dabei eine wesentliche Rolle (Papousek / Papousek 1989).

1.3.1   Stufe 1: Vorintentionale Verhaltensweisen – vorintentionale Kommunikation

Die Entwicklungsvorstellung beginnt mit dem sog. vorintentionalen Verhalten. Verhaltensweisen des Kindes sind hier noch eher reaktiv oder reflexhaft (Rowland 2011). Das Kind hat also noch keine Vorstellung davon, was es ausdrücken möchte bzw. dass es sich überhaupt ausdrückt. Die frühen kindlichen Äußerungen werden aber dennoch von außen interpretiert: Für Eltern oder weitere Bezugspersonen scheint es so, als wären die kindlichen Verhaltensweisen (z. B. Veränderung der Körperhaltung, Lächeln etc.) mit einem bestimmten Empfinden oder Befinden verknüpft. Sie interpretieren diese Verhaltensweisen dann z. B. als Ausdruck von Wohlbefinden, Geborgenheit, Grundbedürfnissen wie Hunger und Durst oder als Signal für Schmerz oder Unwohlsein und reagieren entsprechend.

1.3.2   Stufe 2: Intentionale Verhaltensweisen – vorintentionale Kommunikation

Das Verhalten des Kindes ist nun intentional