Unterwegs nach Santiago... - Wolfgang Scholz - E-Book

Unterwegs nach Santiago... E-Book

Wolfgang Scholz

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Beschreibung

2008 habe ich begonnen, vom Wetzlarer Dom in Richtung Santiago de Compostela zu pilgern. Zunächst ging es über den Lahn-Camino nach Lahnstein und von dort über den Mosel-Camino nach Trier. Vom Grab des Apostels Matthias in der ältesten Stadt Deutschlands machte ich mich erstmals ins benachbarte Ausland auf den Jakobsweg - und zwar nach Vézelay. Zunächst pilgerte ich noch alleine, ab 2011 war mein Kamerad und Pilgerfreund Jörg mein Begleiter. Im Juni 2013 erreichten wir Vézelay und legten danach zumindest in Frankreich eine Pilgerpause ein. Während wir im Folgejahr noch gemeinsam auf dem Camino Portugues unterwegs waren, sollte es bis zu unserer nächsten gemeinsamen Unternehmung bis 2019 dauern. In weiteren drei vierzehntägigen Abschnitten absolvierten wir die Via Lemovicensis von Vézelay nach Saint-Jean-Pied-de-Port. Diese ist - obwohl zu den Hauptrouten in Frankreich zählend - überwiegend ein sehr einsamer Weg durch sehr ländliche Gegend. Wer also Ruhe sucht, ist hier genau richtig. Die Markierung des Weges ist ausgezeichnet und es gibt vermehrt Pilgerherbergen, die wir sehr gerne angesteuert haben. Dort wurden wir immer sehr herzlich empfangen und mit allem Nötigem versorgt. Nach 942 Kilometern ab Vézelay erreichten wir den Pyrenäenort Saint-Jean-Pied-de-Port, der für die meisten Pilger der Startpunkt für ihren Jakobsweg darstellt. Für Jörg und mich ist er nach Vézelay ein weiteres wichtiges Zwischenziel, das es auf dem Weg nach Santiago de Compostela zu erreichen galt.

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Inhalt

Einleitung

Teil 1: Vézelay - La Souterraine

Etappenübersicht

14.06.2019 Angekommen in der Vergangenheit

15.06.2019 Ein Paradies für Jakobspilger

16.06.2019 Am Ende geht es ja doch wieder bergauf

17.06.2019 Als Asphalt-Pilger on the road

18.06.2019 Wallfahrt zur Heiligen Bernadette.

19.06.2019 Das Hühnerwunder ist leider ausgeblieben

20.06.2019 Ein Paradies für Jakobspilger 2.0

21.06.2019 Canal de Berry - eine unendliche Geschichte

22.06.2019 Rita aus Flandern, die ewige Pilgerin

23.06.2019 Plötzlich mittendrin

24.06.2019 So viel Glück an einem Tag

25.06.2019 Erholungstour ins Künstlerdorf

26.06.2019 Auf der Suche nach der Pilgerherberge..

27.06.2019 Jakobus ein Stück näher gekommen

28.06.2019 Heimreise und Zukunftspläne

Anhang 1 Unterkünfte

Teil 2: La Souterraine - La Réole

Etappenübersicht

07.07.2023 Anreise zur Via Lemovicensis Teil 2

08.07.2023 Hohe Temperaturen und glühender Asphalt

09.07.2023 Die Hitze macht uns fertig

10.07.2023 Tour de France knapp verpasst

11.07.2023 Limoges - Namensgeber für den Camino?

12.07.2023 Dann gibt es halt nur Suppe

13.07.2023 Halbe Strecke ist halbes Leid

14.07.2023 Nichts geht am Nationalfeiertag

15.07.2023 Pilger unter ständiger Beobachtung

16.07.2023 Eine Herausforderung nach der anderen

17.07.2023 Schlossherren für eine Nacht

18.07.2023 Abkühlung tut gut

19.07.2023 Königsetappe heil überstanden

20.07.2023 Voie de Vézelay - ein erstes Resumee

21.07.2023 Abschied tut weh

22.07.2023 Home Sweet Home

Anhang 2 Unterkünfte

Teil 3: Langon - Saint-Jean-Pied-de-Port

Etappenübersicht

08.07.2024 Wir sind dann mal wieder weg

09.07.2024 Einlaufen auf dem Camino

10.07.2024 Immer geradeaus

11.07.2024 Ein klein wenig geschummelt

12.07.2024 Gute Bedingungen für einen langen Tag

13.07.2024 Die letzten werden die ersten sein

14.07.2024 Viva la France!

15.07.2024 Pyrenäen in Sicht

16.07.2024 Als Pilger lernst du die Welt kennen

17.07.2024 Drei Hauptwege vereinigen sich

18.07.2924 Ein Abschluss ist auch immer ein Neuanfang

Anhang 3 Unterkünfte

Anhang 4 Pilgerausweise

Anhang 5 Über den Autor

Anhang 6 Veröffentlichungen

Einleitung

2008 habe ich begonnen, vom Wetzlarer Dom mich in Richtung Santiago de Compostela zu begeben. Zunächst ging es über den Lahn-Camino nach Lahnstein und von dort über den Mosel-Camino nach Trier. Vom Grab des Apostels Matthias in der ältesten Stadt Deutschlands machte ich mich erstmals ins benachbarte Ausland auf den Jakobsweg - und zwar nach Vézelay. Zunächst pilgerte ich noch alleine, ab 2011 war mein Kamerad und Pilgerfreund Jörg mein ständiger Begleiter. Im Juni 2013 erreichten wir Vézelay und legten danach zumindest in Frankreich eine Pilgerpause ein. Während wir im Folgejahr noch gemeinsam auf dem Camino Portugues unterwegs waren, sollte es bis zu unserer nächsten gemeinsamen Unternehmung bis 2019 dauern.

In weiteren drei vierzehntägigen Abschnitten absolvierten wir die Via Lemovicensis von Vézelay nach Saint-Jean-Pied-de-Port. Diese ist - obwohl zu den Hauptrouten in Frankreich zählend – überwiegend ein sehr einsamer Weg durch sehr ländliche Gegend. Wer also Ruhe sucht, ist hier genau richtig. Die Markierung des Weges ist ausgezeichnet und es gibt vermehrt Pilgerherbergen, die wir sehr gerne angesteuert haben. Dort wurden wir immer sehr herzlich empfangen und mit allem Nötigem versorgt.

Nach 942 Kilometern ab Vézelay erreichten wir den Pyrenäenort Saint-Jean-Pied-de-Port, der für die meisten Pilger der Startpunkt für ihren Jakobsweg darstellt. Für Jörg und mich ist er nach Vézelay ein weiteres wichtiges Zwischenziel, das es auf dem Weg nach Santiago de Compostela zu erreichen galt.

Ich wünsche viel Spaß beim Lesen meines Pilgertagebuches Mehr ist es auch nicht. Es enthält keine philosophischen Abhandlungen über den Jakobsweg und ist sicherlich keine literarische Höchstleistung. Vielleicht gibt es aber den Anstoß, einmal selbst auf den Camino zu gehen, vielleicht weckt es auch Erinnerungen an bereits gemachte Erlebnisse auf der Via Lemovicensis.

Mein herzlicher Dank geht an

+ meine Frau Susanne und meinen Sohn Christian, dass sie mir erneut die Zeit für einen Camino geschenkt haben,

+ meine Mutter Hilde Scholz, die sich wiederum auf die Fehlersuche im Manuskript begeben hat,

+ Jörg, der ein wunderbarer Partner auf dem Jakobsweg ist,

+ alle Zuhausegebliebenen, die mich durch Kommentare und Likes angespornt und motiviert haben, unsere Erlebnisse aufzuschreiben,

+ alle Menschen, die mit netten Worten und Begegnungen unseren Weg erleichtert und bereichert haben.

Koblenz, im Oktober 2024

Wolfgang Scholz

1. Abschnitt

Vézelay - La Souterraine

15. Juni 2019 - 27. Juni 2019

Etappenübersicht

Datum

Etappenorte

Strecke

15.06.2019

Vézelay - Le Chemin

25 km

16.06.2019

Le Chemin - Saint-Révérien

29 km

17.06.2019

Saint-Révérien - Prémery

16 km

18.06.2019

Prémery - Nevers

32 km

19.06.2019

Nevers – La Chapelle-Hugon

28 km

20.06.2019

La Chapelle-Hugon – Augy-sur-Aubois

20 km

21.06.2019

Augy-sur-Aubois - St-Amand Montrond

33 km

22.06.2019

St-Amand Montrond – Le Châtelet

26 km

23.06.2019

Le Châtelet - La Châtre

30 km

24.06.2019

La Châtre - Cluis

30 km

25.06.2019

Cluis - Gargilesse-Dampierre

15 km

26.06.2019

Gargilesse-Dampierre - Crozant

20 km

27.06.2019

Crozant - La Souterraine

27 km

Freitag, 14. Juni 2019Koblenz - Köln - Paris - Vézelay

Angekommen in der Vergangenheit

Heute geht es los. 2013 erreichten Jörg und ich mit der Basilika Sainte-Marie-Madeleine in Vézelay unser erstes großes Zwischenziel. In diesem Jahr werden wir in den nächsten vierzehn Tagen unsere Pilgerreise durch Frankreich von dort fortsetzen.

Meinen Wecker habe ich auf 3:30 Uhr gestellt, doch meine innere Uhr ist bereits früher auf das Aufstehen getrimmt, sodass ich schon einige Minuten vor dem Weckruf auf den Beinen bin. So kann Susanne wenigstens durchschlafen und ich störe sie nicht. Meinen Rucksack habe ich bereits gestern gepackt und komme auf ein Gewicht von knappen 9 Kilogramm. Nach den letzten Vorbereitungen verlasse ich um 4:15 Uhr die Wohnung und fahre mit dem Auto in die Stadt. Schon nach wenigen Metern muss ich bremsen, denn ein Igel kreuzt gemütlich die Straße, dreht sich neugierig zu mir um und setzt seinen Weg in aller Ruhe fort.

Das Auto parke ich in der Stadt in der Nähe von Christians Wohnung, da er heute zu seinem Arbeitseinsatz nach Saffig fahren muss. Ich schicke ihm die Parkposition per WhatsApp und hinterlege den Schlüssel in seinem Briefkasten. Von der Wohnung sind es nur ein paar Ecken bis zum Bahnhof, die ich in ein paar Minuten hinter mich bringe. Am Bahnhof ist noch nicht viel los. Nur wenige Reisende warten wie ich auf ihre Züge, während es sich andere auf den Sitzmöglichkeiten in der Vorhalle „gemütlich“ gemacht haben und vor sich hindösen. Überpünktlich setzt sich der IC 208 in Bewegung und um kurz nach 6:00 Uhr bin ich schon in Köln. Hier habe ich jetzt rund eine dreiviertel Stunde Zeit, bis der Thalys nach Paris abfährt. Ich werfe noch einen Blick auf den Dom und besorge mir in einer Bäckerei ein Frühstück. Nach einer ruhigen Fahrt mit kurzen Zwischenstopps in Aachen, Lüttich und Brüssel und einer zeitweisen Reisegeschwindigkeit von über 300 km/h treffe ich in Paris am Gare du Nord um 10:00 Uhr ein. Während der Reise meldet sich Christian. Er fände es gut, wenn ich ihm meinen Live-Standort mitteile, allerdings hätte er damit ein Problem, das geparkte Auto zu finden. Ups, da habe ich wohl etwas falsch gemacht. Ich erkläre ihm, wo das Auto tatsächlich steht. Wieder habe ich etwas dazugelernt.

Ich verlasse den Bahnhof und laufe noch rund 700 m bis zum Gare de l´Est, wo ich Jörg abhole. Er sollte eine gute halbe Stunde nach mir mit einem ICE aus Mannheim eintreffen. Aus der halben Stunde wird allerdings etwas mehr, die Deutsche Bahn hat es halt nicht so mit der Pünktlichkeit. Wir begeben uns direkt eine Etage tiefer und reihen uns in die Schlange vor einem Ticketautomaten ein. Dabei tauschen wir erste Neuigkeiten aus und machen uns mit dem Handling des Automaten vertraut. Dieser lässt sich mit einem Klick auf Deutsch umstellen und alles Weitere erklärt sich von selbst. Mit den Tickets in der Hand finden wir ausgesprochen schnell unsere Metrolinie 4 und müssen gar nicht lange auf die nächste Bahn warten. Nach sechs Haltepunkten steigen wir an der Station Chatelet um in die Linie 14, mit der wir bis Bercy fahren und dort aussteigen.

Bis der Zug nach Sermizelles abfährt, dauert es jetzt noch eine gute Stunde. Wir schlendern mitten durch eine kleinere Demonstration gemütlich in Richtung Gare de Bercy und werden von einem Paar mit Rucksäcken auf dem Rücken, vermutlich Niederländer, nach dem Weg gefragt. Wir schauen uns den Bahnhof an und entscheiden uns, zunächst in einem nahegelegenen Park die Zeit bis zur Abfahrt mit einem ersten Café au lait zu verbringen. Um 12:30 Uhr sitzen wir im Zug nach Sermizelles. An einem Zwischenhalt werden wir von einem Zugbegleiter aufmerksam gemacht, dass wir bitte in einen anderen Wagen umsteigen mögen. Da haben wir anscheinend eine Durchsage nicht mitbekommen.

Pünktlich um 15:00 Uhr erreichen wir unseren Zielbahnhof. Von meinem vorab reservierten und bestätigten Taxi ist allerdings keine Spur zu sehen. Inzwischen macht sich das niederländische Ehepaar, das wir in Paris getroffen hatten, zu Fuß auf den Weg in das 10 Kilometer entfernte Vézelay. Nach zwanzig Minuten fährt ein Taxi auf den Bahnhofsvorplatz und ich erkenne anhand der Beschriftung „Cathy Taxi“, dass es unseres sein müsste. Aber auch ein älteres Paar geht zielstrebig auf die Fahrerin zu und verstaut ihr Gepäck im Kofferraum. Ich versuche, der Fahrerin zu erklären, dass ich ebenfalls eine Reservierung habe. Das ältere Ehepaar gibt uns zu verstehen, dass wir doch einfach mitfahren sollen, es sei genügend Platz vorhanden und zudem würde es günstiger für alle.

Um 15:45 Uhr lässt uns die Taxifahrerin nahe der alten Post am Ortseingang von Vézelay aussteigen und nach einem kurzen Anstieg durch die Rue de Saint-Etienne und die Rue Saint-Pierre haben wir schon unsere Unterkunft erreicht, die mittelalterliche Pilgerherberge Cabalus. Ich hatte bereits im Vorfeld den Code für den Eingang erhalten, sodass wir uns bereits in unserem Zimmer - damals wie heute Nummer 7 – einrichten können. Alles wirkt so vertraut, die Zeit seit 2013 scheint hier stehengeblieben zu sein. Auf dem Weg zum Büro der hiesigen Jakobusgesellschaft werden wir von unserer Vermieterin, Madame Ingrid Schmieding, einer Schweizerin, begrüßt. Im Pilgerbüro schräg gegenüber erhalten wir den ersten Stempel für den Pilgerausweis sowie einige nützliche Tipps aus erster Hand für die folgenden Tage.

Auf dem Rückweg zur Unterkunft kaufen wir in einem kleinen Laden Chorizo, Käse, Brot und Bier und genießen eine erste Pilgermahlzeit auf unserer mittelalterlichen Stube. Durch das geöffnete Fenster strömt eine angenehme Ruhe in den Raum, die aber bald schon durch das sanfte Geräusch von Regentropfen, die auf Blätter fallen, verdrängt wird. Nach dem Essen gehen wir zur Basilika Sainte-Marie-Madeleine, um an der abendlichen Vesper und dem anschließenden Gottesdienst teilzunehmen. Diese gehen wiederum mit den engelsgleichen Chorälen der Brüder und Schwestern des Jerusalemordens ins Herz, geben Kraft und Zuversicht für die kommenden zwei Wochen auf der Via Lemovicensis. Durch die traumhafte meditative Musik kann man die anstrengende Anreise verdrängen, sich behutsam fallen lassen und sich auf die Pilgerfahrt einstimmen. Das ist ein wunderschönes Ankommen in Vézelay. Leider wird die Basilika gerade saniert und ist am Hauptportal eingerüstet. Schade, dass damit auch das bewundernswerte Tympanon im Verborgenen bleiben muss. Irgendwie habe ich jetzt Parallelen zur Kathedrale in Santiago im Kopf - ein Teil der Kirche ist versteckt, ein anderer bereits fertig und wie neugeboren aussehend.

Morgen geht es richtig los. Die erste Etappe bis Le Chemin steht auf dem Plan. Derweil gehen wir heute früh schlafen und lauschen dem leichten Regen, der durch das offene Fenster ins Zimmer eindringt und einschläfernd wirkt. Gute Nacht.

Paris: Gare de l´Est.

Vézelay: Rue de Saint-Pierre.

Vézelay: mittelalterliche Herberge Cabalus.

Vézelay: Basilika Sainte-Madeleine.

Samstag, 15. Juni 2019Von Vézelay nach Le Chemin (25 km, 5:25 Std)

Ein Paradies für Jakobspilger

Die gestrige Anreise war wirklich anstrengend und so kommt es uns sehr entgegen, dass es erst um 9:00 Uhr Frühstück gibt. Wir sind jedoch schon eine halbe Stunde vorher fertig mit Packen und entscheiden uns, schon einmal im kleinen Supermarkt noch etwas Wasser für den Tag einzukaufen. Nach unserer Rückkehr hat Madame Schmieding das Frühstück vorbereitet. Wir lassen es uns schmecken und führen ein wenig Smalltalk mit ihr. Schließlich zahlen wir unsere Rechnung und verabschieden uns. Ich kaufe mir noch einen handbearbeiteten Stein mit Jakobsmuschel. Einen ähnlichen, hier 2013 gekauften, trage ich seitdem bei meinen Pilgertouren immer bei mir. Wir sind sehr dankbar, dass wir im Cabalus unsere Fortsetzung durch Frankreich beginnen können. Durch das bereits Bekannte in Vézelay ist die Verbindung unseres bisherigen Weges mit dem vor uns liegenden Abschnitt sehr eng – trotz der sechs Jahre Differenz. Warum ich noch einen Anhänger kaufte, wusste ich erst einige Monate später. Denn dann wurde Alexander Liermann, der evangelische Militärpfarrer von Mainz, aus der Bundeswehr verabschiedet. Bei einer seiner Pilgerrüstzeiten vor vielen Jahren haben Jörg und ich uns kennengelernt. Es konnte also kein treffenderes Abschiedsgeschenk werden als, als dieser Muschelstein aus Vézelay.

Um 9:40 Uhr stehen wir vor der eingerüsteten Basilika und starten in den Tag. In der Nacht hat es geregnet und für heute Mittag sollen wir auch noch etwas davon abbekommen. Gerade in diesem Augenblick kommt die Sonne ein wenig durch die graue Wolkendecke und wirkt für uns wie ein Startsignal. Zunächst umlaufen wir einmal die Basilika und genießen den weitreichenden Ausblick von hier oben. Danach steigen wir über schmale Wiesenwege hinab und erreichen schon bald Saint-Père, wo wir das Flüsschen Cure überqueren. Wir folgen dem Verlauf des Gewässers, müssen dann aber über einen Feldweg einen ersten Aufstieg bewältigen. Der aufgeweichte Lehmboden klebt an unseren Schuhen fest und macht diese breiter und schwerer. Irgendwann ist es vorbei mit der Aufnahmekapazität der Schuhe und der Morast fällt in einem großen Klumpen wieder ab. Das ist die Chance für eine weitere Masse des braunen Bodenbelags, das Gleiche zu versuchen.

Wir sind froh, diese Passage bald hinter uns zu haben und laufen auf kleinen Nebenstraßen und Feldwegen durch Précy Le Moult und danach durch Pierre-Perthuis. Dort treffen wir auf zwei deutsche Pilgerinnen, die ich an ihrem gelben Outdoor-Wanderführer erkenne, den ich jedoch aufgrund seines Veröffentlichungsjahres 2012 nicht in die Vorbereitungen einbezogen habe. Vielmehr habe ich den französischen Führer MiamMiamDoDo genutzt, der mit übersichtlichem Kartenwerk und gut recherchierten Informationen zu Übernachtungsmöglichkeiten aufwarten konnte. In der kurzen Unterhaltung stellt sich heraus, dass sie heute noch 11 Kilometer mehr laufen wollen als Jörg und ich. Das wären dann 36 Kilometer, und das am ersten Tag!? Ok, jeder, so wie er oder sie will und kann…für uns wäre das entschieden zu viel.

In Domecy-sur-Cure machen wir eine erste kurze Trinkpause. Dabei muss ich die Länge der Trageriemen an meinem Rucksack ein wenig verändern, weil der nicht richtig auf meinem Becken sitzt, wie ich mir das vorstelle. Kurz hinter dem Château de Bazoches fallen vereinzelte Regentropfen aus dem grauen Wolkenvorhang herab – die Wettervorhersage stimmt also. Wir überziehen deshalb vorsichtshalber die Rucksäcke mit dem Regenschutz und tragen unsere Regenjacken in der Hand. In Bazoches haben wir 15 Kilometer geschafft und werden mit der offenen Église Saint Hilaire begrüßt. Nach der kurzen Besichtigung fällt noch mehr Regen herab und wir befürchten, dass der in der Folgezeit stärker wird und wir gleich richtig nass werden. Tut er aber nicht - er hört erfreulicherweise hinter dem Dorf mitten in einem Anstieg einfach wieder auf. An der Chapelle de Saint-Roche verstauen wir wieder unsere Jacken und marschieren nach Neuffontaines, wo wir an einer Ruhebank erneut eine Pause einlegen. Auch hier muss ich erneut an meinen Rucksack arbeiten, denn ich bin immer noch nicht mit dem Tragekomfort zufrieden. Es wäre besser gewesen, im Vorfeld den neuen Rucksack ausgiebig zu testen und richtig einzustellen. Im weiteren Verlauf zieht über uns noch einmal eine große dunkle Wolke auf, die vereinzelt etwas Wasser fallen lässt. Vor uns thront auf dem Mont Sabot die aus dem zwölften Jahrhundert stammende Chapelle Saint-Pierre-aux-Liens. Die Kapelle scheint von einer heiligen Aura umgeben zu sein, denn die Wolke zieht in gebührendem Abstand darüber hinweg und das dazwischen sichtbare helle Band wirkt wie eine Corona.

Nun ist es nicht mehr weit bis zu unserem Tagesziel. In Vignes durchlaufen wir die Rue de Compostelle, bevor es für rund 1 Kilometer ganz gemein auf einem Feldweg steil aufwärts geht. Am Ende dieses Wegestückes werden wir von einem ersten Hinweis auf unsere Herberge L'Esprit du Chemin erwartet. Jetzt müssen wir nur noch um drei Ecken herum und stehen vor der Herberge. Auf einer Bank befinden sich schon zwei Rucksäcke, sie gehören Jan und Adrie. Die beiden haben wir schon in Paris und am Bahnhof von Sermizelles getroffen. Wir werden von Huberta empfangen und durch die Herberge geführt. Vor einigen Jahren hat sie mit Arno die Herberge in Saint Jean-Pied-de-Port aufgegeben und sich in diesem alten Bauernhof in Le Chemin niedergelassen.

Mit der Unterstützung von freiwilligen Helfern wurde daraus eine paradiesische Pilgerherberge. Wir beziehen gleich das uns gezeigte Zweibettzimmer, das noch relativ neu ist. Heute ist „Schlafen in Bettwäsche“ angesagt – purer Luxus, aber aus rein hygienischen Gründen. Danach heißt es: Wäsche waschen, duschen und ausruhen. In der Herberge unterhalten wir uns ein wenig mit Jan und Adrie, die beide nur wenig Deutsch, dafür aber besser Englisch sprechen. Um 19:00 Uhr gibt es Abendessen, zu dem uns Arno aus dem Aufenthaltsraum abholt und in einen geräumigen Nebenraum führt. Es gibt Reis, ein Linsengericht und ein Gemüsepotpourri, das meiste aus dem eigenen Garten. Bevor wir zuschlagen dürfen, stellt sich jeder kurz vor und erzählt etwas aus seiner Camino-Geschichte. Beim Essen führen wir auf Englisch eine richtig nette Unterhaltung. Erst nach über einer Stunde und einem leckeren Dessert aus Früchten werden allmählich die Stimmen etwas leiser. Es wird Zeit, den Tag zu beenden und sich für die kommende Herausforderung auszuruhen. Für Jörg und mich stehen morgen 30 Kilometer an, Jan und Adrie planen nur 24 Kilometer.

Saint-Père: Blick zurück nach Vézelay

Bazoches.

Neuffontaines: Chapelle Saint-Pierre-aux-Liens.

Le Chemin: Pilgerherberge L´Esprit du Chemin.

Sonntag, 16. Juni 2019Von Le Chemin nach Saint-Révérien (29 km, 6:10 Std)

Am Ende geht es ja doch wieder bergauf...

Für 7:00 Uhr steht das Frühstück bereit und alle vier Übernachtungsgäste sitzen pünktlich am Tisch. Auch heute früh gibt es einiges aus der eigenen Küche - lecker. Huberta und Arno verabschieden sich bereits von uns, da sie noch in die Kirche fahren möchten. Vorher bekommen wir noch unsere Stempel, die zum Teil mit der Hand ausgemalt sind. Außerdem erhalten wir Anweisungen, wo wir den Schlüssel der Herberge deponieren sollen. Bereits eine Dreiviertelstunde später haben wir alle unsere Rucksäcke auf dem Rücken und beginnen mit dem geplanten Tageswerk.

Jörg und ich sind anscheinend noch nicht richtig dabei und laufen einfach die Straße geradeaus weiter und bemerken erst kurz darauf, dass wir eigentlich nach links abbiegen müssten. Adrie und Jan laufen richtig und wir beide schließen uns an. Durch einen feuchten Wiesenweg geht es zunächst abwärts nach Anthien, wo das Portal der Église Saint-Laurent aus 16. Jahrhundert offensteht. Ein Gitter versperrt zwar den Zugang, allerdings ist zumindest ein Blick in den Innenraum der Kirche möglich. Es folgt nun eine schmale Straße entlang großer Weideflächen, aus denen unsichtbare Grillen um die Wette zirpen. Hier überholen wir die beiden Niederländer und gehen unser eigenes Tempo weiter, das heute deutlich flotter ist als gestern. Es folgen die kleinen Dörfer Sancy-le-Bas und Charpuis, anschließend nach circa 10 Kilometern mit Corbigny eine Gemeinde mit immerhin rund 1.500 Einwohnern. Den markanten Turm der Abtei Saint-Léonard aus dem 16. Jahrhundert sehen wir schon aus der Ferne. Neben den inzwischen vertrauten Wegzeichen - übereinanderliegende gelbe und blaue Balken sowie spezielle Muschelpfeile - zeigen uns am Boden eingelassene Bronzemuscheln den Weg durch Corbigny.

Jörg und ich nehmen gegenüber dem Rathaus in einem Straßencafé Platz und machen eine erste Pause mit einem Café au lait. Als wir uns nach einer guten halben Stunde wieder fertigmachen, treffen auch Jan und Atrie ein – schön, sie wiederzusehen. Bevor es allerdings weitergeht, kaufen wir in einem kleinen Laden noch Wasser und Riegel für unterwegs ein. Schon bald verlassen wir Corbigny - seit 1979 besteht eine Partnerschaft mit Kobern-Gondorf, ganz in der Nähe meines Wohnortes Koblenz - und befinden uns wieder in ländlicher Umgebung. Nun säumen ausgedehnte Getreidefelder unseren Weg, die mit dem leuchtenden Rot von hunderten Mohnblüten durchsetzt sind. Wir durchwandern mit Chitry-les-Mines und Chaumot wieder kleine Dörfer und überqueren den Canal du Nivernais. Unter unseren Füßen befindet sich jetzt vermehrt Asphalt und als wir nach einem zum Teil auch schattigen Anstieg am Friedhof von Pazy auf eine Bank treffen, machen wir für eine weitere Pause Gebrauch davon. Wieder auf der Piste erkennen wir vor uns zwei Pilgerinnen - das sind die beiden Deutschen von gestern. Sie haben für sich eine bequeme Art des Pilgerns gefunden und lassen das meiste Gepäck von einer Begleiterin per Auto transportieren.

Die Sonne meint es momentan richtig gut mit uns und heizt die Umgebung ordentlich auf ein. Jörg und ich wandern weiter nach Guipy, wo es einen kleinen und vor allem geöffneten Laden geben soll. Wir werden nicht enttäuscht und decken uns mit allen Zutaten für ein Abendessen ein, denn in Saint-Révérien gibt es keine Einkaufsmöglichkeit und auch kein Restaurant. Wir kaufen Nudeln, Soße, Baguette und Bier und erhalten noch gratis eine Salami dazu. Herzlichen Dank dafür! Zum sofortigen Verzehr gönnen wir uns ein Sandwich mit Käse und Schinken, das riesig ausfällt. Als Ausgleich für den bisherigen Flüssigkeitsverlust müssen ein paar Gläser kalter Gerstensaft herhalten. Inzwischen sind die beiden Deutschen auch eingetroffen und stellen sich als Becky und Stefanie aus Mönchengladbach vor.