Until You: Hanna - Aurora Rose Reynolds - E-Book

Until You: Hanna E-Book

Aurora Rose Reynolds

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Beschreibung

Hanna hat schon immer vom perfekten Mann geträumt, mit dem sie eine Familie gründen will. Jedoch scheint sie kein gutes Händchen für den Richtigen zu haben. Nach der letzten Katastrophe schwört sie sich, ein Jahr lang nicht zu daten. Aber ein Urlaubsflirt zählt nicht, oder? Walker St. James wollte sich nie fest binden, bis er Hanna Mayson begegnet. Sie ist die erste Frau, in die er sich sofort verlieben könnte. Während er herauszufinden versucht, wie er ihr Herz gewinnen kann, teilt sie ihm mit, nur einen Urlaubsflirt zu wollen. Er geht auf ihren Vorschlag ein, hat jedoch nicht vor, es dabei zu belassen.

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Seitenzahl: 365

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Aurora Rose Reynolds

© Die Originalausgabe wurde 2023 unter dem

Titel Until Hanna von Aurora Rose Reynolds veröffentlicht.

© 2024 Romance Edition Verlagsgesellschaft mbH

8700 Leoben, Austria

Aus dem Amerikanischen von Mirjam Neuber

Covergestaltung: © Sturmmöwen

Redaktion & Korrektorat: Romance Edition

ISBN-EPUB: 978-3-903519-01-5

www.romance-edition.com

Für die Menschen in meinem Leben,

die mir Freude, Frieden und Glück bringen.

Inhalt

1

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Epilog

Dankeschön

Über die Autorin

Until Us: Delilah

Before this Ends

UNTIL US: Mike

Hanna

»London Air heißt Sie herzlich willkommen in Paris. Es ist vierzehn Uhr Ortszeit. Wir hoffen, Sie haben Ihren Flug mit uns genossen«, sage ich über die Sprechanlage, sobald das Flugzeug aufgesetzt hat. »Bitte bleiben Sie auf ihren Plätzen, bis die Anzeige für den Sicherheitsgurt erlöscht. Wir werden pünktlich an Terminal zwei landen. Ihr Gepäck wartet an Gepäckband fünf auf Sie. Falls Sie mit uns nach Ibiza weiterfliegen, bleiben Sie bitte an Bord. Wir danken Ihnen, dass Sie mit London Air geflogen sind, insbesondere unseren Deluxe-Karten-Inhabern. Wir wissen Ihre Loyalität sehr zu schätzen.« Ich schalte das Mikrofon aus und werfe einen Blick in den Passagierraum. Die Fluggäste sind schon dabei, ihre Gurte abzulegen, das Handgepäck aus den Fächern zu ziehen und zu telefonieren.

Sobald das Flugzeug zum Stehen kommt, nehme ich mit einem Lächeln meine Position an der Tür ein und betrachte fasziniert das Gebaren der Passagiere. Egal, wie groß das Flugzeug ist oder wie viele Reisende an Bord sind, die Rituale sind immer identisch. Ein verrückter Wettlauf um den besten Platz in der Reihe vor der noch geschlossenen Tür.

»Alles bereit?«, fragt Douglas und verlässt das Cockpit.

»Alles bereit«, erwidere ich und lächle zu ihm hoch. Ich mag Douglas, nicht nur, weil er mit seinem schottischen Akzent, seiner kräftigen Statur, seinem auffallend roten Haar und seinem hellen, sommersprossigen Teint so klingt und aussieht, als könnte er zur Besetzung einer meiner Lieblingsserien, Game of Thrones, gehören. Sondern weil er, seine Frau und seine Kinder für mich wie eine Familie geworden sind.

Ich höre, wie die Rampe vor der Tür einrastet, und lege den schweren Hebel um. Matty, einer der Männer vom Bodenpersonal, schiebt sie zur Seite und grinst mich fröhlich an.

»Hi Matty.«

»Ähm ... hey Hanna.« Er wirkt so, als wolle er noch etwas sagen, schaut dann aber zu Douglas und schließt den Mund.

»Kann ich die Passagiere jetzt gehen lassen?«, fragt ihn der Pilot.

»Ja.« Matty räuspert sich. »Alles bereit.«

»Großartig.« Ich schenke ihm ein beruhigendes Lächeln, denn er sieht etwas nervös aus. Kein Wunder, denn Douglas kann einschüchternd wirken, wenn man ihn nicht kennt.

»Ja, super«, stimmt Matty zu und geht.

»Falls der Kerl irgendwann den Mut aufbringen sollte, dich um ein Date zu bitten, gebe ich ihm ein Bier aus.«

»Er will sich doch gar nicht mit mir verabreden, er hat nur Angst vor dir«, entgegne ich ihm grinsend.

»Was immer du denkst, Kleine«, murmelt Douglas. Ich rolle mit den Augen und setze dann eine professionelle Miene auf, bevor ich mich den wartenden Fluggästen zuwende.

»London Air und die gesamte Crew wünscht Ihnen einen schönen Aufenthalt.« Ich habe noch nicht einmal den Satz beendet, als die Passagiere an mir vorbei zum Ausgang drängen. Douglas stellt sich neben mich, um sich von den Gästen zu verabschieden. Das ist so seine Art, und damit unterscheidet er sich von allen anderen Piloten, mit denen ich je zusammengearbeitet habe.

Hinter dem letzten Fluggast, der die Maschine verlässt, sehe ich Joslyn auf mich zu kommen. Sie sieht erschöpft aus.

»Geht es dir gut?«, frage ich sie.

»Ich bin nur etwas müde, weil ich vergangene Nacht kaum geschlafen habe, um noch zu lernen. Ein starker Kaffee wird mir helfen. Möchte noch jemand etwas?« Sie schaut zwischen Douglas und mir hin und her.

»Ich komme mit«, antwortet Douglas, bevor er sich dem Cockpit zuwendet, um seinen Co-Piloten George zu fragen, ob er etwas braucht.

»Wie lange dauert es noch, bis du deinen Pilotenschein in der Tasche hast?«, will ich von Joslyn wissen, während ich in meiner Handtasche nach etwas Kleingeld krame.

»Wenn alles gut geht, fünf Monate.« Sie fährt sich mit den Fingern durch ihr langes, dunkles Haar.

»Das ist so aufregend.«

»Es ist beängstigend«, korrigiert sie mich und schenkt mir ein müdes Lächeln. »Am Freitag ist mein letzter Arbeitstag.«

»Wirklich? Es ist so schade, dass wir nicht länger zusammenarbeiten«, schmolle ich.

»Ich weiß, aber ich brauche so viel Flugzeit wie möglich und muss mich auch noch auf die Theorieprüfung vorbereiten. Das funktioniert nicht, wenn ich weiterhin als Stewardess arbeite.«

»Verstehe«, sage ich.

»Bereit?«, fragt Douglas, der aus dem Cockpit kommt.

»Ja.« Ich gebe ihr etwas Geld und muss nicht einmal erklären, was ich möchte, denn ich bestelle immer das Gleiche: einen großen Kaffee mit Hafermilch und Vanillesirup.

Ich schaue Joslyn und Douglas hinterher, bevor ich einen Blick zu George ins Cockpit werfe und mich dann um den zurückgelassenen Müll kümmere. Die wenigen Passagiere sind in Plauderlaune, sodass die nächsten Minuten wie im Flug vergehen. Nachdem ich mich um die Frachtpapiere gekümmert habe, tauchen schon die ersten Gäste für den nächsten Flug auf.

London Air fliegt viele Kurzstrecken in ganz Europa, und ab und zu bin ich auch internationalen Flügen an Bord. Ich liebe meinen Job, vor allem, weil ich an einige der schönsten Orte der Welt reisen kann und dafür noch Geld bekomme.

Ein paar Minuten später sind Douglas und Joslyn zurück. Auch Matty ist wieder da und teilt mir die Anzahl der Fluggäste mit. Ich stelle mich direkt an den Eingang und begrüße jeden, der einsteigt. Anders als bei der Landung lassen sich die Leute viel mehr Zeit mit ihrem Gepäck und verärgern damit die Leute, die hinter ihnen warten. Ich muss innerlich grinsen, weil sich diese Szenen immer wiederholen, egal, wo die Reise hingeht.

Ich helfe einem älteren Herrn, sein Handgepäck in dem Fach über den Sitzen zu verstauen, als sich plötzlich das Licht im Innenraum verdunkelt. Instinktiv drehe ich mich um und sehe eine Gruppe von drei Männern, die so groß und kräftig sind, dass sie die Innenbeleuchtung verdecken. Fasziniert beobachte ich die Männer, bis der vordere den Kopf hebt und sich unsere Blicke treffen.

Ich habe das Gefühl, mein Herz würde für einen Moment aussetzen, als ich in seine blauen Augen schaue. Er lenkt mich dermaßen ab, dass mir beinahe die Tasche des älteren Mannes aus den Händen gleitet. Bevor ich sie ins Gepäckfach schieben kann, bin ich von einer herrlich duftenden Wolke aus Sonne, Minze und Moschus umgeben. Gleichzeitig scheint die Tasche wie schwerelos ins Fach zu gleiten.

»Tut mir leid«, flüstere ich zu dem älteren Mann, der inzwischen seinen Platz eingenommen hat.

»Alles in Ordnung«, erwidert er lächelnd.

Der überaus männliche Duft umgibt mich noch immer, und ich spüre die Wärme des Mannes, als stünde ich vor einem Heizkörper. Ich reibe meine plötzlich feuchten Handflächen an der Vorderseite meines engen schwarzen Rocks und zwinge mich, ihn anzusehen.

Ich schlucke mehrmals, während ich zu ihm aufschaue. Höher und höher und ... »Ach, du meine Güte.«

»Sie wollten wohl eher Danke sagen«, bemerkt er mit amerikanischem Akzent und grinst mich an. Dadurch wird eine kleine Narbe auf seiner Oberlippe sichtbar, die ihn noch attraktiver aussehen lässt. Wie alles an diesem Kerl mit seinen strahlend weißen Zähnen, dem sonnengebräunten Teint und dem kräftigen Bart, der sein kantiges Kinn bedeckt.

»Hm«, hauche ich, und sein Grinsen wird breiter.

»Hanna, geht es dir gut?«, fragt Joslyn und reißt mich aus meiner Benommenheit. Ich blinzle den Mann an und schüttle den Kopf.

Was zum Teufel ist los mit mir?

»Alles gut.« Ich schenke ihr ein beruhigendes Lächeln, bevor ich mich wieder dem Fremden zuwende. »Ähm, danke für die Hilfe.«

»Jederzeit«, erwidert er, und es hört sich an, als würde er lachen. Ich vermeide es, ihn direkt anzusehen, und versuche, etwas Abstand zu ihm zu gewinnen. Doch es ist zu eng.

»Ich muss mich ...«, beginne ich und halte inne. Solange er so vor mir steht, gibt es keine Möglichkeit, mich an ihm vorbeizuschieben. Zu viele Passagiere stehen um uns herum, die alle ihre Plätze einnehmen wollen und den Gang versperren.

Meine Wangen werden heiß, wenn ich nur daran denke, dass ich entweder meinen Hintern an seine Oberschenkel oder meine Brüste an seinen Bauch pressen werde.

»Tut mir leid«, flüstere ich mit zusammengekniffenen Augen, drehe ihm den Rücken zu und versuche, mich an ihm vorbeizudrängen. Im nächsten Moment spüre ich seine Hände an meinen Hüften. Meine Haut kribbelt unter seiner Berührung, aber er schafft es, mich an sich selbst und seinen beiden Begleitern hindurch zu manövrieren. Ich murmle diverse Entschuldigungen zu den wartenden Fluggästen und atme tief durch, als ich den vorderen Teil des Passagierraumes erreicht habe. Mein Gesicht scheint zu glühen, und ich bin mir sicher, dass es rot ist wie eine Tomate.

»Sag nichts«, zische ich Douglas zu, der sich mühsam ein Lachen verkneift.

»Das hatte ich gar nicht vor.« Ein Glucksen entweicht seinen Lippen, und er hüstelt, um es zu überspielen. »Ihr Mädels scheint alles im Griff zu haben. Dann kann ich jetzt getrost ins Cockpit verschwinden.«

Ich atme auf und wünschte mir, mit ihm gehen zu können. Leider ist das keine Option für mich, denn ich habe meinen Job zu erledigen.

Nur wenige Minuten später haben alle Passagiere ihre Plätze eingenommen. Joslyn erledigt routiniert die letzten Handgriffe, während ich mich in die kleine Küchenkabine zurückziehe und einen langen Zug aus meiner Wasserflasche nehme. Würde es sich um Tequila handeln, gäbe es zumindest eine Chance, meine angespannten Nerven zu beruhigen.

Diese Art von Reaktion auf einen Mann habe ich noch nie erlebt. Natürlich gab es ein paar Typen in meinem Leben, die meinen Puls in die Höhe getrieben haben. Aber nicht so sehr. Und keiner von denen hat so intensive körperliche Reaktionen ausgelöst.

»Hast du den Kerl schon mal gesehen?«, fragt Joslyn leise, während sich das Flugzeug in Bewegung setzt. Ich schüttle den Kopf. »Er ist gut trainiert.« Sie späht um die Küchenwand herum in den Gang, und ich beiße mir auf die Unterlippe. »Seine Freunde auch. Zu schade, dass ich keine Zeit für einen Mann habe«, bemerkt sie seufzend und sieht wieder zu mir. »Bist du bereit?«

»Ja«, behaupte ich. Sie schenkt mir ein beruhigendes Lächeln und begibt sich auf ihre Position zwischen der ersten und der zweiten Klasse.

Ich atme tief durch, trete hinaus in den Gang und greife zum Mikrofon. Obwohl ich ihn nicht sehen kann, bin ich mir absolut sicher, von dem attraktiven Unbekannten beobachtet zu werden.

Routinemäßig erkläre ich den Fluggästen die Bestimmungen zur Sicherheit an Bord und gehe dann langsam den Gang entlang, um zu prüfen, ob auch alle den Gurt angelegt haben und niemand telefoniert. Bei einer jungen Mutter mit ihrem kleinen Sohn auf dem Schoß bleibe ich stehen und erinnere sie daran, dass sie im Notfall zuerst ihre eigene Maske aufsetzen soll und dann die ihres Babys.

Mein Puls beginnt zu flattern, denn direkt hinter ihr sitzt der Unbekannte und beobachtet mich. Absolut lächerlich, wie mein Körper auf ihn reagiert. Immerhin bin ich im Dienst und Profi genug, mich durch meine seltsamen Reaktionen auf einen Mann nicht von meiner Arbeit ablenken zu lassen.

Mit angehaltenem Atem prüfe ich auch den Sitz seines Gurtes, vermeide aber den Blickkontakt, obwohl er mich direkt ansieht. Es ist schon schwer genug, auf seinen Schoß schauen zu müssen. Auch bei seinen Begleitern, die neben ihm in der Reihe sitzen, ist alles ordnungsgemäß. Die Kontrolle der anderen Gäste, die hinter den dreien sitzen, erledige ich weitaus entspannter.

Joslyn gibt mir ein Zeichen, dass wir bereit zum Abflug sind, und ich gehe innerlich triumphierend nach vorn zum Cockpit. Dieses Gefühl hält keine fünf Sekunden an, denn ich bleibe mit dem Absatz irgendwo hängen und gerate ins Stolpern. Bevor ich mich an den Sitzen abstützen kann, spüre ich einen starken Arm um meine Taille, der mich auffängt.

»Ganz ruhig«, sagt eine wunderbar dunkle Stimme. Bevor ich mich aufrichten kann, weiß ich schon, wem sie gehört. Ich schaue auf und wieder direkt in seine strahlend blauen Augen, die mich fixieren. »Alles okay?«

Nein, offensichtlich nicht.

»Ja«, behaupte ich leise.

»Tut mir leid«, sagt ein junges Mädchen und hebt ihre Tasche vom Boden auf. Es war der lange Riemen, der mich beinahe zu Fall gebracht hatte.

»Es ist alles in Ordnung«, versichere ich ihr schnell und bemerke, dass mich sämtliche Passagiere anstarren. Meine Wangen erröten sich wieder. »Hoffentlich war das der aufregendste Teil unseres heutigen Fluges«, scherze ich.

Alle lachen, und ich gehe innerlich aufatmend nach vorn zu Douglas, um ihm mitzuteilen, dass wir startklar sind. Dann lasse ich mich erleichtert in meinen Jump Chair fallen. Solange die Maschine startet, kann ich verschnaufen und versuchen, meinen Puls wieder unter Kontrolle zu bringen. Zum Glück habe ich meinen Kindle dabei. Nachdem ich ein paar Seiten gelesen habe, bin ich innerlich ruhiger.

Als wir die Reiseflughöhe erreicht haben, öffne ich meinen Gurt und treffe mit Joslyn die Vorbereitungen für den Getränkeausschank. Bei Kurzstreckenflügen werden keine Mahlzeiten serviert, und unser Ziel liegt nur knapp zwei Flugstunden entfernt.

Douglas meldet sich über die Sprechanlage, begrüßt die Gäste und informiert alle, dass es wegen der aktuellen Wetterlage zu Turbulenzen kommen kann. Deshalb bittet er darum, die Gurte nicht abzulegen.

Während ich mit Joslyn die Getränke verteile, beginnt das Baby herzzerreißend zu weinen. Ich sehe der jungen Mutter an, wie gestresst sie ist, und weiß, dass das vor allem an den anderen Gästen liegt, die sie vorwurfsvoll anstarren. Als würde sie nicht schon alles versuchen, um ihren Sohn zu beruhigen.

»Kommst du einen Moment ohne mich klar?«, frage ich Joslyn. Als sie nickt, gehe ich zu der Mutter und ihrem Kind. Dem Mann hinter ihr werfe ich einen kurzen Blick zu, bevor ich mich auf die junge Mutter konzentriere.

»Wie alt ist der Kleine?«, frage ich sie. Ihr Sohn sieht mich an, während ihm die Tränen über die roten Pausbacken laufen.

»Er ist gerade zehn Monate alt geworden.«

»Und wie heißt er?«

»Rory.«

»Hi Rory.« Ich gehe in die Hocke, sodass ich auf Augenhöhe mit ihm bin, was in meinem engen Rock beinahe ein Kunststück ist. Er hört auf zu weinen und legt seinen Kopf an die Schulter seiner Mutter. Ich halte ihm meine Zeigefinger entgegen, und er umschließt ihn mit seiner kleinen Faust. »Tun dir die Ohren weh?«, frage ich, deute auf mein Ohr und mache ein trauriges Gesicht. Er nickt, und ich schaue seine Mutter an. »Haben Sie ein Fläschchen dabei? Manchmal hilft das gegen den Druck.«

»Ja, aber es ist oben in der Tasche.«

Ich richte mich auf und öffne das Gepäckfach. »Die blaue Ledertasche?«, frage ich und höre das verräterische Geräusch eines sich öffnenden Sicherheitsgurtes. Als sie nickt, stelle ich mich auf die Zehenspitzen. Bevor ich nach der Tasche greifen kann, fällt ein Schatten auf mich, und ich halte inne.

»Ich mach das schon, Babe«, sagt der attraktive Unbekannte, der seltsame Reaktionen in meinem Körper auslöst.

»Danke.« Ich nehme ihm die Tasche ab und versuche, meinen Magen und seine Anziehungskraft zu ignorieren.

»Kein Problem«, erwidert er und setzt sich. Wie eine Idiotin starre ich ihn an, während sich seine Lippen zu einem Grinsen verziehen. Erst Rorys Wimmern bringt mich dazu, meinen Blick von dem Unbekannten zu lösen und mich auf das Kind zu konzentrieren.

»Soll ich den Kleinen halten, während Sie nach der Flasche suchen?«, biete ich der Frau an, weil die Tasche unendlich viele Fächer zu haben scheint. Es wäre mir unangenehm, ihre Sachen zu durchwühlen.

»Danke, das wäre toll«, sagt sie lächelnd. Wieder erhebt sich der attraktive Unbekannte und nimmt mir die Tasche ab. Sobald ich das Kind im Arm habe, reicht er sie der jungen Mutter. Ich schaue ihn vorsichtshalber nicht an, um zu vermeiden, mich schon wieder lächerlich zu machen. Stattdessen konzentriere ich mich auf Rory.

»Do ba mama baba«, plappert er und tippt mit seiner kleinen Faust an mein Kinn.

»Ja, deine Mami gibt dir dein Fläschchen.« Ich lächle ihn an. Er lächelt zurück und zeigt mir vier kleine weiße Zähne.

»Ha dada mama«, antwortet er, und ich lache.

»Wirklich?«

»Mama lo la baba dada.«

»Bist du sicher?«, frage ich ihn. Er kichert und lässt seinen Kopf an meine Schulter sinken. Mir wird warm ums Herz, und ich blicke versehentlich zu dem Mann auf, der mich noch immer beobachtet. Der sanfte Ausdruck in seinem Gesicht verursacht einen Aufruhr von Schmetterlingen in meinem Magen. Sobald sich unsere Blicke treffen, versinke ich beinahe im Blau seiner Augen.

»Da ist sie ja«, ruft Rorys Mutter, und ich zucke leicht zusammen.

»Baba!« Rory quietscht vor lauter Babyglück und streckt seine Hände nach seiner Mutter aus. Sobald sie ihm die Flasche gegeben hat, steckt er sich den Sauger in den Mund und lehnt sich zufrieden nuckelnd an meine Schulter.

»Er hat mich eingetauscht«, sagt sie erleichtert und lächelt mich an. Ich lache und betrachte Rorys süßes kleines Gesicht, während seine Mutter Mr Blue Eyes die Tasche reicht.

»Er ist wirklich süß.« Ich kämpfe gegen den Drang an, seinen Kopf zu küssen, und gebe ihn an seine Mutter zurück.

»Danke«, sagt sie leise.

»Gern geschehen.«

Als sich der Kleine auf ihrem Schoß niedergelassen hat, zwinge ich mich, den Mann in der Sitzreihe hinter ihr anzusehen. »Danke für Ihre Hilfe.«

»Kein Problem.« Er zwinkert mir zu, und meine Wangen erröten sich erneut.

Der Mann neben ihm lacht leise. Vermutlich ist er daran gewöhnt, dass sein Freund eine gewisse Wirkung auf Frauen hat. Es kann auch gut sein, dass er die gleichen Erfahrungen gemacht hat, denn er sieht ebenfalls sehr gut aus. Allerdings hat er gewelltes Haar und grüne Augen, die sich von seinem dunklen Teint abheben.

Ich räuspere mich, weil mir nichts Geistreiches einfällt, drehe mich um und gehe zurück in die Sicherheit der Küche, wo Joslyn den Getränkewagen nachfüllt. Wie durch ein Wunder gelingt es mir, mich nicht wieder zum Narren zu machen, während wir Limonaden und Brezeln verteilen. Unser Timing ist mal wieder perfekt, denn als alle Gäste bedient sind, kündigt Douglas über den Lautsprecher an, dass wir in den nächsten Minuten mit dem Landeanflug auf den Flughafen von Ibiza beginnen. Während er noch ein paar Worte über das Wetter verliert, sammle ich mit Joslyn den Müll ein und prüfe, ob auch alle Passagiere ihren Gurt angelegt haben. Dann setze ich mich auf meinen Platz, plaudere mit Joslyn und gönne mir etwas Ruhe.

Sobald das Flugzeug an der richtigen Position steht, kommt Douglas aus dem Cockpit. Ich bin beinahe erleichtert, dass er nicht gesehen hat, wie wenig souverän ich heute meinen Job erledigt habe. Er ist ein wahnsinnig netter Kerl, liebt es aber, spöttische Bemerkungen zu machen. Doch damit nicht genug. Er würde seine Freude über mein peinliches Verhalten auch mit seiner Frau Blair und ihren beiden Töchtern Elsie und Vi teilen. Dann gäbe es schon vier Personen, die mich unerbittlich mit meinen Reaktionen auf einen Mann necken würden, den ich nicht einmal kenne. Und das alles, nachdem ich mir geschworen habe, ein ganzes Jahr lang niemanden zu daten.

Fast alle Passagiere, die das Flugzeug verlassen, schenken mir ein wissendes Lächeln. Ehrlich gesagt, ist das ein bisschen nervig, zumal Mr Blue Eyes, der Mann, der mich den ganzen Flug über nervös gemacht hat, auch an mir vorbeimuss. Er überragt alle anderen Leute und verlangsamt seine Schritte, als er mich erreicht. Ich halte den Atem an, denn etwas an ihm bringt mich schon wieder aus dem Gleichgewicht. Er streckt seinen Arm aus und drückt mir einen Zettel in die Hand, den ich reflexartig entgegennehme.

»Man sieht sich«, sagt er zum Abschied. Ich versuche mein Bestes, gleichgültig zu wirken, aber als er aus meinem Blickfeld verschwindet, kann ich gerade noch verhindern, meine Hand an meine Brust und mein heftig pochendes Herz zu drücken.

Ich stecke den Zettel ein, der seltsamerweise recht schwer zu sein scheint, und konzentriere mich auf all die Dinge, die ich noch erledigen muss, bevor meine Schicht vorbei ist und mein Urlaub beginnt.

Hanna

Es ist wunderbar warm, und durch die offene Balkontür weht eine leichte Brise vom Meer herein. Ich liege auf dem Bauch auf meinem Bett und beobachte meine Cousinen auf meinem Handybildschirm. Soeben habe ich ihnen von Walker berichtet, dem Mann, der gestern mein Herz höherschlagen ließ und auch heute beinahe all meine Gedanken beeinflusst.

»Ich denke, du solltest ihn anrufen«, bemerkt May und gähnt. Kein Wunder, denn zu Hause in Tennessee ist es fast Mitternacht.

»Du solltest es auf jeden Fall machen«, bekräftigt Harmony.

»Und was ist mit meinem Schwur, ein Jahr lang single zu bleiben?« Ich beiße mir auf die Unterlippe und werfe einen Blick auf den Zettel. Dort steht der Name Walker in sauberer Handschrift zusammen mit einer Telefonnummer.

»Hast du dir auch geschworen, deine Vagina zu ignorieren?«, fragt April, und ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen.

»Nein, aber ich hatte noch nie einen One-Night-Stand, und ich weiß nicht, ob ich das Zeug dazu habe.«

»Dann betrachte es nicht als einen One-Night-Stand. Betrachte es als einen kleinen Urlaubsflirt«, erwidert sie schulterzuckend und neigt den Kopf zur Seite. »Du solltest dir tollen Sex mit einem heißen Typen im Urlaub nicht entgehen lassen, weil dein Ex ein Vollidiot war.«

»Dem stimme ich voll und ganz zu«, sagt May und gähnt schon wieder.

»Falls ich ihn anrufe, was soll ich dann sagen?« Ich setze mich auf und greife nach meinem Telefon.

»So was wie: Ich bin für zwei Nächte in der Stadt und will mir das Hirn rausvögeln lassen. Hast du Lust auf den Job?«, schlägt April grinsend vor und bringt uns alle zum Lachen.

»Du könntest ihm auch einfach eine Nachricht schicken«, sagt Harmony. »Obwohl ich April zustimme, dass du ein Date mit so einem heißen Kerl genießen solltest, musst du nicht gleich davon ausgehen, dass ihr im Bett landen werdet.«

»Das ist wahr«, entgegne ich ihr und schaue zur Tür, als es klopft. »Da kommt mein Frühstück. Ich halte euch auf dem Laufenden.«

»Ich hab dich lieb«, rufen meine drei Cousinen beinahe im Chor. »Lass dir seinen Schwanz nicht entgehen«, fügt April noch hinzu.

»Ich hab euch auch lieb«, antworte ich lachend, schließe die FaceTime-App und erhebe mich vom Bett. Nach einem Blick durch den Spion öffne ich die Tür und nehme mein verspätetes Frühstück entgegen. Mit gekreuzten Beinen setze ich mich wieder aufs Bett und denke beim Essen darüber nach, was ich tun soll.

Vor sechs Monaten war ich mit einem Piloten einer anderen Fluggesellschaft zusammen. Wir trafen uns in einem Restaurant, als seine Frau auftauchte und eine Szene machte. Es stellte sich heraus, dass er sie nicht nur mit mir betrogen hatte, sondern auch mit drei anderen Frauen zusammen war. Eine von ihnen hatte er sogar geschwängert.

Wir waren noch nicht lange zusammen, aber ich hatte bei ihm das Gefühl, dass wir mehr als eine Affäre haben könnten. Nur deshalb habe ich mich immer wieder mit ihm getroffen, bis ich eines Besseren belehrt wurde. Im Nachhinein war mir klar geworden, wie sehr ich mir eine Beziehung und eine eigene Familie wünschte. Nur deshalb hatte ich alle Alarmglocken überhört.

Nach dieser Erfahrung habe ich mir geschworen, mich ein Jahr lang auf keinen Mann einzulassen, ja nicht einmal jemanden zu daten. Ich musste erst über den Schock hinwegkommen und mir vor allem überlegen, was mir in einer Beziehung wichtig war.

Zwei Stunden später, nach dem Frühstück und einer langen Dusche, starre ich gedankenverloren auf den Zettel, den mir Walker zugesteckt hatte. Vielleicht hat April recht, und ein Urlaubsflirt ist genau das Richtige für mich. Eine unverbindliche Geschichte, die nicht in einer Beziehung enden kann, die vermutlich wieder in einem Drama endet.

Ich setze mich mit meinem Telefon auf die Bettkante, gebe seine Nummer ein und tippe mit leicht zittrigen Fingern eine Nachricht.

Ich:

Hey, ich bin’s, Hanna. Du hast mir deine Nummer gegeben.

Bevor ich es mir anders überlegen kann, drücke ich auf Senden und frage mich dann, ob ich mich genau genug ausgedrückt hatte. Vielleicht passierte es häufiger, dass er irgendwelchen Frauen seine Nummer zusteckte.

Ich:

Ich bin die Stewardess.

Nachdem ich erneut auf Senden gedrückt habe, stöhne ich auf.

Ich:

Also, um das klarzustellen: Du hast mir deine Nummer gegeben, als wir auf Ibiza gelandet sind.

Um nicht in Versuchung zu kommen, ihm noch etwas zu schreiben, werfe ich mein Handy in meine Strandtasche. Vermutlich wird er mich für eine verrückte, verzweifelte Frau halten, nachdem ich ihm drei Nachrichten innerhalb von sechzig Sekunden geschickt habe. Seufzend ziehe ich meinen Bademantel an, greife nach meiner Tasche und verlasse das Zimmer.

Zehn Minuten später erreiche ich den Strand und muss feststellen, dass der wunderbare Platz, den ich gestern gefunden hatte, belegt ist. Nach weiteren fünf Minuten finde ich eine freie Liege an einer ruhigen Stelle am Wasser, breite mein Handtuch darauf aus und setze mich.

Neugierig, wie ich bin, hole ich mein Handy heraus. Mein Magen fühlt sich seltsam an, als ich das Gerät entsperre. Doch dann muss ich mir ein Grinsen verkneifen, weil ich in den wenigen Minuten, die vergangen sind, seit ich das Hotelzimmer verlassen habe, schon vier Nachrichten von Walker bekommen habe.

Walker:

Hanna, schöner Name.

Walker:

Dann bist du also nicht der Co-Pilot?

Walker:

Ich gebe meine Handynummer nicht einfach so weiter.

Walker:

Wo bist du?

Ohne zu überlegen, tippe ich eine Antwort.

Ich:

Ich bin noch zwei Nächte auf Ibiza, bevor ich zurück nach London fliege.

Ich drücke auf Senden und erschrecke, als mein Telefon einen Moment später zu klingeln beginnt. Leicht panisch überlege ich, was ich tun soll. Eine Nachricht zu schreiben, ist eine Sache, miteinander zu telefonieren, eine echte Herausforderung. Zumindest aktuell für mich.

Das Klingeln hört auf, und meine Muskeln entspannen sich, zumindest bis sich mein Telefon wieder meldet.

Walker:

Geh ran. LOL

Mit heftig klopfendem Herzen starre ich auf das Display, bis das Handy wieder zu klingeln beginnt. Ich nehme das Gespräch entgegen und kneife meine Augen zu. »Ähm ... hallo.«

Gott, bin ich eine Idiotin.

»Hey.« Seine Stimme ist tief und warm, so wie ich sie in Erinnerung hatte.

»Hey.«

»Du bist auf Ibiza?«

»Ja.«

»Wo wohnst du?«

»Im Torre Del Mar«, antworte ich und schaue in die entsprechende Richtung.

»Die Welt ist klein.«

»Bist du auch auf der Insel?«

»Ja, nicht weit von dir entfernt. Wir wohnen im Ushuaia.«

»Oh«, flüstere ich überrascht. Auf der Suche nach einer Unterkunft habe ich mich für ein Zimmer entscheiden müssen, das mein Budget beinahe gesprengt hat. Aber eine Übernachtung in dieser Kategorie konnte ich mir beim besten Willen nicht leisten.

»Was machst du gerade?«

»Hm ...« Ich schaue mich um, als hätte ich vergessen, wo ich mich im Moment befinde. »Ich bin am Strand und wollte vielleicht später noch schwimmen gehen.«

»Warum kommst du nicht hierher?«

»Ähm ...« Mein Herz beginnt zu rasen.

»Oder ich komme zu dir.«

Ich kann nicht anders, als zu lachen.

»Ist das ein Ja? Dann komme ich zu dir«, erwidert er.

Wie sagte April vorhin? Ein kleiner Urlaubsflirt? Den sollte ich mir nicht entgehen lassen.

»Okay, ja. Wir können uns in der Lobby treffen«, willige ich ein.

»Gib mir dreißig Minuten, dann bin ich bei dir.«

»Okay.«

»Und schalte dein Handy nicht aus. Ich schicke dir eine Nachricht, sobald ich im Taxi sitze. Bis gleich.«

Nachdem er das Gespräch beendet hat, starre ich auf mein Telefon und frage mich, worauf ich mich da eingelassen habe. Schon im Flugzeug fiel es mir nicht leicht, mich nicht wie eine Idiotin zu benehmen. Wie soll das erst werden, wenn ich mich nicht mit der Arbeit rausreden kann, um seiner magischen Anziehung zu entkommen?

Innerlich seufzend packe ich meine Sachen zusammen und mache mich auf den Weg zurück zum Hotel. Es ist ein weiter Weg, und als ich drinnen ankomme, bin ich ein echtes Nervenbündel. Mein Magen flattert, durch meinen Kopf geistern die seltsamsten Gedanken, und meine Knie sind schwach. Wenn ich Glück habe, werde ich ohnmächtig, sobald er mir gegenübersteht. Ich bin sicher, das würde ihm gefallen. Dann könnte er mich wieder auffangen.

Ich beschließe, dass mir ein Schluck Wasser guttun würde, und gehe hinüber in den kleinen Shop in der Lobby. Während ich bezahle, meldet sich mein Handy mit einer Nachricht.

Walker:

Bin schon unterwegs.

Ja, ich werde definitiv in Ohnmacht fallen, wenn ich meine körperliche Reaktion auf diese drei Wort richtig deute.

Ich schicke ihm ein knappes Okay, damit er mich nicht noch einmal anruft, und setze mich auf eines der bequemen Sofas in der Lobby. Die Zeit scheint sich zu verlangsamen. Wie sagte meine Mutter immer? Das Wasser kocht nicht, wenn man in den Topf starrt. Trotzdem kann ich nicht anders, als dauernd auf die Uhr zu schauen.

»Hey.« Beim Klang seiner tiefen Stimme schaue ich auf, und mein Mund wird augenblicklich trocken. Ich dachte, ich könnte mich an sein Aussehen noch gut erinnern, doch in der Realität ist er noch attraktiver. In schwarzen Shorts, einem weißen T-Shirt, einer umgedrehten Baseballkappe und mit einer Tasche über der Schulter sieht er einfach umwerfend aus.

»Hey«, erwidere ich seinen Gruß, erhebe mich und ernte ein sexy Grinsen. »Ich bin Hanna.« Wie eine Idiotin, zu der er mich gemacht hat, strecke ich meine Hand aus. Walker schüttelt nur den Kopf und schließt mich in seine Arme. Als er meinen Körper an seine harten Muskeln drückt, flehe ich, ohnmächtig zu werden, um mich von meinem peinlichen Elend zu befreien.

»Ich hätte nicht gedacht, dass du anrufst«, bemerkt er, sobald er mich losgelassen hat, und betrachtet prüfend mein Gesicht.

»Ja, ich war mir auch nicht sicher.« Wie durch ein Wunder kann ich noch aufrecht stehen, greife nach meiner Strandtasche und klammere mich daran wie eine Ertrinkende. Bevor ich reagieren kann, nimmt er sie mir ab und schaut mich nur an. »Also ...«, beginne ich, etwas unschlüssig, was ich sagen könnte. »Willst du am Pool abhängen oder lieber zum Strand gehen?«, frage ich.

»Ich bin mit allem einverstanden, was du willst.«

»Dann lieber an den Strand«, murmle ich und spüre im nächsten Augenblick eine Berührung an meinem unteren Rücken. Walker geleitet mich durch das Hotel hinunter zu den Liegen. Es fühlt sich an, als würde sich der Abdruck seiner Handfläche in meine Haut einbrennen.

Es dauert eine Weile, bis wir eine freie Liege finden und eine weitere, die er einfach daneben stellt. Mein Angebot, seine und meine Tasche zu tragen, lehnt er rigoros ab. So ein Verhalten bin ich nicht gewohnt und finde es einfach nur süß.

»Willst du ins Wasser gehen?«, fragt mich Walker, nachdem wir uns eingerichtet haben.

»Unbedingt, aber vorher muss ich mich noch eincremen.« Ich ziehe meinen Bademantel aus und werfe ihn auf den Liegestuhl, bevor ich damit beginne, Sonnencreme auf alle unbedeckten Stellen aufzutragen. Wortlos halte ich ihm die Tube hin und schaue ihn fragend an, bis ich bemerke, wie er meinen Hintern anstarrt. Sofort erröte ich, denn mir wird bewusst, wie aufreizend mein Badeanzug auf ihn wirken muss. Von vorn ist er nicht sehr besonders geschnitten. Allerdings hat er einen tief ausgeschnittenen Rücken, der meine gesamte Wirbelsäule ausspart. Und mein Hintern ist nur notdürftig von dem Tanga bedeckt.

Er räuspert sich, und sein heißer Blick trifft meinen. »Im Moment brauche ich keine Sonnencreme«, erwidert er mit seltsam rauer Stimme.

»Hast du dich schon eingerieben? Mit Hautkrebs ist nicht zu spaßen«, bemerke ich und habe das Gefühl, vor Nervosität wie eine alte, weise Frau zu klingen. Lächelnd streift er sein Shirt ab und legt es über die Lehne der Liege.

»Ich bin ein eher dunkler Hauttyp«, sagt er, während ich versuche – wirklichversuche –, meine Augen von seinem Oberkörper abzuwenden. Unmöglich, denn seine Haut ist glatt und wunderbar gebräunt. Jedes einzelne seiner vielen Tattoos sieht wie ein Kunstwerk aus, die perfekt miteinander verschmelzen. »Bereit?«

»Ja«, behaupte ich und lasse meine Wasserflasche in die Strandtasche fallen.

Anders als auf dem Weg von der Lobby an den Strand läuft er nicht an meiner Seite, sondern geht einen Schritt hinter mir, was mich noch nervöser macht. Ich hätte daran denken sollen, den Badeanzug gegen einen Bikini zu tauschen. Aber selbst wenn ich das getan hätte, würde kaum ein Unterschied bestehen. Vermutlich würde ich nur noch mehr Haut zeigen.

Wir waten ins Wasser, bis es mir bis zur Taille reicht. Dann bleibe ich stehen, genieße die Aussicht und atme tief ein. Ich versuche, möglichst alle Eindrücke in mich aufzunehmen, den Sand zwischen meinen Zehen, die warme Sonne auf meiner Haut und das kühle Wasser, das mich wie eine sanfte Liebkosung umspült.

»Es ist so schön hier«, bemerke ich, nun deutlich entspannter als noch vor ein paar Minuten.

»Das ist es«, stimmt er mir zu, und ich sehe zu ihm auf. Wie in all den kitschigen Liebesfilmen, die meine Mutter so liebt, schaut er nicht zum Horizont, sondern betrachtet mich. Mein Gesicht errötet unter seinen Blicken, wie sich auch der Rest meines Körpers aufzuheizen scheint. Deshalb gehe ich noch ein paar Schritte, bis ich tieferes Wasser erreiche, um mich abzukühlen.

Walker weicht mir nicht von der Seite.

»Dein Akzent verrät mir, dass du aus den Staaten kommst. Bist du hier, weil du Urlaub hast?«, will ich wissen und unterbreche die eigentlich sehr angenehme Stille.

»Ja, nur ein paar Tage. Aber beruflich bin ich oft in ganz Europa unterwegs.«

»Wirklich?«

»Wirklich.« Als eine größere Welle heranrollt und mich beinahe umwirft, legt er seine Hände an meine Taille und hält mich fest.

»Danke«, flüstere ich und sehe zu ihm auf. Mein Gott, ist dieser Mann groß. Das wusste ich schon, als ich ihm auf hohen Absätzen im Flugzeug gegenüberstand. Weil er so dicht vor mir steht, muss ich meinen Kopf sehr weit in den Nacken legen, um sein Gesicht betrachten zu können.

Seine Fingerspitzen graben sich ganz leicht in meine Hüften, und mir wird bewusst, dass ich wieder einmal in seinem Blick gefangen bin. Mit viel gutem Willen schaffe ich es, mich von ihm abzuwenden. Sobald ich einen Schritt zurücktrete, verliere ich den Kontakt zu seinen Händen. »Und was machst du beruflich?«

»Ich bin Taucher.«

»Das ist ein Job?«, frage ich überrascht und sehe ihn wieder an.

»Ja«, entgegnet er mir lachend. »Zusammen mit meiner Crew berge ich Wrackteile. Gelegentlich reparieren wir auch Pipelines oder Schiffe.«

»Mir ist bisher nie klar geworden, dass es Menschen gibt, die nicht nur zum Vergnügen tauchen.« Ich neige meinen Kopf zur Seite. »Das muss ziemlich gefährlich sein.«

»Nicht mehr, als jeden Tag in einem Flugzeug zu reisen.«

»Fliegen ist eigentlich viel sicherer, als die Leute denken«, entgegne ich leise, nicht sicher, ob ich ihm zustimmen will.

»Du musst mich nicht überzeugen. Ich wäge alles in meinem Leben ab und bin mir des Risikos bewusst«, sagt er, während ich mein Haar, das sich aus meinem Dutt gelöst hat, wieder richte. Die Intensität, mit der er mich beobachtet, ist beunruhigend und trägt nicht dazu bei, meine Nerven zu beruhigen, die so angespannt sind, dass ich das Gefühl habe, aus der Haut zu fahren.

»Die beiden Kerle, die mit dir ...?«, beginne ich und lasse die Frage offen.

»Wir arbeiten zusammen. Der Blonde heißt Otto, und der Typ mit den dunklen Haaren ist Ham.«

»Ham?« Ich ziehe eine Augenbraue hoch.

»Sein richtiger Name ist Hamilton. Aber er mag ihn nicht besonders.«

»Ich sage es nur ungern, aber ich glaube nicht, dass Ham als Spitzname besser ist als Hamilton.« Walker lacht, und ich versuche, das warme Gefühl in meinem Inneren zu ignorieren.

»Ich werde ihn wissen lassen, wie du darüber denkst.«

»Bitte nicht«, flüstere ich, und er grinst.

»Du bist auch aus den Staaten. Lebst du in Europa, oder bist du nur beruflich hier?«, wiederholt er meine Frage von eben.

»Ich lebe in London. Vor etwas mehr als einem Jahr bin ich von Paris dorthin gezogen, nachdem ich mich verliebt hatte.«

»In jemandem oder in die Stadt?«

»Die Stadt«, antworte ich und werde von einer Welle getroffen, die mich in Walkers Arme wirft. Er hält mich fest und verhindert schon wieder, dass ich das Gleichgewicht verliere. Ich lehne meinen Kopf zurück, um mich zu bedanken. Doch als sich unsere Blicke treffen, spielt mein Herz verrückt, und die Worte bleiben mir im Hals stecken.

Ich spüre, wie er mit den Fingerspitzen über meine Wirbelsäule streicht. Unbewusst halte ich den Atem an und beobachte voller Erwartung, wie sich sein Gesicht meinem nähert. Ich bin mir beinahe sicher, dass er mich küssen wird. Und auch darüber, dass ich nichts dagegen hätte. Doch dann werden wir mit Wasser bespritzt, und ein fröhliches Lachen ist zu hören, das das Rauschen des Blutes in meinen Ohren übertönt.

Zwei Jungen, die vielleicht sieben oder acht Jahre alt sind, schwimmen davon und schauen sich immer wieder kichernd zu uns um.

Lachend befreie ich mich aus Walkers Griff.

»Möchtest du zurück an den Strand?«, möchte er wissen.

»Ja, mir ist etwas kalt«, gebe ich zu. Walker bleibt an meiner Seite, bis wir das Ufer erreichen. Erst dann lässt er sich einen Schritt zurückfallen und verfolgt mich bis zu unseren Liegen. Ich schaue flüchtig über meine Schulter, in der Erwartung, dass sein Blick auf meinen Hintern gerichtet ist. Aber das ist er nicht. Er schaut von einer Seite zur anderen, als würde er nach etwas suchen. Sobald wir unsere Liegen erreicht haben, richte ich mein Handtuch und strecke mich darauf aus. Walker zögert kurz und tut dasselbe.

Ich weiß nicht, wie lange wir so daliegen, Seite an Seite, von der Sonne beschienen, umgeben von Kindern, die im Sand spielen. Es ist seltsam entspannend, obwohl meinem Körper seine Anwesenheit sehr bewusst ist. Ich rolle mich auf den Bauch, schließe die Augen und spüre, wie mich der Schlaf überkommt.

»Machst du immer allein Urlaub?«, fragt er und durchbricht mit seiner Stimme den Nebel meines Unterbewusstseins.

Leicht benommen hebe ich den Kopf, stütze mein Kinn auf und sehe zu ihm hinüber. »Meistens. Meine Familie lebt in den USA. Und meine Freunde in Europa sind entweder verheiratet, haben Kinder oder sind zu beschäftigt, wenn ich ein paar Tage freihabe.«

Noch während ich antworte, wird er von etwas hinter mir abgelenkt und verengt seine Augen. Als ich mich umdrehe, um zu sehen, wohin er schaut, sehe ich einen Kerl, der ungefähr in meinem Alter ist. Er steht mit einem Drink in der Hand unter einem Baum und starrt direkt auf meinen Hintern.

»Mach doch ein Foto! Dann hast du mehr davon«, rufe ich. Das Gesicht des Typen wird knallrot, und er entfernt sich. »Idiot.«

»Babe, das ist schon mindestens der zehnte Typ, der deinen Körper bewundert. Wären hier nicht so viele Kinder, hätte ich ihnen allen klargemacht, dass du nicht allein in der Sonne liegst.«

»Na toll, du bist auch so einer«, murmele ich und verziehe spöttisch mein Gesicht.

»Was für einer?«, hakt Walker nach.

Ich hebe den Kopf und sehe ihn an. »Einer der Männer, der denkt, eine Frau sollte sich bedecken, damit andere Männer sie nicht anstarren. Als wäre es die Schuld der Frauen, dass Männer sich oft so eklig benehmen.«

»Nein, so einer bin ich nicht. Wenn du zu mir gehören würdest, hättest du meinen Bissabdruck auf deinem hübschen Hintern. Dann wüssten alle anderen, zu wem er gehört. Und wenn jemand daran zweifeln würde, erst dann hätten wir ein Problem.«

Mein Innerstes krampft sich zusammen. Er hält nicht nur meinen Blick gefangen, sondern sagt Dinge, die mein Blut in Wallung bringen. Insbesondere in einem bestimmten Bereich. Eigentlich sollte ich ihm sagen, dass es völlig unangebracht ist, so über meinen Hintern zu reden. Stattdessen starre ich ihn an und frage mich, wie genau – ganz praktisch gedacht – er seine Bissspuren auf mir hinterlassen will.

Was zum Teufel sagt das über mich aus? Ich rolle mich wortlos auf den Rücken, lege meinen Arm über meine Augen und ignoriere sein leises Lachen.

Nach weiteren dreißig Minuten in der Sonne genehmige ich mir einen Schluck Wasser. Walker sitzt neben mir, mit einem aufgeschlagenen Buch auf dem Bauch, und beobachtet mich. Schon wieder. Ich versuche mich daran zu erinnern, ob und wann ich jemals einen Mann gesehen habe, der zum Vergnügen liest. Doch mir fällt dazu nichts ein. Ich kenne offenbar nur Männer, die lesen, weil sie ein Dokument unterschreiben müssen oder ein Möbelstück zusammenbauen.

»Was liest du da?«, frage ich, und er hebt das Buch hoch, damit ich das Cover sehen kann. Es ist ein Krimi, den ich schon hundertmal in der Auslage der Buchhandlung am Flughafen gesehen habe. »Ist der gut?«

»Ganz okay.«

»Liest du viel?«

»Wir haben keinen Fernseher, wenn wir auf See sind. Also ja, beinahe jeden Tag.«

»Du solltest dir einen Kindle zulegen.«

»Was ist das?«

Ich krame in meiner Tasche, ziehe meinen heraus und reiche ihn an ihn weiter. Wie es aussieht, hat er so ein Gerät noch nie in der Hand gehabt, denn er drückt wahllos die Knöpfe an der Seite, bis er den Kindle zum Leben erweckt hat. Er liest ein paar Zeilen und schaut mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an.

»Die erste Regel zwischen uns Lesern besagt, dass wir uns nicht gegenseitig dafür verurteilen, was wir gerne lesen«, bemerke ich.

»Ich urteile nicht über dich. Das hier scheint nur viel interessanter zu sein als das, was ich bisher gelesen habe.« Sein Blick fällt auf den Bildschirm meines Kindles, und da ich weiß, wo ich gestern Abend aufgehört habe, werden meine Wangen warm. »Wie kommt man auf die nächste Seite?«, fragt er.

Ich deute auf die entsprechende Stelle. Er berührt den Button mit dem Finger, lehnt sich in seiner Liege zurück und macht es sich mit meiner Lektüre bequem.

»Wenn du weiterliest, weiß ich nicht mehr, wo ich aufgehört habe.«

»Kann man nicht rückwärts blättern?«

»Kann man«, entgegne ich ihm seufzend und strecke mich auf meiner Liege aus. Ab und zu schaue ich aus den Augenwinkeln zu ihm hinüber, um seinen Gesichtsausdruck zu sehen.

»Was hast du für das Abendessen geplant?«, fragt er ein paar Minuten später, und ich drehe meinen Kopf in seine Richtung.

»Ich hatte vor, mir etwas vom Zimmerservice bringen zu lassen.«

»Hast du Lust, mit mir und den Jungs zu Abend essen? Wir haben eine Reservierung für das Restaurant in unserem Hotel. Um Punkt sieben.«

Sollte man mit einem heißen Urlaubsflirt schon am ersten Abend essen gehen? In Begleitung seiner Freunde? Gott, ich hätte April nach den Regeln beim ersten Date ausfragen sollen, denn ich habe keine Ahnung, wie ich mich entscheiden soll.

»Ich ...«

»Oder du und ich. Nur wir beide«, kommt er mir zu Hilfe.

»Ein Abendessen mit dir und deinen Freunden klingt gut«, behaupte ich leise, denn ich weiß nicht, ob ich bereit bin, allein mit ihm auszugehen.

»Gut«, antwortet er ebenso leise, bevor er sich wieder meinem E-Book-Reader zuwendet.

Ich schaue auf den Ozean hinaus und frage mich, warum ich plötzlich so irrationale Entscheidungen treffe.

Hanna

Ich nehme mein Handy und schaue auf die Uhr. Eine Mischung aus Aufregung und Angst durchströmt mich, als ich sehe, dass ich weniger als zehn Minuten Zeit habe, bevor ich Walker unten in der Lobby treffe.

Vor zwei Stunden haben wir uns verabschiedet. Er bestand darauf, mich abzuholen. Obwohl ich versucht habe, ihm das auszureden, weil er so zweimal für ein Taxi bezahlen muss, ließ er sich nicht davon abbringen. Schließlich gab ich auf und überlegte, wie ich es in zwei Stunden schaffen sollte, ein passendes Outfit für den Abend in einer Boutique im Hotel zu finden und mich zurechtzumachen.

Doch ich hatte Glück, weil mir sofort eine hübsche langärmelige Seidenbluse und ein Rock mit einem Schlitz in demselben Salbeigrün ins Auge fiel, als ich den Laden betrat.

Ich betrachte mich im Spiegel und trage eine weitere Schicht Mascara auf, bevor ich einen Teil meiner Haare mit einer Spange fixiere, sodass die restlichen Locken sich über meinem Rücken verteilen. Nach einem Tag in der Sonne bin ich so gebräunt, dass ich nicht viel Make-up benötige. Außerdem will ich die vielen Sommersprossen nicht überdecken, die wie aus dem Nichts aufgetaucht sind.