Unvergesslich, diese Nächte! - Mary Anne Wilson - E-Book

Unvergesslich, diese Nächte! E-Book

Mary Anne Wilson

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Beschreibung

Keine Sorge - Candice kommt nicht! Doch als J.T. zur Hochzeit seines Freundes Jack erscheint, werden seine Befürchtungen doch wahr: Candice ist auch da. Er schaut sie nur an - schlank, blond, aufregend - und sofort fallen ihm all die heißen Nächte ein, die sie in ihrer kurzen Ehe so lustvoll miteinander verbracht haben …

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IMPRESSUM

Unvergesslich, diese Nächte! erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 1999 by Mary Anne Wilson Originaltitel: „Cowboy In A Tux“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe COLLECTION BACCARABand 163 - 2000 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Ingrid Bulka

Umschlagsmotive: GettyImages_Kladyk

Veröffentlicht im ePub Format in 04/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733756512

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

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PROLOG

London

„Ich glaube, die Schlagzeile lautete ‚Der Cowboy und sein neues Fohlen‘, aber ich weiß es nicht mehr ganz genau.“

J.T. Watson verließ den Konferenzsaal des ‚Hombley Towers‘ und drückte sein Handy ans Ohr. Zwölf Stunden gnadenloser Verhandlungen warfen selbst den stärksten Cowboy aus dem Sattel. Er war es so leid, sich von diesen sogenannten Geschäftsleuten belügen und manipulieren zu lassen, dass er froh war, als sein Handy klingelte. Er murmelte eine Entschuldigung, verabschiedete sich und ging zum Fahrstuhl.

Es war eine angenehme Überraschung, die Stimme seines alten Freundes Jack O’Connor am anderen Ende der Leitung zu hören. Allerdings trug die Neuigkeit mit der Schlagzeile nicht gerade dazu bei, J.T.s an sich schon etwas gereizte Stimmung zu verbessern.

„Du rufst mich doch wohl nicht in London an, um mir mitzuteilen, was irgendein Paparazzo über mich in die Zeitung gesetzt hat?“

„Na hör mal, das ist die Neuigkeit schlechthin! Sandi hat es mir eben gezeigt. Du und dieses Model … Wie heißt sie doch gleich, Vanny oder Vonny oder Veggie? Hat sie auch einen Familiennamen? Ihr seid im Großformat gleich auf der ersten Seite. Das ist ein gefundenes Fressen für die Tagespresse von San Francisco. Scheint diesmal ernster zu sein als die Sache mit der Eiskunstläuferin letztes Jahr, hm?“

„Diese Eiskunstläuferin habe ich nur einmal getroffen – leider stand rein zufällig ein Reporter neben mir, der die Sache dann ganz wunderbar ausgeschlachtet hat.“ J.T. betrat den Fahrstuhl. „Übrigens, die junge Dame heißt Vonya. Und ich könnte mir vorstellen, dass sie eine Nervenkrise bekommt, wenn sie erfährt, dass man sie mit einem Pferd vergleicht.“

Jack lachte. „Ich wette, sie ist auch mit einer Nervenkrise noch eine Wucht. Ich habe selten jemanden gesehen, der so herrliche schwarze Haare hat, und wie groß war sie noch – fast einen Meter und achtzig?“

„So ungefähr. Sie ist nur zehn Zentimeter kleiner als ich“, erwiderte J.T.

„Und diesmal ist es wohl nicht bei der einen Verabredung geblieben, oder?“

„Nein, wir treffen uns, so oft wir Zeit haben. Sie sagt, sie findet es super, mit einem Cowboy gesehen zu werden.“ Nachdenklich betrachtete J.T. sein Spiegelbild in der Fahrstuhltür, die sich hinter ihm geschlossen hatte.

Das weiße Hemd unter der zünftigen Wildlederjacke, die sowohl an den Ärmeln als auch unterhalb der Schultern mit Fransen besetzt war, Jeans und Lederstiefel – ja, er sah wirklich aus wie ein Cowboy. Den weißen Stetson hatte er so weit in die Stirn gezogen, dass die obere Hälfte des Gesichts im Schatten lag. Es war ein markantes Gesicht, das von der Arbeit im Freien auf der Ranch immer sonnengebräunt war.

„Sag mal, hast du mich angerufen, um mich über mein Liebesleben auszufragen? Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mich jemals nach deinen Freundinnen erkundigt habe.“

„Dazu wäre es jetzt sowieso zu spät. Ich heirate nämlich.“

J.T. drückte den Knopf mit der Aufschrift „Tiefgarage“, und der Fahrstuhl setzte sich lautlos in Bewegung. „Die Verbindung muss ziemlich schlecht sein. Ich habe gerade verstanden, dass du die Absicht hast, zu heiraten.“

„Du hast richtig gehört. Ich habe die Frau gefunden, mit der ich den Rest meines Lebens verbringen möchte. Ich habe mich Hals über Kopf verliebt. Erst hat es Dylan erwischt und jetzt mich. Vielleicht bist du ja der Nächste mit deinem Supermodel …“

Jack, Dylan und J.T. waren seit ihrer Zeit am College die dicksten Freunde. Sie waren wie Brüder, so verschieden sie auch sein mochten.

„Rede keinen Unsinn“, meinte J.T. belustigt. „Nach Heiraten hat mir nie der Sinn gestanden. Ich bin ganz anders als ihr.“

Ja, er war tatsächlich anders. Während Dylan Montgomery aus einer alten, angesehenen Familie stammte und Jack von den Montgomerys zumindest akzeptiert wurde – wenn auch mit leichtem Naserümpfen –, entsprach J.T. gesellschaftlich nicht im Entferntesten den Ansprüchen der vornehmen Familie.

Nun, er brauchte nur an sich hinunterzusehen … Die abgetragene Levis und die Lederstiefel ließen keinen Zweifel daran aufkommen, dass seine Vorfahren seit Generationen Rancher gewesen waren. Er stammte aus Texas, und sein Vater war nur deshalb zu Geld gekommen, weil er das Patent für eine neuartige Mausefalle angemeldet hatte. Das Prinzip war so genial, dass es zum Aufbau einer Elektronikfabrik geführt hatte, die Millionen abwarf.

Aus dem armen Cowboy war ein steinreicher Industrieller geworden, der es sich nicht hatte nehmen lassen, seinen Sohn aufs College zu schicken. Nein, J.T. gehörte nicht zum Geldadel. Er war und blieb der harte Cowboy, der allerdings im Sitzungssaal genauso zu Hause war wie auf dem Rücken eines Pferdes. Glücklicherweise lagen ihm beide Rollen.

„Man soll niemals nie sagen“, sagte Jack. „Mich hat’s schließlich auch erwischt. Und weißt du was? Patrick wusste es eher als ich.“

„Tja, er ist ja auch mein Patenkind“, erwiderte J.T. „Und wie heißt die Glückliche?“

„Sie heißt Sandi, aber der Glückliche bei der Sache bin ich. Ich habe übrigens ein Attentat auf dich vor: Ich möchte dich bitten, einer meiner Trauzeugen zu werden.“

„Dein Trauzeuge? Das ist doch nicht dein Ernst.“

„Natürlich ist es mein Ernst. Dylan und du werdet meine Trauzeugen. Sandi möchte es so. Whitney und Steffi möchte sie übrigens als Brautjungfern, und Patrick überreicht die Ringe. Die Hochzeit findet in zwei Wochen statt, hier in Montgomery Beach gleich neben dem alten ‚Plaza Hotel‘.“

J.T. verstand kein Wort. „Montgomery Beach? Wie kommst du denn darauf?“

„Ganz einfach. Ich habe Sandi hier zum ersten Mal getroffen, habe mich hier in sie verliebt, und nun werden wir hier heiraten und zunächst einmal wohnen bleiben.“

Der Gedanke, nach Montgomery Beach zurückzukehren, behagte J.T. nicht im Geringsten. Acht Jahre war es her, dass er zum letzten Mal dort gewesen war, und damals hatte er sich geschworen, dass es das letzte Mal war. „Tut mir leid, aber ich stecke im Augenblick bis über beide Ohren in der Arbeit. Ich kann mich unmöglich frei machen.“

„Dieselbe Ausrede hattest du auch bei Dylan.“

Die Fahrstuhltür öffnete sich, und J.T. betrat die Tiefgarage. „Hey, es hat mir ja auch sehr leidgetan, aber es ging nicht anders. Außerdem habe ich ihm versprochen, später vorbeizukommen. Du scheinst zu vergessen, dass ich momentan in London bin – sozusagen am anderen Ende der Welt.“

„Falls du es nicht wissen solltest: Es gibt da dankenswerterweise ein erstklassiges Flugunternehmen, welches dein Problem im Handumdrehen lösen könnte. Hast du schon einmal etwas von der Concorde gehört?“

J.T. steuerte auf den grünen Jaguar zu, den er für die Zeit seines Aufenthalts in London geliehen hatte. „Ach, Jack, hör doch auf …“

„Ich denke gar nicht daran. Ich weiß sehr gut, warum du dich drücken willst.“

„Okay, ich habe dir glaubhaft versichert, warum es mir unmöglich ist zu kommen. Wieso sollte ich mich deiner Meinung nach drücken?“ Die Absätze seiner Cowboystiefel hallten bei jedem Schritt auf dem Beton der Tiefgarage wider.

„Sagen wir es so: Dylan wird der einzige Montgomery sein, der zur Hochzeit kommt.“

„Was genau willst du damit sagen?“ Ein mulmiges Gefühl machte sich in J.T.s Magen breit.

„Ich will damit sagen, dass sie nicht zur Hochzeit kommen wird.“

J.T. legte die Hand auf den metallenen Griff des Jaguars, ohne die Fahrertür jedoch zu öffnen. „Wie bitte?“

„Candice befindet sich auf einer Kreuzfahrt irgendwo in der Karibik, und ihre Mutter wird keinerlei Festlichkeiten beiwohnen, solange das Trauerjahr noch nicht um ist. Du weißt, sie hat schon immer höchsten Wert auf die Etikette gelegt.“

„Danke für die Information“, meinte J.T. brummig, öffnete jetzt doch den Wagen und ließ sich auf den weich gepolsterten Sitz gleiten. Er zog seinen Stetson vom Kopf und warf ihn achtlos auf die Beifahrerseite. Dann steckte er den Schlüssel ins Zündschloss. „Bist du zufällig zum Pressesprecher des Montgomery-Clans auserwählt?“, fragte er, während er sich nervös mit den Fingern durch das dichte braune Haar fuhr.

„Ich wollte nur, dass du Bescheid weißt. Jetzt hast du keinen Grund mehr, abzusagen.“

J.T. atmete tief durch. Vergebens versuchte er, Candices Bild aus seinem Kopf zu verdrängen. Er wollte nicht an die Fehler seiner Vergangenheit erinnert werden; das alles war vorbei und interessierte ihn nicht mehr. „Du irrst, Jack. Ich habe dir bereits gesagt, warum es mir unmöglich ist, zu kommen.“

„Was bist du doch für ein sturer Hund!“, entgegnete Jack leicht gereizt. „Diese Version kannst du deiner Großmutter erzählen. Ich weiß doch genau, dass du dich darüber ärgerst, wie abfällig sie dich damals behandelt haben.“

„Die Sache ist endgültig gegessen.“ J.T. betrachtete sich im Rückspiegel. Seine braunen Augen unter den dichten schwarzen Brauen blickten ziemlich finster drein. Die Prinzessin sollte ihren Cowboy nicht bekommen – war sie doch nicht bereit gewesen, sich in aller Öffentlichkeit zu ihm zu bekennen …

„Dann macht es dir sicher auch nichts mehr aus, wenn du hörst, dass sie sich verlobt hat“, meinte Jack beiläufig.

Natürlich machte es J.T. nichts aus. Es war ja zu erwarten gewesen, dass sie eines Tages heiraten würde. Es war eher erstaunlich, dass sie so lange damit gewartet hatte. J.T. setzte sich gerade hin und umklammerte mit der freien Hand das Lenkrad. Candice war eine sehr anziehende Frau. Es blieb nicht aus, dass andere Männer dies bemerkten, auch wenn er der Erste gewesen war.

„Sie ist also verlobt?“, fragte er so beiläufig wie möglich.

„Ja, seit Kurzem. Er stellt sie gerade seinen Eltern vor, die auf einer Insel in der Karibik leben.“

„Ich nehme an, dass es eine standesgemäße Beziehung ist.“

„Das kann man wohl sagen. Mark Forester gehört dem alten Geldadel an. Der alte Montgomery, Gott hab ihn selig, hat ihn beruflich sogar noch gefördert. Er wollte, dass sein zukünftiger Schwiegersohn neben Dylan der zweite Geschäftsführer seiner Firma wird.“

Geldadel und einen Montgomery als Förderer! J.T. krampfte sich der Magen zusammen. Da hatte der alte Mann also genau das erreicht, was er sich immer gewünscht hatte. „Nimmt er auch den Namen Montgomery an?“

„Sarkasmus passt nicht zu dir, J.T.“, meinte Jack brummig.

„Tut mir leid. Es ist mir nur so rausgerutscht.“

„Entschuldige dich nicht, komm lieber zur Hochzeit. Davis kann dich sehr wohl für einen Tag vertreten. Du sagst selbst immer, er ist ein guter Mann. Was sollte er da in vierundzwanzig Stunden wohl für einen Schaden anrichten können?“

In vierundzwanzig Stunden konnte so einiges geschehen. Man konnte beispielsweise zu der Erkenntnis gelangen, dass man jemanden leidenschaftlich liebte, um dann sogleich festzustellen, dass alles nur ein großer Irrtum war …

J.T. erschrak über sich selbst. Wieso war er noch heute so verbittert, wenn er daran dachte, was die Montgomerys ihm angetan hatten? Sie sollten ihm wirklich absolut gleichgültig sein. Selbst wenn er ihnen eines Tages über den Weg lief – was spielte das für eine Rolle? Und Jack hatte hundertprozentig recht, wenn er sagte, Davis wäre ein würdiger Vertreter. Er konnte die Verhandlungen in London sehr gut ein paar Tage alleine leiten.

„Okay, du hast gewonnen.“ J.T seufzte, drehte den Schlüssel im Zündschloss um und ließ den Motor aufheulen. „Ich komme, denn ich muss doch die Frau kennenlernen, die es geschafft hat, dich vor den Altar zu schleifen.“

„Und vergiss den Smoking nicht! Ich weiß, dass dir das lästig ist, aber dafür kannst du auf die Lackschuhe verzichten. Wir feiern am Strand.“

„Wie originell!“ J.T. schmunzelte, während er den Wagen langsam aus der Tiefgarage rollen ließ. „Barfuß und im Smoking! Ich erledige hier nur noch ein paar Geschäfte und melde mich dann bei dir.“

Vor dem Hotel übergab J.T. das Auto samt Schlüssel einem jungen Mann in roter Livree. „Wenn Sie sich um den Wagen gekümmert haben, sagen Sie Ihrem Hausschneider bitte, dass er sich mit einem gewissen Karl Delaney in Kalifornien in Verbindung setzen soll.“

„Wird erledigt, Sir“, erwiderte der junge Mann eifrig, als J.T. schon fast im Hotel verschwunden war.

Acht lange Jahre war es jetzt her, seit er Candice zum letzten Mal gesehen hatte, und doch erinnerte er sich an ihr hübsches Gesicht mit den strahlend blauen Augen so deutlich, als wäre es gestern gewesen. Sie hatte die blondesten Haare und blauesten Augen von der ganzen Welt. Wenn er daran dachte, nahm ihm ihr Aussehen heute noch den Atem. Da konnte nur noch ein ordentlicher Drink helfen!

J.T. setzte sich an die Hotelbar und leerte sein Glas in einem Zug. Irgendwie musste er auf andere Gedanken kommen.

Vonya fiel ihm ein. Sie war echte Spitzenklasse – eine heißblütige Brünette mit funkelnden braunen Augen. Eine Frau wie sie ließ das Herz eines jeden Mannes höher schlagen. J.T. lächelte bei dem Gedanken an diese umwerfende Frau, die nur darauf wartete, von ihm erobert zu werden … Aber plötzlich schwand das Lächeln aus seinem Gesicht. Statt der braunen sah er ein Paar blauer Augen auf sich gerichtet, die braunen Haare verwandelten sich in blonde.

„Verflucht“, murmelte er vor sich hin. Candice war Vergangenheit! Auch wenn er Jacks Einladung angenommen hatte und in zwei Wochen nach Montgomery Beach fliegen würde, so bedeutete das noch lange nicht, dass er die Vergangenheit wieder auferstehen lassen wollte. Er war älter und weiser geworden – und Candice Montgomery bedeutete ihm nichts mehr.

1. KAPITEL

Montgomery Beach, Kalifornien, zwei Wochen später

„Ich hatte alles bis ins kleinste Detail geplant.“ Sandi Galloway ging im Umkleideraum neben dem Ballsaal des im spanischen Stil erbauten ‚Plaza‘ auf und ab. Sie trug ein klassisches weißes Brautkleid und sah einfach fabelhaft aus. Dennoch wirkte sie ein wenig nervös. „Ich wollte, dass es perfekt wird, und dann kommt dieser verfluchte Hurrikan und wirft alles über den Haufen.“

Candice Montgomery betrachtete sich in dem riesigen Wandspiegel und musste an sich halten, um die Äußerung, die ihr in diesem Augenblick auf den Lippen lag, für sich zu behalten. Sie konnte doch nicht den Hurrikan für das Kleid verantwortlich machen, das sie zur Hochzeitsfeier der Freundin tragen sollte!

Falls man so etwas überhaupt Kleid nennen konnte. Das ärmellose Oberteil bedeckte nur knapp ihre vollen Brüste und war ansonsten bauchfrei, während der Rock knalleng saß. Darüber hinaus schmiegte sich der golden schimmernde, seidige Stoff wie eine zweite Haut an ihren Körper, sodass der Fantasie des Betrachters nicht viel Raum blieb.

Candice fühlte sich sichtlich unwohl in diesem Outfit. Vergeblich bemühte sie sich, das Unterteil wenigstens so weit hinunterzuziehen, dass ihre schlanken Oberschenkel zumindest zur Hälfte bedeckt waren. Die hohen Pumps, die ebenfalls golden waren und ihre Beine endlos erscheinen ließen, betonten noch die Kürze des Rockes.

Candice war mehr oder weniger zufällig in die Hochzeit hineingeplatzt. Sie war erst vor wenigen Stunden von ihrem Aufenthalt in der Karibik zurückgekehrt und von Karl Delaney am Flughafen empfangen worden. In wenigen Worten hatte er ihr die Situation erklärt: Whitney und Dylan hingen wegen des unerwarteten Sturms irgendwo fest und konnten kein Flugzeug chartern, und sie, Candice, sollte an Whitneys Stelle Brautjungfer für Sandi spielen. Ohne zu zögern hatte sie eingewilligt.

„Solange Dylan und Whitney in Sicherheit sind, ist es doch nur halb so schlimm.“ Es dauerte nicht länger als fünf Minuten, bis Sandi ihr die wichtigsten Instruktionen gegeben hatte. Sie selbst ging immer noch aufgeregt im Umkleideraum auf und ab und blieb andauernd stehen, um ihr Spiegelbild zu begutachten. Sandi konnte mit dem Anblick, der sich ihr bot, mehr als zufrieden sein: Das Hochzeitskleid war ein Traum, es passte wie angegossen und unterstrich ihre natürliche Schönheit.

„Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll, Candice. Ich finde es toll, dass du so spontan für Whitney eingesprungen bist. Und in diesem Outfit siehst du einfach umwerfend aus. Karl ist ein Genie, findest du nicht?“

„Hat Whitney das Kleid gesehen?“ Verzweifelt zerrte Candice an dem kurzen Top.

„Nein. Es sollte eine Überraschung werden.“ Sandi blieb vor Candice stehen und betrachtete die Freundin abschätzend. „Nun ja, es ist nach Whitneys Maßen gearbeitet, die kleiner und dünner ist als du. Aber ich muss sagen, es steht dir ganz ausgezeichnet. Außerdem ist dein Haar blond genug, um mit dem Goldton des Kleides um die Wette zu glänzen.“ Sie lachte. „Wenn du nicht meine Freundin wärest, müsste ich dich beinahe hassen“, sagte sie mit schelmischer Miene. „Ich glaube, du stiehlst mir heute glatt die Schau.“

Candice lächelte zurück und deutete auf ihren nackten Bauch. „Aber ein bisschen mehr Stoff hätte bestimmt nichts geschadet.“

„Hallo, ihr beiden!“ Ganz außer Atem stürzte Sandis Schwester Steffi ins Zimmer. Auch sie trug ein goldenes, bauchfreies Kleid, das Gleiche, an dem Candice immer noch verzweifelt herumzupfte.

Doch Steffi zeigte keine Spur von Verlegenheit. „Hier bin ich. Na, wie gefalle ich euch? Das Kleid ist einfach super.“ Sie hob die Hände über den Kopf und drehte sich einmal um sich selbst. „Ich hatte schon Angst, ich komme zu spät. Greg war so fasziniert, dass er mich gar nicht mehr gehen lassen wollte. Aber unseren großen Tag haben wir schließlich schon hinter uns. Heute bist du an der Reihe, Schwesterherz.“ Sie umarmte Sandi flüchtig und wandte sich dann zu Candice. „Wo ist denn der Ring, den Mark dir geschenkt hat?“, fragte sie und nahm deren Hand in ihre. „Ihr habt doch nicht etwa Schluss gemacht?“

„Keine Sorge. Der Ring musste nur geändert werden. Deshalb kommt Mark auch später. Aber er hat versprochen, die Zeremonie nicht zu verpassen.“

„Und habt ihr schon einen Termin für eure Hochzeit festgelegt?“

Candice schluckte. Irgendwie hatte sie noch keinen Gedanken an ihre eigene Hochzeit verschwendet. Ja, sie hatte sich kaum damit angefreundet, überhaupt verlobt zu sein. In den vergangenen zwei Wochen hatte Mark sie von einer Party zur anderen geschleppt, um sie all seinen Freunden und Verwandten vorzustellen. Er ließ sie gar nicht erst zur Ruhe kommen. „Wir wissen es noch nicht genau. Vielleicht nächstes Jahr.“

Sandi schaute in den Spiegel und überprüfte ein letztes Mal ihr Make-up. „Nächstes Jahr? Wenn Jack und ich so lange hätten warten müssen, wäre ich wahrscheinlich gestorben. Wie willst du das nur aushalten, Candice?“ Ihre Blicke trafen sich im Spiegel.

„Es gibt noch so viel zu tun“, erwiderte Candice lahm. „Und schließlich sind wir beide berufstätig. Ich glaube, da ist es nur vernünftig, noch eine Zeit lang zu warten.“

„Vielleicht hast du recht. Bestimmt wünschst du dir auch, dass alles perfekt wird. Aber für mich wäre eine so lange Wartezeit nie infrage gekommen. Ich wäre am liebsten mit Jack durchgebrannt und hätte ihn heimlich geheiratet! Eine verrückte Idee, findest du nicht? Trotzdem – heute ist unser großer Tag, und wir wollten, dass alle unsere Freunde dabei sind. Schließlich feiert man ja nur einmal Hochzeit.“

Verrückt? Candice wandte den Blick von Sandi ab und betrachtete sich selbst im Spiegel. Was sie sah, war eine große schlanke Frau mit vollem blonden Haar, himmelblauen Augen und einem sexy Kleid. Das Bild verschwamm, und die Züge eines jungen Mädchens kamen zum Vorschein – das Haar war länger, statt des Kleides trug es Jeans und ein weites Sweatshirt. Acht Jahre war es jetzt her, dass jenes verrückte junge Mädchen mit dem Mann durchgebrannt war, den es zu lieben glaubte, obwohl es ihn kaum kannte …

Wenn das nicht verrückt war! Kein Wunder, dass diese Ehe nicht lange gehalten hatte. Eine solche Kurzschlusshandlung war nichts für die Ewigkeit. Entschlossen schüttelte Candice diese trüben Gedanken ab. Sie lebte hier und heute, und J.T. Watson war nicht mehr Teil ihres Lebens. Selbst als sie vor ein paar Tagen sein Foto in der Zeitung gesehen hatte, war es für sie nicht mehr als das Bild eines Fremden gewesen. Auch die Tatsache, dass er in Begleitung eines äußerst attraktiven Fotomodells gewesen war, hatte sie nur wenig berührt.

„Du hast recht“, erwiderte Candice lächelnd. „Und ich bin froh, dass ich es miterleben darf.“

„Jetzt wird es aber Zeit“, ertönte eine angenehm tiefe Männerstimme mit einem leichten russischen Akzent. Die drei Frauen wandten sich gleichzeitig um. Karl Delaney, ein stattlicher Mann mit silbergrauem Haar, betrat das Zimmer und blieb direkt vor Candice stehen. Für die Montgomerys war Karl nicht nur ein ausgezeichneter Schneider und Herrenausstatter, sondern seit langen Jahren ein vertrauter Freund der Familie. Außerdem war er Whitneys Onkel. „Ich bin gespannt, was deine Mutter zu diesem Kleid sagen wird“, meinte er verschmitzt lächelnd, wobei er sich mit dem rechten Zeigefinger über den gepflegten Schnurrbart strich.

„Ich dachte, Mom wollte nicht kommen“, versetzte Candice überrascht. Ihre Mutter nahm es mit der offiziellen Trauerzeit sehr ernst. Seit dem Tode ihres Mannes hatte sie das Haus kaum verlassen, und jetzt, wo das Jahr gerade eben zu Ende war, besuchte sie eine Hochzeitsfeier?

„Ich habe mich eben unten mit ihr unterhalten“, erwiderte Karl. „Sie sieht wie immer fabelhaft aus.“

„Ich freue mich, dass sie da ist“, sagte Sandi gut gelaunt.

Candices mulmiges Gefühl im Bauch verstärkte sich. Wenn Grace Montgomery das Kleid ihrer Tochter sah, würde sie möglicherweise in Ohnmacht fallen. Unsinn – so etwas tat eine Grace Montgomery nicht, sie verfügte über subtilere Mittel, um ihr Missfallen zum Ausdruck zu bringen. Darin brachte sie es zu wahrer Meisterschaft – ganz gleich, ob es sich um Dinge oder Menschen handelte.

Noch immer klangen Candice die Worte im Ohr: „Candice, du weißt, wie sehr wir J.T. schätzen – er ist schließlich ein guter Freund deines Bruders, aber er ist …“ Grace hatte die Schultern gehoben und ihr sanftestes Lächeln auf die Lippen gezaubert, um den folgenden Worten ein wenig die Schärfe zu nehmen. „… aber er ist so anders als wir – findest du nicht?“

Obwohl Candice damals erst achtzehn gewesen war, verstand sie sofort, was ihre Mutter sagen wollte: J.T. war kein Mann, den man in ihren Kreisen heiratete. Candice akzeptierte diese Einstellung bis zu dem Tage, an dem sie sich in J.T. verliebte – und das war in jenem Sommer gewesen, als er mit dem Studium fertig wurde.

Was war nur mit ihr los? Immer wieder holten die Bilder der Vergangenheit sie ein. War die Hochzeit daran schuld? Erinnerte Sandis Hochzeit Candice an ihre eigene? Sie musste sich zusammenreißen.

„Du wirst deiner Mutter gefallen“, sagte Karl, drückte ihr den Strauß aus Rosen und Schleierkraut in die Hand und bot ihr dann seinen Arm. Lag da eine leichte Anspannung in seiner Stimme? Oder hatte sie sich getäuscht? Wahrscheinlich, denn als sie Karl ins Gesicht sah, lächelte er schon wieder. „Lass uns zum Strand hinuntergehen. Wir sind sowieso schon ziemlich spät dran.“

Zögernd hakte sich Candice bei Karl ein. „Ich wollte dich nicht aufregen, als ich vorhin deine Mutter erwähnte. Es tut mir leid, Liebes.“

„Du hast mich nicht aufgeregt. Ich war nur überrascht, dass sie hier ist.“

„Grace steckt voller Überraschungen“, entgegnete der ältere Mann geheimnisvoll, als sie das Hotel verließen und in die Abenddämmerung hinaustraten.

Ihre Mutter sollte eine Frau sein, die voller Überraschungen steckte? Merkwürdig! Und wieso sagte das ausgerechnet Karl?

„Ich bin ja selbst erstaunt, hier zu sein“, meinte sie. „Offensichtlich ist das alles eine Kette von Zufällen.“

Karl tätschelte sanft ihre Hand. „Du musst eines lernen, Candice: Nichts im Leben geschieht rein zufällig.“

„Heißt das, du glaubst nicht an Glück?“

Karl blieb stehen und schaute ihr ernst in die Augen. „Doch, ich glaube an das Glück, aber ich bin fest davon überzeugt, dass es in unserer Hand liegt, es festzuhalten und etwas daraus zu machen.“