2,49 €
Diese flammend roten Locken, diese saphirblauen Augen! Als Milliardär Ross De Courtney zufällig die betörende Unbekannte wiedertrifft, mit der er vor vier Jahren eine einzige sinnliche Nacht verbracht hat, stockt ihm jäh der Atem. Denn Carmel hält einen kleinen Jungen an der Hand, der ihm wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Was jetzt? Liebe und Familie kommen für Ross aus gutem Grund nicht infrage! Doch auch wenn er Carmel nicht bieten kann, was sie verdient, verspürt er in ihrer Nähe sofort wieder Verlangen – so unvernünftig wie unwiderstehlich!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 206
IMPRESSUM
JULIA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2022 by Heidi Rice Originaltitel: „The CEO’s Impossible Heir“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA, Band 2548 06/2022 Übersetzung: Harlequin Books S. A., EdwardDerule / Getty Images, alle Rechte vorbehalten
Abbildungen: Abbildungen: Harlequin Books S. A., EdwardDerule / Getty Images, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 06/2022 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751509749
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de
Werden Sie Fan vom CORA Verlag auf Facebook.
Nachdem Ross De Courtney den Helikopter sicher auf der Klippe an der Westküste Irlands gelandet hatte, eilte er mit langen Schritten auf die Kapelle zu.
Sie lag auf dem eindrucksvollen Anwesen seines zukünftigen Schwagers und war aus gegebenem Anlass festlich geschmückt und voll mit Leuten, die er nicht kannte.
Zukünftiger Schwager. Herr im Himmel.
Er erreichte die Kapelle und trat ein. Einige der Gäste warfen ihm neugierige Blicke zu, während er durch den Gang auf den Altar zuging, vor dem sich das glückliche Paar gerade das Ehegelübde gab. Der Bräutigam trug einen schiefergrauen Designeranzug, und die Braut, Ross’ hoffnungslos gutgläubige und vertrauensselige Schwester Katie, eine Kreation aus weißer, weich fallender Seide und Spitze.
Seine Schritte hallten auf dem alten Steinboden wider, doch das Geräusch wurde übertönt von dem zornigen Rauschen seines Blutes in den Ohren.
Gestern hatte Katie ihm eine Nachricht geschickt, in der sie ihn – wenn auch sehr höflich – darum bat, der Trauung fernzubleiben. Es war das erste Mal seit Monaten gewesen, dass sie sich dazu herabgelassen hatte, auf seine Anrufe oder Nachrichten zu reagieren. Anscheinend gab es da etwas, über das sie mit ihm sprechen wollte – Dinge, die anscheinend Taktgefühl und Diskretion bedurften und ihren Verlobten Conall O’Riordan betrafen, einen irischen Milliardär, dem Ross vor genau fünf Monaten in der Londoner Oper begegnet war.
Der Mann war ein Rowdy, ein skrupelloser, kontrollsüchtiger Schlägertyp, der genauso wenig gut genug für Katie war wie ihr erster Mann, den sie geheiratet hatte, als sie erst neunzehn gewesen war und der nur noch kurze Zeit zu leben gehabt hatte.
Damals hatte Ross einen Fehler begangen. Er hatte sich vehement gegen diese Heirat ausgesprochen und sich dann zurückgezogen, um Katie ihren Irrtum selber einsehen zu lassen. Doch das hatte sie natürlich nicht getan, denn sie war eine Romantikerin. Sie hatte Tom geheiratet. Dann war Tom gestorben, und Katie und Ross hatten fünf Jahre nicht miteinander gesprochen. Bis zu dieser zufälligen Begegnung in der Oper im vergangenen Dezember. Als ihr irischer Verlobter, der Ross bis dahin vollkommen unbekannt gewesen war, beinahe über ihn hergefallen wäre.
Nun, zweimal würde er denselben Fehler nicht machen. Er würde nicht noch einmal zusehen, wie Katie sich an einen Mann band, der ihr wehtun würde.
Vielleicht hatte er nicht das Recht, sich in ihr Leben einzumischen. Sie war keine neunzehn mehr, sondern fünfundzwanzig. Und, um ehrlich zu sein, ein wirklicher Bruder war er ihr nie gewesen … Was vor allem daran lag, dass er von der Existenz seiner Halbschwester erst erfahren hatte, als sie vierzehn Jahre alt gewesen und ihre Mutter gerade gestorben war – eine der zahllosen Geliebten seines Vaters. Damals hatte er versucht, das Richtige zu tun. Er hatte sie offiziell als eine De Courtney anerkannt und ihr zuerst teure Privatschulen, später dann das College bezahlt. Sein grausamer und egoistischer Vater hatte sich hingegen bis zu seinem Tod geweigert, so etwas zu tun.
Doch obwohl Katie und er sich nie sonderlich nahegestanden hatten, konnte Ross sie O’Riordan nicht heiraten lassen, ohne wenigstens zum Ausdruck zu bringen, was er davon hielt.
Immer mehr Köpfe wandten sich ihm zu. Das Rauschen in seinen Ohren war so laut, dass er kaum verstand, was die Brautleute sagten.
Ihm wäre es lieber gewesen, er hätte seinen Auftritt nicht wie in einem Hollywoodfilm am Tag der Trauung, aber Katie hatte ihm keine Wahl gelassen. Schließlich war auf keine seiner Nachrichten oder E-Mails, die er ihr in dem Versuch geschickt hatte, nach dem desaströsen Abend in der Oper wieder Kontakt zu ihr aufzunehmen, eine Reaktion erfolgt. Einmal nur hatte sie ihm knapp versichert, dass sie O’Riordan auf jeden Fall heiraten würde, weil sie rettungslos in ihn verliebt war. Das hatte Ross nicht unbedingt beruhigt.
Hatte dieser Mann sie irgendwie verhext? Oder war er am Ende gar wie Katies und Ross’ Vater, der über all die Frauen in seinem Leben brutale Macht ausgeübt hatte?
Die Trauzeremonie näherte sich ihrem Höhepunkt. Ross’ Blick fiel auf eine junge Frau, die neben dem Bräutigam stand und einen kleinen Jungen in einem winzigen Anzug an der Hand hielt. Ihr wildes rotes Haar war auf dem Kopf hochgetürmt und mit Wildblumen geschmückt.
Der Anblick setzte ihm so zu, dass er abrupt stehen blieb. Mit einem Schlag fühlte er sich zurückversetzt auf den Westmoreland Sommerball vor vier Jahren, auf dem er mit einer wunderschönen Frau getanzt hatte, die ihn vollkommen in den Bann gezogen hatte.
Ist sie es?
Ihr Gesicht konnte er nicht sehen, nur ihren Rücken, die bloßen Schultern und die anmutige Linie ihres Halses, die verführerische Wölbung ihrer Brust, die schmale Taille und die langen Beine. Wieder sah er auf ihren Hals, dessen helle Haut von einzelnen Haarsträhnen, die sich nicht hatten bändigen lassen wollen, betont wurde.
Ross schüttelte den Kopf. Die Hitze, die ihn erfasst hatte, war so real und allumfassend, dass er einen Moment kaum hatte klar denken können.
Mach dich nicht lächerlich. Sie kann es nicht sein. Deine Erinnerung spielt dir einen Streich, weil du gerade emotional so angespannt bist.
Die junge Frau, deren wahren Namen er nie erfahren hatte, hatte ihn in jener Nacht vollkommen verzaubert. Ihr geistreicher Humor, der melodische irische Akzent und ihre ätherische Schönheit – das lange rotgoldene Haar, die beinahe durchscheinende Haut und die strahlend blauen Augen – hatten ihn innerhalb kürzester Zeit in einen von Leidenschaft getriebenen Narren verwandelt.
Als er daran dachte, was später im Garten des Anwesens passiert war, verspürte er ein erregtes Ziehen in den Lenden. Die Lichterketten hatten ihrer Haut einen einzigartigen Zauber verliehen, während er sich an ihr gelabt hatte. Der sanfte Duft von Jasmin und reifen Äpfeln war überlagert worden von dem ihrer Erregung, als er sie an ihrer empfindsamsten Stelle gestreichelt hatte. Ihr genüssliches Stöhnen hatte ihn beinahe in den Wahnsinn getrieben, bevor er endlich in sie eingedrungen war und sie beide in eine namenlose Ekstase getrieben hatte …
Sie hatten wilden, hemmungslosen Sex gehabt. An einem alten Apfelbaum, nur knapp dreißig Meter entfernt von den anderen Gästen.
Aber was so erotisch und sogar eigenartig romantisch begonnen hatte – dabei war Ross alles andere als ein Romantiker –, hatte sich zunächst in eine geradezu peinliche Besessenheit verwandelt … Denn nach ihrer Vereinigung war sie einfach davongelaufen – um absichtlich irgendwelche albernen Aschenputtel-Assoziationen zu wecken, wie ihm später klar geworden war. Er hatte wie verrückt nach ihr gesucht … Bis er drei Wochen später schließlich mit der brutalen Realität konfrontiert worden war. Sie hatte ihm geschrieben und versucht, an sein Geld zu kommen, indem sie behauptet hatte, schwanger von ihm zu sein.
Und damit hatte sich seine erotische Aschenputtel-Fantasie endgültig erledigt.
Obwohl – vielleicht nicht ganz, denn er musste noch immer viel zu oft an sie denken. Und reagierte zu seinem eigenen Ärger noch immer körperlich, wenn er irgendwo eine Frau erblickte, die ihr ähnlich sah oder den Kopf auf eine gewisse Art zur Seite neigte. Das war demütigend und ärgerlich und außerdem extrem unpraktisch, wie Ross jetzt merkte, als er wie gewohnt auf die rothaarige Frau reagierte, obwohl er sich auf etwas ganz anderes konzentrieren musste.
„Wenn jemand einen Grund kennt, warum diese zwei nicht in den heiligen Stand der Ehe treten sollten, so möge er oder sie jetzt sprechen oder für immer schweigen.“
Die tiefe Stimme des Pastors riss Ross aus seinen Gedanken.
Er zwang sich, den Blick von dem anmutigen Hals der Brautjungfer zu nehmen.
Es ärgerte ihn, dass er in der Öffentlichkeit eine Szene machen musste, aber er wusste auch, dass es nicht anders ging. Katie hatte ihm keine Wahl gelassen.
„Ich kenne einen Grund.“ Er sah, wie Katie und der verrückte Ire die Köpfe zu ihm herumrissen.
Einige der Gäste schnappten hörbar nach Luft. Katies Augen wurden groß. „Ross? Was machst du hier?“
Ihr Bräutigam furchte verärgert die Stirn. Sein Gesichtsausdruck war derselbe wie vor fünf Monaten, als er Ross das erste Mal erblickt hatte.
Glaubst du, ich gebe etwas auf deine Abneigung, Freundchen? Auf gar keinen Fall werde ich zulassen, dass du meine Schwester heiratest, ehe ich nicht hundertprozentig davon überzeugt bin, dass du ihr nicht wehtust.
„Was ich hier mache?“ Er bemühte sich, gelassen zu klingen, dabei erstickte er fast an seiner Sorge um Katie – und an seiner Wut. „Ich werde diese Hochzeit verhindern, solange ich mir nicht ganz sicher sein kann, dass sie das ist, was du wirklich möchtest, Katie.“
Was dann geschah, hatte er nicht erwartet: Anstatt ihm zu antworten, sahen sowohl Katie als auch der irische Bräutigam nach links. Sie ignorierten ihn vollkommen.
„Carmel, das tut mir furchtbar leid“, sagte seine Halbschwester leise.
„Mel, bring Mac weg von hier“, befahl der Psychopath, keinen Widerspruch duldend.
Sie sprachen mit der jungen Frau, die ihm bereits aufgefallen war.
Jetzt traf ihn ihr Anblick mit voller Wucht.
Sie war es.
Ihre temperamentvollen blauen Augen funkelten wie Saphire. Vor Überraschung hatten sie sich geweitet. Ihr rotes Haar leuchtete, und ihre sonst so blassen Wangen schienen zu glühen …
Sofort kehrte die Hitze in seine Lenden zurück, dicht gefolgt von einem tiefen Schock. Die Sorge um seine Schwester, die sich in ihm während des langen Fluges über den Atlantik immer weiter aufgebaut hatte, wich etwas schmerzhaft Wildem.
Sie ist es wirklich.
„Mammy, wer ist der Mann?“
Ross sah auf den kleinen Jungen an ihrer Seite. Seine piepsige Kinderstimme mit dem weichen Akzent seiner irischen Heimat drang durch den Tumult um sie herum zu ihm durch.
Er hatte das Gefühl, einen Schlag in die Magengrube erhalten zu haben, sein Herzschlag verlangsamte sich. Er nahm den Anblick der auffälligen grün-blauen Augen des Kindes in sich auf, die vor Neugier ganz rund geworden waren, seiner perfekten Gesichtszüge und der kurzen blonden Locken. Doch in Wirklichkeit sah Ross nur eins.
Sich selbst.
Sich selbst im Alter von vier Jahren, auf dem einzigen Bild, das es jemals von ihm und seiner Mutter gegeben hatte. Aufgenommen, bevor seine Haare dunkler geworden waren. Und seine Mutter gestorben war. Ein Foto, das sein Vater genüsslich vor seinen Augen verbrannt hatte, um ihn anschließend auf ein Internat zu schicken.
Hör auf zu heulen, Junge. Deine Mutter war schwach. Und das willst du doch sicher nicht sein, oder?
„Was …?“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Krächzen. Entsetzt sah er wieder die Frau an. „Wie …?“
Nein. Nein. Nein.
Das konnte nicht wahr sein! Das hier passierte nicht wirklich. Es musste ein Traum sein. Nein, kein Traum, eher ein Albtraum, aus dem es kein Erwachen gab.
Er presste die Hände an die Schläfen und blickte hektisch zwischen der Frau und dem Jungen hin und her.
Das Kind konnte nicht sein Sohn sein … Innerlich schrie er laut auf. Er hatte den ultimativen Schritt unternommen, um so etwas zu verhindern. Er konnte es nicht glauben.
Sie legte dem Jungen einen Arm um die Schultern und schob ihn hinter sich, um ihn vor Ross’ Blicken zu schützen.
„Ist schon okay, Mac.“ Er erkannte ihre rauchige Stimme sofort wieder, auch wenn sie jetzt wütend klang, was sie aber nicht weniger verführerisch machte. Ihre Haltung war herausfordernd und kühn, als sie sich straffte und zu ihrer vollen Größe aufrichtete, wie eine Walküre, die ihren Nachwuchs beschützte.
„Dieser Mann ist niemand.“
Ross trat auf sie zu, entschlossen … irgendetwas zu tun.
Nur was? Der Schock saß ihm tief in den Knochen, sein Zeitgefühl hatte ihn verlassen und von seiner üblichen unumstößlichen Selbstkontrolle war nichts mehr zu spüren.
Eine starke Hand legte sich ihm auf die Schulter und hielt ihn zurück. „Weg von meiner Schwester, du Mistkerl!“
Er erkannte die Stimme des Psychopaten und hörte direkt danach Katies, die versuchte, die beiden Männer zu beruhigen. Aber alles, wozu Ross sich in der Lage sah, war, wie angewurzelt dazustehen und zuzusehen, wie sein unendlich begehrenswertes Aschenputtel den Jungen auf den Arm nahm und mit ihm in Richtung Sakristei ging.
Sie läuft schon wieder vor mir weg.
Kurz sah er sich in den Obstgarten zurückversetzt, wo er sich noch von seinem gigantischen Höhepunkt erholte und nur zusehen konnte, wie sie panisch im Mondlicht davonrannte.
Doch anstatt sich zusammenzureißen und den Reißverschluss zuzumachen, um ihr hinterherzueilen, war er regungslos stehen geblieben. Jetzt traf ihn der Blick des Jungen, der sich am Hals seiner Mutter festhielt. Dem Hals, der ihm vor all den Jahren beinahe den Verstand geraubt hatte … Genau wie gerade eben.
„Verschwinde von hier.“ Der Bräutigam drehte ihn zu sich herum. „Du wurdest nicht eingeladen, und du bist hier nicht willkommen.“
„Hände weg“, brachte Ross hervor. Mühelos gelang es ihm, sich aus O’Riordans Griff zu befreien.
Er schwang herum, musste ihr folgen. Ihr und dem Jungen. Aber seine Bewegungen waren steif und mechanisch.
Diese Mal hielt O’Riordan ihn am Arm fest. „Hierher, du …“
Mit geballten Fäusten drehte Ross sich zu ihm um, um ihn niederzuschlagen, doch da er weder einen klaren Gedanken fassen konnte noch seine Motorik im Griff hatte, ging der Hieb daneben.
Der Gegenschlag kam so schnell, dass er es nicht schaffte, auszuweichen. Sein Kopf schnellte nach hinten, und an seinem Kinn explodierte ein scharfer Schmerz.
Der Nebel wurde dunkel.
„Was für ein rechter Haken“, murmelte er und hielt sich das pochende Kinn. Im Mund spürte er einen metallischen Geschmack, dann begann er zu taumeln.
Die Aufschreie der Gäste und Katies tränenüberströmtes Gesicht waren das Letzte, was Ross wahrnahm.
Doch noch während er fiel, wich ihm ein Gedanke nicht aus dem Kopf.
Wie kann es sein, dass sie mir ein Kind schenkt, wenn ich doch niemals Vater werden kann?
„Gehen Sie mir aus dem Weg. Sie haben selber gesagt, es gibt keine Anzeichen für eine Gehirnerschütterung, also würde ich jetzt gerne weg von hier.“
„Aber Mr. De Courtney, ich hielte es wirklich für besser, wenn Sie sich noch ein bisschen ausruhten. Sie wirken erschöpft.“
Carmel O’Riordan stand auf einem Flur im Ostflügel von Kildaragh Castle. Sie staunte über das Kribbeln in ihrem Unterleib, das Ross De Courtneys tiefe Stimme in ihr auslöste. Er stritt sich mit dem Notarzt, den Con gerufen hatte, nachdem der ungebetene Hochzeitsgast in das Gästezimmer im zweiten Stock gebracht worden war.
An die Wand gelehnt lauschte sie dem Gespräch und versuchte Mut zu sammeln, um das Zimmer zu betreten und sich ihrer Vergangenheit zu stellen.
Die Trauung war zu Ende gebracht worden; jetzt war der Empfang im Erdgeschoss in vollem Gang. Mel hatte den Schock darüber, Ross De Courtney wiederzusehen, noch nicht überwunden. Genauso wenig wie den, herauszufinden, dass Macs Vater – ein Mann, dessen Identität sie nie jemandem verraten hatte, am wenigsten ihrem Bruder Conall – auch der Bruder ihrer frischgebackenen Schwägerin war.
Sie presste ihre feuchten Handflächen auf das Seidenkleid. Sie konnte den Anblick von Ross’ Gesicht nicht vergessen, seiner stechend grün-blauen Augen, die sich vor Überraschung und Schock geweitet hatten, als er seinen – ihren – Sohn vor zwanzig Minuten zum ersten Mal gesehen hatte.
Würde diese Erinnerung sie von jetzt an ständig verfolgen? Wie all die anderen, die sie seit vier Jahren nicht losließen?
Ross De Courtney. Groß und lässig-elegant in seinem dunklen Smoking im Schein der Fackeln in dem alten Obstgarten, sein Blick mit ihrem verhakt, seine Berührungen zärtlich und doch unersättlich. Sein Moschusduft konnte süchtig machen, und seine Stimme war tief und voller Verlangen gewesen.
An jenem Abend hatten sie und ihre College-Freundin sich wie alberne Teenager uneingeladen Zutritt zu dem berühmten Westmoreland-Ball am Stadtrand von London verschafft. Auf der Fahrt dorthin hatten sie Witze darüber gemacht, wie jede von ihnen einen Milliardär finden und heiraten würde.
Doch die Witze waren nach hinten losgegangen.
Ross De Courtney war so attraktiv und weltgewandt gewesen – und hatte ihr so viel Beachtung geschenkt. Er hatte über jeden ihrer trockenen Witze gelacht und nicht ein einziges Mal den Blick von ihr genommen … Er hatte ihr das Gefühl gegeben, etwas ganz Besonderes zu sein und furchtbar erwachsen. Schon lange hatte sie sich danach gesehnt, sich endlich wie eine Frau zu fühlen und dem Schutz ihres überbesorgten Bruders zu entkommen. Von dem Moment an, als sie den Ballsaal betreten und Ross alleine stehen gesehen hatte, hatten ihre Hormone verrücktgespielt. Er hatte düster gewirkt, mit einer intensiven Ausstrahlung. Düster und unglaublich aufregend.
Noch immer konnte Mel seine Berührung auf ihrer Haut spüren und das hemmungslose Verlangen, das sie elektrisiert und dazu verleitet hatte, etwas Dummes zu tun.
Doch hinterher war sie davongelaufen wie ein unreifer Teenager. Außerdem hatte sie keinen Gedanken an Verhütung verschwendet und drei Wochen später schließlich vergeblich auf ihre Periode gewartet.
„Wo zum Teufel sind meine Schuhe?“
Die wütende Stimme im Gästezimmer riss Carmel in die Gegenwart zurück.
Sie schluckte und ballte die Hände, um sie am Zittern zu hindern. Sie konnte nicht ewig hier im Flur stehen. Sie musste sich Ross stellen. Conall würde nicht lange auf sich warten lassen, um ihr zu „helfen“.
Dabei hatte er schon so viele rote Linien überschritten. Er hatte tatsächlich einen Privatdetektiv angeheuert, um herauszufinden, wer der Mann war, dessen Identität preiszugeben Carmel sich geweigert hatte. Als Con schließlich erfahren hatte, dass Ross De Courtney Macs Vater war, hatte er Katie, Ross’ Schwester, mit der Planung von Imeldas Hochzeit beauftragt. Dabei hatte er nie vorgehabt, diese Hochzeit stattfinden zu lassen. Vielmehr war es ihm darum gegangen, Rache an dem Mann zu üben, mit dem Mel ein Kind gezeugt hatte. Rache, die sie nie gefordert hatte und zu der Conall keinerlei Recht hatte.
Aber anstatt sich an Ross zu rächen, hatte Con sich in Katie verliebt. Und jetzt war Ross Teil ihres und Macs Leben, weil er der Bruder von Conalls Frau war.
Die Tatsache, dass weder Con noch Katie ihr vor deren Hochzeit etwas davon erzählt hatten, hatte Mel zuerst sehr wütend gemacht, doch jetzt fühlte sie sich nur noch wie betäubt. Und sie hatte Angst.
Ross hatte Mac schon vor dessen Geburt von sich gewiesen. Hatte Mel in einer einzigen kalten SMS der Lüge bezichtigt, nachdem sie ihm gesagt hatte, sie sei von ihm schwanger. Sie hatte Jahre gebraucht, um darüber hinwegzukommen, und in all der Zeit nicht ein einziges Wort seiner Textnachricht vergessen.
Wenn du wirklich schwanger bist, dann jedenfalls nicht von mir. Sollte das ein Versuch sein, an mein Geld zu kommen, hast du leider Pech gehabt.
Wie sollte sie Mac jetzt, da Ross so nahe mit ihrer neuen Schwägerin verwandt war, vor dessen Ablehnung schützen?
Dabei hatte er vor zwanzig Minuten, als er Mac zum ersten Mal gesehen hatte, weder abweisend noch wütend gewirkt. Eher vollkommen überwältigt.
Mel musste herausfinden, was es mit diesem Gesichtsausdruck auf sich hatte, denn er ergab überhaupt keinen Sinn.
In seiner SMS hatte er ihr Furchtbares vorgeworfen, etwas, das sie nicht getan hatte. Aber an dem Ballabend war sie es gewesen, die sich auf ihn gestürzt hatte. Daran bestand kein Zweifel.
Ross hatte ihr nicht die Unschuld geraubt, wie ihr Bruder gerne glaubte. Sie hatte sie Ross freiwillig geschenkt.
Gnadenlos hatte sie mit ihm geflirtet. Sie hatte die Rolle der jungfräulichen Verführerin genossen und die Gefühle, die Ross in ihr ausgelöst hatte. Bis sie einfach wie ein kleines Mädchen vor ihm weggelaufen war.
All das ließ sie nun an dem Urteil zweifeln, das sie über Macs Vater gefällt hatte. Was, wenn er gar nicht der Mistkerl war, für den sie ihn bis heute gehalten hatte? Und egal, wie sie es betrachtete, Ross war und blieb Macs Vater. War es feige von ihr gewesen, sich diesem Umstand jahrelang nicht zu stellen? Verlieh sie der einen SMS zu viel Gewicht? Was, wenn er wirklich geglaubt hatte, nicht Macs Vater zu sein?
Leise klopfte sie an die Tür. „Darf ich reinkommen?“ Sie wappnete sich gegen Ross’ Anblick, bevor sie, ohne eine Antwort abzuwarten, ins Gästezimmer trat.
Sie hatte sich nicht genug gewappnet.
Als Ross sich zu ihr umwandte und sie mit diesen auffälligen Augen ansah, stockte ihr der Atem. Sie nahm seine leicht derangierte Erscheinung in sich auf – das offen stehende Hemd mit den Blutflecken darauf, das den Blick auf seine Brusthaare freigab, die zerknitterte Hose, die unbeschuhten Füße, sein zerzaustes kastanienbraunes Haar und den blauen Fleck an seinem Kinn.
Mel holte tief Luft.
Wie konnte dieser Mann in dem Zustand noch besser aussehen als in der Ballnacht? Es war einfach nicht fair!
Er sah sie schweigend an, sein Mund wurde schmal. Er strahlte zwar keine Feindseligkeit aus, aber gewiss auch keine Wiedersehensfreude. Und zum ersten Mal wurde Mel bewusst, dass dieser Mann trotz der unvergesslichen gemeinsamen Nacht unmöglich zu ergründen war.
Auf dem Ball hatte er allein ihr seine Aufmerksamkeit geschenkt, aber sie hatte nicht eine Sekunde gewusst, was er gerade dachte.
„Ms. O’Riordan, vielleicht können Sie den Patienten zur Vernunft bringen.“ Erst jetzt nahm sie Notiz von dem Arzt. „Ich finde, Mr. De Courtney sollte sich noch ausruhen …“
„Ist schon gut. Sie können ruhig gehen. Wenn es Probleme gibt, rufe ich Sie sofort.“
Der ältere Mann warf einen letzten Blick auf seinen widerspenstigen Patienten und nickte. „Schön, dann lasse ich Sie jetzt allein.“
Er ging und schloss die Tür mit einem leisen Klicken hinter sich.
Sofort spürte sie die erotische Spannung, die wie ein elektrisches Kraftfeld in der Luft lag. Als Ross und sie das letzte Mal allein gewesen waren, hatte sie mit den Nachwirkungen eines Höhepunktes zu tun gehabt, der so gewaltig gewesen war, dass sie beinahe in Ohnmacht gefallen wäre.
Der Höhepunkt aus einer Vereinigung, die ihr das Wertvollste in ihrem Leben geschenkt hatte. Dieser Gedanke aber und die Erkenntnis, dass sie noch immer körperlich auf Ross reagierte, vergrößerte ihre Furcht nur noch.
Sie deutete auf einen Sessel und war froh, dass ihr Hand dabei nur leicht zitterte. „Möchten Sie sich hinsetzen, Mr. De Courtney?“
„Mr. De Courtney? Ist das wirklich dein Ernst?“, fragte er eher scharf als überrascht.
„Ich versuche nur höflich zu sein“, gab sie schnippisch zurück.
Wollte er es tatsächlich schwieriger machen, als es ohnehin schon war?
„Warum?“
„Weil meine Mutter mir Manieren beigebracht hat. Sei kein Idiot. Was glaubst du wohl, warum?“
„Keine Ahnung. Deshalb habe ich ja gefragt.“
„Okay, wenn du es genau wissen willst: Weil ich dachte, höflich wäre besser als noch ein Kinnhaken.“ Dabei war das, was sie für Ross empfand, keine Aggression, sondern sehr viel beunruhigender.
Er sah weg und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Wirklich übel könnte ich ihn dir nicht nehmen“, murmelte er. Er klang frustriert und resigniert.
„Wieso sagst du das? Con hätte dich nicht schlagen dürfen. Dazu hatte er kein Recht.“
So verwirrend ihre Gefühle Ross gegenüber auch waren, Mel sah ihn jetzt mit anderen Augen. Unten hatte sie Katie gefragt, ob ihr Bruder ein übler Kerl sei. Sie musste wissen, was seine Schwester von ihm hielt, bevor sie ihm gegenübertrat.
Und Katies Antwort – die Conall ziemlich geärgert hatte, denn für ihn war Ross einfach ein Mistkerl – war sehr vielschichtig gewesen. Wie es schien, hatte zwischen den beiden fünf Jahre lang Funkstille geherrscht, weil Ross gegen Katies erste Ehe gewesen war. Aber sie hatte auch betont, dass er sie damals sofort als seine Schwester anerkannt und teure Privatschulen und das College für sie bezahlt hatte. Und so war Katie einigermaßen überrascht gewesen, als Conall ihr erzählte, dass Ross sich weigere, Mac als seinen Sohn anzuerkennen.
Ross war nach Kildaragh gekommen, um die Hochzeit zu verhindern. Warum, wusste Carmel nicht genau, aber angesichts der Feindseligkeit zwischen ihm und Con nahm sie an, irgendein fehlgeleiteter Beschützerinstinkt hatte ihn dazu veranlasst. Ross hatte keine Ahnung, warum der Bräutigam vor einigen Monaten so aggressiv auf ihn reagiert hatte, es ergab also Sinn.