Urlaub wider Willen - Friederike von Buchner - E-Book

Urlaub wider Willen E-Book

Friederike von Buchner

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Beschreibung

Die beliebte Schriftstellerin Friederike von Buchner hat mit dieser Idee ein Meisterwerk geschaffen: Die Sehnsucht des modernen Großstadtbewohners nach der anderen, der ursprünglichen Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und bodenständiger Natur bildet Kern und Botschaft dieser unvergleichlichen Romanserie. Liebe und Gefühle, nach Heimat und bodenständiger Natur bildet Kern und Botschaft dieser unvergleichlichen Romanserie. Die beiden Freundinnen fielen sich in die Arme. »Schön, dich endlich mal wieder bei mir zu haben, Dorothea! Du bist spät dran. Hatte der Zug mal wieder Verspätung? Komm rein! Kannst deine Koffer hier im Flur abstellen. Ich lege nur noch den Kleinen in sein Bettchen, dann bin ich gleich bei dir!« Dorothea stellte ihren Koffer ab und schlich hinter Sue auf leisen Sohlen ins Kinderzimmer. Sie beobachtete ihre Freundin, wie sie ihr Baby in die Wiege bettete. Sue ist zu beneiden. Sie hat einen Mann und ein Kind, dachte Dorothea. Sanft schob Sue die Freundin aus dem Kinderzimmer und lehnte die Tür an. »Ich hätte dich gerne abgeholt, aber zu dieser Zeit ist Bettzeit für meinen kleinen Sonnenschein. Mutterpflichten gehen vor! Er schläft schlecht ein. Am besten schläft er auf meinem Arm ein. Das ist doch auch nur natürlich, denke ich.« »Die Mutterpflichten müssen schon sein. Siehst großartig aus, Sue.« »Danke, ich fühle mich auch großartig.

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Toni der Hüttenwirt Classic – 1–

Urlaub wider Willen

Wie Anna in die Berge kam

Friederike von Buchner

Die beiden Freundinnen fielen sich in die Arme.

»Schön, dich endlich mal wieder bei mir zu haben, Dorothea! Du bist spät dran. Hatte der Zug mal wieder Verspätung? Komm rein! Kannst deine Koffer hier im Flur abstellen. Ich lege nur noch den Kleinen in sein Bettchen, dann bin ich gleich bei dir!«

Dorothea stellte ihren Koffer ab und schlich hinter Sue auf leisen Sohlen ins Kinderzimmer. Sie beobachtete ihre Freundin, wie sie ihr Baby in die Wiege bettete. Sue ist zu beneiden. Sie hat einen Mann und ein Kind, dachte Dorothea.

Sanft schob Sue die Freundin aus dem Kinderzimmer und lehnte die Tür an.

»Ich hätte dich gerne abgeholt, aber zu dieser Zeit ist Bettzeit für meinen kleinen Sonnenschein. Mutterpflichten gehen vor! Er schläft schlecht ein. Am besten schläft er auf meinem Arm ein. Das ist doch auch nur natürlich, denke ich.«

»Die Mutterpflichten müssen schon sein. Siehst großartig aus, Sue.«

»Danke, ich fühle mich auch großartig. Bin rundherum glücklich und zufrieden. Mein Mann ist ein Schatz und der Kleine ein richtiger Sonnenschein. Doch jetzt sag mal, wie geht es dir?«

Sie setzten sich ins Wohnzimmer. Sue hatte Tee bereitgestellt und goß ein.

»Eigentlich gut! Nein, das wäre gelogen, jedenfalls im Augenblick. Ich Dussel, ich ewige Schusselline, ich habe mein Notizbuch wohl im Zug liegenlassen. Deshalb komme ich auch so spät. Ich war gleich auf dem Fundbüro.«

»Und?«

»Hoffnung konnten die mir wenig machen. Sie wollen mich informieren. Ich habe auch deine Adresse und Telefonnummer angegeben. Ich hoffe, daß du damit einverstanden bist. In diesem Notizbuch stehen alle meine Termine und alle Adressen. Es ist eine einzige Katastrophe, Sue. Da ist meine Zukunft drin. Davon hängt meine Karriere, mein Leben ab.«

Das Telefon läutete. Sue nahm ab und meldete sich. Sie lauschte.

»Oh, das ist aber schön! Warten Sie, ich gebe den Hörer an Frau Zwirner weiter.«

Sue hielt Dorothea den Hörer zu und flüsterte:

»Für dich! Es wurde gefunden.«

Dorothea riß Sue den Hörer aus der Hand. Sue beobachtete sie, wie sie mit dem Mann am anderen Ende sprach. Sue wurde nicht schlau aus dem, was Dorothea sprach. Merkwürdig war auch, daß sie dabei dunkelrot im Gesicht wurde und stotterte. Sie ging zur Bar und holte für Dorothea einen Enzian. Sie hatte das Gefühl, als benötige die Freundin jetzt eine Stärkung. Dorothea schwankte zur Couch und ließ sich in die Polster fallen. Wortlos nahm sie das Glas entgegen und trank.

In Sue stieg allmählich der Verdacht auf, daß der Verlust des Notizbuches die Freundin nicht so aus der Fassung gebracht hatte, sondern ein männliches Wesen.

»Wer ist ER? Also, das Fundbüro ist er schon mal nicht. Soweit konnte ich folgen.«

Dorothea rekelte sich träumerisch auf der Couch.

»Er sieht phantastisch aus. Er ist groß. Er hat breite Schultern und kräftige Arme und Hände. Er hat schwarze, etwas lockige Haare und große, wirklich große, grüne Augen. Augen wie Edelsteine, so strahlend und rein. Er hat lustige Grübchen in den Wangen, wenn er lacht. Du hättest ihn sehen sollen. Er saß im Zug. Er saß die ganze Strecke von Hamburg bis Frankfurt mir genau gegenüber.«

»Hast du mit ihm gesprochen?«

»Wo denkst du hin? Ich habe ihn heimlich in der Spiegelung der Fensterscheibe beobachtet.«

Bei diesem Geständnis färbten sich ihre Wangen rot.

»Hmm! Ich würde sagen, daß du in ihn verliebt bist!«

»Mußt du immer so direkt sein?«

»Dorothea Annabelle!« Wenn die Freundin sie mit beiden Vornamen ansprach, dann wurde es ernst, erinnerte sich Dorothea. »Tatsachen kann man nicht verschweigen. Du zeigst die klassischen Anzeichen von Verliebtheit. Und er hat dein Dings gefunden. Bringt er es dir?« Dorothea nickte. Sue ergänzte. »Hoffentlich gibt er seine Adresse an, sonst ist er schneller aus deinem Leben verschwunden, als er in dein Leben kam. Dorothea Annabelle! Ich habe darauf gewartet, daß es bei dir mal so richtig peng macht!«

»Ich gebe zu, daß mir der Typ gefällt. Aber er paßt nicht zu mir!«

»Ah, also hast du dir auch schon Gedanken gemacht. Warum soll er nicht passen? Hör mal, das ist völliger Unsinn. Wenn sich zwei Menschen ineinander verlieben, dann passen sie auch zusammen. Das hat die Natur einmal so vorgesehen. Du liebst ihn, er liebt dich! Eins und eins macht zwei! Zwei, das ist ein Paar! Fertig!«

»Woher willst du wissen, daß er in mich verliebt ist?«

»Stell dich nicht dumm. Er hätte weiterfahren können. Statt dessen hat er seine Reise unterbrochen. Warum denkst du, daß er nicht zu dir paßt?«

»Sue, ich lebe in einer Großstadt. Ich bin eine erfolgreiche Bankerin. Ich kann ihn mir nicht an meiner Seite vorstellen. Er kommt sicherlich aus einer ganz anderen Welt. Er trug eine braune Wildlederhose und so ein Lodenoberteil. Ich glaube, da sagt man Janker dazu. Er hatte einen Filzhut auf dem Hutbrett liegen. Statt eines Koffers hatte er einen Rucksack, aber keinen modernen. Der Rucksack war aus graugrünem Stoff mit Ledereinfassungen an den Kanten. Eben so ein Ding, wie man es aus der Serie Heidi kennt.«

»Donnerwetter! Du hast ihn dir ja genau angesehen.«

»Ich denke, er lebt in den Bergen. Er spricht auch so. Als der Schaffner kam, wechselte er ein paar Worte mit ihm. Er hatte eine Rückfahrkarte. Also lebt er in den Bergen. So ein Mann geht bestimmt nicht in die Großstadt – und ich kann nicht in die Berge. Berge sind außerdem nicht mein Ding. Also werde ich den Typ vergessen! Fertig! Basta!«

»Nein, das wirst du nicht, Dorothea! Du kannst ihn nicht vergessen, weil du außer deinem Notizbuch noch etwas anderes verloren hast. Du hast dein Herz verloren, Dorothea! Das Notizbuch bekommst du zurück. Dein Herz hat er weiterhin! Gibst du es zu? Du belügst dich selbst! Ich habe deinen Blick gesehen, vorhin im Kinderzimmer. Auch du hast die Sehnsucht nach Mann und Kind, nach Zweisamkeit und Familienglück.«

»Sue, dir kann ich nichts vormachen. Vorhin war ich sogar ein bißchen neidisch auf dich.« Dorothea sah zerknirscht aus. »Aber was soll ich machen? Unser Leben ist so verschieden. Warum muß ich mich ausgerechnet in einen Naturburschen verlieben? Er ist so ein toller Kerl. Ja, es stimmt, Sue! Ich habe mein Herz verloren! Ich komme mir etwas albern vor.«

Dorothea wollte nicht mehr über das Thema sprechen. So fragte sie:

»Wo ist dein Mann, Sue?«

»Der ist mit Freunden auf ein Bierchen. Er meinte, daß wir deinen ersten Abend für uns alleine haben sollten. Er wäre sich doch nur wie das fünfte Rad am Wagen vorgekommen. Doch du lenkst vom Thema ab, Dorothea. Zurück zum Retter deines Notizbuches…«

Es läutete. Sie rannten sofort zur Tür.

Draußen stand ein Fahrradkurier.

»Eine Eilzustellung für eine Frau Dorothea Annabelle Zwirner, zur Zeit bei Familie Haak.«

»Es ist noch alles drin«, bemerkte Dorothea und griff dann zu dem beiliegenden Brief.

Da stand in markanter Handschrift:

Liebe Dorothea Annabelle Zwirner, Sie haben Ihr Notizbuch im Abteil liegenlassen. Ich bin Ihnen noch nachgerannt, doch ich habe Sie leider zwischen den vielen Reisenden nicht mehr gesehen. Ihr Name und Ihre Anschrift standen drin. Ich rief in Hamburg an. Eine wohl ältere Dame mit freundlicher Stimme gab mir die Telefonnummer und Anschrift Ihrer Freundin. Ich hatte noch die Hoffnung, Sie vielleicht auf dem Fundbüro zu treffen. Leider waren Sie schon fort. Der Bahnbedienstete ließ mich aber telefonieren. Damit Sie Ihr Eigentum schnell erhalten, lasse ich es Ihnen mit einem Fahrradkurier bringen. Leider konnte ich nicht selbst der Bote sein, da ich den nächsten Zug nehmen muß! Ich freue mich, daß ich es war, der Ihr Notizbuch finden durfte. Alles Gute für den Urlaub bei Ihrer Freundin.

Antonius Baumberger.

Dorothea hatte den Brief laut vorgelesen. Sue nahm ihn ihr aus der Hand und zitierte.

»Leider konnte ich nicht selbst der Bote sein… Und als Satzzeichen dahinter ein Ausrufezeichen! Oh, oh! Dorothea, Dorothea!«

»Das hat gar nichts zu sagen, Sue.« Dorothea ging in Abwehrstellung.

»Das hat eine Menge zu sagen, meine Liebe. Er hätte das nicht schreiben müssen. Er hätte nicht bei dir daheim anrufen müssen. Er hätte dein Notizbuch auch einfach im Fundbüro abgeben können. Das hätte nicht einmal hier sein müssen. Er hätte es auch in München oder sonst irgendwo tun können.«

Sue schaute Dorothea eindringlich an.

»Dorothea Annabelle! Dieser Mann ist entweder das einzige Weltexemplar an ausgesprochener Höflichkeit und ein Kavalier wie aus einem Märchen oder er ist auch verliebt in dich. Wahrscheinlich trifft beides zu.«

Dorothea sagte träumerisch:

»Antonius Baumberger, ein schöner Name. Der paßt zu ihm. Und Baumberger, das paßt auch. Er ist stark wie ein Baum und lebt auf den Bergen.«

»In den Bergen, Dorothea! Man sagt, die Leute dort leben in den Bergen. Sie steigen auf die Berge. Auf den Bergen kann niemand leben.«

»Schon gut, ich bin keine solche Alpenspezialistin wie du. Du bekommst ja schon leuchtende Augen, wenn du das Wort Berge nur hörst. Ich frage dich ernstlich, was findest du an den Bergen? Sie sind hoch und stehen im Weg rum. Man braucht endlose Serpentinenstraßen, um drüberzukommen oder kilometerlange Tunnel. Und gefährlich sollen sie auch sein.«

»So kann nur jemand reden, der die Berge noch nie erlebt hat. Ich spreche nicht, von nicht gesehen. Das ist etwas anderes. Die Berge muß man erleben. Das kann man schlecht beschreiben. Man muß sie ansehen mit ihren schneebedeckten Gipfeln – erleben, wie die Sonne über ihnen aufgeht – erleben mit allen Sinnen, wie die Abendsonne die Gipfel in flammendes Licht taucht. Klar sind sie gewaltig und groß. Ich würde von majestätisch und erhaben sprechen. Sie sind würdevoll und ewig. Die Aussicht! Unter dem Gipfelkreuz zu sitzen, ist ein ganz besonderes Erlebnis! Worte beschreiben das nur unzulänglich. Das innere Gefühl mußt du erlebt haben, Dorothea. Man ist gleichzeitig der Erde und dem Himmel so nahe!«

»Ich fliege öfter nach Rom, Turin und Mailand. Bei klarem Wetter kann ich dann vom Flugzeug aus die Berge sehen. Zugegeben, im Sonnenschein sind sie ganz schön.«

»Dorothea, das ist nicht dasselbe.«

»Schau mal, Sue! Nehmen wir mal an, daß dieser Antonius Baumberger genauso fühlt, dann ist er unmöglich der Richtige für mich. Ich kann nicht umziehen in die Berge. Was soll ich dort machen? Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, daß mir die Berge gefallen. Er wird sich bei mir nicht wohl fühlen. Da, wo ich wohne, ist die Landschaft ziemlich flach. Eine Wochenendbeziehung will ich nicht führen.«

»Du hast Vorurteile, Dorothea. Du bist nie in den Bergen gewesen. Fahre mal hin und schaue dich um.«

»Das tue ich mir nicht an.« Dorothea gähnte. »Deine Begeisterung werde ich nie teilen, niemals. Du bist meine beste Freundin. Aber bei allem, was mit Bergen zu tun hat, hast du bei mir keine Chance.«

Sue schaute auf die Uhr und lachte.

»Ist schon spät. Ich zeige dir oben das Gästezimmer. In einer Berghütte gibt es unter dem Dach ein Matratzenlager. Der ganze Raum ist mit Polstern und Matratzen ausgelegt. Da legen sich die Bergwanderer einfach nebeneinander hin, schön aufgereiht, Schlafsack an Schlafsack. Und so haben wir unser Gästezimmer auch eingerichtet. Komm, ich zeige es dir. Du hast den ganzen Hüttenboden allein für dich. Einmal kamen alle ehemaligen Klassenkameraden meines Mannes. Zwanzig Leute haben da oben gepennt. Das war ein tolles Wochenende. Wir haben richtigen Hüttenzauber gemacht. Bin gespannt, wie du schlafen wirst. Kannst es ja als Übung betrachten!«

Sue führte Dorothea über die Dachstiege hinauf. Sie knipste das Licht an. Die Schrägen waren mit Holz verschalt. Überall hingen große Poster mit Bergmotiven. Der ganze Raum war mit Matratzen ausgelegt.

»Ich habe dir es etwas komfortabler gemacht, Dorothea.«

Sue wies auf ein Lager mit einem dicken Kissen und einem Federbett. Die Bezüge bestanden aus kariertem Stoff, blauweiß.

Bald lag Dorothea in den Federn. Das große Giebelfenster stand offen. Von draußen wehte der kühle Nachtwind herein. Dorotheas Gedanken kreisten um Antonius Baumberger.

Sie konnte nicht einschlafen. Sie war müde. Gleichzeitig unruhig und auf eine seltsame Weise munter. Wenn sie die Augen schloß, sah sie ihn vor sich. Jetzt hatte er einen Namen, Antonius Baumberger. Welch ein Mann, seufzte Dorothea. Wie anders war er als die männlichen Wesen, die sie kannte. War es vielleicht nur das Exotische, das sie so für ihn einnahm. Dann ertappte sich Dorothea dabei, wie sie ihn mit Dirk glich. In Gedanken stellte sie die beiden nebeneinander. Dirk, der Karrieremensch, der immer makellos angezogen war. In seinen dunkelblauen oder schwarzen Nadelstreifenanzügen sah er um Jahre älter aus als er war. Seine Mimik und Gestik waren immer angemessen. Er verhielt sich kontrolliert in jeder Situation. Er sprach immer in einer nüchternen, abgehobenen Art. Jetzt erinnerte sich Dorothea an seinen Abschiedssatz auf dem Bahnsteig. Er wollte mit ihr über ihre Zukunft sprechen. Das hatte er so nüchtern vorgetragen, als wäre es ein Tagungspunkt auf einer Vorstandsversammlung. So hatte sie es auch aufgenommen. Ja, man würde darüber sprechen. Ein Termin für ihren Kalender, nicht mehr.

Wie hatten sie dagegen die recht belanglosen Sätze von diesem Antonius Baumberger aufgewühlt! Dabei hatte er ihr nur angeboten, ihre Reisetasche zu tragen. Verglich Dorothea die beiden, dann erschien ihr Dirk langweilig und freudlos. Er war eine blasse Erscheinung gegenüber Antonius Baumberger. Noch immer wollte sich Dorothea nicht auf ihre Gefühle einlassen. Sie suchte nach tausend Gründen und Entschuldigungen, warum sich Antonius Baumberger in ihrem Herzen breitgemacht hatte.

Dabei sollte es doch Dirk gehören, oder?

So ging das Stunden. Dorothea wälzte sich lange hin und her, bis sie endlich einschlief. Aber auch im Traum ließ Antonius Baumberger ihr Herz nicht los…

*

Es war später Vormittag, als Dorothea aufwachte. Sie rekelte sich in den Federn und schaute sich um. Der Raum mit den vielen Matratzen vermittelte ihr ein Gefühl der Wärme und Geborgenheit.

Dorothea ging ins Bad. Als sie unter der kalten Dusche stand, mußte sie plötzlich an einen Wasserfall im Gebirge denken. Sie fragte sich, ob das Wasser wirklich so klar und rein und kalt ist. Selbst beim Zähneputzen dachte sie an die Berge. Genauer gesagt, sie fragte sich, was Antonius Baumberger dort machte, wie er lebte. Sie überlegte. Bergsteiger war er sicherlich. Vielleicht war er auch bei der Bergwacht. Ich bin verrückt, dachte Dorothea, daß ich meine Gedanken nicht im Griff habe.

Ein wenig später betrat Dorothea die Küche. Ihre Freundin Sue saß am Küchentisch und stillte ihren kleinen Sohn.

»Na, wie hast du geschlafen?«

»Als ich endlich eingeschlafen war, tief und fest. Und du? Schläft der Kleine durch?«

»Nein, ich stille ihn kurz nach Mitternacht und dann so wieder um fünf Uhr.«

»Da mußt du doch total müde sein.«

»Nein, ich schlafe dann morgens auch so lange, wie er schläft.«

Der Säugling hatte getrunken. Sue ließ ihn jetzt ein Bäuerchen machen. Dann legte sie ihn in das Kinderbettchen und ließ die Tür offen.

»So, jetzt gibt es Kaffee und ein richtiges Frühstück, etwas Deftiges, so wie in den Bergen.«

»Ein Kaffee, schwarz, ohne Zucker und eine Scheibe Toast mit Diätmargarine genügen mir.«

»Davon kann doch niemand existieren! Ruhe jetzt, du ißt jetzt Eier mit Speck. Du brauchst eine kräftige Unterlage für den heutigen Tag. Sonst kippst du mir am Ende doch um!«

»Was hast du mit mir vor? Auf hohe Berge kannst du mich nicht schleppen. Die Alpen sind weit weg.«

Sue schmunzelte.

»Nicht mehr lange!«

»Was heißt das?«

»Erst essen, dann fragen!«

Dorothea wußte noch aus ihrer Schulzeit, wie stur die Freundin sein konnte. Wenn Sue sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann war daran nichts zu ändern. Also fügte sie sich.

»Die Eier mit Speck sind wirklich lecker. So, meine liebe Sue! Ich war ein braves Mädchen. Jetzt will ich wissen, wie du meinen Urlaub verplant hast.«

»Das wird eine Überraschung! Ich habe alles mit meinem Mann besprochen. Er muß ein paar Tage auf Geschäftsreise. Irgend etwas mit einer Talsperre.«

»Mir kommt da ein schrecklicher Gedanke, Sue. Du willst mich doch nicht in die Berge entführen?«

»Ich habe alles schon klargemacht. Wir fahren zusammen in die Berge. Ich liefere dich in einer Pension ab, dann fahre ich weiter und treffe mich mit meinem Mann. In fünf Tagen hole ich dich ab, auf dem Rückweg.«

»Nie und nimmer fahre ich in die Berge!«

»Doch, meine gute Dorothea Annabelle! Wir hatten ein Abkommen. Du kommst, und ich mache die Pläne, was wir so treiben.«

»Aber doch keine Berge. Du weißt doch, daß ich nichts für die Berge übrig habe.«

Sue war schon immer die Anführerin gewesen. Dorothea war nie gegen sie angekommen.

»Und was ist mit dem Baby? Das kannst du doch nicht mit in die Berge nehmen?«

»Ich stille noch voll, also ist für seine Verpflegung auch gesorgt. Sollte die Milch weniger werden, dann bekomme ich in den Bergen bestimmt Ziegenmilch für den Kleinen zum Zufüttern.«

Sprachlos schaute Dorothea Sue mit großen Augen an.

»Schau nicht so! Du wolltest doch drei Wochen Urlaub machen. Jetzt verbringst du ein paar Tage in der Pension in den Bergen und dann sehen wir weiter.«

»Und warum quartierst du mich da alleine ein?«

»Es war sehr schwierig, mit dem Zimmer. Das ist eine schöne Gegend. Einen Bergsee gibt es da auch. Also kannst du auch am Wasser sein, wenn du nicht auf die Berge willst.«

»Will ich sicherlich nicht! Bewahre!«

Dorothea überlegte kurz, dann sprach sie Sue an:

»Ich kann doch hier bleiben und das Haus hüten. Das ist doch eine gute Idee.«

»Nein! Nein, Dorothea Annabelle! Du kommst mit! Dich mußte ich schon immer zu deinem Glück zwingen. Also gleich geht es los. Meine Sachen und die Babysachen sind schon im Kombi. Pack dir ein paar Hosen, Blusen und Pullis ein – und vor allem – flache Schuhe. Den Rest kannst du hierlassen.«

»Flache Schuhe?«

»Sag bloß, daß du keine flachen Schuhe dabeihast!«

»Ich habe elegante Sachen eingepackt und Abendkleider zum Ausgehen. Ich dachte mir, daß wir uns ins Nachtleben stürzen, Sue, wie in alten Zeiten, und uns vergnügen.«