11,99 €
Kaum ein Tag vergeht, ohne dass deutsche Gerichte skandalös anmutende Urteile fällen: Brutale Gewalttäter erhalten lächerlich milde Strafen, Wiederholungstäter entgehen längst fälligen Haftbefehlen, weil die Verfahren viel zu lange dauern, Freiheitsstrafen werden wieder und wieder zur Bewährung ausgesetzt. Das Vertrauen in unsere Justiz schwindet. Skandal- und Fehlurteile sind kein Zufall, sondern systembedingt, sagt Richter Thorsten Schleif. Unser Justizsystem versagt bereits lange vor den eigentlichen Verfahren, bei der Ausbildung und Auswahl seiner Richter. Anhand zahlreicher zum Teil erschreckender Beispiele beschreibt Schleif, wie in Deutschland Richter herangezogen werden, die den Herausforderungen ihres Berufs und unserer Gesellschaft nicht mehr gewachsen sind. Der Zusammenbruch des Rechtsstaates hat bereits begonnen – kann er noch abgewendet werden?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 230
Thorsten Schleif
URTEIL:UNGERECHT
Thorsten Schleif
Ein Richter deckt auf,warum unsere Justiz versagt
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen
Originalausgabe
1. Auflage 2019
© 2019 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Redaktion: Dr. Annalisa Viviani
Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer, München
Umschlagabbildung: Stephan Pick Fotografie, Köln
Satz: bären buchsatz, Berlin
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
eBook: ePubMATIC.com
ISBN Print 978-3-7423-1150-4
ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-0814-3
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-0815-0
Weitere Informationen zum Thema finden Sie unter
www.rivaverlag.de
Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de
Auftakt
Wie alles begann
Das ganze Spektrum
Fehlurteil, Skandalurteil – worüber reden wir eigentlich?
Er war’s! Er war’s!
Ordentliche und unordentliche Richter
Kapitel 1Geiz ist geil? – Gesucht: Richter, schnell und billig
Wer will noch Richter sein? Freiwillige an die Front!
Berufswechsler? Fehlanzeige
Richter »Next Generation«
Deutschland sucht den Superrichter
Richter, was kannst du eigentlich?
Studium der Rechtswissenschaften – nicht praxistauglich
Referendariat – es wird nicht besser
Ohne Waffen in den Kampf
Richtertausch?
»Seid ihr alle da?« – der Richterkindergarten
Schnellkurs: Lügendetektor
Entscheidungsfindung für Fortgeschrittene
Kapitel 2Die dunkle Seite der Macht – die Gerichtsverwaltung
Der Führer lässt grüßen
Kölscher Klüngel
Ein Angebot, das er nicht ablehnen kann …
Die Besten der Besten
Ein schlechter Ersatz für gute Richterleistung?
Der natürliche Feind des Richters
Motivationskiller – Behördenleiter
Schreckgespenst – EdK-Vermerk
Die gemeine Justizkrähe
Kapitel 3Die verlorenen Kinder: Proberichter
Zwei Bier, Schätzchen!
Ein Richter für 3 Euro
Wo du arbeiten willst, sagen wir dir schon!
Kapitel 4Faule Millionäre?
»Mein Name ist Burn-out, Richter Burn-out«
Wann du überlastet bist, bestimme ich!
Ach, der Richter wird pensioniert? Ja, Herr Präsident.
Vetternwirtschaft oder Geschäftsverteilung?
Bloß nicht krank werden!
Let’s talk about money!
Nur noch demoralisierte Frauen?
Was ist mit Überstunden?
Weihnachts- und Urlaubsgeld? Schön wär’s …
Arme Rechtsanwälte
Bestechlichkeit
Von Bienen, Ameisen und Antiquitätenhändlern
Emsige Bienen: Justizbeschäftigte
Fleißige Ameisen: Justizwachtmeister
Ein Traum für Antiquitätenhändler
Kapitel 5So tickt ein Richter
Fleißig oder bequem – oder beides?
Das Richter-Mantra
Ein Hauch von Macht
Kleiner Feigling mit Robe?
Berufskrankheit: Entscheidungsschwäche
Ganz sicher fehlerfrei
Wer hat Angst vor dem schwarzen Mann?
Aus großer Macht folgt große Verantwortung
Angst vor Shitstorm
Nicht denken, sondern »copy and paste«
Ich doch nicht!
Zahnloser Papiertiger: der Deutsche Richterbund
Kapitel 6Skandal- und Fehlurteile sind kein Zufall
Geht es auch schneller, Herr Richter?
Die Schuld der anderen
Fremdwort mit neun Buchstaben: Effizienz
Die Bummelbahn des Rechts: der Instanzenzug
Butterweiche Strafurteile
Andere Länder, andere Sitten …
Folter und Mindeststrafe?
Wer war noch mal das Opfer?
Bewährung: eine Wohltat für den Angeklagten?
Ein bisschen straffrei genügt …
Wohlwollen und Fantasie
Was sollen denn da die Leute denken?
Rabattmarkenvereine: die Berufungskammern
Zivilcourage oder: Das hast du davon!
»Haftbefehl? Muss das sein …«
Dein frustrierter Freund und Helfer
Motivierte Straftäter
Nachklang
Kapitel 7Augen auf, Justitia! Wie soll es weitergehen?
Die Zukunft: Korruption und Lynchjustiz?
Was sich ändern muss
Ausblick
Nachweise
Meinen Eltern
Düsseldorf im September 2007: Ich sitze im Vorzimmer des Präsidenten des Landgerichts Düsseldorf in meinem besten Anzug und mit neuer Krawatte. Peinlich genau habe ich mich an diesem Morgen rasiert und mindestens dreimal meine Schuhe poliert. Kurz gesagt: Ich bin äußerst nervös. Es ist mein erster Arbeitstag als Richter. Der Präsident lässt mich nicht lange warten. Er begrüßt mich offen und warmherzig. So habe ich mir einen Landgerichtspräsidenten vorgestellt: freundlich, offen, humorvoll, ein väterliches Auftreten. Nach ein paar ermunternden Worten begleitet er mich persönlich zu dem Vorsitzenden meiner ersten Kammer. Von ihm werde ich in den nächsten acht Monaten mehr lernen als in vier Jahren Jurastudium und zwei Jahren Referendariat. Auch er begrüßt mich freundlich und zeigt mir mein Büro mit dem Hinweis, dass ich dort sogar Zimmerpflanzen habe. Seinen Sinn für Humor kenne ich noch nicht.
Als ich jedoch mein Büro betrete, sehe ich, was er meint: Durch den morschen Fensterrahmen ist Efeu in den Raum gewachsen, und zwar auf einer Fläche von etwa zwei mal zwei Metern, die Farbe bröckelt an den Mauern herab, es riecht modrig. Die Büromöbel stammen aus den Siebzigerjahren (möglicherweise sogar aus den Sechzigern), sind zerkratzt, weisen an vielen Stellen Kaffeeränder und abgeschlagene Ecken auf, das Linoleum auf dem Boden hat mindestens fünf Löcher von der Größe eines Bierdeckels. Ich habe zwar viel über den schlechten Zustand deutscher Gerichte gelesen, aber die Beschreibungen immer für etwas übertrieben gehalten. An diesem Tag mache ich mir meine erste kleine Notiz und beschließe, irgendwann ein Buch über die Zustände in der Justiz zu schreiben.
Elf Jahre später: Obwohl ich Notizzettel mit kleinen und größeren Anekdoten über Versäumnisse und Missstände der Justiz aufbewahre (zum Leidwesen meiner Frau mehr oder minder ordentlich an verschiedenen Stellen unserer Wohnung), habe ich nie begonnen, ein Buch zu schreiben. Das wird sich aber bald ändern. Und zwar noch heute.
Es ist Montag, und ich leite wie immer an diesem Tag eine Strafrichtersitzung. Im Zuschauerraum hat eine Schulklasse Platz genommen. Das ist nichts Ungewöhnliches. Häufig kommen Schulklassen im Rahmen eines Rechtskundeunterrichtes vorbei und wohnen einer Verhandlung bei. Mir gefällt das Interesse der Schüler, darum beantworte ich in den Sitzungspausen gern ihre Fragen. Eine Schülerin, die ebenfalls Richterin werden will und sich bereits über den Richterberuf informiert hat, stellt eine Frage nach der anderen. Schließlich sprechen wir auch über Ausbildung, Arbeitszeiten und Gehalt. Irgendwann bemerkt sie trocken: »Da läuft bei den Gerichten aber einiges schief!« Ich muss über ihre Offenheit lachen und stimme ihr zu. »Irgendwann möchte ich mal ein Buch dazu schreiben«, erkläre ich ihr. Sie fragt: »Warum tun Sie es nicht einfach? Ich würde es lesen.«
An diesem Abend beginne ich mit der Niederschrift des Buches, das Sie jetzt in den Händen halten. Es enthält Erlebnisse, die ich in mehr als elf Jahren als Richter an einem Landgericht, zwei Amtsgerichten und der Verwaltung eines Oberlandesgerichts gesammelt habe. Aus Gesprächen mit mehr als 1000 Personen: Staatsanwälten, Wachtmeistern und Rechtspflegern, Geschäftsstellenleitern und Richtern, aber auch Rechtsanwälten, Polizeibeamten, Verurteilten und Rechtsschutzsuchenden.
Ich bin mir bewusst, dass in den folgenden Kapiteln viele Dinge angesprochen werden, welche die Justiz ungern in der Öffentlichkeit sieht. Einige Kollegen werden einiges als »Nestbeschmutzung« ansehen und behaupten, das eine oder andere sei gar nicht so schlimm oder jedenfalls zu drastisch dargestellt. Bereits Kurt Tucholsky bemerkte zutreffend: »In Deutschland gilt derjenige, der auf Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als derjenige, der den Schmutz macht.« Die zahlreichen Beispiele in den folgenden Kapiteln haben sich tatsächlich so ereignet. Lediglich die Namen habe ich aus Rücksichtnahme auf meine Kollegen geändert.
Ich danke den vielen Freunden und Kollegen, die mich zum Schreiben dieses Buches ermutigt und mit zahlreichen Ideen und Anregungen unterstützt haben, vor allem meinen Testlesern Thomas, Christian, Udo, Eda, Juliane und Yvonne sowie meinem Kollegen Richter am Amtsgericht, Stephan Zantke, für seinen fachmännischen Rat bei der Suche nach einem geeigneten Verlag.
Ebenso Maximilian Eberhard vom riva Verlag, der mir stets ein tatkräftiger Ansprechpartner war und mich während der gesamten Zeit unterstützt hat, vor allem auch durch die Wahl einer großartigen Lektorin. Bereits nach unserem ersten Treffen war ich überzeugt, Dr. Annalisa Viviani hätte mit ihrem selbstbewussten Auftreten und ihren klaren und deutlichen Worten auch eine beeindruckende Strafrichterin abgegeben.
Ein besonderer Dank gebührt meiner Ehefrau, Freundin und Kollegin, Richterin am Amtsgericht Anne Schleif, die auch noch nach dem tausendsten »Hör doch mal! Kann ich das so schreiben?« geduldig und aufmerksam zuhörte – und niemals mit Kritik sparte.
»Das soll gerecht sein?« Die Frau hatte Tränen in den Augen. »Die schlagen meine Tochter zusammen und brechen ihr die Nase. Eine Woche war sie im Krankenhaus und wurde operiert. Und dafür soll jeder 15 Sozialstunden ableisten. Und so ein Gewalttraining. Die da oben leben doch in einem Elfenbeinturm!« Sie starrte mich an. Wütend, verzweifelt, hilflos. Sie wusste nicht, dass auch ich zu »denen da oben« gehörte. Kein Wunder. Mit verwaschenen Jeans und T-Shirt sah ich kaum so aus, wie man sich einen »ehrwürdigen Richter« vorstellt.
Ich blickte auf die Saaltür, aus der die Frau gekommen war. Dort tagte ein Jugendgericht. Die Frau wischte sich die Tränen von der Wange und stürmte ohne ein weiteres Wort in Richtung Ausgang. Ich kannte den Fall nicht. Vielleicht war das Urteil, das sie so aufgeregt hatte, »vertretbar«, wie es in der Juristensprache heißt. Eines allerdings wusste ich mit Sicherheit: Diese Frau hatte das Vertrauen in die Justiz verloren.
Urteil: ungerecht – Ein Richter deckt auf, warum unsere Justiz versagt – ein wenig reißerisch, oder? Und was heißt überhaupt »versagt«? Versagt unsere Justiz, weil es ihr deutschlandweit nicht (mehr) gelingt, hoch qualifizierte Juristen für den Richterberuf zu gewinnen? Weil sie ihre Richter schlechter ausbildet, besoldet und ausstattet als die meisten anderen Länder Europas? Weil sie Beförderungsämter derart vergibt, dass selbst manche Bananenrepublik neidisch werden könnte? Weil vier von zehn Bürgern nur noch geringes Vertrauen in die deutsche Justiz haben? Ja, bei näherer Betrachtung ist das Wort »versagen« absolut zutreffend.
Das Misstrauen der Bevölkerung in den Staat und seine Gerichte ist so groß wie nie zuvor. Gerichte stehen Kriminellen mitunter ohnmächtig gegenüber. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht von neuen »Skandalurteilen« in den Medien berichtet wird: »19-Jährige tot: Kölner Raser kommen mit Bewährungsstrafe davon«,1 »Empörung über Urteil – Kultureller Rabatt für ›Ehrenmord‹«,2 »Hamburg: Gruppenvergewaltiger kommen frei«,3 »Bilanz der Kölner Silvesternacht: Hunderte Opfer, fast keine Täter«4 – diese Liste ließe sich nahezu endlos fortschreiben. Laut einer aktuellen Umfrage von Focus Online haben 44,9 Prozent der befragten Bürger nur »geringes« oder »sehr geringes« Vertrauen in die deutsche Justiz.5 Die Ereignisse in Chemnitz im Spätsommer 2018 zeigen – und zwar unabhängig von der kontrovers diskutierten Einordnung als Hetzjagd oder Protest – vor allem eins: die Verunsicherung eines beachtlichen Teils der Bevölkerung sowie ihr gesteigertes Misstrauen gegenüber dem Staat und seiner Justiz. Die Erörterung und Untersuchung dieser großen Gefahr ist bei der Diskussion des Geschehens in den Medien in den Hintergrund geraten.
Eine Justiz, der die Bürger nicht (mehr) vertrauen, hat versagt. Verliert der Bürger den Glauben in das Rechtssystem eines Staates, dann verliert der Staat sein Existenzrecht. Das Rechtssystem eines modernen Staates ist wie ein Rückgrat. Wird es gebrochen, ist der Staat dauerhaft gelähmt. Es besteht die große Gefahr, dass der Bürger dann versucht, das Recht selbst in die Hand zu nehmen. Teilweise kommt es bereits zu derartigem Verhalten: Am 15. Juni 2018 rottete sich eine Gruppe Männer zusammen und schlug einen Mann halb tot. Sie hatten einen Bericht im Fernsehen über Pädophile verfolgt und glaubten, den Mann wiedererkannt zu haben. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass es sich nicht um den Mann aus dem Fernsehbericht handelte.
Immer häufiger stoßen Urteile deutscher Gerichte auf wenig Verständnis, oft hinterlassen sie nur ungläubiges Kopfschütteln in der Bevölkerung. Von Fehl- oder Skandalurteilen wird in Fernsehen, Radio und Zeitungen berichtet. Doch was ist überhaupt ein Fehlurteil, und was ist ein Skandalurteil? Eine gesetzliche Definition wird man hierfür vergebens suchen.
Unter einem Fehlurteil wird in der Regel eine strafrechtliche Verurteilung eines Unschuldigen verstanden. Hin und wieder hört man auch die verharmlosende Variante »Justizirrtum«. Klingt netter, nur nicht für den »irrtümlich« Verurteilten. Zu den spektakulärsten Fällen der letzten Jahre zählen wohl der Fall des unschuldig wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilten Biologielehrers H. Arnold und der Fall des zu Unrecht für sechs Jahre in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachten G. Mollath. Fehlurteile sind keine Seltenheit. Richter am Bundesgerichtshof Ralf Eschenbach schätzt, dass jedes vierte Strafurteil ein Fehlurteil sei.6 Und er beschränkt seine Schätzung offensichtlich nicht nur auf die Urteile des Bundesgerichtshofs, sondern bezieht sich auf sämtliche Strafurteile deutscher Gerichte.
In Abgrenzung zu dem Begriff »Fehlurteil« findet das Wort »Skandalurteil« regelmäßig Verwendung, wenn eine Entscheidung zwei Merkmale aufweist:
Erstens handelt es sich fast ausnahmslos um Strafurteile, also um Urteile, die von einem Strafrichter, einem Schöffengericht oder einer Strafkammer beim Landgericht erlassen werden. Nur selten werden Urteile anderer Gerichte, etwa des Verwaltungsgerichts oder des Sozialgerichts, als Skandalurteil bezeichnet.
Zweitens sind es Strafurteile, die als außergewöhnlich milde gegenüber dem Täter empfunden werden. Und zwar so milde, dass sie dem natürlichen Gerechtigkeitsempfinden von Juristen und Nichtjuristen gleichermaßen widersprechen. Es handelt sich um Entscheidungen, bei denen der erste Gedanke ist »Nein, das kann doch nicht sein« und auch fachkundige Juristen erhebliche Schwierigkeiten haben, die Entscheidung im Ergebnis nachzuvollziehen. Diese Reaktion in der Gesellschaft ist verhältnismäßig jung. Während Fehlurteile in dem Sinne, dass ein Unschuldiger strafrechtlich verurteilt wird, in der Justizgeschichte stets und mit Recht zu Empörung in der Bevölkerung geführt haben und zum Gegenstand zahlreicher Zeitungsberichte, Fernsehbeiträge und sogar Spielfilme wurden, ist die gesellschaftliche Ablehnung zu milde empfundener Strafurteile besonders in den letzten fünf bis zehn Jahren verstärkt zu beobachten.
Wenn diese beiden Merkmale – Strafurteile (1), die derart milde sind, dass sie dem natürlichen Gerechtigkeitsempfinden von Laien und Fachleuten gleichermaßen widersprechen (2) – ein Skandalurteil kennzeichnen, dann existieren weit mehr solcher Entscheidungen, als Sie jetzt vielleicht glauben. Von den meisten Skandalurteilen werden Sie nie erfahren. Denn nur in den seltensten Fällen berichten die Massenmedien auch hierüber. Die Fälle, die ich für das Kapitel 7 (»Augen auf, Justitia!«) aus meinem beruflichen Umfeld ausgewählt habe, haben es nicht in die Medien geschafft. Sind sie deshalb weniger »skandalös«? Entscheiden Sie selbst.
Dass ein »Skandalurteil« keine mediale Beachtung findet, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Wirkung dieser vielen von der Öffentlichkeit und den Medien unbeachteten Entscheidungen sogar schwerwiegender ist als die der relativ wenigen »Skandalurteile«, die es in Fernsehen, Zeitung und Radio geschafft haben. Zwar betreffen diese Entscheidungen nur die unmittelbar oder mittelbar an dem jeweiligen Prozess beteiligten Personen – regelmäßig das Opfer sowie Angehörige und Freunde des Opfers –, dafür aber diese Personen aufgrund ihrer persönlichen Nähe um ein Vielfaches intensiver und nachhaltiger als den Zuschauer einer Fernsehsendung oder den Leser einer Zeitung. Beispielsweise hat es der eingangs geschilderte Fall meines Wissens nie auch nur in die Lokalzeitung geschafft. Trotzdem hat die Gerichtsentscheidung das Vertrauen der Mutter des zusammengeschlagenen Mädchens in die Justiz dauerhaft erschüttert, davon bin ich überzeugt.
Die katastrophale Lage des deutschen Rechtssystems haben bereits einige meiner Kollegen in ihren Büchern beschrieben. Im Vordergrund stehen dabei die Problematik einer veränderten Gesellschaft und die Einwirkung von Politik und Regierung auf die dritte Staatsgewalt. Ich widerspreche meinen Kollegen nicht, ihre Kritik ist vollkommen berechtigt. Doch auch die Schuld für die mit sehr viel Zurückhaltung und Wohlwollen immer noch als beschissen zu bezeichnende Situation der Justiz suchen meine Kollegen bei Politik, Regierung und veränderter Gesellschaft. Hierbei übersehen sie jedoch, dass die Richterschaft, und zwar jeder einzelne Richter, an der ganzen Misere eine beachtliche Mitschuld trägt (Achtung: Die Nestbeschmutzung beginnt!). Es ist für einen Richter zwar sehr angenehm, mit dem Finger auf Regierung und Politik zu zeigen, die Schuld für die Situation dort zu suchen. Jedoch ist es die Richterschaft und damit immerhin eine Staatsgewalt, die diese Situation untätig hinnimmt und sich die Behandlung seitens der Regierung bieten lässt. Wem man die Schuld gibt, dem gibt man auch die Macht. Ist unsere dritte Staatsgewalt, sind unsere Richter tatsächlich so machtlos? Auch darauf komme ich noch zu sprechen.
Darüber hinaus darf, wenn wir über Skandalurteile reden, auch bei aller berechtigten Kritik an Politik, Regierung und Gesellschaft nicht vergessen werden: Der Urheber eines Skandalurteils ist und bleibt der Richter. Er ist es, der das Urteil spricht. Nicht die Politik. Nicht die Regierung. Nicht die Gesellschaft. Daher richtet sich das Hauptaugenmerk der folgenden Kapitel auf den Richter als der zentralen Figur der Justiz. So wie die Bilder eines Malers besser zu begreifen sind, wenn man Charakter, Ausbildung und Arbeitsweise des Künstlers kennt, lässt sich ein Urteil besser verstehen, wenn Ausbildung, Einstellung und Arbeitsweise des Richters verstanden werden.
Allzu häufig erklärt Ihnen ein Pressesprecher eines Gerichtes, wenn Sie sich völlig zu Recht über ein Skandalurteil ärgern, Ihnen würden die juristischen Kenntnisse fehlen, um die Entscheidung zu verstehen. Vertrauen Sie weiterhin Ihrem gesunden Menschenverstand und Ihrem natürlichen Rechtsempfinden! Wenn Ihnen Ihr Bauchgefühl sagt, dass ein Strafurteil ungerecht ist, liegen Sie vermutlich richtig.
Nach der Lektüre dieses Buches wird Ihnen bewusst sein,
dass bereits Auswahl, Ausbildung, Ausstattung und dienstliche Beurteilung des Richters mangelhaft sind,
dass die Gewaltenteilung in Deutschland nicht wirklich funktioniert,
dass Richter typische und gefährliche Charaktereigenschaften haben,
dass Skandalurteile kein Zufall sind, sondern Symptom eines kurz vor dem Zusammenbruch stehenden Rechtsstaates und
wie man einen Kollaps des Rechtstaates (noch) abwenden könnte.
Obwohl sich die meisten Ausführungen der folgenden Kapitel ohne Weiteres auf andere Gerichtszweige übertragen lassen, beziehen sie sich auf die sogenannte ordentliche Gerichtsbarkeit. Zu dieser ordentlichen Gerichtsbarkeit gehören mehr als 70 Prozent der insgesamt etwa 20 000 deutschen Richter. Ordentliche Richter sind solche Kollegen, die mit Straf- und Zivilsachen7 befasst sind. Falls Sie sich jetzt fragen: »Wenn es ordentliche Richter gibt, gibt es dann auch unordentliche?«, lautet die Antwort: Ja, die gibt es. Um aber nicht die Gefühle dieser Kollegen zu verletzen, spricht man nicht von unordentlicher, sondern von »außerordentlicher«, bisweilen auch von »besonderer« Gerichtsbarkeit – das klingt viel freundlicher. Zu den außerordentlichen Gerichtsbarkeiten gehören die Arbeitsgerichtsbarkeit, die Verwaltungsgerichtsbarkeit, die Sozialgerichtsbarkeit und die Finanzgerichtsbarkeit. Dort arbeiten die unordentlichen … Verzeihung, ich meine natürlich die »außerordentlichen« Kollegen. Dass diese Richter etwas Besonderes sind, erkennt man auch an ihrer Robe: Während die Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit (wie auch die Staatsanwälte) Schwarz tragen, sind die Richter der außerordentlichen Gerichtsbarkeit um einiges farbenfroher gekleidet und tragen Blau, Violett, Grün oder Rot.
Die Unterscheidung zwischen »ordentlichen« und »außerordentlichen« Richtern stammt aus den feudalen Strukturen des 17. Jahrhunderts, als zwar Zivil- und Strafgerichte mit unabhängigen Richtern (also ordentlich), die Verwaltungsgerichte jedoch mit Verwaltungsbeamten (und damit außerordentlich) besetzt waren.
Noch ein Wort zur Sprachwahl. Ich bin kein Freund der sogenannten geschlechtergerechten Sprache und verzichte daher weitgehend auf Bezeichnungen wie Richter*in, um des flüssigen Lesens willen. Es ist keine Unterschätzung der Bedeutung der Frau in der Richterschaft. Denn eines ist sicher: Auf jeden großartigen Richter, den ich in den vergangenen elf Jahren kennengelernt habe, kommen mindestens zwei großartige Richterinnen.
Kapitel 1
Geiz ist geil? – Gesucht:Richter, schnell und billig
Ich blickte in fassungslose Gesichter. Es dauerte eine Weile, bis einer der jungen Polizeibeamten wieder etwas sagte: »Aber, das ist doch unverantwortlich!« Am Ende eines Vortrags, den ich seit einigen Jahren für junge Polizisten halte, findet stets eine offene Fragerunde statt. So war es auch dieses Mal. Ein Polizeibeamter schilderte, dass er seit seiner Einstellung vor einem Jahr schon fünf Strafrichter erlebt habe, die im Sitzungssaal alles andere als eine gute Figur abgeliefert hätten. Unsicher, hilflos, überfordert. »Woran liegt das?«, wollte er von mir wissen. »Daran, dass Richter schlecht ausgebildet werden«, war meine Antwort. Zunächst gab es Gelächter. Die meisten Zuhörer dachten, ich würde einen Witz machen. Als sie mir jedoch ansahen, dass ich es ernst meinte, wurde es still. »Bitte schätzen Sie einmal«, forderte ich sie auf, »wie lange die Ausbildung eines Richters nach seiner Einstellung ist! Wie lange wird ein Richter auf Zeugenvernehmungen, Aussagepsychologie, Sitzungsleitung, Aktenbearbeitung und so weiter vorbereitet.« – »Nachdem Sie uns ja ›vorgewarnt‹ haben, wahrscheinlich nicht so lange. Ein halbes Jahr?«, fragte einer. »Vier Monate?«, meinte ein anderer. Die anderen nickten zustimmend. »Falsch«, antwortete ich, »es sind neun Tage. Wenn Sie an einem dieser Tage erkrankt sind, können es allerdings auch weniger sein. Neun Tage. Und auch nicht sofort nach der Einstellung. Bei mir hat es damals mehrere Monate gedauert, in denen ich bereits als Richter gearbeitet habe, bevor ich meinen ersten Ausbildungstag hatte.«
Die Richterauswahl in Deutschland ist seit vielen Jahren nicht mehr zufriedenstellend. Die Bewerberzahlen nehmen ab. Richter werden händeringend gesucht. Die Anforderungen sind darum herabgesetzt worden, und die Eignungsprüfung der Bewerber erfolgt oberflächlich. Der Bedarf nach neuen Richtern ist so groß, dass man Kandidaten, die den Anforderungen halbwegs genügen, gar nicht ablehnen kann. Neben eine bestenfalls ausreichende Auswahl der Richter tritt eine ungenügende Ausbildung. Das Studium der Rechtswissenschaften bereitet ebenso wenig auf den Richterberuf vor wie das darauf folgende zweijährige Referendariat. Ob ein junger Richter von seinen Kollegen lernt, ist reine Glückssache. Der Staat vernachlässigt die Richterausbildung aus Kostengründen ganz bewusst. Fehlentscheidungen gerade im Bereich des Strafrechts nimmt er sehenden Auges in Kauf.
Die Befähigung zum Richteramt erwirbt, wer nach rechtswissenschaftlichem Studium und erster Staatsprüfung im Anschluss an einen Vorbereitungsdienst, das Referendariat, die zweite Staatsprüfung erfolgreich abschließt. Grundsätzlich ist damit jeder sogenannte Volljurist, also jemand, der beide juristischen Staatsexamina erfolgreich abgeschlossen hat, zum Richter befähigt. Allerdings findet bei der Besetzung der Richterstellen eine Bestenauslese statt – jedenfalls im Moment noch. Das steht in Einklang mit Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes, wonach jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt hat. Ein wichtiges Auswahlkriterium stellt deshalb nach wie vor die Examensnote dar. Noch gehören Richter zu den besten 20 Prozent der Juristen ihres Abschlussjahrgangs. Noch.
Der Staat ist jedoch nicht der Einzige, der die besten Juristen eines Jahrgangs für sich gewinnen will. In Konkurrenz mit der Justiz als Arbeitgeber für Richter und Staatsanwälte stehen deutsche Anwaltskanzleien. Insbesondere die Großkanzleien. Ebenso wie die Justiz setzen Großkanzleien regelmäßig überdurchschnittliche Examensnoten bei ihren Bewerbern voraus. Dabei stellen sie den Berufsanfängern Jahresgehälter in Aussicht, die der Staat nicht einmal seinen Landgerichtspräsidenten zahlt. Berufsanfänger einer Großkanzlei beziehen gegenwärtig ein Jahreseinkommen von bis zu 140 000 Euro brutto. Das ist mehr als das Jahreseinkommen eines Oberlandesgerichtspräsidenten! Bis vor einigen Jahren konnte die Justiz als Arbeitgeber gegenüber Großkanzleien deshalb lediglich mit der sogenannten Work-Life-Balance punkten. Arbeit und Privatleben – vor allem die Familie – waren im Justizdienst erheblich besser zu vereinbaren als in einer Großkanzlei. Doch auch in diesem Bereich haben die Großkanzleien beeindruckend nachgebessert: durch die Einführung fester Arbeitszeiten, die Möglichkeit von Teilzeitarbeit und die Einrichtung kanzleibetriebener Kindertagesstätten.
Hingegen ist es mit der Familienfreundlichkeit in der Justiz in vielen Fällen nicht mehr weit her. So nehmen einige meiner Kolleginnen täglich eine mehr als vierstündige Bahnfahrt in Kauf, um ihren Richterberuf ausüben zu können. Auch aus solchen Gründen hat die Justiz zunehmend an Attraktivität als Arbeitgeber verloren. In den von mir unterrichteten Arbeitsgemeinschaften für Rechtsreferendare versuche ich stets, geeignete Bewerber für den Justizdienst zu gewinnen. In den letzten Jahren kaum noch mit Erfolg. Vor allem aus zwei Gründen lehnen angesprochene Referendare den Richterberuf für sich ab: die schlechte Bezahlung und die fehlende Flexibilität bei der Wahl des Arbeitsortes.
Deutschlandweit gehen die Bewerberzahlen für den Dienst als Richter und Staatsanwalt in den letzten Jahren zurück. Ganze Einstellungsrunden, in denen geeignete Kandidaten hätten ausgewählt werden sollen, kamen gar nicht erst zustande, da es an Bewerbungen fehlte. Und das, obwohl in den nächsten zehn Jahren vier von zehn Richtern und Staatsanwälten in den Ruhestand gehen werden!
Wird auf die Pensionierungswelle reagiert? Nur scheinbar. »Rechtsstaats-Pakt steht: 2000 neue Staatsanwälte und Richter« titelte die Westdeutsche Allgemeine Zeitung am 31. Januar 2019.8 2000 neue Stellen! Toll! Leider vergaß die WAZ zu erwähnen, dass sich keine Bewerber für diese Stellen finden, noch nicht einmal für die bereits bestehenden Stellen. Aber es klingt schon mal gut: »2000 neue Stellen« geschaffen. Das können Sie auch! Überraschen Sie doch mal Ihre bessere Hälfte und sagen in großzügigem Ton: »Schatz, ich habe lange nachgedacht. Du bist überlastet. Kochen, waschen, staubsaugen, Badezimmer und Fenster putzen. Ich habe drei neue Stellen geschaffen: drei Haushaltshilfen. Die übernehmen das alles und entlasten dich! Die Stellen sind bereits fest im Budget eingeplant. Wir müssen nur noch geeignete Bewerber finden. Die Ausschreibung läuft. Kennst du jemanden, der für 2,50 Euro Stundenlohn arbeitet?«
Selbst eine Million neue Stellen helfen nicht, wenn noch nicht mal die bisher bestehenden Stellen besetzt werden können, weil es an geeigneten Bewerbern fehlt. Statt nunmehr die Bezahlung zu erhöhen, um auf diese Weise mehr qualifizierten Bewerbern einen größeren Anreiz zu bieten, schlagen die Justizministerien einen anderen Weg ein. Nordrhein-Westfalen setzte die Einstellungsvoraussetzungen für Richter herab. Früher war die Zeugnisnote »vollbefriedigend«9 im Zweiten Staatsexamen Voraussetzung für den Eintritt in den Richterdienst – übrigens auch für den Beruf des Staatsanwalts. Juristen, die diese Zeugnisnote erzielen, zählen auch heute noch zu den besten 20 Prozent der Juristen ihres Jahrgangs. Auf diese Qualifikation verzichtete das Justizministerium Nordrhein-Westfalen und setzte die erforderliche Notenstufe schrittweise herab, um mehr Bewerber für den Richterdienst zu gewinnen. Bereits am 18. Februar 2015 berichtete der Direktor des Amtsgerichts Bielefeld, Jens Gnisa, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass im Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm die Einstellungshürde auf ein glattes »Befriedigend« abgesenkt worden sei.10 Das ist eine Absenkung um eine volle Notenstufe.
In den anderen Bundesländern sieht es nicht rosiger aus: In Berlin mussten im Jahr 2008 sogar noch zwei Prädikatsexamina, das heißt in jeder juristischen Staatsprüfung die Note »vollbefriedigend« erzielt werden, um sich für ein Richteramt bewerben zu können. Mittlerweile genügt die Note »befriedigend« in beiden juristischen Staatsprüfungen.11
Auch in Bayern ist seit einigen Jahren in der dort allein maßgeblichen zweiten juristischen Staatsprüfung die Note »vollbefriedigend« nicht mehr erforderlich, um sich für das Richteramt zu bewerben, die Note »befriedigend« genügt.
Trotz dieser deutlich herabgesetzten Anforderungen blieben die erhofften Bewerberströme deutschlandweit aus. Auch Werbeveranstaltungen für Rechtsreferendare, die in Nordrhein-Westfalen seit einiger Zeit Mode geworden sind, haben keinen Erfolg, was nicht zuletzt an den furchtbaren Veranstaltungen selbst liegt. Dort sprechen junge Nachwuchsrichter oder Richter, die in der Gerichtsverwaltung tätig sind, ausschließlich über die Vorteile des Richterberufs. Ich habe mit mindestens 50 Referendaren gesprochen, die auf derartigen Veranstaltungen waren. Sie beschrieben die Vorträge und das Auftreten der Richter als »nicht offen«, »langweilig« und »nicht authentisch«. Mehr ist von diesen Veranstaltungen auch nicht zu erwarten. Es scheint, als erhielten die jungen Nachwuchsrichter ein ausführliches Coaching zu dem, was sie in den Werbeveranstaltungen sagen dürfen, und vor allem dazu, was sie nicht sagen dürfen. Die Richter der Gerichtsverwaltungen sind meist Karrieristen, die nichts sagen würden, was ihre Karriere gefährden würde. Ehrlichkeit darf man deshalb bei diesen Vorträgen nicht erwarten.
Seit kurzer Zeit hängen in nordrhein-westfälischen Großstädten billig gestaltete Werbeplakate für die Justiz mit dem Slogan »Dem Recht verpflichtet sein statt nur dem Chef. Versuchen Sie das mal in einem anderen Beruf.« Mit anderen Worten bedeutet das: Wenn Sie nicht bei der Justiz arbeiten, halten Sie sich nicht an das Gesetz, sondern an das, was Ihnen Ihr Chef sagt. Ein sehr interessantes Menschenbild, das den Erstellern dieses Werbetextes vorschwebt. Wie sieht es mit Ihnen aus? Verhalten Sie sich auch regelmäßig gesetzeswidrig in Ihrem Beruf, wenn Ihr Chef das von Ihnen verlangt? Als Lehrer. Als Schreiner. Als Bäcker. Als Polizist. Wenn ja, dann geben Sie sich einen Ruck und kommen Sie in die Justiz. Denn nur bei der Justiz können Sie ein gesetzestreues Leben führen. Noch ist es für Sie nicht zu spät! Retten Sie Ihre Seele!
Sogar mit einer groß angelegten Werbefilmkampagne versucht das Justizministerium Nordrhein-Westfalen, mehr Mitarbeiter zu gewinnen. Mittlerweile gibt es sogar ein Making-of zu der Produktion dieser Werbespots. Für den Teil der Bevölkerung, dem der Audiokommentar des Regisseurs in Suaheli für die Extended Version der Herr-der-Ringe-Trilogie noch nicht hart genug ist. Sollten Sie also einmal ganz viel Zeit und Langeweile haben und einen guten Grund für einen Selbstmord suchen, schauen Sie auf der Internetseite des Justizministeriums Nordrhein-Westfalen vorbei.