Vampire in den Highlands - Heike Möller - E-Book

Vampire in den Highlands E-Book

Heike Möller

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Beschreibung

Eine 2000 Jahre alte Vampirin macht Jagd auf einer ihrer Art. Dieser Vampir hat einen unschuldigen sterblichen Wanderer in den Highlands bestialisch getötet. Dabei kämpft Rowena noch mit ihrer eigenen Vergangenheit und ein deutscher Tourist bringt sie ständig in Rage. Für alle, die in Fantasy verpackte erotische Liebesgeschichten mögen.

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Heike Möller

Vampire in den Highlands

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

Kapitel 1: Der Bruch

Kapitel 2: Reisevorbereitungen

Kapitel 3: Tapetenwechsel

Kapitel 4: Spurensuche

Kapitel 5: Kommunikationsschwierigkeiten

Kapitel 6: Sonnenwende

Kapitel 7: Erste Erkenntnisse

Kapitel 8: Schlüsselerlebnis

Kapitel 9: Erinnerungen

Kapitel 10: Einfühlungsvermögen

Kapitel 11: Familienbande

Kapitel 12: Beweise

Kapitel 13: Durchsuchung

Kapitel 14: Vorsichtige Annäherung

Kapitel 15: Eine furchtbare Entscheidung

Kapitel 16: Schockzustand

Kapitel 17: Selbsterkenntnisse

Kapitel 18: Rebecca

Kapitel 19: Fort William

Kapitel 20: Kalte Spur

Kapitel 21: Barrieren fallen

Kapitel 22: „Nicht ohne deine Erlaubnis!“

Kapitel 23: Anspannungen

Kapitel 24: Die Wendung

Kapitel 25: Veränderte Verhältnisse

Kapitel 26: Verflechtungen

Kapitel 27: Endspiel

Kapitel 28: Experimente

EPILOG

Impressum neobooks

Prolog

Peter Doghnaty stand schwer atmend auf dem Hügel und sah sich zufrieden lächelnd um. Die raue Landschaft der schottischen Highlands erfreute ihn immer wieder. Schon seit Jahren verbrachte er seinen Urlaub hier. Er lebte gern in Glasgow, arbeitete dort als Arzt in einem Krankenhaus. Aber wenn seine Batterien leer waren – so nannte Peter es immer - dann brauchte er die Ruhe und Abgeschiedenheit in der kargen Landschaft.

In der Ferne erhob sich der Ben Nevis, der höchste Berg Schottlands. Nicht weit davon entfernt lag die Stadt Fort William, eine Touristenhochburg, die Peter mied. Er hatte genug Menschenansammlungen in Glasgow, hier wollte er seine Ruhe haben.

Aber so ganz ohne andere Menschen ging es eben doch nicht.

Er hatte sich in Invergarry, einem idyllischen, geschichtsträchtigen Örtchen am Loch Oich in einem Bed & Breakfast-Hotel eingemietet und machte täglich seine Wanderungen durch die raue Natur, aber abends saß er im gemütlichen Pub und trank sein Ale oder auch mal einen Whisky. Die Einheimischen waren raue, aber herzliche Menschen, die einen Fremden schnell willkommen hießen, wenn dieser sich anpasste. Hingegen hatte Peter einmal beobachten können, wie ein neureicher Lackaffe aus London mit seiner aufgedonnerten weiblichen Begleitung in einem nagelneuen BMW Z4 angefeindet wurde, weil er sich benahm wie ein Kolonialherrscher aus dem 19. Jahrhundert. Hinterher sah der Wagen nicht mehr neu aus und die beiden Engländer erstatteten Anzeige – gegen unbekannt. Denn der ortsansässige Constable, der genau wusste, wer hinter diesem schändlichen Spaß steckte, hob nur bedauernd die Schultern, als der Neureiche wütend mit dem Yard drohte.

Peter musste grinsen, als er an diese Episode dachte.

Ein paar Steine kullerten einen kleinen Abhang hinunter und Peter sah sich um. Ein einsamer Wanderer, so wie er auch, stand einige Meter abseits und schien ihn zu beobachten. Peter, der eigentlich nie Probleme hatte, andere Menschen offen anzusprechen, bekam ein mulmiges Gefühl in der Magengegend.

>Reiß dich zusammen, Doghnaty. <

Er hob die Hand und winkte dem Mann zu. „Hallo!“

Der Mann reagierte nicht, starrte nur weiter zu Peter hinüber. Innerlich zuckte er mit den Schultern und wendete seinen Blick wieder dem Ben Nevis zu.

>Morgen werde ich nach Fort William fahren. Gucke mir in Ruhe die alte Festungsanlage an und werde den Nevis hinauf wandern. Wie schön es doch hier ist. <

Peter nahm einen letzten Schluck aus seiner Wasserflasche, verschloss sie und steckte sie wieder in seinen Rucksack. Dann schulterte er den Rucksack, zog die Gurte fest und schnappte sich seinen Wanderstab. >Zurück zum Gasthof! <

Er drehte sich um und prallte beinahe gegen den Mann. Vor Schreck stieß Peter einen kleinen Schrei aus. „Großer Gott! Sie haben mich fast zu Tode erschreckt, Mann!“

Der Fremde war etwa genauso groß wie Peter selbst. Aber von der Statur eher schmächtig und dürr. Sein Gesicht war blass, die Wangen eingefallen, ungepflegt. Auch die Kleidung wirkte ungepflegt, war zerschlissen und löchrig.

„Ich habe Hunger“, sagte der Mann leise.

Peter wusste nicht warum, aber eine Gänsehaut zog über seinen Rücken und ihm war, als ob sich ein Metallreif um seine Brust legte.

Er hatte Angst. Irrationale und absolut unerklärliche Angst.

Peter schluckte. „Ähm …. Ich habe ein paar Brote in meinem Rucksack. Die gebe ich Ihnen gern.“ Er nahm den Rucksack wieder von seinem Rücken, stellte ihn vor sich hin. Dabei nahm er nicht eine Sekunde seinen Blick von dem seltsamen Mann.

>Himmel, diese Kleidung war vielleicht in den 1980ern modern! Was ist nur mit dem Mann geschehen? <

Peter räusperte sich. „Ich bin Arzt. Sie sehen aus, als ob sie medizinische Hilfe bräuchten.“

Der Mann schüttelte den Kopf. „Ich habe nur Hunger, guter Mann.“

Peter konnte sich nicht des Eindruckes erwehren, dass der Mann einen gefährlichen Unterton angeschlagen hatte. Ein leichtes Knurren lag unter dieser leisen, distanzierten Stimme. Ein Knurren und … Bedauern?

Peter kramte die beiden Brote hervor, die noch übriggeblieben waren, sowie einen Apfel. „Hier. Sind Sie sicher, dass Sie keinen Arzt brauchen?“

Der Mann blickte Peter direkt in die Augen. „Absolut. Und es tut mir leid.“

Peter sah den Fremden irritiert an. Der nahm Peters Brote und den Apfel nicht, ignorierte die Gaben völlig. Dafür sah der Mann ihn hungrig an.

>Oh. Scheiße! <

Die Augen des Mannes hatten sich irgendwie verändert. Waren sie vorher noch von einem wässerigen Blau waren sie jetzt schwarz. Das Weiß wirkte regelrecht blutunterlaufen

„Was wird das hier für eine Nummer, Mister?“ Peter spannte seine Schultern an. Er war gut in Form, ging regelmäßig ins Fitnessstudio und trainierte Karate. So leicht würde er nicht zu überwältigen sein. Außerdem wirkte der Fremde nicht besonders stark.

„Wehre dich nicht. Dann ist es schnell vorüber.“

Die Worte plätscherten langsam in Peters Gehirn, aber so richtig verstand er den Sinn nicht. „Hör mal, mein Freund. Ich kenne dich nicht, weiß also nicht, was das jetzt soll. Lass mich einfach durch, klar?“

Der hagere Mann schüttelte den Kopf, sah Peter sogar beinahe bedauernd an. „Glaube mir, ich tu das nicht gern. Aber ich habe keine Wahl. Ich werde es schnell machen.“

Ohne sichtbaren Ansatz sprang der unheimliche Mann ihn an, streckte die schmalen Hände nach dessen Hals aus. Peter reagierte einfach. Er sprang zur Seite und riss seinen linken Ellenbogen hoch. Der krachte in das Gesicht des Fremden und es gab ein unschönes Geräusch, als die Nase brach. Peter hob seinen Wanderstab hoch, nahm ihn in beide Hände und stellte sich seinem Angreifer entgegen. So leicht würde er es dem Typen nicht machen.

Der Fremde war offensichtlich zusammengebrochen, denn er hockte auf einem Knie, das andere war angewinkelt. Mit einer Hand stützte er sich auf den Boden ab, mit der anderen betastete er seine Nase.

„Lass weitere Manöver, Mann!“, warnte Peter den Fremden. „Ich weiß mich zu wehren. Hau ab!“

Der Fremde erhob sich langsam, streckte seine Schultern. „Du hättest das nicht tun sollen, mein Freund.“

Peter schluckte. Die Stimme war eiskalt, grausam. Der Fremde drehte sich zu ihm um, sah ihm in die Augen und fletschte die Zähne.

Peter erstarrte. Der Fremde hatte kein Gesicht mehr, sondern eine blutverschmierte Fratze. Die Augen waren jetzt eine einzige schwarze Fläche. Kein Weiß, keine anderen Pigmente, nur eine glänzende schwarze Fläche.

Aus dem Mund ragten vier gewaltige Zähne weit über die Unterlippe hinaus. Es waren die Eckzähne und die sich daneben befindlichen Schneidezähne. Sie wirkten höllisch spitz und scharf!

Der Fremde schlug Peter mit einer einzigen, kaum sichtbaren Bewegung den Wanderstab aus den Händen, brach ihm dabei das rechte Handgelenk. Peter schrie vor Schmerz und Überraschung auf, stolperte rückwärts, fiel über einen Stein und blieb auf dem kargen Boden der Highlands liegen. Mit weit aufgerissenen Augen sah er panisch in das verzerrte Gesicht.

„Ich wollte dir einen schnellen Tod gewähren, aber du hättest dich nicht wehren sollen. Nun leide!“

Der Fremde sprang Peter an, begrub ihn unter seinem Körper und verbiss sich in dessen Wange.

Peter Doghnaty schrie und schrie, aber niemand war in der Nähe, um ihm zu helfen. Seine Schreie hallten über die Berge und Täler der Highlands, bis sie irgendwann erstarben.

Kapitel 1: Der Bruch

Rowena Mc Dougall lag in den Armen ihres Exmannes Tristan Kadian und lächelte in der Dunkelheit zur Decke ihres Schlafzimmers empor. Er hatte einen Arm um ihre Schulter gelegt und mit den Fingern der anderen Hand streichelte er den Arm, der auf seiner Brust lag. Rowena genoss die Momente nach dem Sex mit Tristan. Er gab ihr Ruhe und Kraft, indem er einfach nur an ihrer Seite war. Schnurrend wie eine Katze drehte sie sich in seinen Armen und liebkoste seine nackte Brust mit ihren Lippen.

„Willst du eine Verlängerung?“, fragte er amüsiert. Sein wundervoller Bass schickte kleine Vibrationen durch seinen Körper, übertrug die Schwingungen auf sie.

„Nein“, erwiderte sie träge. „Ich genieße es nur, deinen perfekten Körper anzusehen und zu streicheln.“

Tristan grunzte etwas, vergrub dann seine Finger in ihrem honigblonden Haar und zog sie zu sich hoch. Mit einer zärtlichen Leidenschaft presste er seine Lippen auf ihren Mund, küsste sie lange und innig.

Mozarts Kleine Nachtmusik erklang aus dem Handy auf Rowenas Nachttisch.

„Wer stört zu so später Stunde?“, fragte Tristan zwischen zwei Küssen, ließ sie aber nicht los.

„Ich sollte ran gehen“, nuschelte Rowena und versuchte sich, von Tristan wegzudrücken Aber er hielt sie fest, dachte nicht im Traum daran, sie jetzt loszulassen. Schwungvoll drehte er sie auf den Rücken, schob sich auf ihren kleinen, zierlichen Körper und drückte mit seinem Knie ihre Beine auseinander.

„Tris! Es könnte wichtig sein!“

Das Klingeln hörte auf und Tristan stieß ein kleines, triumphierendes Lachen aus. „Wenn es wichtig ist, wird derjenige es noch einmal versuchen, Liebling.“

Rowena zuckte kurz zusammen. So hatte Tristan sie während ihrer Ehe genannt. Und die war vor etwas über einhundert Jahren geschieden worden.

1409 hatten sich Rowena Mc Dougall und Tristan Kadian in Marseille getroffen, ineinander verliebt und gleich am nächsten Tag geheiratet. Es war eine leidenschaftliche Ehe gewesen, geprägt von heftigem Sex und hitzigen Diskussionen. Tristan zog es immer wieder auf das Schlachtfeld. Er war nun mal ein Krieger, war es immer gewesen.

Rowena bemühte sich in jeder Epoche die medizinischen Fortschritte zu erlernen, die die Sterblichen entwickelten. Dabei musste sie gerade als Frau sehr darauf aufpassen, dass sie nicht auffiel. Also arbeitete sie oft zur Tarnung als Nonne oder Schankmädchen.

1715 trennten sie sich endgültig. Das Auf und Ab in ihrer Ehe zermürbte sie beide und man beschloss, sich eine Auszeit zu gönnen. Hin und wieder trafen sie sich, oft eher zufällig. Sie fielen in neu entfachter Leidenschaft übereinander her und stellten nach wenigen Monaten fest, dass ihr eigentliches Problem nach wie vor bestand: sie konnten nicht zusammenleben.

1901 schließlich ließen sie sich in Genf durch das Konzil scheiden. Zehn Jahre später trafen sie sich noch einmal und fielen wieder übereinander her.

Aber Rowena verschwand damals, hinterließ Tristan nur einen kleinen Zettel.

`Ich werde dich immer lieben, aber was tun wir uns an? Verzeih. Es ist besser so. Ro´

Nun waren einhundert Jahre vergangen. Durch Zufall trafen sie wieder aufeinander, als Jannik Cerný sie und Tristan um Hilfe bat. Das war jetzt drei Monate her und als ob keine einhundert Jahre dazwischen gelegen hätten entflammte ihre Leidenschaft füreinander von Neuem.

Und doch war es diesmal anders!

Tristan suchte ständig ihre Nähe, vor allem nachdem sie vor dem `Psycho´, eine Diskothek in Berlin, fast getötet worden waren. Er führte sie ins Kino aus, sie besuchten Theater- und Musicalvorstellungen, gingen in Museen oder machten lange Spaziergänge.

Tristan schien süchtig nach ihr geworden zu sein.

>Hat er sich etwa wirklich neu in mich verliebt? < Rowena hatte Angst, dass das der Fall sein könnte.

„Stopp, Tris!“, sagte sie leise.

Goldene Augen sahen in violette und ein irritierter Ausdruck machte sich auf seinem Gesicht breit. Er war erregt, seine Haut schien zu glühen und sein Atem kam stoßweise.

„Wir müssen reden.“

Tristan hielt vor Schreck die Luft an, dann setzte sich ein schmerzhafter Ausdruck auf sein Gesicht. „Tu mir das nicht an, Ro!“, bat er heiser.

Rowena kannte den Gesichtsausdruck. Ihre Befürchtungen bewahrheiteten sich.

„Tristan, geh bitte von mir runter.“ Ihre Stimme war leise und ruhig und sie sah ihm fest in die Augen.

Er presste seine Lippen aufeinander und rollte sich von Rowena runter. Dann setzte er sich in eine Ecke des großen Bettes und deckte seine Blöße zu. Mit offenem Mund und gerunzelter Stirn sah Tristan seine Exfrau an.

„Tristan, hast du mich gerade `Liebling´ genannt?“

Er schluckte, dann nickte er stumm.

Rowena setzte sich auch auf, raffte ein Kissen vor ihrer Brust und rieb sich erschöpft die Stirn. Das tat sie immer, wenn sie vor einer schier ausweglosen Situation zu stehen schien.

„Hast du dich … in mich verliebt?“

Tristan sah sie verletzt an. „Ob ich …? Ro, ich habe nie aufgehört, dich zu lieben!“

>Scheiße! < Rowena holte lange und tief Luft, dann schüttelte sie den Kopf. „Tris, das geht nicht gut zwischen uns. Und das weißt du!“

Er schüttelte trotzig den Kopf, seine langen, dunkelblonden Haare umspielten die nackten, kräftigen Schultern. „Es ist dieses Mal anders, Ro. Das spüre ich. Bitte, gib´ uns noch einmal eine Chance!“

Rowena sah in die Augen, die ihr so vertraut waren. Ja, sie liebte Tristan auch, aber sie war einfach nicht fähig, mit ihm eine gemeinsame Zukunft zu planen, zu führen. Bedauernd schüttelte sie den Kopf. „Tris, es tut …“

„Nein, Rona! Nein! Sag das nicht, verstanden?“ Seine Augen blitzten jetzt dunkelgrün auf. Es war ihm verdammt ernst. „Als wir uns bei Jannik trafen, vor drei Monaten, da war es Bestimmung. Fast hundert Jahre habe ich versucht, dich aus meinem Kopf, aus meinem Herzen zu verbannen Aber ich habe es nicht geschafft. Ich habe dich dasitzen sehen und alles, was ich mir zurechtgelegt hatte, wenn ich dir jemals wieder begegnen sollte, war weg. Einfach weg.“

Rowena schluckte hart. Es tat ihr weh, Tristan so leiden zu sehen, aber es änderte nichts an ihrem Entschluss. „Tristan, es ist besser, wenn wir es hier und jetzt beenden. Endgültig!“

Der Laut, den der große, kämpferische Mann von sich gab, brach ihr das Herz und sie wusste, dass der Bruch dieses Mal wirklich für immer war.

„Warum? Ist es, weil ich dir nicht genug bin?“

Rowena sah ihn fragend an. „Ich verstehe nicht!“

Ein bitteres Lachen prallte ihr entgegen. „Glaubst du, ich habe Stavros nicht an dir gerochen?“

Rowena vergaß zu atmen. Ihr Denken setzte einen Moment aus.

„Ich weiß ja, dass du frisches Blut brauchst. Dass du nicht nur auf die Blutkonserven zurückgreifen kannst. Und es ist auch okay, dass der Junge dich von sich trinken lässt. Aber musstest du gleich mit deinem Essen schlafen?“

„Was?“ Die Formulierung traf Rowena wie ein Faustschlag in den Magen.

„Ich kann sehr wohl die unterschiedlichen Gerüche bestimmen. Blut und Sperma, Rowena.“ Tristan hatte jetzt fast schwarze Augen. Nichts war mehr in diesem Blick, was auch nur annähernd liebevoll war.

„Es ist einfach passiert, Tris. Große Mutter! Als ob du tugendhaft wärst!“

„Frage mich!“, knurrte er.

„Wie bitte?“ Rowena verstand wirklich nicht, worauf er hinauswollte. Er hatte seinen Geist, seine Gedanken vor ihr verschlossen. Und selbst wenn er es nicht hätte so würde sie nicht so einfach in seine Gedanken schlüpfen. Das hatte sie schon damals nicht getan.

„Frage mich, mit wie vielen Frauen ich geschlafen habe, seitdem wir vor genau 600 Jahren, auf den Tag genau, geheiratet haben.“ Tristans Stimme war eiskalt, ein grausamer Zug hatte sich um seine Lippen gelegt.

600 Jahre? Heute? Heute war der Hochzeitstag?

„Ich habe vergessen, dass wir …“

„Ich nicht!“, brüllte er, schoss quer über das Bett und packte sie an den Armen. „Frage endlich!“

„Wie viele?“, schrie sie ihn an.

„Keine … einzige“, zischte er und öffnete seinen Geist, ließ sämtliche Barrieren fallen.

Rowena sah seine Erinnerungen, fühlte seine Gefühle. Die guten wie die schlechten. Aber die Liebe zu ihr übertraf alles andere, sogar den Hass gegenüber Darius, Tristans Schöpfer.

„Nein“, hauchte sie und die Erkenntnis raubte ihr den Atem. „Es tut mir leid, Tristan. Ich … ich hatte ja keine Ahnung, dass …“

Wie ein verwundetes Tier schrie er kurz auf, entzog sich schnell ihrem Geist und ihrem Körper. Schluchzend stand er auf und begann, sich anzuziehen.

Rowena starrte geschockt zur Zimmerdecke hinauf. „Tristan, bitte. Verzeih mir. Ich wollte dir n …“

„Vergiss es einfach, Rowena.“ Er klang erschöpft. „Mach´ dir keine Sorgen wegen Stavros. Ich mache ihm keinen Vorwurf. Er hat von mir nichts zu befürchten.“

Rowena tastete nach ihrem Morgenrock und zog ihn sich umständlich über.

„Ich möchte nur eins wissen, in Ordnung?“ Sein verletzter Blick traf auf violette, panisch aufgerissene Augen.

„Was?“ Sie hatte beinahe Angst, zu Fragen.

„Als wir verheiratet waren, und noch nicht getrennt, hast du da mit anderen Männern geschlafen, wenn ich auf dem Schlachtfeld war?“

Nach all den Jahrhunderten überraschte sie die Frage jetzt. „Tristan, ich musste mich nähren, das weißt du!“

Er erstarrte. „Ich auch, Rowena! Aber ich habe mich nur genährt. Ohne Sex. Das geht nämlich, weißt du!“

Rowena merkte, wie sie vor Scham errötete. Noch nie hatte sie sich Gedanken über ihre ausgeprägte Libido gemacht. Warum auch? Schließlich erinnerten sich die meisten Männer hinterher nicht einmal an eine Nacht mit ihr. Außerdem entspannte es sowohl die Männer als auch sie selbst, während sie von ihnen trank.

„Das ist nicht fair, Tristan“, warf sie ihm vor.

Tristan lachte erneut bitter auf. „Nicht fair? Ich habe dir vertraut, Rowena. Ich habe dich in deinen Bemühungen, die Medizin der Sterblichen zu studieren unterstützt. Ich habe dich überall hinbegleitet, damit du die Religionen der Welt erforschen konntest um aus ihnen neue Kräfte zu ziehen. Dann schlage ich irgendwo eine Schlacht, bin nur ein paar Wochen oder Monate von dir getrennt, und du fickst andere Männer! Und ich bin nicht fair?“

Rowena war inzwischen aufgestanden, starrte über dreißig Zentimeter nach oben um Tristan in die Augen zu blicken. Ohne erkennbaren Ansatz verpasste sie ihm eine schallende Ohrfeige.

Wäre Tristan sterblich, hätte er jetzt eine Gehirnerschütterung davongetragen, so heftig war der Schlag. Sein Kopf wurde nach hinten gerissen und er taumelte kurz. Allerdings mehr vor Überraschung als vor Schmerz. Ungläubig suchte er ihren Blick. Ein kleiner Blutfaden lief über seinem linken Mundwinkel.

Rowena war über sich selbst erschrocken. In all den Jahrhunderten hatte sie ihn noch nie geschlagen. Und Tristan hatte Rowena nie geschlagen, egal, wie heftig sie sich auch gestritten hatten.

„Tris, es tut …“

„Hör auf, das zu sagen.“ Seine Stimme klang hohl, sein Blick war leer. „Geh´ lieber ans Telefon.“

Ohne ein weiteres Wort schnappte er sich seine Schuhe, drehte sich um und verließ fluchtartig Rowenas Eigentumswohnung im Berliner Stadtteil Zehlendorf.

Rowena konnte nicht so ganz begreifen, was da gerade geschehen war. >Ich habe ihn verloren. Endgültig! Aus. <

Mozarts Kleine Nachtmusik holte sie in die Realität zurück. Tief durchatmend ging sie zum Nachttisch und nahm das Handy.

„Ja!“ Ihre Hand tat durch den Schlag etwas weh, aber das würde nach ein paar Minuten wieder nachlassen. Der Schmerz in ihrem Herzen würde bleiben.

„Herrin, hier ist Brian.“

Für einen Moment setzte Rowenas Herzschlag aus, dann zwang sie sich, ruhig weiter zu atmen.

„Hallo, Brian. Auch wenn der Anlass vermutlich weniger schön ist, ist es aber schön, deine Stimme zu hören, mein Freund.“

„Ja, Herrin.“ Die knarzige Männerstimme mit dem starken, schottischen Akzent kratzte wie eine Erinnerung in ihrem Ohr.

„Was ist geschehen?“

„Es gab einen Toten.“

Rowena atmete hörbar scharf ein. Das in ihrer Heimat Menschen starben war nicht ungewöhnlich. Deswegen rief Brian Conelly auch nicht an. Selbst wenn der Verstorbene ein guter Freund oder nur ein Bekannter gewesen sein sollte.

Außerdem lag etwas in der Stimme des Mannes, das Rowena alarmierte. „Ein Einheimischer?“

„Nein. Ein Tourist aus Glasgow. Er kam ein bis zweimal im Jahr hierher. Wanderte, angelte, trank Bier und Whisky. Netter Mann. Ein Arzt.“

„Familie?“

Der Mann am anderen Ende seufzte leise. „Geschieden, zwei Töchter. Wohnen bei der Mutter. Trotzdem sind die Hinterbliebenen erschüttert.“

Rowena setzte sich wieder auf ihr Bett, strich sich nervös über ihre Stirn. „Was ist genau passiert?“

„Er wurde gerissen, Herrin. Zerfleischt. Ausgeweidet. Beinahe leer getrunken.“

Rowena konnte den zischenden Laut nicht unterdrücken, der ihre Lippen verließ.

>Ein Wilder. Das ist nicht gut. <

„Ich verstehe, Brian. Ich muss noch hier in Berlin ein paar Kleinigkeiten regeln, bin dann in etwa zwei bis drei Tagen zu Hause.“

„Ja, Herrin. Ich werde dein Haus für dich herrichten und die Sonderlieferung in Empfang nehmen.“

Rowena lächelte freudlos. „Danke, Brian. Du bist ein wahrer Freund. Ach, sage den anderen Bescheid, dass sie die Augen nach Fremden aufhalten sollen. Solche, die sich merkwürdig verhalten, komisch aussehen und Einzelgänger sind. Solche, die Menschenansammlungen meiden. Aber keine Aktionen, bis ich da bin. Ich will mir selbst ein Bild machen, in Ordnung?“

„Ja, Herrin. Scott Palatin, unser Inspektor, hat von dem Autopsiebericht und den Fotos Kopien gemacht und für dich in Sicherheit gebracht.“

„Sehr gut. Hast du die Leiche gesehen?“

Brian zögerte einen Moment. „Ja, Herrin.“

„Dein Eindruck?“

Wieder zögerte der Mann, dann seufzte er leise. „Verzeih, aber ich glaube, es war jemand von deiner Art, Herrin.“

Rowena lächelte, obwohl der alte Mann das nicht sehen konnte. „Brian, du musst dich nicht entschuldigen. Ich bin auch schon längst zu dieser Erkenntnis gelangt. Leider gibt es auch bei uns einige, die gegen Gesetze verstoßen. Aber ich finde den Mörder. Und dann kehrt am Loch Oich wieder Ruhe ein. Versprochen.“

„Ich weiß, Herrin. Du beschützt uns. Nach all den Jahren wachst du noch immer über uns.“

„Ihr seid meine Familie, meine Nachkommen. Mein Herzschlag.“

Der alte Mann am anderen Ende räusperte sich leicht. „Also dann in spätestens drei Tagen.“

„Ja, Brian. Ich werde kommen.“

Kapitel 2: Reisevorbereitungen

Rowena parkte ihren Smart in der Straße, in der die Tanzschule von Tobias Kerner lag. Sie hoffte, dass er es ihr nicht krummnahm, wenn sie unangemeldet erscheinen würde, aber sie musste mit ihm reden. Sie brauchte jetzt jemanden, dem sie vertrauen konnte, der ihr zuhören würde. Schließlich verband sie und Tobias sehr viel, quasi eine gemeinsame Vergangenheit.

>Warum mache ich mir eigentlich was vor? Ich möchte mit ihm reden, weil ich jemanden zum Reden brauche! Punkt. <

Rowena wollte gerade aussteigen, als die schwere Eingangstür des Hauses von innen geöffnet wurde. Eine junge, nicht besonders große Frau mit braunen Haaren und Brille verließ das Haus, Tobias stand direkt hinter ihr im Hauseingang. Sie unterhielten sich noch kurz, lächelten sich zu. Dann drehte sich die Frau um und Tobias sah ihr hinterher.

Neugierig schlüpfte Rowena in den Kopf des Mannes. >Ich mag Hanna. Aber mehr darf es einfach nie sein! <

Rowena runzelte die Stirn. Dann schüttelte sie die dunklen Gedanken beiseite und sendete Tobias eine Botschaft. >Tobi! Ich bin´s. Rona. Hast du Zeit? <

Tobias stand stocksteif da, sah sich verblüfft um. Dann sah er, wie Rowena Mc Dougall aus dem Smart stieg und ihm zuwinkte. Er lachte leicht und winkte die blonde Frau zu sich.

„Hallo, Tobi!“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Dabei wurde ihr wieder schmerzhaft bewusst, wie ähnlich er und Tristan sich sahen. Die gleichen Gesichtszüge, die grünbraunen Augen, die dunkelblonden Haare mit der hohen Stirn.

Und doch waren sie so verschieden.

Tobias war meistens eher schwermütig, beinahe depressiv, während Tristan einfach nur düster wirkte. Rowena mochte Tobias von ganzem Herzen, aber sie hatte kein Interesse an ihm. Was für ihre Verhältnisse außergewöhnlich war. Nach dem gestrigen Streit mit Tristan waren ihre Interessen ohnehin in den Keller gerutscht, nach ganz tief unten.

„Was ist los, Rona?“

„Ich muss mit jemanden reden, Tobi“, gestand sie ihm. „Und du bist nach Tristan und Jan der Einzige, dem ich so ziemlich hundertprozentig vertraue.“

Tobias runzelte kurz die Augenbrauen, nickte aber. „Komm rein. Du kennst dich ja aus.“

Rowena war schon einmal hier gewesen. Damals war Jannik Cerný von den `Kriegern des Reinen Glaubens´ entführt und durch Dimítrios Kapodistrias gefoltert worden Tobias Kerner hatte im Schlaf eine Vision der Entführung und der ersten Folterungen gehabt und Tristan alarmiert. Daraufhin waren Tristan und Rowena sofort zu Tobias gefahren, hatten alles erfahren und sämtliche Vampire Berlins und Brandenburgs in Alarmbereitschaft gesetzt. Benjamin Goldstern war aus dem Ruhrpott dazu gestoßen und Adolar Cerný kam mit seiner jungen Frau Nicole und zwei Freunden, die dort gerade aus geschäftlichen Gründen im Lande waren, aus Tschechien angereist.

Rowena betrat die Wohnung des jungen Vampirs und sah sich um. Damals hatte sie aufgrund der Notlage keinen Blick für die Wohnung gehabt. Der Eingangsbereich war in einem mediterranen Stil gehalten, die Auslegeware hochwertig und flauschig. Rowena zog sich ihre Schuhe aus und folgte Tobias in das riesige Wohnzimmer, das von einer Sofalandschaft beherrscht wurde. Stuckarbeiten an den Decken der hohen Altbauwohnung waren farblich herausgearbeitet worden. Tobias hatte keine Schrankwand, sondern offene Regale mit Fernseher, Bücher, CDs und DVDs, sowie einige Accessoires.

„Dein Stil gefällt mir. Männlich sparsam und doch wohnlich.“

Tobias lachte leise. „Vielen Dank, Rona. Kann ich dir was anbieten?“

Rowena merkte, dass sie ein wenig Hunger hatte. „Hast du zufällig AB im Haus?“

„Ich sehe mal nach.“

Tobias verschwand und Rowena betrachtete die Bücher in Tobis Regal. Dort stand eine Fantasy-Reihe und sie nahm den ersten Band heraus.

>Thure reist zwischen der hiesigen Welt und Vilgard, einem Reich voller magischer Geschöpfe hin und her. <

Verblüfft starrte Rowena auf das Buch, suchte den Namen des Autors. >Thorben Wieland. Kenne ich nicht. <

„Ich war damals genauso überrascht, als ich das Buch entdeckt habe.“

Rowena starrte Tobias mit offenem Mund an. „Wie kann das sein?“

Tobias machte eine einladende Geste auf die Sofalandschaft und reichte Rowena ein Glas mit einer dickflüssigen, dunkelroten Flüssigkeit. Er selbst hatte ebenfalls ein Glas mit Blut in der Hand. „AB Negativ. Deine Lieblingssorte.“

Rowenas Augen gingen auf Halbmast. „Du bist ein Schatz, Tobi.“

Sie stellte das Buch wieder in das Regal, nahm ihm das Glas ab und setzte sich auf das Sofa. Dabei schlug sie die Beine unter, lümmelte sich in die weichen Kissen.

„Ich habe diesen Thorben Wieland mal besucht. Er hat keine Erinnerung mehr an mich, aber ich musste wissen, warum er etwas über Vilgard weiß.“

„Und?“ Rowena nippte an dem kühlen Lebenssaft.

„Er hat ein Cottage in der Nähe von Flensburg. Schon in vierter oder fünfter Generation Das Cottage ist um ein Tor herum gebaut worden. Von Generation zu Generation wird das Geheimnis bewahrt und weitergegeben. Wieland war schon öfter in Vilgard, schreibt seine Erlebnisse stark ausgeschmückt als Romane nieder und verkauft sie sehr erfolgreich. Ein Hoch auf die Fantasy-Leseratten der Welt!“

Rowena zog ihre Brauen hoch. „Hoffentlich nimmt niemand diese Geschichten für bare Münze.“

„Ja. Hoffentlich. Inzwischen ist er verstorben und seine Tochter hat wohl sein Erbe angetreten. Soviel ich weiß kennen Jan und Adolar diese Tochter. Und Addis Frau. Aber du bist nicht deswegen hier, nicht wahr?“ Tobias sah sie durchdringend über sein Glas hinweg an.

Rowena seufzte, nahm noch einen Schluck und sah Tobias unsicher an. „Hat Tris sich bei dir gemeldet?“

Verblüfft sah der junge Vampir die Frau an. „Das letzte Mal vor etwa einer Woche. Wieso?“

„Wir … hatten gestern einen furchtbaren Streit. So schlimm, wie noch nie in den letzten 600 Jahren. Er ist dann gegangen. Ich habe gehofft, er meldet sich bei dir.“

Sie rieb sich fahrig über die Stirn. An der Geste erkannte Tobias, dass die Situation richtig ernst war. „Erzähl mir alles, Rona. Von Anfang an.“

Rowena begann langsam und zögernd zu berichten, was sich zugetragen hatte. Sie ließ nichts aus, auch nicht, dass sie Tristan gestand ihm untreu gewesen zu sein.

„Das Ding ist einfach, dass ich es bisher nicht als Untreue empfunden habe, Tobi. Ich meine, ich liebe Tristan wirklich, auch heute noch. Es war doch nur Sex. Sex, der meine Spender locker machen sollte. Und er war immer einvernehmlich. Und ich dachte, dass er, wenn er auf dem Schlachtfeld war, sich ebenfalls vergnügte.“

Tobias ließ ein ungläubiges Schnauben hören. „Ihr habt nie darüber gesprochen, was der eine ohne den anderen gemacht hatte? Niemals?“

„Nein.“ Rowena ertappte sich dabei, dass sie kleinlaut klang. Das ärgerte sie etwas.

„Wow. Heutzutage findet das glatte Gegenteil statt.“

Irritiert sah sie in das grinsende Gesicht des Mannes. „Wie meinst du das?“

„Na ja, heute wird doch alles zerredet. Jedes Staubkorn wird ausdiskutiert. Das heißt nicht, dass ich euer Schweigen gutheiße. Das ist schon extrem, wie ihr beide euch verhalten habt. Und die Betonung liegt auf beide!“

„Du … verurteilst mich nicht?“, fragte sie vorsichtig.

„Gott bewahre!“ Tobias stellte sein leeres Glas auf dem Tisch. Er löste seinen Zopf und wuschelte kurz die verschwitzen Haare durch. „Rona, Tristan ist mein ältester und bester Freund. Er war der erste Vampir, der mir nach meiner Wandlung begegnet ist. Wir haben festgestellt, dass wir über einige Ecken tatsächlich miteinander verwandt sind. Er ist mir wichtig.

Und du bist mir auch wichtig. Ich habe mich dir gegenüber geöffnet, wie niemand anderem gegenüber. Du weißt Dinge, die nicht einmal Tristan weiß. Das liegt vielleicht auch an unserer gemeinsamen, wenn auch zeitlich getrennten Erfahrung in Vilgard. Du verurteilst mich auch nicht, nach allem, was ich getan habe. Und im Vergleich zu dem, was ich getan habe, ist euer Vergehen eher … missverständlich, nicht tödlich.“

Rowena musste kurz auflachen. „Du hast manchmal eine merkwürdige Sicht der Dinge, Tobi.“

Er grinste breit. „Danke.“

Rowena trank ihr Glas auch aus, stellte es neben das Glas von Tobias. „Kannst du in nächster Zeit bitte ein Auge auf Tris haben? Ich muss dringend nach Schottland und ich möchte nicht, dass er Trübsal bläst oder so.“

„Meinst du nicht, ihr solltet das Ganze klären?“

Sie druckste ein wenig herum. „Schon, aber nicht jetzt. Es ist noch zu früh, er ist noch sehr verletzt.“

„Ja. Tristan ist ein sehr stolzer Mann. Sehr ehrenhaft. Ein wahrer Ritter des Mittelalters.“

Rowena lachte kurz auf, dann fiel ihr etwas ein. „Sag mal, ihr beide seid doch seit etwa 150 Jahren fast immer zusammen gewesen, nicht wahr?“

„Ja. Vielleicht mal drei oder vier Jahre nicht. Warum?“

„Hat er jemals …?“ Sie schluckte, wusste nicht so Recht, wie sie es formulieren sollte. „Hat Tristan in der Zeit jemals mit einer anderen Frau geschlafen?“

Tobias sah der Frau überrascht ins Gesicht. Dann holte er sich seine Begegnung mit Tristan Kadian ins Gedächtnis, ging ihren gemeinsamen Weg der letzten 150 Jahre durch. Verblüfft fiel ihm die Kinnlade hinunter. „Nein! Obwohl ich immer gedacht hatte, er hätte. Ich habe nur am Anfang gesehen, wie er Frauen zwar becirct hatte, sich dann aber lediglich von ihnen nährte. Geschlafen hat er mit keiner von denen.“

„Verdammt.“ Sie rieb sich wieder über die Stirn. „Er liebt mich wirklich immer noch so intensiv.“

Er streichelte sanft über ihren Rücken. „Mach’ dir keine Vorwürfe. Irgendwann wird er auch über dich hinwegkommen. Und du über ihn. Und dann werdet ihr Freunde und lacht über den gestrigen Tag.“

Rowena sah in die ihr so vertrauten grünbraunen Augen und seufzte. Dann kuschelte sie sich in die Arme des Freundes und genoss einen Moment der Stille.

„Wie lange wirst du in Schottland bleiben?“

„Hhm. Das hängt davon ab, ob ich den Wilden finde und in welchem Zustand er ist.“

Tobias zuckte zusammen. „Den Wilden? Verstehe ich das richtig?“

Rowena rückte ein wenig von ihm ab und sah ihm fest in die Augen. „Tobi, was ich dir jetzt erzähle, weiß wirklich niemand. Nicht einmal Tristan. Kein einziger Vampir auf dieser Welt weiß davon. Kann ich auf deine Verschwiegenheit zählen?“

Die Ernsthaftigkeit, mit der Rowena zu ihm sprach, verursachte bei Tobias eine leichte Gänsehaut. „Selbstverständlich, Rowena. Du hast mein Wort.“

Das reichte ihr. Sie wusste, dass Tobias verschwiegen war und ein sehr verlässlicher Freund.

„Das wird eine lange Geschichte, Tobias. Du siehst eigentlich ziemlich müde und abgespannt aus, also wenn …“

„Nein, Rona. Alles ist in Ordnung. Mach´ dir mal um mich keine Sorgen.“

Rowena setzte sich in den Schneidersitz und nahm eines der Sofakissen, legte es auf ihre Knie und stützte sich leicht darauf.

„Ich bin im Jahr 63 vor Christi geboren. Im heutigen Schottland. Als Angehörige eines Piktenstammes. Die Pikten waren zu dieser Zeit ein Volk mit mehreren Gemeinschaften, aber ohne eine zentrale Macht, wenn du so willst. Mein Stamm lebte am Loch Oich. Damals hieß der See noch anders, aber die Topografie hat sich nicht sehr verändert.

Wie du weißt, wurde ich ausgewählt und zur Schamanin ausgebildet. Dann nach Vilgard geschickt und dort von Druiden weitergebildet.

Was du nicht weißt ist, dass ich, bevor ich Vampirin wurde, drei Kinder geboren habe.“

Tobias sah Rowena mit großen Augen an. „Drei Kinder? Wann? Was wurde aus ihnen?“

„Ich war 15, als mein ältester Sohn geboren wurde. Mit 18 bekam ich meine Tochter und mit 23 meinen zweiten Sohn. Die Lebenserwartungen waren damals nicht sehr hoch, das Durchschnittsalter lag bei etwa 40 Jahren. Also war es nur natürlich, dass man als Frau früh Kinder bekam.

Als ich aus Vilgard zurückkehrte kam ein Fremder in unser Dorf. Er lebte eine Zeitlang bei uns, beschützte uns, als wir zweimal von einem benachbarten Stamm angegriffen wurden. Er war ein Vampir. Sein Name war Leander. Er wanderte schon seit einigen Jahrhunderten durch das damalige Europa, kam ursprünglich aus Griechenland.

Wir freundeten uns an, verliebten uns. Ich hatte keine Angst vor ihm und das imponierte ihm offensichtlich. Als ich dreißig Jahre alt wurde sagte er, dass er bald weiterziehen werde. Aber er mochte mein Dorf, meinen Stamm und wollte uns nicht schutzlos zurücklassen. Ich schlug ihm vor mich zu wandeln, damit ich meinen Stamm beschützen konnte. Und er wandelte mich, nachdem wir den Segen der Ältesten eingeholt hatten. Nach der Wandlung blieb Leander noch etwa vier Monate bei uns, dann verschwand er. Ich habe ihn nie wiedergesehen.

Von da an beschützte ich meinen Stamm, mein Dorf bei jeder sich bietenden Gelegenheit Andere Stämme fielen über uns her, Römer, Skoten, Kelten, später die Engländer Ich vertrieb sie jedes Mal über Jahrhunderte hinweg.

Irgendwann erkannte ich aber, dass mein Stamm sich zu sehr auf mich verließ und ich begann, die Welt zu erforschen. Alle paar Jahrzehnte kehrte ich für eine Weile zurück, sah die Veränderungen, war stolz. Und das bin ich heute noch, Tobias.“

Rowena lächelte den jungen Vampir wehmütig an. „Meine Kinder haben Kinder bekommen, die dann auch Kinder bekommen haben. Ihre Nachfahren, meine Nachfahren, leben heute noch am Loch Oich in verschiedenen Dörfern und Gemeinden. Das ist meine Familie, mein Clan!“

Tobias keuchte etwas. „Das ist … unglaublich. Ich weiß ja durch Adolar und Jannik, dass manche Vampire ihre Nachkommen, die sie zur Zeit ihrer Sterblichkeit gezeugt haben, im Auge behalten. Aber wir reden jetzt hier über 2000 Jahre!“

„Ich weiß.“ Rowena lächelte warm und ihre violetten Augen schimmerten hell. „Ich bin vom Glück gesegnet. Weißt du jetzt, warum ich sage, dass unser Dasein nichts mit einem wie auch immer gearteten Fluch zu tun hat?“

Tobias nickte. „Und Tristan weiß von all dem nichts?“

„Doch. Bis dahin weiß er Bescheid. Aber er weiß nicht, dass etwa ein Dutzend der Anwohner des Loch Oich über meine Existenz Bescheid wissen. Unsere … Existenz“

Tobias starrte Rowena an. „Sterbliche?“

Sie nickte. „Ja. Sterbliche. Von Generation zu Generation wird es immer etwa ein Dutzend von ihnen geben. Früher habe ich, wenn ich durch Europa reiste, meinen Leuten immer eine Nachricht zukommen lassen, wo ich mich gerade aufhielt. Heute ist es einfacher. Telefon, Mails und so weiter. Und ich kann innerhalb weniger Tage, sogar Stunden da sein, wenn sie mich brauchen.“

Tobias schüttelte den Kopf. „Großer Schöpfer. Und es kam nie zu … Spannungen?“

Rowena lachte leise. „Nein. Ich bin für sie … eine Heilige, wenn du so willst. Eine Ikone. Sie nennen mich immer noch `Herrin´, obwohl ich das gar nicht will.“

Tobias stand auf und ging zu einem Regal, dass in einer Nische im Wohnzimmer stand. Dort standen einige Flaschen Whisky, Bourbon, Scotch und andere hochprozentige Alkoholika. „Willst du auch einen?“ er hielt eine Whiskyflasche hoch.

„Single Malt?“

„Selbstverständlich!“

„Dann gern.“

Nachdem Rowena ihr Glas entgegengenommen hatte und vorsichtig an dem teuren Tropfen genippt hatte, lehnte sie sich wieder entspannt zurück.

„Gestern, nachdem Tristan weg war, bekam ich einen Anruf. Brian, einer der ältesten Vertrauten zurzeit, unterrichtete mich von einem Toten. Allem Anschein nach hat ein Vampir dort zugeschlagen. Bestialisch.“

Tobias zog zischend die Luft zwischen den Zähnen ein. „Und du glaubst, dass das ein `Wilder´ war, wie du es nennst?“

„Ja. Entweder ein desorientierter und frisch gewandelter unserer Art oder ein Abtrünniger“

„Und du willst diesen Vampir suchen. Und wenn du ihn gefunden hast?“ Tobias sah ihr aufmerksam in die Augen.

Sie lächelte verständnisvoll. „Wenn er gewaltsam gewandelt worden ist und aus einem Nichtwissen heraus getötet hat, soll er eine Chance bekommen. Niemand von uns hat das Recht, jemanden zu verurteilen, wenn man ihn nicht angehört hat.“

Tobias nickte. „Ich hoffe, dass der Vampir nur desorientiert ist. Was tust du, wenn er mit Absicht getötet hat?“

Rowenas violette Augen verfärbten sich schwarz. „Dann tue ich, was getan werden muss, Tobias. So wie immer.“

Er bekam eine Gänsehaut, die sich vom Nacken über seine Wirbelsäule bis in die Kniekehlen ausbreitete. „Ich vergesse manchmal, wie mächtig du bist, Rona“, gestand er leise.

„Glaube mir, ich wünsche mir nichts sehnlicher, als das sich dieser Zwischenfall in Wohlgefallen auflöst. Aber ich weiß nicht, wie lange ich dafür brauche. Zu Stavros´ Vernissage bin ich aber wieder hier.“

Tobias runzelte die Stirn. „Und die Hochzeit von Jan und Helena? Du bist doch auch eingeladen!“

Rowena verzog ihr Gesicht. „Ich habe schon abgesagt. Ich gehe nicht mehr auf Hochzeiten, schon lange nicht mehr. Aber ich wünsche den beiden von Herzen alles Gute.“

Tobias seufzte. „Ich sehe schon. Es gibt viele Facetten deines Lebens, die kaum jemand kennt, die aber vermutlich extrem spannend sind.“

Jetzt grinste sie ihn frech an. „Was ist mit deinen Facetten, Tobi? Wer war die junge Frau vorhin?“

Er lief schlagartig hochrot an und geriet ins Stottern. „Das war Hanna. Ähm … Helenas Trauzeugin. Ich äh... bringe ihr das Tanzen bei. Tango. Hochzeitstanz. Du weißt schon. Tradition und so. Ich bin Janniks Trauzeuge und …“

Rowena lachte offen und herzlich, ihre Augen leuchteten hellviolett. „Du bist ja total verliebt!“

„Nein, bin ich nicht!“, nuschelte Tobias.

„Du kannst mich nicht beschwindeln, Tobi!“, ermahnte sie ihn leise.

Er sackte etwas zusammen. „Sie ist eine allein erziehende Mutter. Und Helenas beste Freundin. Ich mag sie. Punkt.“

Rowena spürte, wie der alte Widerstreit in dem jungen Vampir wieder hochkam. Sie lächelte verständnisvoll.

„Ich bin alles andere als ein Beziehungsexperte, Tobi. Aber ich bitte dich, eine mögliche Liebe nicht von der Hand zu weisen. Geh´ mit dem Herz ran, nicht mit dem Verstand. Auch du hast Glück mehr als verdient.“

Er lächelte gequält. „Vielleicht treffe ich ja mal eine nette Vampirin, die es mit mir eine Weile aushält.“

„Warum keine Sterbliche?“

Er kniff die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf.

„Gut. Belassen wir es dabei.“ Rowena streckte sich und stand auf. Tobias folgte ihr, brachte sie noch hinunter zur Haustür.

„Ich hätte dich gern nach Schottland begleitet, Rona“, sagte er, als er die schwere Tür aufschloss. „Aber die ganzen Hochzeitsvorbereitungen und so …“

„Ich weiß, Tobi. Ich wollte dich auch nicht fragen, ob du mitkommst. Ich wollte dich nur bitten, ein Auge auf Tris zu haben. Und ich wollte dich einweihen.“

Tobias nahm Rowena in seine Arme. „Ich danke dir, dass du mir vertraust. Versprich mir, dass du mich anrufst, wenn du Hilfe brauchst.“

Rowena stellte sich auf ihre Zehenspitzen und küsste ihn leicht auf die Wange. „Ich verspreche es dir, Tobias.“

Kapitel 3: Tapetenwechsel

Rowena betrat den Pub und nahm ihre Sonnenbrille ab. Sie sah flüchtig über die einzelnen Gesichter, die sie neugierig und interessiert ansahen. Ein alter Mann hob lächelnd die Hand und Rowenas angespanntes Gesicht wurde sofort weicher.

„Brian.“ Sie umarmte den Mann freundschaftlich und gab ihm zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange.

Die braunen Augen des Schotten leuchteten und das wettergegerbte Gesicht mit den vielen hundert Falten schien sich schlagartig zu verjüngen.

„Herrin“, flüsterte er.

„Nein, Brian. Rowena. Zum einen mag ich es nicht, wenn du mich so nennst und zum anderen wirft es nur Fragen auf bei denen, die es zufällig hören, aber nicht hören sollen.“

Brian lächelte verlegen. „In Ordnung. Rowena.“ Er gab der Wirtin, einer kleinen, übergewichtigen und vollbusigen Frau einen Wink. Die Frau nickte und zapfte zwei helle Biere. Brian nahm die Getränke und führte Rowena an einen abgelegenen Tisch, von dem man aber gut den ganzen Pub einsehen konnte.

Rowena setzte sich hin, warf ihre Sonnenbrille auf den Tisch und schlug ihr Bein über das andere. Sie hatte ihre blonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Eine weiße Leinenhose und ein hellblaues Polo-Shirt, das sich eng an ihren kurvenreichen Oberkörper anschmiegte, gaben ihr etwas sommerlich Frisches. Als ob sie gerade am Mittelmeer aus einem Boot gestiegen wäre.

„Also, was habt ihr inzwischen herausgefunden?“ Rowena nippte an dem Bier. Sie mochte das herbe kühle Getränk nicht besonders, aber sie war darum bemüht, so unauffällig wie möglich zu sein.

„Wie schon gesagt, der Mann kam aus Glasgow. Peter Doghnaty. Arzt. Kam öfter hierher. Kannte sich auch gut hier aus. Hatte immer ein Satellitentelefon bei gehabt und einen Rettungspeilsender.“

„Sehr umsichtig. Hat wohl wenig dem Zufall überlassen.“

Brian nickte. „Scott hat herausgefunden, dass Doghnaty den Schwarzen Gürtel in Karate hatte. Und er ging regelmäßig ins Fitnessstudio und Schwimmen.“

„Also ein gesunder, durchtrainierter Mann, der sich auch zu wehren wusste.“

„Ja.“ Brian nahm einen Umschlag aus seiner Tweed Jacke und schob ihn Rowena hinüber. Wortlos nahm sie ihn auf, öffnete ihn und nahm den Inhalt heraus. Es waren Fotos vom Tatort mit der Leiche. Nahaufnahmen zeigten deutlich die Biss- und Rissspuren am ganzen Körper. Der Gesichtsausdruck des Toten zeigte überdeutlich, dass er gelitten hatte, bevor der Tod ihn gnädig umfing.

„Großer Schöpfer!“ Rowena steckte die Fotos schnell wieder in den Umschlag.

„Ja.“

Rowena nahm einen Schluck von dem Bier und ließ ihren Blick durch die Gaststätte schweifen. Einige Männer sahen mit unverhohlenem Interesse zu ihr hinüber, einige Frauen blickten eher misstrauisch. Rowena durchflog schnell deren Gedanken, konnte aber nichts Verdächtiges feststellen. Die eindeutigen Gedanken, die sie bestrafen, ignorierte sie einfach. „Gibt es auffällige Fremde?“

Brian lächelte spöttisch. „Du meinst außer den Horden an Touristen, die hier jedes Jahr herkommen, Wildwasserfahrten und Campingtouren unternehmen? Ja, die gibt es.“

Rowena lächelte etwas. Sie mochte die bärbeißige Art des Mannes. Im Inneren steckte ein herzensguter Mensch.

„Da gibt es einen Mann aus London. Kam vor etwa einer Woche. Ist ständig für sich, hockt im Pub oder auf dem Friedhof. Vor dem Grab der Millie Downforth.“

„Millie? Sie starb doch vor drei Jahren an Lungenkrebs, nicht wahr? Hatte sie vielleicht Verwandte in London?“

„Nicht das ich wüsste. Scott ist dabei, anhand des Autokennzeichens herauszufinden, wer der Mann ist. Er hat sich hier als John Smith eingetragen.“

„Wie einfallsreich.“ Rowena verdrehte die Augen.

Brian lachte humorlos auf. „Dann gibt es ein Pärchen, ebenfalls aus London. Neureich, in einem Porsche unterwegs. Sie ist aufgetakelt und unecht.“

„Unecht?“

Brian wurde etwas rot. „Na ja. Operiert, wenn du weißt, was ich meine. Ihre Hupen … sitzen immer an der gleichen Stelle.“

Rowena verkniff sich ein lautes Lachen. „Verstehe. Und der dazu gehörige Typ?“

„Prahlt mit seinem Geld und tut so, als ob er ein Kolonialherrscher wäre und wir die dummen Untertanen.“

„Na toll.“ Das war genau die Sorte Mensch, die Rowena am allerwenigsten leiden konnte. „Wie ich euch kenne, habt ihr doch schon etwas geplant, damit dieses entzückende Pärchen die Gegend so schnell als möglich verlässt.“

Brian sah Rowena mit gespieltem Entsetzen an, aber der Schalk sprang förmlich aus seinen Augen. „Das traust du uns zu, große Mutter?“

„Sch-sch!“ Rowena musste jetzt doch grinsen.

„Wir wollten nur damit warten, bis du die beiden in Augenschein genommen hast. Falls die was damit zu tun haben.“

„Danke, Brian. Ich sehe sie mir bei Gelegenheit an. Wenn sie okay sind, gebe ich euch grünes Licht. Aber denke daran, keine Körperverletzung.“

Brian hob beschwichtigend die Hände. „Wir wollen keinen Krieg mit England riskieren.“

Rowena trank einen weiteren Schluck und beobachtete einen Mann, der gerade den Pub betrat.

„Das ist ein deutscher Tourist.“ Brian hatte Rowenas Blick bemerkt. „Auch ein Einzelgänger Hat immer sein Notebook dabei, treibt sich ebenfalls auf dem Friedhof, in den Kirchen und in den Stadtarchiven herum.“

Rowena wurde neugierig. Der Mann war nicht sehr groß, vielleicht 1,70 Meter. Die dunklen Haare waren millimeterkurz geschoren und er trug eine runde Brille mit silbernen Rand. Die kurzen, kräftigen Beine bildeten ein leichtes `O´ und er hatte eine schlanke Figur mit trapezförmigen Oberkörper. Er trug eine ausgewaschene Jeans und dazu ein weißes T-Shirt, dass seine ausgeprägte Brustmuskulatur betonte. Muskulöse, sehnige Arme ragten aus den T-Shirt-Ärmeln und wiesen eine gesunde Bräune auf. Unter dem einen Arm hatte er ein Notebook geklemmt, unter dem anderen eine Zeitung.

Er sah sich kurz um und sein Blick blieb kurz bei Rowena hängen. Eine Augenbraue zuckte kurz nach oben und hellblaue Augen starrten sie verblüfft an. Dann schien der Mann sich wieder zu fassen, nahm das Bier von der Theke, dass die Wirtin hingestellt hatte und setzte sich in eine der hinteren Ecken an einem Tisch.

„Ich glaube, er hat dich bemerkt, Rowena“, sagte Brian leise.

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich kann ihn nicht lesen. Muss ihn in ein Gespräch verwickeln. Aber später. Noch irgendwelche Kandidaten?“

Brian zählte noch fünf weitere Einzelgänger auf. Zwei davon saßen im Pub und Rowena sondierte ihre Gedanken. Sie konnte bald Entwarnung geben, diese beiden konnten aus dem Kreis der Verdächtigen ausgeschlossen werden.

„Es könnte auch sein, dass der Mörder ein Wanderer ist“, meinte Rowena am Ende.

„Ein Wanderer?“ Brian trank sein Bier aus und stellte das leere Glas sanft auf den Tisch.

„Ja. Jemand, der von Ort zu Ort zieht und sich nicht um Gesetze schert. Weder um die der Sterblichen noch meiner Art. Ich werde mir morgen den Tatort ansehen. Ist Scott Palatin ein Eingeweihter?“

Brian nickte. „Ja. Ist er. Willst du dich morgen mit ihm treffen?“

Rowena nickte. „Ich denke, dass es gut wäre, mit ihm zusammen zu arbeiten.“

„Ich werde Scott Bescheid geben. Brauchst du sonst noch etwas, Rowena?“

Rowena lächelte ihn liebevoll an. „Nein. Danke, Brian. Ich werde mich noch um den Deutschen kümmern und fahre dann zu meinem Haus. Ich bin etwas müde.“

„Hungrig?“

Rowena hatte tatsächlich ein wenig Hunger, aber nicht so schlimm, dass es nicht noch einen Tag warten konnte. Sie wusste, worauf Brian hinauswollte. „Heute nicht, mein Freund. Ich denke, ich werde morgen darauf zurückkommen.“

Brian nickte, nahm sein Glas und ging.

Rowena stand ebenfalls auf, steckte den Umschlag mit den Fotos in ihre Hosentasche und ging zum Tresen. Die Wirtin, Molly, lächelte sie warm an und Rowena glitt kurz in ihre Gedanken.

>Große Mutter. Es ist gut, dass du wieder bei uns bist. <

Rowena lächelte und nickte der Frau zu. „Kann ich bitte noch ein Bier haben?“

Molly gab ihr ein volles Glas und Rowena ging mit dem Bier zu dem Mann mit dem Notebook. „Hallo.“

Hellblaue Augen sahen sie kurz an, dann konzentrierte sich der Mann wieder auf sein Notebook. Seine Finger flogen über die Tastatur. „Hallo.“

Rowena schätzte den Mann auf Mitte bis Ende dreißig. Um den Hals trug er ein eng anliegendes Lederband mit einem kleinen, flachen Amulett. Es war eine Scheibe in verschiedenen Blautönen. Am linken Arm befand sich eine Armbanduhr mit einem Lederarmband und ein silbernes, feingliedriges Armband. Darin eingearbeitet war ein türkisfarbener Stein.

„Darf ich mich zu Ihnen setzen?“ Rowena lächelte den Mann freundlich an und war schon im Begriff sich zu setzen.

„Nein. Ich möchte gern allein sein.“

Rowena blieb mitten in ihrer Bewegung stehen. „Oh!“ Das war sie nicht gewohnt. Normalerweise überschlugen sich die Männer sofort, wenn sie ihnen ihre Aufmerksamkeit schenkte. „Ich habe Ihnen ein Bier mitgebracht.“

Der Mann stockte einen Moment und sah Rowena dann an. Sein Blick wanderte über ihren Körper, suchte wieder ihre Augen.

„Kein Interesse. Suchen Sie sich woanders Ihren Kick.“