Weltenwanderer-Chroniken II - Heike Möller - E-Book

Weltenwanderer-Chroniken II E-Book

Heike Möller

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Beschreibung

Sondra Wieland führt mehr als zwei Jahre nach der Rückkehr aus Vilgard ein normales, irdisches Leben an der Seite ihres Freundes Andreas Laurenz. Doch dann verirrt sich ein Wolfsmensch aus Shilfar, einem Gebirge in Vilgard, in Sondras Welt und zwei Elfen aus Vilgard bitten sie um Hilfe. Sondra, Elsir und Bijae finden Vala und bringen sie gemeinsam nach Vilgard zurück. Dort angekommen treffen sie auf das Rudel, aus dem Vala stammt. Die Wolfsmenschen Shilfars sowie die Harpyien wollen sich dem Rest Vilgards durch Bündnisse anschließen, und so machen sich Sondra, Elsir, Bijae und Arom, der Anführer des Wolfsrudels auf den Weg nach Ylra, der Hauptstadt der Elfen. Unterwegs treffen sie auf Virindra, einem vierjährigen Elfenmädchen. Sie hat als einzige das Massaker auf einem Gehöft an ihrer Familie überlebt. Sondra muss anhand der Spuren an dem Ort des grausamen Geschehens erkennen, dass Menschen ihrer Welt daran beteiligt waren. Also gibt es noch andere aktive Tore auf der Erde und eines wurde benutzt. Soldaten aus Ylra unter dem Kommando von Jaleeh, einer Schwester Elsirs, schließt sich den reisenden an. Bei einem Überfall auf die Reisegruppe wird Sondra entführt und begegnet außer den Menschen aus ihrer Welt auch Swara, eine Echsen-Rasse, die südlich von Vilgard lebt. Sie gibt sich nicht als Weltenwanderer zu erkennen und gewinnt das Vertrauen des Anführers der Menschen. Inzwischen planen Bijae, der Druide und ein Cousin von Elsir und Jaleeh, zusammen mit Fnir, dem greifen und anderen Einwohnern Vilgards die Rettung des Weltenwanderers. Der Gemeinschaft gelingt es, den Ort ausfindig zu machen, an dem Sondra gefangen gehalten wird und greifen an. Dabei wird Sondra allerdings schwer verletzt und nur der großen Macht des Druiden Bijae ist es zu verdanken, dass sie nicht stirbt. Nach ihrer Genesung hat Sondra nur noch einen Wunsch: sie will zurück zur Erde, zurück zu Andreas.

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Heike Möller

Weltenwanderer-Chroniken II

Die Wölfe von Shilfar

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

PROLOG

Kapitel 1: Familienbande

Kapitel 2: Zukunftsmusik

Kapitel 3: Unverhoffter Besuch

Kapitel 4: Schöne neue Welt

Kapitel 5: Das Ziel vor Augen

Kapitel 6: Lebende Mythen der Erde

Kapitel 7: Verletzte Gefühle

Kapitel 8: Die Suche

Kapitel 9: Vala

Kapitel 10: Das Rudel

Kapitel 11: Annäherungen und Anfeindungen

Kapitel 12: Gefährliche Pfade

Kapitel 13: Das Massaker

Kapitel 14: Virindra

Kapitel 15: Unterstützung aus Ylra

Kapitel 16: Vertraulichkeiten

Kapitel 17: Hinterhalt

Kapitel 18: Verhörmethoden

Kapitel 19: Hinhaltetaktik

Kapitel 20: Zusammenkunft und Aufbruch

Kapitel 21: Wer lügt?

Kapitel 22: Befreiungsaktion

Kapitel 23: Heilung und Einsicht

Kapitel 24: Arom und Jaleeh

Kapitel 25: Opferbereitschaft

Kapitel 26: Genesung

Kapitel 27: Ein Bankett und seine Folgen

Kapitel 28: Der Brief

Kapitel 29: Flucht nach vorn

Kapitel 30: Ein Abschied für immer?

Kapitel 31: Zu Hause

Epilog

Impressum neobooks

PROLOG

Vala war verängstigt.

Der Wald roch anders als der, in dem sie noch vor wenigen Augenblicken ihren Brüdern hinterher gejagt war.

>Warum habe ich das nur getan?<

Vala hatte die verbotene Höhle betreten. Sie wollte Har beweisen, dass sie eine mutige Jungwölfin war. Schnell wurde ihr bewusst, weshalb die Höhle verboten war. In ihr befand sich ein merkwürdiges Ding. Eine Art Tor, das nirgendwo hin zu führen schien. Es war hoch und relativ breit. Der Rahmen schien sich zu bewegen. Vala erkannte ein Wolfsrudel bei der Jagd und Menschen, die sich mit wolfsähnlichen Geschöpfen, zu Fuß oder mit merkwürdigen Geräten fortbewegten.

Vorsichtig schnupperte sie an dem Ding. Es roch nicht bedrohlich. Und das Summen, das von dem Ding ausging, beruhigte sie ein wenig.

Vala richtete sich auf ihre Hinterbeine auf und verwandelte sich in einen Menschen.

Ihr junges Gesicht hatte immer noch wölfische Züge, aber der Körper war schlank, muskulös und hatte wohlproportionierte weibliche Rundungen. Die Hände mit den scharfen Krallen tasteten vorsichtig das Ding ab.

Es vibrierte! Es fühlte sich lebendig an! Sie überlegte, ob sie Har holen sollte oder einen anderen aus ihrem Rudel.

Plötzlich verstärkte sich das Summen und Vibrieren. Reflexartig sprang Vala zurück und verwandelte sich dabei wieder in einen Wolf. Wo eben noch ein Durchgang war, der lediglich zum anderen Ende der Höhle führte, befand sich jetzt eine silbrig schimmernde Oberfläche, die sich in Wellen von der Mitte nach außen bewegte. Als ob man einen Stein in einen ruhigen See geworfen hätte und beobachtete, wie sich das Muster zum Ufer hin vergrößerte.

Valas Neugier siegte. Mit gesträubtem Nackenfell ging sie vorsichtig auf das Tor zu. Es schien ihr etwas zuzuflüstern, sie zu rufen.

Sie schnupperte. Es roch nach nichts. Sie steckte ihre Nase hinein, um sie gleich wieder zurückzuziehen. Nichts hatte sich verändert.

Vala zögerte. Sollte sie den anderen von ihrer Entdeckung erzählen?

Sie schüttelte sich, holte tief Luft und ging durch die silberne Oberfläche hindurch.

>Was soll schon passieren?<, dachte sie sich.

Plötzlich war es um sie herum stockdunkel. Sie brauchte einen Moment, bis sich ihre empfindlichen Augen an die neue Dunkelheit gewöhnt hatten.

Dann knurrte sie.

Diese Höhle war nicht dieselbe, in der sie noch vor ein paar Sekunden gestanden hatte. Nicht nur, dass diese Höhle eine andere Form hatte. Der Fels roch anders, bestand also nicht aus dem gleichen Stein wie ihre Höhle. Das silbrige Schimmern war verschwunden und der Torbogen war so dunkel wie vorher. Zwar vibrierte er leise und es waren einige sich bewegende Bilder auf dem Rahmen zu erkennen.

Es waren Bilder ihrer Heimat. Rudel aus Wolfsmenschen, ein Greif, der seine Bahnen am Himmel zog, entfernt ein Drache. Und unten erkannte sie auch Harpyien.

Vala knurrte erneut, diesmal viel aggressiver, verängstigter.

Vorsichtig ging sie zum Höhlenausgang, schnupperte. Die Welt vor der Höhle roch anders. Die Wälder rochen nicht so frisch und feucht, es roch mehr nach Nadel­hölzern als nach Laubbäumen. Die Geräusche, die aus dem Wald vor ihr kamen, klangen auch nicht vertraut. Ein leichter Geruch nach Mensch lag in der Luft.

Leise winselnd und mit eingezogenem Schwanz verkroch sie sich in die Höhle und hoffte, dass das Tor wieder silbrig schimmern würde.

Kapitel 1: Familienbande

Andreas Laurenz sah seine Freundin schmunzelnd an. Zum dritten Mal versuchte Sondra Wieland ihre widerspenstige rote Lockenhaarpracht in eine anständige Frisur zu verwandeln. Jedes Mal scheiterte dieser Versuch an einer einzigen Strähne, die ihr frech aus dem hochgesteckten Haar sprang und dann vor ihrem linken Auge hing. Und bei jedem dieser Versuche wurde sie noch ungeduldiger.

„Ich schneide mir diese Dinger ab! Gleich Montag gehe ich zum Frisör und lasse mir eine flotte Kurzhaarfrisur schneiden. Es reicht!“

Sondras grasgrüne, etwas weit auseinander stehende Augen blitzten wütend auf.

„Ach Süße“, seufzte Andreas und trat hinter sie. Schweigend nahm er eine kleine Haarklemme, drehte die widerspenstige Locke hoch, klemmte sie geschickt und unauffällig fest und griff zu Sondras Haarspray.

„Wie machst du das immer nur?“, fragte Sondra bestürzt, als sie feststellte, dass seine Aktion tatsächlich gelungen war. Andreas grinste breit, zeigte zwei Finger hoch.

„Zwei Schwestern!“, sagten beide gleichzeitig, wobei Sondras Stimme wahrlich erge­ben klang.

Liebevoll nahm Andreas Sondra in seine Arme und fuhr mit leicht geöffneten Lippen an ihren schlanken Hals entlang. Als er an ihrem Ohrläppchen angekommen war, vernahm er ein leises Stöhnen. Süffisant grinsend sah er sie an.

„Andi, du weißt genau, was du damit bei mir erreichst“, kiekste sie und ihre Haut schimmerte in bedenklichem Ausmaß.

Seine braunen Augen bohrten sich in ihre grünen. „Wenn das so ist, hör ich lieber damit auf!“

„Nö-hö!“

Andreas lachte, als Sondra ihre Unterlippe nach vorn schob und wie ein Teenager versuchte zu schmollen. „Du weißt, dass das bei mir nicht zieht, mein Herz!“

„Du heizt mich erst an und dann ziehst du den Stecker? Das ist wirklich unfair!“, maulte Sondra.

Andreas schob Sondra grinsend aus dem Bad und die Treppe hinunter. In der Diele des Cottage stand eine Reisetasche, die mit dem nötigsten für eine Übernachtung ge­packt war. Seufzend zog Sondra ihre braunen Lederstiefel an, die perfekt zu dem wadenlangen, weit schwingenden braunen Rock passten. Andreas verzichtete diesmal auf seine heißgeliebten Turnschuhe und zog braune Halbschuhe an. Dann half er seiner Freundin in den Trenchcoat, bevor er seine Lederjacke anzog.

„Wir können ja heute Nacht in meinem Zimmer weiter machen“, sagte er und lächelte vielsagend.

„Im Haus deiner Eltern?“, fragte Sondra entgeistert. „Das ist selbst mir peinlich und das weißt du auch.“

Andreas kicherte. „Lass uns losfahren, ich möchte im Gestüt sein, bevor es dunkel wird.“

Sie ließen Sondras Oldtimer, einen VW-Käfer aus den 1970er Jahren in der Garage stehen. Andreas hatte sich vor einem Jahr von seinem alten Golf getrennt und zusam­men hatten sie sich einen Tuareg gekauft. Er war groß, solide und bequem.

„Werden deine Schwestern auch da sein?“ Sondra hatte ihren Trenchcoat ausgezogen und auf die Rückbank geworfen. Während sie auf der Autobahn Richtung Sankt Peter-Ording fuhren, ließ sie sich von der Sonne des letzten Septembertages im Jahr 2007 streicheln.

„Petra wird heute schon kommen. Sie bringt Jonas mit. Tobi muss Wochenenddienst im Krankenhaus schieben. Ingrid treffen wir morgen in der Kirche nebst Gatte und den zwei Kindern.“

Andreas liebte seine beiden Schwestern. Petra war lebenslustig, für alles offen und einfach ein herzlicher Typ. Ingrid hingegen wirkte oft wie eine Person, der bewusst war, dass ihr Leben festgefahren war. Verbittert, zynisch und gelegentlich boshaft.

Sondra mochte Petra lieber als Ingrid, ihrem Freund zu liebe behandelte sie aber beide Schwestern gleich.

„Danke, übrigens“, sagte Andreas nach einer Weile.

Verwirrt blickte Sondra zu ihm rüber. „Wofür?“

„Dafür, dass du morgen in die Kirche mitkommst.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Dass ich selbst nicht an einen Gott glaube heißt ja nicht, dass ich nicht den Glauben anderer Menschen respektiere. Und da ich dich liebe und respektiere, respektiere ich natürlich auch deinen Glauben.“

Andreas lächelte. „So so, du respektierst mich also.“

„Fast so sehr, wie ich dich liebe.“

„Aha. Dann wäre das ja auch geklärt.“

Sondra liebte die kleinen Wortspielchen mit Andreas. Am liebsten hätte sie ihre Hand auf seinen Oberschenkel gelegt, aber da er sich auf die Fahrbahn konzentrieren musste, hielt sie sich mit dem Körperkontakt zurück.

„Wusstest du, dass es schon im Altertum und bei den vorchristlichen Kulturen Feste gab, die das Einbringen der Ernte feierten?“

„Klar. Mein Pfaffe hat uns das im Konfirmationsunterricht eingetrichtert. Mit Quer­verweisen auf das Judentum, griechische und römische Antike. Du siehst also, auch ich bin in geschichtlicher Hinsicht nicht ganz unwissend, Frau Doktor Wieland.“

Sondra schmunzelte. Irgendwie erfüllte es sie mit Stolz, wenn Andreas sie so nannte. Sie hatte ihren Doktortitel erst ein paar Monate und konnte sich noch nicht so richtig daran gewöhnen. Aber sie hatte auch hart dafür gearbeitet. Im letzten Jahr war sie vier Monate bei Ausgrabungen in Irland gewesen. In den Hills of Tara, einer ehema­ligen Hochburg keltischer Geschichte, suchte sie nach Spuren des Königs Niall Noigiallach, dessen Namen sie vor zwei Jahren in den Bambusannalen Vilgards ent­deckt hatte. Auf dem King Seat, das wohl berühmteste Monument Taras, stand ur­sprünglich der Lia Fail, der so genannte Krönungsstein. Angeblich vibrierte und summte der Stein, wenn der rechtmäßige König ihn berührte. Der Originalstein ist schon seit langer Zeit verschwunden, über den Verbleib gibt es diverse Gerüchte, von Zerstörung bis hin zur Zweckentfremdung als Krönungsstein britischer Königs­familien in der Abtei von Westminster.

Sondra hatte da ihre ganz eigenen Theorien.

Das Vibrieren und Summen brachte sie darauf, dass sich in der Nähe vielleicht ein Tor befindet oder befunden hat. Sie hatte keine Genehmigung von Messungen durch Radar- oder Schockwellen in dem historischen Gebiet bekommen.

Aber Sondra hatte ihre eigene Methode gewählt. Sie hielt sich einfach an den Voll­mondtagen auf den King Seat auf und lauschte in sich selbst und die Umgebung hinein.

Nichts tat sich in den ersten drei Monaten. Weder ihr Amulett noch ihre Tätowierung am Rücken des linken Handgelenks signalisierten Sondra, das ein Tor in der Nähe der Hills of Tara war.

Zwischen den Vollmondtagen hielt sich Sondra im County Monaghan auf. Sie durch­suchte die Bergkette von Slieve Beagh nach Hinweisen auf Niall Noigiallach und auf Merlin. Ihrer Theorie nach, ging Merlin einst durch dasselbe Tor von Vilgard zur Erde wie sein Lehrmeister in umgekehrter Richtung.

Dieses Tor lag auf Vilgards Seite den Berichten zu Folge, die sie gelesen hatte westlich im Sikhara-Gebirge. Daraufhin stellte sie folgende Berechnung an: ihr Tor lag in Norddeutschland. Genauer gesagt in ihrem Keller. Als sie mit Andreas nach Vilgard gereist war, hatten sie sich südwestlich auf Ylra und das Sikhara-Gebirge zu bewegt.

Der Druide, der damals nach Vilgard kam und dort blieb, kam aus dem heutigen Irland. Also musste es dort auch ein Tor geben.

Da Irland etwas südwestlich von Deutschland liegt müsste Sondras Logik zur Folge das irische Tor westlich im oder am Sikhara-Gebirge zu finden sein.

Natürlich konnte Sondra diese Theorien nicht in ihrem Studium und ihrer Disser­tation einarbeiten. Die Professoren und Tutoren hätten sie bestenfalls milde ange­lächelt und dann die Männer mit den Hab-Mich-Lieb-Jäckchen angerufen. Also musste sie die Sache auf sehr irdische und irische Weise angehen.

Der Zufall kam ihr zu Hilfe. Beim Klettern in den Bergen von Slieve Beagh rutschte sie aus und schlitterte in eine Höhle hinein. Der Eingang war mit Wurzeln und Geäst zugewuchert, aber nach ein paar rabiaten Unkraut-Vernichtungsmaßnahmen mit ihrem Pickel und etwas Körperkraft legte sie den Eingang ein wenig frei.

Sondra lächelte still in sich hinein, während sie neben Andreas im Auto saß und an ihre kleine Entdeckung dachte.

Sie hatte damals einen Bergführer bei sich. Sean O´Malley war ein relativ kleiner, breiter Ire mit einem sehr gewöhnungsbedürftigen Akzent. Ständig grinste er von einem Ohr zum anderen und erzählte Geschichten aus der Zeit der Hochkönige Irlands. Nachdem Sondra den Höhleneingang freigelegt hatte, ließ sie sich von Sean mit einem Seil sichern und in die Höhle hinunter. Das, was sie in dem schwachen Licht ihrer Taschenlampe sah, verschlug ihr die Sprache.

Die Wände waren voll geschrieben mit Texten in Ogam und Latein. Dadurch, dass diese Höhle über Jahrhunderte nicht betreten worden und ihr Zustand trocken und warm war, waren die Schriften sehr gut erhalten. Sondra machte rasch mit ihrem Camcorder einige Aufnahmen, um den Fund beweisen zu können. Kurz bevor sie sich von Sean wieder hochziehen ließ, sah sie im Schein ihrer Taschenlampe noch etwas anderes.

An der hinteren Wand der Höhle stand ein rechteckiger Felsblock. Er sah merkwürdig gleichmäßig aus. Sondra blinzelte etwas, um den Gegenstand genauer unter die Lupe zu nehmen. Dann stieß sie einen kleinen Jubelschrei aus.

„Sondra! Was ist passiert?“, rief Sean von oben.

„Zieh mich rauf, mein Freund. Schnell!“

Sean O´Malley musste wohl gedacht haben, dass sein Schützling in Gefahr wäre. Mit einer unglaublichen Geschwindigkeit zog der Mann Sondra aus der Höhle, als hätte sie kein Gewicht.

„Bist du in Ordnung? Hat dich irgendwas gebissen?“

Sondra strahlte ihren Begleiter an und umarmte ihn lachend. Dann nahm sie seinen Kopf zwischen die Hände und drückte ihm einen herzhaften Kuss auf die Stirn.

„Sean, du bist mein Glücksbringer, mein Held!“, sagte sie.

O´Malley sah sie mit hochrotem Kopf an. Zwar hatte seine Gesichtsfarbe als Grund­ton immer ein leichtes Rot, aber Sondras Aktion verwandelte das leichte Rot in ein glühendes Feuerrot.

In Monaghan, der Hauptstadt des County Monaghan, hatte Sondra sich ein Zimmer in einer Pension genommen. Als sie nach ihrer Entdeckung in ihrem Zimmer den Camcorder an den Fernseher anschloss und sich die Aufnahmen in Ruhe ansah, wusste sie, dass sie den Jackpot gezogen hatte.

Die Inschriften in Latein erzählten die Geschichte eines Königs in Britannien, der versuchte die Völker zu einen und alle ehrbaren Männer unter sich zu verbünden.

Die Ogam-Zeichen nahmen diese Geschichte auf und berichteten zusätzlich von Kon­takten, die zwischen dem britischen König und dem Hochkönig Irlands stattgefunden hatten.

Der rechteckige Gegenstand am hinteren Ende der Höhle konnte entweder ein Altar oder ein Sarkophag sein. Das würden erst genauere Untersuchungen ergeben.

Dann entdeckte Sondra etwas, das sie vorher in der Höhle nicht gesehen hatte. Schriftzeichen aus Vilgard!

Sondra schluckte hart. Konnte sie es riskieren, dass sie den Fund öffentlich machte und somit Vilgard eventuell der Entdeckung preisgab? Sie konzentrierte sich und versuchte zu entziffern, was in dem Halbdunklen von ihr gefilmt worden war.

„Das heilige Gefäß wird in dieser Welt nie zu finden sein.“

Nachdenklich ließ sich Sondra auf ihr Bett zurückfallen. Diese Höhle war nun ent­deckt. Sean O´Malley würde es bestimmt schon im Pub erzählt haben. Also wäre es doch am besten, die Flucht nach vorn anzutreten und die Freilegung der Höhle selbst zu überwachen und zu dokumentieren.

Sondra Wielands Entschluss stand fest. Gleich am nächsten Morgen ging sie zu den entsprechenden Behörden in Monaghan und beantragte die Freilegung und Erforschung der Höhle.

„Miss Wieland, unsere Stadt ist zu klein. Wir können die Kosten gar nicht aufbringen, um Ihnen ein derartiges Unterfangen zu finanzieren. Wenn sie einen Sponsor hätten und freiwillige Arbeitskräfte ....“

Weiter kam der Mann vom Amt nicht. Sondra Wieland grinste ihn breit an. „Ich habe die finanziellen Mittel. Und um die Männer, die ich brauche, kümmere ich mich selbst. Ich bezahle sie auch selbst. Was ich von Ihnen brauche ist eine Unterschrift und ein Stempel, das ich in den Slieve Beagh graben darf. Selbstverständlich ver­pflichte ich mich, sämtliche Fundstücke, vom Staubkorn bis zum großen Felsblock, dem irischen Volk zuzuführen. Ich habe kein Interesse an Souvenirs oder ähnlichem. Ich möchte nur forschen und die Erkenntnisse für meine Doktorarbeit gebrauchen können. Mehr will ich nicht. Das unterschreibe ich Ihnen gern in fünffacher Aus­führung. Hier ist übrigens eine beglaubigte Kopie meines Führungszeugnisses aus Deutschland.“

Sondra lächelte immer noch und setzte zusätzlich eine kleine Gabe ein, die ihr von ihrer Mutter quasi in die Wege gelegt worden war. Ihr Nymphen-Gen!

Seit sie von ihrem Bluterbe wusste, hatte sie trainiert, um diesen Teil von sich selbst nicht unkontrolliert auf die Welt – respektive Männerwelt – loszulassen. Doch gelegentlich konnte dieses Erbe von Nutzen sein. So wie jetzt.

Langsam ließ sie einen Teil der Barrieren fallen, die sich schützend wie ein Kokon um ihr Unterbewusstsein gelegt hatte. Dann ließ sie die Quellnymphe ein wenig kom­men. Ihre Haut fing an zu schimmern und zu pulsieren. Der arme Mann vor ihr wusste nicht, wo er hinsehen sollte. Völlig verdattert unterschrieb er ihren Antrag und stempelte ihn ab.

„Ich danke Ihnen, Mr. Scott“, sagte sie lächelnd und schickte ihm einen intensiven Nymphen-Impuls. Dem Mann fielen fast die Augen aus dem Kopf und er wurde hochrot. Krampfhaft schloss er die Beine und legte seine Hände schützend auf seinen Unterleib.

Immer noch lächelnd drehte Sondra sich um und verließ das Amt.

Sondra kicherte in sich hinein.

„Woran denkst du?“, fragte Andreas.

„An den armen Beamten in Monaghan. Ich glaube, nachdem er mir die Genehmigung für die Ausgrabung erteilt hatte, ist er erst mal schnell auf Klo gerannt.“

„Die Nymphe?“

„Die Nymphe!“

„War das fair?“

„Nein, aber sonst hätte ich bis nach Dublin gemusst, um mir die Genehmigung einzuholen. Und das hätte vielleicht noch mal ein paar Wochen gedauert. Du weißt, ich bin nicht gerade sehr geduldig, mein Schatz.“ Sie hatten die Autobahn vor ein paar Minuten verlassen und fuhren jetzt auf der Bundesstraße weiter.

„Wenn der Prozess gegen diesen Bastard vorbei ist, möchte ich mit dir Urlaub ma­chen, Sondra. Vielleicht zeigst du mir ja mal deine Höhle?“

Die Stimme von Andreas klang ungewöhnlich ernst und angespannt. Sondra wusste, was ihm durch den Kopf ging. Vor knapp einem Jahr erschreckte der Fund von fünf Kinderleichen Norddeutschland. Binnen weniger Monate wurden die Mädchen entführt, missbraucht und getötet. Danach dann wie Müll weggeworfen. Kriminal­kommissar Andreas Laurenz und seine Kollegen ermittelten fieberhaft um weitere Morde zu verhindern.

Als das sechste Mädchen entführt worden war, bekam der Fall eine persönliche Wen­dung. Das Kind entpuppte sich als die Tochter einer alten Schulfreundin von Andreas. Sondra wusste keine Einzelheiten über den Verlauf der Ermittlungen. Aber zwei Tage nach der Entführung gelang es der Sonderkommission das Kind aus den Händen des Entführers und Mörders zu befreien. Die Kleine war zwar schwer verletzt und würde noch Jahre in psychologischer Betreuung verbringen, aber sie lebte.

Der Täter wurde verhaftet und die Sonderkommission arbeitete eng mit der Staats­anwaltschaft zusammen. Alle Beweise wurden mehrfach gesichtet und überprüft, ebenso die Zeugenaussagen und die Alibis. Jetzt, nach fast einem Jahr, stand der Pro­zess kurz bevor und die Staatsanwaltschaft und die Polizisten der Sonderkommission hofften, dass das gesammelte Material für eine Verurteilung ausreichen würde und der Täter nie wieder als freier Mensch herumlaufen kann.

„Das ist eine ausgezeichnete Idee, Andi. Irland ist im Winter sehr schön und ruhig. Da wirst du dich bestimmt erholen können.“

Sondra Wieland hatte die Anspannung ihres Freundes in den letzten Monaten kaum ertragen können. Es gab Momente, in denen Andreas das Lachen zu verlernen schien. Es musste grauenvoll gewesen sein, was er zu sehen bekommen hatte.

Andreas lächelte seine Freundin jetzt dankbar an. „Es war bestimmt nicht leicht mit mir in letzter Zeit.“

„Ich liebe dich, du Holzkopf“, sagte sie zärtlich.

Damit war alles gesagt. Sondra lehnte sich lächelnd in den Autositz zurück und dach­te an den Moment in Vilgard, als sie befürchtete Andreas durch den Messerstich eines Trolls zu verlieren. In diesem Moment war ihr bewusst geworden, dass der Mann, den sie in ihren Armen gehalten hatte, ein bedeutender Teil ihres Lebens sein würde.

Und sie hatte nicht vor, diesen Mann jemals wieder gehen zu lassen.

Die Eltern von Andreas, Silke und Olav Laurenz, hatten ein kleines Gestüt. Als An­dreas mit Sondra vor das Haupthaus fuhr, ging die Haustür auf und Olav Laurenz trat vor die Tür.

„Schön, dass ihr gekommen seid, Kinder!“ Er umarmte nicht nur seinen Sohn zur Begrüßung, sondern auch Sondra.

Olav Laurenz war Anfang sechzig, groß und hager. Seine blauen Augen blickten im­mer forschend in die Gesichter seiner Gesprächspartner und er war ein unbe­stechlicher Geschäftsmann. Seine Familie war ihm aber das Wichtigste. Egal wie ge­winnbringend ein Projekt sein konnte, sobald ein Mitglied seiner Familie ihn brauch­te, war er zur Stelle und er ließ alles andere stehen und liegen.

Olav legte einen Arm um Sondras Schulter. „Andi, du bringst Sondra viel zu selten hierher. Wenn sie hier ist, geht es einem gleich viel besser.“

Andreas grinste seinen Vater an. „Na-na, du alter Schwerenöter! Begebe dich nicht auf fremdes Terrain!“

Lachend führte Olav Sondra galant in das Herrenhaus, hängte ihren Trenchcoat auf einen Bügel und gab ihr ein paar Gästepantoffel. Sondra fand das von Anfang an ir­gendwie süß. Sie wäre barfuß oder mit frischen mitgebrachten Socken umher ge­laufen. Aber die Eltern von Andreas bestanden nun mal auf die Pantoffeln.

„Seht mal, wen ich hier habe“, sagte Olav und zog Sondra lächelnd an der Hand führend in das Wohnzimmer.

Silke Laurenz stand auf, ebenfalls lächelnd. Sie hatte warme, braune Augen und sanf­te Gesichtszüge. Ihre hellblonden Haare waren kinnlang und benötigten noch keine künstliche Farbe. Lachfalten hatten sich neben den Augen und in den Mundwinkeln tief eingegraben.

Sie war Ende fünfzig, aber so manche vierzigjährige Frau wäre neidisch auf die schlanke, sportliche Figur dieser Frau.

„Sondra, Liebes! Schön, dass du hier bist.“ Silke nahm Sondra in die Arme und küsste sie auf beide Wangen. Sondra erwiderte die Küsse und strahlte die ältere Frau an.

„Ich freue mich auch, wieder mal hier zu sein. Danke für euer herzliches Will­kommen!“

Andreas hatte inzwischen seine Schwester Petra umarmt und wurde nun von dem sechsjährigen Jonas angesprungen. Spielerisch, als ob der Knirps zwei Zentner wie­gen würde, strauchelte Andreas rückwärts und ließ sich laut stöhnend auf die Couch fallen.

„Sag mal, hast du Kraftfutter der Pferde zu Essen bekommen?“

„Nö, Onkel Andi. Ich laufe viel und mache jetzt Judo! Und in der Klasse bin ich der Beste im Sport!“

Jonas war gerade erst eingeschult worden. Er war ein guter Schüler, dem das Lernen Spaß machte und der alles Neue in sich aufsog wie ein Schwamm.

Petra Schubert, geborene Laurenz, umarmte Sondra ebenfalls zur Begrüßung. Sie hatte die blauen Augen ihres Vaters, aber das warme Wesen ihrer Mutter. Wenn sie lachte, bildeten sich auf den Wangen links und rechts zwei tiefe Grübchen und ihre Augen strahlten mit der Sonne um die Wette.

„Schwesterherz, kriegst du Zwillinge oder warum gehst du so auseinander?“

„Andi!“ Sondra war ein wenig entsetzt über die ruppige Art, aber Petra lachte nur.

„Volltreffer, großer Bruder. Ich bekomme ein Doppelpack. Aber ich habe noch drei Monate.“

Petra klopfte sanft mit der flachen Hand auf den gewölbten Bauch. „Wann werdet ihr zwei für Nachwuchs sorgen?“

Sondra wurde puterrot und stöhnte auf. Andreas grinste erst Sondra und dann seine Schwester an. „Eins nach dem anderen, Pittiplatsch.“

„Werde nicht frech, Rübennase!“

Sondra lächelte in sich hinein. Die beiden Geschwister hatten ein wirklich herzliches und vertrautes Verhältnis zueinander. Sie konnten gar nicht aufeinander böse sein.

Nach dem Abendessen – Sondra hatte bei dem Tischgebet, das in diesem Haus üblich war, die Hände ihres jeweiligen Sitznachbars ergriffen und respektvoll geschwiegen – wollte Petra ihren Filius ins Bett bringen. Aber Jonas maulte solange herum, bis Andreas ihn sich einfach über die Schulter warf und zusammen mit ihm und seiner Schwester in das alte Zimmer von Petra verschwand.

Sondra blickte ihrem Freund zufrieden lächelnd nach.

„Wir konnten dir noch gar nicht zu deiner Doktorwürde gratulieren, Sondra“, sagte Olav, während er sich seine Pfeife stopfend im Sessel vor dem Kamin zurücklehnte.

„Danke, Olav. In den letzten vier Monaten ist soviel passiert. Ich musste noch mal nach Irland zu meiner Höhle und als ich dann hier war, brauchte mich Andreas. Es gab einfach nicht die Zeit und die Gelegenheit, das ein bisschen zu feiern.“

Olav nickte. Sondra hatte es sich auf der großen Couch bequem gemacht und ihre Beine unter sich geschlagen. Silke saß auf dem zweiten Sessel und schaute ihrem Mann zu, wie er seine Pfeife anzündete.

´Es ist ein Ritual, jedes Mal! `, dachte sich Sondra.

„Andreas war in letzter Zeit sehr angespannt, nicht wahr? Macht ihm der Fall immer noch zu schaffen?“ Silke blickte kurz zu Sondra hinüber. In diesem kurzen Moment erkannte Sondra die Sorge, die sich Silke um ihren einzigen Sohn machte.

„Ja, der Fall ist noch nicht ganz abgeschlossen. Aber in knapp zwei Wochen beginnt der Prozess. Andreas, sein Team und die Staatsanwaltschaft überprüfen jedes Detail, jeden Beweis und jede Zeugenaussage zum x-ten Mal, um Fehler zu vermeiden. Dieser Mann soll nie wieder die Möglichkeit bekommen, Freiheit zu schnuppern. Und das ganze nimmt Andi unheimlich mit.“

„Erzählt er Einzelheiten?“, wollte Olav wissen.

„Nein. Das darf er gar nicht. Aber ich merke auch so, dass er völlig fertig ist, wenn er nach Hause kommt.“

„Belastet das nicht eure Beziehung?“, fragte Silke.

Sondra überlegte kurz. „Am Anfang, als Andi noch gar nichts sagen durfte. Da hatte ich manchmal ein befremdliches Gefühl. Aber ich merkte auch, dass er jemanden brauchte, der nicht viele Fragen stellt, sondern einfach nur da ist. Irgendwie hat uns das noch näher gebracht.“

Einen Moment schwiegen die drei. Von oben war das Lachen von Jonas zu hören, weil Andreas mit ihm herumalberte. Sondra lächelte bei den Geräuschen.

„Es tut gut, Andi wieder mal Lachen zu hören“, sagte Sondra leise. „Wenn dieser Albtraum mit dem Mörder vorbei ist, werden wir verreisen. Andi braucht unbedingt einen Tapetenwechsel.“

Silke strahlte Sondra an. „Das ist eine hervorragende Idee. Das tut ihm bestimmt gut. Aber bitte nicht wieder nach Südamerika!“

Sondra lachte. „Nein, vielleicht nach Irland oder nach Malta. Diesmal kein Urwald mit Einwohnern, die mit Messern nach uns werfen.“

Sondra und Andreas mussten sich eine kleine Notlüge ausdenken, um die frische Wunde an der Schulter von Andreas zu erklären. Schließlich konnten sie ja nicht erzählen, dass ein Troll mit einem Messer auf den König der Elfen losgegangen war und Andreas sich dazwischen geworfen hatte. Das hätte auch bei den aufge­schlossenen Eltern von Andreas zumindest zu Unverständnis geführt.

„Was wirst du eigentlich in Zukunft machen?“, fragte Olav zwischen einigen Zügen an seiner Pfeife. „Wirst du Feldforschung betreiben oder eine Dozentenstelle an einer Uni annehmen?“

Sondra zuckte mit den Schultern. „Ich weiß noch nicht so genau. Hamburg und Berlin haben mir jeweils eine lukrative Stelle mit viel Freiraum angeboten. Aber auch Dublin, London und Philadelphia in den USA sind an mich herangetreten.“ Sondra grinste breit. „Meine kleine Zufallsentdeckung hat wohl einigen Staub aufgewirbelt.“

„Aber welche Entscheidung Sondra auch trifft“, meldete sich Andreas zu Wort, der das Wohnzimmer gerade wieder betrat. „ich werde hundertprozentig hinter ihr stehen.“

Er ließ sich neben seine Freundin auf die Couch plumpsen und zog sie in seine Arme. Sondra sog seinen Duft ein, der sie jedes Mal alles andere um sie herum vergessen ließ. Für einen kurzen Moment verlor sie die Kontrolle über ihre Barrieren und ihre Haut schimmerte auf. Olav Laurenz bemerkte es und starrte verwundert zu der Freundin seines Sohnes.

„Was war das gerade?“

Sondra wusste sehr wohl, was Olav meinte. „Was meinst du?“

„Deine Haut. Sie hat eben gerade geleuchtet!“

Sondra spürte, dass Andreas sich kurz anspannte. „Das war bestimmt nur eine Re­flexion vom Kaminfeuer, Paps.“

Stirn runzelnd paffte Olav an seiner Pfeife. Sondras Herz schlug bis zum Hals. Beina­he wäre eines ihrer kleinen Geheimnisse offenbart worden.

„Ich glaube, wir gehen jetzt schlafen. Wir wollen ja nicht morgen in der Kirche einschlafen, nicht wahr?“ Andreas stand auf und half Sondra hoch. Dann ging er zu seiner Mutter und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Nacht, Mutsch!“

„Du sollst mich doch nicht so nennen!“, warf sie ihm vor, drückte ihm aber einen Kuss auf die Wange.

„Das war verdammt knapp“, murmelte Andreas schläfrig, als er und Sondra wenig später aneinander gekuschelt im Bett in seinem alten Zimmer lagen.

„Ja, war es.“ Sondra richtete sich ein wenig auf. „Aber deine Nähe lässt nun mal Gefühle in mir hochkommen. Dein Duft, deine Berührungen….“ Sie küsste sein Kinn, ihre Lippen wanderten an seinem Kiefer entlang zu seinem Ohrläppchen. Als sie zärtlich daran knabberte, stöhnte Andreas heftig auf.

„Sagtest du nicht vorhin, dass es dir peinlich ist, es im Haus meiner Eltern zu tun?“ Seine Stimme klang ein wenig rau, dafür war er aber wieder hellwach.

„Was tun?“, fragte sie mit gespielter Naivität und ließ ihre Zungenspitze an seinen Hals hinunter zum Schlüsselbein wandern.

„Biest!“ Andreas griff in Sondras rote Haare und riss ihren Kopf nach hinten. Hart presste er seine Lippen auf ihre und zwang seine Zunge in ihren Mund. Sondra ließ alle Barrieren fallen und leuchtete wie ein Stern in dunkler Nacht.

Kapitel 2: Zukunftsmusik

Sondra rutschte auf der hölzernen Kirchenbank hin und her. Sie hatte den Worten des Pfarrers gelauscht und fand die Predigt zum Erntedankfest gar nicht mal so schlecht. Einige Kinder aus der Gemeinde sagten Gedichte auf und präsentierten dazu die Erträge der Ernte der näheren Umgebung. Sie bedankten sich bei Gott und Jesus Christus und lobpreisten alles mit Gesang.

Bei den Gesängen und der dazu gespielten Orgel musste Sondra sich beherrschen, nicht vor Ohrenschmerz ihr Gesicht zu verziehen. Die Orgel selbst klang dünn und blechern, der Organist traf oft bei den Halbtönen daneben und von Rhythmus konnte man auch nicht sprechen.

Der Pfarrer selbst sang gut und tapfer gegen den Organisten an und auch Andreas, Silke und Petra sangen melodiös mit. Aber der Großteil der Gemeinde, besonders einige Damen sangen völlig neue und andere Töne als die Lieder vorgaben. Beson­ders schräg war eine etwa siebzig Jahre alte Dame, die mit solch einer Inbrunst sang, dass sie selbst den Organisten übertönte. Dabei traf sie nicht einen einzigen richtigen Ton.

Sondra kannte die Lieder nicht. Und selbst wenn, so wollte sie niemanden mit ihrem Gesang verschrecken. Im Musikunterricht schielten die Lehrer und Mitschüler Sondras immer merkwürdig, wenn sie etwas vorsingen sollte. Also verweigerte sie irgendwann das Singen und konzentrierte sich anderweitig auf Mitarbeit im Musi­kunterricht.

Sondra beobachtete Ingrid, die ältere Schwester von Andreas. Sie hatte ihre braunen Haare kurz geschnitten und nach hinten mit Gel fixiert. Ihr scharfkantiges Gesicht wirkte herb und zwischen den Augenbrauen hatte sich tief eine vertikale Furche ein­gegraben. Neben ihr standen ihre zwei Kinder, Mark und Jeremy. Ingrids Mann Peter, sehr erfolgreich im Medienmanagement eines großen Fernsehsenders, stand neben dem ältesten Sohn und hatte locker einen Arm um dessen Schulter gelegt.

Sondra mochte Peter, er hatte eine ruhige Art und war sehr intelligent.

Am Ende der Reihe, die die Laurenz für sich beansprucht hatten, saß Tom in seinem Rollstuhl. Thomas Behrens, ein Cousin von Andreas, hatte als Teenager einen Unfall beim Handballspielen erlitten und war seitdem querschnittsgelähmt. Tom hatte trotz dieses Mankos sein Leben fest im Griff. Nach dem Abitur hatte er sein Hobby zum Beruf gemacht und eine Ausbildung zum Fotografen absolviert. Inzwischen hatte er sein eigenes Geschäft mit Atelier und hatte einige Fotostudienreisen hinter sich ge­bracht. Zwei seiner Fotos waren schon einmal unter den zehn besten Fotos des Jahres gewählt worden.

Tom hatte lange braune Haare, die er meistens zum Pferdeschwanz gebunden hatte. Dadurch kamen seine hohe Stirn und die Geheimratsecken besonders zur Geltung und er wirkte älter, als er eigentlich war. Er hatte warme braune Augen mit grünen Flecken und an seinem Kinn prangte seit neuestem ein geflochtener dünner Bart.

Sondra mochte Tom auf Anhieb. Seine Art war geradeheraus und unkompliziert. Kein Getue, kein Schnickschnack, einfach nur Tom. Er sang ebenfalls nicht mit. Allerdings nahm er an den Gebeten teil und auch beim Abendmahl.

„Du hast tapfer durchgehalten“, raunte Andreas Sondra am Ende des Gottesdienstes zu und küsste sie kurz auf die Stirn.

„Für dich tu ich doch fast alles“, raunte sie zurück, während sie langsam zum Aus­gang gingen.

Der Pfarrer verabschiedete jeden Gast per Handschlag. Bei der Familie Laurenz war er besonders herzlich und als der Geistliche, der schon über sechzig Jahre alt zu sein schien Andreas erblickte, grinste er breit und erfreut.

„Schön, dich auch mal wieder zu sehen, Andreas. Du warst lange nicht hier.“

„Ich weiß, Pfarrer Fleischer“, antwortete Andreas höflich. „Ich lebe jetzt in Flensburg und schaffe es nicht mehr sooft hierher. Darf ich Ihnen meine Freundin Sondra Wie­land vorstellen?“

Sondra wurde knallrot, als der Pfarrer sie mit einem wissenden Lächeln bedachte und ihr mit warmen Händen die Hand schüttelte. „Sie sind also das Wunderkind, das unseren Andreas eingefangen hat. Ich bin sehr erfreut darüber, Frau Wieland. Wirklich sehr erfreut.“

Sondra stammelte einige Dankesworte und so etwas wie „nicht der Rede wert“ und lief so schnell als möglich zu den Autos.

„Kirche ist nicht dein Ding, häh?“ Tom hatte seinen Rollstuhl neben sie gefahren und wartete mit ihr nun auf die anderen.

„Aber so gar nicht!“ Sondra schüttelte sich und Tom zeigte ein breites Grinsen mit perfekten Zähnen. „Fährst du mit mir mit zum Gestüt?“

Sondra sah Andreas, der gerade näher kam und die Frage gehört hatte, fragend an. „Ich habe vorhin ziemlich beengt im Auto gesessen, da zwischen Petra und mir noch der Kindersitz war. Macht es dir was aus, Andi?“

„Ähm, ich wollte eigentlich was mit Tom besprechen auf der Rückfahrt. Macht es dir was aus, mit den anderen zu fahren?“

Sondra schüttelte den Kopf und gab ihrem Freund einen kleinen Kuss. „Bis später, Tom!“, rief sie und setzte sich in den Wagen, wo auch Jonas und Petra saßen.

Sondra half Silke, Petra und Ingrid in der Küche, während die Männer auf der Veran­da saßen und Tee tranken.

>Irgendwie ist das doch eine archaische Familie<, dachte sie, während sie das Gemüse kleinschnitt. >Frauen in Küche und Haushalt, Männer klönen bei Tabak und Alkohol. <

„Warum trägst du eigentlich immer dieses breite Lederarmband, Sondra?“ Ingrids kalte Stimme unterbrach Sondra in ihren Gedankengängen und sie zuckte erschrocken zusammen.

„Ähm, nur Gewohnheit. Das trage ich seit meinem fünfzehnten Lebensjahr. Also nicht dieses, aber immer die gleiche Art.“ Sie ärgerte sich, dass sie bei Ingrid fast immer ins Stottern geriet.

„Versteckst du irgendetwas darunter, was niemand sehen soll?“

Sondra hielt inne im Zwiebeln schneiden und blickte starr in Ingrids Augen. Sie er­kannte die Provokation, die in ihnen steckte und schluckte eine bissige Antwort hinunter.

„Ingrid, was soll das?“, ließ sich jetzt Silke Laurenz vernehmen. „Ich frage dich ja auch nicht nach deinem Nasenpiercing.“

Innerlich schmunzelte Sondra, weil sich Silke ein wenig auf ihre Seite geschlagen hatte. „Du hast schon irgendwie recht, Ingrid“, sagte sie zu Andreas´ älterer Schwester. „Ich verstecke wirklich etwas, was nicht jeder sehen soll. Aber Andi weiß, was unter meinem Armband ist und auch einige andere Menschen wissen, was darunter ist. Kleine Geheimnisse würzen doch das Leben, findest du nicht?“

Ingrid schnappte zweimal, als ob sie etwas erwidern wollte, entschied sich dann offensichtlich dagegen.

„Das war eine gute Antwort, Sunny!“, raunte ihr Petra zu, als die beiden den Tisch im Esszimmer deckten.

Petra hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, jeden Menschen einen Spitznamen zu geben. Sondras Spitzname war wenigstens nur eine Veränderung ihres Vornamens – so hoffte sie wenigstens.

„Ich hätte ihr gerne noch ein paar andere Sachen gesagt, aber des lieben Friedens Willen in der Familie lasse ich das lieber.“

Petra kicherte und verzog plötzlich das Gesicht. „Whoa! Ihr da drin seid noch nicht gefragt, hört ihr?“ Sie rieb kräftig über ihren Bauch.

„Fußtritt oder Faustschlag?“, wollte Sondra wissen und grinste leicht.

„Nee, das war ein Dickkopf. War vermutlich das Mädchen.“

Sondra horchte auf. „Soll das heißen, es sind zweieiige Zwillinge?“

„Gut kombiniert, Sondra Holmes! Der Arzt sagt, der eine Fötus ist auf jeden Fall ein Junge. Bei dem zweiten ist er sich nicht sicher, da es sich bei den Untersuchungen immer wegdreht. Aber so, wie das Kleine im Bauch herumzickt, kann es nur ein Mädchen sein.“

Sondra stand neben Petra, als ihr Bauch merkwürdige Bewegungen machte. „Darf ich meine Hand mal drauf legen?“

„Klar doch!“

Sanft legte Sondra die Hand auf Petras Bauch und spürte, wie sich da drinnen etwas bewegte.

„Uh, nimm´ mal die andere Hand und leg sie hier an meine nicht mehr vorhandene linke Taille!“

Sondra folgte der Aufforderung und spürte die Bewegungen des zweiten Kindes. Es schien fast so, als ob der Zweite sich unter Sondras Hand beruhigte und sich ihr entgegenstreckte.

„Das ist toll, Petra“, flüsterte sie.

„Du brauchst nicht flüstern, aber ja, es ist toll. Außer der Tatsache, dass die beiden mir meine Figur endgültig ruinieren.“

„Du musst dich lediglich nach der Geburt disziplinieren, Petra. Aber das konntest du ja noch nie!“, ließ sich Ingrid vernehmen, die gerade mit zwei Brotkörben das Ess­zimmer betrat.

Petra rollte theatralisch mit den Augen. „Tobi liebt meine sexuelle Schwungmasse, Scrooge! Er mag keine Hungerharken und Miesepeter!“

Sondra musste sich erneut ein breites Grinsen verkneifen und ging rasch zurück in die Küche. „Kann ich noch etwas helfen, Silke?“

Silke schüttelte mit konzentriertem Gesichtsausdruck den Kopf. „Wir tragen jetzt nur die Speisen rein und dann können wir essen. Holst du die Männer von der Veranda?“

„Klar, mache ich!“ Sondra drehte sich um und ging hinaus zu den Männern. Offensichtlich hatten sie sich gerade einen Witz erzählt, denn kerniges Männerlachen ertönte.

„Ich störe euren Plausch nur ungern, aber das Essen ist fertig!“

Andreas nahm Sondra in den Arm und schnupperte an ihrem Haar. „Du riechst lecker!“

„Dann schnuppere mal an meinen Händen“, sagte sie und hielt ihm ihre Zwiebelfinger unter die Nase.

„Hhm!“, machte er und nahm einfach ihre Finger in den Mund und lutschte daran. Sondra wurde sofort knallrot, weil Olav, Tom und Peter dieses Schauspiel beob­achteten.

„Andi!“, rief sie entrüstet und schubste ihn ein wenig von sich.

Peter zog anerkennend die Augenbrauen hoch, Tom lachte lauthals und Olav schmun­zelte.

„Mit euch beiden wird´s echt nicht langweilig“, sagte Tom immer noch lachend, als er mit seinem Rollstuhl an Sondra und Andreas vorbeifuhr.

Zum Essen gab es wieder das obligatorische Tischgebet. Es gab eine Pilzsuppe als Vorspeise, Schmorbraten mit Kartoffeln und verschiedenen Gemüsesorten und als Dessert selbst gemachte Rote Grütze mit Vanillesauce. Sondra und Andreas tranken Wasser dazu, ebenso Petra und Silke. Tom trank alkoholfreies Bier, Olav und Ingrid normales Bier. Peter trank einen trockenen Rotwein.

„Wenn ich jetzt noch irgendwas esse, platze ich“, stöhnte Sondra und lehnte sich auf ihrem Stuhl etwas zurück. Sie war die Letzte, die mit dem Essen fertig war.

„Ich hole mal einen Verdauerli!“, sagte Olav und stand auf.

„Wie kannst du soviel essen und trotzdem so schlank bleiben?“, fragte Petra bestürzt.

„Gene!“, sagte Sondra grinsend. „Die Familie meiner Mutter war immer schlank und mein Großvater ist die Hagerkeit in Person!“

Petra lächelt versöhnlich. Olav verteilte den Magenbitter und wollte gerade zum Trinkspruch ansetzen.

„Warte mal, Paps! Ich … möchte noch was sagen!“

Andreas stand auf und schob seinen Stuhl ein wenig zur Seite. Verblüfft blickte Sondra zu ihrem Freund hoch. Die ganze Zeit am Tisch war er auffallend still ge­wesen, wirkte geradezu nervös. Immer wieder hatten er und Tom sich Blicke zuge­worfen. Jetzt hatte Tom ein schiefes Grinsen im Gesicht und presste sich rasch die Serviette vor dem Mund.

Andreas seufzte kurz, dann kniete er sich vor Sondra und nahm ihre Hand. Allein diese Geste ließen bei ihr die Alarmglocken klingen. Mit großen Augen und offenem Mund starrte Sondra ihren Freund an.

„Sondra, Schatz!“ Andreas räusperte sich. „Seit zwei Jahren sind wir zusammen. Wir haben zusammen einiges erlebt und in letzter Zeit war es nicht immer ganz einfach mit mir. Das weiß ich. Was ich noch weiß, ist, dass es auf der ganzen Welt keine weitere Frau geben wird, die mich so berührt hat wie du. Und immer noch berührt. Ich meine natürlich mein Innerstes, Tom!“

Tom unterdrückte hustend einen kleinen Lachanfall und hob entschuldigend die Hand.

„Wo war ich…? Ach ja! Sondra, ich liebe dich. Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, wie ein Leben ohne dich für mich weiter gehen soll.“ Er räusperte sich nochmals und holte tief Luft. Plötzlich hielt er einen kleinen, silberfarbenen Ring in der Hand. „Willst du meine Frau werden, Sondra Wieland?“

Sondra hatte plötzlich das Gefühl, in ihrem Mund eine Wüste zu haben, so trocken fühlte es sich an. Sie sah in Andreas´ braune Augen, die ihr so vertraut waren. Noch nie hatte sie ein solches Maß an Hoffnung und Angst, aber auch tiefe Liebe in diesen Augen gesehen.

„Scheiße, ja!“, platzte es aus ihr heraus und sie fiel ihrem Liebsten um den Hals.

Die Reaktionen der anderen am Tisch bekam sie nicht mit, da Sondra damit be­schäftigt war, Andreas zu küssen. Irgendwann hörte sie dann aber doch Tom.

„Lass ihn leben, Sondra!“, rief er lachend. Er applaudierte.

Andreas schob den Ring über den Ringfinger von Sondras linker Hand. „Meine Ver­lobte!“, sagte er glücklich.

Sondra strahlte ihn an. Sie wusste, dass sie sich gerade sehr beherrschen musste, um ihre Barrieren nicht fallen zu lassen. Ihre Haut hätte wahrscheinlich dazugeführt, dass alle Anwesenden in dem Zimmer die Sonnenbrillen raus geholt hätten. Oder sie wäre mit Fragen konfrontiert worden, die sie nicht beantworten konnte.

Taumelnd vor Glück stand sie auf und nahm die Umarmungen von Silke, Olav, Petra, Jonas und Peter entgegen. Ingrid, Mark und Jeremy gaben höflich die Hand und gra­tulierten.

„Jetzt brauche ich aber wirklich einen Schnaps!“, sagte Sondra und griff nach dem Magenbitter. Sie mochte das Zeug eigentlich nicht, aber nach dem schweren Essen und dem kleinen angenehmen Schock war das die Medizin, die sie benötigte.

Irgendwann setzte sie sich wieder hin. Andreas nahm neben ihr Platz und rückte dicht mit seinem Stuhl an sie heran, nahm sie in den Arm. Sondra betrachtete den Ring. Er war aus Weißgold mit gelb-goldenen Intarsien. Eine Greifenschwinge, an deren Wurzel ein stilisierter Greifenkopf zu sehen war. Das Auge des Greifs bestand aus einem winzigen Diamanten.

„Der Ring ist wunderschön, Andi!“, sagte sie leise und vergrub ihren Kopf an seinem Hals.

„Tom hat mir bei dem Entwurf geholfen.“

Sondra sah zu dem immer noch breit grinsenden Tom Behrens hinüber. „Andi hat mir gesagt, wie er sich den Ring in etwa vorstellt und ich habe ein paar Zeichnungen ge­macht.“ Toms Augen funkelten belustigt. „Wir haben einige Entwürfe quasi zusam­men geschmissen und dann ist er zu einem Goldschmied gegangen. Seit zwei Mona­ten hat er den Ring bei sich, Sondra!“

Überrascht sah Sondra ihren Verlobten an. „Seit zwei Monaten?“

„Hhm! Ich habe auf den richtigen Augenblick gewartet. Ich glaube, das war er einfach.“

„Du bist so süß“, hauchte Sondra und küsste ihn zärtlich.

„Wann wollt ihr denn heiraten?“, fragte Olav. Er blickte seinen Sohn und Sondra stolz und zufrieden an.

„Sie hat doch gerade erst mal ja gesagt“, lachte Andreas. „Über den Rest müssen wir uns noch unterhalten. Vielleicht im nächsten Frühjahr oder Sommer, keine Ahnung!“

Sondra sah zu Petra. „Hast du davon gewusst?“

„Nicht die Bohne! Bin gerade genauso platt wie du. Aber ich freue mich total da­rüber.“ Petra strahlte über ihr ganzes Gesicht. Ingrid blickte ein wenig sauertöpfisch, aber Sondra ignorierte es. Nichts konnte im Moment ihr Glück schmälern.

Zwei Stunden später fuhren Sondra und Andreas zurück zum Cottage. Sondra hatte sich in dem Beifahrersitz eingekuschelt und blickte immer wieder zu Andreas rüber. Irgendwann kicherte sie.

„Was ist so lustig?“, fragte Andreas.

„Mein Verlobter!“ Sie genoss es richtig, diese Worte zu sagen. „Das klingt soviel besser als ´mein Freund` oder ´mein Lebensgefährte`. Was Holger und Renate wohl dazu sagen?“

Andreas grinste. „Ich hatte mir erlaubt, im Vorfeld Holger um deine Hand zu bitten, da er praktisch so eine Art Vater für dich ist. Er und Renate hatten mir ihren Segen gegeben.“

„Du bist ja ganz schön abgebrüht.“

„Nein, bin ich ganz und gar nicht. Was glaubst du, was ich für einen Bammel hatte? Ich hatte die Befürchtung, du würdest meinen Antrag ablehnen. Moment mal, hattest du vorhin ´Scheiße, ja` gesagt?“

Sondra lachte hell auf. „Ich glaube schon. Ich war in Panik und in meinem Mund war Wüste. Da ist mir das erste Wort einfach so raus gerutscht.“

Sie kramte in ihrer Handtasche nach ihrem Handy.

„Wen willst du anrufen?“, fragte Andreas.

„Holger und Renate. Wenn die zwei eingeweiht sind, sollen sie wenigstens wissen, dass ich ´Ja` gesagt habe.“

Holger und Renate Kolbrink hatten Sondra immer bei sich aufgenommen, wenn ihr Vater, Thorben Wieland, auf ´Geschäftsreise` war. Allerdings gingen die Reisen fast immer nach Vilgard und Holger, der auch noch Anwalt und Notar war und die Interessen erst von Thorben, jetzt auch von Sondra vertrat, lieferte ihm über dreißig Jahre Alibis über die Aufenthaltsorte.

Karin, die Tochter der Kolbrinks, war Sondra eine sehr enge Freundin geworden. Vor einigen Jahren war sie aber an Leukämie verstorben. Der Verlust traf alle sehr hart.

Umso mehr kümmerten sich die Kolbrinks um das Wohlergehen von Sondra. Als Andreas Laurenz in das Leben ihres Schützlings trat, waren sie von Anfang an begeistert. Der junge Kriminalkommissar war aufrecht und ehrlich und entwickelte zusätzlich schnell einen Beschützerinstinkt für Sondra. Das war vor allem wegen der Familie des verstorbenen Thorben Wieland wichtig. Der Patriarch, Sondras Groß­vater, hatte schon zu Lebzeiten seines Sohnes versucht, Kontrolle über Sondra und ihr Leben zu Erlangen. Nach Thorbens Tod verstärkte er seine Anstrengungen noch. Aber Sondra ließ sich nicht einschüchtern. Mit Andreas, Holger und Renate an ihrer Seite und einem klar ausgesprochenen Erbe zu ihren Gunsten konnte der Patriarch Hagen Wieland nichts unternehmen, um seine Enkeltochter nebst gewaltigem Vermögen einzuverleiben.

„Hallo, Onkel Holger. Ich habe ´Ja` gesagt!“

Andreas konnte hören, wie der väterliche Freund Sondras am anderen Ende vor Freude jubelte und es seiner Frau zurief.

„Ja, ich glaube, ich kann morgen mal vorbeikommen…. Andreas muss leider wieder ins Präsidium…. Richtig, der geheimnisvolle Fall…. Nein, Holger, dass holen wir nach…. Ganz sicher…. Ja, du auch. Und gib Renate einen dicken Kuss von mir….“ Andreas hob kurz die Hand und wies mit dem Daumen auf sich. „Von Andi auch. Ich hab euch lieb! Bis bald.“

Lächelnd beendete sie das Gespräch und steckte das Handy wieder in ihre Hand­tasche.

„Wir könnten nächstes Wochenende die beiden in ein schickes Restaurant führen. Was hältst du davon?“ Andreas fuhr von der Autobahn runter. Jetzt lagen noch etwa eine halbe Stunde Landstraßen vor ihnen.

„Das ist eine gute Idee. Wir beide müssen auch noch viel Besprechen. Ich brauche zum Beispiel deinen Rat, für welche Uni ich mich entscheiden sollte, wer welchen Namen nach der Hochzeit trägt und ob es auch kirchlich sein muss. Aber das machen wir alles, wenn dein Fall erledigt ist, in Ordnung?“

„Ja, das klingt gut. Dann habe ich den Kopf frei und kümmere mich nur noch um dich, mein Herz.“

Eine Weile fuhren sie schweigend, die langsam untergehende Sonne im Rücken. Die Silhouette des Cottage war zu erkennen, als Andreas von der Landstraße in einen Privatweg einbog.

„Home sweet home!“, murmelte Andreas und parkte den Wagen im Carport neben Sondras alten VW Käfer. Als er den Schlüssel im Zündschloss umdrehte, fiel sein Blick auf Sondras Knie, das unter ihrem Rock hervor guckte. Ohne zu überlegen, einem Impuls folgend, beugte er sich über das Knie und küsste es. Seine Hand fuhr an ihrer Kniekehle hinauf zwischen ihren Schenkeln.

„Aber Herr Kriminalkommissar Laurenz!“ Sondra spielte die Entrüstete. „Was ist, wenn uns jemand sieht?“

Andreas beugte sich noch tiefer über Sondras Schoß, während er ihr den Rock hoch­schob. „Dann wird er eine Erleuchtung haben, schätze ich“, sagte er heiser. Prompt fing Sondras Haut an zu funkeln. Andreas grinste Sondra von unten her an. „Wollen wir lieber reingehen?“

„Aber so was von schnell!“, quietschte Sondra und sprang aus dem Wagen. Während Sondra mit zitternden Händen die Haustür aufschloss, hielt Andreas mit einer Hand die Reisetasche und mit der anderen öffnete er Sondras Bluse von hinten. Dabei leckte er an ihrem schlanken Hals und knabberte an ihrem Ohrläppchen. Sondras Haut funkelte nicht mehr, sondern strahlte regelrecht.

Kaum im Hausflur warf Andreas die Reisetasche einfach auf den Boden und schmiss die Haustür hinter sich zu, während er Sondra gegen die Wand presste. Sie stand mit dem Rücken zu ihm und ließ ihn gewähren. Sein heißer Atem im Nacken, seine Hän­de überall auf ihrem Körper ließen sie laut aufstöhnen. Irgendwie gelang es ihr sich umzudrehen. Andreas hatte sich in der Zwischenzeit schon fast völlig ausgezogen und zerrte nun an Sondras Kleidung. Sie half ihm und als sie schließlich nackt waren, sanken sie im Hausflur auf den Boden und gaben sich ihrer Leidenschaft völlig hin.

Kapitel 3: Unverhoffter Besuch

„Kannst du mir mal verraten, warum wir nach zwei Jahren immer noch wie die Karnickel übereinander herfallen?“ Andreas lag mit angewinkeltem Bein im Hausflur auf dem Rücken. Sein Atem ging stoßweise und er hatte einen Arm über seine Augen gelegt. Mit dem anderen Arm hielt er Sondra fest, die sich an seine schweißnasse Brust kuschelte.

„Drei Jahre! Du vergisst Vilgard!“, keuchte sie. „Aber die Antwort lautet: keine Ah­nung! Und ich will mehr davon.“

Andreas gab einen verzweifelten Laut von sich. „Tod durch Sex. Wenigstens eine schöne Art zu sterben“, schnaufte er.

„Du brauchst mehr Training, das ist alles.“ Sie hob ihren Kopf und stützte sich auf seine Brust ab. Dabei grinste sie ihm frech ins Gesicht.

„Ich sagte gestern schon, dass du ein Biest bist.“ Dann zuckte er zusammen, als Sondra ihm in die Brustwarze biss.

„Wir müssen für Tom ein nettes Mädchen finden, Andi.“

Verblüfft sah er sie an. „Wie kommst du ausgerechnet jetzt auf diese Idee?“

„Ich bin eine Frau. Wir können nicht nur Multi Tasking agieren, sondern auch den­ken.“

Resignierend schüttelte Andreas den Kopf. „Es gibt da schon jemanden. Das Problem ist nur, dass Tom nicht mehr mit ihr redet.“

„Wer ist es?“ Sondra konnte ihre Neugierde kaum verbergen.

„Du kennst sie nicht. Tom und Stevie waren in der Schulzeit beinahe ein Paar. Dann kam der Unfall und Tom verschloss sich Mädchen gegenüber. Stevie war wirklich beharrlich und geduldig. Da er fast neun Monate nicht in der Schule sein konnte, fuhr sie dreimal die Woche ins Krankenhaus und später zur Reha, um ihn mit dem Unterrichtsstoff auf dem Laufenden zu halten. Er schaffte tatsächlich den Klassenabschluss und wir drei wurden ein sehr eng agierendes und eingespieltes Team.“

„Was ist dann passiert?“

Andreas drehte sich auf die Seite, stützte sich auf den Ellenbogen und legte seinen Kopf in seine Hand. Mit der anderen Hand streichelte er gedankenverloren über Sondras Hüfte.

„Tom mochte Stevie, aber wollte sie nicht an sich heran lassen. Er dachte, dass er nach dem Unfall kein richtiger Mann mehr sei und er wollte Stevie nicht eine mögliche glückliche Zukunft verbauen. Er stieß sie regelrecht zurück, als sie sich ihm öffnete und ihre Gefühle gestand. Das tat ihr dermaßen weh, dass sie sich von uns beiden zurückzog. Gleich nach dem Abitur heiratete sie einen anderen Mitschüler von uns, Robert. Sie bekamen zwei Kinder, sie studierte Jura, Robert schlug sie und als sie genug von den Schlägen hatte, schmiss sie ihn raus und ließ sich scheiden.“

„Armes Mädchen. Das hat sie echt nicht verdient, oder?“

Andreas gab einen verneinenden Laut von sich. „Das schlimmste kommt ja noch. Ich habe dir doch von einer alten Schulfreundin erzählt, deren Tochter knapp dem Serien­mörder entkommen ist.“

Entsetzt blickte Sondra ihren Verlobten an. „Stevie ist diese Schulfreundin? Grund­gütiger, warum muss sie all das durchmachen? Das ist nicht fair!“

„Nein, ist es nicht. Ich habe Tom vor kurzem erzählt, dass ich Stevie wieder getroffen habe, aber er wollte nicht über sie reden.“

„Hast du ihm gesagt, dass sie die Frau ist, deren Kind die Entführung durch diese Bestie überlebt hat?“

„Nein, dazu kam ich gar nicht. Er lehnt ein Gespräch über sie kategorisch ab.“

Sondra überlegte einen Moment. „Ich weiß, dass die Frage ein wenig indiskret ist, aber kann Tom eigentlich…? Na du weißt schon, was ich meine.“

Andreas grinste sie an. „Ja, er kann. Die Lähmung betrifft ausschließlich seine Beine und nichts anderes. Er war damals gerade sechzehn, als es passierte. Jungs in dem Alter denken nun mal Schwanz gesteuert.“

Sondra ließ ihren Blick an Andreas hinunter gleiten. „Nicht nur sechzehnjährige Jungs, würde ich sagen“, bemerkte sie trocken, als sein Steh-auf-Männchen genau dieses gerade tat. Sie drängte sich ihm entgegen und streichelte seinen Oberkörper mit ihren Lippen.

„Sondra!“

„Ja?“

„Bekommst du nie genug?“

Sie blickte ihm in die braunen Augen und versuchte dabei unschuldig zu gucken. Dann zeigte sie an ihm herunter. „Er hat doch angefangen und mit einer Einladung gewunken!“

„Hexe!“, sagte er zärtlich und zog sie an sich, um sie erneut mit Küssen zu über­häufen.

Einige Sekunden später erstarrte Sondra. Andreas bemerkte es und erkannte auch den Grund. „Ich wusste gar nicht, dass heute Vollmond ist.“

Die Holzdielen im Flur hatten zu vibrieren begonnen. Dadurch, dass sie mit nackten Körpern auf dem Boden lagen, spürten sie die Vibrationen sofort. Und sie wussten auch, dass die Vibration aus dem geheimen Keller kam.

Vom Tor nach Vilgard!

„Vollmond ist erst nächstes Wochenende, Andi“, sagte Sondra ernst und ihre Stimme klang total ernüchtert. In diesem Moment fingen die Tätowierungen, die Sondra und Andi unterhalb des linken Handrückens hatten, zu brennen an.

Andreas sprang auf, warf Sondra sein Hemd zu und schaffte es, im Laufen seine Boxer-Shorts anzuziehen. Sondra schlüpfte in Andis Hemd und zog sich rasch ihren Slip wieder an. Während sie zu der Kammer unter der Treppe lief, knöpfte sie das Hemd ein wenig zu. Sie riss die Tür auf und zerrte das Schwert von der Wand. Während sie in Richtung Küche lief, zog das Schwert aus der Scheide. Als sie gerade an der Küchentür war, stürmte Andreas mit seiner Dienstwaffe aus dem Arbeits­zimmer, ließ das Magazin einschnappen und spannte den Lauf.

Schwer atmend gingen die beiden langsam in die Küche. Sondra knipste das Licht an. In der Küche war alles so, wie sie es gestern verlassen hatten. Die Frühstücksbretter standen noch in der Abtropfschale, ebenso die Kaffeetassen.

Die Vibrationen hörten so plötzlich auf, wie sie angefangen hatten.

Andreas hatte seine Waffe auf ein unscheinbares Wandregal mit vier antiken Metallhaken gerichtet, an denen Küchenhandtücher hingen. Kurz blickte er fragend zu Sondra hinüber. Sie nahm das Schwert in die linke Hand und ergriff einen der Metallhaken, drehte ihn herum. Ein Knirschen mit anschließendem ´Pling` sagte ihnen, dass der Mechanismus jetzt offen war.

Sondra sah Andreas an, der seine Waffe weiter auf die Tür gerichtet hielt. Er nickte kurz und sie zog die geheime Tür auf.

Die Dunkelheit des Weinkellers schlug ihnen entgegen, sonst nichts. Sondras An­spannung legte sich für einen kurzen Moment und sie tastete um den Türrahmen herum greifend nach dem Lichtschalter. Das Licht ging flackernd an und Andreas schob sich langsam voran, durchquerte den Türrahmen und stand auf der obersten Stufe der Treppe, die in den alten Weinkeller führte.

„Wenn irgendetwas passiert, rennst du! Nimm das Auto und fahr weg, ohne dich umzusehen!“, raunte er ihr zu.

Sondra schüttelte den Kopf. „Kannst du vergessen!“, zischte sie. Ihr Adrenalinspiegel war in die Höhe geschossen. Ihre Haut, die bei positiven Emotionen schimmerte bis hell erleuchtet war, hatte jetzt einen fast dunkelvioletten Farbton angenommen, der bedrohlich glomm. Andreas registrierte das und musste kurz grinsen. Dann war er wieder hochkonzentriert und ging die Kellertreppe hinunter.

Alles schien in Ordnung zu sein. Die Glühlampen knackten ein wenig, irgendwo gab eine Flasche Wein singende Geräusche von sich, ein sicheres Zeichen dafür, dass der Wein nicht mehr genießbar war.

>Werde ich morgen wohl entsorgen müssen! <, dachte Sondra.

Am anderen Ende des Weinkellers stand die übergroße Front eines Weinfasses. Lang­sam gingen die beiden darauf zu. Andreas hielt immer noch die Waffe im Anschlag und versuchte alles andere um sich herum auszublenden. Sondra, die ihr Schwert schlagbereit erhoben hatte, näherte sich dem Rahmen des Fasses. Vorsichtig löste sie eine Hand von dem Schwert und berührte das Fass. Sie spürte nichts ungewöhnliches, nur das ständige leichte Vibrieren, das von dem Tor hinter dem Fass ausging.

Sondra wollte gerade ihr Schwert zur Seite stellen, um den geheimen Mechanismus des Fasses zu betätigen, als die Hölzer sich wie von Geisterhand zur Seite bewegten. Sie sprang zur Seite und blickte erstaunt auf die Paneele, die sich schneckenartig zurückzogen und das nackte Felsgestein freilegten.

Andreas spannte sich noch mehr an und atmete schnell.

Mit einem letzten Knirschen rastete der Mechanismus ein und es war still. Zu still. Dann wurde die Felsentür von innen aufgestoßen.

Sondra hob ihr Schwert, bereit, zuzuschlagen.

Als erstes sah sie zwei schmale, hellhäutige Hände, die den Felsen aufdrückten. Ge­folgt von zwei Armen, die mit Leinen umhüllt waren. Der Oberkörper des Mannes, der jetzt sichtbar wurde, steckte in einem dunkelgrünen Wams mit silberfarbener Borte. Lange dunkelblonde Haare fielen ihm über die Schultern. Die schlanke Gestalt richtete sich auf und blickte erschrocken in den Lauf von Andreas´ Waffe. Dann sah er nach links und erblickte eine Frau, die mit erhobenem Schwert vor ihm stand.

Sondra sah in die Augen des Mannes und ihre Kinnlade fiel herunter. Ein blaues Auge mit silbernen Punkten und ein goldenes Auge mit blauen Punkten.

„Elsir?“, fragte sie vorsichtig.

Der junge Mann vor ihr starrte sie an, dann grinste er ein wenig und auf seiner linken Wange bildete sich ein unglaubliches Grübchen. „Sondra?“, fragte er mit einer war­men und weichen Stimme zurück, die Sondra schlichtweg umhaute.

„Ich glaube es einfach nicht!“, quietschte sie, ließ ihr Schwert fallen und sprang dem ihr völlig fremden Mann einfach in die Arme.

„Ähm!“, machte der junge Mann und schloss automatisch die Arme um die Frau. Erst wurde er blass, dann aber knallrot, als er merkte, dass sie nur spärlich bekleidet war.

„Wie ist das möglich? Wie bist du hierher gekommen? Du bist ja inzwischen ein Mann! Deine Augen! Daran habe ich dich erkannt! Erzähl doch endlich!“

Sondra hing dem Elfen am Hals und plapperte auf ihn ein, ohne zu bemerken, dass hinter ihm noch jemand den Weinkeller betrat. Als sie ihn schließlich bemerkte, vergaß sie völlig, was sie sagen wollte und erstarrte mit offenem Mund.

Andreas hatte seine Waffe inzwischen gesichert und runter genommen. Seine An­spannung ließ er hinaus, indem er schwer atmend seine Hände auf die Knie abstützte und die Augen schloss. „Hättet ihr nicht ´ne Karte oder so was schicken und uns vorwarnen können?“ Dann erst bemerkte er, dass Sondra den zweiten Neuankömmling einfach nur anstarrte. Andreas nahm ihn näher in Augenschein.

Der zweite Elf war weit über einen Meter neunzig groß und hatte breite Schultern. Seine Haut hatte einen olivfarbenen Ton und das Gesicht war wie bei allen Elfen Bartlos. Pechschwarze lange Haare waren zu einem Zopf geflochten und dichte schwarze Augenbrauen gaben ihm etwas Düsteres.

Doch das bemerkenswerteste an ihm waren seine Augen: leuchtendes Bernstein!

„Heilige Scheiße“, stöhnte Andreas. „Du musst Koljas Sohn sein!“

Der dunkelhaarige Elf lächelte leicht und nickte. „Dann bist du wohl Andreas.“ Er stellte es einfach fest. Keine Frage, keine Unsicherheit.

Sondra schluckte. Die Stimme des anderen war eine einzige Versuchung. Männlich, tief und warm mit einem Charme, der ihm angeboren schien.

>Was allerdings merkwürdig ist, wenn ich an Kolja denke. Kolja und Charme passen nicht wirklich zusammen. <

Jetzt erst bemerkte sie, dass Elsir sie die ganze Zeit festhielt, aber versucht war, seine Hände nicht an Körperregionen Sondras zu halten, die unter Umständen kom­promittierend waren. „Entschuldige, Elsir. Ich habe mich nur so gefreut und da ist mein Temperament mit mir durchgegangen.“

Der dunkelblonde Elf lächelte wieder und sein zauberhaftes Grübchen erschien auf der Wange. „Die Begrüßung fand ich gar nicht schlecht. Hätte ich in der Form auch nicht erwartet.“ Seine verschieden farbigen Augen blitzten schelmisch auf.

„Das letzte Mal, als ich dich sah, warst du erst ein paar Monate alt und lagst in meinen Armen! Und jetzt….“

Sondra trat ein paar Schritte zurück und betrachtete ihn ausführlich. Mit einer eleganten Verbeugung fing er an, sich um sich selbst zu drehen.

„Zufrieden?“, fragte er dann.

„Allerdings!“ Sondra trat zurück und suchte Halt bei Andreas. Der starrte immer noch den anderen Elf an.

„Ich heiße Bijae“, sagte dieser und streckte den beiden seine Hand entgegen.

Andreas ergriff sie als erster. „Verzeihung, aber wir sind total überrascht. Also ich bin Andreas und das ist meine Verlobte Sondra.“

Bijae ergriff auch Sondras Hand und sie hatte das Gefühl, unter Strom gesetzt zu werden. „Willkommen auf der Erde, meine Freunde“, sagte sie heiser. „Willkommen in Deutschland!“

Elsir blickte sich neugierig um. „Ein Weinkeller! Das ist stilvoll für ein Tor.“

Sondra kicherte verunsichert. „Tarnung ist alles. Wollt ihr nicht nach oben ins Haus kommen? Dort können wir uns in Ruhe unterhalten. Ihr habt doch bestimmt Hunger und Durst.“

Die beiden Elfen nickten und folgten Andreas die Treppe hinauf zur Küche. Sondra verschloss die steinerne Tür und schloss auch die Paneele. Einige Sekunden später war nur wieder das Weinfass zu sehen. Dann hob sie ihr Schwert auf und folgte den Männern.

Die beiden Elfen sahen sich erstaunt in der Küche des Hauses um. Zwar gab es in Vilgard in den meisten Häusern Wasser durch ein Pumpensystem, aber als Andreas einfach den Wasserhahn anhob und ein Wasserstrahl herauskam, waren die beiden etwas beeindruckt.

„Lass nur, ich mache das schon“, sagte Sondra und nahm die Butter aus dem Kühlschrank. „Kannst du bitte das Schwert wegbringen?“

„Na klar. Ich ziehe mir auch was über und bringe dir deinen Bademantel.“ Er küsste sie kurz auf die Stirn und ging dann aus der Küche.