Vater unser - Gerhard Gäde - E-Book

Vater unser E-Book

Gerhard Gäde

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Beschreibung

Beten fällt vielen Menschen heute schwer. Aber kann man ein Christ oder eine Christin sein ohne zu beten? Dieses Buch möchte vor allem für junge Menschen das Vaterunser erschließen als christliches Grundgebet. In ihm vollziehen Christen ihren Glauben und verstehen sich als Kinder Gottes, die mit Jesus vor dem Vater stehen und ihm ihr Leben hinhalten. Dieses Buch eignet sich als Geschenk für junge Leute zur Firmung.

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Vater unser im Himmel!

Geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme,

Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.

Inhalt

Vorwort

Vater unser im Himmel

1. Eine gewagte Anrede

2. Wer ist dieser „Vater“?

3. Der Mensch vor Gott

4. Jesus – Gottes Wort für uns und unsere Antwort

5. Der Himmel und unser Beten

6. Aufbau des Vaterunser

Geheiligt werde dein Name

Dein Reich komme

Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden

Unser tägliches Brot gib uns heute

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern

Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen

Dank

Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser!

„Herr, lehre uns beten!" – so baten die Jünger Jesus (Lukas 11,1). Auch wir wissen oft nicht, wie wir beten können und worum. Und vielleicht fragen wir gar nicht mehr, wie das geht.

Das Vaterunser geht auf Jesus selbst zurück. Er antwortet damit auf die Bitte der Jünger. Die Evangelien überliefern, Jesus habe persönlich seine Jünger gelehrt, so zu beten. Das Vaterunser wird uns im Neuen Testament in zwei verschiedenen Versionen überliefert mit einigen Abweichungen: Matthäus 6,9–15 und Lukas 11,1–4. Ausführlicher bringt es Matthäus, kurz und knapp Lukas. Durchgesetzt hat sich beim Beten die längere Fassung von Matthäus, wie sie uns auch aus dem Gottesdienst vertraut ist.

Wir haben hier also echtes jesuanisches Urgestein. Der Text spiegelt wider, wie Jesus selbst von Gott gedacht und gesprochen hat und wie er die Menschen als Gottes Kinder betrachtete. Das Vaterunser ist das weltweite Ur-Gebet der Christen. Bis heute verbindet es uns durch die Zeit mit allen Christinnen und Christen von Anfang an; und es verbindet alle christlichen Konfessionen miteinander. In allen Kirchen der Welt wird es in jedem Gottesdienst gebetet. Mit Jesus sprechen wir vor Gott darin aus, was uns bewegt – ob gemeinschaftlich oder allein.

Nun noch eine kleine Leseanleitung für dieses Büchlein: Das erste Kapitel (Vater unser im Himmel) möchte uns helfen zu verstehen, wer Gott ist und was wir überhaupt von Gott erkennen und sagen können. Mancher Gedanke kann dem Leser ungewohnt oder schwierig erscheinen. Es kann daher sein, dass es zunächst nicht ganz leicht fällt, diesen Ausführungen sofort zu folgen. Deshalb sollte man dieses Kapitel langsam und Schritt für Schritt lesen und versuchen, intensiv mitzudenken. Man kann es auch mit anderen zusammen lesen, vielleicht in einem Bibelkreis oder mit einer Gebetsgruppe darüber ins Gespräch kommen. Alternativ kann man auch erst die anderen Kapitel lesen und sich am Schluss das erste Kapitel wieder vornehmen. Dann gibt es sicher das eine oder andere Aha-Erlebnis.

Hier halten wir uns an den Text, wie wir ihn aus dem Gottesdienst kennen. Der abschließende Lobpreis Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit gehört nicht zum Vaterunser. Erst im 2. Jahrhundert wurde dieser Abschluss an das Vaterunser angefügt. Man wollte, ganz wie in jüdischer Tradition üblich, das Beten mit einem Lobpreis abschließen.

Dieses Buch möchte uns helfen, dieses Grundgebet und seine einzelnen Bitten besser zu verstehen und es mit Freude und Vertrauen zu beten. Jeden Tag neu.

Osnabrück, im September 2022

Gerhard Gäde

Vater unser im Himmel

1. Eine gewagte Anrede

Als Kind wunderte ich mich im Gottesdienst, wenn der Priester die Gemeinde zum Vaterunser einlud. Er sagte:

„Dem Wort unseres Herrn und Erlösers gehorsam und getreu seiner göttlichen Weisung wagen wir zu sprechen: Vater unser im Himmel ...“

Ich verstand nicht, warum er „wagen" sagte. Welches Risiko gehen wir denn ein? Ich brauchte lange, um zu verstehen, dass das gar nicht selbstverständlich ist, Gott als unseren Vater anzusprechen. Es hat nämlich mit Jesus zu tun und damit, wie er von Gott sprach.

Unser Ausgangspunkt

Jesus brachte Kunde von Gott. Er ist für uns Christen selbst das Mensch (die Bibel sagt: Fleisch) gewordene Wort Gottes (vgl. Johannes 1,14). Wir sagen: Gott hat uns in Jesus sein Wort gegeben. Denn viele Menschen, die ihm begegneten, erfuhren sich dabei als von Gott angesprochen. Dies ist der Ausgangspunkt unserer Überlegungen. Denn auch wir wurden von anderen Menschen und in der Kirche mit der Botschaft Jesu angesprochen. Und Jesus selbst lehrt uns auch zu beten.

Aber was ist denn Beten? Sprechen mit Gott. Aber wie kann ich mit jemand sprechen, den ich nicht sehe? Die Bibel selbst sagt es doch: „Keiner hat Gott je gesehen" (Johannes 1,18). Damit bestätigt sie nur unsere Erfahrung. Und wie kommen wir dann dazu, mit ihm zu sprechen? Welche Antwort hören wir denn? Viele Menschen beten, aber es kommt anscheinend nichts zurück. Beten scheint ein Monolog zu sein. Es bleibt unbeantwortet und erscheint vielen wie eine Einbahnstraße. Es ist so als spräche ich in ein Telefon und niemand nimmt ab und hört mir zu. Ist das nicht oft enttäuschend? Auch Jesus weiß darum. Deshalb sagt er: „Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen" (Matthäus 6,7). Sie wollen Gott vollschwatzen, damit er endlich antwortet und ihre Wünsche erfüllt. „Macht es nicht wie sie!", sagt Jesus, „denn euer Vater weiß, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn bittet" (Matthäus 6,8). Niemand kann Gott von sich aus erreichen, wenn Gott nicht unserem Beten zuvorkommt. Und Jesus überrascht die Jünger mit einem ganz neuen Zugang zu Gott: „So sollt ihr beten: Unser Vater im Himmel!" (Matthäus 6,9).

Eine unverschämte Anrede?

„Vater unser!" Nanu? Das ist schon eine gewagte Anrede. Wie können wir jemand „Vater" nennen, den wir nie gesehen haben? Und wie kommen wir dazu, Gott einfach zu duzen? Wir würden bestimmt nicht einen fremden Mann so familiär anreden. Aber Gott? Keiner von uns hat ihn je gesehen. Er kommt in der Welt nicht vor. Er scheint nirgendwo zu sein. Irgendwie ein Fremder! Und zu ihm sollen wir „Vater" sagen? Ist das nicht frech? Wie können wir uns das erlauben? Vater – das ist doch einer, dem wir in unserer Kindheit vertrauen konnten, der uns auch später nahe bleibt; einer der zu uns steht und uns nicht im Stich lässt, wenn wir Probleme haben. Wenn wir einen guten Vater haben oder hatten, dann ist das so. Manche Väter gehen mit ihren heranwachsenden Kindern durch Dick und Dünn. Wenn man Kummer oder Probleme hat, kann man den Vater ins Vertrauen ziehen. Wenn man einen guten Vater hat, wird man Verständnis finden, Ermutigung und, wenn nötig, auch Verzeihung.

Manche Menschen müssen ohne Vater aufwachsen. Denen fehlt jemand. Versuchen wir uns einmal auszumalen, was uns fehlte, wenn wir in unserer Kindheit keinen Vater gehabt hätten. Und wer tatsächlich ohne Vater aufwachsen musste, hat sich vielleicht – mehr oder weniger unbewusst – Ersatzväter gesucht: etwa einen Onkel, einen Lehrer, den Kaplan oder einen guten Bekannten. Und dann gibt es Menschen, die haben absolut schlechte Erfahrungen mit ihren Vätern gemacht und leiden unter Verletzungen. Das Wort „Vater“ weckt in ihnen eher böse Erinnerungen als gute.

Nicht wenige haben recht widersprüchliche Empfindungen, wenn sie an ihren Vater denken. Als Kinder haben wir unseren Vater vielleicht als übermächtig empfunden, aber auch als beschützend. Er nahm uns die Angst, wenn wir uns bedroht fühlten. Später haben wir entdeckt, dass er auch Schwächen hat und gar nicht stark, vielleicht sogar selbst ein Angsthase war. Andere hatten ganz starke oder gar autoritäre Väter und brauchten als Heranwachsende eine gehörige Portion Trotz und auch Mut, um sich durchzusetzen, um sich frei zu fühlen, um den eigenen Weg zu finden. Der Vater, die Eltern können uns dabei fördern und helfen; sie können aber auch einengen. Für jeden Jugendlichen ist es deshalb wichtig, sein Verhältnis zu Vater und Mutter zu klären und sich auch innerlich abzunabeln. Und aufgrund der eigenen Erfahrungen mit dem leiblichen Vater fällt es manchen gar nicht leicht, Gott als „Vater“ anzureden, weil dann auch die gefühlten unguten Erfahrungen wieder wach werden können.

2. Wer ist dieser „Vater“?

Die Bibel antwortet auf unsere Fragen. Sie sagt, dass Gott sich in Jesus als unser Vater geoffenbart hat. Wer aber ist Gott? Ist er nur eine Vorstellung, die wir uns machen? Ein Wunschbild? Eine Illusion?

Nun, langsam, langsam! Schritt für Schritt: Zwar sagt die Bibel, dass keiner Gott je gesehen hat. Und in der Tat: ein Gott, den man sehen kann, wäre ja gar nicht Gott. Er wäre ein Stück Welt. Tatsächlich ist Gott für unsere Erfahrung unendlich weit weg. Alles, worauf wir stoßen, was wir sehen und erfahren, was zu unserer Welt gehört, ist nicht Gott. Man darf es auch nicht für Gott halten, so faszinierend auch manches in der Welt ist. Ganz gleich, was es ist, ob es das Zimmer ist, in dem ich am Schreibtisch sitze, Menschen, die mir nahe stehen und die ich vielleicht bewundere, gar „vergöttere“, ob es die große und weite Welt ist, oder die Sonne, ja selbst die Millionen Lichtjahre entfernten Sterne und kosmischen Staubpartikel im Weltraum, die Kraft der Schwarzen Löcher: alles das ist nicht Gott! Es ist bloß Welt. Und es ist vergänglich und endlich. Die Bibel sagt dazu: Alles ist geschöpflich. Damit sagen wir: Gott kommt darin nicht vor. Aber: Nichts von alledem wäre ohne Gott.

Von Gott muss man also ganz anders sprechen als von der Wirklichkeit unserer Welt. Wir können ihn nicht begreifen und ihn uns auch nicht vorstellen. Von Gott reden sprengt geradezu die Grenzen unserer Sprache! Wie aber können wir dann doch von Gott sprechen?

Gott ist: Ohne Wen nichts ist1

Die Bibel spricht von der Erschaffung der Welt in einem Glaubenslied (vgl. Genesis 1). Ja, es ist ein Lied. In sechs Strophen teilt es die Erschaffung der Welt in sechs Tage auf. Die Bibel will damit keine naturwissenschaftliche Aussage machen über die Entstehung der Welt. In poetischer Weise zählt sie einfach alles auf, was es in der Natur gibt: die Gestirne, das Licht, das Wasser, Land und Meer, Pflanzen, Tiere und schließlich Menschen. Und nach jeder Strophe folgt der Refrain: „Es wurde Abend, es wurde Morgen: erster Tag bzw. zweiter, dritter usw. Tag.“ Und von alldem, was die Strophen aufzählen, sagt dieses Lied: Alles, was wir sehen und erfahren, ist bloß geschöpflich und wäre nicht ohne Gott.

Nicht nur unsere Bibel, auch der Koran der Muslime sieht das so. Diese beten ja mit uns den Einen Gott an. In Sure 6,75–79 spricht Gott:

So zeigten Wir Abraham die Herrschaft über die Himmel und die Erde, damit er zu den Überzeugten gehöre. Als die Nacht über ihn hereinbrach, sah er einen Stern und sprach: „Das ist mein Herr!“ Als der aber unterging, da sprach er: „Ich liebe nicht die Untergehenden.“ Und als er den Mond aufgehen sah, da sprach er:„Das ist mein Herr!“ Als der aber unterging, da sprach er: „Wenn mich mein Herr nicht leitet, gehöre ich zu den Menschen, die vom Weg abirren.“ Und als er die Sonne aufgehen sah, da sprach er:„Das ist mein Herr, denn das ist größer!“ Als sie aber unterging, da sprach er: „Mein Volk, ich habe nichts zu schaffen mit dem, was ihr (Gott) beigesellt. Siehe, ich wende mich, als wahrer Gläubiger, dem zu, der die Himmel und die Erde erschaffen hat.“

Abraham weigert sich hier beim Betrachten der Schöpfung, irgendetwas Geschöpfliches mit Gott zu verwechseln. In den alten heidnischen Religionen wurden die Gestirne ja oft als Götter und Göttinnen verehrt. Aber weder Sonne noch Mond und Sterne noch irgendetwas anderes, was dem Wandel unterliegt und also vergänglieh ist, kam für Abraham als Gott in Frage. Gott ist für die Bibel und für den Koran „ohne Wen“ der Himmel und die Erde nicht wären. Alles, was wir von der Welt sagen, kann noch größer und vollkommener gedacht werden. Alles aber, was wir von Gott sagen, muss so sein, dass es nicht mehr größer gedacht werden kann (Anselm von Canterbury).

Auch der große Kirchenvater Augustinus (354–430) ruft uns das in Erinnerung, indem er nach Gott fragt und die Erde und den Himmel sprechen lässt:

Ich fragte die Erde, und sie sagte: „Ich bin es nicht.“ Und alles, was in ihr ist, legte mir das gleiche Bekenntnis ab. Ich fragte das Meer und die Abgründe und die kriechenden Tiere. Sie erwiderten: „Wir sind nicht dein Gott; suche oberhalb von uns.“ Ich fragte die wehenden Winde, und das ganze Gefild der Luft mit seinen Bewohnern sagte mir: „Anaximenes2 täuscht sich, wir sind nicht Gott.“ Ich fragte den Himmel, die Sonne, den Mond und die Sterne: „Auch wir sind nicht Gott, den du suchst“, antworteten sie. Ich wandte mich an alle Dinge, die vor den Türen meines Leibes stehen: „Redet mir von meinem Gott, der ihr nicht seid, sagt mir etwas über ihn.“ Da riefen sie mit lauter Stimme: „Er hat uns gemacht!“ (Bekenntnisse, 10. Buch, Kap. 6, Nr. 9)

Alles in der Welt verweist uns auf Gott, es „spricht“ gewissermaßen von Ihm; aber nichts davon ist Gott. Es ist also unsere Welt selbst, die uns „sagt“, dass sie nicht Gott ist, sondern geschöpflich und deshalb nichts Absolutes, sondern bloß etwas Relatives, das nur bezogen auf Gott existiert und ohne Gott nicht sein kann. Die Welt ist also der Grund, warum wir von Gott reden, und nicht umgekehrt. Denn wir wissen nicht erst, wer Gott ist, um dann zu sagen, er habe die Welt erschaffen. Denn wir kennen zuerst nur die Welt und verstehen dann, dass sie geschaffen ist. Gott selbst aber – so sagt es die Bibel – „wohnt in unzugänglichem Licht“ (vgl. 1. Timotheusbrief 6,16). Wir können ihn nicht erfahren wie wir die Welt erfahren und erleben.

Viele meinen, Gott sei das „höchste Wesen“ von allem. Aber das kann nicht richtig sein. Denn ein „höchstes Wesen“ wäre immer noch Teil eines größeren Ganzen, so wie der allerhöchste Turm nur ein Turm von vielen Türmen ist. Atheisten lehnen eine solche Vorstellung von Gott als höchstem Wesen ab. Zu Recht. Gott wäre ja dann das höchste von vielen Wesen und damit immer noch Teil eines größeren Ganzen, nämlich der Gesamtwirklichkeit. Aber das kann nicht Gott sein. Das höchste Wesen, das wir kennen, ist der Mensch.

Für die Bibel und auch für den Koran ist Gott der Schöpfer des Himmels und der Erde. Aber dies wissen wir nur, weil wir erkennen, dass wir geschaffen sind, also ohne Gott nicht wären. Begreifen aber können wir Gott nicht. Er ist unbegreiflich. Aber wir können sehr wohl begreifen, dass die Welt ohne ihn nicht wäre. In der Bibel betet König Salomo einmal:

Selbst der Himmel und die Himmel der Himmel fassen dich nicht. (1. Buch der Könige 8,27)

Also ist Gott nicht ein Teil eines größeren Ganzen oder eine Macht im Universum. Auch das wäre nicht der Gott der Bibel und des Korans.

Gott ist unbegreiflich

Ganz schlicht können wir deshalb sagen: Gott ist OHNE WEN NICHTS IST. Aber wenn wir ihn als solchen anerkennen, dann kann er nicht begriffen werden. Denn er fällt unter keinen Begriff. Alles in der Welt fällt unter Begriffe und Oberbegriffe. Fahrrad, Auto und Bus fallen unter den Begriff „Fahrzeug“, Stuhl und Tisch unter den Begriff „Möbel“. Und wenn wir alles aufgezählt haben, fällt am Ende alles unter den Oberbegriff „Wirklichkeit“. Aber auch unter diesen Oberbegriff fällt Gott nicht. Denn dann wäre er ja nur ein Teil des Ganzen und selber geschaffen. Vielmehr existiert die ganze Wirklichkeit nicht ohne Gott. Denn Gott ist „etwas Größeres als alles, was gedacht werden kann“ (Anselm von Canterbury). Das gleiche meinen auch die Muslime, wenn sie sagen: „Allahu akbar: Gott ist immer größer als alles.“ Und so ist er nicht ein Teil der Wirklichkeit im Ganzen. Und die Wirklichkeit ist nicht Gott. Und deshalb sagt die Bibel: „Keiner hat Gott je gesehen“ (Johannes 1,18).

Man kann also Gott und Welt nicht miteinander vergleichen, so als wären sie sich wechselseitig ähnlich. Hinweisend (analog) können wir von der Welt sagen, dass sie Gott ähnlich ist; denn sie ist ja. Sie ist ihm aber zugleich unähnlich; denn sie ist endlich, veränderlich und vergänglich, also unvollkommen und damit von Gott verschieden. Von Gott aber können wir nur sagen, dass er uns und der Welt nur unähnlich ist. Denn wäre er der Welt ähnlich, dann fiele er mit der Welt unter einen Begriff und wäre durchaus begreiflich. Aber er wäre nicht Gott.

Ganz treffend hat der hl. Augustinus das gesagt:

Du also, Herr,

hast Himmel und Erde erschaffen,

der du schön bist – denn sie sind schön;

der du gut bist – denn sie sind gut;

der du bist – denn sie sind.

Doch sie sind nicht in der Weise schön

und sind nicht in der Weise gut

und nicht in der Weise sind sie,

wie du, ihr Schöpfer.

Neben dich gehalten

sind sie weder schön, noch gut, noch seiend.

(Bekenntnisse, 11. Buch, Kap. 6, Nr. 6)

Aber wie können wir dann an ihn glauben und ihn vertrauensvoll als unseren Vater anrufen?

Gott ist ein verborgenes Geheimnis

Dazu müssen wir jetzt ein wenig weiter ausholen: Die Welt kann ohne Gott zwar nicht sein; sie verweist auf ihn (nur deshalb verstehen wir, wer mit „Gott“ gemeint ist: Ohne Wen nichts ist); aber zugleich ist sie ganz und gar von ihm verschieden. Darum können wir Gott auch nicht einfach so erfahren wie man Dinge und Menschen erfahren kann. Denn was wir erfahren, ist immer ein Stück Welt. Wir erfahren immer nur unser Geschaffensein, unsere Abhängigkeit von Gott. Gott selbst aber bleibt unserer Erfahrung verborgen und entzogen. Wir erkennen zwar aus der Welt, dass sie ohne Gott nicht wäre (vgl. Römerbrief 1,20), wir können ihm aber von uns aus nicht nahe kommen. Wie sollen wir ihn dann mit unserem Beten erreichen?

Seit es Menschen gibt, haben viele diesen Zustand und ihre eigene Zerbrechlichkeit nur sehr schwer ausgehalten. Sie haben nach Gott gefragt und Sehnsucht nach ihm gehabt. Die Menschen der Bibel und auch noch die des Mittelalters wussten, dass wir Menschen die letzte Erfüllung und Vollendung in diesem Leben und in der Welt nicht finden können. Erst in der Neuzeit hat sich das geändert, als die Gottesgewissheit schwand. Friedrich Nietzsche hat das mit seinem berühmten Ausspruch „Gott ist tot“ auf den Punkt gebracht. Wenn Gott tot ist, dann ist der Mensch darauf angewiesen, sein Heil und seine Vollendung in diesem Leben aus der Welt herauszuziehen. Aber das ist eine Illusion. Auch wenn wir viel Glück im Leben haben, gesund, reich und angesehen sind: Wir bleiben vergänglich und dem Tod geweiht. Wenn wir nämlich nicht zu Gott finden, dann sind wir unserer Endlichkeit und damit dem Tod hoffnungslos preisgegeben.

Die Bibel führt diesen unerträglichen Zustand der Gottferne darauf zurück, dass die Menschen, die in der Freundschaft Gottes (die Bibel nennt sie „Paradies“) lebten, sich von Anfang an aus Angst um sich selbst gegen Gott aufgelehnt haben und selbst sein wollten wie Gott (vgl. Genesis 3,4–6). Sie verwechselten Gott mit einem grausamen Übervater, der Verbote ausspricht:

Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen; denn am Tag, da du davon isst, wirst du sterben. (Genesis 2,16– 17)

Offenbar ertrugen sie es nicht, dass Gott ihnen das vorschrieb. Sie sahen darin eine Einschränkung ihrer Freiheit. Sie wollten selbst wie Gott sein, unvergänglich und machtvoll.

Und „die Schlange“ flüsterte den Menschen ein: