Velella - Aline Akbari - E-Book

Velella E-Book

Aline Akbari

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Beschreibung

Was geschieht, wenn ein einziger Augenblick das Leben plötzlich aus seiner scheinbar vorbestimmten Bahn wirft? Velella erzählt von der schicksalhaften Begegnung zweier Menschen aus grundverschiedenen Lebenswelten - dem irischen Farmer Padraig und der deutschen Urlauberin Livia - die vor der Kulisse der rauen, irischen Atlantikküste mit sich selbst, ihrem Schicksal und ihren überbordenden Emotionen ringen. Die sie umgebende Landschaft, ein Spiegel ihres aus dem Ruder gelaufenen Innenlebens.

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Inhaltsverzeichnis

Widmung

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1

Das Licht, das sonnengleißende Licht, ihr helles, sommerleichtes Lachen, die Straße…

Padraig erwachte in einer Wolke aus Träumen. So, wie an jedem Morgen. So, wie seit 25 Jahren. So, wie seit jenem Tag im August, an dem er sie das erste Mal gesehen hatte und seine Welt ins Wanken geraten war. Das kleine Haus auf den Hügeln von Fargán, die zufrieden grasenden Tiere auf der Weide, seine Frau, die in der Küche das Mittagessen vorbereitete, seine Kinder, die in der Dorfschule Algebra und Gälisch lernten, sie alle wussten damals nichts von dem Erdrutsch, den dieser eine Wimpernschlag in ihm auslöste. Denn in dem Aquamarin ihrer Iris hatte sich für das Jota eines Augenblicks sein ganzes Ich gespiegelt.

Der Makler hatte ihnen das alte Cottage gezeigt. Nicht viel mehr als ein Flickenteppich aus Schieferschindeln und ein paar Steine, die einst das Heim der O‘Sheas gewesen waren. Einfache Farmer, ein einfaches Haus, aber für mehrere Generationen ein Fundament, auf das man bauen konnte. Die O‘Sheas waren schon lange in alle Himmelsrichtungen verstreut, das Fundament hatte mit der Zeit tiefe Risse bekommen, man versuchte andernorts sein Glück. Aber hier stand es noch, oder das, was von ihm übrig war. Das vom atlantischen Wetter gezeichnete Cottage, auf einem Stück Land mit Blick auf das Meer. Dieses Meer, das so schnell seine Farbe ändern konnte, von einem soghaft lockenden Blau zu einem verhängnisvoll wogenden Grau, sobald man ihm nur einmal kurz den Rücken kehrte.

Kein Ire würde auch nur einen Gedanken daran verschwenden, dieses Wrack von einem Haus wieder zum Leben zu erwecken, aber sie beide waren ihm sofort verfallen. Als ihr Auto am Tag der Besichtigung in den kleinen Feldweg einbog, an dessen Ende auch das Haus der Lynchs lag, stand Padraig am Zaun und schaute nach seinen Schafen. Er schaute in die Richtung, aus der das Motorgeräusch kam, schaute, als das Auto an ihm vorbeifuhr und kurz abbremste, direkt in das Blau ihrer kontinentalen Augen, aus denen er nie wieder auftauchen sollte.

Sie hatten nicht lange gezögert, ein Handschlag genügte, und der Kauf war besiegelt. Ihr Schicksal war es auch. Aber niemand von ihnen, weder die beiden Menschen im Auto noch der irische Farmer, hatte damals eine Ahnung davon. Als das Fahrzeug hinter der Hügelkuppe verschwunden war, ging Padraig zurück zu Frau und Kindern, die schon mit dem Essen auf ihn warteten. Er saß bei ihnen und aß, ohne wirklich anwesend zu sein, denn er war mit seinen Gedanken ganz woanders an diesem Abend im August.

In den folgenden Monaten erhielt das alte Cottage so viel Zuwendung, wie nie zuvor. Oft musste Padraig den Baufahrzeugen ausweichen, die sich mit schwerem Gerät den Feldweg hochbewegten. Wenn er abends mit seinem Hund an dem Haus vorbeiging, konnte er sehen, wie es sich von Tag zu Tag wandelte und langsam wieder die Züge eines Heims bekam. Die alten Steinmauern wurden ausgebessert, das Dach neu gedeckt, die Fenster erneuert, und in dem strahlenden Weiß, in dem man es frisch tünchte, sah das Cottage schließlich aus, wie ein junges irisches Mädchen, das sich hübsch gemacht hat für den sonnabendlichen Tanz in der Community Hall. Padraig hatte gehofft, sie während der Umbauarbeiten wiederzusehen, aber nur ihr Mann kam in unregelmäßigen Abständen vorbei und schaute, ob alles planmäßig vorwärts ging. Höflich grüßten sich die beiden Männer, doch Pad vermied jenes kurze belanglose Gespräch über das launische irische Wetter, mit dem man üblicherweise eine Begegnung in Irland begann. An einem kühlen Herbsttag hielt der Deutsche mit seinem dunkelblauen Volvo plötzlich neben Padraig, als dieser den Feldweg hochlief, und richtete, in fast akzentfreiem Englisch, das Wort an ihn, lächelte freundlich und suchte seinen Blick. Schon dort spürte Pad Unbehagen, dennoch erwiderte er den Augenkontakt und nahm auch die Einladung zu einem Whiskey auf gute Nachbarschaft an. Als er am Abend das Vieh versorgte, war er fahrig und abgelenkt, was die Tiere sofort spürten. Sie drängelten ungestüm an die Futtertröge, während sein Blick ziellos übers Meer zum Horizont wanderte.

Je näher der Tag des Besuches rückte, desto mehr breitete sich Widerstand in ihm aus. Er solle seine Frau gerne mitbringen, hatte der neue Nachbar ihm noch hinterhergerufen, den Kopf aus dem fahrenden Auto gereckt, die Haare vom Wind zerzaust. Sollte er das, wollte er das wirklich? Er hatte Katie noch nichts von der Einladung erzählt. Sie wäre bestimmt begeistert und froh über die willkommene Abwechslung. Er musste es ihr sagen, denn sonst würde der Fremde ihm vielleicht zuvorkommen. Beim Abendbrot berichtete er also von Jens’ Einladung. Jens, der Deutsche im blauen Volvo, der neue Besitzer des O‘Shea Cottages. Der Mann der Frau, mit den aquamarinblauen Augen. Katies Augen hatten die erdige Farbe von Torf.

2

Das Licht, das sonnengleißende Licht, ihr federleichtes Lachen, die Straße, die schnellziehenden Wolken…

Sie öffnete nicht, als er und Katie einige Tage später den Delphin aus Messing gegen die fuchsienrote Holztür klopften. Schnell unterdrückte er seine Enttäuschung und gab Jens die Hand, als dieser sie herzlich begrüßte. Freudig nahm er ihr Geschenk in Empfang, ein selbstgebackenes Sodabread, das noch warm war und das Katie ihm, zusammen mit einem St.Brigid’s Cross, welches sie aus Stroh geflochten hatte, überreichte. In der Küche aufgehängt, würde es böse Geister und Feuer vom Haus fernhalten, erzählte sie ihm und erkundigte sich sogleich nach seiner Frau. Aber sie war nicht da. Livia war nicht da. Sie war bei den Kindern in Deutschland geblieben, denn die Schulferien würden erst später beginnen. Sie war nicht da, aber jetzt kannte er ihren Namen. Livia flüsterte er immer wieder still in sich hinein. Livia, Livia, sagte er leise, als er später auf eine Zigarette vor die Tür ging und ihm der frische Nordwestwind eine nasse Ohrfeige verpasste.

Als er wieder das Haus betrat, waren Jens und Katie schon ins Gespräch vertieft. Jens sog förmlich jede kleine Anekdote auf, welche Katie ihm über das Cottage und seine Vorbesitzer zu erzählen wusste. Wer waren die O‘Sheas, gab es Photos von damals, warum waren sie fortgegangen? Katie gab bereitwillig Auskunft und genoss sichtlich die Aufmerksamkeit des Deutschen. Sie versprach, das nächste Mal Bilder mitzubringen, denn sie und die O‘Sheas hatten mehr geteilt als nur ein Haus auf derselben Straße. Seit mehreren Generationen war die Geschichte der beiden Familien miteinander verwoben.

Hier wog das Bemühen um gute Nachbarschaft viel mehr als in einer Reihenhaussiedlung am Rand einer Großstadt. Hier war man aufeinander angewiesen. Tagein, tagaus, jahrein, jahraus. Man brauchte sich, um die weniger romantischen Seiten des irischen Landlebens gemeinsam zu schultern: wenn ein Wintersturm wieder seine Spuren an Haus und Hof hinterlassen hatte, wenn die Schafe fürs Verladen von den Weiden zusammengetrieben werden mussten, wenn das Heu in den wenigen trockenen Stunden eines irischen Sommertages einzufahren war, beim Torfstechen draußen in den Mooren. Die Urlauber wussten nichts von der Unbill dieses rauen Lebens, sie verschwanden nach wenigen Tagen oder auch Wochen wieder in ihre wohltemperierten Neubauten und waren froh, dass Bettdecken und Kleider sich wieder angenehm trocken anfühlten und nicht die irische Dauerfeuchte in jeder Faser trugen.

Auch die O‘Sheas hatten ihrer Heimat, dort oben auf den windumtosten Kerryhügeln, schließlich den Rücken gekehrt. Zehn Jahre war es nun schon her, dass John, Mary und die drei Kinder Lebewohl gesagt hatten. Als bei der Wake, der irischen Toten-wache, alle Nachbarn von Johns Mutter Abschied genommen und sie wenige Tage später auf dem kleinen Friedhof im „Glen“ beerdigt war, stand das Auto bereit. Es trug die O‘Sheas und ihre wichtigsten Erinnerungen an das Leben in Fargán weit fort in eine andere Welt. John hatte in Neuseeland für gutes Geld einen Job auf einer Schaffarm angenommen. Warum nicht dort sein Glück versuchen.

Noch waren die Kinder klein, sie würden ihre Wurzeln auch woanders schlagen können, tief in die fruchtbaren, dankbaren neuseeländischen Böden. Für sie selbst, John und Mary, würde die Sehnsucht für immer den feuchtwarmen, erdegetränkten Duft von Torf tragen, dessen Rauch aus den Schornsteinen der irischen Cottages aufsteigt und sich über das Land legt wie ein Mantel aus schwerem braunschwarzem Tweedstoff.

Mit den O‘Sheas waren vier weitere helfende Hände verschwunden, nach den vielen, die ihnen bereits vorausgegangen waren. Jetzt gab es hier in Fargán nur noch zwei irische Nachbarn, Finan, den ewigen Junggesellen mit seinen paar Schafen und einem vernachlässigten Beagle, und Eamon O’Sullivan, mit Frau und Kind und ohne einen Penny auf der hohen Kante. Natürlich war man zur Stelle, wenn man gebraucht wurde, und teilte, nach der kräftezehrenden Arbeit, gerne das eine oder andere Guinness am Tresen der Fisherman’s Bar in Portmagee. John und Mary waren aber noch mehr gewesen: Freunde, Verbündete, Menschen, die einem ans Herz gewachsen waren und deren Verlust immer noch schmerzte, wenn man von ihnen erzählte. So fiel es Pad auch nicht leicht, die Fragen zu beantworten, die Jens ihm stellte. Denn mit den Antworten kamen auch alle Bilder wieder ins Bewusstsein. Über die Jahre war der Kontakt stetig verebbt, die Entfernung zu groß, zu unerschwinglich ein Flugticket für die so oft wiederholten Einladungen. Nur die jährlichen Christmascards und Geburtstagswünsche hielten die Vorstellung aufrecht, dass man, trotz tausender Kilometer Salzwasser zwischen den Küsten, noch miteinander in Verbindung stand.

Nachdem Jens’ Neugierde befriedigt war, wagte Padraig sich vor auf unsicheres Terrain. Er wollte nicht zu viel Aufmerksamkeit darauf lenken, dass er sich für Livia interessierte, aber tatsächlich hatte kaum etwas anderes Raum in seinen Gedanken gehabt, seit ihr Blick dem seinen begegnet war. Also stellte er nur diese eine Frage, die wichtigste, die quälendste: wann würde sie kommen? Kommen, um zu schauen, wie weit es mit dem Haus stand. Kommen, um ihn völlig aus der Bahn zu werfen. Denn, das wusste er, würde sie tun, sobald sie zurückkehrte nach Fargán, sobald sie über die grünen Hügel von Coomanaspic fahren und in den Feldweg zum Haus der O‘Sheas, zu ihrem Haus einbiegen würde. Jens Antwort war kurz und direkt, ohne Umschweife. In zwei Wochen. Am 6. Oktober. Noch zwei Wochen. Dann.

3

Katie und er tauschten auf dem Heimweg ihre Eindrücke aus. Der Deutsche war nett, ja, ein wenig steif und förmlich, aber nett, und man hätte es schlechter treffen können.

Niemand hatte damit gerechnet, jemals wieder Licht im Haus der O‘Sheas zu sehen. Man würde gut miteinander auskommen. Ein freundlicher Gruß im Vorbeigehen, ein kleiner, unverfänglicher Plausch am Wegrand. Man wäre zur Hilfe, wenn diese gefragt war, natürlich. Aber nichts weiter. So hielt man es üblicherweise mit den Fremden. Denn was wussten die „Blown-ins“, die sich hier in den letzten Jahren immer häufiger von ihrem überflüssigen Geld ihren kleinen irischen Traum verwirklichten, denn schon von ihnen, den „Locals“? Man hielt sie auf Abstand. Aber Katie sagte, dass sie sich auf die neue Nachbarin freue, denn außer Eamons Frau Cara gab es hier oben keine andere weibliche Gesellschaft. Padraig pflichtete ihr bei, dass sie sich nur noch zwei Wochen gedulden müsse, dann wäre sie da, die neue Nachbarin. Mehr zu sich selbst sagte er dies als zu Katie. Die Tage folgten nun nicht mehr ihrem gewohnten Rhythmus. Ganz gleich, mit wie viel Arbeit er sie füllte, sie schienen ihm doch endlos. Einen Tag vor ihrer Ankunft, er war gerade beim Tränken der Schafe, sah er plötzlich Katie auf ihn zulaufen. Mit bebender Stimme rief sie, er solle sofort heimkommen. Sarah sei beim Hurling in der Schule verletzt worden, sie müsse schnell ins Krankenhaus nach Tralee. Wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung, und sie habe auch eine Platzwunde im Gesicht. Er schloss das Gatter und stieg mit ihr in den Van. Tralee, das waren anderthalb Stunden Fahrt. Bis ein Krankenwagen käme, würde es wahrscheinlich genauso lange dauern. Also würden sie Sarah selbst dorthin bringen. Katie war völlig aufgelöst.

Wie immer, wenn etwas mit den Kindern war, versuchte er Ruhe zu bewahren, um ihr die Angst zu nehmen. Sarah, sein Mädchen, war tapfer, das wusste Pad. Sie war drei Jahre jünger als Colum, der gerade in einer anstrengenden Pubertätsphase steckte, und konnte noch unbeschwert lachen, konnte stundenlang den Kopf in die Bücher stecken, war so beliebt in der Schule, dass man sie zum Captain der weiblichen Hurlingmannschaft gewählt hatte. Und nun das. Als sie zuhause ankamen, packte Katie schnell eine Tasche mit den nötigsten Dingen, die Sarah brauchen würde, falls man sie im Krankenhaus behalten wollte. Sie fuhren los, und zum Glück waren die Straßen leer, sodass sie zwanzig Minuten später vor dem Schulgebäude in Cahersiveen ankamen, wo man sie schon erwartete. Sarah saß mit Mrs. O’Sullivan, der Klassenlehrerin, im Foyer der Schule, das zarte Gesicht gezeichnet vom harten Aufprall des Balls. Als die Eltern sich ihr näherten, versuchte sie verzweifelt, die Tränen zu unterdrücken, aber es gelang ihr nicht ganz. Schon war Katie bei ihr und nahm sie in die Arme.

Auf der Fahrt redeten sie wenig. Der Schock steckte allen noch zu sehr in den Gliedern. Es war schon später Nachmittag, als sie das Krankenhauses erreichten und Sarah in die Notaufnahme brachten. Das letzte Mal war sie hier gewesen, als ihre stolzen Eltern sie in der Babytragetasche mit nach Hause genommen hatten. Sarah war nie ernsthaft krank. Sie hatte die robuste Natur ihrer Mutter geerbt. Ganz anders hingegen Colum. Wie oft hatte er ihnen als Kind schlaflose, fieberschwere Nächte bereitet, wie regelmäßig waren es später dann die Sportverletzungen, beim Football, Rugby oder auch beim Hurling, denn er war kaum zu bremsen, wenn er einmal ein Spielfeld betrat. Und ebenso schnell ereilten ihn die verschiedensten Blessuren. Nun also Sarah. In der Notaufnahme hatte man alle Hände voll zu tun, es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis Sarah endlich an der Reihe war. Die Gehirnerschütterung war so stark, dass ihr Gedächtnis ihr Streiche spielte. Sie konnte sich kaum an das Spielgeschehen erinnern, wusste auch nichts mehr von dem Moment, als der Ball sie mit voller Wucht getroffen hatte. Der Arzt nähte die Platzwunde, während Katie ihr die Hand hielt. Sarah zuckte nur einmal kurz, überstand die Tortur ansonsten aber mit stoischer Gelassenheit. Stolz und Rührung erfüllten Padraig, als er sie so tapfer aus dem Behandlungszimmer kommen sah. Die Ärzte teilten ihnen mit, dass sie Sarah für mindestens zwei Nächte zur Überwachung dabehalten wollten. Schnell kamen sie überein, dass Katie bei ihr bleiben würde. Padraig musste zurück zu den Tieren und zu Colum. Aber es gab noch einen anderen Grund. Schon auf der Fahrt nach Tralee hatte sich ihr Name in seine Gedanken gedrängt, hatte sich zwischen die Sorge um Katie gedrängt, hatte einen Raum eingenommen, der ihm nicht zustand. Und doch war Padraig unfähig gewesen, ihn beiseitezuschieben: Livia.

Als er sich schließlich von Sarah und Katie verabschiedete, sie noch einmal fest in die Arme genommen und Katie einen Abschiedskuss auf die Wange gedrückt hatte, schloss er die Tür des Krankenzimmers leise hinter sich. Auf ölschieferglänzenden Straßen fuhr er in die laue Oktobernacht, zurück nach Fargán. Sein Kopf, ein Bienennest.

4

„Théid mé suas ar an cnoc is airde/Féach an bhfeic mé fear a’ bháta./An dtig tú anocht, nó an dtig tú amárach?/Nó muna dtig thú is trua atá mé.“

Wie oft hatte er das gälische Liebeslied, das im Radio lief, gehört, ohne es wirklich zu hören? „Will you come tonight, or will you come tomorrow?/If you don’t come, I will be sad.“ Der ewige Nieselregen versetzte die Scheibenwischer in Dauerbetrieb, und der milde Wind säuselte böig im Rhythmus der Melodie. Eine seltsame Stimmung ergriff ihn, als er über die altvertraute Straße, die ihn heimwärts trug, ins Glen ein-bog. Schon von weitem sah er den Lichtschein, dort oben auf der Felsspitze von Fargán. Colum war zu Hause, der würzige Rauch des Torffeuers kroch träge aus dem Kamin.