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Zeit ist ein seltsames Konstrukt: Ist man glücklich, vergeht sie wie im Flug. In Trauer oder Furcht, zieht sie sich wie zähes Harz. Für den Flüchtling vom schwarzen Hof, scheint sie still zu stehen. Jagd auf die Häscher und manch anderes Abenteuer, vermögen es nicht, die silbernen Augen aus seinem Geist zu bannen und jeder Weg scheint unbarmherzig zurück in jenes Reich zu führen, das er zu meiden versucht. Während Nebel mit sich und gegen die Häscher kämpft, braut sich ein blutiger Krieg zusammen. Und auch das Oberhaupt der Vampire steht Gegnern gegenüber die gefährlich für seinesgleichen sind und Seite an Seite mit der Inquisition kämpfen: Für eine reine und gottgefällige Welt...
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Seitenzahl: 481
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Mit schönemGruß von meinem inneren Sadisten Fridolin, der auch dieses Mal sein bestmögliches getan hat, um gehasst zu werden.
Danksagung
Vorwort
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Epilog
Gewidmet meiner lieben Freundin Heike, die mein kreatives Chaos in geordnete Bahnen lenkt und mir immer mit Rat und Tat zur Seite steht. Ich danke meiner Familie und Freunden, die geduldig meine kreativen Flashes, Schweigen und gedankliche Abwesenheit ertragen haben.
Ich liebe es, zu schreiben. Und ich liebe meine Geschichten. Das mag arrogant klingen, aber dafür kann ich nichts. Ich kann in meinen Geschichten versinken. Fiebere mit den Charakteren mit und verfluche meinen inneren kleinen Sadisten aufs übelste, wenn ein Kapitel plötzlich endet.
Glaubt ihr nicht? Dann lasst mich euch etwas erzählen:
Ich habe ein tägliches Schreibziel, an das ich mich halte. In der Regel übertreffe ich es, während ich mich an anderen Tagen damit schwertue. An solchen Tagen hilft es mir, Korrektur zu lesen.
Meine optimale Schreibzeit ist entweder früh morgens oder am Abend. Eines Abends war ich wieder am Korrekturlesen und die Zeit rannte nur so dahin.
Als ich schließlich auf die Uhr sah, traf mich der Schreck: Es war bereits halb zwei in der Nacht, und ich musste am folgenden Tag früh aufstehen. Vielleicht lag es an der Müdigkeit, aber mir gingen zwei Dinge durch den Kopf:
1. Mist, ich muss ins Bett, ich muss früh raus.
Und
2. Oh menno, ich will wissen, wie es weitergeht.
Es dauerte einen Moment, bis ich realisierte, dass ich wusste, wie es endet, weil ich es geschrieben habe.
Ich hoffe immer, dass meine Leser sich von meiner Leidenschaft anstecken lassen können. Das sie erkennen, mit welcher Hingabe ich jedes Kapitel verfasse.
Es ist viel Arbeit, aber es ist das, was mich glücklich macht und dazu gedacht ist, meine Leser für ein paar Minuten oder Stunden der Wirklichkeit zu entreißen und in eine andere Welt – meine Welt – zu entführen.
Leider reicht es heute nicht mehr aus, nur gut zu schreiben. Man muss auch omnipräsent sein: Die sozialen Medien sind ein wichtiges Tool, wenn man Bekanntheit erlangen möchte.
Und da fängt bei mir das Problem an. Ich weiß weder, was ich posten soll, noch kann ich die notwendige Motivation aufbringen, wahllos zu posten.
Mein Kind brachte mich nun dazu, wieder Hörproben, ab und an etwas über den Status meiner Arbeit zu posten, auch wenn ich mich lieber in Notizbüchern oder meinen Laptop verkriechen um mich in der Welt die ich schuf zu verlieren. Um weitere Geschichten zu erdenken, die den Leser verzaubern, belustigen, ängstigen oder einfach nur der Wirklichkeit entreißen sollen, wie sie es bei mir tun.
Die Arbeit an diesem Buch hat mir aus vielen Gründen Spaß gemacht: Es kamen viele Erinnerungen an meine verstorbene Mutter auf, die wie mein Kind selbst, meine Bücher geradezu verschlungen hat.
Erinnerungen an die erste Lesung und meine Nervosität. Meine Panik vor der Veröffentlichung – eine Panik, die im Übrigen bis heute Bestand hat – das erste Erscheinen von Fridolin und nicht zuletzt die Reaktionen auf ihn.
Zu dem ‚Bekannten‘ gibt es das ein oder andere neue Kapitel.
Die neuen Kapitel sollen euch ein besseres Bild von den einzelnen Charakteren geben, euch tiefer in ihren Bann ziehen. Neue Blickwinkel eröffnen.
Fürchtet euch zusammen mit Noir und Armand, fiebert mit Nebel und Alexander oder feuert die Inquisition an. Werdet Teil des Clans oder schließt euch dem Verräter an, was schadet es schon?
In diesem Sinne wünsche ich euch eben so viel Spaß beim Lesen, wie ich am Schreiben hatte.
LG
Riyas
Tränen rannen ungehindert über die feinen Züge und mischten sich mit dem Regen, der bereits seit Stunden fiel. Kurz nachdem er durch die Tore gestürmt war, hatte der Himmel sich aufgetan und der Mann, der sich Nebel rufen ließ, hieß den kalten Regen willkommen. So würde niemand die Spuren des Schmerzes erkennen können, der ihn mehr peinigte, als jede durch Waffen zugefügte Verletzung es je könnte.
Nie hatte er geahnt, dass es solche Pein geben könnte und mehr als je zuvor wünschte er, es gäbe eine Möglichkeit ihm seines Gefühles zu berauben. Schmerz und Sehnen zu verbannen. Auszulöschen. Was sollte man mit diesen dummen Gefühlen? Sie behinderten nur, fügten Schmerzen zu, die einem jedes jeden klaren Gedankens beraubten. Er war der festen Überzeugung, das er hatte gehen müssen, aber diese Überzeugung machte es nicht einfacher. Er wusste, dass wenn er geblieben wäre, er zum Spielzeug des Obersten geworden wäre, dessen Stimme unentwegt in seinem Geist widerhallte. ‚Ich bin mir sicher, dass du mir in Ketten ausnehmend gut gefällst.‘
Nebel schüttelte den Kopf, versuchte, erfolglos die Stimme zu bannen, die widernatürlich laut in seiner Erinnerung echote. ‚Und hast du Zweifel daran, dass ich meinen Worten Taten folgen ließe?‘ Der Flüchtling presste die Kiefer zusammen, umfasste die Zügel fester. ‚Und wieder wirkst du, als wolltest du dich vom Turm stürzen.‘
»SCHWEIG! «
Sein Ruf durchbrach die Stille, scheuchte ein paar Hasen auf, und eine Eule dankte dem anderen Jäger die leichte Beute mit einem freudigen Schuhen. Es war das Richtige das Schloss, den Hof und besonders den Obersten zu verlassen. Seine Gefühle für Alexander waren zu schnell, viel zu tief geworden.
Vor einer gefühlten Ewigkeit hatte Nebel geglaubt, dass er Sergej liebte, aber im Gegensatz zu Alexander war das nichts. Als wolle man Gold mit Scheiße vergleichen. Wie er in so kurzer Zeit so tiefe Gefühle entwickeln konnte – wobei grade das etwas war, das er doch um jeden Preis zu vermeiden versuchte – war ihm ein Rätsel. Über den Punkt es zu verleugnen war er längst hinaus, und genau darum hatte er gehen müssen. ‚Wie war das? Grundgütiger?‘
Im Versuch, die Stimme in seinem Geist zum Schweigen zu bringen, presste er die Handballen auf die Ohren und schüttelte den Kopf wieder und wieder. Alexanders amüsiertes, leises Lachen, quittierte den Versuch im Geist des Flüchtlings. Schon einmal war er nur ein Zeitvertreib gewesen, zumindest nahm er das an. Dass Sergej die Nähe und Gefühle des Nebels nur ausgenutzt hatte, weil er sich erhofft hatte ihn damit kontrollieren zu können, ahnte er nicht. Und noch einmal, wollte er nicht solchen Schmerz oder solchen Verrat erleben wie in Kymor. Lieber würde er ewig auf sich gestellt durch die Welt ziehen und alleine wandeln als sich dem Humbug, der sich ‚Verliebtheit‘ schimpfte, kampflos zu ergeben.
Alexander hatte es zugegeben. Dass es nur ein Spiel war, das Nebel nur ein Spiel war. ‚Es ist alles nur ein Spiel für dich? Das hier, ich. ~ Ja.‘ Das Geständnis hallte nicht zum ersten und wohl nicht zum letzten Mal durch den Geist des jungen Kriegers.
»SCHWEIG DOCH ENDLICH! «
Nebels Schrei durchbrach abermals die Stille. Wenn ihn jemand sähe, oder hörte, müsste man ihn für vollkommen wahnsinnig halten und würde ihn schnellstens wegsperren. ‚Du bist sicher in meinem Haus.‘ Er war sicher gewesen. Bis ... Bis sich ihrer beider Blicke das erste Mal getroffen hatten und damit alle Vorsätze des Blonden über den Haufen geworfen wurden und Sicherheit zu einer Illusion wurde. Nur ein Wort, wie es viele gab, ohne eine wirkliche Bedeutung. Ohne Sinn. Bedeutungslos.
Nebel hatte in seiner kurzen Zeit am schwarzen Hof mehr gelernt als in seiner gesamten Ausbildung zuvor. Er hatte Trainingspartner gehabt, die ihn gefordert und manch amüsante Stunde mit ihm verbracht hatten. Man hatte ihm viel gezeigt und erklärt, die Bibliothek war neben dem Trainingsraum der am meisten besuchte Ort gewesen. Er hatte sich wohl gefühlt. Und dann hatte er sein Herz verloren. Vielleicht vom ersten Moment an. Etwas an Alexander hatte ihn angezogen.
Wieder und wieder. Die kühle Strenge. Der eindringliche Blick, unter dem man zu einem bedeutungslosen Nichts zusammenschrumpfte. Dieses Silber, das bis auf den Grund einer jeden Seele zu schauen vermochte und ihn ebenso wie seine Stimme verfolgten.
Nebel schüttelte vehement den Kopf, presste die Kiefer so fest zusammen, dass es schmerzte. ‚Es war das Richtige.‘ Einem Mantra gleich, wiederholte er diese Worte in seinem Geist und wusste, das es der Wahrheit entsprach. Aber das minderte den tiefen Schmerz nicht, der seine Seele quälte. Sein Herz sehnte sich in die tröstende, sichere Umarmung des Älteren, aber sein Verstand mahnte, wohin dererlei führte. Gäbe es einen Weg, sein Herz für immer zum Schweigen zu bringen, er würde mit Freuden jeden Preis dafür zahlen. Aber weder Hexen, noch Dämonen hatten ihm eine Lösung bieten können.
Er hatte es versucht. Im Reich der drei Schlösser hatte er mit ihnen gesprochen, Bücher gesucht und Fragen gestellt. Vielleicht gäbe es einen Weg, dem Willen des Nebels zu entsprechen, aber man wollte einfach nicht helfen. Auch so war Nebel immer als eigenartig abgestempelt worden. Wie wäre es, wenn das Letzte, dass ihn möglicherweise von Schlimmeren abhalten könnte, genommen würde.
Also musste er diesen Schmerz ertragen. Musste er vergessen.
Vergessen, wie sich die Lippen des anderen auf den Eigenen angefühlt hatten.
Vergessen wie sehr er jeden Augenblick genossen hatte.
Vergessen wie angenehm ihm sein Duft in die Nase gestiegen war.
Nein! Nein, er wollte nicht vergessen! Durfte nicht vergessen! Er wollte all das nicht vergessen, auch wenn es ihm Herz und Seele zerreißen würde. Und er war sich sicher, dass es genau das würde. Aber vielleicht würde die Zeit, die selbstzugefügten Wunden schließen.
Vielleicht könnte er irgendwann zurückkehren? Vielleicht gab es Hoffnung? Hoffnung für einen Ältesten und ein Küken.
Vielleicht...
*
Alexander kämpfte mit sich. Von dem Moment an, als der Junge, auf den Turm gestiegen war, hatte er gewusst, dass jener gehen würde. Und von diesem Moment an, begann sein eigener Kampf. Egal, was er täte, er würde verlieren. Er verstand, warum der Knabe glaubte, dass er gehen müsste. Natürlich war der Jüngere nur ein Zeitvertreib, was sollte er sonst sein? Aber gab es nicht weitaus Schlimmeres, als seinem Vergnügen zu dienen? Er war großzügig denen gegenüber, die sein Lager teilten. Auch wenn seine Großzügigkeit wohl nicht ausreichte, um die Gefahren auszugleichen, die seine Gunst bedeutete.
Seine Aufmerksamkeit zog stets Neider an. Unfälle passierten. Manchmal Schwerere, manchmal leichtere.
Es hatte Spaß gemacht. Spaß gemacht, den Blonden aus der Bahn zu werfen. Zu sehen wie der Knabe mit sich haderte und am Ende verlor. Er hatte die Zeit mit seinem Gast genossen. Das einträchtige Schweigen. Stunden auf dem Turm, in denen die Welt ihnen zu Füßen gelegen hatte. Gern hätte er mehr Zeit gehabt. Gern hätte er ihn aufgehalten. Ihm befohlen, zu bleiben. Ihn daran gehindert ihn und das Schloss zu verlassen. Er hatte es nicht gekonnt. Mit ausdrucksloser Miene hatte er dem Knaben nachgeblickt. Zugesehen, wie er das Pferd bestiegen hatte und unter den Blicken der Trainingspartner und des Sohnes seine Heimstatt verlassen hatte, ihn verlassen hatte.
Der Knabe würde wiederkommen.
Früher oder später.
Hoffte er.
Er wusste, dass der Jüngere es wollte. Wusste ebenso, dass der Knabe ein wenig gehofft hatte, dass der Oberste ihn aufhielte. Alexander wusste um das Sehnen, das sich in dem jungen Herzen ausgebreitet hatte und sich in die Arme des anderen wünschen ließ. All das zu wissen hatte es dem Ältesten nicht einfacher gemacht. Er hatte sehr an sich halten müssen, das Sehnen Nebels nicht zu erfüllen – oder gar das Eigene. Seine Nägel hatten tiefe Furchen in den robusten Stein der Brüstung gegraben, während er darum bemüht war, seine Beherrschung aufrecht zu halten.
Die Prämissen galten für ihn ebenso wie für jeden anderen. ~Stärke, Beherrschung, Disziplin. ~ aber hatte nicht die ganze Anwesenheit Nebels, Alexanders Beherrschung gefordert? Wieder und wieder? Warum sollte dann seine Abreise oder seine Abwesenheit anders sein? So wie Nebel seine Beherrschung gefordert hatte, hatte der Knabe den Alten unterhalten und sogar manches Mal überrascht. Das freche Lächeln als er sich auf ihn geworfen hatte in der Trainingshalle, die an sein Ohr gewisperten Worte. ‚Niemals gebe ich auf, solange ich nur den Hauch einer Chance wittere.‘
Ja, die Worte und Taten des Jüngeren, hatten ihn erheitert, und der Ausruf, als das Schwert scheppernd zu Boden gefallen war ‚Grundgütiger.‘ hatte ein leises Lachen von ihm gefordert. Das kam selten vor. Vielleicht war das der Grund, das der Älteste einer ganzen Art, noch immer hier oben war. Stundenlang harrte er bereits allein auf dem Turm, starrte ins Nichts, das den Nebel verschluckt hatte und nicht wieder freigeben würde.
Lange schon war der Knabe dem Blick des Obersten entrissen und langsam begann das Tuscheln. Blicke aus den Fenstern, aus dem Hof, die ihm galten. Fragen was der Älteste dort oben tat.
Der Regen hatte sein Haar und seine Kleidung durchnässt. Es kümmerte ihn nicht. Die Beobachter und das Tuscheln ebenso wenig. Aber der junge Krieger, oder besser seine Abwesenheit störte ihn. Wie ein Spielzeug, das man lieb gewonnen hatte und irgendwann verloren gegangen war. Die Unterhaltung würde ihm fehlen. Das freche Gebaren, das aus Unwissenheit herrührte, würde ihm fehlen. Der junge Krieger hatte keine Ahnung, in wessen Haus er gebracht worden war, hatte keine Ahnung um die Gerüchte oder gar die Wahrheit.
Wann so etwas das letzte Mal vorgekommen war, konnte Alexander nicht einmal mehr sagen. Er war noch jung gewesen. Die Welt war noch jung gewesen.
Ein tonloses Seufzen entrann der zeitlosen Kehle, wurde vom Wind davongetragen, der seine Züge flüchtig streifte und den Duft des nahen Waldes mit sich trug.
»Pass auf dich auf und kehre zu mir zurück, Nebel.«
Bitte und Befehl zugleich, den niemand vernehmen würde. Spielzeug oder nicht. Er wollte, dass der Knabe zurückkehrte. Heil und aus eigener Kraft, wäre ihm dabei lieb.
1411
Es heißt, dass viele Wege in die Heilige Stadt führen, doch dem blonden Krieger schien es, dass jeder Weg unweigerlich nach Morta Sant führte. Jenem Reich, von dem er sich tunlichst fernzuhalten versuchte. Jenem Reich, in dem er sein Herz verloren hatte. Jenen Ort, an den es ihn doch unbarmherzig zog. Es war zehn Jahre her, seit Nebel vor Alexander und dem eigenen Herzen geflohen war und er sein altes Leben wieder aufgenommen hatte. Er nahm hier und da Aufträge an, die ihm Zerstreuung boten und reiste, wohin es ihm beliebte, ohne auch nur einmal um das Willkommen zu bitten.
Bislang hatte es ihm noch keinen Ärger eingebracht, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sich ein Oberster in seinem Ego gekränkt fühlte und ihn einfangen ließ statt einen Boten mit der Bitte um Erledigung einer Aufgabe zu entsenden oder seine Anwesenheit einfach ignorierte.
Wenn die Sterne am höchsten standen und Tag und Nacht um die Vorherrschaft rangen, suchte Nebel einen höher gelegenen Ort auf und starrte in die Ferne. Dann sehnte er sich nach dem Turm und der sicheren Umarmung des Ältesten. Er genoss den Wind, der seine feuchten Wangen koste und fragte sich, ob der andere seiner gedachte – dann und wann. Oder ob er das Küken das vom Sohn blutend und halbtot in die Hallen getragen worden war, bereits wieder vergessen hatte.
Nebel beschwor Alexanders Bild vor seinem inneren Auge herauf und widerstand dem Drang, das Trugbild zu berühren, das niemand sonst sah und das Sehnen so schmerzhaft schürte.
»Vergiss mich nicht, Alexander. Bitte vergiss mich nicht.«
Ein gewispertes Flehen, das mit dem Wind auf die Reise geschickt wurde und vielleicht, ganz vielleicht das Herz des Vampirältesten erreichte. Schritte erklangen, zwangen die Aufmerksamkeit des Nebels zurück ins Hier und Jetzt. Er straffte seine Haltung und überprüfte den Sitz des Schales, der seine Züge schützte, ehe er sich umwandt und dem Ankömmling seine Aufmerksamkeit schenkte.
»Nebel, sie kommen.«
Marques.
Nebel konnte nicht genau sagen, wie er an jenen geraten war. Oder die anderen, welche ihm folgten. Seinem Weg. Seinem Wort. Es hatte vor ein paar Jahren begonnen. Nachdem Nebel der Aufträge müde geworden war und Papst Innozenz VII das Prinzip der Inquisition erneut ins Leben gerufen hatte, hatte der junge Krieger beschlossen, die Jäger zu jagen. Er hatte der Herausforderung einfach nicht widerstehen können, von der er hoffte, dass sie seine Gedanken von dem stetigen Schmerz ablenken könnten – ein Irrglaube, aber doch ein sinnvoller Zeitvertreib. Die Menschen glaubten, dass nur Hexen von der Kirche gejagt wurden.
Böse, schlechte Menschen, die ihnen schaden würden und Tier und Wasser vergifteten oder Kinder aus ihren Krippen stahlen. Ammenmärchen! Die Gottesdiener hatten schon sehr lang Kenntnis von einer Welt, die den meisten verborgen bleibt. Wussten um Gestalten wie Vampire, Lykaner und Dämonen. Sie hatten es sich zur Aufgabe gemacht, diese Kreaturen vom Antlitz der Welt zu tilgen. Mit allen Mitteln, die sie aufbringen konnten.
Woher sie das Wissen nahmen, das sie sehr erfolgreich anwandten, wusste Nebel nicht zu sagen.
Aber sie jagten seinesgleichen viel zu erfolgreich und bereits viel zu lange. Marques war der Erste, der dem Nebel nachfolgte. Letzterer hatte in einem kleinen Dorfkloster ein Lager der Inquisition ausgemacht und war entschlossen, ihnen den Gar auszumachen – oder selbst zu fallen. Es war nicht so, dass der Flüchtling seines Lebens müde wäre, aber zeitweise, war ihm alles Recht um die Stimme in seinem Geist zu bannen, den kalten, silbernen Augen die ihn verfolgten zu entgehen. Zeitweise fiel ihm jeder Schritt schwer, der ihn vom gemiedenen Land entfernte. Der junge Krieger hatte Waffen und Pulverfässer vom Hafen gestohlen und keine Ahnung gehabt, welche Macht das Schwarzpulver haben würde. Er hatte gelernt, auch wenn diese Lektion ihn drei Tage seines Gehörs beraubte. Die Explosion war enorm gewesen und Nebel hatte beschlossen, dass er diese Methode kein zweites Mal versuchen würde. Als er weiterzog, war Marques da.
»Ich werde Euch eine Weile begleiten.«
Mehr hatte er nicht gesagt und Nebel nahm es hin. Nach jedem neuen Kampf, den der Blonde gegen die Inquisitoren focht, folgten mehr nach. Inzwischen waren sie eine Gruppe von dreißig Mann, unterschiedlichster Herkunft und Alters. Nebel seufzte. SIE kamen.
SIE das bedeutete eine kleine Gruppe von Inquisitoren, die von ihnen in eine Falle gelockt worden waren. Nicht zum ersten und gewiss nicht zum letzten Mal, spielten sie dieses Spiel: Sie lockten Inquisitoren in geringer Zahl an einen taktisch gut gelegenen Platz und metzelten sie nieder. Es war fast schon zu einfach, aber Nebel wäre der Letzte, der sich darüber beschwerte. Je einfacher, umso mehr dieser Teufel könnten sie niederstrecken. Er wand sich um und schritt die Anhöhe hinab, dicht gefolgt von Marques. Die Gruppe sah abwartend zu beiden auf, machte Platz, als Nebel ihre Reihen durchschritt und sich auf sein Pferd schwang.
»Gehen wir spielen.«
Nebels Augen glommen unnatürlich in Erwartung des Spieles, in Erwartung dieser Jagd. Er wusste nicht, warum die anderen ihm folgten, wusste nicht, warum sie seinem Wort gehorchten. Er war nur ein Küken, das sich – wieder einmal - aufführte, als gehöre ihm allein die Welt. Die anderen waren allesamt älter und erfahrener, als es das Küken war. Er hatte nichts von ihnen verlangt, nicht das sie folgten, nicht ihren Gehorsam. Trotzdem hatten jeder für sich beschlossen, mit dem Wappenlosen zu reiten. Nebel riss das Pferd herum, preschte durch die Dunkelheit und seine Horde mit ihm. ‚Heute Nacht, mein Freund? Ist heute die Nacht, in der wir ein letztes Mal tanzen?‘ Noch immer stellte er diese Frage an den dunklen Gevatter, und wieder erklang das amüsierte Lachen in seinem Geist und schenkte ihm die Zuversicht, die er brauchte.
Er zog sein Schwert und blendete alles aus, was stören könnte. Alle Fragen, jedes Sehnen, jeden Schmerz. Alles, was zählte, war das Hier und Jetzt. Alles, was zählte, war, auch diese Nacht zu überleben. Das Kräfteverhältnis war noch sehr ausgeglichen. Solange die Nacht andauerte, hatten sie eine Chance. Die Klingen der Häscher waren aus Adamant geschmiedet und in Rom geweiht worden. Sie waren eine Gefahr für die dunklen Rassen, und die Häscher wussten es. Wie eine scharfe Klinge durch ein Blatt Pergament schnitt, so fuhren diese Klingen auch durch ihre Leiber. Mit dem Sonnenaufgang, der die Vampire ihrer Kraft und ihrer Fähigkeiten beraubte, war ihre Chance gegen die Fanatischen zu bestehen gleich null. Nebels Pferd warf den riesigen Kopf unter einem schmerzhaften Wiehern zurück, bäumte sich ein letztes Mal auf, ehe es umfiel und den jungen Reiter halb unter sich begrub. Knurrend befreite Nebel sich und stürmte auf seine Gegner zu.
Metal schlug auf Metal.
Knochen barsten.
Haut platzte unter starken Hieben auf und gab lebenswichtiges Vitae frei. Nichts sonst zählte.
Für niemanden auf diesem Schlachtfeld. Als die ersten Strahlen des neuen Tages den Himmel und die Erde kosten und feine Nebelschwaden die Bäume zu umspielen begannen, fiel der letzte Krieger der Inquisition und Nebel hatte Gelegenheit sich umzusehen. Zwei kopflose Kadaver brannten, einige hatten sich starke Verletzungen zugezogen
– wie er selbst aussah, wollte er nicht wissen – aber sie hatten gesiegt. ‚Du hast gelernt zu kämpfen, Nebel, und du hast gelernt zu siegen.‘ Flüchtig kamen ihm Sergejs Worte in den Sinn und er drängte sie beiseite. Sie waren damals nicht als Kompliment gemeint, so viel war auch ihm klar. Aber ja, stimmte es denn nicht? Nebel kämpfte und wenn sein Können oder sein Glück groß genug war, siegte er. Er maß seine Krieger mit prüfenden Blick. Unter all dem Dreck und Blut sahen sie sehr selbstzufrieden aus.
Eine weitere Nacht, die sie überlebt hatten. Ein paar Feinde weniger, die ihre Familien oder Liebsten bedrohten. Ein Tropfen auf dem heißen Stein. Nebel wusste das. Egal wie viele sie töteten, es kamen immer Neue, immer mehr. Menschen vermehrten sich wie Karnickel. Sie waren zerbrechlich und verendeten an allem möglichen, aber zu viele überlebten und wuchsen zu Marionetten von Gottesdienern heran.
»Durchsucht ihre Habe und verbrennt alles was wir nicht brauchen.«
Nebel´s Befehl schallte über den Kampfplatz und die Krieger folgten. Der Flüchtling bückte sich und tauschte sein Schwert gegen das einen Inquisitors aus, und nahm ebenso eines derer Pferde, ehe er sich wie alle anderen daran machte die Habe zu durchsuchen. Waffen wurden immer mitgenommen, Pferde, Gold, Schmuck, Lampenöl. Alles war in ihren Händen weit besser aufgehoben, als bei der Inquisition. Was sie nicht brauchten, konnten sie eintauschen und verkaufen.
»Nebel? Sieh was ich gefunden habe.«
Marques gab dem Jüngeren einen Codex, in einem kunstvoll gefertigten Ledereinband. In der Bibliothek Alexanders hatte er hunderte gesehen, manche in besserer und andere in schlechterer Machart. Dieses war noch nicht so alt, wie die meisten die er am schwarzen Hof gelesen hatte, aber man erkannte, dass die Seiten durch viele Hände gegangen waren. Mit gerunzelter Stirn nahm der Angesprochene den Codex an sich und begann ihn durchzublättern. Schon nach wenigen Seiten erbleichte er und vergaß seine übliche Zurückhaltung.
»Heilige Scheiße!«
Marques sah den anderen fragend an, dem eine Fibel mit allerlei Folter- und Befragungsmethoden offenbart wurde. Nebel musste den Inquisitoren durchaus ein gewisses (wirklich ungesundes) Maß an Kreativität zugestehen. Was er hier sah, begeisterte ihn über die Maßen.
»Die Männer sollen jagen und ausruhen. Sobald es geht reisen wir weiter.«
Auf Marques fragenden Blick reagierte Nebel nicht. Er steckte das Buch unter sein Hemd in den Hosenbund und führte sein Pferd abseits. Er machte es Sidh gleich und nährte sich an einem Tier, bevor er sich zurückzog.
*
Nebel hatte nicht viel geruht, zu sehr faszinierte ihn das Fundstück. Es fanden sich einfache Dinge in den Schriften, wie die eiserne Jungfrau, Wasserfolter, Teufelsmale und anderer Humbug. Aber das schienen nicht mehr als beiläufige Randbemerkungen zu sein. Geschichten für die einfache Bevölkerung. In den seltensten Fällen handelte es sich bei den Befragten tatsächlich um Menschen. Und wenn gab es ohnehin keinen Ausweg mehr. Selbst wenn sie unschuldig waren, fand sich plötzlich ein Teufelsmal oder zwielichtige Zeugen und ein unwichtiges Leben fand sein Ende und etwaige Reichtümer fielen der Kirche zu. Nebel schüttelte den Kopf.
Er wusste, sie waren krank und gefährlich, aber wie sehr, schien sich ihm erst hier zu offenbaren. Plötzlich stockte der Blonde. Er musste sich verlesen haben. Sein Sehnen nach jenem Ort musste seinen Sinnen einen Streich spielen.
Befragter:
Noir Vemo
Inquisitor:
Tiberius Klein
Unterstützung:
Tobias Klein
Datum:
2. März 1205
Dauer der Befragung:
Unterbrochen
Beim Gefangenen handelt es sich laut Zeugenaussagen um Noir Vemo. Die Aussage lässt sich weder bestreiten noch bestätigen. Aufgefallen ist er, aufgrund eines Schmuckstückes, das dem Inquisitoren Klein bereits in Tysus aufgefallen ist. Bei dem Vorfall handelt es sich um die Vernichtung eines Rudels Lykaner und Vampire. Während der Haupttrupp bereits auf dem Rückweg war, kehrte eine kleinere Gruppe zurück, um den Kampfplatz zu säubern, und wurde infolge dessen angegriffen. Siehe Ablage T/4 vorliegend in Harrenthal. Der Befragte weigert sich zur Kooperation. Trotz wiederholter, vielfältiger Überzeugungsversuche, ist kaum mehr als Beschimpfungen aus ihm herauszubekommen. Wie er in den Besitz der Kette kam, ist unklar. Genaue Aufzeichnungen zur Überzeugungsarbeit siehe Anlage 2.
Der Befragte verweigert die Einnahme bereitgestellter Nahrung. Übergang zur Zwangsernährung. Unterbrechung der Befragung, zur Absprache in Harrenthal. Inquisitor Klein verbleibt beim Gefangenen zu dessen Bewachung, während Inquisitor Klein jr. die bisherigen Aufzeichnungen nach Harrenthal bringt und sie ins dortige Archiv übertragen soll.
Zwischenergebnis: Unkooperativ!
Immer wieder ruckte der Blick des Nebels zur ersten Zeile. ‚Befragter Noir Vemo... Mein Beobachter Noir Vemo SEIN Sohn.‘ Kopfschüttelnd starrte der junge Krieger auf die Zeilen.
»Wie bist du entkommen? Was ist passiert?«
Wieder und wieder las der Blonde den Text. Der Eintrag war etwa 200 Jahre alt und Nebel vermochte es nicht, den charismatischen Mann, seinen Beobachter mit dem Gedanken an einen Gefangenen der Inquisition in Einklang zu bringen. Er fragte sich, wie der andere entkommen war und welchen Schaden der Aufenthalt bei ihm hinterlassen hatte.
Er hatte in seiner Zeit am schwarzen Hof, keinen Hinweis auf den Wahrheitsgehalt dieser Geschichte vernommen. Keine Gerüchte, nichts in der Bibliothek des Schlosses. Müsste es nicht irgendwelche Gerüchte geben, wenn es stimmte? Egal wie lang es her sein mochte?
»Harrenthal«
»Was ist in Harrenthal?«
Marques war an den jüngeren Krieger herangetreten und beobachtete schmunzelnd wie jener die Seiten des Buches durchblätterte, immer wieder konzentriert einzelne Abschnitte las und zurückblätterte. Dass er den Knaben getroffen hatte, war Zufall gewesen. Als er auf der Jagd gewesen war, hatte er den anderen dabei beobachtet, wie er Fässer mit Schwarzpulver stahl. Mit der Menge hätte man eine halbe Burg in Schutt und Asche legen können, und wie es aussah, wollte er es auf ein kleines Kloster verwenden. Was sich dort befand, oder besser wer, wusste er ebenso gut, wie jeder andere der hier lebte.
‚Das kann nicht sein Ernst sein?‘ Niemand wäre so dreist. Aber bislang hatte sich der Blonde an keine Regeln gehalten. Er hatte sich nicht beim Obersten seines Clanes vorgestellt. Er hatte nicht um das Willkommen gebeten oder die Erlaubnis zur Jagd eingeholt. Natürlich wusste jeder, das der Fremde sich in ihrem Gebiet befand. Einzelne Stimmen waren laut geworden, das man ihn stellen und für seine Dreistigkeit strafen sollte.
Aber nachdem der Oberste einen Blick auf den Eindringling geworfen hatte, hatte er beschlossen, nichts zu tun. Warum? Das konnte auch er nicht sagen. Es hieß, dass der Fremde scheinbar nie irgendwo vorstellig war oder um das Willkommen bat, und daran hatte sich in der ganzen Zeit, seit sie gemeinsam reisten, nichts geändert. War es da wirklich so schwer, zu glauben, dass er ein Kloster, IHR Kloster dem Erdboden gleichzumachen versuchte? Bei der Menge, wäre es ein Wunder, wenn Nebel sich nicht selbst in die Luft jagte. Aber die Lautstärke und die Druckwelle der Explosion hatten ihm seines Gehörs beraubt, für volle drei Tage. Er war neugierig auf den jungen Artgenossen und beschloss, ihm eine Weile zu folgen.
Er meldete sich beim Clan ab und folgte dem Jungen.Er schloss sich den Jagden nach den Inquisitoren an, nahm das Schweigen des Jüngeren hin und beobachtete ihn.
Manchmal machte der Blonde einen unglaublich traurigen Eindruck, starrte in die Ferne, starrte ins Nichts. Besonders wenn er glaubte, dass niemand ihn sah. Eine Traurigkeit, die spätestens im Kampf von ihm abfiel und beinahe unbändiger Freude Platz machte.
Wenn Nebel sprach, dann waren es in der Regel Befehle. Selten erläuterte er, was er vor hatte und über sich oder seine Vergangenheit sprach er nie. Einiges hatte Marques selbst herausfinden können: Der Knabe war sehr jung, scheinbar Clanlos, ehrgeizig und stur und was den Kampf anbelangte, nicht untalentiert. Aber das war auch alles, was er wusste. Nach und nach hatten sich andere angeschlossen und wie bei ihm selbst, hatte Nebel es einfach hingenommen.
»Ein Archiv... «
Nebel unterbrach das Sinnen des anderen, der kurz irritiert blinzelte. Es brauchte einen Moment, bis die gehörten Worte einen Sinn ergaben. Marques seufze, und strich sich ein paar dunkle Strähnen aus dem Gesicht.
»Steht sonst etwas interessantes in dem Buch?«
Nebel nickte, runzelte die Stirn und blätterte zu einer anderen Seite um.
»Ja und Nein. Hier sieh mal.«
Das letzte Drittel war vollgeschrieben mit Namen. Namen von Orten. Namen von Personen. Hinter ihnen Symbole, die Nebel nicht zuordnen konnte.
»Woher haben sie ihre Informationen, Marques?«
Marques schüttelte seufzend den Kopf. Man hatte sich auf den Versammlungen diese Fragen gestellt. Man hatte Zeugen befragt. Ohne Ergebnis. Das ließ nur einen Schluss zu: Ein Verräter aus den eigenen Reihen, aber warum jemand so vorgehen sollte, konnte man sich nicht erklären. Die Informationen der Inquisition waren zu präzise, als das ein anderer Schluss möglich wäre. Ein Schluss, der sich auch in Nebels Kopf manifestiere, je mehr er gelesen hatte.
Anmerkungen wie:
– Nach Möglichkeit bei Tag angreifen.
– Keinen Blickkontakt!
– Kopf abschlagen, den Rest verbrennen.
–Weihwasser & geweihte Gegenstände verursachen Verletzungen.
Ließen keinen anderen Schluss zu. Nebel seufzte, und ein entschlossener Ausdruck trat auf seine Züge. Noch bevor er sprach, wusste Marques, dass der Jüngere eine
Entscheidung getroffen hatte und ahnte, wie sie aussehen würde.
»Ich will die Orte aufsuchen, die Menschen und sehen, was es mit den Symbolen auf sich hat.«
Marques nickte. Nebel würde seine Neugier befriedigen müssen, würde dem begonnenen Weg weiter folgen. Er konnte nicht anders. Sie wussten es beide. Doch ob es zum Guten oder Schlechten sein würde, könnte nur die Zeit zeigen.
»Du kannst sie nicht alle töten.«
»Ich weiß. Mit der Dämmerung reise ich weiter.«
Jedem war klar, dass niemand das vollbringen könnte, aber das bedeutete nicht, dass man der Gefahr nicht entgegentreten konnte. Es bedeutete nicht, dass man die Schar der Feinde nicht ausdünnen könnte. Wenigstens ein bisschen. Zumindest hoffte Nebel das. Der Flüchtling würde niemandem befehlen, mit ihm zu reiten. Er überließ ihnen selbst die Entscheidung.
Sie ritten auch ohne Befehl mit ihm.
*
Danyel, ein junger Vampir aus der Reisegruppe des Nebels, kannte das erste Dorf auf der Liste, aus seinem früheren menschlichen - Leben. Er war dort als Knabe mit seinem Vater gewesen, um den hiesigen Markt zu besuchen. Nach dem Tod des Vaters war Danyel Marques begegnet, der wohl Grund dafür war, dass der junge Mann ebenfalls bei der Gruppe war. Die durchgestrichenen Namen auf der Liste, sagten Danyel nichts, aber Nebel nahm sich vor, herauszufinden was es mit den Orten, den Namen und Symbolen auf sich hatte. Zumindest jenen Namen, die nicht in jenes Reich führten, das er zu meiden versuchte. Die Alten wussten um die Namen und die Geschichten, die hinter ihrem Tod steckten. Noch immer bereiteten die Erzählungen, den Überlebenden Unbehagen, was dem Nebel und seiner Gruppe aufzeigte, das es kein einfacher Tod gewesen war.
So lernten sie, dass durchgestrichene Namen bedeuteten, dass die Wesen – das es sich dabei nur um Vampire handelte, bezweifelten Nebel und Marques – tot waren. War ein Ortsname durchgestrichen, war jener Ort mit jedem einzelnen Wesen, das sich dort befand ausgelöscht worden.
Einfach so. Männer, Frauen, Kinder.
Auffällig daran war, dass bei solchen Ortsnamen stets ein Kardinal als Ausführender stand. Die Symbole besagten, dass jemand unter Verdacht stand – ein berechtigter Verdacht. Zwei von hundert waren unschuldig. Zurückgebliebene oder Süchtige. Einige waren ohne Symbol oder Anmerkung, diese gehörten allesamt der verbotenen Art an, aber waren noch nicht aufgegriffen worden. Welches Schicksal den Vampiren diesen Codex auch immer in die Hände gespielt hatte, musste auf ihrer Seite sein. Anders konnte Nebel sich das Ganze nicht erklären. Er beschloss, dass die letzten beiden Kategorien gewarnt werden müssten.
Soviel Spaß es dem blonden Krieger auch machte, die Jäger zu jagen, so genau wusste er, wie wichtig es wäre, die eigene Art zu warnen. Wichtiger als das Spiel. Wenn sie auch nur ein einziges Leben retten könnten - nur eines - würde es dann nicht die ganze Reise sinnvoll machen? Jeden den sie retten könnten, wäre ein Verlust für die Inquisition. Nebel stellte eine Gruppe von vier Personen ab, die in das Reich reisten, in das es ihn unbarmherzig zog. Sie sollten dort die Warnungen verbreiten und vom Codex berichten, während Nebel sich mit den anderen auf den Weg machen würde, um die anderen zu warnen. So es ihr Wille wäre, würden die beiden Gruppen sich zu einem späteren Zeitpunkt wieder vereinen.
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»Dieser kleine Bastard!«
Der Verräter schritt in seiner Kammer auf und ab. Ein Menschlein der Inquisition hatte ihn vor einer Weile darauf aufmerksam gemacht, das ihre Krieger gejagt wurden. Er hatte sich auf den Weg gemacht und nachgesehen, was es damit auf sich hatte. Die Dummheit der Menschen war nichts Neues, und wenn sie sich so leicht ködern ließen, verdienten sie es nicht anders, als niedergemetzelt zu werden, wenn man ihn fragte.
»Wie kann er es wagen? Warum konnte er nicht einfach am schwarzen Hof bleiben, wie ein braves kleines Kind, statt mir Ärger zu bereiten?«
Ein dunkles Grollen begleitete die Worte des Dunklen, während er mit starrem Blick aus dem Fenster sah. Er hätte dem jungen Krieger mehr Aufmerksamkeit schenken sollen, als Jacob ihm das erste Mal von jenem berichtet hatte, spätestens jedoch als es hieß, der Knabe habe die Aufmerksamkeit Alexanders auf sich gezogen. Der Verräter hatte einen Fehler gemacht, der seine Pläne erheblich störte. Die Sturheit eines dummen Kindes hatte ihm hunderte von Kriegern gekostet. Er würde Maßnahmen ergreifen müssen.
»Ich werde diesen kleinen Bastard aus dem Weg räumen. Koste es was es wolle.«
Wer hätte ahnen können, dass ein Kind und dessen Furcht vor den eigenen Gefühlen, die Pläne des Verräters oder der Inquisition zu stören vermochte? Aber für alle Beteiligten war der Krieg kaum mehr als ein Tanz und jede Veränderung bedeutete einen neuen Schritt, auf den man sich einstellen musste. Ein tödlicher Tanz, aber ein Tanz. Und der Verräter würde genau das tun, was er immer tat: Sich auf eine Veränderung einstellen. Überleben. Weiter gehen. Schritt für Schritt, bis er sein Ziel erreicht hatte.
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Noir und die ihm Unterstellten empfingen die Boten, die seinem Vater die Liste und die Warnung überbringen sollten, knapp hinter den Landesgrenzen und geleiteten sie zum Hof. Sidh und Armand musterten die Fremden im Wechsel mit Noir. Niemand außer den beiden vermochte die Neugier zu erkennen, die hinter der versteinert wirkenden Maske brodelte. Die beiden Vampire tauschten einen amüsierten Blick, doch weder sie noch Noir gaben der Neugier nach, sondern Thomas.
»Also wie geht es Nebel? Wie seid Ihr an ihn geraten?«
Noir lag Tadel auf den Lippen, aber ihn interessierte ebenso, was der Junge trieb und wie es ihm ergangen war, wie die anderen. Er hätte es niemals für möglich gehalten, aber der junge Krieger fehlte ihm ein wenig. Und sei es, dass seine Sturheit und der Unwille sich geschlagen zu geben ausgesprochen unterhaltsam war.
»Ich nehme an, gut?«
Michael tauschte einen Blick mit seinen Begleitern, Sebastian, Dennis und Martin, und zuckte mit den Schultern. Es war schwer zu sagen, wie es dem Blonden ging. Die meiste Zeit blieb er für sich, schwieg oder schien eigenen Gedanken nachzuhängen. Weder saß er mit den anderen am Feuer, noch ruhte er an ihrer Seite. Marques war der Einzige, mit dem Nebel Zeit verbrachte und mit dem er sich unterhielt. Zumindest sprach er mehr als zwei Worte mit dem anderen Vampir.
»Wie wir an ihn geraten sind? Zufällig, wie die anderen auch.«
Sebastian schüttelte den Kopf. Die Frage nach dem ‚Wie‘ konnte vermutlich keiner so genau beantworten. Sie waren einander begegnet und hatten sich angeschlossen, und Nebel hatte es hingenommen.
»Zufällig?«
Noir brach sein Schweigen, gab den Versuch auf, unbeteiligt zu wirken, und schenkte Sebastian seine Aufmerksamkeit. Jener tauschte einen kurzen Blick mit den anderen, ehe er seufzend die Schultern hochzog.
»Wir begleiten ihn erst ein paar Wochen. In der Nähe unserer Heimat haben er und die anderen, sich um ein paar Inquisitionskrieger gekümmert. Sie hielten bei uns, um ihre Beute zu tauschen, zu rasten und speisen.«
»Die anderen?«
Sebastian nickte und musterte den Silberäugigen, der sich an seine Seite zurückfallen ließ. Es gab Gerüchte. Gerüchte um die silberäugigen Vampire. Die Herrscher ihrer Art. Hatte Nebel sie genau dorthin geschickt? An den Hof, welcher der Hauptwohnsitz des Obersten und seines Sprosses war?
»Ja, die anderen. Wir waren ungefähr dreißig Männer als wir hierher aufgebrochen sind. Es schlossen sich immer Mal wieder Krieger an, oder verließen uns nach Schlachten. Auch auf dieser Reise, werden sich Männer der Gruppe anschließen oder heimkehren.«
Thomas und Marius sahen einander an und ebenso Noir und seine Vertrauten. Sie hatten sich oft gefragt, was der Blonde trieb, seit er sie verlassen hatte. Sie hatten angenommen, er hätte sein altes Leben wieder aufgenommen. Neue Feinde um sich gescharrt, Aufträge erfüllt, die niemand sonst annehmen wollte. Oder kurz: Er suchte und fand Ärger. Dass dem Küken nun selbst Männer folgten, damit hatten sie nicht gerechnet. Sie widerstanden dem Drang, sich zu erkundigen, wie sich der Jüngere machte, und geleiteten den Besuch zum Hof und dem Vater.
»Nebel trug uns auf, Euch dies zu geben und Euch damit zu warnen.«
Michael händigte dem Ältesten das Pergament aus, das Nebel mühsam aus dem Codex kopiert hatte. Auf jeder Rast hatte man den Blonden schreiben sehen, selten schenkte er irgendwelchen anderen Dingen seine Aufmerksamkeit, wenn es sich vermeiden ließ. Sobald er fertig war, waren sie entsandt worden. Die Besuchergruppe widerstand dem Drang, sich das Oberhaupt ihrer Art genauer anzusehen und so seinen Zorn ob des fehlenden Respektes auf sich zu ziehen. Noir, Sidh und Armand hatten Position hinter Alexander bezogen, der die Liste eingehend betrachtete.
Namen.
Orte.
Kein Wort zum Gruß, nur die Mahnung zur Vorsicht. Alexander verspürte einen feinen Stich. Nach einem Jahrzehnt das erste Lebenszeichen von dem geflüchteten Gast, und dann hätte selbst ein Fremder eine herzlichere Botschaft geschrieben. Er mahnte sich zur Konzentration, schenkte seine Aufmerksamkeit seinen Gästen.
»Woher hat Nebel diese Informationen?«
»Das können wir nicht sagen, Herr.«
»Ist das so? Und warum nicht?«
Michael schluckte. Alexanders Worte waren kalt wie Eis und sein Blick war lauernd geworden.
Sebastian beeilte sich, zu antworten.
»Weil wir das nicht wissen, Herr. Nebel suchte Freiwillige um die Liste hierher zu bringen während er und die anderen sich auf den Weg machten, um eine eigene abzuarbeiten. Wenn wir hier nicht mehr gebraucht werden, werden wir zu ihm zurückkehren.«
Alexander blickte zu seinem Sohn und hob fragend eine Braue. Das sie nichts Genaueres wussten, schien ihm unwahrscheinlich, aber Noir nickte lediglich knapp zum Zeichen, das auch er keine anderen Informationen hatte. Das Oberhaupt nickte langsam und reichte Noir die Liste. Sie würden es dem Nebel gleich tun: Die Orte besuchen und die Artgenossen warnen.
»Teile Gruppen ein, Noir. Wir müssen sie warnen. Sidh, sorge dafür, das unsere Gäste sich ausruhren und speisen, lass die Pferde in die Ställe bringen und versorgen.«
Die angesprochenen Söhne nickten und beeilten sich, den Befehlen nachzukommen.
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Die Gästegruppe zog sich nach einem Mahl zurück, um Fragen nach ihrem Auftraggeber zu entgehen. Es hatte die Runde gemacht, das Nebel sie geschickt hatte und neugierige Blicke folgten ihnen, wohin sie auch gingen. Neugier war nichts Neues für die Gruppe. Wenn sie sich nach ihren Kämpfen in Ortschaften oder unter ihresgleichen begaben, um zu tauschen, war man neugierig auf sie. Aber hier lag es anders. Offenbar war der Grund, dass Nebel nicht selbst hergeritten war, der, dass er hierher gehört hatte.
»Nebel hätte uns warnen können. Ich wusste nicht, das er hier so bekannt ist.«
»Ob das gut ist, das man ihn hier kennt, sei dahin gestellt.«
»Denkt ihr, er hat etwas verbrochen, das man ihn hier kennt und er nicht hierher wollte?«
»Wir sprechen von Nebel. Der Nebel, der es nicht für nötig hällt, irgendwen um das Willkommen zu bitten. Wer weiß was hier passiert ist.«
Nachdenklich saßen die vier beieinander. Auch wenn jedem eine eigene Kammer bereitet wurde, saßen sie in Michaels und genossen etwas Wein und das prasselnde Feuer.
»Wir könnten danach fragen. Oder Nebel selbst fragen.«
Alle lachten. Natürlich könnten sie Nebel befragen, warum er nicht hierher kommen wollte und warum man ihn hier kannte. Aber sie wussten, dass Nebel nicht antworten würde. Der ein oder andere hatte versucht, etwas zu erfahren.
Besonders in den ersten Tagen oder Wochen, schien es ein anerkannter Sport in der Gefolgschaft des jungen Kriegers zu sein, sein Schweigen zu brechen. Vielleicht wäre man der Erste, dem sich der verschlossene junge Mann öffnen würde?
Früher oder später musste sich jedoch jeder eingestehen, dass alles Fragen, jeder Versuch sich mit dem Flüchtling anzufreunden sinnlos war.
Und sich hier Informationen zu holen, schien ihnen nicht richtig. Trotz aller Neugier.
»Genießen wir es an einem sicheren Ort ausruhen können. Ein warmes Bett, statt harten Bodens. Bei Sonnenaufgang reiten wir zurück und schließen uns schnellstmöglich wieder den anderen an.«
Zustimmendes Gemurmel, ehe die Gruppe sich trennte und die Annehmlichkeiten des Schlosses ausnutzte, mit Bad und Bett.
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»Das Küken führt einen Kriegstrupp. Wer hätte das gedacht?«
Thomas sah gelangweilt auf die Trainierenden und schüttelte schmunzelnd den Kopf. Marius lachte leise.
»Blutrünstiges kleines Küken. Hab es ja gesagt.«
»Er führt sie gegen die Inquisition.«
Noirs Worte waren bar jeden Spaßes und Sorge spiegelte sich in dem flüssigen Silber seiner Augen, ebenso wie in denen Sidhs und Armands.
Sie hatten bereits Bekanntschaft mit den fanatischen Kriegern gemacht und wussten um die Gefahr, die von ihnen ausging.
»Er hat mehr Glück als Verstand, und wir wissen wie clever er ist. Vielleicht reicht das.«
Sidh versuchte, den Bruder zu beruhigen, ihn aufzuheitern, und erntete einen skeptischen beinahe tadelnden Blick.
»Vergessen wir einen Moment lang, gegen wen er reitet, aber sehr kontaktfreudig war er hier nicht. Wie zum Teufel kommt er an einen Kriegstrupp?«
Andrej schüttelte fassungslos den Kopf. Noir schwieg. Natürlich stimmte er den anderen zu. Niemand hätte jemals gedacht, das Nebel Männer um sich scharen würde. Das sich der Kleine sich Ärger suchen würde, ja. Das er Feinde um sich scharen würde, auf jeden Fall. Auch das er sich wieder durch Kopfgeldjagd verdingte, hätte sie nicht gewundert. Aber ein Kriegszug gegen die Inquisition? Krieger, die ihm folgten, die er befehligte?
Nein, das wäre das Letzte, das man sich vorstellen konnte. ‚Das er sich ausgerechnet solche Feinde suchen muss... Wie wird er das nächste Mal durch das Tor treten? Wenn er nicht ohnehin von IHNEN getötet wird?‘
»Er kommt irgendwann wieder her. Quicklebendig und frech wie eh und je, um uns zu ärgern.«
»Natürlich, das Training mit uns kann ja nicht vollkommen umsonst gewesen sein, oder die Grenzritte.«
Armand verdrehte die Augen, aber ließ die Freunde unkommentiert. Sie machten sich alle Sorgen um den Geflüchteten. Waren gespannt, ob er jemals zurückkehren würde. Sie hatten die Ohren offen gehalten, aber nach einem Jahrzehnt war es das erste Lebenszeichen und dann ein solches. Armand betrachtete Noir. Auch er machte sich Sorgen, Sidh - nun Sidh sorgte sich um beinahe jeden.
»Wenn nicht, dann finde ich ihn und ziehe ihm persönlich die Zähne.«
Noirs geknurrte Drohung sorgte für kurzes Auflachen der anderen. Das war weit mehr Gefühl, als er sonst in der Öffentlichkeit zu zeigen pflegte, wie ernst seine Freunde es nahmen ... nur sie könnten es sagen.
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Alexander indes beobachtete vom Turm aus, wie die Krieger des Schlosses in alle Himmelsrichtungen auszogen, um das Wort des Ältesten zu erfüllen. Seine Reiter würden mehrere Tage, vielleicht auch Wochen unterwegs sein, wenn die Aufenthaltsorte sich geändert und noch nicht bei ihm vermerkt worden waren. Als die Reiter seinem Blick entzogen wurden, galt seine Aufmerksamkeit der Ferne. Dort wo er Nebel vermutete.
Dort wo der Junge einen Tross führte, um Fremde zu warnen, die ihm nichts bedeuteten. Ein Jahrzehnt, seit der Knabe sein Schloss verlassen hatte. Ihn verlassen hatte. Immer wieder hatte er sich gefragt, wie es dem Jüngeren ergangen war. Immer wieder hatte er seine Stimme im Ohr, wenn er auf dem Turm stand, um seine Gedanken zu ordnen.
Auch jetzt spürte er beinahe die Gegenwart des geflohenen Gastes. Sah das triumphierende Grinsen, als der Knabe ihn übertölpelt hatte.
Er hatte sich in Sicherheit gewiegt, aber der Junge hatte ihn überrascht. Viel zu oft. Er sollte froh sein. Froh das er gegangen war, die Ablenkung, die seine Anwesenheit bedeutet hatte, vorüber war. Aber das war er nicht. Er sorgte sich um den Knaben, der seine Aufmerksamkeit gefordert hatte, wie keiner oder keine zuvor. Vielleicht, weil er nicht wusste. Nichts von ihm, den Gerüchten und Geschichten, die sich um ihn rankten. Ohne Hintergedanken, ohne den Wunsch nach Privilegien war der Knabe ihm begegnet. Und nun?
Die Boten die er geschickt hatte und das Anliegen, das sie mit sich trugen, sagten mehr als deutlich, das der Knabe sich in Dinge einmischte, die zu groß für ihn waren. Dass er sich in große Gefahr begab, die sein Leben viel zu früh beenden könnten. Wofür? Warum? War er seines Lebens so rasch überdrüssig geworden, das er die Gefahr suchte? Es wäre nicht ungewöhnlich.
Viele erbaten, dass man ihnen das Leben nahm, wenn genug gestorben waren, die ihnen etwas bedeutet hatten. Wenn sie merkten, wie lang die Ewigkeit sein konnte. Wie schwer und gefährlich das Leben als Vampir war.
Erging es Nebel ebenso? Der Knabe hatte kein Jahrhundert gesehen. Sollte er der Ewigkeit bereits so schnell überdrüssig sein?
Sollte er nach ihm suchen lassen? Ihn herbringen lassen, notfalls mit Gewalt? Sollte er den Boten eine Nachricht mitgeben? Mit der Bitte, auf sich Acht zu geben? Alexander seufzte. Er wusste, dass er weder das eine noch das andere tun würde.
Der Knabe müsste den Zeitpunkt selbst festlegen, an dem er zurückkehren würde. Alles, was er tun konnte, war zu hoffen, dass der Jüngere sein Abenteuer überleben würde.
»Pass auf dich auf und kehre gesund zu mir zurück.«
Wie die Worte des Jungen ungehört vom Wind getragen wurden, so wurden es die seinen. Ein Sehnen mit sich führend, das einzugestehen sich Alexander eher bereit wäre, als es der Jüngere war.
Drei Jahre.
Drei Jahre waren vergangen, seit Nebel das Buch gefunden und den Entschluss gefasst hatte, das alle gewarnt werden müssten. Drei Jahre, in denen er gehofft hatte, dass er sein Herz zum Schweigen bringen könnte. Das die Abwechslung ihm Ablenkung böte. Aber das, war ein Trugschluss gewesen. Inzwischen folgte ihm eine Gruppe von fünfzig Männern.
Der junge Vampir konnte nicht sagen warum, was sie sich erhofften oder was sie antrieb. Vielleicht könnte er es erfahren, würde er die Rast an ihren Feuern oder bei ihren Spielen verbringen, aber das lag ihm nicht. ‚Sie sind nicht...‘ Sie waren nicht Noir, Armand, Sidh, Marius, Thomas und Andrej. Mit ihnen war es einfach gewesen.
Alles.
Zu schweigen.
Zu sprechen.
Zu trainieren.
Spaß zu haben.
Ein tonloses Seufzen entrann der zeitlosen Kehle. Er vermisste die Gruppe, die Freunden am nächsten kamen. Die Einzigen, bei denen es nicht anstrengend war. Bei denen er sich nicht verstellen musste. Aber noch war er nicht gewillt zurückzukehren. Noch konnte er nicht sagen, ob er es je könnte. Sie waren in den letzten Jahren von Ortschaft zu Ortschaft gezogen.
Hatten nur eine Warnung überbracht und waren weiter gereist. Seda war der letzte Ort. Alle Namen und Ortschaften aus dem Codex waren abgearbeitet. Sie hatten von den Überfällen auf die Kirchenkrieger abgesehen, um so viele wie möglich zu warnen. Auch wenn Nebel sich mehr als einmal fragte, warum er diese Mühen auf sich nahm. Oft schlug ihm und den Männern, die mit ihm ritten, Misstrauen entgegen. Mancher zeigte es offener als andere. Er erwartete keine Dankbarkeit für die Warnung, die vielleicht das eine oder andere Leben (was auch immer ein Vampir darunter verstehen mochte) retten könnte, aber Misstrauen?
Weder er noch die anderen ließen sich irgendwas zu Schulden kommen. Er würde nicht dulden das sich die Männer daneben benahmen. Sah man vom Willkommen ab, das er nie einholte.
Für gewöhnlich hielten sie sich abseits, jagten nicht im Übermaß und hielten sich aus Ärger heraus. Lagen mehrere Ortschaften nah beieinander, hatten sie sich in Gruppen aufgeteilt und sich an einem zentralen Platz getroffen, um weiterzureisen oder auszuruhen.
»Und nun?«
Marques Frage zog Nebels Aufmerksamkeit auf sich und seine Männer. Er ließ den Blick über die Gruppe gleiten und unterdrückte ein Schmunzeln. Sie waren zu Gast in einer Burg, hatten gespeist, gebadet und die Kleider in Ordnung gebracht. Unruhe spiegelte sich in ihren Blicken und Nebel wusste, dass es dieselbe Unruhe war, die er selbst verspürte. Jene Unruhe, die man empfand, wenn man zu lange in der Wildnis unterwegs war und dann eingepfercht hinter Mauern harren musste.
»Morgen ziehen wir weiter. Wir haben gewarnt, wen wir warnen konnten. Alles andere liegt nicht mehr in unserer Hand. Morgen beginnen wir mit der Suche nach Ausbildungslagern der Inquisition. Wir können nicht alle kriegen, aber wir können ihre Zahl vielleicht mindern.«
Nach langem Schweigen hatte Nebel seine Entscheidung kundgetan. Zustimmung spiegelte sich in den Zügen der anderen. Vielleicht war es Zufall, dass sie den Codex gefunden hatten, vielleicht Schicksal. Aber sie konnten nicht darauf vertrauen, dass es noch einmal geschehen würde.
Er musste jeden Hinweis nutzen, jede Möglichkeit die Gottesdiener zu vernichten, die seinesgleichen erbarmungslos jagten. Nebel ließ seinen Blick noch einmal über die Gruppe gleiten und zog sich dann auf die Wachmauern zurück. Sein Blick war in die Ferne gerichtet, zu jenem Ort, an den es ihn noch immer unbarmherzig zog. Auch nach dreizehn Jahren sehnte er sich noch immer dorthin zurück, obgleich er wusste, dass er nur ein Spiel war oder wäre.
Ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen, während er das Trugbild des Ältesten vor seinem inneren Auge hinauf beschwor und darum kämpfte, nicht die Hand nach der Illusion auszustrecken. Er spürte die Gegenwart des Älteren, vernahm seinen Duft, seine Stimme, sein Lachen. Allabendliche Selbstfolter, von der er nicht ablassen konnte und wollte.
»Vergiss mich nicht. Irgendwann werde ich den Mut haben und zu dir zurückkehren. Und solange... bitte, bitte vergiss mich nicht.«
Der Wind erfasste Haar und Kleidung des Blonden, spielte damit, wie ein junger Welpe mit einem Stück Leder spielen würde. Jener genoss die kosende Berührung und schloss die Augen. Die aufsteigenden Tränen kämpfte er nur mühsam nieder. Tränen nutzten niemandem. Ihm am wenigsten. Schritte erklangen hinter dem jungen Jäger.
Der Burgherr Corrin trat an Nebel heran, jenen mit misstrauischem Blick musternd. Corrin war beinahe zwei Köpfe größer als Nebel und bei weitem muskulöser als der Bote es war.
Das einzige, was die beiden Männer gemein hatten, war das blonde, lange Haar. Auf Corrins zeitlosen Zügen hatten Zeit, Kriege und Verantwortung ihre Spuren hinterlassen, die Augen waren hart und kalt.
»Vor wem lauf Ihr davon? Ihr und Eure Meute seid nie lang an einem Ort, also wovor flieht ihr?«
Nebels Haltung straffte sich unmerklich, eine Hand platzierte sich am Griff des Schwertes, aber er zog es nicht. Er bannte das Bild Alexanders in den hintersten Winkel seines Geistes und beschwor die übliche Arroganz wieder auf, während er die Augen öffnete und sich dem Burgherren zuwandt.
»Wir bleiben nie lange an einem Ort, um so viele wie möglich zu warnen, bevor noch weitere Namen von der Liste gestrichen werden können. Aber wo wir schon bei dem Thema sind: Meine ‚Meute‘ und ich werden morgen weiterziehen. Ich danke für die Gastfreundschaft.«
Nebel verabschiedete sich normalerweise nicht. Sie kamen, warnten, rasteten und reisten weiter. Aber in diesem Fall machte er eine Ausnahme, um den anderen auf das Gastrecht hinzuweisen.
Einem Gast durfte nichts geschehen, solange jener sich nichts zu Schulden kommen ließ - nun solange der Gast eingeladen war und sich nichts zu Schulden kommen ließ. Aber Nebel wäre nicht Nebel, wenn er nicht zumindest versuchen würde, das Gesetz für sich zu drehen und auch dieses Mal kam er damit durch.
Corrin verengte die Augen. Missmut spiegelte sich auf seinen Zügen, als Nebel an ihm vorbeischritt. Natürlich würde er das Gastrecht nicht verletzen. Damit kam man nur in Teufels Küche.
Der Burgherr hatte keinen Zweifel, das, was der Jüngere tat, gut war, aber er wurde nicht schlau aus dem Knaben, und wie ihm ging es vielen anderen. Egal mir wem er gesprochen hatte, niemand konnte Genaueres über Nebel sagen, ihm irgendwelche Informationen geben, die Aufschluss über den anderen Krieger geben könnten. Es schien beinahe, als wäre er aus dem Nichts gekommen. Niemand wusste, wer sein Schöpfer war oder ob er vielleicht ein Geborener war - wobei sein Aussehen dafür zu jung schien.
Er war jung, in manchen Momenten gar naiv, aber in anderen Augenblicken war davon keine Spur. Er blieb nicht lang genug, als das man Genaueres herausfinden konnte und nicht einmal die Gruppe aus verschiedenen Kriegern konnte - oder wollte – Informationen preisgeben. Corrin ging davon aus, dass sie nicht wollten. Man ritt nicht über Jahre mit einer Person und wusste nichts über ihn. Das frustrierte Corrin - ebenso wie viele andere – und sorgte dafür, dass sich ein allgemeines Misstrauen gegen den jungen Krieger verbreitete. Zumindest außerhalb des Trupps, der dem Nebel folgte.
Wer garantierte, dass der Blonde nicht eine Gefahr war? Vielleicht sogar ein Verräter? Woher sonst könnte er die Informationen haben, die er mit ihnen teilte. Auf der anderen Seite... Warum sollte er die Informationen mit ihnen teilen, wenn er ein Verräter war? Corrin wäre froh, wenn die Gäste endlich weiterzogen und an anderer Stelle Unruhe stifteten.
Er selbst würde es halten, wie die anderen Oberhäupter, die der Bursche zuvor aufgesucht hatte – er würde einen Boten entsenden, der das Königshaus informierte.
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Klöster, besonders die abgelegenen, waren neben Abteien, die erste Anlaufstelle der Meute des Nebels. Er teilte die Krieger stets in Gruppen auf, um ein größeres Gebiet abdecken zu können, und wies jedem ein Gebiet zu. Der Auftrag war klar: Informationen beschaffen und die Häscher der Inquisition zerschlagen.
Die ersten Male war es einfach. Man erwartete sie nicht, wusste nicht, dass sie kommen würden. Aber jemand entkam und warnte die Kirche und ihre Krieger vor dem Nebel und seinem Kriegstross.
Es dauerte nicht lange, bis der Name des blonden Kriegers in aller Munde war, nicht auf offener Straße, aber in geheimen Gewölben und flüsternd an nächtlichen Feuern. Nicht nur unter seinesgleichen, sondern auch bei den Häschern, die er jagte. Die Überfälle wurden damit schwieriger. Man bereitete sich auf sie vor, erhöhte die Anzahl der Krieger oder versuchte Fallen zu stellen. Aber noch schien die Glückssträhne des Nebels anzuhalten, und er schaffte es seine Männer lebendig von jedem Schlachtfeld zu führen.
Das Ansehen des Kükens stieg in den Augen, derer die ihm folgten. Das Schweigen in welches der junge Anführer sich zu hüllen pflegte, wog weit weniger schwer, als die Erfolge, die sie unter seiner Führung erlangten. Man lernte, es zu akzeptieren, das der Krieger nichts Persönliches mit ihnen teilte und nur sprach, wenn es um den nächsten Coup ging. Bevor sie angriffen, stellte Nebel die übliche Frage an den dunklen Gevatter, und bisher hatte stets das vertraute Lachen geantwortet. Jeder, auch Nebel, wusste, dass sie früher oder später wirkliche Schwierigkeiten bekommen würden. Das jeder von ihnen sterben könnte. Die Schwierigkeit der Überfälle nahm mehr und mehr zu, und es war Glück, das es bislang keine Toten auf ihrer Seite gegeben hatte.
Nebel würde ihnen nichts nachtragen, sollten sie heimkehren wollen.
Er selbst hatte nichts zu verlieren, außer seinem Leben und das sah er nicht als sonderlich wertvoll an. Andere hatten Gefährten, einen Clan oder Freunde irgendwo in ihrer Heimat sitzen – wo auch immer diese sein mochte. Er selbst... Nun er war Nebel, fliehend vor sich selbst. Clanlos. Keine Familie, die zu schützen wäre, zu der er zurückkehren könnte.
Niemand ging.
Niemand kehrte zurück zu denen, die ihnen wertvoll wären. Die Gefahr hielt niemanden ab. Nicht davon Nebel zu folgen. Nicht davon die Häscher zu jagen, die ihre Art bedrohten. Was war schon das eigene Leben, wenn man andere retten könnte? Wer ging schon davon aus, dass das eigene Leben enden könnte? Geht nicht jeder irgendwo davon aus, dass man lebt und das sich dieser Zustand auch nicht so bald ändern würde?
Und die Krieger sahen es ebenso. Andere konnten sterben, aber sie selbst nicht. Auch in dieser Nacht war der Gedanke oder das Wissen vorhanden, das jemand sterben könnte. Aber wie in den Nächten zuvor, beschlossen sie die Gefahr hinzunehmen und die Jagd fortzusetzen. Die Luft war warm, am Himmel teilten sich Wolken und Sterne den Platz und ein fernes Donnergrollen kündigte den nahenden Sturm an. Einem dunklen Omen gleich, auf das niemand achten wollte.
Es begann wie immer: Sie teilten sich auf und jeder Tross bestehend aus jeweils zehn Kriegern, ritt in die zugewiesene Klosteranlage. Dort erkundeten sie in Zweiergruppen die Anlage. Nebel runzelte die Stirn und tauschte mit Marques einen Blick.
»Es ist zu ruhig.«
Sie vernahmen Herzschläge in der Nähe, zwischen den Donnerschlägen, welche die beklemmende Stille durchbrachen. Regen prasselte inzwischen sintflutartig auf die Welt herab und die schweren Schritte der Krieger verursachten ein dreckiges Schmatzen, wenn die Stiefel sich vom schlammigen Grund lösten. Sie rochen das Weihwasser, aber das war nicht ungewöhnlich für einen Ort wie diesen. Die Krieger sahen niemanden. Die Häscher hatten sich gut versteckt.
»Eine Falle?...«