Verführerische Täuschung - J.D. Robb - E-Book
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Verführerische Täuschung E-Book

J.D. Robb

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Beschreibung

Dieser Fall bringt selbst Eve Dallas an ihre Grenzen …

Es ist nur eine normale Bar in Downtown New York, in der Feierabenddrinks, Meckereien über Chefs und kleine Flirts an der Tagesordnung sind. Alles scheint wie immer – doch dann bricht das totale Chaos aus, und am Ende gibt es achtzig Tote. Eve Dallas ermittelt, spricht mit Augenzeugen, die wirr von Monstern und Bienen reden. Sie findet heraus, dass den Gästen ein chemischer Drogencocktail serviert wurde, der kurzfristige Wahnvorstellungen auslöst. Aber warum sollte jemand so etwas geplant haben? Als klar wird, dass die Bar Eves Mann Roarke gehört, stellt sich die Frage: Ist auch er in Gefahr?

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Seitenzahl: 663

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Buch

Es ist ein ganz normaler Abend in einer ganz normalen Bar in Downtown New York, in der Feierabendgetränke, Meckereien über Chefs und kleine Flirts an der Tagesordnung sind. Alles scheint wie immer – doch dann bricht von einer Minute auf die andere das totale Chaos aus. Zuerst liegt nur eine Art Spannung in der Luft, doch nach nur zwölf Minuten sind achtzig Menschen tot. Eve Dallas ermittelt, spricht mit Augenzeugen, die wirr von Monstern und Bienenschwärmen reden. Sie beschreiben plötzliche, überwältigende Gefühle von Angst und Zorn. Eve findet schließlich heraus, dass den Gästen ein chemischer Drogencocktail serviert wurde, der kurzfristige Wahnvorstellungen auslöst und auch zum Tod führen kann. Aber das erklärt nicht, warum jemand so etwas Schlimmes plante. Und dann wird klar: Die Bar gehört Eves Mann Roarke. Er ist sich sicher, dass dieser Anschlag nicht ihm galt, hier ist etwas Größeres im Gange. Doch trotzdem stellt sich die Frage: Ist auch er in Gefahr?

Au­tor

J. D. Robb ist das Pseudonym der international höchst erfolgreichen Autorin Nora Roberts, einer der meistgelesenen Autorinnen der Welt. Unter dem Namen J. D. Robb veröffentlicht sie seit Jahren erfolgreich Kriminalromane.

Liste lieferbarer Titel

Rendezvous mit einem Mörder · Tödliche Küsse · Eine mörderische Hochzeit · Bis in den Tod · Der Kuss des Killers · Mord ist ihre Leidenschaft · Liebesnacht mit einem Mörder · Der Tod ist mein · Ein feuriger Verehrer · Spiel mit dem Mörder · Sündige Rache · Symphonie des Todes · Das ­Lächeln des Killers · Einladung zum Mord · Tödliche Unschuld · Der Hauch des ­Bösen · Das Herz des Mörders · Im Tod vereint · Tanz mit dem Tod · In den Armen der Nacht · Stich ins Herz · Stirb, Schätzchen, stirb · In Liebe und Tod · Sanft kommt der Tod · Mörderische Sehnsucht · Ein sündiges Alibi · Im Namen des Todes · Tödliche Verehrung · Süßer Ruf des Todes · Sündiges Spiel · Mörderische Hingabe · Verrat aus Leidenschaft · In Rache entflammt · Tödlicher Ruhm

Mörderspiele. Drei Fälle für Eve Dallas

Nora Roberts ist J. D. Robb

Ein gefährliches Geschenk

J. D. Robb

Verführerische

Täuschung

Roman

Deutsch von Uta Hege

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Die Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel »Delusion in Death« bei G. P. Putnam’s Sons, a member of Penguin Group (USA) Inc., New York.
Copyright der Originalausgabe © 2012 by Nora Roberts Published by Arrangement with Eleanor Wilder Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen. Copyright © 2018 für die deutsche Ausgabe by Blanvalet Verlag, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Redaktion: Regine Kirtschig Umschlaggestaltung: www.buerosued.de Umschlagmotiv: Chris Stein/The Image/Getty Images LH · Herstellung: sam Satz: Buch-Werk­statt GmbH, Bad Aib­ling ISBN: 978-3-641-22277-2V002
www.blanvalet.de

Und ich sah, und sie­he, ein fah­les Pferd Und der da­rauf saß, des­sen Name war Tod, und die To­ten­welt folg­te ihm nach.

Die Bi­bel, Of­fen­ba­rung

Mord ru­fen und des Krie­ges Hund’ ent­fes­seln.

Will­iam Shakes­peare, Ju­li­us Cä­sar

1

Nach ei­nem mör­de­ri­schen Ar­beits­tag be­ru­hig­te nichts die stra­pa­zier­ten Ner­ven der in Man­hat­tans Lo­wer West Side ar­bei­ten­den An­ge­stell­ten bes­ser als die Hap­py Hour in der an­ge­sag­ten Knei­pe On the Rocks. Bei Drinks zum hal­ben Preis und Reis­bäll­chen mit Käse läs­ter­ten sie über ihre Vor­ge­setz­ten oder fin­gen Flirts mit den Kol­le­gin­nen oder Kol­le­gen an.

Auch hohe Tie­re tauch­ten dort auf, um in der Nähe ih­rer Ar­beits­plät­ze schnell noch et­was zu trin­ken, ehe es zu­rück in schi­cke, in den Vor­or­ten New Yorks ge­le­ge­ne Häu­ser ging.

Zwi­schen halb fünf und sechs dräng­ten sich klei­ne An­ge­stell­te, de­ren Vor­ge­setz­te, Sek­re­tä­rin­nen und As­sis­ten­ten an den nied­ri­gen und ho­hen Ti­schen und der lang­ ge­zo­ge­nen Bar. Man­che die­ser Leu­te stürz­ten sich kopf­ü­ber in das Trei­ben, an­de­re wur­den wie Über­le­ben­de nach ei­nem Schiffs­un­glück he­rein­ge­spült, und wie­der an­de­re woll­ten ein­fach die Er­in­ne­rung an ih­ren Ar­beits­tag in Al­ko­hol er­trän­ken, nach­dem sie sich ei­nen klei­nen Fle­cken Knei­pe müh­se­lig er­o­bert hat­ten.

Ab fünf herrsch­te ein Trei­ben wie in ei­nem Bie­nen­schwarm, und die The­ker und die Ser­vice­kräf­te hat­ten mit den Gäs­ten, die in­zwi­schen ih­ren Ar­beits­tag be­en­det hat­ten, alle Hän­de voll zu tun. Zum Glück hell­te der zwei­te Drink zum hal­ben Preis die Stim­mung der Be­su­cher meis­tens auf, und das an­fäng­li­che Ge­mur­re oder Schimp­fen wur­de durch Ge­läch­ter, fröh­li­che Ge­sprä­che, Au­gen­zwin­kern, Wim­pern­klap­pern und an­de­re Ri­tu­a­le, die zur Paa­rung füh­ren soll­ten, er­setzt.

Ak­ten, Ge­schäfts­bü­cher wur­den ver­drängt, und un­be­ant­wor­te­te Nach­rich­ten ge­rie­ten in dem war­men gol­de­nen Licht, über dem Klir­ren der Glä­ser und den Gra­tis­nüs­sen in den klei­nen Schäl­chen auf den Ti­schen in Ver­ges­sen­heit.

Ab und zu wur­de die Tür ge­öff­net, und das On the Rocks nahm ei­nen wei­te­ren Über­le­ben­den des grau­sa­men New Yor­ker Ar­beits­ta­ges in Emp­fang. Zu­sam­men mit dem Lärm der Stra­ße weh­te küh­le Herbst­luft in den Raum, doch kaum klapp­te die Tür zu, wur­de es wie­der warm und schumm­rig, und das Sum­men der zahl­lo­sen Stim­men setz­te er­neut ein.

Mit­ten in der Hap­py Hour, die hier statt ei­ner Stun­de an­dert­halb um­fass­te, bra­chen ei­ni­ge der Gäs­te schon wie­der auf. Ver­pflich­tun­gen, Fa­mi­li­en oder ir­gend­wel­che hei­ßen Dates zo­gen sie zur U-Bahn, ei­nem Pen­del­flie­ger, Taxi oder Ma­xi­bus, wer blieb, nutz­te die Ge­le­gen­heit zum Schwatz mit Freun­den und Kol­le­gen noch ein we­nig aus, be­vor es aus dem war­men gol­de­nen zu­rück ins grel­le Licht der Stadt oder ins abend­li­che Dun­kel ging.

Macie Sny­der hat­te sich mit Travis, der seit ei­nem gu­ten Vier­tel­jahr ihr Freund war, ih­rer bes­ten Freun­din CiCi und mit Travis’ Kum­pel Bren an ei­nem Steh­tisch auf­ge­baut. Sie woll­te CiCi schon seit ei­ner hal­ben Ewig­keit mit Bren ver­kup­peln, denn dann könn­ten sie häu­fi­ger zu­sam­men aus­ge­hen und sich über ihre Freun­de un­ter­hal­ten, wenn sie bei der Ar­beit wa­ren. Sie wa­ren eine gut ge­laun­te, aus­ge­las­se­ne Grup­pe, wo­bei Macie die Fröh­lichs­te von ih­nen war.

Ci­Cis und Brens Kör­per­spra­che und die Bli­cke, die sie mit­ei­nan­der tausch­ten, zeig­ten, dass sie ein­deu­tig Ge­fal­len an­ei­nan­der hat­ten, und da CiCi ihr in­zwi­schen ein paar kur­ze ein­deu­ti­ge Text­nach­richten ge­schrie­ben hat­te, wuss­te Macie, dass ihr Plan, zu­min­dest was die Freun­din an­ging, auf­ge­gan­gen war.

Wäh­rend sie eine zwei­te Run­de kom­men lie­ßen, über­leg­ten sie, im An­schluss an die Hap­py Hour noch zu­sam­men in ein Res­tau­rant zu ge­hen.

Auf ein schnel­les Zei­chen der Freun­din schnapp­te ­Macie ihre Ta­sche und er­klär­te: »Wir sind so­fort wie­der da.«

Sie bahn­te sich ei­nen Weg vor­bei an an­de­ren Ti­schen, und als je­mand an der The­ke auf­stand und ihr in die Que­re kam, be­fahl sie fröh­lich: »Aus dem Weg«, nahm Ci­Cis Hand und zog sie über eine schma­le Trep­pe bis zu der zum Glück nicht all­zu lan­gen Schlan­ge vor dem Klo.

»Ich habe es doch gleich ge­sagt!«

»Ich weiß, ich weiß. Du hast ge­sagt, er wär at­trak­tiv, und hast mir auch ein Bild ge­zeigt, aber dass er so gut aus­sieht, hät­te ich beim bes­ten Wil­len nicht ge­dacht. Vor al­lem ist er wirk­lich wit­zig! Meis­tens sind Blind Dates tod­lang­wei­lig, aber mit Bren ist es echt toll.«

»Ich sage dir, wie’s wei­ter­geht. Wir wer­den ihn und ­Travis dazu über­re­den, dass wir noch ins Nino’s ge­hen. Von dort aus müs­sen Trav und ich nach dem Es­sen in die eine und du in die an­de­re Rich­tung ge­hen. Da­durch be­kommt Bren die Chan­ce, dich heim­zu­brin­gen, und du kannst ihn fra­gen, ob er noch kurz mit rauf­kom­men und was trin­ken will.«

»Ich weiß nicht.« Zö­ger­lich wie eh und je – wes­halb sie auch im Ge­gen­satz zu Macie nicht in fes­ten Hän­den war – knab­ber­te CiCi an der Un­ter­lip­pe und schüt­tel­te un­si­cher den Kopf. »Ich will nichts über­stür­zen.«

»Du brauchst ja nicht mit ihm ins Bett zu ge­hen, wenn du nicht willst.« Macie roll­te ihre run­den blau­en Au­gen him­mel­wärts. »Frag ihn ein­fach, ob er nicht noch ei­nen Kaf­fee bei dir trin­ken möch­te, und dann könnt ihr ja ein biss­chen knut­schen oder so.«

Sie muss­te wirk­lich drin­gend pin­keln, doch be­vor sie in die nächs­te of­fe­ne Ka­bi­ne stürz­te, bat sie ihre Freun­din noch: »Und wenn er passt, schreibst du mir auf der Stel­le, wie’s ge­lau­fen ist. Und zwar in al­len Ein­zel­hei­ten, ja?«

CiCi trat in die be­nach­bar­te Ka­bi­ne und er­leich­ter­te sich dort aus So­li­da­ri­tät mit Macie eben­falls. »Mal se­hen. Lass uns erst gu­cken, wie das Abend­es­sen läuft. Viel­leicht hat er da­nach ja kei­ne Lust mehr, mich heim­zu­brin­gen.«

»Doch, die hat er ganz be­stimmt. Er ist ein ech­ter Schatz, ich wür­de dich schließ­lich nicht mit ei­nem Arsch ver­kup­peln, der dich al­lei­n ge­hen lässt.« Macie trat ans Wasch­be­cken, be­schnup­per­te die Pfir­sichflüs­sig­sei­fe und grins­te die Freun­din an. »Wir wer­den jede Men­ge Spaß zu­sam­men ha­ben, wenn es wie ge­plant läuft. Dann kön­nen wir in Zu­kunft öf­ter alle vier zu­sam­men aus­ge­hen. Wäre das nicht toll?«

»Okay, ich fin­de ihn echt nett. Nur macht es mich im­mer to­tal ner­vös, wenn mir ein Typ sym­pa­thisch ist.«

»Er fährt to­tal auf dich ab.«

»Bist du si­cher?«

»Hun­dert Pro.« Macie bürs­te­te ihr kur­zes son­nen­blon­des Haar und warf ei­nen Sei­ten­blick auf CiCi, die sich den Lip­pen­stift nach­zog. Him­mel, dach­te sie und stell­te plötz­lich fest, dass sie ein biss­chen sau­er auf die Freun­din war. Sie hat­te ein­fach kei­ne Lust mehr, CiCi stän­dig auf­zu­bau­en.

»Du bist hübsch, klug und amü­sant«, er­klär­te sie und dach­te: Schließ­lich hän­ge ich in mei­ner Frei­zeit si­cher nicht mit ir­gend­ei­ner dum­men Tus­se ab. »Wes­halb also soll­test du ihm nicht sym­pa­thisch sein? Mei­ne Güte, CiCi, mach dich end­lich lo­cker, heul mir nicht die Oh­ren voll, und hör vor al­lem end­lich auf, die ner­vö­se Jung­frau raus­zu­keh­ren.«

»Ich keh­re nicht …«

»Willst du jetzt was mit ihm an­fan­gen oder nicht?«, fuhr Macie CiCi der­art un­sanft an, dass der vor Schreck die Kinn­la­de he­run­ter­fiel. »Ich habe mich ganz si­cher nicht der­art ins Zeug ge­legt, um die­ses Date zu ar­ran­gie­ren, da­mit du plötz­lich kneifst.«

»Ich …«

»Ver­dammt«, fiel Macie ihr ins Wort, wäh­rend sie die Hän­de an die Schlä­fen hob. »Jetzt krie­ge ich vor lau­ter Är­ger auch noch Kopf­schmer­zen.«

Die of­fen­sicht­lich ziem­lich hef­tig wa­ren, denn nor­ma­ler­wei­se sprang sie nicht der­art ge­mein mit ih­rer Freun­din um. Und, sag­te sich CiCi, viel­leicht stell­te sie sich wirk­lich ein biss­chen an.

»Bren hat ein net­tes Lä­cheln«, sag­te sie und blick­te Macie in dem schma­len Spie­gel an. »Falls er mich nach Hau­se bringt, wer­de ich ihn fra­gen, ob er noch was bei mir trin­ken will.«

Macie blick­te in die leuch­tend grü­nen Au­gen ih­rer Freun­din, die zu der ka­ra­mell­far­be­nen Haut ein­fach fan­tas­tisch aus­sa­hen, und nick­te zu­frie­den. »Ge­nau.«

Auf dem Weg zu­rück nach oben fand Macie, dass der Lärm dort plötz­lich un­er­träg­lich war. Durch die vie­len Stim­men, das lau­te Klap­pern des Ge­schirrs und das Schar­ren der Stüh­le auf dem Bo­den wur­de die Mig­rä­ne, die sie plötz­lich hat­te, noch ver­stärkt.

Wäh­rend sie sich selbst leicht ver­bit­tert da­von ab­riet, noch et­was zu trin­ken, wur­de ihr für ei­nen kur­zen Au­gen­blick der Weg ver­sperrt. Wü­tend schubs­te sie den blö­den Kerl zur Sei­te, ob­wohl er sich schon bei ihr ent­schul­dig­te und wei­ter Rich­tung Aus­gang ging.

»Arsch­loch«, mur­melte sie wü­tend und be­dach­te ihn mit ei­nem bö­sen Blick, als er noch ein­mal lä­chelnd über sei­ne Schul­ter sah.

»Was ist denn los?«

»Nichts … nur hät­te die­ser Blö­di­an mich bei­nah um­ge­rannt.«

»Geht es dir gut? Ich habe si­cher noch ein paar Tab­let­ten in der Ta­sche, falls dei­ne Kopf­schmer­zen schlim­mer wer­den. Mir tut der Kopf in­zwi­schen auch ein biss­chen weh.«

»Im­mer geht es nur um dich«, mur­mel­te Macie, at­me­te dann aber erst ein­mal tief durch. Schließ­lich wa­ren sie gute Freun­din­nen, und sie wa­ren hier, um sich zu amü­sie­ren.

Als sie wie­der Platz nahm, er­griff Travis wie so häu­fig ihre Hand und zwin­ker­te ihr zu.

»Wir wol­len noch ins Nino’s ge­hen«, er­klär­te sie.

»Viel­leicht ge­hen wir lie­ber ins Tor­tilla Flats. Im Nino’s kriegt man ohne Re­ser­vie­rung si­cher kei­nen Tisch.«

»Wir wol­len aber kei­nen Mist vom Me­xi­ka­ner, son­dern in ein an­stän­di­ges Res­tau­rant. Mei­ne Güte, mei­net­we­gen kön­nen wir die Rech­nung tei­len, wenn das Nino’s dir zu teu­er ist.«

Wie im­mer, wenn sie et­was Dum­mes sag­te, zeich­ne­te sich zwi­schen Travis’ Brau­en eine schma­le Fal­te ab. Sie hass­te es, wenn er auf die­se Wei­se das Ge­sicht ver­zog.

»Das Nino’s ist zwölf Blocks von hier ent­fernt, wäh­rend der Me­xi­ka­ner prak­tisch um die Ecke ist.«

Zit­ternd vor Wut fuhr sie ihn an: »Ver­dammt noch mal, hast du es ei­lig oder was? Viel­leicht könn­te es zur Ab­wechs­lung ja mal nach mir ge­hen statt im­mer nur nach dir.«

»Du hast doch ge­sagt, du willst ins On the Rocks.«

Das Ge­schrei der bei­den wur­de von den durch­drin­gen­den Stim­men all der an­de­ren Gäs­te un­ter­malt, mit in­zwi­schen eben­falls dröh­nen­dem Schä­del wand­te CiCi sich an Bren.

Er saß ihr ge­gen­über, starr­te mit ge­bleck­ten Zäh­nen in sein Glas und mur­mel­te grau­en­haf­te Din­ge vor sich hin.

Er war nicht ein­mal an­satz­wei­se nett. Nein, ge­nau wie Travis war er ein­deu­tig ein bö­ser Mensch. Er war häss­lich und war nur hier, weil er sie fic­ken woll­te. Und wenn sie nicht woll­te, näh­me er sie mit Ge­walt. So­bald er die Ge­le­gen­heit be­kä­me, wür­de er sie erst zu­sam­men­schla­gen und sich dann an ihr ver­ge­hen. Das war auch Macie klar. Sie wuss­te es und wür­de sich nach Kräf­ten amü­sie­ren, wenn es dazu kam.

»Zur Höl­le mit euch bei­den«, fauch­te CiCi Bren und Macie an, warf ei­nen Blick auf Travis und füg­te hin­zu: »Zur Höl­le mit euch drei­en.«

»Guck mich nicht so an, du Freak«, schrie Macie Travis an, er schlug kra­chend mit der Hand auf den Tisch.

»Halt dein ver­damm­tes Maul.«

»Auf­hö­ren, habe ich ge­sagt.« Krei­schend schnapp­te sie sich eine Ga­bel, ramm­te sie ihm in das lin­ke Auge. Mit ei­nem lau­ten Heu­len, das Ci­Cis Hirn durch­bohr­te, sprang Travis auf, stürz­te sich auf ihre Freun­din …

… und lös­te ein Blut­bad in der Knei­pe aus.

Lieute­nant Eve Dal­las stand im On the Rocks und sah sich das Ge­met­zel an. Es gab doch im­mer wie­der et­was Neu­es, dach­te sie. Im­mer wie­der ir­gend­et­was, das so­gar noch ein biss­chen grau­en­haf­ter als die schlimms­ten Fan­ta­si­en hart­ge­sot­te­ner Po­li­zis­ten war.

Bis zum Herbst 2060 war sie als er­fah­re­ne Mor­der­mitt­le­rin schon oft ge­nug durch den stin­ken­den Mo­rast New Yorks ge­wa­tet, aber so et­was wie hier hat­te sie nie zu­vor ge­se­hen.

Lei­chen trie­ben in ei­nem See aus Blut, Er­bro­che­nem und Al­ko­hol, kau­er­ten wie Raub­tie­re kurz vor dem Sprung un­ter ge­bors­te­nen Ti­schen oder hin­gen schlaff wie Lum­pen­pup­pen über der mit Scher­ben über­sä­ten lan­gen Bar. Die Scher­ben auf dem Bo­den und auf dem, was von den Ti­schen und den Stüh­len üb­rig war, fun­kel­ten wie tod­brin­gen­de Di­a­man­ten, was, da sie teil­wei­se mit Blut und Ein­ge­wei­den ver­schmiert wa­ren oder in den Lei­chen steck­ten, of­fen­kun­dig auch zu­traf.

Der Ge­stank, der in der Luft hing, ließ sie an die Auf­nah­men von Schlacht­fel­dern aus al­ten Zei­ten den­ken, ehe die Ver­letz­ten und die To­ten der Ge­met­zel ohne ein­deu­ti­gen Sie­ger ein­ge­sam­melt wor­den wa­ren.

Lee­re Au­gen­höh­len, auf­ge­ris­se­ne Häl­se, zer­fetz­te Ge­sich­ter, Kno­chen­stück­chen und die graue Mas­se, die aus ein­ge­schla­ge­nen Schä­deln quoll, ver­stärk­ten noch den Ein­druck, dass in die­sem Etab­lis­se­ment ein Krieg vom Zaun ge­bro­chen und ver­lo­ren wor­den war. Ei­ni­ge der Op­fer wa­ren nackt oder zum Teil ent­blößt, und ihre Haut war wie die Haut von al­ten Krie­gern sorg­fäl­tig mit Blut be­malt.

Sie hät­te nicht ge­dacht, dass ir­gend­et­was sie noch scho­ckie­ren könn­te, doch der An­blick, der sich ihr hier bot, brach­te sie aus dem Gleich­ge­wicht. Dann aber straff­te sie die Schul­tern, spann­te ih­ren hoch­ge­wach­se­nen, schlan­ken Kör­per an, wand­te sich an den Kol­le­gen, der als Ers­ter vor Ort ge­we­sen war, und sah ihn reg­los aus ih­ren brau­nen Au­gen an.

»Was wis­sen Sie?«

Er hol­te zi­schend Luft, und sie ließ ihm ein we­nig Zeit, da­mit er sei­ne Stim­me wied­er­fand.

»Mein Part­ner und ich wa­ren ge­ra­de in der Pau­se in dem Di­ner ge­gen­über. Als ich wie­der raus­kam, fiel mir auf, dass eine Frau von viel­leicht Ende zwan­zig rück­wärts aus der Tür der Knei­pe kam. Sie hat ge­schrien wie am Spieß, als ich sie er­reich­te, hat sie im­mer noch ge­schrien.«

»Wann war das ge­nau?«

»Wir sind um 17.45 Uhr in die Pau­se ge­gan­gen, und ich schät­ze, dass wir höchs­tens fünf Mi­nu­ten in dem Di­ner wa­ren, Ma’am.«

»Okay. Fah­ren Sie fort.«

»Die Frau war viel zu auf­ge­regt, um ei­nen ge­ra­den Satz he­raus­zu­brin­gen, also hat sie ein­fach auf die Tür ge­zeigt. Mein Part­ner hat ver­sucht, sie zu be­ru­hi­gen, wäh­rend ich die Tür ge­öff­net habe, um zu se­hen, wes­halb die Frau so pa­nisch war.« Er räus­per­te sich kurz und fuhr mit rau­er Stim­me fort: »Ich bin seit zwei­und­zwan­zig Jah­ren bei der Trup­pe, Lieute­nant, aber so was habe ich noch nie ge­se­hen. Über­all wa­ren Lei­chen, ei­ni­ge der Men­schen ha­ben noch ge­lebt. Sie sind auf al­len vie­ren durch den Raum ge­kro­chen, ha­ben ge­weint, ge­schluchzt, ge­stöhnt. Ich habe die Sa­che um­ge­hend ge­mel­det und ge­sagt, dass man uns eine Rei­he Kran­ken­wa­gen schi­cken soll. Es war un­mög­lich, nichts am Tat­ort zu ver­än­dern, Ma’am. Die Leu­te wa­ren da­bei zu ster­ben, wir muss­ten et­was für sie tun.«

»Ver­ste­he.«

»Acht bis zehn der Leu­te ha­ben wir, das heißt die Sa­ni­tä­ter, raus­ge­holt. Tut mir leid, dass ich es nicht ge­nau­er sa­gen kann. Die Leu­te wa­ren in ei­nem ziem­lich schlim­men Zu­stand, also ha­ben die Sanis sie erst mal hier ver­sorgt und da­nach ins Ge­sund­heits­zent­rum Tri­beca ge­schafft. Wir ha­ben den Ort so gut ge­si­chert, wie es ging, aber die Sa­ni­tä­ter wa­ren über­all, Lieute­nant, weil es selbst in der Kü­che und auf den Toi­let­ten noch Ver­letz­te gab.«

»Hat­ten Sie Ge­le­gen­heit, die Über­le­ben­den zu fra­gen, was hier vor­ge­fal­len ist?«

»Wir ha­ben ein paar Na­men. Die Aus­sa­gen der Op­fer, die noch spre­chen konn­ten, ha­ben über­ein­ge­stimmt. Sie alle ha­ben aus­ge­sagt, die an­de­ren hät­ten sie er­mor­den wol­len.«

»Wel­che an­de­ren?«

»Alle an­de­ren, die hier wa­ren, Ma’am.«

»Okay. Jetzt müs­sen wir erst ein­mal ver­hin­dern, dass je­mand den Raum be­tritt.«

Auf dem Weg zur Tür ent­deck­te Dal­las ihre Part­ne­rin. Sie hat­te noch Pa­pier­kram durch­ge­hen wol­len, als Pea­body vor we­ni­ger als ei­ner Stun­de auf­ge­bro­chen war, und war selbst auf dem Weg in die Ga­ra­ge des Re­viers ge­we­sen, um heim­zu­fah­ren, als die Mel­dung von dem Vor­fall in der Knei­pe bei ihr ein­ge­gan­gen war.

Zu­min­dest hat­te sie zur Ab­wechs­lung ein­mal da­ran ge­dacht, Roarke eine kur­ze Text­nach­richt zu schi­cken, um zu sa­gen, dass es bei ihr – wie­der ein­mal – spä­ter wür­de als ge­dacht.

Ei­lig trat sie in die Tür und fing Pea­body dort ab.

Na­tür­lich war ihr klar, dass Pea­body trotz ih­rer pin­ken Cow­girlstie­fel, ih­rer re­gen­bo­gen­far­be­nen Son­nen­bril­le und des kur­zen, sanft wip­pen­den Pfer­de­schwan­zes al­les an­de­re als zart­be­sai­tet war. Doch die Din­ge, die in die­sem Raum ge­sche­hen wa­ren, hat­ten auch sie selbst und ei­nen Strei­fen­po­li­zis­ten, der seit über zwan­zig Jah­ren Dienst in sei­nen har­ten, schwar­zen Schu­hen tat, vo­rü­ber­ge­hend aus dem Gleich­ge­wicht ge­bracht.

»Fast hät­te ich’s ge­schafft«, er­klär­te Pea­body. »Ich war auf dem Weg nach Hau­se noch im Su­per­markt, denn ich woll­te McNab mit ei­nem selbst­ ge­koch­ten Abend­es­sen über­ra­schen.« Sie hielt eine klei­ne Ein­kaufs­tü­te hoch. »Nur gut, dass ich nicht schon mit Ko­chen an­ge­fan­gen habe. Also, wo­rum geht’s?«

»Es ist echt schlimm.«

Peab­odys Lä­cheln schwand. »Wie schlimm ge­nau?«

»Be­ten Sie zu Gott, dass Sie nie­mals was Schlim­me­res zu se­hen be­kom­men wer­den, und sprü­hen Sie erst mal Ihre Hän­de und die Stie­fel ein.« Eve warf ihr eine Dose mit Ver­sie­ge­lungs­spray zu. »Wir ha­ben meh­re­re Lei­chen, die zer­stü­ckelt und zer­hackt, de­nen die Schä­del ein­ge­schla­gen und die Häl­se durch­ge­schnit­ten wor­den sind. Am bes­ten stel­len Sie erst ein­mal Ihre Tüte weg, und falls Sie kot­zen müs­sen, ge­hen Sie raus. Hier drin­nen ist schon jede Men­ge Kotze, und ich will nicht, dass sich Ihr Er­bro­che­nes da­mit ver­mischt. Der Tat­ort weist be­reits ge­nü­gend frem­de Spu­ren auf. Das ließ sich nicht ver­mei­den, denn die Po­li­zis­ten, die als Ers­te hier wa­ren, und die Sa­ni­tä­ter muss­ten sich um die Ver­letz­ten küm­mern und ha­ben sie zum Teil noch hier vor Ort ver­sorgt.«

»Es wird schon ge­hen.«

»Rek­or­der an.« Mit die­sen Wor­ten ging Eve wie­der in die Bar und hör­te das er­stick­te Keu­chen ih­rer Part­ne­rin di­rekt hin­ter sich.

»Hei­li­ge Mut­ter Got­tes. Him­mel. Oh mein Gott.«

»Rei­ßen Sie sich zu­sam­men, Pea­body.«

»Was in al­ler Welt ist hier pas­siert? Wes­halb sind alle die­se Leu­te tot?«

»Um das he­raus­zu­fin­den, sind wir da. Wir ha­ben eine Zeu­gin, die drau­ßen im Strei­fen­wa­gen sitzt. Neh­men Sie ihre Aus­sa­ge ent­ge­gen.«

»Kei­ne Angst, ich kom­me hier schon klar, Dal­las.«

»Auf je­den Fall«, stimm­te sie ton­los zu. »Aber trotz­dem neh­men Sie jetzt die Aus­sa­ge der Frau ent­ge­gen und in­for­mie­ren Ba­xter, True­heart, Jen­kin­son und Rei­ne­ke. Wir brau­chen hier mehr Hän­de und mehr Au­gen, denn wir ha­ben es mit über acht­zig To­ten und zwei Handvoll Über­le­ben­der im Kran­ken­haus zu tun. Au­ßer­dem möch­te ich Mor­ris am Tat­ort ha­ben«, füg­te sie hin­zu und fuhr ent­schlos­sen fort: »Hal­ten Sie die Spu­ren­si­che­rung zu­rück, bis wir mit den Lei­chen fer­tig sind. Fin­den Sie den Ei­gen­tü­mer die­ses La­dens so­wie alle An­ge­stell­ten, die heu­te nicht hier wa­ren, las­sen Sie die An­woh­ner be­fra­gen, und dann kom­men Sie wie­der rein und ge­hen mir hier zur Hand.«

»Wenn Sie mit der Zeu­gin spre­chen wür­den, könn­te ich die an­de­ren Din­ge über­neh­men, und dann fan­gen wir zu­sam­men hier drin­nen an.« Un­si­cher, ob sie sich nicht wo­mög­lich doch noch über­ge­ben müss­te, sah sich Pea­body vor­sich­tig in der Knei­pe um. »Für Sie al­lein ist das zu viel.«

»Ich sehe mir die Lei­chen ein­fach nach­ei­nan­der an. Also zie­hen Sie los und fan­gen Sie mit der Ar­beit an.«

Dann stand Eve wie­der al­lei­n in dem schreck­lich stil­len Raum und ver­schloss ihre Nase vor dem ek­lig süß­li­chen Ge­ruch der Ein­ge­wei­de und des Bluts, der ihr ent­ge­gen­schlug.

Sie war eine gro­ße Frau in aus­ge­latsch­ten Boots und ei­ner teu­ren Le­der­ja­cke, kurz ge­schnit­te­nem Haar im sel­ben Bern­stein­ton wie ihre Au­gen so­wie vol­len Lip­pen, die sie fest zu­sam­men­press­te, wäh­rend sie das Mit­leid und das Grau­en un­ter­drück­te, das in ih­rem In­nern auf­ge­stie­gen war.

Mit Mit­leid und Ent­set­zen wäre all den To­ten, über de­nen sie hier stand, ganz si­cher nicht ge­dient.

»Lieute­nant Eve Dal­las«, sprach sie in das Auf­nah­me­ge­rät. »Wir ha­ben es mit ge­schätz­ten acht­zig Op­fern mit ver­schie­de­nen Ver­let­zun­gen zu tun. Ver­schie­de­ne Ras­sen und ver­schie­de­ne Al­ters­stu­fen, so­wohl Män­ner als auch Frau­en. Die Sa­ni­tä­ter, die die Über­le­ben­den be­han­delt und ge­bor­gen ha­ben, ha­ben ge­nau­so Spu­ren am Tat­ort hin­ter­las­sen wie die Po­li­zis­ten, die zu­erst vor Ort ge­we­sen sind. Sie ha­ben die To­ten und die Über­le­ben­den cir­ca 17.50 Uhr ent­deckt. Op­fer Num­mer eins …« Sie hock­te sich ne­ben den ers­ten To­ten und zog ih­ren Un­ter­su­chungs­beu­tel auf.

»Männ­lich, meh­re­re Ge­sichts- und Kopf­ver­let­zun­gen, Stich­wun­den in Hals, Hän­den, Ar­men, Bauch.« Sie press­te sei­ne Fin­ger auf den Fin­ger­ab­druck­le­ser und fuhr fort: »Es han­delt sich um Jo­seph Catt­ery, ei­nen ge­mischt­ras­si­gen Mann von ach­tund­drei­ßig Jah­ren, ver­hei­ra­tet, ein Sohn und eine Toch­ter, ge­mel­det in Brook­lyn, Vize­lei­ter Mar­ke­ting bei Steven­son und Ree­de. Das Un­ter­neh­men ist zwei Blocks von hier ent­fernt. Dann hast du also noch auf ei­nen Drink hier rein­ge­schaut.« Der Lieute­nant seufz­te.

»Haut­res­te un­ter den Fin­ger­nä­geln.« Sie nahm eine klei­ne Pro­be, tüt­ete sie ein und fuhr mit kal­ter Stim­me fort: »Er trägt ei­nen gol­de­nen Ehe­ring und eine gol­de­ne Arm­band­uhr. Au­ßer ei­ner Brief­ta­sche mit sei­nen Ini­ti­a­len, in der ein paar Kre­dit­kar­ten, ein biss­chen Bar­geld und sein Aus­weis ste­cken, Schlüs­sel­kar­ten so­wie ei­nem Handy hat er nichts wei­ter da­bei.«

Auch die­se Ge­gen­stän­de tüt­ete sie ein, be­schrif­te­te die Beu­tel und sah sich den To­ten noch ein­mal ge­nau­er an.

Sie klapp­te sei­ne auf­ge­schnit­te­ne Ober­lip­pe hoch. »Sei­ne ab­ge­bro­che­nen Zäh­ne deu­ten da­rauf hin, dass je­mand ihm mit al­ler Kraft in das Ge­sicht ge­schla­gen hat. Wahr­schein­lich hat ihn die Ver­let­zung sei­nes Schä­dels um­ge­bracht, wo­bei der Pa­tho­lo­ge das bis­her noch nicht be­stä­tigt hat.« Sie zog ein an­de­res Mess­ge­rät her­vor. »Der To­des­zeit­punkt ist 17.45 Uhr, das heißt, dass er nur fünf Mi­nu­ten vor dem Ein­tref­fen der Po­li­zei ge­stor­ben ist.«

Fünf Mi­nu­ten? Fünf Mi­nu­ten be­vor der Kol­le­ge von der Strei­fe in der Tür er­schie­nen war. Das konn­te doch kaum sein.

Sie brauch­te nur den Kopf zu dre­hen, um sich die zwei­te Lei­che an­zu­se­hen. »Op­fer Num­mer zwei«, setz­te sie an und war beim fünf­ten To­ten an­ge­langt, als Pea­body er­neut den Raum be­trat.

»Die an­de­ren sind un­ter­wegs«, er­klär­te ihre Part­ne­rin in ru­hi­gem Ton. »Mit der Zeu­gin habe ich ge­spro­chen. Sie hat aus­ge­sagt, sie wäre mit zwei Freun­din­nen ver­ab­re­det ge­we­sen, wäre aber bei der Ar­beit auf­ge­hal­ten wor­den und des­we­gen spä­ter als die bei­den an­de­ren hier auf­ge­taucht. Sie sagt, dass sie mit ei­ner die­ser Freun­din­nen, ei­ner Gwen Tal­bert, auf dem Weg hier­her ge­spro­chen hat. Ge­gen halb sechs, was mir die Über­prü­fung ih­res Links be­stä­tigt hat. Da war al­les noch gut. Als sie dann ge­gen zehn vor sechs hier an­kam, sah es schon so aus wie jetzt. Es pas­sier­te, wäh­rend sie die Tür ge­öff­net hat. Sie ist pa­ni­sch rück­wärts auf den Bür­ger­steig ge­tau­melt und hat so lan­ge ge­schrien, bis die Of­fic­ers Franks und Ri­ley bei ihr wa­ren.«

»Gwenn­eth Tal­bert, Op­fer Num­mer drei. Ge­bro­che­ner Arm – auf dem an­schei­nend ir­gend­wer he­rum­ge­tram­pelt ist – und durch­ge­schnit­te­ner Hals.«

»Wie konn­te das al­les in der­art kur­zer Zeit pas­sie­ren? Wie kann es sein, dass in­ner­halb von nicht ein­mal zwan­zig Mi­nu­ten je­mand alle die­se Leu­te at­ta­ckiert und ab­ge­schlach­tet hat?«

Eve stand wie­der auf. »Se­hen Sie sich den Tat­ort an. Ich habe bis­her fünf Lei­chen un­ter­sucht und gehe da­von aus, dass je­der die­ser Men­schen ganz spon­tan mit ei­ner Waf­fe, die sich ge­ra­de an­bot – ei­ner Fla­sche, ei­nem Kü­chen­mes­ser oder auch mit blo­ßen Hän­den – an­ge­grif­fen wor­den ist. Da drü­ben liegt ein Typ, in des­sen Auge eine Ga­bel steckt, und eine tote Frau um­klam­mert im­mer noch das Tisch­bein, mit dem sie an­schei­nend auf den Mann an ih­rer Sei­te los­ge­gan­gen ist.«

»Aber …«

Manch­mal war die ein­fachs­te Er­klä­rung viel­leicht furcht­bar, aber trotz­dem wahr.

»Über­all hier lie­gen Brief- und Ak­ten­ta­schen, Schmuck und Geld he­rum, und im Re­gal hin­ter dem Tre­sen ste­hen noch ein paar Fla­schen durch­aus teu­ren Al­ko­hols. Wenn hier eine Hor­de Jun­kies aus­ge­ras­tet wäre, wä­ren sie zum ei­nen nicht be­reits nach ei­ner Vier­tel­stun­de wi­eder ab­ge­hau­en und zum an­de­ren hät­ten sie die Wert­sa­chen nicht ein­fach lie­gen las­sen, son­dern mit­ge­nom­men, um da­mit die nächs­ten Pil­len zu be­zah­len. Und eine Grup­pe Amok­läu­fer auf der Su­che nach dem gro­ßen Kick? Sie hät­ten die Tür ver­rie­gelt und wahr­schein­lich eine Rie­sen­par­ty stei­gen las­sen, wenn sie mit den Leu­ten durch ge­we­sen wä­ren. Vor al­lem hät­te man, um acht­zig Leu­te ab­zu­schlach­ten und zehn wei­te­re schwer zu ver­let­zen, eine Rie­sen­gang ge­braucht. Au­ßer­dem ist nie­mand raus­ge­kom­men, nie­mand hat sich ir­gend­wo ver­steckt, und nie­mand hat über sein Handy ei­nen Not­ruf ab­ge­setzt.«

Eve schüt­tel­te den Kopf. »Vor al­lem bist du selbst, wenn du so vie­le Leu­te mas­sak­rierst, über und über mit Blut be­deckt. Franks hat­te Blut an sei­ner Uni­form, an sei­nen Schu­hen und an sei­nen Hän­den, ob­wohl er le­dig­lich den Sa­ni­tä­tern bei den Über­le­ben­den zur Hand ge­gan­gen ist.«

Sie starr­te in die trü­ben Au­gen ih­rer Part­ne­rin. »Die­se Men­schen ha­ben sich ge­gen­sei­tig um­ge­bracht. Sie ha­ben ei­nen Krieg ge­führt, bei dem es nur Ver­lie­rer gab.«

»Aber … wie? Wa­rum?«

»Kei­ne Ah­nung.« Doch sie fän­de es, ver­dammt noch mal, he­raus. »Wir müs­sen alle Op­fer auf Spu­ren von Dro­gen un­ter­su­chen. Müs­sen er­fah­ren, ob sie et­was ein­ge­wor­fen ha­ben, das sie alle Hem­mun­gen hat ver­lie­ren las­sen. Die Spu­ren­si­che­rung soll das Lo­kal ge­nau un­ter die Lupe neh­men, weil viel­leicht et­was im Es­sen oder in den Ge­trän­ken war. Viel­leicht hat je­mand ab­sicht­lich et­was hi­nein­ge­tan.«

»Ich kann mir nicht vor­stel­len, dass je­der hier die­sel­ben Spei­sen oder Drinks zu sich ge­nom­men hat.«

»Viel­leicht ha­ben ja ge­nü­gend Gäs­te von dem­sel­ben Zeug ge­trun­ken, oder viel­leicht wur­de auch mehr als ein Ge­tränk mit ir­gend­was ver­setzt. Wir fan­gen erst mal mit den Op­fern an – Na­men, To­des­ur­sa­che und To­des­zeit­punkt, die Be­zie­hun­gen, die sie un­ter­ei­nan­der hat­ten, wo sie ge­wohnt ha­ben und auch, wo sie ge­ar­bei­tet ha­ben. Dazu ge­hen wir alle Spu­ren hier am Tat­ort durch. Wir brin­gen alle Glä­ser, Fla­schen, Tel­ler, Kühl­schrän­ke, den Grill, die Au­to­Chefs und was auch im­mer ins La­bor, oder wir ho­len die La­bo­ran­ten hier­her. Au­ßer­dem müs­sen wir gu­cken, ob et­was im Was­ser, in der Lüf­tung, in den Spül­mit­teln oder im Putz­zeug war.«

»Dann ist die­ses Zeug viel­leicht noch hier ge­we­sen, und Sie sel­ber wa­ren kurz nach Ende des Ge­met­zels hier.«

»Ja, auf den Ge­dan­ken bin ich auch schon ge­kom­men, als ich mit den ers­ten bei­den Lei­chen fer­tig war. Also habe ich die Kli­nik an­ge­ru­fen, doch die Sa­ni­tä­ter, die die Über­le­ben­den be­han­delt ha­ben, ha­ben mir er­klärt, es gin­ge ih­nen gut. Was auch im­mer hier pas­siert ist, ist sehr schnell ge­gan­gen. Alle die­se Leu­te sind in ei­nem Zeit­raum von knapp über ei­ner Vier­tel­stun­de der­art aus­ge­ras­tet, aber ich bin jetzt be­reits viel län­ger hier.«

»Am wahr­schein­lichs­ten ist mei­ner Mei­nung nach, dass ir­gend­was in den Ge­trän­ken war. Selbst wenn nur die Hälf­te die­ser Leu­te et­was da­von ab­be­kom­men hät­te, ha­ben sie die an­de­ren viel­leicht ein­fach über­rascht.« Eve schüt­tel­te den Kopf, als sie das ge­ron­ne­ne, in­zwi­schen kal­te Blut an ih­ren Hän­den sah. »Die Vor­stel­lung ge­fällt mir ganz und gar nicht, aber mög­lich wäre es. Und jetzt se­hen wir uns die nächs­ten Lei­chen an.«

Noch wäh­rend sie dies sag­te, trat Chef­pa­tho­lo­ge ­Mor­ris durch die Tür.

Er war an­schei­nend nicht im Dienst, denn er trug Jeans zu ei­nem kra­gen­lo­sen, pflau­men­blau­en Sei­den­hemd und hat­te sich das schwar­ze Haar zu ei­nem schlich­ten Pfer­de­schwanz ge­bun­den, der die in­te­res­san­ten Züge sei­nes kan­ti­gen Ge­sichts be­son­ders gut zur Gel­tung kom­men ließ. Er sah sich um. Eve nahm erst den Schock und dann das Mit­leid in den dunk­len Au­gen wahr.

»Ei­nen sol­chen Hau­fen Op­fer ha­ben Sie mir bis­her noch nie be­schert.«

»Das war je­mand an­de­res. Ich …«, setz­te sie an, brach aber wie­der ab, als hin­ter Mor­ris Roarke den Raum be­trat.

Er trug im­mer noch den schwar­zen Maß­an­zug­, den er am Mor­gen an­ge­zo­gen hat­te und der sei­nen lan­gen, durch­trai­nier­ten Kör­per vor­teil­haft be­ton­te, wäh­rend sei­ne dich­te schwar­ze Mäh­ne leicht zer­zaust, als hät­te eine Wind­böe da­rin ge­tanzt, auf sei­ne Schul­tern fiel.

Wäh­rend Mor­ris’ Züge in­te­res­sant und selt­sam sexy wa­ren, wirk­ten Roar­kes Ge­sicht und sei­ne leuch­tend blau­en Au­gen wie von Got­tes­hand ge­mei­ßelt.

Die bei­den Män­ner stan­den ne­ben­ei­nan­der, doch ne­ben Schock und Mit­ge­fühl ver­riet die Mie­ne ih­res Gat­ten tod­brin­gen­den Zorn.

Dann blick­te er sie an, und als er »Hal­lo, Lieute­nant« sag­te, hör­te sie den me­lo­di­ö­sen Klang von Ir­land, der in sei­ner Stim­me lag.

Ent­schlos­sen trat sie auf ihn zu. Nicht, um ihn zu grü­ßen, und auch nicht, um ihm den Blick auf das Ge­sche­he­ne zu ver­sper­ren, weil er schließ­lich be­reits un­zäh­li­ge an­de­re grau­en­haf­te Din­ge hat­te se­hen müs­sen, son­dern weil sie hier das Sa­gen hat­te und dies nicht der rech­te Ort für Zi­vi­lis­ten oder Ehe­män­ner war.

»Du hast hier nichts ver­lo­ren.«

»Doch«, ver­bes­ser­te er sie, »denn mir ge­hört die­ses Lo­kal.«

Das hät­te sie sich den­ken kön­nen, denn schließ­lich gab es auf der Welt und selbst im Uni­ver­sum kaum et­was, was er nicht be­saß. Wort­los wand­te sie sich ab und be­dach­te Pea­body mit ei­nem durch­drin­gen­den Blick.

»Tut mir leid. Ich habe ganz ver­ges­sen, Ih­nen zu er­zäh­len, dass ich bei der Su­che nach dem Ei­gen­tü­mer die­ser Bar auf Roarke ge­sto­ßen bin.«

»Ich wer­de mit dir re­den müs­sen, aber erst ein­mal muss ich mit Mor­ris spre­chen. War­te also bit­te drau­ßen, ja?«

»Ich wer­de ganz be­stimmt nicht drau­ßen war­ten«, gab er kalt zu­rück.

Sie wünsch­te sich, sie könnte ihn nicht der­art gut ver­ste­hen. In den zwei­ein­halb Jah­ren, seit sie sich kann­ten, hat­te sie ge­lernt, ihn bes­ser zu ver­ste­hen, als für sie als Po­li­zis­tin gut und rich­tig war. Sie un­ter­drück­te das Ver­lan­gen, ihn, ob­wohl sie mo­men­tan im Dienst war, zu be­rüh­ren, und mur­mel­te: »Hör zu, hier herrscht im Au­gen­blick to­ta­les Cha­os.«

»Ach.«

»Halt dich also bit­te erst mal et­was ab­seits.«

»Wenn es das ist, was du willst.« An­schei­nend war er nicht der An­sicht, dass eine Be­rüh­rung sich nur au­ßer­halb des Diensts ge­hör­te, denn ob­wohl sie sich da­ge­gen sträub­te, drück­te er ihr kurz die blut­ver­schmier­te Hand. »Trotz­dem wer­de ich be­stimmt nicht drau­ßen war­ten, wäh­rend du durch ei­nen Alb­traum wa­test, der sich in ei­nem Lo­kal, das mir ge­hört, er­eig­net hat.«

»War­te«, bat sie ihn und wand­te sich dem Pa­tho­lo­gen zu. »Ich … habe die To­ten, die wir iden­ti­fi­ziert und un­ter­sucht ha­ben, num­me­riert. Wenn Sie schon mal mit dem Ers­ten an­fan­gen, kom­me ich so­fort dazu.«

»Okay.«

»Es müss­ten je­den Au­gen­blick noch zu­sätz­li­che Leu­te kom­men, um sich ei­ner­seits den Tat­ort und zum an­de­ren die Op­fer an­zu­se­hen.«

»Dann fan­ge ich am bes­ten schon mal an.«

»Geh du bit­te zu Pea­body«, wand­te sich Eve er­neut an Roarke. »Die elekt­ro­ni­schen Er­mitt­ler sind zwar noch nicht da, aber viel­leicht kannst du ihr schon mal zei­gen, wie die Bar ge­si­chert war.«

»Es gibt hier drin­nen kei­ne Ka­me­ras. Wenn die Leu­te her­kom­men, um was zu trin­ken, ha­ben sie kei­ne Lust, dass man sie da­bei filmt.«

Sie woll­ten sich ent­span­nen und viel­leicht ei­nen pri­va­ten Au­gen­blick mit ei­nem an­de­ren Men­schen tei­len, ohne dass sie da­bei auf­ge­nom­men wur­den. Da­mit, dass sie je­mand über ih­rem Fei­er­abend­bier er­mor­den wür­de, rech­ne­ten sie nicht.

»Na­tür­lich haben wir eine Ka­me­ra am Ein­gang«, fuhr er fort. »Und dann noch ein paar an­de­re Ka­me­ras für drau­ßen, wenn die Bar ge­schlos­sen ist. Aber Auf­nah­men aus dem Lo­kal, die dir zei­gen könn­ten, was ge­nau pas­siert ist, gibt es lei­der nicht.«

Da sie kei­ne Ka­me­ras im In­ne­ren der Bar ent­deckt hat­te, war sie be­reits da­von aus­ge­gan­gen, dass es kei­ne Bil­der gäbe, jetzt rieb sie sich die Au­gen, um zu­min­dest sel­ber wie­der klar­ zu ­se­hen. »Wir brau­chen eine Lis­te al­ler An­ge­stell­ten und den Schicht­plan.«

»Bei­des habe ich da­bei. Nach Peab­odys An­ruf habe ich die Un­ter­la­gen raus­ge­sucht.« In dem Be­mü­hen zu ver­ste­hen, was un­vor­stell­bar war, und zu ak­zep­tie­ren, was nie hät­te pas­sie­ren sol­len, sah er sich noch ein­mal um.

»Ich habe das Lo­kal vor ein paar Mo­na­ten ge­kauft und al­les so ge­las­sen, wie es war. So­weit ich weiß, lief er bis­her sehr gut. Aber na­tür­lich wer­de ich er­grün­den, ob es viel­leicht doch Prob­le­me gab.«

»In Ord­nung. Gib die Un­ter­la­gen Pea­body, okay? Ich muss zu Mor­ris.«

»Eve.« Noch ein­mal nahm er ihre Hand und ver­zog un­glück­lich das Ge­sicht. »Um Got­tes wil­len, gib mir et­was zu tun. Sag mir, was ich ma­chen soll. Ich weiß von die­sen Leu­ten, selbst von mei­nen ei­ge­nen An­ge­stell­ten, nicht mehr als du, aber trotz­dem kann ich jetzt nicht ein­fach Däum­chen dre­hen.«

»Dann hilf Pea­body«, schlug sie ihm vor. »Am bes­ten fangt ihr mit den Han­dys un­se­rer Op­fer an und guckt, ob ei­ner von den Leu­ten noch je­man­den an­ge­ru­fen hat, nach­dem es los­ge­gan­gen ist. Wir wis­sen re­la­tiv ge­nau, wie lan­ge es ge­dau­ert hat. Guck, ob es in die­ser gu­ten Vier­tel­stun­de ir­gend­wel­che Vi­deo- oder Au­dio­auf­nah­men von hier gibt.«

»Eine Vier­tel­stun­de? Alle die­se Leu­te wur­den in­ner­halb von ei­ner Vier­tel­stun­de mas­sak­riert?«

»Viel­leicht ging es so­gar noch schnel­ler. Bis­her wis­sen wir nur si­cher, dass es nicht län­ger ge­dau­ert ha­ben kann. Wenn die elekt­ro­ni­schen Er­mitt­ler kom­men, schickst du Pea­body wie­der zu mir und bie­test ih­nen dei­ne Hil­fe an, okay? Und jetzt muss ich all­mäh­lich wirk­lich wei­ter­ma­chen.«

Wäh­rend sie sich zum Ge­hen wand­te, ka­men Jen­kin­son und Rei­ne­ke he­rein, sie wand­te sich den bei­den zu, er­klär­te ih­nen, was ge­sche­hen war, und wie­der­hol­te die­ses Vor­ge­hen, als Ba­xter mit dem jun­gen True­heart kam.

Bis sie end­lich bei Mor­ris war, sah er sich schon das drit­te Op­fer an.

»Ich muss sie mit­neh­men, Dal­las. Es gibt Ab­wehr­wun­den, An­griffs­wun­den, manch­mal bei­des, und die To­des­ur­sa­chen sind im­mer un­ter­schied­lich, auch wenn alle die­se Leu­te, wie es aus­sieht, in­ner­halb von we­ni­gen Mi­nu­ten um­ge­kom­men sind.«

»Es ist al­les furcht­bar schnell ge­gan­gen. In­ner­halb von ei­ner Vier­tel­stun­de. Eins der Op­fer hat­te eine Freun­din an­ge­ru­fen, die zu spät zu ih­rem Tref­fen kam, da war noch al­les gut. Als die Freun­din eine Vier­tel­stun­de spä­ter durch die Tür trat, war es schon vor­bei.«

»Sie ha­ben sich ge­gen­sei­tig um­ge­bracht. Nach al­lem, was ich bis­her sehe, ha­ben sie sich ge­gen­sei­tig at­ta­ckiert und um­ge­bracht.«

»So sehe ich das auch. Viel­leicht war es ein Gift, ein Hal­lu­zi­no­gen, eine ver­damm­te neue Dro­ge, die im Es­sen, in den Drinks oder viel­leicht in der Lüf­tung war. Wir ha­ben über acht­zig Tote, Mor­ris, und nur eine Hand­voll Über­le­ben­der, die in der Kli­nik sind.«

»Sie sind mit al­lem, was sie ge­ra­de grei­fen konn­ten – Glä­sern, Fla­schen, Ga­beln, Mes­sern, Stüh­len, Ti­schen – zur Not mit blo­ßen Hän­den auf­ei­nan­der los­ge­gan­gen.«

»Un­ten, dort, wo die Toi­let­ten sind, und hin­ten in der Kü­che lie­gen noch mehr Lei­chen, also hat das Gift nicht nur in die­sem Raum ge­wirkt. Doch bis­her gibt’s kei­nen Hin­weis da­rauf, dass je­mand die Bar ver­las­sen und sich die Ge­walt nach drau­ßen aus­ge­brei­tet hat.«

»Was we­nigs­tens ein klei­ner Se­gen ist. Ich wer­de die To­ten ab­ho­len las­sen, um sie mir ge­nau­er an­zu­se­hen, und da­für sor­gen, dass die Un­ter­su­chung ih­res Bluts noch heu­te Nacht er­folgt.«

»Ich fah­re sel­ber wie­der aufs Re­vier, wenn ich hier fer­tig bin und mit den Über­le­ben­den ge­spro­chen habe.«

»Also steht uns eine lan­ge Nacht be­vor.«

»Und na­tür­lich wer­den sich die Jour­na­lis­ten wie die Gei­er auf uns stür­zen, wenn von die­ser Sa­che was nach au­ßen dringt. Ich wer­de den Comm­an­der da­rum bit­ten, dass er erst mal eine Nach­rich­ten­sper­re in der An­ge­le­gen­heit ver­hängt, aber ich bin mir si­cher, dass trotz­dem et­was an die Me­di­en durch­si­ckern wird. Also se­hen wir zu, dass wir so schnell wie mög­lich ein paar Ant­wor­ten be­kom­men, die ich die­sen Ty­pen ge­ben kann.«

Sie stand ent­schlos­sen wie­der auf.

Zu vie­le Men­schen, dach­te sie. Zu vie­le Tote und zu vie­le Cops an ei­nem Ort. Na­tür­lich konn­te sie den Leu­ten, die sie ein­be­stellt hat­te, ver­trau­en, aber trotz­dem war es bei so vie­len Be­tei­lig­ten wahr­schein­lich, dass dem ei­nen oder an­de­ren ein Feh­ler un­ter­lief.

Sie sah das drah­ti­ge, ka­rot­ten­ro­te Haar von Fe­eney, ih­rem Ex­part­ner und Chef der elekt­ro­ni­schen Er­mitt­ler, der mit Roarke zu­sam­men­saß. Wenn es et­was he­raus­zu­fin­den gäbe, fän­den die­se bei­den es he­raus.

Als sie in die un­te­re Eta­ge zu den Wasch­räu­men ge­hen woll­te, tauch­te Ian McNab, Com­pu­te­rass und gro­ße Lie­be ih­rer Part­ne­rin, am Fuß der Trep­pe auf. Sei­ne leuch­tend blaue Hose mit den Sil­ber­nie­ten auf den Ta­schen stand in schmerz­li­chem Kont­rast zu all dem Grau­en, das sie hier um­gab. Doch ob­wohl er sei­ne Oh­ren mit Tau­sen­den von hell schim­mern­den Rin­gen schmück­te, wa­ren sei­ne at­trak­ti­ven Züge hart und die von ei­nem Cop.

»Ich habe was für Sie.« Er reich­te ihr ein Handy, wäh­rend er in sei­ner an­de­ren Hand ver­schie­de­ne Tü­ten voll mit an­de­ren Han­dys hielt. »Das Op­fer war an­schei­nend ge­ra­de auf dem Klo. True­heart hat sie iden­ti­fi­ziert. Wendy McMa­hon, drei­und­zwan­zig Jah­re alt.«

»Sie hat in dem Mo­ment te­le­fo­niert?«

»Ja. Um 17.32 Uhr hat sie ihre Schwes­ter an­ge­ru­fen, um ihr was von ei­nem Ty­pen zu er­zäh­len, den sie oben in der Bar ge­trof­fen hat … ei­nem ge­wis­sen Chip. An­fangs war sie auf­ge­regt und glück­lich, aber plötz­lich mein­te sie, sie wür­de Kopf­schmer­zen be­kom­men, und ein paar Se­kun­den spä­ter schnauzt sie ihre Schwes­ter an und sagt, dass sie eine ver­damm­te Hure ist. Ob­wohl die Schwes­ter auf­legt, tobt sie wei­ter. Re­det lau­ter wir­res Zeug, und als eine an­de­re Frau he­rein­kommt und sie grund­los an­schreit, kann man hö­ren, wie sie auf­ei­nan­der los­ge­hen, und se­hen, wie sie mit­ei­nan­der kämp­fen, be­vor sie ihr Handy fal­len lässt. Die zwei­te Frau war nicht zu se­hen, also hat sie Wendy um­ge­bracht und wur­de selbst spä­ter oben in der Bar er­wischt, oder sie ist eine der Ver­letz­ten, die ge­ret­tet wor­den sind. Nach­dem drei­ßig Se­kun­den nie­mand mehr ge­spro­chen hat­te, hat das Handy sich von sel­ber aus­ge­stellt – das ist nor­mal.«

Zwölf Mi­nu­ten, dach­te Eve. Nur zwölf Mi­nu­ten, bis das Op­fer nach dem ers­ten An­zei­chen des ein­set­zen­den Wahn­sinns tot ge­we­sen war.

»Brin­gen Sie das Handy so­wie alle an­de­ren Handys, die uns viel­leicht wei­ter­hel­fen kön­nen, aufs Re­vier.«

»Ich habe bis­her noch zwei an­de­re Auf­nah­men und wer­de sie für Sie zu ei­ner Da­tei zu­sam­men­stel­len, die man sich auf dem Com­pu­ter an­hö­ren kann. Das geht ganz schnell, und wenn Sie nicht ext­ra die Han­dys brau­chen, spa­ren Sie Zeit. Aber vor­her gehe ich noch die an­de­ren Ge­rä­te durch.«

»Gra­ben Sie wei­ter«, mein­te Eve und stieg über die Lei­che, die am Fuß der Trep­pe lag. True­heart hat­te sie, wie Ian schon be­rich­tet hat­te, iden­ti­fi­ziert und wie die an­de­ren Lei­chen num­me­riert und setz­te sei­ne Ar­beit un­ten fort. Wahr­schein­lich hat­te Ba­xter sei­nen jun­gen Part­ner ext­ra mit die­ser Auf­ga­be be­traut, da­mit er von dem Grau­en oben mög­lichst we­nig mit­be­kam.

Sie selbst ging in die Bar zu­rück und wand­te sich an Roarke. »Bleib bei den elekt­ro­ni­schen Er­mitt­lern, ja?«

»Wir ha­ben ein paar Sa­chen auf ver­schie­de­nen Han­dys aus­fin­dig ge­macht.«

»Das hat McNab mir schon er­zählt. Ich rede zu­erst mit den Über­le­ben­den, dann fah­re ich aufs Re­vier. Mei­ne Leu­te set­zen hier die Ar­beit fort und ma­chen dein Lo­kal dann erst mal dicht.«

»Ver­ste­he.« Wäh­rend er noch nick­te, wand­te sie sich schon zum Ge­hen.

»Pea­body, Sie kom­men mit. Die an­de­ren blei­ben hier, iden­ti­fi­zie­ren und num­me­rie­ren die Leich­na­me und tü­ten alle Han­dys, alle Waf­fen so­wie al­les an­de­re, was die To­ten bei sich ha­ben, ein. Ba­xter, sor­gen Sie da­für, dass eine Lis­te mit den Na­men al­ler Op­fer schnellst­mög­lich auf mei­nem Schreib­tisch liegt. Wir wer­den die An­ge­hö­ri­gen noch heu­te Abend in­for­mie­ren. Au­ßer­dem will ich die Auf­nah­men der Ka­me­ra über der Ein­gangs­tür. Jen­kin­son, Sie wei­ten die Be­fra­gung auf vier Häu­ser­blo­cks aus. Mor­ris, schi­cken Sie die Klei­der al­ler Op­fer ins La­bor, und set­zen Sie Har­po auf die Un­ter­su­chung an. Au­ßer­dem müs­sen auch alle Spei­sen und Ge­trän­ke als mög­li­ches Gift mar­kiert wer­den und wie die Klei­dungs­stü­cke ins La­bor.«

Sie leg­te eine kur­ze Pau­se ein und sah sich um. Ja, sie konn­te je­dem Ein­zel­nen von ih­nen trau­en. Sie sah auf ihre Uhr und rech­ne­te kurz nach. »Um 22.30 Uhr hal­te ich auf dem Re­vier ein Brie­fing für die gan­ze Trup­pe ab. Von die­sem Fall darf erst ein­mal nichts nach au­ßen drin­gen, also hü­tet eure Zun­gen, ja? Ihr alle ar­bei­tet an die­sem Fall, bis ihr et­was an­de­res von mir hört.«

Mit ei­nem letz­ten Blick auf ih­ren An­ge­trau­ten trat sie in die küh­le Abend­luft und in den wun­der­ba­ren Groß­stadt­lärm hi­naus.

»Wir fah­ren jetzt in die Kli­nik«, sag­te sie zu ih­rer Part­ne­rin. »Wol­len wir doch mal se­hen, ob ei­ner der Ver­letz­ten uns was sa­gen kann. Sie fah­ren.«

Sie schwang sich auf den Bei­fah­rer­sitz, zerr­te ihr Handy aus der Ta­sche, at­me­te tief durch und rief bei ih­rem Vor­ge­setz­ten an.

2

Sie hat­te Kran­ken­häu­ser im­mer schon ge­hasst. Auch wenn sie in­zwi­schen wuss­te, dass ihr aus­ge­präg­ter Wi­der­wil­le da­her rühr­te, dass man sie als klei­nes Mäd­chen schwer miss­han­delt, ver­ge­wal­tigt und ge­bro­chen in ein Kran­ken­haus in Dal­las ein­ge­lie­fert hat­te, blieb er wei­ter­hin be­ste­hen. Für sie ver­ström­ten Kran­ken­häu­ser, Kli­ni­ken, Ge­sund­heits­zent­ren und selbst Kran­ken­wa­gen den Ge­ruch von Schmerz und Angst.

Trotz­dem muss­te sie mit die­sem Wi­der­wil­len und vor al­lem da­mit le­ben, dass sie we­gen ih­rer Ar­beit häu­fig als Pa­ti­en­tin oder als Be­su­che­rin an die­sen Or­ten an­zu­tref­fen war.

Wahr­schein­lich wa­ren die Not­auf­nah­men groß­städ­ti­scher Kran­ken­häu­ser nie­mals an­ge­neh­me Orte, aber heu­te Abend war es si­cher noch ein biss­chen schlim­mer als ge­wöhn­lich, nach­dem zehn teil­wei­se schwer ver­letz­te Men­schen gleich­zei­tig dort ein­ge­lie­fert wor­den wa­ren.

Sie bahn­te sich den Weg vor­bei an qualvollem Stöh­nen, trü­ben, ab­grund­tief er­schöpf­ten Au­gen und dem süß­li­chen Ge­stank von Fie­ber­schweiß und von Er­bro­che­nem, bis sie eine Schwes­ter fand. Die fröh­li­chen Smi­leys auf dem Ober­teil der Uni­form stan­den in deut­li­chem Kont­rast zum grim­mi­gen Ge­sicht der Trä­ge­rin.

»Sie müs­sen sit­zen blei­ben. Wir wer­den so schnell es geht nach Ih­nen se­hen.«

Eve zück­te ihre Mar­ke und ver­folg­te aus dem Au­gen­win­kel, wie ein klap­per­dür­rer Mann, der of­fen­sicht­lich auf Ent­zug war, zit­ternd von ei­nem der Plas­tik­stüh­le glitt und sich ver­stoh­len Rich­tung Aus­gang schob.

»Vor nicht ganz zwei Stun­den ha­ben Sie zehn Ver­letz­te rein­ge­kriegt. Die muss ich se­hen.«

»War­ten Sie«, be­fahl die Schwes­ter, und als sie davon­mar­schier­te, wur­de Eve von Dut­zen­den auf­ge­kratz­ter Smi­leys auf ih­rem Rü­cken an­ge­grinst.

Ei­nen Mo­ment spä­ter kam ein Mann den Gang he­rauf, der nicht viel kräf­ti­ger als der kurz zu­vor ver­schwun­de­ne Jun­kie war. Er hat­te ei­nen wei­ßen Kit­tel an und wirk­te voll­kom­men er­schöpft.

»Ich bin Dr. Trib­ido«, stell­te er sich vor, und sei­ne me­lo­di­ö­se Stim­me konn­te nicht ver­ber­gen, dass er kurz vor dem Zu­sam­men­bre­chen war.

»Lieute­nant Dal­las, De­tect­ive Pea­body. Ich muss die Op­fer se­hen.«

»Von den zehn Per­so­nen, die wir rein­be­kom­men ha­ben, ist eine schon auf dem Trans­port ver­stor­ben, zwei an­de­re sind ih­ren Ver­let­zun­gen hier er­le­gen, noch be­vor ich dazu kam, sie mir ge­nau­er an­zu­se­hen. Drei wer­den au­gen­blick­lich ope­riert, eine wei­te­re ist auf dem Weg in den OP, und eine liegt im Koma.«

»Wo sind die bei­den an­de­ren?«

»In den Un­ter­su­chungs­räu­men drei und vier.«

»Dann fan­ge ich mit ih­nen an.«

»Bit­te kom­men Sie mit. Die Pa­ti­en­tin in der Drei hat ein ge­bro­che­nes Schlüs­sel­bein, drei ge­bro­che­ne Fin­ger, eine Ge­hirn­er­schüt­te­rung, Ge­sichts­ver­let­zun­gen und meh­re­re Stich­wun­den, die noch vor Ort von un­se­ren Sa­ni­tä­tern be­han­delt wor­den sind. Wo­bei die meis­ten Stich­ver­let­zun­gen eher ober­fläch­lich wa­ren. Sie hat wirk­lich Glück ge­habt.«

»Ha­ben Sie auch ei­nen Na­men?«

»CiCi Way. Sie ist re­la­tiv klar und konn­te uns ih­ren Na­men, ihre Ad­res­se und das Da­tum nen­nen, hat aber kei­ne Ah­nung, wie es zu die­sen Ver­let­zun­gen ge­kom­men ist. Wir ha­ben bis­her noch kei­ne Ein­zel­hei­ten, Lieute­nant. Was zum Teu­fel ist in dem Lo­kal pas­siert?«

»Um das he­raus­zu­fin­den, bin ich hier.«

Sie folg­te ihm durch eine Schwing­tür zu dem Un­ter­su­chungs­tisch, an dem eine Schwes­ter kont­rol­lier­te, ob die Flüs­sig­keit aus ei­nem der di­ver­sen Tro­pfe so in Ci­Cis Kör­per lief, wie es vom Arzt an­ge­ord­net wor­den war.

Die Frau lag mit ge­schlos­se­nen Au­gen auf dem Tisch. Das lin­ke hät­te sie wahr­schein­lich so­wie­so nicht öff­nen kön­nen, weil es kräf­tig an­ge­schwol­len war. Die Ärz­te hat­ten ihr Ge­sicht so dick mit Gel und Nu Skin ein­ge­rie­ben, dass es wie eine ge­öl­te Mas­ke glänz­te, ih­ren rech­ten Arm und die Hand bis zu den Fin­gern ein­ge­gipst, und ober­halb ih­res ge­blüm­ten Kit­tels und ent­lang des nicht ge­bro­che­nen Ar­mes konn­te Eve zahl­rei­che leuch­tend rote Krat­zer so­wie frisch ver­sorg­te Wun­den se­hen.

Der Arzt be­deu­te­te der Schwes­ter, sie al­lein zu las­sen, wäh­rend er an den Behandlungstisch trat. »CiCi? Ich bin es, Dr. Trib­ido. Er­in­nern Sie sich noch an mich?«

»Ich …« Sie schlug das rech­te Auge auf und sah ner­vös un­ter dem vi­o­lett ver­färb­ten Lid her­vor. »Ja. Ich glau­be. Kran­ken­haus. Ich bin im Kran­ken­haus.«

»Das stimmt. Sie ma­chen Ihre Sa­che wirk­lich gut.«

»Macie? Ist Macie auch hier?«

»Ich wer­de mich er­kun­di­gen, okay?« Trotz der Er­schöp­fung hat­te sei­ne Stim­me plötz­lich ei­nen sanf­ten, mit­füh­len­den Klang. »Hier ist eine Po­li­zis­tin, die mit Ih­nen spre­chen möch­te. Wäre das für Sie okay?«

»Eine Po­li­zis­tin? Je­mand von der Po­li­zei? We­gen mei­nes Un­falls? Die Po­li­zei war doch schon hier. Aber viel­leicht habe ich das ja auch nur ge­träumt. Es war ein Po­li­zist. Er hat zu mir ge­sagt, es wür­de al­les gut.«

»Das stimmt. Sie wer­den wie­der ganz ge­sund. Ich bin drau­ßen vor der Tür, falls Sie mich brau­chen.«

»Macie …« Ihre Stim­me wur­de schrill. »Wird Macie auch wie­der ge­sund? Und, und Travis. Und … ich kann mich nicht er­in­nern, wie er hieß.«

»Schon gut. Am bes­ten ge­hen Sie es lang­sam an.« Mit lei­ser Stim­me wand­te sich der Arzt an Eve: »Im­mer wenn sie zu sich kommt, fragt sie nach die­ser Macie. Und auch die­sen Travis und je­man­den na­mens Bren hat sie schon des Öf­ter­en er­wähnt. Ein paarmal hat sie laut ge­schrien. Wir ha­ben ihr ein leich­tes Schmerz­mit­tel ver­ab­reicht und ver­su­chen, sie so gut wie mög­lich zu be­ru­hi­gen, wenn sie die­se Fra­gen stellt. Wie ge­sagt, sie ist voll­kom­men klar, aber sie kann sich nur un­deut­lich da­ran er­in­nern, was in der Bar ge­sche­hen ist. Wahr­schein­lich wür­de sie sich bes­ser füh­len, wenn wir die­se Macie fän­den.«

Nein, sag­te sich Eve, sie wür­de sich be­stimmt nicht bes­ser füh­len, wenn sie wüss­te, dass die Freun­din auf dem Weg ins Lei­chen­schau­haus war, des­halb er­wi­der­te sie nur: »Wir ge­hen es be­hut­sam an«, und trat ne­ben den Tisch.

»Ich bin Lieute­nant Dal­las, und das hier ist mei­ne Part­ne­rin, De­tect­ive Pea­body. Was ist pas­siert, CiCi?«

»Ich wur­de ver­letzt.«

»Ich weiß. Von wem?«

Das of­fe­ne Auge zuck­te ängst­lich hin und her. »Das weiß ich nicht. Sie müs­sen Macie fin­den.«

»Sie ist Ihre Freun­din«, mein­te Pea­body auf die ihr ei­ge­ne ru­hi­ge Art.

»Ja. Wir ar­bei­ten zu­sam­men bei Stu­ben-Bar­nes. Und wir hän­gen auch in un­se­rer Frei­zeit oft zu­sam­men ab.«

»Sie und Macie wa­ren im On the Rocks. Nach der Ar­beit?«

»Uhh.« Sie lenk­te ih­ren Blick wie­der auf Eve. »Ja. Ge­nau. Wir ar­bei­ten zu­sam­men, und wir hän­gen oft zu­sam­men ab. Ich und Macie. Sie und Travis sind zu­sam­men. Sie sind wirk­lich di­cke, und sie denkt, dass sie viel­leicht bald bei ihm ein­zie­hen wird.«

»Sie und Macie wa­ren also nach der Ar­beit noch auf ei­nen Drink im On the Rocks. Sie ha­ben dort zu­sam­men ab­ge­han­gen.«

»Ja, wahr­schein­lich. Ja. Ich und Macie wa­ren dort auf ei­nen Drink. Es ist eine schö­ne Knei­pe, und die Hap­py Hour dort ist wirk­lich toll. Ich mag vor al­lem die ­Nac­hos, die sie ser­vie­ren. Man muss sie mit ei­ner Ga­bel es­sen, weil sie …«

Ihre Stim­me wur­de un­si­cher, et­was wie Ent­set­zen blitz­te in ih­rem ge­sun­den Auge auf. »Die Knei­pe liegt nicht weit von un­se­rem Büro ent­fernt. Geht’s Macie gut?«

»Es ist schön, eine Freun­din zu ha­ben, mit der man zu­sam­men ab­hän­gen kann«, be­merk­te Pea­body.

»Sie ist wirk­lich wit­zig. Macie. Manch­mal ge­hen wir an un­se­rem frei­en Tag zu­sam­men shop­pen.«

»Aber heu­te Abend wa­ren Sie auf ei­nen Drink im On the Rocks«, rief Eve ihr in Er­in­ne­rung.

»Wir ha­ben uns dort mit Travis und mit sei­nem Freund ge­trof­fen. Für mich war es so was wie ein Blind Date.«

»Kön­nen Sie uns die Nach­na­men von Macie und von Travis sa­gen?«

»Oh. Oh. Da­ran habe ich gar nicht ge­dacht. Sie brau­chen schließ­lich auch die Nach­na­men, wenn Sie sie fin­den sol­len. Macie Sny­der und Travis Green­span. Ich habe Fo­tos von den bei­den auf mei­nem Handy! Ich kann Ih­nen Fo­tos zei­gen, wenn Sie wol­len, aber ich weiß nicht, wo mein Handy ist.«

»Das ist im Au­gen­blick auch gar nicht wich­tig. Dann ha­ben Sie vier also dort ab­ge­han­gen und et­was ge­trun­ken.«

»Wir hat­ten ge­ra­de die zwei­te Run­de be­stellt, und Bren war wirk­lich süß. Bren!« Sie riss das Auge auf, kniff es dann zu, und eine ver­ein­zel­te Trä­ne kul­ler­te ihr über das Ge­sicht. »Jetzt fällt’s mir wie­der ein. Bren­don Wang. Er ist ein Kol­le­ge von Travis, und Travis und Macie woll­ten uns ver­kup­peln. Aber ich kann sein Ge­sicht gar nicht mehr deut­lich se­hen.« Sie be­dach­te Eve mit ei­nem mü­den, un­glück­li­chen Blick. »Es tut mir leid. Ich habe Kopf­schmer­zen und mir ist schlecht.« Aber­mals kniff sie das Auge zu.

Eve beug­te sich leicht über sie und bat mit ein­dring­li­cher Stim­me: »CiCi, se­hen Sie mich an. Se­hen Sie mir ins Ge­sicht. Wo­vor ha­ben Sie sol­che Angst?«

»Ich weiß nicht. Mir tut al­les weh.«

»Wer hat Ih­nen weh­ge­tan?«

»Das weiß ich nicht! Sind wir noch ins Res­tau­rant ge­gan­gen?« Ihre Fin­ger grif­fen nach dem La­ken und zer­knüll­ten es. »Wir woll­ten noch zu­sam­men es­sen ge­hen. Macie hat ge­sagt, dass sie ins Nino’s will, aber … wa­ren wir noch im Res­tau­rant?«

»Nein. Sie wa­ren in der Bar.«

»Ich will dort nicht mehr sein. Ich will nach Hau­se.«

»Was ist in der Bar pas­siert?«

»Es er­gibt nicht den ge­rings­ten Sinn.«

»Das ist auch nicht nö­tig«, misch­te Pea­body sich aber­mals mit ih­rer ru­hi­gen Stim­me ein und drück­te Ci­Cis un­ver­letz­te Hand. »Es wird uns be­reits wei­ter­brin­gen, wenn Sie uns er­zäh­len, was Ih­rer Mei­nung nach pas­siert ist. Wir sind hier­her­ge­kom­men, weil wir Ih­nen hel­fen wol­len.«

»Sie ist ein Mons­ter. Sie hat spitze Zäh­ne, und ich sehe all das Blut, das aus ih­ren Au­gen läuft.«

»Wer?«

»Das Mons­ter sieht wie Macie aus, nur dass sie kein Mons­ter ist. In mei­nem Kopf geht al­les durch­ei­nan­der.«

»Was hat das Mons­ter, das wie Macie aus­ge­se­hen hat, ge­tan?«

»Es hat Travis eine Ga­bel ins Ge­sicht ge­rammt. Es hat Mac­ies Ga­bel in die Hand ge­nom­men und ihm dann ein Auge aus­ge­sto­chen – Gott, oh Gott. Es hat ge­schrien, und dann ist das to­ta­le Cha­os aus­ge­bro­chen. Ich hat­te eine spitze Scher­be in der Hand und habe im­mer wie­der auf sie ein­ge­sto­chen, und sie hat ge­schrien, wäh­rend sie mit bei­den Fäus­ten auf mich los­ge­gan­gen ist. Es tut so weh! Ich muss ihr, der an­de­ren und al­len an­de­ren weh­tun, aber dann lie­ge ich auf dem Bo­den und mein Arm … Alle schrei­en, und über­all ist Blut. Dann bin ich auf­ge­wacht, je­mand hat mich mit­ge­nom­men und hier­herge­bracht. In ei­nem Kran­ken­wa­gen oder so. Ich weiß es nicht.«

Trä­nen ström­ten über ihr Ge­sicht. »Ich weiß es ein­fach nicht. Ich glau­be, ich habe je­man­den ge­tö­tet, aber das er­gibt ganz ein­fach kei­nen Sinn. Bit­te«, fleh­te sie. »Sie müs­sen Macie fin­den. Sie ist wirk­lich klug. Sie wird wis­sen, was ge­sche­hen ist.«

»Las­sen Sie es uns mal so pro­bie­ren. Was ha­ben Sie in dem Au­gen­blick ge­tan, be­vor plötz­lich das Mons­ter kam?«

»Es gibt gar kei­ne Mons­ter, nicht in Wirk­lich­keit. Nicht wahr?«

Da irrst du dich ge­wal­tig, dach­te Eve. Es gibt mehr Mons­ter, als du zäh­len und als du beim Na­men nen­nen kannst.

»Kei­ne Angst. Ver­su­chen Sie ein­fach, sich dran zu er­in­nern, wie es vor­her war. Sie, Macie, Travis und Bren hat­ten ei­nen Tisch ne­ben der Bar?«

»Ei­nen Tisch. Oh ja. Wir hat­ten ei­nen Tisch. Er stand dicht ne­ben der Bar. Ich mei­ne, ne­ben der The­ke in der Bar.«

»In Ord­nung, das ist gut. Und Sie ha­ben alle et­was ge­trun­ken? Schließ­lich war dort ge­ra­de Hap­py Hour. Was für Drinks ha­ben Sie be­stellt?«

»Also, ich hat­te den wei­ßen Wein des Hau­ses. Er hat wirk­lich gut ge­schmeckt. Macie hat­te ei­nen Pink Pas­si­on, und die bei­den Män­ner hat­ten Bier. Dazu hat­ten wir noch eine Rie­sen­por­ti­on Nac­hos, nur habe ich nicht ge­wagt, et­was da­von zu es­sen, weil man sich dann meis­tens et­was von der Soße auf die Sa­chen kle­ckert und ich mög­lichst gut aus­se­hen woll­te we­gen des Blind Dates.«

»Okay. Sie ha­ben sich also amü­siert und nach der Ar­beit mit den an­de­ren re­laxt. Sie ha­ben alle et­was ge­trun­ken, hat­ten eine Por­ti­on Nac­hos auf dem Tisch und dann?«

»Hm. Oh. Okay. Wir ha­ben uns un­ter­hal­ten, woll­ten eine zwei­te Run­de Drinks be­stel­len, und dann bin ich mit Macie kurz aufs Klo. Die Schlan­ge dort war ziem­lich kurz, wir hat­ten also Glück. Wäh­rend wir ge­war­tet ha­ben, spra­chen wir da­rü­ber, dass wir noch et­was es­sen ge­hen woll­ten und dass ich Bren bit­ten soll­te, noch mit rauf­zu­kom­men, wenn er mich nach Hau­se bringt.«

Sie kne­te­te das La­ken im­mer schnel­ler, ihr Atem griff den Takt der Fin­ger auf. »Ich wuss­te nicht, ob ich das wirk­lich ma­chen soll­te, aber Macie war sich si­cher, und sie hat mich, nun, sie hat mich des­halb an­ge­fah­ren. Das hat sie bis da­hin noch nie ge­macht. Aber sie mein­te, dass sie Kopf­weh krie­gen wür­de, und ich dach­te, dass es viel­leicht da­ran lag. Dann sind wir wie­der rauf, und of­fen­bar hat ihr Kopf tat­säch­lich furcht­bar weh­ge­tan, denn sie hat ei­nen Ty­pen aus dem Weg ge­schubst. Ich glau­be we­nigs­tens, dass es ein Mann ge­we­sen ist. Er hat­te sie vor­her aus Ver­se­hen an­ge­rem­pelt, als wir auf dem Weg in Rich­tung der Toi­let­ten wa­ren.«

»Der­sel­be Mann?«

»Ich glau­be, ja, aber ich weiß es nicht ge­nau. Ich habe mich er­schreckt, als sie ihn weg­ge­sto­ßen hat. In der Bar war es ent­setz­lich laut und furcht­bar hell, und sie war so ge­mein. Dann ha­ben wir uns wie­der an den Tisch ge­setzt, und ich dach­te, dass ich gu­cken soll­te, ob ich Schmerz­tab­let­ten in der Ta­sche hät­te, aber dann ha­ben sie und Travis sich mit ei­nem Mal ent­setz­lich an­ge­schrien. Sie strei­ten sich sonst nie, vor al­lem schrei­en sie nie­mals so he­rum, und mir kam es so vor, als ob mir lang­sam selbst der Schä­del platzt. Sie ha­ben furcht­bar rum­ge­brüllt, ich hat­te schlim­me Kopf­schmer­zen, und Bren sah plötz­lich hunds­ge­mein und schreck­lich böse aus. Ich weiß nicht, wie das kam, dann brach ur­plötz­lich die Höl­le los.«

Eve ver­such­te es mit ein paar zu­sätz­li­chen Fra­gen und hak­te bei CiCi nach, ob vor dem Auf­tau­chen des »Mons­ters« je­mand in die Bar ge­kom­men oder raus­ge­gan­gen war.

Doch die Er­in­ne­rung der jun­gen Frau dreh­te sich nur um Mons­ter und um Blut. Als sie an­fing, laut zu schluch­zen, über­lie­ßen sie sie aber­mals der Kran­ken­schwes­ter und such­ten den zwei­ten an­sprech­ba­ren Über­le­ben­den des gräss­li­chen Mas­sa­kers auf.

James L. Brew­ster, Buch­hal­ter bei ei­ner gro­ßen Fir­ma, blieb bei­nah ge­spens­tisch ru­hig. Er hat­te di­ver­se Stich­wun­den und meh­re­re ge­bro­che­ne Rip­pen, un­ter­halb des lin­ken Au­ges ver­lief eine wild ge­zack­te Wun­de bis zu sei­nem Kinn, auf sei­ner brei­ten Stirn prang­te eine rie­sen­gro­ße Beu­le, und die auf­ge­ris­se­nen Knö­chel sei­ner Hän­de, die zu bei­den Sei­ten sei­nes Kör­pers la­gen, wa­ren un­ter ei­ner di­cken Gel­schicht kaum zu se­hen.

Mit lei­ser Stim­me fing er an: »Ich bin dort min­des­tens ein­mal die Wo­che, meist wenn ich mich nach der Ar­beit noch mit ei­nem Kun­den tref­fe. Ich bin in der Buch­hal­tung bei Strong­field und Klein. Of­fi­zi­ell wird das na­tür­lich nicht ge­bil­ligt, aber trotz­dem habe ich wie prak­tisch alle an­de­ren Kol­le­gen auch noch Kun­den au­ßer­halb. Wo­bei die meis­ten klei­ne Fi­sche sind. Ich hat­te ei­nen Ter­min mit ei­ner neu­en Kun­din und kam ext­ra eine hal­be Stun­de frü­her, um die In­fos, die sie mir be­reits ge­ge­ben hat­te, noch ein­mal durch­zu­ge­hen. Brau­chen Sie die auch?«

»Name und Ad­res­se wä­ren nicht schlecht.«

»Na­tür­lich. Mar­yEl­lyn – in ei­nem Wort, aber mit gro­ßem E und mit zwei Y – Ge­raldi. Ich fürch­te, die Ad­res­se habe ich nicht mehr im Kopf, aber sie steht in mei­nen Un­ter­la­gen. Wo­bei ich nicht weiß, wo die ge­blie­ben sind.«

»Kein Pro­blem, Mr. Brew­ster«, misch­te Pea­body sich ein.

»Ich war ge­gen halb sechs, viel­leicht auch schon ein paar Mi­nu­ten frü­her in der Bar. Sie ken­nen mich im On the Rocks, und nach­dem ich an­ge­ru­fen hat­te, um zu sa­gen, dass ich eine Kun­din tref­fen woll­te, hat Katr­ina – die Be­die­nung – ext­ra den ge­wohn­ten Tisch für zwei Per­so­nen in der Ecke für mich re­ser­viert.«

Er war er­schre­ckend bleich und klapp­te kurz die blau­en, blut­un­ter­lau­fe­nen Au­gen zu.

»Es war al­les ganz nor­mal. Aber das ist es jetzt nicht mehr. Ich be­stell­te eine Soja-Lat­te und ging mei­ne Un­ter­la­gen durch. Ich habe bei Ter­mi­nen ger­ne die Haup­tin­fos im Kopf. Es war re­la­tiv voll. Wis­sen Sie, die Bar ist nicht be­son­ders groß, aber das Per­so­nal ist freund­lich, und sie wird sehr gut ge­führt. Des­halb tref­fe ich mich ger­ne dort mit Kun­den und sit­ze bei die­sen Tref­fen vor­zugs­wei­se an dem klei­nen Zwei­er­tisch, der in der Ecke steht. Katr­ina brach­te mei­ne Lat­te, ich hät­te sie noch um ein Glas Was­ser für mei­ne Tab­let­te bit­ten wol­len, weil ich plötz­lich Kopf­weh hat­te, aber dann wa­ren die Bie­nen da.«

»Bie­nen?«, wie­der­hol­te Eve.

»Oder eher Wes­pen, sie wa­ren rie­sen­groß.« Er at­me­te er­schau­dernd ein. »Sie wa­ren un­glaub­lich groß. Ich wur­de als Jun­ge mal ge­sto­chen, auf der Farm von mei­nem Groß­va­ter in Penn­sy­lva­nia. Sie ka­men in ei­nem rie­sen­gro­ßen Schwarm. Ich kann mich noch ge­nau da­ran er­in­nern, wie sie sum­mend auf mich ein­ge­sto­chen ha­ben, wäh­rend ich da­von­ge­lau­fen bin. Seit­her habe ich eine To­des­angst vor die­sen Bies­tern. Das klingt si­cher däm­lich, aber …«

»Nein, das tut es nicht«, fiel ihm Pea­body ins Wort.

Ob­wohl er dank­bar lä­chel­te, hol­te er wei­ter hek­tisch Luft. »Ich glau­be, ich bin auf­ge­sprun­gen, denn der An­blick die­ser Vie­cher hat mich un­glaub­lich er­schreckt. Ich habe auf sie ein­ge­schla­gen, als sie dann auf Katr­ina los­ge­gan­gen sind, habe ich auch sie ge­schla­gen, um die Bies­ter zu ver­scheu­chen, und mit ei­nem Mal … mei­ne Pho­bie hat of­fen­sicht­lich Hal­lu­zi­na­ti­o­nen bei mir aus­ge­löst, denn plötz­lich hat Katr­ina ih­ren Mund ge­öff­net, und die Bie­nen sind aus ihr he­rausge­schwärmt. Das war to­tal ver­rückt. Ich muss in voll­kom­me­ne Pa­nik aus­ge­bro­chen sein. Sie ka­men aus ihr he­raus, und ihre Au­gen und ihr Kör­per ha­ben sich to­tal ver­än­dert. Mir ist klar, das klingt voll­kom­men irre, aber plötz­lich sah das arme Ding wie eine rie­sen­gro­ße Bie­ne aus. Wie in ei­nem Hor­ror­film. Was Sie be­stimmt nicht wei­ter­bringt.«

»Uns hilft al­les, was Sie uns er­zäh­len kön­nen, ganz egal wie ab­ge­fah­ren es auch klingt.«

»Hüb­sche Ser­vie­re­rin­nen wer­den nicht ein­fach zu rie­sen­gro­ßen Bie­nen, aber es wirk­te er­schre­ckend echt. Über­all um mich he­rum hör­te ich Sum­men und Ge­schrei, dann brach in der Bar die Höl­le los. Ich glau­be … ich bin mir nicht si­cher, aber of­fen­bar habe ich mei­nen Stuhl ge­packt und bin da­mit auf Katr­ina los­ge­gan­gen. Ich habe in mei­nem gan­zen Le­ben nie­mals ir­gend­je­man­dem auch nur ein Haar ge­krümmt, aber ich habe Katr­ina mit dem Stuhl ge­schla­gen und ver­sucht da­von­zu­lau­fen, doch die Bie­nen haben mich ge­sto­chen, eins der Bies­ter hat mir sei­nen Sta­chel quer durch das Ge­sicht ge­zo­gen, es hat sich an­ge­fühlt, als gin­gen die­se Bes­ti­en mit Mes­sern auf mich los. Dann bin ich ge­stürzt, und die ver­damm­ten Vie­cher wa­ren über­all, be­vor ich ohn­mäch­tig ge­wor­den bin. Als ich wie­der zu mir kam, sah ich jede Men­ge Leu­te auf dem Bo­den lie­gen, über­all war Blut, und et­was – je­mand – lag auf mei­nem Bauch. Ich schob ihn von mir he­run­ter und er­kann­te, dass er tot war. So wie all die an­de­ren Leu­te auch. Kurz da­rauf er­schien die Po­li­zei, und ich wur­de ins Kran­ken­haus ge­bracht.« Er schluck­te er­schüt­tert.

»Ich weiß nicht, ob Katr­ina noch am Le­ben ist. Sie ist so jung und träumt da­von, zum Film zu ge­hen.«

Eve trat wie­der in den Flur, blieb dort kurz ste­hen und wog ihre Mög­lich­kei­ten ab. »Ver­su­chen Sie, auch noch mit an­de­ren Über­le­ben­den zu spre­chen«, bat sie ihre Part­ne­rin. »Falls Ih­nen das ge­lingt, er­war­te ich so schnell es geht ei­nen aus­führ­li­chen Be­richt. Ich muss wis­sen, wie ge­nau es zeit­lich ab­ge­lau­fen ist. Ich sel­ber fah­re erst ein­mal ins Lei­chen­schau­haus, um zu hö­ren, ob Mor­ris uns be­reits et­was sa­gen kann.«

»Ich habe kei­ne Bie­nen, we­der groß noch klein, und kei­ne Mons­ter in der Bar ge­se­hen. Was könn­te der Grund für die­se kurz­fris­ti­gen, aus­ge­präg­ten Hal­lu­zi­na­ti­o­nen un­se­rer bei­den Über­le­ben­den ge­we­sen sein?«

»Das fin­den wir am bes­ten schnellst­mög­lich he­raus. Den­ken Sie an den Be­richt, und schrei­ben Sie dort al­les, was wir bis­her he­raus­ge­fun­den ha­ben, so­wie al­les, was Sie hier viel­leicht noch in Er­fah­rung brin­gen, rein«, mein­te Eve und füg­te nach­denk­lich hin­zu: »Er wur­de ge­ra­de erst be­dient.«

»Wer? Brew­ster?«