Verlass mich nicht Oder Der Aufstieg des Heerführers - Celina Weithaas - E-Book
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Verlass mich nicht Oder Der Aufstieg des Heerführers E-Book

Celina Weithaas

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Beschreibung

"Vertrauen. Das ist alles was ich dir geben kann." Raysiel ist der Heerführer der Dämonen, geboren, um Gott zu stürzen. Bis Luzifer ihn vor die Wahl stellt: Will Raysiel über Himmel und Hölle herrschen oder um Jeanne kämpfen? Gottes Reich schwindet mit seiner Macht. Engel und Dämonen greifen zu den Waffen, bereit eine neue Welt zu schaffen, während Raysiel sich an die Gerechtigkeit erinnert, für die er einst kämpfte.

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Verlass mich nicht

© 2023 Celina Weithaas

Umschlaggestaltung und Design: Franziska Wirth

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN Taschenbuch: 978-3-347-81392-2

ISBN e-Book: 978-3-347-81399-1

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Die Chroniken des Grauen Mannes

Phase I:

Die Poison-Trilogie:

Dark Poison (Oktober 2018)

Cold Poison (Januar 2019)

Dead Poison (September 2019)

Die Jahreszeitentrilogie:

Spring (31. Dezember 2019)

Fall (31. Dezember 2020)

Winter (31. Dezember 2021)

Phase II:

Die Märchendilogie:

Erzähl mir Märchen (05. November 2019)

Märchen für Dich (01. Mai 2020)

Die Mitternachtstrilogie:

Fünf Minuten vor Mitternacht (02. September 2020)

Zehn Sekunden vor Mitternacht (21. April. 2021)

Vor Mitternacht (13. Oktober 2021)

Die Dämonentrilogie:

Fürchte mich nicht (21. April 2022)

Vergiss mich nicht (02. September 2022)

Verlass mich nicht (01. Mai 2023)

Die Götterdämmerungstrilogie:

Götterdämmerung - Verschwörung (05. November 2023)

Götterdämmerung - Verlockung (01. Mai 2024)

Götterdämmerung - Verdammung (02. September 2024)

Die Ich-Bin-Trilogie:

Ich bin Du (21. April 2025)

Du bist Ich (13. Oktober 2025)

Wer ich bin (21. April 2026)

Phase III:

Die Geschichte des Grauen Mannes:

Die Geschichte des Grauen Mannes oder Komm mit mir nach Gestern (02. September 2026)

Chronicles of Kings and Queens:

Blutzoll (01. Mai 2027)

Blutangst (05. November 2027)

Blutrache (01. Mai 2028)

Blutdurst (02. September 2028)

Blutmond (21. April 2029)

Blut-Matt (13. Oktober 2029)

Phase IV:

Die Foscor-Trilogie:

Laufe (31. Dezember 2027)

Bleibe (31. Dezember 2028)

Vergesse (31. Dezember 2029)

Erinnere (31. Dezember 2030)

Verdamme (31. Dezember 2031)

Erwache (31. Dezember 2032)

Phase V:

Die Trilogie von Gottes Tod:

Von verblühender Unschuld (21. April 2030)

Von leidendem Verrat (02. September 2030)

Von verzweifelter Liebe (01. Mai. 2031)

Die Ewigkeitsdilogie:

Endlicher Triumph (13. Oktober 2031)

Triumphale Ewigkeit (01. Januar 2032)

Das Ende:

Nun, da es das Ende ist (31. Dezember 2032)

Für jeden, der den Mut gefunden hat, an etwas zu glauben. Halte es fest.

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Widmung

Was bisher geschah

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Epilog

Danksagung

Verlass mich nicht

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Widmung

Was bisher geschah

Danksagung

Verlass mich nicht

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Was bisher geschah

29 (Vergiss mich nicht)

Das Parkett ist regennass und die Bettdecke liegt noch immer dort vor dem Ofen. Die Decke, die Jeanne über mir ausbreitete. Mir schnürt sich glühend die Kehle zu.

Adriana hält sich dicht neben mir. „Lass es uns hinter uns bringen“, murmelt sie.

Ich nicke hölzern ohne den Blick von meinem Schlafplatz vor dem längst erloschenen Ofen losreißen zu können. Was hätte es mich schon gekostet mir einen letzten Kuss zu stehlen.

Adriana beginnt damit das ohnehin zerstörte und umgestürzte Mobiliar beiseite zu schieben. Auf den feuchten Dielen quietschen die Sohlen ihrer Schuhe unangenehm. Die Härchen in meinem Nacken stellen sich auf.

Gerädert gehe ich in die Knie und hebe die feuchte Decke auf. Ohne ein Wort trage ich sie in das Zimmer, in dem Jeanne geschlafen hat, kurz bevor die Verdammten sie geholt haben. Es ist nicht so, als gäbe es noch ein intaktes Bett, auf dem ich sie ausbreiten könnte, also schaffe ich sie mir lediglich aus den Augen und ziehe die halb aus den Angeln gehobene Tür in den Rahmen.

Ein spöttisches Lachen hallt durch den Raum. Es kommt von überall und nirgendwo.

Adriana ist noch immer damit beschäftigt eine Fläche frei zu räumen, die groß genug für unser Vorhaben ist. Kraft meiner Gedanken greife ich nach den Bruchstücken und schiebe sie an die Wand. Adriana schnauft leise. „Danke.“

Meine Antwort ist ein desinteressiertes Achselzucken, ehe ich nach einem Messer greife, das blutbefleckt hinter der Anrichte liegt. Schwarze Flüssigkeit zieht sich darüber wie ein schleimiger, Unheil verkündender Mantel. Fahrig wische ich sie an der nächstbesten Kante ab und steige über das übrige, auf dem Boden verteilte Besteck hinweg. Das Metall zwinkert mir im schwachen Licht zu.

„Wollen wir vielleicht ein Feuer machen, damit wir besser sehen können?“, fragt Adriana.

„Wenn du es schaffst aus nassem Holz eines zu zünden, gern.“

Ich knie mich auf den rutschigen Boden und beginne mit der scharfen Klinge über das aufgequollene Holz zu fahren. Eine schmale Rille gräbt sie hinein. Die nächste schafft den ersten Zacken.

Knirschend und quietschend geht meine Arbeit voran, die ich aus Angst zu viel Macht in das Pentagramm zu investieren, auf traditionellem Weg ausübe. Wenn es mir ermöglicht ist über Mephistopheles Kraftreserven zu verfügen, wenn er sich in dieses Zeichen presst, wird es einem unsterblichen Dämon nur umso leichter fallen. Es ist ein Wunder, dass Lynn mich damals, als ich sie das erste Mal beschwor, nicht tötete. Dass Tiamat davon nicht Gebrauch machte. Wenn ich mich an das Pentagramm binde, auf welche Weise auch immer, kann mich ein erfahrener Dämon aussaugen wie eine kleine Packung Fruchtsaft.

„Fertig?“, höre ich Adriana fragen, als ich an einer, mir bereits bekannten, Rille angelange und das Messer hebe.

„Für den Moment. Geh zurück.“ Ich werfe einen Blick über meine Schulter. Adriana wiegt sich zwischen den Trümmerteilen in Sicherheit. Ihre schmalen Finger umfassen ein Stuhlbein und Teile eines Fensterladens. Trotz der kräftezehrenden Müdigkeit waren wir nie aufmerksamer, nie angespannter. Oder gerade wegen dieser Müdigkeit.

„Erledigt“, sagt Adriana trocken. Ich rolle die Augen und hebe die Hände. Ich rufe nach der ersten Dämonin, die ich von ganzem Herzen fürchte. Nein, nicht sie. Ihren Wahnsinn.

Nach und nach füllen sich die Rillen und tauchen sich in violette Flammen. Feuer, das kein Geräusch von sich gibt. Es ist still wie ein Toter. Unheimlich wie die Verdammten.

Gedanklich bilde ich ihren Namen, rufe mir ihre irrsinnige Stimme ins Gedächtnis und das kranke Kichern. Ein dunkler Nebel legt sich über den demolierten Raum, als vor meinen Augen ein Wesen aus dem Pentagramm aufersteht, das ich aus den finstersten Tiefen der Hölle beorderte. Lamashtu wird in den Kerkern zu ihrem eigenen Wohl gefangen gehalten, so heißt es.

Mephistopheles‘ Informationen zu dieser Dämonin füllen meinen Geist. Am besten hält man sie unter Kontrolle, indem man ihr die Illusion von Selbstbestimmung schenkt. Gott hat sie verbannt aufgrund ihrer Leidenschaft das Blut Neugeborener zu trinken, die sie zuvor brutal meuchelte.

Sie sei das Kindbettfieber, der plötzliche Kindstod, das Monster, das sich unter dem Bettchen verkriecht, sagte Adriana. Und dabei hat sie ihren gesunden Verstand genug verloren, dass es einen jeden in Angst und Schrecken versetzt sich in ihrer Gegenwart aufhalten zu müssen.

Der Gestank von alten Eiern mischt sich unter den, im violetten Licht rötlich schimmernden, Nebel. Eine Präsenz, die weit fragwürdiger ist als jede, die ich bis jetzt spürte, breitet sich über die Grenzen des Pentagramms hinweg aus.

Ein leises Kichern. Hinter mir rumpelt es. Einen winzigen Blick kann ich noch zu Adriana werfen, um zu sehen, wie sie sich zwischen den Trümmern empor kämpft, ehe die Dämonin vor uns steht.

Im ersten Moment erkenne ich nichts. Lamashtu ist in den Nebel gewickelt wie ein Neugeborenes in eine weiche Decke. Als er beginnt sich zu lichten, wünsche ich ihn mir zurück.

Vor vier Tagen fragte ich Adriana wie ich mir Lamashtu vorstellen sollte. Sie verzog das Gesicht. „Mache dich auf das Schlimmste gefasst und multipliziere es mit fünfzig, dann schaffst du es vielleicht ihr in die Augen zu sehen.“

Ich befolgte ihren Rat, malte mir das Schrecklichste aus und versuchte es mit fünfzig zu multiplizieren. Es war weniger als fünfzig.

Der schwere Gestank von faulen Eiern kam nicht durch den Nebel, er kündigte sie an und ist mehr der ekelerregende Geruch von lang geronnenem Blut. Blut, das ihren Mund verklebt, ihre Nase, und über ihr Kinn rinnt. Ihr Lächeln verlangt alles von mir ab. Ich kämpfe dagegen an zurückzutaumeln. Vor ihr stillzustehen, erfordert mehr Selbstbeherrschung als Mephistopheles Macht standzuhalten. Das Zahnfleisch hat sich zu großen Teilen von ihrem Kiefer gelöst, die Zähne bilden schwarze Stümpfe, die allein vom Hinsehen schmerzen.

Ihre Augen sind pigmentlose Seen. Was macht die menschliche Iris farbig? Gibt ihr den blauen Farbton, den grünen, den braunen? Pigmente. Sobald sie fehlen ist die Iris milchig rot.

Nie zuvor habe ich Dämonen als Schreckgestalten betrachtet. Ich bin ein Teil von ihnen. Engel bilden unser natürliches, widerwärtiges Gegengewicht.

Für Lamashtu überdenke ich alles, was ich zu wissen glaubte.

Feixend streckt sie ihre klauenartig gebogenen Hände nach mir aus. Die Flammen des Pentagramms schlagen sie zurück.

„Man hat Lamashtu gerufen!“, kreischt sie. Für wenige Augenblicke scheint selbst der Wind erstarrt von diesem Geräusch, ehe er weiter durch die leeren Räume geistert. „Die Hüterin der Sonne, man hat sie gerufen!“

„Du bist nicht die Hüterin der Sonne“, seufzt Adriana und tritt zu mir. Die Flammen werfen düstere Schatten auf ihr sonst makelloses, weiches Gesicht. „Du bist eine drittklassige Dämonin, die das Blut von Neugeborenen konsumiert.“

Sie bleckt die Überreste ihrer Zähne. „Drittklassig?“, flüstert Lamashtu. „Sagte das Kind drittklassig?“

„Sie hat sich versprochen“, antworte ich ruhig. „Das Mädchen verwechselte dich mit einem der Erzengel. Lamashtu, du bleibst eines der mächtigsten Wesen, das man sich ausmalen kann.“

„Wie gelingt es uns, dass sie selbst glaubt, wir würden ihr die Führung überlassen?“, habe ich wissen wollen. Adriana schwieg lange und sah auf das sich im Wind wiegende Gras, das sich von den schweren Regenfällen der Vortage erholte. „Wir können mit ihr spielen. Ich sage die Wahrheit, du das was sie hören will. Sie ist zu verrückt, um zwischen Wunsch und Wirklichkeit unterscheiden zu können.“

Nun, da sie vor uns steht, wünschte ich beinahe, dass wir eine wirkungsvollere Maßnahme gefunden hätten.

Meine Worte scheinen der Dämonin zu imponieren. „Mächtig wie ein Erzengel. Mächtig wie Gott! Knirsch, Knack, ring‘s ihm ab.“ Hastig leckt sie sich über die aufgesprungenen Lippen. „Der Junge rief Lamashtu.“

„Wir unterhielten uns bereits vor einigen Tagen.“ Ich verneige mich vor ihr. „Nennt mich Euren Heerführer. Ich werde es sein, der Gottes Fall anleitet.“

Sie zwinkert mit den blutschuppigen Lidern. „Ein Heerführer rief nach Lamashtu“, seufzt sie. „Jung und schön. Das Gesicht, das Lamashtu an ihrer Seite braucht.“ Erneut streckt sie ihre Klauen nach mir aus. Dieses Mal weiche ich kaum merklich zurück. Sie bemerkt es. Ein unheilvolles Licht tritt in ihre rötlichen Augen. „Fürchtet der Heerführer Lamashtu?“

„Bei weitem nicht, nein, Milady“, sage ich ruhig.

Ihre Augen werden schmal und sie pirscht sich an die violetten Flammen wie ein Löwe, bereit seine Beute zu reißen.

„Ich kann deine Furcht riechen“, zischt sie.

Adriana neben mir wimmert auf. Schnell wie eine Viper wendet sie den Kopf in Adrianas Richtung. Sie weicht hektisch zurück, stolpert über das zerlegte Mobiliar und fällt unsanft zu Boden. Von dort aus krabbelt sie weiter.

Adriana müsste gut darin sein, sich zu verstellen, habe ich eingewandt. Eine Königin über ihr eigenes Empfinden. Adriana hat nur gelacht. „Versuch mir in dieser Hinsicht zu vertrauen. Wenn Casper und ich ehrliche Lämmchen gewesen wären, hätte der Tod uns viel früher geholt.“

Adrianas Locken fliegen ihr ins Gesicht und bleiben in den langen Wimpern hängen. Panisch schnappt sie nach Luft und schneidet sich an den Splittern.

Augenscheinlich gelangweilt wendet sich Lamashtu wieder mir zu.

„Tapferer Junge. Schwaches Mädchen. Lamashtu wird sich dem Jungen beugen, um der Rache Willen.“ Wieder dieses grauenvolle Lächeln. „Knick, Knack, brenn schnell ab. Schmatz, Zisch, kommt zum Tisch. Fresst das Monster, das Lamashtu in die ewige Finsternis verbannte.“

Fahrig fasst sie sich in das Haar, das büschelweise ausgerissen worden sein muss. Es kümmert die Dämonin nicht. Beinahe liebkosend streicht sie sich über den fast kahlen Schädel.

„Wenn Ihr Euch mir ergebt, Lamashtu, bitte ich um einen Beweis Eurer Treue.“

Flatternd sieht sie mich an. „Lamashtu schenkt dem Triumphator alles, was er sich ausmalen kann“, schwört sie.

Ich straffe die Schultern und tue, als würde mich ihre Erscheinung nicht im Mindesten verunsichern. „Euer Herz.“

Ruckartig fasst sie sich an die Brust. Langsam kneift sie die Augen zusammen und fletscht die Zähne.

„Es könnte nur ein Problem geben“, sagte Adriana. „Ich bezweifle, dass sie dir freiwillig ihr Herz überlassen wird. Du musst es ihr entreißen.“

„Wenn ich es ihr aus der Brust ziehe, wird es sie töten“, gab ich zu bedenken.

Adriana schüttelte lediglich den Kopf. „Sie ist unsterblich. Darüber musst du dir keine Gedanken machen. Das eigentliche Problem ist, sie wird dich in das Pentagramm zwingen und von dort aus in die Hölle ziehen. Du hast Luzifer bereits gesehen, vielleicht könntest du versuchen bei ihm Unterschlupf zu suchen. Aber das Herz könnte teuer werden. Vielleicht ist der Preis sogar zu hoch.“

„Ohne das Herz erhalte ich Luzifers nicht. Ihn benötigen wir auf unserer Seite.“ Adriana schloss für den Bruchteil einer Sekunde die Augen.

„Wenn es so weit ist, gib mir ein Zeichen. Ich komme mit dir in die Hölle. Allein zurück zu Mephistopheles zu gehen, das ist das letzte, was ich tun werde.“

Lamashtu beweist uns, dass Adriana sie besser kennt, als gut für die Dämonin ist. Der Nebel zieht wieder auf und legt sich um Lamashtus Füße, als wolle er sie schützend vor mir abschotten. „Mein Herz bekommst du nicht“, speit sie. Ihre Präsenz beginnt an meinen Kräften zu zerren, als versuche sie zu verschwinden. Ich recke das Kinn in die Höhe und verschränke die Hände vor der Brust, halte sie in dem Pentagramm.

„Wie gedenkt Ihr Eure Rache zu bekommen, wenn Ihr mir nicht Euer Herz schenkt? Ihr müsstet allein gegen Gott kämpfen. Verbannte er Euch das letzte Mal nicht dorthin, wo Ihr jetzt seid?“

Einem wahnhaften Wesen gleich schleudert sie sich gegen die zuckenden, violetten Flammen als könnte sie mich auf diese Weise erreichen. Mit einem leisen Knacken zwingt es sie zurück in das Pentagramm.

Ein markerschütterndes Kreischen und Lamashtu wagt einen zweiten Versuch. Einen dritten. Der Gestank von verbranntem Fleisch füllt die Luft. Adriana kommt hinter mir wankend auf die Füße und schlägt die Hände vor das Gesicht.

„Beweis, dass du Lamashtu nicht töten willst. Ziehe die Flammen runter!“, kreischt sie. Der Regen beginnt in Richtung des Feuers zu sprühen und verdampft, ehe er ihm nahe kommen kann.

„Beweist Euren guten Willen“, verlange ich. „Ich kann ohne Euch arbeiten, ihr nur mit mir.“

Sie ist rasend. „Ohne Lamashtu? Ihr seid schwach, ich bin mächtig. Ein Gott!“

„Ich gleiche Gott“, halte ich kalt dagegen. „Ich bin der Dämon, der geboren wurde, um ihn zu stürzen.“ Beherrscht sehe ich ihr in die unsteten Augen, sperre jede Emotion aus. Langsam wandelt sich mein Blut zu Asche und ich lasse es mit vollem Bewusstsein zu.

Mephistopheles wurde nicht müde mir zu erklären, dass dieser Prozess der Grund für mein Entrücken von der Wirklichkeit sei. In diesem Moment darf das nicht von Belang sein. Vor Lamashtu macht mein Funken mich schwach. Kontrolliert trete ich näher an die Flammen heran und verhöhne sie mit Gleichgültigkeit.

„Lamashtu wurde geboren, Gott zu stürzen. Lamashtu!“, brüllt sie mich an und reißt an den Flammen. Ihre Augen verdrehen sich, bis die Iris kaum noch zu erkennen ist.

Das Feuer frisst die Haut und das Fleisch von ihren Knochen. Beides wächst nach, nur um sofort wieder abgebrannt zu werden. Sie presst ihr Gesicht gegen die Grenze und lässt zu, dass ihr die Gesichtszüge vom Schädel gezerrt werden. „Lamashtu!“, faucht sie noch einmal. „Kein hübscher Jüngling, Lamashtu! Du solltest ihr dein Herz geben. Es ihr schenken zum Festtag. Schmatz, Zisch, komm zum Tisch.“ Sie lacht gellend auf und reißt die Hände zurück. Schicht um Schicht erneuert sich das Fleisch.

Ich trete näher an sie heran, umschreite das Pentagramm und lehne mich schließlich gegen den kalten Ofen. Sie folgt jeder meiner Bewegungen. „Das ist bedauerlich. Ich nahm an, Euer Wunsch nach Rache wäre groß genug, um mir zu folgen.“

Sie kneift die Augen zusammen. „Nichts mehr wünscht sie sich.“ „Warum verweigert Ihr Euch dann? Es ist ein gutes Angebot. Jeder wird Eure Macht in meinem Sieg erkennen.“

„Unter deiner Herrschaft!“

„Unter meiner gnädigen Führung, die dir den Vorrang lässt“, berichtige ich Lamashtu nüchtern und presse die Hand auf das kalte Metall des Ofens. Langsam sickert die Kühle durch mich hindurch und nimmt alles Unsterbliche mit sich.

Ein hämisches Lächeln huscht über Lamashtus Gesicht, ehe sie es unter Kontrolle bringt. „Mein Junge, lass Lamashtu dir ihr Herz schenken“, säuselt sie und streckt mir ihre Hand entgegen. „Nur deine Hand musst du auf ihre Brust legen.“

Ich werfe Adriana einen knappen Blick zu. Sie versteht und gesellt sich zu mir. Adriana verschränkt ihre Finger mit denen meiner linken Hand, während ich die rechte nach Lamashtu ausstrecke. Die violetten Flammen kitzeln an meinen Fingerspitzen. Ein gieriger Ausdruck tritt in ihre Augen, als sich meine Haut ihr nähert.

„Komm, näher, näher“, murmelt sie. Adrianas Finger krampfen sich bereits schmerzhaft um meine.

„Du musst es ihr noch aus der Brust reißen, bevor sie verschwinden kann“, hat Adriana mich angewiesen. „In der Hölle hat sie die Macht.“

Mir ist bewusst, dass mir mit Glück zehn Sekunden bleiben. Eine kurze Zeitspanne, um die Finger durch ihre Haut zu pressen und nach ihrem Herzen zu greifen, es um meine Kette zu legen und mich auf Luzifers Thron zu konzentrieren, damit unsere Rettung garantiert wird.

Ich wage es nicht zu zögern, stattdessen wappne ich mich für das Brennen und Reißen des Feuers, ehe ich die Hand hindurch strecke.

Lamashtu greift nach meinem Handgelenk. Ich entreiße es ihr und presse die Finger gegen ihre Haut. Sie beginnt zu kreischen und zu lärmen, dass es mir die Sinne vernebelt.

Die Spannung des Pentagramms kollabiert. Es bricht über unseren Köpfen zusammen, während ich unter ihre Hülle gelange und nach dem pulsierenden Herzen greifen kann. Meine Finger umschließen es und mit einem Ruck entreiße ich es ihr. Ihre Schreie steigern sich in neue Höhen.

Lamashtu tobt und versucht mit ihren Krallen meine Augen auszukratzen. Ich beuge den Kopf und lege die Aorta Abdominalis um die dünne Kette. Sofort schrumpft das Herz und gehört mir.

Und ich werde ein Teil von Lamashtu. Sie krallt sich in meiner Haut fest und vergräbt die Zahnstümpfe in meiner Schulter. Ich blende den Schmerz aus und ziehe den Fokus aus ihm.

Adriana hält meine Hand noch immer, als hinge ihr Leben davon ab. Luzifers Thron schwebt mir vor, das öde Tal, in dem es nichts zu geben scheint als braunen Sand und Luzifers Präsenz.

„Ray!“, glaube ich Adriana kreischen zu hören. Ich verdränge ihre Angst und male mir aus, die Zeit würde sich dehnen. Das erleichtert mir die Arbeit.

An den sich verändernden Kraftverhältnissen, an Lamashtus wachsender Muskelstärke und meiner schwindenden Macht, mache ich fest, dass die zehn Sekunden verstrichen sind und wir uns in ihrem Herrschaftsgebiet befinden. Es ist mir erschreckend gleichgültig.

Alles was zählt, sind die Bilder in meinem Kopf, die sich zu einem exakten Abbild von Luzifers Thronsaal fügen.

Ich glaube den staubigen Sand unter meinen Füßen zu spüren und die summenden Schreie der Gepeinigten zu hören.

Lamashtu reißt mir mit ihren Zahnstümpfen ein Stück meines Fleisches aus der Schulter. Der Schmerz erreicht mich nicht, noch weniger ihr fahriges, wahnsinniges Kreischen.

Meine Füße berühren den Boden.

„Nun seid ihr mein“, kichert sie. „Lamashtu holt ihr Herz zurück. Schmatz, Zisch, kommt zu Tisch.“

Adriana beginnt hysterisch zu kreischen. Beiläufig schlinge ich beide Arme um sie und bette mein Kinn auf ihrem Scheitel, während Lamashtu an uns zerrt. Ich höre wie Stoff reißt und Fleisch aus Körpern gezogen wird. Adriana weint bitterlich.

Unter uns beginnt der Boden zu beben. Ein ohrenbetäubendes Grollen breitet sich über die Ebene aus. Ich glaube Felsbrocken stürzen zu hören, dann löst sich die Geräuschkulisse auf. Lamashtus Grausamkeit schwindet.

Schwärze umfängt uns, tröstend wie ein treuer Schatten. Sie leckt meine Wunden und heilt den Körper. Adriana beruhigt sich in meinen Armen.

Die ganze Zeit über halte ich das Bild von Luzifers Thron in meinem Geist wie meinen heiligen Gral. Den einfachen, silbernen Stuhl. Wie Luzifer sich entspannt zurücklehnte und mit dem Zepter jonglierte. Das gläserne Pentagramm mitten in der Hölle. Dort werde ich landen. Es wird mich empfangen.

Jetzt, da die Entscheidung gefallen ist, finde ich die Kraft, mich der Schwärze zu entziehen. Sie hat unsere Wunden genommen und meine Sorgen getilgt. Sie riss Lamashtu von uns fort. Sie wiegt uns in Sicherheit und nun bitte ich sie uns frei zu geben.

Sie gehorcht. Meine Turnschuhe quietschen leise, als wir in dem Pentagramm landen. Adriana rutscht aus und ich spanne die Arme an, damit sie nicht fällt. Zitternd schält sie sich aus meinem Klammergriff. Ich schenke ihr ein halbes Lächeln und öffne die Augen.

Das Haar steht ihr kraus vom Kopf ab, ein dünnes Blutrinnsal ist auf ihren Schläfen getrocknet, dort, wo Lamashtu ihr ein Büschel der blonden Haare ausgerissen haben muss. Mein eigenes Hemd ist kaum noch als solches zu identifizieren. Das Weiß wurde von einem rötlichen Braun ersetzt und ihr Biss in meiner Schulter brennt noch immer.

Ich nehme mir die Zeit meine heilenden Wunden zu inspizieren und stelle mit angemessenem Ekel fest, dass ein Zahnstumpf in meiner Muskulatur steckt. Angewidert ziehe ich ihn heraus. Mein Fleisch schmatzt feucht, ehe es sich zusammenzieht.

Adriana verlässt, noch immer am gesamten Körper bebend, das Pentagramm, die Finger ineinander verkrampft, als würde sie beten.

„Das mit Lamashtu war eine schreckliche Idee“, schimpft sie. Stumm drehe ich den Zahnstumpf zwischen meinen Fingern. Er stinkt erbärmlich.

„Vielleicht hätten wir einfach auf ihre Hilfe verzichten sollen. Sie wird versuchen uns in den Rücken zu fallen.“ „Sie weiß, was es bedeutet, dass mir ihr Herz gehört“, sage ich nüchtern und trete meinerseits aus dem Pentagramm heraus. Adriana geht rückwärts, nur um kraftlos gegen die Felswand hinter sich zu sinken. „Sie ist irre!“

Lamashtu als Unterstützung zu wählen, war Adrianas Idee. „Sie ist nicht lebensmüde“, sage ich. „Sie wird nichts tun, was ihr Leben gefährdet.“ Ab jetzt gehört ihr Schicksal mir, egal ob es ihr gefällt oder nicht. Ich komme nicht umhin eine kühle Befriedigung darüber zu empfinden.

„Könnt Ihr uns zurück auf die Erde schicken?“, fragt Adriana und sieht in Luzifers Richtung, ehe ihr der Mund offen stehen bleibt. Jegliche Farbe, die die Begegnung mit Lamashtu überstanden hat, weicht aus ihrem Gesicht. Achtlos lasse ich Lamashtus Zahn fallen. „Was bei dem Vater, dem Sohn und dem heiligen Geist“, glaube ich sie wispern zu hören. Fragend hebe ich eine Braue und schenke Luzifer meine Aufmerksamkeit. Er sitzt auf seinem Thron wie zuvor und betrachtet uns mit mäßigem Interesse, das Zepter gelangweilt in seinen Händen tanzend.

Es braucht mich einen Moment um zu verstehen, was Adriana zum Verstummen gebracht hat.

Meine Sicht verzerrt sich und ein stechender Kopfschmerz schießt mir durch den Schädel. Neben Luzifer sitzt ein Mädchen, das den Kopf in unsere Richtung dreht. Ihre Augen beginnen zu strahlen, als sie uns sieht, und ein atemberaubendes Lächeln erhellt ihr warmes, weiches Gesicht.

Jeanne stürzt auf uns zu und schlingt überschwänglich beide Arme um meinen Hals. Perplex halte ich sie. Meine Finger betten sich in die kleine Mulde an ihrer Hüfte und ihr blondes Haar kitzelt mich. Sie trägt es offen. Ich beginne am ganzen Körper zu zittern und eine paradoxe Übelkeit steigt in mir auf, während ich bebend das Gesicht an ihrem Hals vergrabe. Tief atme ich ein. Der Duft von Orangen. Ich spüre ihren bekannten Puls huschen.

„Ray“, murmelt sie meinen Namen.

Ich halte sie fester und mache mich irgendwie genug von ihr los, um mich in ihren grauen Augen verlieren zu können. Wie an Fäden hebe ich die Hand und streiche ihr durch die weichen Locken. Als meine Finger an ihrer Wange verweilen, lehnt sie ihr Gesicht dagegen. Meine Beine zucken.

„Jeanne?“ Ich begreife nicht, was ich sehe. Einbildung? Wirklichkeit? Ihre Gegenwart ist unmöglich. Was tut sie in der Hölle?

Luzifers Flügel rascheln leise, während er sich erhebt. Ein kühles Lächeln umspielt seine Lippen. Die Federn schimmern perlweiß. Unwillkürlich schiebe ich Jeanne hinter mich. Sie lässt es geschehen. Ich spüre ihre weichen Lippen dort, wo Lamashtu mein Hemd zerriss. Jeannes weiche Hände halten mich bei Verstand. Oder führen mich hinab in Lamashtus Irrsinn.

Luzifer kommt näher. Dumpf wirbelt die rote Erde auf.

„Möchtest du mir deine Gesellschaft nicht vorstellen, Tochter?“, fragt Luzifer gefährlich leise, mich mit Blicken bedenkend, die die Hölle gefrieren lassen könnten.

1

Ich starre Luzifer an. Der Herrscher über die Hölle hat den Verstand verloren. Jeanne seufzt schwer und schmiegt sich enger an mich. Der Duft von Orangen liegt in der Luft, streicht um mich wie eine Katze, lullt mich ein. Meine Muskeln zucken, während ich jede Reaktion Luzifers in mich aufnehme. Jeannes Atem brennt mir auf der Haut. Der Impuls, sie von mir zu schieben, pocht hinter meinen Schläfen. Ich muss ihr in die Augen sehen, muss ihr Gesicht berühren, muss begreifen. Dass sie noch hier ist. Dass ich hier bin.

Und dass sie die Tochter der Hölle ist.

Jeanne bewegt sich in meinen Armen, bis sie mit dem Rücken zu mir steht. Automatisch bette ich das Kinn auf ihrem Scheitel. „Die beiden sind Raysiel, mein Freund, und seine gute Freundin Adriana. Sie gehört zu Casper, du erinnerst dich?“ Ihr Freund? Der Puls rast mir in den Ohren, Lamashtus trockenes Blut klebt mir an der Haut. Ich habe Jeanne geliebt wie mein Leben. Sie hat sich in die Arme eines anderen geflüchtet. Mein Blut wandelt sich zu Asche, brennt wie Säure, zerreißt mir die Venen. Tief einatmend nehme ich die Wut in den Schwitzkasten und ringe sie nieder. Säure zu Asche, Asche zu Blut.

Ich schiebe Jeanne von mir, um klarer denken zu können. Ihr Duft ist überall. Er vernebelt mir die Sinne, bis ich vor ihr in die Knie gehen und sie halten will. Festhalten will, bis die Welt verschwimmt und sie mir nie wieder nehmen kann.

Das Glimmen des Höllenfeuers fängt sich in Luzifers blondem Haar. Es hat die gleiche Textur, die gleiche Farbe wie ihres. Ein Kind der Hölle, das sich dem Himmel versprochen hat.

In Luzifers Händen wirbelt sein Zepter, ehe er es in einem gekonnten Balanceakt auf der Rückenlehne seines Thrones abstellt und sich in einer fließenden Bewegung erhebt. Ein mahnender Zeigefinger. Er deutet zum Himmel. Wirkte Luzifer bei unserer letzten Begegnung distanziert, aber an meinem Angebot interessiert, ist das vorbei. Von Luzifer strahlt eine Eiseskälte ab, die die Hölle gefrieren lassen könnte. Flammen tanzen um seine schmalen Finger, heben Narben hervor zu Wunden, die vor Jahrhunderten verheilt sind.

„Dein Freund?“ Luzifers Lächeln ist das einer Viper. Die Herzen um meinen Hals trommeln einen warnenden Rhythmus. „Bei unserer Konversation, erst kürzlich geführt, vergaß er dieses Detail zu erwähnen“, sagt Luzifer gedehnt. Seine Flügel entfalten sich rauschend. Gold und Silber, Kupfer und Bronze fließen in ihren zusammen, bis die Federn im Blut der Hölle zu ertrinken scheinen.

Jeanne hebt eine Braue. Ihre makellosen Lippen verziehen sich im matten Spott. „Wie hätte er dir das denn sagen sollen?“

„Indem er die Tatsachen ausspricht“, antwortet Luzifer kühl. Der Herrscher über die Hölle verschränkt die Arme vor seiner Brust. „Zumindest löst deine Teilhabe mein größtes Rätsel. Deinetwegen konnte er gegen Gott bestehen. Allein deinetwegen.“

„Mephistopheles hat uns gerettet“, sagt Adriana hastig. „Ray wäre nicht in der Lage gewesen, uns …“

„Er ist zu nichts in der Lage!“ Luzifers Stimme donnert von den Steilwänden wider. Blut zu Asche, Asche zu Säure. Vor meinen Augen tanzen blutrote Punkte. Ich rieche die Fäulnis, die Lamashtu absonderte, und bade in ihr, die Kleidung langsam steif von ihren trocknenden Körperflüssigkeiten. „Wie die Dinge sich bewegen, hält der Irrsinn ihn in seinen Klauen und gibt ihn erst frei, wenn er lernt den Äther zu kontrollieren.“ Luzifer greift nach dem Zepter hinter sich und wirbelt es erneut um die eigene Achse. „Ich habe dich nicht zur Lügnerin erzogen, Jeanne. Was ließ dich vermuten, ich würde deinen Freund mit offenen Armen empfangen?“

Vor mir verkrampft sich jeder Muskel in Jeannes Körper. Reflexartig schlinge ich die Arme um sie und schiebe mich halb vor sie. Dieser Kampf ist nicht ihrer.

„Raysiel ist deiner würdig“, sagt Jeanne zögerlich. Luzifers Brauen schießen in die Höhe. Mit Mühe halte ich mein Gesicht ruhig.

„Er ist ein Dämon“, sagt Luzifer nüchtern. „Dämonen rauben Seelen, zerfressen die Unschuld und legen die Welt erst in Schutt, dann in Asche. Kein Dämon wird mir würdig sein und keiner ist deiner Treue Wert.“

Jeanne lehnt sich an mich. Ihr Puls huscht an ihrer Kehle, hastig, wie der eines gefangenen Vogels. Ich atme den Duft von Orangen ein. Erst bringt er mich um den Verstand, dann erinnert er mich an Gnade. In die Hölle fahren alle Wünsche und werden zur Sünde.

„Raysiel ist der neue Gott“, erwidert Jeanne. „Böse Stimmen würden sagen, niemand außer Gott selbst wäre mir würdig.“ Das gespenstische Licht der Hölle huscht über eine Narbe an der Innenseite ihres Handgelenks. Verschnörkelte Linien, die sich zu einem umgekippten X verbinden, das schimmert wie das Mondlicht selbst. Ich will es berühren und die Narbe scheint sich tiefer in ihre Haut zu betten. „Du sagtest, die Engel gleichen den Dämonen und die Dämonen den Engeln. Sie seien zwei Seiten einer Medaille, zwei Mächte, die diese Welt im Gleichgewicht halten. Wenn Dämonen tatsächlich Emotionen empfinden könnten, sagtest Du, wären sie den Engeln nicht nur ebenbürtig. Sie wären ihnen würdig“, sagt Jeanne. Orange und Rot, Gold und Kupfer spiegeln sich in ihrem blonden Haaren und scheinen alle Sanftheit, alle Unsicherheit aus Jeanne zu brennen. „Raysiel fühlt. Er empfindet Emotionen. Trauer, Freude. Verzweiflung, Einsamkeit, Verdammung. Weit mehr als Hass und Starrsinn.“

Mühsam halte ich mein Gesicht starr. Die Überraschung drängt die Säure in meinen Venen zurück, bis ich einen hauchdünnen Halt finde in einem Meer, das aufbauscht, um mich zu verzehren. Jeanne warf mir vor, ich würde meinen Sieg über jede Emotion stellen. Nun malt sie mich menschlich. Meine Finger graben sich in ihre Hüfte. Jeanne rührt sich nicht und das erste Mal brennt mir die Frage feuerrot vor Augen: Wie viel Unschuld konnte ich Jeanne nehmen? Wie viel von ihrer Liebe war real genug, um beim zweiten Blick standzuhalten? Wie viel eine Farce der Hölle.

Luzifers Lippen verziehen sich zu einem halbherzigen Lächeln. Es spiegelt nichts wider. Keine Freude, keine Wut, keine Ablehnung. Nicht einmal den Schatten von Gleichgültigkeit. Er kehrt auf seinen Thron zurück, das Zepter wiegend, und das Blut der Gepeinigten scheint von seinen Flügeln zu tropfen.

„Raysiel empfindet Gefühle, soweit ein Dämon dazu fähig ist“, räumt Luzifer ein. „Um dir zu genügen? Einem Engel ebenbürtig zu sein? Er wird seine Natur nicht hinter sich lassen, um sich in den Wirren von unberechenbaren Gefühlen zu verlieren. An erster Stelle steht sein Sieg. Dann sein Blutdurst. Dann sein Stolz. Und hinter all der Macht und Grausamkeit wirst du eine vernichtend kleine Priorität.“ Halb dreht Jeanne sich zu mir um, als erwarte sie, dass ich Luzifer widerspreche. Bilder eines anderen Mannes haben sich in meine Netzhäute gebrannt. Er küsst sie. Er hält sie. Und Sie lässt es zu. Wozu soll ich sie lieben, wenn ich es nach Gottes Regeln tue? Jeannes Hand ballt sich zur Faust. Sie schweigt.

Adriana räuspert sich. Ihre blauen Augen huschen von Luzifer zu uns, wieder zurück. „Mephistopheles erwähnte, dass Ray wohl Gottes Fähigkeit zu empfinden übernommen hätte. Er sagte irgendetwas davon, dass nur ein allmächtiges Wesen fühlen kann und da Gott diese Fähigkeit mehr und mehr einzubüßen scheint …“ Adriana räuspert sich erneut, als ihre Stimme versagt. Ihre Blicke schweifen über das triste Plateau hinaus. Sie suchen jemanden.

Stumm stelle ich Adrianas verzweifelte Frage Jeanne, als ich ihr in die klaren, grauen Augen sehe. Aufrichtigkeit, Liebe, Unschuld. All das ist noch immer dort, aber untermauert von einer Intensität, die ich nicht begreife. Jeanne bleibt stumm. Ich fahre ihr mit den Fingern über das weiche Haar. Es riecht nach ihr. Es fühlt sich an wie sie. Meine Kuppen kribbeln. Flocken von getrocknetem Blut bleiben zurück. „Haben Conrad und Casper überlebt?“

Ein Lächeln huscht über Jeannes Lippen. „Sie sind hinten. Casper hat sich im Keller häuslich eingerichtet. Weil man dort die Gestraften am wenigsten hört. Wir alle dachten, nein, wir waren davon überzeugt, dass du und Adriana unmöglich … Wie konntet ihr den Verdammten widerstehen? Ihre Macht war allumfänglich. Sie haben gerufen. Die verborgensten Seiten der Seele haben sie zu sich gelockt.“

Um seine Seele an die Verdammten zu verlieren, muss man eine besitzen. Meine Antwort ist knapp. „Ich bin der Heerführer.“

Der Glanz schwindet aus Jeannes grauen Augen, bis nichts bleibt als eine nagende Distanz. Panik. Sie schnürt mir die Kehle zu. Ich rege mich nicht. „Ja“, sagt Jeanne ruhig. „Du bist ihr Heerführer.“

„Das wird er bleiben, bis es keinen Krieg mehr zu fechten gibt“, sagt Luzifer sanft. Ein Teil von mir, ein großer Teil, will widersprechen und Jeanne in das ausdruckslose, distanzierte Gesicht lügen. Die Träume drängen sich in meinen Kopf und tilgen jeden guten Vorsatz, jede Illusion. Das Heer, der Sieg, stand an erster Stelle. Ich kann nicht in einer sterbenden Welt leben, wenn ich sie bereinigen kann. Jeannes Liebe zu mir, meine zu ihr, war eine unerschütterliche Flamme in meinem Herzen.

Dinge ändern sich. Manchmal, bevor sie geschehen sind.

Für diesen Krieg wurde ich geboren. Ich werde ihn gewinnen, ich werde diesen Thron besteigen und auf mich nehmen, was im Himmel auf mich wartet. Sobald ich Heim gekommen bin.

Adriana blinzelt. Ihre Bewegungen wirken seltsam entrückt, seltsam träge. „Sie sind hier?“, flüstert Adriana. Sie schüttelt leicht den Kopf, als versuche sie ein Trugbild zu verbannen. „Sie leben?“

Kühl kalkulierend betrachtet Luzifer Adriana. „Du hättest mir diese Frage stellen können, Engelskind. Ich hätte dich weder für dein Herz noch für deine Hoffnung bestraft.“

„Unsere Freunde waren nicht der primäre Grund für unser Erscheinen“, sage ich. Meine Ruhe ist trügerisch. Ich klammere mich an sie mit der gleichen Verzweiflung, die mich erst in den Himmel, dann in die Hölle trieb. „Nur die Bitte, die wir bereits an Euch richteten.“ Dass er mir sein Herz übergibt. Diesen Krieg an meiner Seite gewinnt. Dass wir Gott gemeinsam zu Grabe tragen.

Jeanne sieht mich an, ein Lächeln auf den Lippen, das ihre Augen nicht erreicht. „Welche Bitte?“ Ich habe sie lange vor dem heutigen Tag verloren, erinnere ich mich. Nein. Falsch. Ich habe sie nie besessen. Wenn Jeanne tatsächlich Luzifers Tochter ist, dann ist die Intriganz fest in ihre Persönlichkeit verankert, bis sie der Grundstein ist für jedes Wort, jede Tat.

Jede Berührung. Jeden Kuss.

Wenn Jeanne tatsächlich Luzifers Tochter ist, ein Geschenk der Hölle an den Himmel, was war ich für sie? Keine rebellische Phase. Eher ein Mittel zum Zweck. Und in blindem Vertrauen habe ich mich ihr gebeugt.

„Dass ich dem Heerführer mein Herz gebe“, antwortet Luzifer an meiner Stelle. „Meine Macht an ihn abtrete und ihn damit gegen Gott agieren lasse.“

„Du hast es ihm verweigert?“

„Solange er nicht genügend Herzen erhält, ja.“

Vorsichtig legt Jeanne eine Hand an meine Wange. Sie will, dass ich sie ansehe. Der Verrat, den ich empfand, als sie einen anderen Mann küsste, brachte mich um den Verstand. Dieser lässt mich jede Sekunde, jeden Atemzug beleuchten und nach Fallen durchsuchen, in die ich blind getappt bin. „Wie viele hast du bereits?“, fragt sie mich schließlich, als unsere Blicke sich treffen. Der Duft von Orangen. Er frisst sich in meine Wahrnehmung, bis es nichts anderes mehr gibt. Er verspricht mir Sicherheit und rammt mir den Dolch in den Rücken.

„Vier“, erwidere ich nüchtern. „Antauras, Asasels, Mephistopheles‘ und Lamashtus.“ Bei dem letzten Namen schießen ihre Augenbrauen in die Höhe und sie fährt mit den Fingern ihrer anderen Hand über die bereits vernarbte Verletzung an meiner Schulter. Ein exaktes Abbild von Lamashtus fauligem Gebiss. Das Blut bleibt.

„Scheint, als hätte Lamashtu es dir nicht ganz freiwillig gegeben.“

„Sie gab mir ihr Wort“, sage ich. „Und ihr Herz hätte sie mir auch gegeben, wenn ich bereit gewesen wäre, mich ihr zu beugen.“ Eine bessere Marionette wäre ich gewesen. Ein bitteres Lachen verätzt mir die Kehle. Nur hätte ich mich offenen Auges auf das Puppenspiel eingelassen.

„Es ist vernünftig, dass du ihr Herz an dich genommen hast.“ Luzifer betrachtet mich konzentriert. Hinter ihm scheinen die Felswände zu summen. „Es mildert ihre Macht und ihren Irrsinn. Lass ihren Wahn nicht auf dich zurückfallen.“

Ich schweige. Meinen größten Wahn halte ich in den Armen und er hat mich ausgespielt, bis ich dem Teufel Auge in Auge in der Hölle gegenüberstehe.

Jeannes Finger liebkosen meine verheilten Wunden. Mein zerrissenes Hemd bedeckt die Rückstände von Gabes Folter.

„Ebenso ärgerlich ist jedoch, dass du Michael keine Zeit ließest, dir seines zu überreichen. Es hätte dir einen bedeutenden Vorsprung verschaffen können.“

„Auf Michael komme ich zurück. Er sinnierte, ob nicht auch Raphael sich mir anschließen könnte.“

Jeannes Finger verharren. „Das glaube ich nicht, Ray“, murmelt sie. „Raphael hat nie jemanden gehasst wie dich. Es ist, als wäre er geboren worden, dich zu verabscheuen.“

Wie sie geboren wurde, mich zu verführen, zu verwirren und zu verraten?

Ich sehe in diese endlosen grauen Augen. Es ist keine Unschuld, keine Liebe, keine Hingabe, die mich ausschließen. Geheimnisse haben sich schützend zwischen uns gestellt. Von der ersten Sekunde an. Während ich mir Glauben machte, Jeanne verdient zu haben.

„Und ich verachte Michael und Lamashtu zutiefst. In einem Kampf muss man nicht befreundet sein, um zu gewinnen. Eine gewisse Akzeptanz genügt vollkommen.“

„Wahre Worte“, seufzt Luzifer. „Doch solltest du nie außer Acht lassen, dass gerade diese Akzeptanz ein unkalkulierbares Potenzial dazu hat, sich in Abneigung zu wandeln.“

„Freundschaft kann zu Hass werden.“ Liebe. „Diese Möglichkeit fürchte ich eher. Emotionsbedingt scheint es im Wesen eines jeden Sterblichen zu liegen, sich dazu hinreißen zu lassen, im Affekt zu handeln.“ Ein knappes Nicken von Seiten des Herrschers über die Hölle, ehe er in Richtung eines schmalen Passes deutet, der sich zwischen zwei steilen Abhängen entlangschlängelt und in erdrückender Finsternis verliert.

„Für heute lade ich euch ein, meine Gäste zu sein.“, sagt er. „Genießt meine Gastfreundschaft. Aber seid euch beide zu jeder Zeit bewusst, dass es mir nur zu leicht fiele, euch meines Reiches zu verweisen.“ Schatten kriechen über den rotstaubigen Boden auf ihn zu, bis sie sich tummeln, wo Jeanne saß.

Sie schenkt Luzifer ein schwaches Lächeln. „Ich danke dir, Vater“, sagt sie. Den Priester nannte sie Vater, nun den Herrscher der Hölle. Nur einer hat ein tatsächliches Recht über sie.

Jeanne versprach mir ihre Liebe und zuvor leistete sie den gleichen Schwur Gott. Ich weiß, wem sie treu ergeben sein wird.

Greifbare Emotionen treten in Luzifers unendlich blaue Augen, als er die Hand nach Jeanne ausstreckt. Ich lasse sie gehen. Der Herrscher über die Hölle schlingt beide Arme um sie.

Luzifer flüstert ihr Worte ins Ohr, die Jeanne ein leises Kichern entlocken. Sie wirken vertraut. Vertrauter, als ich jemals mit einem lebenden Wesen war. „Das kommt ganz darauf an, wie du dich die nächsten Tage benimmst“, neckt Jeanne Luzifer. Der Teufel lacht und seine Flügel werden weiß, werden sauber, als habe Jeanne das Blut von ihnen gewaschen.

Luzifer drückt ihre Hand, ehe er sie gehen lässt. Ich weiß nicht, warum ich einen Arm um Jeannes Taille lege, als sie zurück zu mir kommt. Der Unglauben, die Freude, das Glück, sie alle wurden fortgewaschen. Was bleibt ist ein dumpfes Pochen. Adriana geht dicht hinter mir, während wir den Pfad beschreiten, den Luzifer uns gewiesen hat.

Adrianas Hände zittern unkontrolliert und in ihren Augen steht eine Hoffnung, die mir das Herz bricht.

„Warum hast du mir das verschwiegen?“, frage ich Jeanne zwischen harschen Felswänden und tiefen Klüften.

Unschuldig sieht sie zu mir auf. Nur dass diese Unschuld kalkuliert ist wie ihre Liebe. Wie ihr Vertrauen. Wie ihr Lachen, ihre Küsse, ihre Umarmungen. „Was denn?“

Ich bin die Spiele leid. „Deine Verwandtschaftsverhältnisse.“ Sie lehnt den Kopf gegen meine Schulter. Ein Teil von mir will Jeanne von mir stoßen. Ein anderer will sie an mich ziehen, bis niemand sie jemals wieder von mir wegnimmt. Nicht einmal sie selbst.

„Ich war mir sicher, dass du es weißt“, sagt Jeanne. Sie klingt sanft, gelassen. Ich habe das Gefühl, auf Nägeln zu laufen. „Als du mich weggeschickt hast und mir vorgeworfen hast, dich nie geliebt zu haben, da war ich mir sicher, jemand hat es dir erzählt. Vielleicht sogar Raphael selbst.“ Als wäre es nicht genug, dass sie einen anderen Mann geküsst hat.

„Warum hast du Luzifer nie erwähnt?“

Sie hebt die Schultern. „Die Gelegenheit hat sich irgendwie nicht ergeben. Außerdem, wie hätte ich das anfangen sollen? Einfach kurz vor dem Einschlafen mal erwähnen, dass Luzifer mein Vater ist? Du hättest mir ins Gesicht gelacht.“ Vielleicht. Vielleicht auch nicht.

„Das bedeutet also“, sage ich nach einigen ruhigen, nachdenklichen Sekunden, „meine Hilfe in Tiamats Reich hättest du nicht benötigt?“ Als sie zerschlagen zwischen Vampiren lag, gefangen von der Fürstin über die Angst. Denn, ganz gleich wie mächtig Tiamat ist, Luzifer könnte sie binnen eines Wimpernschlages vernichten.

Ein weiterer cleverer Schachzug. Ich musste mich positionieren. Und ich habe mich gegen Meinesgleichen gestellt. Seitdem habe ich jede Sekunde für diese Entscheidung gezahlt.

Eine kleine Falte erscheint zwischen Jeannes Brauen. „Doch, natürlich. Sonst hätte ich mich des Äthers bedient und mich selbst gerettet.“

„Du bist ein Engel“, sage ich. „Engel haben Fähigkeiten. Sie gehen nicht hilflos unter.“

Jeanne schnaubt abfällig. „Ich bin kein Engel, Ray. Ich bin Luzifers Tochter.“

„Und Luzifer ist der mächtigste Engel, der jemals existiert hat.“

Erneut schüttelt Jeanne den Kopf. „Alles, was ich beherrsche, ist der Äther. Nicht mehr und nicht weniger. Ich kann nicht kämpfen, ich habe keine Flügel. Im besten Fall kann ich andere Engel dazu zwingen, mir blind zu gehorchen.“ Oder Dämonen.

Ich versuche die bittere Wahrheit fortzuwischen. „Wie damals Raphael.“

„Wie damals Raphael“, stimmt sie mir leise zu und sieht mir fest in die Augen. „Du siehst also, ich bin nicht im Ansatz mit Adriana oder Casper zu vergleichen.“ Du sollst nicht lügen. Ich sehe sie an und weiß nicht, ob Jeanne mir gegenüber jemals die Wahrheit gesprochen hat.

Still schlingt Jeanne die Arme um sich selbst. „Wenn du mir nicht glauben willst, kann ich es dir zeigen. Kämpf gegen mich. Meine Hände sind verheilt, ich kann sie mir also wieder verstauchen.“ Ein kleines Lächeln umspielt ihre Lippen. Lippen, die mir versprachen, aufrichtig zu sein. Dämonen lügen. Und Engel? Sie spielen aus.

„Du kannst also kämpfen.“

„Nein! Ich verstauche mir die Gelenke, sobald ich zuschlage. Ich bin wirklich und vollkommen unfähig. Vater versucht mir seit Jahren beizubringen, jemanden k.o. zu schlagen. Es ist nicht so, dass ich jemals jemand anderen als mich selbst verletzt habe.“

Ich will ihr glauben. Dringend genug, dass mir das Atmen schwerfällt. Aber wenn sie mich bisher belogen hat, mit jeder Silbe, mit jedem Wort … Lieber hätte sie in Frieden ruhen sollen. Auf ewig. „Höchst unwahrscheinlich. Zumindest einmal hättest du gewinnen müssen“, sage ich ruhig.

Jeanne lehnt sich gegen mich, um einem Stein auszuweichen, der gemächlich die Felswand hinunterrollt.

„Der Zufall hasst mich. Und das Glück auch. Versuch mir einfach zu glauben, dass ich nicht viel anders bin, als du mich kennst. Jeden Morgen spreche ich mein Gebet, versichere Gott meinen Beistand und verachte das sinnlose Meucheln von Leben. Das bin ich. Egal ob in der Kirche oder hier.“ Sie versichert Gott ihren Beistand. Gott. Immer Gott. Niemals mir. Weil ich Gott eines Tages bezwingen werde, aber noch immer nichts weiter bin als ein Dämon. Während sie an die Kirche glaubt wie ich an Gerechtigkeit.

„Wenn du dich entscheiden müsstest, würdest du weiterhin auf Gottes Seite stehen?“, frage ich.

„Ich weiß es nicht.“ Natürlich nicht. Ich will die Zeit zurückdrehen und die Frage zurücknehmen. „Wenn dein Leben auf dem Spiel stünde, ich würde an deiner Seite stehen. Immer. Aber Gottes Visionen? Seine Hoffnungen für die Welt? Ich würde sie immer vor deine stellen. Gott ist kein böses Wesen.“ Sie spricht, als hätte sie ihm bereits gegenübergestanden. Ich werfe einen Blick über meine Schulter, um Adriana anzusehen. Ihre Augen sind düster umwölkt. Sobald sie Casper sieht, wird er sie in die Arme schließen. Es wird sein wie zuvor. Weil diese beiden einander nicht belügen.

„Du kennst Gott?“

Noch ein Schulterzucken. „Er hat mich aufgezogen“, sagt Jeanne.

„Aber Gott und Luzifer sind verfeindet“, mischt sich Adriana ein. „Sie wollen das Blut des jeweils anderen fließen sehen.“

„Nicht direkt. Vater hegt keinerlei Groll gegen Gott. Nicht mehr. Er hat beschlossen zu verzeihen. Und indem er mich getauft hat, hat auch Gott bewiesen, dass diese Fehde zu größten Teilen der Bibelgeschichte angehört.“ Jeannes Loyalität, Luzifers Loyalität gelten nicht mir.

„Gott selbst hat dich getauft?“, fragt Adriana.

„Ja. Vater hat darauf bestanden. Meine Mutter hat Gott nicht als Gott erkannt.“ Ein schmales Lächeln umspielt Jeannes Lippen. „Menschen pflegen es, Gott zu vergessen, sobald er vor ihnen steht.“ Weil seine Gesichtszüge so gewöhnlich sind, dass sie zum Vergessen aufrufen. Nur seine Macht bleibt in Erinnerung. Die Erbarmungslosigkeit in ihr und das kraftvolle Beben.

„Das erklärt einiges“, murmelt Adriana. Fragend sehe ich sie an.

Adriana räuspert sich. „Sie erkennt einen Engel und einen Dämon. Casper hatte mir davon erzählt, Ray, dass ihr bei eurer ersten Begegnung aufgefallen ist, dass du kein Mensch sein kannst.“

Jeanne nickt langsam, scheinbar in Gedanken versunken. „Ja. Es war seltsam. Die Schatten zogen zu dir wie Metall zu einem Magneten. Fast als würden sie dich verehren. Es war unheimlich.“ Unheimlich. Ich zucke leicht zusammen. Jeanne beißt sich auf die Unterlippe und wirft mir einen raschen Blick zu. „Okay, vielleicht nicht direkt unheimlich. Düster trifft es eher.“

„Du fürchtest mich also doch“, sage ich leise. Jeanne bleibt urplötzlich stehen und dreht sich zu mir um. Adriana prallt gegen mich, nur um leise fluchend zurückzutaumeln und sich die Nase zu halten.

„Was ist los? Warum haltet ihr an?“, schnaubt sie. Kleine Steine taumeln in den Abgrund.

Jeanne beachtet sie nicht. „Wie kommst du darauf, dass ich Angst vor dir habe?“, fragt sie mich atemlos. Ich suche nach dem blinden Vertrauen, das ich in sie hatte. Immer in sie hatte. Zweifel halten mich im Würgegriff.

„Du sagtest, ich sei unheimlich“, sage ich tonlos. Ein Schatten, blutig rot gemalt.

Jeanne schüttelt entschieden den Kopf. „Die Schatten sind unheimlich und dabei bleibe ich. Aber du … Wie könnte ich jemals Angst vor dir haben, Raysiel?“

Ich lache freudlos auf. Das scheppernde Geräusch wird tausendfach von den steilen Wänden zurückgeworfen. „Ich bin der Heerführer. Ich töte deine geliebten Engel. Ich schlachte sie ab, ich lasse sie um Gnade flehen, nur damit sie an ihrem eigenen Blut ersticken. Und sobald ich jeden einzelnen von ihnen in den Staub getreten habe, werde ich nach Gottes Zepter greifen. Ich werde den Allmächtigen in Stücke hacken und ihn an seine getreue Gefolgschaft verfüttern“, sage ich. Es ist die Wahrheit, die ich genug fürchtete, um sie auszusprechen. Jeanne presst ihre Lippen aufeinander. Das Grau ihrer Iriden verdüstert sich und ich will sie weinen sehen. Ich will, dass sie dorthin getrieben wird, wo sie begreift, was sie mir angetan hat. Und dann soll sie an ihrem eigenen Gift dahinsiechen. „Du weißt, dass ich das schon immer getan habe. Während ich dir meine Liebe schwor, habe ich zur gleichen Zeit einen Cherub getötet. Ich habe Engel hintergangen, die bereit waren sich mir anzuvertrauen.“ Ezechiels ungläubiger Blick drängt sich in mein Bewusstsein. Ich schwor auf Gott, das wiederholte er, bevor ich ihm die Zunge herausschnitt. Ein Bauernopfer. Wie es viele gibt im Krieg. Niemand wird sich an die Namen derer erinnern, die glanzlos untergegangen sind. Niemanden wird es kümmern, sobald der Staub sich gesetzt hat und eine neue Welt daraus emporgestiegen ist. Wen kümmert das Blut, auf dem der Frieden fußt? „Wenn es notwendig war“, fahre ich fort, „habe ich meine eigenen Männer gefoltert und getötet. Genug Gründe, um sich vor mir zu fürchten?“

Niemand rührt sich. Die Zeit scheint gefroren zu sein. Ich warte darauf, dass ich meine Worte bereue.

Sie sind alles, was ich jemals sagen wollte.

„Genug Gründe, um mich vor dir zu fürchten“, pflichtet Jeanne mir bei. Meine Lippen verziehen sich zu einem blutrünstigen Lächeln. „Und ich tue es trotzdem nicht. Du würdest mir nie etwas antun“

„Und doch flüchtest du dich zu deinem Alexander?“

Erschöpft fährt Jeanne sich mit dem Handrücken über die Stirn und schließt für einen Moment die Augen. „Du willst mich beschützen, richtig?“ Erwartungsvoll sieht sie mich an. Ich rühre mich nicht. „In diesem Fall wollte ich dich beschützen, Raysiel.“ Ich bleibe stumm. Jeanne reckt das Kinn leicht in die Höhe, ein herausforderndes Funkeln in den Augen, das Blut fließen sehen will. „Ich mag ihn wirklich, Ray. Wenn du nicht aufgetaucht wärst, wenn ich mich Gott nicht versprochen hätte, wären Alexander und ich inzwischen vermutlich verlobt. In einigen Jahren hätten wir eine Familie, ein gemeinsames Leben, alles, was ich immer wollte.“ Blutrote Tupfen verschleiern mir die Sicht, während die Säure in meinen Adern sprudelt. Ich atme ein und schmecke nichts weiter als abgrundtiefen Hass. Ich will die Dimensionen durchschreiten und Alexander in die Hölle zerren, um ihn zu Jeannes Füßen elendig verenden zu lassen. Sie gibt mir den Mut, zu träumen, nur um jede Hoffnung zu zermalmen? Dieses Spiel kann von zweien gespielt werden.

Der Zorn raubt mir die Sinne, bis ich in Blut baden will. Ich will es trinken, ich will es mir auf die Lippen schmieren, bis der Tod Teil meines Wesens geworden ist und mich ausfüllt. Bis er alles ist, was ich je kannte.

„Du musst mir nicht sagen, wie toll du ihn findest“, sage ich kalt. „Ich habe es gesehen. Du konntest deine Augen kaum von ihm lassen.“

Jeanne presst die Lippen aufeinander, als wolle sie sich selbst den Mund verbieten. „Das ist lächerlich“, faucht sie. „Willst du nicht wahrhaben, dass du geliebt wirst, oder begreifst du es einfach nicht?“

„Du trägst den Ring nicht“, werfe ich ihr vor. „Warum? Warum trägst du ihn nicht?“

„Du hast ihn mir nie erklärt!“

„Das beantwortet meine Frage nicht.“ Ich will die Felswände zum Einstürzen bringen. Ich will die Toten ihrer Ruhe berauben. Ich will eine Hölle in der Hölle erschaffen, die den Verrat vertilgt und mich leer zurücklässt. Leer und gelassen. Wie ich mich fühlte, bevor sie mich zu ihrer eigenen, dämonischen Marionette machte. „Was bedeutet es denn normalerweise, wenn man seiner Freundin einen Ring schenkt?“

Jeannes Augen beginnen zu funkeln. Mörderisch. „Normalerweise schleudert man ihn ihr nicht hinterher, weil man Schluss mit ihr gemacht hat!“, ruft sie. Adriana räuspert sich neben uns.

„Normalerweise sagt man seinem Freund, dass irgendetwas nicht stimmt, bevor man sich dem nächsten Typen an den Hals wirft.“

„Ich habe das für dich getan!“

Natürlich. Alles nur für mich. „Genau. Vielen Dank für deine Selbstlosigkeit und Nächstenliebe. Wo ist der Ring?“

Sie seufzt leise auf. „Ich habe ihn an die Verdammten verloren. Es tut mir leid. Wirklich.“ Verloren. Ein passendes Sinnbild.

„Nett, dass du mich beschützen wolltest. Als du dich deinem Alexander an den Hals geworfen hast, wollte ich dich bitten, mich zu heiraten“, lüge ich. Der Schmerz in ihren Augen sollte mir eine dunkle Form der Befriedigung schenken. Stattdessen reißt er alte Wunden auf. „Da wolltest du mich nicht mehr.“

„Du weißt, dass das nicht stimmt“, sagt Jeanne. Sie sieht mich nicht mehr an. Ich will ihr wehtun, bis sie reagiert. Ich will, dass sie etwas, irgendetwas tut, was ich ihr glauben kann. Wie könnte sie mich lieben, wenn ich ein Dämon bin und sie eine Getreue der Kirche? Jeanne hat ihre Seite gewählt. In der Sekunde, als sie beschloss eine Linie zwischen uns zu ziehen, obwohl wir aus dem gleichen Loch gekrochen sind.

„Weiß ich das wirklich?“, frage ich.

Tränen schimmern in ihren Augen. Sie nimmt mein Gesicht in beide Hände und küsst mich. Ich stoße sie von mir. „Raysiel“, haucht Jeanne. „Bitte.“ Erneut lehnt sie sich zu mir. Ich schiebe sie von mir und halte sie dort. Eine Armlänge Abstand. Ich will sie küssen, bis ich nicht mehr klar denken kann. Ich will mir beweisen, dass nichts hiervon real ist. Nichts hiervon von Belang. Wenn ich aufwache, ist sie die Person, in die ich mich verliebt habe. Zu keinem Zeitpunkt hat sie kalkuliert meine Fäden gezogen.

Wohin ich auch gehe, die Wahrheit wird bleiben. Und in ihr ist Jeanne nicht mein sicherer Hafen, sondern eine Chimäre, die mich den Monstern zum Fraß vorgeworfen hat.

Ich will sie küssen, bis ich verstehe, was vor sich geht. Die Tränen waschen klare Spuren auf ihre Wangen. Wäre sie doch tot geblieben. Wäre sie tot geblieben und hätte ihre Geheimnisse mit sich genommen. Ich hätte die Illusion, die sie mir gegeben hat, lieben können, bis es mich umbringt.

Jeanne zittert am ganzen Körper, bis ich sie an mich ziehe, aus Angst, dass sie andererseits zerbricht. Als sie mich dieses Mal küsst, spüre ich es nicht. Das Blut rauscht mir in den Ohren. Die kreuzförmige Narbe pulsiert auf meiner Brust. Und in der Hölle beginne ich Qualen zu verstehen.

2

Ein Räuspern reißt mich aus meinem persönlichen Fegefeuer. „Leute.“ Adrianas Wangen glühen rot. „Einige würden gern ankommen.“

Zumindest einer von uns wird nicht mit jeder Berührung tiefer sinken. Ich mache einen Schritt zurück. Jeanne rührt sich nicht. Ich habe verlernt, in ihren Augen zu lesen. Die Tränen haften an ihrem Kinn. „Lass uns gehen“, sage ich zu Adriana. Dunkle Schatten ziehen sich die Felswände hinauf, begleitet von Flammenflackern. Verzerrt verharren sie, die Münder zu einem ewigen Schrei aufgerissen. „Wie weit ist es noch?“, frage ich Jeanne. Ich nehme meine eigene Stimme kaum wahr. Jeanne zuckt die Achseln. „Zwei, drei Minuten?“ Hektische rote Flecken prangen auf ihren blassen Wangen. „Ich bin mir nicht sicher. Jeder Meter sieht aus wie der vorherige.“ In ihrer Stimme schwelt ein Unterton, den ich nicht greifen kann. Als sie versucht, meine Hand zu greifen, mache ich einen Schritt nach vorn und verschränke die Arme vor der Brust. Ihre Finger krampfen sich zu Fäusten.

Ewige Sekunden betrachtet Adriana uns, ehe sie vorangeht. Schatten huschen über ihr Gesicht, die nichts mit Casper oder der Hölle zu tun haben.

Ich folge ihr, ohne Jeanne eines weiteren Blickes zu würdigen. Wenn sie mich erneut berührt, wer weiß, vielleicht stoße ich sie die Felswände hinab. Dorthin zurück, wo sie hergekommen ist. Jeanne hat mich durch die Hölle geschickt. Eine Hölle, die für mich geschaffen wurde, von ihr auf mich zugeschnitten. Ich will das gleiche Leid in ihren Augen sehen.

Adriana öffnet den Mund.