Ich bin Du - Celina Weithaas - E-Book

Ich bin Du E-Book

Celina Weithaas

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Beschreibung

„Bin ich ein Rächer? Bin ich ein Märtyrer? Ein düsterer Messias?“ Jeder kannte seinen Namen. Sein Gesicht prangte auf jedem Titelblatt. Heute lebt Nathaniel im Schatten. Er ist das letzte verlorene Kind eines vergessenen Stadtteils. Als Nathaniel den Trümmern seines Lebens entflieht, läuft er dem Grauen Mann in die Arme. Der macht Nathaniel zu dem Rattenfänger von New York – einem gefürchteten und mythischen Mörder der Jüngsten und Wehrlosesten. Durch ihn droht Nathaniel zwischen dem Flehen seiner Opfer und den Überresten seines Gewissens schon bald jeden Traum zu verlieren, der jemals zählte.

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Seitenzahl: 262

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

EXUSIAI

Aria Karasaki,

ARCHAI

Part eins

Part zwei

Part drei

Part vier

Part fünf

Part sechs

Part sieben

Part acht

Part neun

Part zehn

Part elf

Part zwölf

Leseprobe

Danksagung

© 2025 Celina Weithaas

Umschlaggestaltung und Design: Franziska Wirth

Illustrationen: Janett Weithaas

Verlagslabel: Tredition

ISBN Softcover: 978-3-384-30738-5

ISBN E-Book: 978-3-384-30739-2

Druck und Distribution im Auftrag:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

Die Chroniken des Grauen Mannes

Phase I:

Die Poison-Trilogie:

Dark Poison (Oktober 2018)

Cold Poison (Januar 2019)

Dead Poison (September 2019)

Die Jahreszeitentrilogie:

Spring (31. Dezember 2019)

Fall (31. Dezember 2020)

Winter (31. Dezember 2021)

Phase II:

Die Märchendilogie:

Erzähl mir Märchen (05. November 2019)

Märchen für Dich (01. Mai 2020)

Die Mitternachtstrilogie:

Fünf Minuten vor Mitternacht (02. September 2020)

Zehn Sekunden vor Mitternacht (21. April. 2021)

Vor Mitternacht (13. Oktober 2021)

Die Dämonentrilogie:

Fürchte mich nicht (21. April 2022)

Vergiss mich nicht (02. September 2022)

Verlass mich nicht (01. Mai 2023)

Die Götterdämmerungstrilogie:

Götterdämmerung - Verschwörung (05. November 2023)

Götterdämmerung - Verlockung (01. Mai 2024)

Götterdämmerung - Verdammung (02. September 2024)

Die Ich-Bin-Trilogie:

Ich bin Du (21. April 2025)

Du bist Ich (13. Oktober 2025)

Wer ich bin (21. April 2026)

Phase III:

Die Geschichte des Grauen Mannes:

Die Geschichte des Grauen Mannes oder Komm mit mir nach Gestern (02. September 2026)

Chronicles of Kings and Queens:

Blutzoll (01. Mai 2027)

Blutangst (05. November 2027)

Blutrache (01. Mai 2028)

Blutdurst (02. September 2028)

Blutmond (21. April 2029)

Blut-Matt (13. Oktober 2029)

Phase IV:

Die Foscor-Trilogie:

Laufe (31. Dezember 2027)

Bleibe (31. Dezember 2028)

Vergesse (31. Dezember 2029)

Erinnere (31. Dezember 2030)

Verdamme (31. Dezember 2031)

Erwache (31. Dezember 2032)

Phase V:

Die Trilogie von Gottes Tod:

Von verblühender Unschuld (21. April 2030)

Von leidendem Verrat (02. September 2030)

Von verzweifelter Liebe (01. Mai. 2031)

Die Ewigkeitsdilogie:

Endlicher Triumph (13. Oktober 2031)

Triumphale Ewigkeit (01. Januar 2032)

Das Ende:

Nun, da es das Ende ist (31. Dezember 2032)

Für jeden Traum, der uns vergessen hat.

Vorwort

Nathaniel ist der Hüter der Träume – und ihr Todesengel.

In der Ich-Bin-Trilogie wagen wir uns vor in die Psyche eines Menschen, der sich, seine Hoffnungen und seine Träume aufgegeben hat und nur den Tod herbeisehnt. Seine Schuldgefühle machten ihn zum Mörder und dann zum Verräter an sich selbst.

Träume. Sie sind ein zweischneidiges Schwert – wie alles auf der Welt. Einigen Menschen verleihen sie Flügel und geben ihnen die Kraft, das Unmögliche zu erreichen.

Anderen Menschen hacken sie die Beine ab und lassen sie im Schlamm dem Silberstreif am Horizont entgegenkriechen, während der langsam verblasst.

Nathaniels Reise ist keine leichte.

Sie ist dunkel, lethargisch, hoffnungslos, zeitweise fast apathisch. Sie steigt in die Psyche eines schwerentrückten Mannes ein, der immer nur eines wollte: Märchen für Adeline.

EXUSIAI

Aria Karasaki,

niemand bittet einen Mörder um seine Geschichte. Man zerreißt sich das Maul, zerrt sein Bild auf die Titelseite seriösester Blätter und vergisst ihn, sobald das Gift jeden seiner Muskeln hat erstarren lassen, um seine Lungen in einen bewegungslosen Käfig zu sperren, in dem er gedankenlos darauf wartet, dass sein Herz versagt. Man zeigt sich gnädig, nicht wahr? Träufelt billige, keinem Hund würdige Betäubungsmittel in den Körper, das nach fünf Minuten seine Wirkung verlieren kann, aber spätestens nach einer Viertelstunde nutzlos wird. Nach fünf Minuten versagt niemandes Gehirn. Man lässt den mit Leder Angebundenen die Freude zurechnungsfähig und unter Schmerzen zu leiden.

Ob sie das verdient haben? Dieses Wissen? Die kommenden Qualen?

Zweifelsohne.

Aus genau diesem Grund hättest du mich niemals um diesen Gefallen bitten sollen. Wer weiß? Zum Schluss hält man mich noch für dich und dich für mich und Du bist Ich und Ich bin Du. Alles nur wegen ein paar kleiner Zettel, die durch deine Wohnung schwirren. Unsere Schrift ähnelt sich stark. Würde ich einen dieser Briefe an mich adressieren und dafür sorgen, dass du den unschuldsweißen Umschlag öffnest und den pokerspielenden Männern, die sich Vollzugsbeamte nennen, vor meiner Tür einen Hinweis geben, den niemand ignorieren kann, womöglich würde man dann die zweitgrößte Mörderin aller Zeiten fassen. Womöglich würde man dich in diese Zelle stecken und ich dürfte damit fortfahren Türen aufzubrechen, um den Toten ein wenig Leben in die Arme zu legen.

Du solltest rennen, Aria. Du solltest das tun, was ich jedem meiner Opfer geraten habe, bevor sie auf mein attraktives Gesicht hereinfielen und meine ausgestreckte Hand ergriffen. Verschwinde, solange du noch kannst. Ich bin des Mordens müde. Destotrotz würde ich nicht eine Sekunde zögern dich dir selbst zum Fraß vorzuwerfen. Schöne Frauen wie du sollten niemanden verteidigen. Sie müssen ihre Hände in Unschuld waschen und eine perfekte Familie vorgaukeln, deren Harmonie längst in scharfkantigen Scherben liegt.

Überleg es dir genau, Aria. Möchtest du mit einem Mann zusammenarbeiten, der deine Mühen nur zu schätzen weiß, um dich dreist zu strafen?

Sollte dir das Unmögliche gelingen, solltest du die Geschworenen von meiner Unschuld überzeugen, nachdem ich garantierte und vor Gott schwor, dass all dieses Blut an meinen Fingern klebt und ich das Vergießen nicht eine Sekunde bereut habe, wirst du zu meinem nächsten Opfer werden.

Die, die mich kennen, wünschen sich meinen Tod. Gibt dir das nicht zu denken? Dass die, die mir am nächsten stehen, auf den Termin meiner Hinrichtung warten und Beifall klatschen werden, sobald festgestellt wurde, dass mein Herz nicht länger schlägt?

Stell dich, Nathaniel. Du musst das nicht tun. All diese grausamen Taten, das bist doch nicht du. Du kannst zurück. Das haben sie mir gesagt. Ich kniete nicht vor den Gesetzeshütern und flehte sie an mir zu glauben, weil Freunde mich schickten, die nichts mehr lieben als das Geld, das ich aus dem Schmuck der getöteten Kinder gewinne. Ich kniete dort, weil ich es wollte.

Möchtest du wirklich einen Mörder retten, der in einem Anflug von Begreifen über seine eigenen Füße fiel in dem zerreißenden Wunsch, eine richtige Tat zu rühmen? Die Schlangen, denen nur ein Zahn gezogen wurde, das sind die gefährlichsten. Ihre Aggression, ihr Zorn, beides unvorhersehbar. Sie hacken nach dem Leben und holen es sich. Ihr Gift sprüht und sie versenken es in jeder Zelle und jedem Gewebe. Möchtest du die Maus sein, die ich todessteif verschlinge? Reicht dein Irrsinn noch einen Schritt weiter als mein eigener?

Du solltest mich fürchten, Aria. Nur, weil ich dir meine Opfer widmete, werde ich nicht vor dir zurückschrecken. Denn, es ist doch so, hole ich nicht dich, holst du mich und ich werde nicht die Frau füttern, für die ich stundenlang, tagelang Kinder strampeln und schlagen hörte, während sie sich durstend und selten erstickend auf den verwesenden Leichen der Vorfahren suhlten.

Du musst wissen, was ich getan habe? Warum wendest du dich nicht an die Geschworenen? An die Richter? Warum schlägst du nicht die nächste Zeitung auf? Ich sehe keinen tieferen Sinn darin dir mehr anzuvertrauen als all den anderen vor dir. Ich suche keine Entschuldigung für meine Taten. Es gefällt mir viel besser der Mann zu sein, der schuldig und verdorben verscharrt wird. Denn genau so sollte ich enden.

Wie der Vater so der Sohn.

Wenn ich an die Ursprünge meines Seins denke, habe ich einen winzigen, schattigen Raum vor Augen. Die Kartons türmten sich wellig bis unter die Decke und der Schimmel fraß sich über die alte Pappe. Ein muffiger Gestank lag in der Luft, der an die Lungen ging und sie von innen heraus zu zersetzen drohte, während die Sonne vor dem Fenster Halt machte und es nicht wagte den Raum zu betreten.

Inmitten des trostlosen Fleckens Hölle saß eine Puppe, geschenkt von einer reichen Frau, die glaubte durch Spielzeug und einen Teller warmes Essen die Welt retten zu können. Unschuldige Locken säumten das runde Puppengesicht mit den blauen Augen und dem kleinen rosa Mund und die Hände ruhten auf dem makellosen Spitzenkleid. Adeline hieß die Schwester, die dieses Wesen aus eisigem Porzellan und unheimlicher Perfektion mehr liebte als ihre Familie und mich. Sie wiegte die Puppe hin und her, kämmte zärtlich das Haar und hauchte Küsse auf die Stirn, die auch sie einst von ihrer Mutter empfing. Adeline versprach dieser leeren Hülle eine bessere Welt, eine schönere, eine, die auf Träumen blüht und durch Erfüllung wächst, bis sie einen umfängt wie eine schillernde Seifenblase und hinauf in den paradiesischen Himmel trägt. Regenbögen sollten sie beide umtanzen und die Gesänge der Engel sie an das wahrhaftige Glück erinnern.

An dem Tag, an dem ich geboren wurde, sprühte menschliches Blut über das unschuldige Puppengesicht, verklebte die Locken und schimmerte in dem ersten Sonnenstrahl, der sich je durch Staub, Nebel und Finsternis kämpfte, um uns beizustehen. Der winzige Raum schien in sich zusammenzusinken, als mörderische Hände abgeschlagen auf dem Tisch landeten und fröhlich zu Boden hüpften, ein letztes Mal krampfend in Adelines Richtung greifend, während ich ihn schmeckte. Den Menschen, den Tod. Ich verlor mich darin, während der Turm aus Kartons in sich zusammenbrach, fauliges Gemüse gemeinsam mit geöffneten Katzenfutterdosen hinausrollte und sich über dem einen Buch voll Märchen ergoss, das mir besagtes, reiches Mädchen schenkte. Das Buch, die Seiten voll leerer Worte und Versprechungen, verschwand unter Dreck und Müll. Ein schrumpeliger Apfel mit weißen Pocken rollte der Puppe zu Füßen und berührte die cremefarbenen Schuhchen, die Adeline mit einem Taschentuch täglich sauber putzte. Kein Staub sollte dort ansetzen, kein Krümel sich daran festfressen.

„Wenn ich einmal groß bin“, sagte Adeline stets, „will ich sie in den Armen halten und sehen, dass alles richtig ist.“ Ich glaube, was sie meinte, war, dass sie etwas besitzen möchte, das sie an die schönen Momente in einem Leben erinnert, das im Kern zu verwesen begann, da hatte sie noch nicht das Licht dieser grausamen Welt erblickt, die sich nur die Finger danach leckt Leid zu erfahren.

Adeline ließ ihre Puppe nie allein. Selbst als sie selbst das Leben aushauchte, kippte sie von mir fort zu ihrer Liebsten. Die kühlen, stets brav gefalteten Hände lagen ratlos auf dem blütenweißen Spitzenkleid, auf dem Blut blühte wie Blumen. Adeline lief es von den aufgesprungenen Lippen, sammelte sich neben ihrem Gesicht und verklebte ihre wirren, zerzausten Strähnen.

Als ich zu mir wurde und endlich erkannte, wer ich sein sollte, starrte ich mit puppenleerem Blick auf die abgeschlagenen Hände, die blubbernd und zitternd neben toter Nahrung lagen und langsam erstarben. Die Farbe wich aus ihnen, bis sie nur noch blau schimmerten und die leeren Venen sich schwarz verfärbten. Einst schwor ich mir niemals an diesen Ort zurückzukehren und die Leichen ruhen zu lassen. Doch es jagte mich. Dieses Bild, es raubte mir die Nächte und trieb mich aus dem Schlaf, bis ich aus einem duftenden Krankenhausbett kletterte und durch Nebel, Staub und Asche huschte, um diese Wohnung ein weiteres Mal zu betreten.

Diesen winzigen Raum.

Ich hätte nicht zurückkommen sollen. Die beiden Geschwister, die er nicht erschlug, hingen wie grausamste Leuchter von den Decken, mit dürren, sich ausdünnenden Stricken erdrosselt, die ihnen die Augen aus den Höhlen drückten und die Zunge anschwellen ließen, bis sie unförmig aus dem Mund hing. Sie zuckten nicht, sie rührten sich nicht, während der Mond von Wolken verschlungen und das einzige Licht in dem knackenden Bauch meiner Taschenlampe geboren wurde. Haare versuchten den entsetzten und gepeinigten Ausdruck in den jungen Gesichtern zu verschleiern, doch scheiterten sie mit jedem quälenden Lufthauch, der mit schmalen Händen das Antlitz des Furchtbaren freigab.

Ich erinnere mich an den Gestank. Er lag dicht und unwiderruflich über mir wie eine erstickende Decke. Mit den abgeschlagenen, farblosen und von Fliegen bevölkerten Händen meines Vaters schien er sich um meine Kehle zu krampfen, um auch mich zu holen. Süßlich war er, stechend und unvergesslich. Noch heute wache ich auf, starre an die Decke und frage mich, warum keine schwarzen und braunen Flecken sich darüber ziehen. Stinken tut es doch an jedem Ort wie in dem menschenunwürdigen Loch, in das man mich mit meiner Geburt warf.

Adeline lag ausgestreckt auf dem Boden. Die Wunde hatte ihren Schädelknochen freigelegt und letzte Blutgefäße malten ein grausiges Muster auf den hellen Knochen, der schlicht leuchtete in dem Licht der knisternden Taschenlampe. Adeline war meine Liebste. Sie wagte, was wir uns nicht trauten und sammelte Mut in absoluter Finsternis. Ihre Träume waren mächtiger als alles andere und zerplatzten gemeinsam mit ihrem Kopf. Der letzte Blick galt ihrer Puppe. Eine Erinnerung an eine reine, von Überfluss triefende Welt, die sie nie betreten durfte. Adeline griff selbst dann noch nach den Sternen, als sie verglühte, und ich liebte sie nie mehr als in diesem Moment. Niemals hätte sie gewollt, dass ihr Liebstes bei ihr bleibt, von Fliegen verschmutzt und von der Zeit zerrissen wird. Also nahm ich ihre Puppe an mich. Ich streichelte ihr über das eisige Gesicht und wusch ihr das Blut ab, säuberte das Haar und kämmte es. Beinahe fühlte es sich an, als würde Adeline in ihr leben. Liebkoste ich die Puppe, das kalte Stück Porzellan, liebkoste ich Adeline.

Ich halte sie in Ehren. Noch immer. Wie sollte man das letzte Stück Familie, das einem bleibt, gehen lassen?

Es trieb mich aus der Stadt hinaus, die für mich nichts bereithielt als pechschwarzen Kummer und Schmerz. Blut klebte an meinen Händen, sowohl das, was ich vergossen hatte, als auch das, was ich vergießen ließ. Ich nahm an, man würde mich weder vermissen noch suchen. Eine verlorene Seele lässt man gehen und vergisst sie schneller, als man sie wahrnimmt. Einen Jungen, der mit stur gehobenem Kinn und leisen Schritten durch die verpesteten Straßen schleicht, erwartet man sterbend auf dem Bordstein vorzufinden. Niemand würde sich um mich kümmern.

Dass das Gegenteil der Fall war, erleichterte mich nicht. Das reiche, verblendete Mädchen, die junge Frau, die in Diamanten baden könnte, wenn sie wollte, schloss mich fester in ihr Herz, als ich ihr zugetraut hätte. Wenn ich ehrlich bin, dann begann ich zu dieser Zeit zu glauben, sie sei mir ähnlich. Wir beide sind Menschen gefangen in unserer Realität und sind nicht gewillt, nicht wissend genug und nicht fähig, sie zu zerschlagen. Wir beide geben vor zu kämpfen, während wir längst auf Knien um Gnade flehen.

Dass Gleichgültigkeit nicht in Chronas Adern floss und Gnade und Hilfe für sie mehr sein sollten als leere Worte, lernte ich auf die harte Tour. Sie ließ mich suchen. Auf den Titelblättern jeder Zeitung prangte mein Gesicht, meine Augen sahen jenen, die mich verhöhnten, hasserfüllt entgegen, und ich war es, der die Leser selbst in ihren Träumen verfolgte, ohne je ihre Fährte aufgenommen zu haben. Ich fühlte mich gehetzt auf dem Weg aus der Stadt hinaus und durch das Land. Fände man mich, so wusste ich, würde man versuchen mich zu heilen. Man würde die Brüche genauestens untersuchen, die mir zugefügt wurden, man würde die Blutergüsse behandeln und meine gebrochene Nase richten. Die Stunden, die ich im Krankenhaus verbrachte, wurde nur das Nötigste getan. Neues Blut, weil ich mit Adeline zu viel davon verlor, Gipse und Schienen, die meine zertrümmerte, linke Seite wieder herstellen sollten. Man nahm an, Qualen wären mir fremd. Man vermutete, die Verletzungen müssten mich ans Bett fesseln.

Ich bin ein Parasit. Zertritt man einen Löwenzahn, dann wird er sich gekrümmt wieder aufrichten, mit der Zeit verblühen und seine Samen verstreuen, um mehr wie sich zu ziehen. Mehr Unnachgiebige. Mehr Mörderische, die in vergangenen Zeiten der Folter dienten und den Menschen spüren ließen, was es bedeutet, von der Natur gerichtet zu werden.

Ein Junge, der sich den Aufenthalt in einem noblen Zimmer mit Blick auf den Park leisten kann, hätte in meinem körperlichen Zustand keinen Finger mehr rühren können.

Ein Junge, dessen Rücken vernarbt ist von Gürtelhieben und dessen Zunge an der rechten Seite ein Stück fehlt, abgebissen nach einer Ohrfeige, die das Blut aus der Nase trieb, steht auf und geht. Er lässt alles zurück, um sich davon zu überzeugen, dass kein Albtraum zur Wirklichkeit wurde und er verschwindet, nur um sich in einem stinkenden Loch wiederzufinden, das er einst als Heimat betitelte.

Adelines Puppe folgte mir auf Schritt und Tritt. Ich hielt sie sicher, ich hielt sie warm und goss ein Regen hinab, der gleich der Sintflut die Straßen reinigen wollte und jedes Ungeziefer mit sich riss, so umklammerte ich sie und gab vor, Adelines Herzschlag zu lauschen.

In diesen ersten Tagen war ich nicht fähig loszulassen. Ein kleiner Junge, das war ich gewesen, ein Knabe, der naseweis durch die Gassen geschlendert war, wohlwissend, dass er nichts zu verlieren hatte, wurde nun eines Besseren belehrt. Hätte man mich Tage zuvor gefragt, ob ich alles geben würde für ein erträgliches Leben, wäre ich den Pakt mit dem Teufel eingegangen. Nicht eine Sekunde hätte ich in Betracht gezogen, dass Adeline Teil von dem Alles ist, das verlockend klingt, bis es einem den Boden unter den Füßen wegzieht.

Die Herrin über diese Stadt, reich und schön, würde mich nie gehen lassen. Die Polizei verfolgte mich und der Bürger sorgte sich. Sie würde mich nicht gehen lassen, aber jeden anderen, verhungernden Jungen mit einer sauberen, gepflegten Porzellanpuppe im Arm, der bei Regen Unterschlupf sucht. Diese Erkenntnis kam mir, während um mich herum die Welt im Unwetter unterging. Ich musste fort. Blieb ich, würde ich zu Adelines Schatten, der faulend und gurgelnd in den Gassen verhungert, um ein Leben zu beginnen, das es für ihn nicht gibt.

In den ersten Stunden, die der Regen nicht abreißen wollte und eisig kalt auf mich hinabprasselte, da wollte ich das Angebot der Königin der Mitternacht annehmen. Es verlangte mich danach an ihre Tür zu klopfen und einzugestehen, dass ich verloren hatte. In jeder Hinsicht. Mein Stolz war mir gestohlen, mein wertloses Leben in Blut ertrunken und mein Liebstes wandte sich im entscheidenden Moment von mir ab. Ich wollte laufen, zu ihr. Ich wollte greifen nach dem letzten Strohhalm, den man mir bot und ich wollte vorgeben, dass meine größte Niederlage der Beginn eines alles überstrahlenden Sieges sei.

Der Regen wusch das Kleid von Adelines Puppe zu oft. Ich konnte sie vor ihm nicht schützen und hoffte nur darauf, es trocknen zu dürfen, sobald Lichter und Wolkenkratzer weit hinter mir liegen. Das Heulen der Polizeisirenen entwickelte sich zu meiner eigenen Paranoia. Ich konnte nicht zurück. Jeder weitere Schritt in das Herz dieser Stadt hinein, würde mir vor Augen führen, was ich nicht verteidigen konnte. Also griff der Wahn mit dürren Fingern nach mir, erstickte meine verzweifelten Schreie mit eisigen Lippen und führte mich in eine Realität finsterer als alles, was ich mir erträumen konnte.

In dieser Realität war ich allein und keine Schwester wartete je auf mich. Was mir blieb waren Porzellan und Stoff und Locken, die den Geruch von Blut nicht gehen lassen wollten. Während im Regen rot und blau im Heulen der Verfolgung verschwammen, verlor ich das letzte Mal in meiner Existenz die Ruhe. Ich warf mich der Angst zum Fraß vor. Sich gierig über die Lippen leckend verspeiste sie mich und ließ nur ein wimmerndes, einsames Bündel zurück, das zitternd und für fremde Seelen betend nach Scherben griff und sie sich über das Gesicht zog, bis es zur Unkenntlichkeit entstellt war.

Mein Blut besudelte Adelines Puppe nicht. Sie beobachtete mich finster aus dunklen Augen. Versuchte sie mich daran zu erinnern, wie Adeline über mich geurteilt hätte, befänden wir uns im gleichen Raum? Hätte ich die nach Gewalt dürstende Bestie aufhalten können. Doch sie schlug zu, bis ich ihr die Hände vom Körper trennte und sie erschlug und erdrosselte und versuchte mich ebenso zu meucheln wie die vor mir.

Gewalt sei keine Lösung? Lebt man an einem Ort, den selbst die Sonne meidet, klebt man der unteren Mittelschicht an der Sohle wie ein benutzter Kaugummi, dann bleiben nur Schläge, um sich auszudrücken. Diese Gewissheit wird von Generation zu Generation weitergegeben. Vorausgesetzt man überlebt die von Alkohol befeuerte Raserei, die in dem Wirt der Verzweiflung zu einem Inferno heranwächst, der alles und jeden zerstört, lang genug, um Kinder zu zeugen. Am meisten zerstört die Verzweiflung den Befallenen selbst.

Adeline schien bei mir in der dunklen Gasse zu sitzen, während man mich suchte. Heim wollte man mich bringen, mir ein besseres Leben ermöglichen. Dass ich es nicht zurückwollen könnte, zog niemand für einen Wimpernschlag in Betracht. Lieber schneide ich mir die Haut vom Fleisch und kämpfe gegen Qualen, die den Verstand vernebeln und selbst die Angst untergraben, als zu einer dieser Personen zu werden, die Menschen wie mich von Natur aus unterdrückten. Zwischen Überfluss und Diamanten.

Der strömende Regen reinigte meine Wunden. Von einer blutig zerrenden und ziehenden Maske getarnt, brachte ich dieses Reich hinter mich. Eine Großstadt.

Dass Chrona Elizabeth Josephine Hel Clark mehr war als ich, stärker, offenbarte mir die Zeit. Hielt ich es für Lügen und schlichte Mundpropaganda, machte sie ihre Versprechungen wahr. Die Ghettos verschwanden, der Lebensstandard wurde gehoben. Erst kämpfte sie, die mit Abstand reichste Person der Geschichte und des Landes, gegen ihre eigenen Leute an, dann gegen das undankbare Volk und schlussendlich gegen die eigene Familie, die ihr lieber das Rückgrat durchtrennte, als ihre Gelder in Straßen fließen zu sehen oder in Münder, die verhungernd nach allem greifen, was sie kauen können. Erst führte sie diesen Krieg allein, dann mit Anton an der Seite.

Sie hätte schon Adeline zurückholen müssen, damit ich fähig wäre Chrona ihren Überfluss, ihr Geld und ihren Einfluss zu verzeihen. Die Zeit hätte in Chronas Händen liegen müssen, damit man mich von meinem Pfad hätte abbringen können. Ich erinnere Jahre später noch die Appelle, die sie in den Interviews an mich richtete. Häufig erwähnte sie meinen Namen oder den Jungen von der Straße.

Ich bin fest davon überzeugt, dass sie vom ersten Tag an wusste, wer die Kinder in den Särgen der Vorfahren strampeln und sterben ließ. Mag die Presse es nicht gesehen haben, ich erkannte Chronas Bitten.

Doch wie hätte ich jemals zurückkehren können? Mit der ersten versiegelten Gruft, dem ersten verschlossenen Brief, besaß ich eine Macht, von der Menschen nicht zu träumen wagen und wenn doch, ihrem eigenen Ehrgeiz erliegen.

Ob ich es bereue, dass ich damals nicht zu ihr lief, sondern mich dem Regen auslieferte, bis er jede Kraft aus mir heraus gespült hatte?

Nein. Nicht eine Sekunde. Das alles half mir zu erkennen, wer ich bin. Kein Junge von der Straße, kein Kämpfer, kein Märtyrer. Eine Seele, die sich nach den ersten Atemzügen verlor. In jedem Menschen ruht ein kaltherziger Mörder. Ich habe ihn befreit und genieße sein Leben jede Sekunde.

Zu Anfang wollte ich es Adeline gleichtun und sterben. Ich verzehrte mich danach, ein Bett unter den kräftigen Wurzeln eines Baumes zu finden und dort zu verharren, bis er mir die Lebenskraft entzieht. Das Zwitschern der Vögel und Rascheln von Tatzen auf Laub sollte mich in den Schlaf wiegen, während die Kälte mich umhüllte wie eine sichere Decke.

Doch Adelines Puppe, sie sah mir in die Augen, als wollte sie mir etwas mitteilen. Wäre meine Schwester nicht enttäuscht gewesen, hätte ich der Schwäche nachgegeben und nicht für sie weitergelebt? Adeline, sie war dem reichen Mädchen ähnlich. Sie hätte ihre Puppe genommen und jede Hilfe in sich aufgesogen, um daran zu wachsen und etwas aus ihrer Chance zu machen. Meine Traumblase war nicht wie Adelines. Sie wurde nie geboren. Sie war zerplatzt, bevor ich das Licht der Welt erblickte, und die Realität lässt keinen Raum für Hoffnungen und Mut. Verkrüppelt im Herzen sollte ich also aufstehen, ohne mir die Beine zu brechen? In dieser Verfassung sollte der kleine Junge zu einem düsteren Helden wachsen, der sich seinem Schicksal widersetzt und sich selbst errettet?

Die Puppe war es. Die Puppe hielt mich am Leben. Ich redete mir ein, wenn ich auf sie achtgebe, dann ist Adeline nie gestorben. Hüte ich dieses porzellanene Lächeln, wird Adeline zurückkommen und unversehrt mit mir durch die bemoosten Bäume wandern. Ich glaube noch immer daran, dass man Zerstörtes im Nachhinein zusammenfügen kann. Manchmal glaube ich, den Verstand verloren hin oder her, Adelines Gesicht in der Menge zu sehen. Erwachsen ist sie geworden, schön und sie steht an der Seite eines Mannes, der sie betrachtet wie sein wertvollstes Gut. Ein wahrer Prinz. Die Verkörperung ihres Traums. Dann erinnere ich mich an Adelines Blut und den aufgeschlagenen Schädel.

Manche Dinge heilt man nicht einmal dann, wenn man das Liebste und Teuerste des Menschen besser hütet als das eigene Leben.

Der Wald verschlang mich und machte mich zu seinem Sklaven. Ich lernte mich von seinen Früchten zu nähren und sein gutes Wasser von dem schlechten zu unterscheiden. Aus dem Jungen, der Ratten totschlug, wurde ein Wilder, der Eichhörnchen erlegte und Vögel über einem selbst errichteten Feuer briet. Es tat gut. Allem Bekannten fern zu sein. Zu wissen, dass das Leben am seidenen Faden hängt und für einen Moment nicht mehr zu sein als die Tiere, die ich jagte. In Bedeutungslosigkeit zu versinken hatte etwas Beruhigendes an sich. Dieses Wissen, dass, käme ich zurück, niemand mich erkennen würde. Das Gesicht hatte ich mir selbst genommen. Abgeschnitten und zerrissen in strömendem Regen, damit kein Mann, keine Frau mich in dem Jungen erkennen kann, der aus dummer Hoffnung heraus sich einer reichen Frau öffnete, die ihn hätte retten können.

Sehe ich zurück, weiß ich, dass ich Chrona Elizabeth Josephine Hel Clark genug bedeutet habe, damit sie aus mir einen wahren Menschen gemacht hätte. Sehe ich zurück, verspüre ich keine Reue. Wer wäre ich gewesen, hätte ich mich selbst verleugnet?

Nur ein weiterer Mann in einer Welt aus Glas und Gold.

Der Wald lockte aus mir, was ich war. Er zeigte mir meine Schattenseiten, während ich die Puppe hegte und pflegte. Das machte mich stolz. Zu wissen, wer ich bin.

Um zu begreifen, wer ich sein sollte, musste ich in die Zivilisation zurückkehren und mich denen stellen, die mich in den Abgrund getrieben hatten.

Die Zeit in den sicheren Armen des Waldes lehrte mich Ruhe. Als ich ihn Jahre später zurückließ mit gefrorenem Herzen und gestählten Körper, gebaren düstere Bäume und frostige Nächte ein Ungeheuer, das nach Blut dürstet und den Tod verlangte. Ich war kein Kind mehr. Die Reste des Jungen ließ ich zwischen Finsternis und Grün zurück. Irgendwo dort, gebettet unter kräftigen Wurzeln und behütet von huschenden Tieren, ruht er auf ewig, eingesperrt in eine weiche Strähne der zarten Porzellanpuppe. Meine verlorene Seele schien bittere Tränen zu weinen, als sie mich erkannte, verkommen und verdammt, wie ich mit zerschmetterten Knochen aus der Asche emporstieg. Die Hölle schien mir der Schatten statt am Leib zu haften und die Engel flüchteten von der Erde, kaum dass sie einen Blick auf mich warfen.

Einsamkeit und Verzweiflung schufen ein Ding, das den Titel Mensch nicht mehr verdiente. Meine Hände waren es von nun an gewöhnt zu töten und meine Zunge liebte den Geschmack von Blut. Als ich die ersten nebligen Sonnenstrahlen auf dem Gesicht spürte, die mich fernab von Geäst und Gestrüpp empfingen, dürstete es mich danach die Straßen rot zu tränken und die Städte dem Erdboden gleich zu machen.

Leid wollte ich lehren.

Verlust sollte man erfahren.

Ich verwarf den Gedanken. Man mag mir Seele und Herz geraubt haben, doch ließ man mir die Erinnerungen an eine Schwester, die ich mehr liebte als mich selbst. Die Sonne küsste mich und die Dunkelheit ließ von mir ab.

Auf mich wartete ein Kind, ein Mädchen, rein und zart wie der Frühling selbst, die Wangen wie die weichen Blätter einer Rose und die Augen blau wie der plätschernde Bach, der fröhlich glucksend über Stock und Stein sprang. Dieses war der erste Streich, doch der zweite folgt zugleich.

Er trug eine dicke Brille, das Gestell schwarz wie die Nacht und die Gläser breit genug, um sein halbes Gesicht zu verschlingen. Kein Liebespaar stand mir gegenüber, nicht zwei Menschen verbunden durch Freundschaft. Bruder und Schwester spielten hinter dem Haus im Garten, inhalierten den Duft des neuen Jahres und des frisch gefallenen Regens, der sich träge durch die Gräser grub, um sie zu nähren. Eine Spinne hatte neben mir ihr Netz gebaut, die feinen Fäden ausgeworfen und miteinander verknüpft. Eine tödliche Falle, die von den Insekten beäugt wurde wie die Kinder mich betrachteten.

Zwischen Tier und Pflanze verlor ich an Bedeutung. Man nahm Narben und Grimassen hin und ließ sie mich vergessen. Diese beiden, Bruder und Schwester wie Adeline und ich es hätten sein sollen, erinnerten mich an all das, was ich gegeben hatte, um zu überleben. Die Schmerzen im Gesicht verschwanden Tage nach dem an mir selbst verübten Massaker. Eine Taubheit war zurückgeblieben, die dem Winter die Brutalität nahm. Seit dieser regnerischen Nacht, in der ich wahllos mit Fingernägeln, Scherben und Steinen über meine Wangen, meine Stirn, mein Kinn fuhr, hatte ich daran nicht mehr zurückgedacht.

Nun drängte sich diese Gewissheit des Verbrechens an mir selbst zurück in mein Gedächtnis, zerriss das Vergessen mit mörderischen Klauen und grub Zähne hinein, die Tränen wollten.

Stünde Adeline vor mir, würde sie mich mit ähnlichem Entsetzen betrachten wie das Mädchen, das ihrer Puppe bis auf das Haar glich. Gedankenlos verriegelte ich jeden Rückweg, ließ mich von der Verzweiflung verschlingen, und nun, da sie mich wieder ausgespuckt hatte, stand ich mit dem Rücken an der Wand. Die Schatten könnten mich verbergen und tiefer in den Raum führen, doch befände ich mich unter Menschen, wäre ich doch nichts weiter als ein Sonderling, der grausame Phantasien hegt.

Das Mädchen, das mich an Adeline erinnerte, schrie auf. Die Spinne grub ihre Klauen in den zappelnden Körper einer Wespe und das Kind schrie und schrie, als wäre der Teufel ihr erschienen. Die Eltern warfen im Licht der blitzenden Kameras keinen Blick über ihre Schultern.

Ich rührte mich nicht. Der Bruder drängte sich vor sie, schob sie weg und machte sich bereit, sich mir zu stellen. Sein Leben für ihres. Er begriff die Kostbarkeit dieses Mädchens und brachte mich von meinen düsteren Plänen ab.

Der Geschmack von Blut mag mir bekannt sein, an diesem Tag dürstete ich nicht danach. Reich mögen die beiden gewesen sein, unversehrt und verzogen, doch sie lebten Adelines und mein Leben. Hätte ich das Mädchen getötet, wäre ein weiterer Mord an Adeline verübt worden.

Ich ging.

Einsam.

Verfolgt von Schreien, die mir ins Gedächtnis riefen, zu wem ich geworden war. Sie klangen hoch und durchdringend. Sie donnerten durch mich hindurch, folgten den Blitzen, die Hoffnung pulverisierten, der ich mir nicht bewusst gewesen war.

Hoffnung worauf, fragst du dich?

Wüsste ich es, so hätte ich sie erstochen, erdolcht, zersetzt und vergraben.

Doch diese Hoffnung lebt weiter, steht nur in den Sekunden auf, in denen man sie erneut zertrümmert, aber existiert.

Sobald du gegen mich plädierst, so bin ich mir sicher, wird diese Hoffnung ein weiteres Mal in einem Tränenmeer ertrinken, das ich niemals weinte. Könntest du mir sagen, was mich versucht zu halten, verspürte ich dir gegenüber ausreichend Dankbarkeit, um dich in dem unwahrscheinlichen Fall meiner Freilassung zu verschonen.

Niemanden möchte ich dringender sterben sehen als diesen Funken, der mir mehr Leid zufügte als alle Realitäten und Träume gemeinsam.