Verliebt in Venedig - Anne Mather - E-Book

Verliebt in Venedig E-Book

Anne Mather

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Beschreibung

Bella donna! Die Begegnung mit der hübschen Emma stellt die Welt des Conte Cesare Vidal auf den Kopf. Der adelige Lebemann führt nicht nur ein riskantes Doppelleben, das jeden in seiner Nähe in Gefahr bringt – er ist auch so gut wie verheiratet: mit Emmas Stiefmutter!

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IMPRESSUM

Verliebt in Venedig erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 1975 by Anne Mather Originaltitel: „Dark Venetian“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRABand 173 - 2000 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Susanne Tomaschewski

Umschlagsmotive: Diamond Dogs / Getty Images

Veröffentlicht im ePub Format in 7/2024

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751530491

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Leise stieg der Mann aus dem Wasser, sein schwarzer Neoprenanzug glänzte im blassen Mondlicht wie die Haut eines Seehundes. Einen Moment lang stand der Taucher reglos da und lauschte, doch das einzige Geräusch kam von den Wellen, die gegen den Bootsanleger schlugen. Nachdem der Mann einen letzten Blick in die unergründlichen Tiefen des Kanals geworfen hatte, suchte er Schutz in der Dunkelheit des gegenüberliegenden Lagerhauses.

Schwer atmend trat er hinter eine Palette mit Obstkisten, nahm die Taucherbrille ab und zog sich geschickt den Neoprenanzug aus. Innerhalb von Sekunden hatte er beides zu einem Bündel zusammengerollt und in einem Gitarrenkasten verstaut. Die Sauerstoffflaschen versteckte er hinter einigen Kartons. Schließlich streifte er sich sein Jackett über, band sich die Krawatte fest und öffnete dann, den Gitarrenkasten in der Hand, lautlos die Tür.

Nachdem sich der Mann vergewissert hatte, dass sich keine Menschenseele am Kai befand, verließ er das Gebäude, wobei seine dicken Kreppsohlen nicht das leiseste Geräusch auf den Betonplatten verursachten.

Der Conte Cesare Vidal kletterte geschmeidig aus der Gondel, bezahlte den Gondoliere und schlenderte lässig den Säulengang hinunter, der den privaten Bootssteg mit dem Innenhof des Palazzo Vidal verband.

Ein rosaroter Streifen am Horizont überzog die zahllosen Kuppeln der Paläste und die vielen Glockentürme der Stadt mit goldenem Schimmer. Ein neuer Tag brach an. Schon bald würden die Kanäle von Gondeln, Lastkähnen und Motorbooten nur so wimmeln, und die vaporetti, die Liniendampfer, würden Gäste vom Bahnhof über den Canal Grande zu ihren Luxushotels befördern.

Für den Conte war Venedig jedoch keine Touristenattraktion, sondern sein Zuhause. Obwohl der u-förmig gebaute Palazzo ziemlich heruntergekommen war, wirkte seine bröckelnde Fassade immer noch eindrucksvoll. Mit ihren typisch venezianischen Loggien, Rundbogenfenstern und Stuckverzierungen spiegelte sie den Wohlstand vergangener Generationen wider. Trotzdem wäre es möglich, diesen ehemaligen Glanz wiederherzustellen – wenn die Familie die finanziellen Mittel ihrer Vorfahren besessen hätte.

Eine eisenbeschlagene Tür führte in eine riesige, dunkle Halle, in deren Mitte ein gewundener Treppenaufgang zu der Galerie im ersten Stock lag. Hier befanden sich außer einigen Gäste- und Badezimmern und dem Küchentrakt die Wohnungen des Conte und seiner Großmutter, der verwitweten Contessa Francesca.

Die übrigen Gemächer des großen Palazzos wurden nicht bewohnt und waren der Feuchtigkeit und damit dem Verfall ausgesetzt. Gelegentlich überkam den Conte bei diesem Gedanken ein Anflug des Bedauerns. Doch er hatte nicht das Geld, die Zimmer instand zu setzen, es sei denn, er heiratete eine reiche Erbin – und das war sehr unwahrscheinlich.

Obwohl er keinerlei Schwierigkeiten hatte, Frauen kennenzulernen, hatte er bisher noch keine getroffen, deren Vermögen auch nur annähernd groß genug war, dass er es in Erwägung gezogen hätte, sein Junggesellendasein aufzugeben.

Eines Tages, das wusste er, würde er heiraten müssen, schon um einen Sohn zu zeugen, der den Familiennamen weiterführte. Die Bemühungen mancher eifriger Mütter, ihre Töchter mit einem Adligen zu verkuppeln, entlockten ihm jedoch nur ein müdes Lächeln. Warum sollte er eine Frau heiraten, wenn er sie auch ohne Trauschein haben konnte?

Die Contessa missbilligte seinen Lebenswandel zutiefst. Ihrer Meinung nach verbrachte ihr Enkel die Nächte in fragwürdiger Gesellschaft beim Glücksspiel, und er war daran gewöhnt, sich beim Frühstück Vorhaltungen machen lassen zu müssen.

Seine Eltern waren gestorben, als er erst achtzehn Jahre alt war. Von einem Tag auf den anderen war er nicht nur Waise, sondern auch als Conte Oberhaupt der Familie und Besitzer eines großen Vermögens geworden. Eines Vermögens, das ihm in den folgenden Jahren unter den Händen zerronnen war.

Doch das war Vergangenheit, und er hatte aus seinen Fehlern gelernt. Heutzutage machte sich der Conte Vidal keine Illusionen mehr über die Welt im Allgemeinen und die Frauen im Besonderen.

Durch einen kleinen Vorraum betrat er jetzt den sonnigen Salon, dessen Fenster einen atemberaubend schönen Blick auf einen Seitenarm des Canal Grande boten, der sich zwischen Palästen, Kirchen und berühmten Plätzen hindurchschlängelte.

Das geräumige Wohnzimmer mit dem hellen Teppichboden war in einer Mischung aus Alt und Neu eingerichtet. Bequeme Sessel und Sofas, bezogen mit zartgrünem Samt, boten einen reizvollen Kontrast zu den übrigen Möbeln aus dunklem Holz. Es gab mehrere Bücherregale, Glasvitrinen und einen Schreibtisch aus Mahagoni.

Eine Wand wurde beherrscht von einer lebensgroßen, antiken römischen Statue, während in einer Ecke eine Hightech-Musikanlage sowie ein supermoderner Fernseher standen. An dem ausziehbaren Tisch im Erker nahmen der Conte, wenn er zu Hause war, und seine Großmutter ihre Mahlzeiten ein.

Cesare lockerte seine Krawatte, während er über den Flur in sein Ankleidezimmer schlenderte. Er zog sich aus, duschte, ging in sein geräumiges Schlafzimmer hinüber und schlüpfte dann wohlig seufzend unter die weiche Decke des riesigen Himmelbettes.

Augenblicklich schlief er ein und wurde erst wach, als Anna, die Haushälterin, zusammen mit ihrem Mann Giulio das einzige Personal des Palazzos, geräuschvoll die Samtvorhänge zurückzog.

Er blinzelte ins helle Sonnenlicht. „Anna“, rief er erbost, „was tust du da?“

Klein, rund und stets gut gelaunt, lächelte Anna ihn fröhlich an. „Die Contessa will mit Ihnen reden“, erklärte sie resolut. „Sie muss etwas Wichtiges mit Ihnen besprechen und kann nicht länger warten.“

Cesare fuhr sich mit einer Hand durch sein kräftiges, dunkles Haar, schlug fluchend die Decke zurück und schwang die langen Beine über die Bettkante.

„Kaffee steht neben Ihnen auf dem Tisch“, fuhr Anna ungerührt fort. „Außerdem gibt es ofenwarme Croissants mit Butter. Möchten Sie sonst noch etwas, Signore?“

Er schüttelte den Kopf und goss sich Kaffee ein. „Liebe Anna, was sollte ich bloß ohne dich tun?“, fragte er dann spöttisch. „Du liest mir doch jeden Wunsch von den Augen ab!“

Trotz seiner ironischen Bemerkung sah er sie Abbitte leistend an. Liebevoll erwiderte die Haushälterin seinen Blick. Für sie war Cesare ein Gott.

Nachdem sie das Zimmer verlassen und er sich eine weitere Tasse Kaffee eingeschenkt hatte, zog er sich an, rasierte sich und war dann bereit, seiner Großmutter gegenüberzutreten.

Sie saß am Schreibtisch im Salon und war dabei, Briefe zu schreiben. Obwohl ihr zierlicher Körper stark unter Rheumatismus zu leiden und sie die Achtzig weit überschritten hatte, umgab die Contessa immer noch die Aura einer großen Dame. Diejenigen, die in ihre Nähe gerieten, mussten nach kurzer Zeit feststellen, dass sie trotz ihres Alters über einen scharfen Verstand und eine noch schärfere Zunge verfügte. Zwar verursachte ihr Enkelsohn ihr manche schlaflose Nacht, doch er war ihr das Wichtigste auf der Welt. Sein Glück und die Notwendigkeit, einen Erben zu zeugen, bedeutete ihr alles.

Als der Conte jetzt zu ihr trat, musterte sie ihn eindringlich. Ihre hellblauen Augen funkelten. „Nun, Cesare“, sagte sie bissig, „hast du dich doch endlich entschlossen, uns mit deiner Anwesenheit zu beehren?“

Er hob die Schultern. „Was kann denn so wichtig sein, Großmutter, dass du mich zu dieser frühen Morgenstunde aus dem Bett holen lässt?“

Wie vermutet, brachte diese Bemerkung die alte Dame in Zorn. „Es ist bereits nach elf!“, rief sie ärgerlich. „Wenn du dir die Nächte nicht, weiß der Himmel wo, um die Ohren schlagen würdest, bräuchtest du auch nicht bis mittags zu schlafen. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn ich plötzlich sterben sollte und du allein mit deinen Angelegenheiten fertig werden müsstest!“

„Danke, aber ich werde sehr gut mit meinen eigenen Angelegenheiten fertig!“ Der Conte ließ sich in einen Sessel fallen und griff nach einer Zeitung.

Die Contessa ballte die Hände zu Fäusten. „Hast du denn keinen Funken Ehrgefühl deiner Familie gegenüber im Bauch?“, rief sie erbost. „Bin ich dir denn vollkommen gleichgültig?“

Bestürzt ließ er die Zeitung sinken. „Also schön, Contessa! Was wolltest du mir sagen?“

Seine Großmutter erhob sich zu ihrer vollen Größe von stolzen 155 Zentimetern und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wir werden Gäste hier im Palazzo haben.“

„Was?“

„Ja, du hast richtig gehört.“ Francesca schien außerordentlich zufrieden darüber zu sein, dass sie nun seine volle Aufmerksamkeit besaß. Sie schwieg eine Weile, um die dramatische Wirkung ihrer Worte noch länger genießen zu können.

„Du wirst dich nicht mehr an Joanna Dawnay erinnern“, fuhr sie dann fort. „Wir waren Schulfreundinnen – damals in Paris.“

Der Conte begann sich zu langweilen. „Aha. Diese Frau kommt also her?“

„O nein! Joanna ist schon vor fünfzehn Jahren gestorben.“ Gedankenverloren spielte Francesca mit ihrer langen Perlenkette. „Joanna heiratete erst spät. Der Auserwählte war nicht gerade das, was man einen reichen Mann nennt. Als ihre Eltern starben, hinterließen sie sie völlig mittellos, also musste sie heiraten, um leben zu können. Joanna heiratete einen Pfarrer und zog mit ihm nach Südengland. Fünf Jahre später bekamen sie eine Tochter, Celeste, deren Patentante ich wurde.“

„Na, und?“

„Nach Joannas Tod“, fuhr sie fort, „schrieb mir Celeste gelegentlich, und so war ich über ihren weiteren Lebensweg stets auf dem Laufenden. Mit zwanzig Jahren heiratete sie einen wesentlich älteren Witwer namens Charles Maxwell, der ein Kind mit in die Ehe brachte. Als er zehn Jahre später starb, stand Celeste ohne Geld da, aber mit einer siebzehnjährigen Stieftochter.“

„Geld ist nicht alles“, warf Cesare träge ein. „Manche Menschen sind auch arm sehr glücklich.“

„Ach ja?“ Die Contessa sah ihn spöttisch an. „Ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet du so etwas sagen könntest. Mir scheint nämlich, dass du dein Geld zum Fenster hinauswirfst!“

Er lächelte. „Das ist meine Sache“, erwiderte er sanft, und nur ein sehr guter Beobachter hätte feststellen können, dass der Conte nur mühsam seinen Ärger im Zaum hielt.

„Nun gut. Um aber mit der Geschichte fortzufahren: Celeste ist eine praktisch veranlagte Frau. Sie übernahm die Verantwortung für sich und ihre Stieftochter, flog zu einem Besuch in die Vereinigten Staaten und heiratete dort zum zweiten Mal. Clifford Vaughan war ein schon älterer, schwerreicher Industrieller. Leider verstarb er bereits zwei Jahre nach der Hochzeit. Doch machte er wenigstens aus Celeste eine sehr wohlhabende Frau …“

„Wie anständig von ihm“, entgegnete Cesare bissig. „Und vermutlich hat sie ihn wahnsinnig geliebt?“

Die Contessa hob die Schultern. „Das bezweifle ich, aber es ist auch nicht von Bedeutung. Auch wenn sie ihn wegen seines Geldes heiratete … Ich bewundere Celeste. Sie ist eine Frau mit Verstand und Herz!“

„Ha!“, machte er. „Wie viel Herz besitzt jemand, der aus rein materiellen Gründen eine Ehe eingeht?“

Francesca lächelte. „Mein lieber Cesare, dies ist doch die einzige Art von Ehe, die du einzugehen gedenkst, oder nicht? Also wage es nicht, andere Leute zu kritisieren!“

Unvermittelt erhob er sich. „Das ist doch wohl etwas ganz anderes. Ich habe keineswegs vor, eine alte Schachtel zu heiraten, auch wenn sie Millionen besitzt!“

„Ja, du hast recht! So etwas solltest du auch nicht tun. Alte Schachteln können schließlich keine gesunden Söhne in die Welt setzten.“ Sie hielt kurz inne und sah ihn nachdenklich an. „Nein, Cesare“, verkündete sie dann, „du solltest Celeste Vaughan heiraten!“

Fassungslos starrte er seine Großmutter an.

2. KAPITEL

Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Celeste Vaughan, ihre Stiefmutter, von der sie so lange nichts gehört hatte, wollte sie nach Venedig mitnehmen!

Emma Maxwell hatte gerade eine schwere Grippe hinter sich und fühlte sich immer noch erschöpft, körperlich wie seelisch. Wahrscheinlich sollte sie Celeste dankbar sein, dass sie sie aus dem feuchten, selbst im Mai manchmal noch empfindlich kühlen England herausholen und mit ihr ins wärmere Italien fliegen wollte.

Aber irgendwie hatte Emma ein mulmiges Gefühl. Celeste tat niemals etwas, ohne eine ganz bestimmte Absicht damit zu verfolgen. Diesen Grund galt es nun herauszufinden.

Es war damals ein großer Schock für die kleine Emma gewesen, als ihr Vater eine Frau heiratete, die seine Tochter hätte sein können. Obwohl sie erst sieben Jahre alt gewesen war, konnte sie sich noch gut daran erinnern, wie sie sich geradezu hatte zwingen müssen, freundlich zu ihrer Stiefmutter zu sein.

Sie hätte sich die Mühe sparen können, denn Celeste hatte keine Zeit für kleine Mädchen. Kurz nach der Hochzeit überredete sie ihren Mann, Emma auf ein Internat zu schicken, obwohl sein Gehalt als Buchhalter kaum ausreichte, die Unterhaltskosten zu bezahlen.

Emma hatte es dort gut gefallen. Anders verhielt es sich mit den Ferien. Stets wurde sie zu verschiedenen Tanten und Cousinen geschickt und durfte die schulfreie Zeit erst dann wieder in ihrem Elternhaus verbringen, als sie alt genug dafür war, den Lebensrhythmus ihrer Stiefmutter nicht durch ihre Anwesenheit zu stören.

Zu Emmas großem Kummer erschien ihr ihr Vater bei jedem Besuch kleiner und blasser. Sie konnte nur vermuten, dass es Celestes ständige Forderungen nach Geld waren, die bewirkten, dass er förmlich dahinwelkte. Als Emma die letzte Klasse besuchte, starb er. Celeste nahm ihre Stieftochter sofort von der Schule, ohne dass diese einen Abschluss hätte machen dürfen.

Es stellte sich heraus, dass ihr Vater nichts hinterlassen hatte außer dem Haus, in dem Emma groß geworden war und das er natürlich Celeste vermachte. Diese teilte ihrer Stieftochter nach der Testamentseröffnung ohne Umschweife mit, dass sie es verkaufen würde. Emma sollte sich schnellstmöglich einen Job und eine andere Unterkunft suchen.

Celeste war dann in die Vereinigten Staaten gegangen, und Emma hatte nicht geglaubt, sie jemals wiederzusehen. Später bekam sie jedoch einen kurzen Brief, in dem ihre Stiefmutter sie davon in Kenntnis setzte, dass sie wieder geheiratet habe, und eine noch knappere Mitteilung über den Tod ihres zweiten Ehemannes mit der Bemerkung, dass er ihr ein Vermögen hinterlassen habe. Emma war weder sonderlich erfreut noch neidisch gewesen, es interessierte sie einfach nicht. Celeste war und blieb eine Fremde für sie.

Während ihrer anstrengenden Ausbildung zur Krankenschwester in einer Londoner Klinik hatte Emma beinahe überhaupt nicht mehr an Celeste gedacht, sondern sich nur an die ganz frühen Jahre ihrer Kindheit erinnert, wie schön es gewesen war, von liebevollen Eltern umsorgt zu werden. Mit den anderen Schwesternschülerinnen und Pflegern verband sie eine herzliche Freundschaft, das machte den Mangel an Familienleben wieder wett. Sie arbeitete hart, bekam überdurchschnittlich gute Noten und sah der Zukunft relativ gelassen ins Auge.

Doch vor sechs Wochen zog sie sich eine böse Grippe zu, mehrere Tage lang bestand sogar der Verdacht auf Lungenentzündung. Schließlich, als die Krise überwunden war, wurde Emma mit der Tatsache konfrontiert, dass sie noch längere Zeit viel zu schwach sein würde, um den Anforderungen eines hektischen Krankenhausalltags gewachsen zu sein.

Die Pflegedienstleiterin empfahl ihr dringend, sich einige Wochen beurlauben zu lassen. Vor allem müsse Emma aus der feuchten, abgasbeladenen Luft Londons heraus, am besten sei ein Klimawechsel.

Während sie noch überlegte, was sie nun tun sollte, war eines Tages plötzlich ein Eilbrief von Celeste aus den USA angekommen. Er enthielt die Einladung, zusammen einige Wochen lang Italien zu besuchen. Celeste würde am folgenden Tag in England eintreffen und erwartete Emma am Londoner Flughafen.

Zuerst war diese über den anmaßenden Ton des Schreibens ziemlich schockiert gewesen. Doch ihre desolate finanzielle Situation, verbunden mit der Neugier, was genau Celeste wohl im Sinn hatte, führte schließlich dazu, dass Emma einen Bus zum Airport nahm. Eine Weile später fand sie sich mit Celeste und einem wahren Berg von Koffern in einem Taxi wieder.

Celeste stieg natürlich im Luxushotel Savoy ab. Im Salon der Suite, die sie bezogen hatte, wiederholte Celeste ihre Einladung. Emma überlegte immer noch, wo wohl der Haken an der Sache sei. Schließlich konnte sich ihre Stiefmutter nicht über Nacht geändert haben, so entwaffnend charmant und mitfühlend sie jetzt auch mit ihr umging, oder? Weil sie aber sechs Wochen Urlaub und nichts anderes zu tun hatte, stimmte Emma zuletzt der Reise zu.

Celeste war entzückt und traf sofort Vorkehrungen für den Italienbesuch. Emma wurde von Kopf bis Fuß neu eingekleidet, damit sie als Tochter einer wohlhabenden Frau auch entsprechend angezogen war. Nachdem die Passformalitäten erledigt waren, brachen sie nach Venedig auf.

Dort, im First-Class-Hotel Danieli, blieb Emma weitgehend sich selbst überlassen. Während ihre Stiefmutter anderweitig beschäftigt war, unternahm Emma lange Spaziergänge in der schon sommerlich warmen Luft und besah sich einige der zahlreichen Sehenswürdigkeiten der Lagunenstadt.

Sie waren noch nicht einmal sechsunddreißig Stunden da, schon verkündete Celeste der völlig entgeisterten Emma, dass sie am kommenden Tag das Hotel verlassen und zukünftig in dem Palazzo ihrer Patentante, der Contessa Vidal, wohnen würden.

Während Emma noch vor einem Koffer hockte und versuchte, Ordnung in das wüste Durcheinander von Celestes Kleidungsstücken zu bringen, dachte sie abermals daran, was ihre Stiefmutter eigentlich bezweckte. Warum hatte sie sie eingeladen? Wenn sie sowieso vorhatte, bei der Contessa zu wohnen, wozu brauchte Celeste dann Emmas Gesellschaft? Und falls sie vorhatte, ihre Stieftochter als Dienstmädchen zu benutzen, wäre es weit billiger gewesen, dafür jemanden für die Dauer der Reise einzustellen. Allein Emmas neue Garderobe hatte ein kleines Vermögen gekostet!

Nein, Emma konnte einfach nicht daraus schlau werden. Ganz sicher waren es keine selbstlosen Gründe, dass sich Celeste so urplötzlich zu der alten Dame hingezogen fühlte. Hatte die Contessa vielleicht einen Sohn? War Celeste deshalb in den letzten Tagen so aufgeregt gewesen? Wollte sie jetzt, wo sie soviel Geld besaß, auch noch einen Adelstitel? Aber warum, um alles auf der Welt, hatte sie Emma mitgeschleppt?

Die Tür der Suite öffnete sich, und der Gegenstand ihrer Überlegungen betrat das Zimmer. Celeste strahlte nur so vor Tatkraft. „Emma“, meinte sie statt einer Begrüßung, „bist du mit dem Packen fertig?“

Emma erhob sich. Mit ihren 175 Zentimeter kam sie sich neben ihrer viel kleineren Stiefmutter immer wie eine Riesin vor. Dabei war sie jedoch sehr ansehnlich, die Magerkeit, die man häufig bei großen Frauen findet, fehlte ihr völlig. Ihre Figur wies an genau den richtigen Stellen weibliche Rundungen auf.

„Noch nicht ganz“, antwortete sie. „Hör mal, Celeste, willst du wirklich, dass ich mit dir im Palazzo wohne? Es ist doch sicher besser, ich suche mir eine billige Pension?“

Die Miene ihrer Stiefmutter wurde frostig, und sofort beschlich Emma wieder ein ungutes Gefühl. Sicher würde gleich ein Donnerwetter auf sie niederhageln.

„Natürlich wirst du mit mir kommen“, sagte Celeste lächelnd, ihr Blick war dabei jedoch eiskalt. „Wir sind beide eingeladen worden, also wirst du mich selbstverständlich dorthin begleiten!“

Emma hob die Schultern. „Und warum schließt die Einladung der Contessa auch mich mit ein?“, wollte sie wissen.

Celeste wedelte ungeduldig mit der Hand. „Du stellst zu viele Fragen!“, rief sie irritiert. „Wo ist mein zitronenfarbenes Chiffonkleid? Ich will es heute Abend tragen. Und morgen früh werden wir dann in den Palazzo umziehen.“ Sie wandte sich einem goldgerahmten Spiegel zu und betrachtete sich darin wohlwollend. „Übrigens, die Contessa kommt zum Dinner hierher, und du wirst uns Gesellschaft leisten.“

Seit ihrer Ankunft im Danieli hatte Emma die Mahlzeiten stets auf ihrem Zimmer eingenommen. Den Tisch unten im großen Speisesaal überließ sie gern ihrer Stiefmutter, die es genoss, dort allein zu dinieren, die geheimnisvolle junge Witwe zu spielen und alle Blicke auf sich zu ziehen.

Emma machte große Augen, sparte sich aber eine weitere Bemerkung. Langsam keimte ein Verdacht in ihr: Wollte Celeste etwa bei der Contessa den Eindruck erwecken, dass sie und ihre Stieftochter eine herzliche, innige Beziehung zueinander hegten? Wenn ja, warum? Konnte es sein, dass die alte Dame einfach voraussetzte, dass sich Celeste nach Charles Maxwells Tod natürlich weiterhin liebevoll um sie, Emma, kümmerte?

Es versetzte Emma einen schmerzhaften Stich, aber die Wahrheit war, dass Celeste in der Vergangenheit ihre Stieftochter als ein lästiges Übel angesehen hatte, dessen sie sich schnellstmöglich zu entledigen gedachte …

Am Abend trug Emma ein hellrosa Etuikleid aus Leinen, welches Celeste ausgesucht und das ein kleines Vermögen gekostet hatte, Emma jedoch überhaupt nicht stand. Zu ihrer hellen Haut und den blonden Haaren passten dunklere oder leuchtende Farben viel besser als Pastelltöne. In ihrem gegenwärtigen Gemütszustand kam sie nicht umhin zu vermuten, dass ihre Stiefmutter ganz bewusst gerade dieses Kleid gewählt hatte, um Emma nicht besonders attraktiv erscheinen zu lassen.

Gewiss, früher hatte sich Emma auch keine Designerklamotten leisten können, aber die Kleidungsstücke zu Hause in ihrem Schrank waren flott und passten zu ihrem sportlichen Typ. Niemals hatte sie sich darin unscheinbar oder gar minderwertig gefühlt.

Um Punkt acht Uhr trafen sie sich mit der Contessa unten im Hotelfoyer. Emma hatte noch nie jemanden gesehen, der so hoheitsvoll wie die Gräfin wirkte. Nachdem sie sich einander vorgestellt hatten und bei einem Aperitif saßen, wandte sich Francesca an Emma: „Nun, mein Kind, wie findest du diese plötzliche Wendung zum Guten?“

Emma sah fragend zu ihrer Stiefmutter und hob dann die Schultern. „Ich … eh, dies hier ist etwas ganz … anderes als das Krankenhaus“, meinte sie und fühlte sich sehr unbehaglich.

Celeste hatte ihre Hand auf Emmas Unterarm gelegt und drückte ihn nun warnend.

„Du warst im Krankenhaus?“ Die Contessa runzelte die Stirn.

„Ich bin …“, begann Emma, hielt dann jedoch inne, weil sich Celestes Griff schmerzhaft verstärkte.