Verlorene Seelen 13 - Verzwickte Freundschaft - Claudia Choate - E-Book

Verlorene Seelen 13 - Verzwickte Freundschaft E-Book

Claudia Choate

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Beschreibung

Der erste Kontakt zwischen der neuen Mitschülerin Gloria Braun, die mit ihrem Vater aus München in den kleinen, bayerischen Ort in der Nähe von Garmisch gezogen ist, und dem dort aufgewachsenen Henry Gordon, dessen Mutter den örtlichen Laden ihr Eigen nennt, verläuft nicht gerade optimal. Dennoch freunden sie sich an - doch immer wieder geraten die beiden aneinander. Auch Henrys rätselhafte Herzkrankheit treibt einen Keil zwischen die beiden Jugendlichen, bis die Beziehung ihrer Eltern plötzlich alles verändert und die Familie anfängt, zu begreifen, was Henrys Beschwerden verursacht, und ihn zu seinem merkwürdigen Verhalten treibt. Gemeinsam kämpfen sie dafür, dass der Junge gesund wird und sie alle ein neues Leben beginnen können.

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INHALTSVERZEICHNIS

Prolog

Schulbeginn

Neue Nachbarn

Absturz

Eifersucht

Wackelige Freundschaft

Aufklärungsgespräch

Kontaktaufnahme

Ein Stern mit vier Beinen

Der Wahrheit ein Stück näher

Versöhnung

Ein gebrochenes Herz

Erinnerungen

Ausflug zu Pferd

Elterntag

Zurück in den Alltag

Ein Junge verschwindet

Nächtlicher Einsatz

Müdigkeit

Aussprache

Das Fest der Liebe

Urlaub mit Hindernissen

Familienbande

Epilog

Danksagung

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PROLOG

Henry schnaufte ganz schön. Die Mittagshitze machte ihm mehr zu schaffen als er zugeben wollte. Erschöpft ließ er sich auf einen Felsblock sinken und versuchte, seine Atmung ein bisschen zu beruhigen, bevor er schließlich seinen Weg fortsetzte.

Sein Ziel war nicht mehr weit, nur noch ein paar hundert Meter über die Wiese, dann würde er es sehen können. Noch immer stand das einfache Holzkreuz neben der Fahrbahn. Noch immer stand das Lebenslicht daneben – doch es brannte nicht mehr. Das war auch der Grund, warum Henry den beschwerlichen Weg auf sich genommen hatte. Denn heute war es genau zwei Jahre her, als es bei ihnen zuhause an der Tür geklingelt und der Dorfpolizist und sein Kollege mit versteinerter Miene nach seiner Mutter gefragt hatten.

Henry war damals zwölf gewesen – alt genug, um zu begreifen, was der Polizist ihnen erzählte, aber viel zu jung, um es zu verstehen. Noch heute fragte er sich, warum. Warum war sein Vater zu spät von der Arbeit weggefahren? Warum hatte es auf der Autobahn diesen Unfall gegeben, der ihn zwang, über die Dörfer zu fahren? Und warum hatte der Bender-Schorsch so viel getrunken und war dann auch noch in seinen Wagen gestiegen?

All das waren unglückliche Zufälle gewesen, die dafür sorgten, dass William James Gordon an diesem Abend zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war – und das nicht einmal drei Kilometer von seinem Zuhause und seiner Familie entfernt. Die kurvige Straße war nur wenig befahren, doch sie hatte es in sich. William hatte noch versucht, dem Fahrzeug auszuweichen, das vollkommen unkontrolliert um eine Kurve geschossen war und ihn derart gerammt hatte, dass sein Wagen von der Straße katapultiert worden war und sich auf dem Abhang mehrfach überschlagen hatte.

Als die Retter eingetroffen waren, war es für den Familienvater bereits zu spät gewesen. Er hatte nur noch tot aus den Trümmern seines Wagens geborgen werden können. Auch der Unfallverursacher war verletzt worden, hatte jedoch wenige Wochen später das Krankenhaus wieder verlassen können. Er war später wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und fahrlässiger Tötung zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Doch auch das brachte Henry seinen Vater nicht zurück und bis heute konnte er nicht verstehen, warum es ausgerechnet ihn treffen musste.

William war ein wundervoller Vater und Ehemann gewesen. Er hatte einen gut bezahlten Job gehabt, relativ geregelte Arbeitszeiten und ein Herz aus Gold. An den Wochenenden war er mit Henry angeln gegangen, mit der Familie ins Museum oder zum gemeinsamen Picknick. Zusammen hatten sie im Garten ein Baumhaus gebaut und einen kleinen Teich mit Goldfischen angelegt, die sie liebevoll gepflegt hatten. Doch all das gehörte längst der Vergangenheit an. Das Haus hatte seine Mutter verkaufen müssen, als das Einkommen ihres Ehemannes wegbrach. Der Unfallgegner hatte keine Versicherung und kaum Geld gehabt, sodass sie von dieser Seite keine Unterstützung bekommen hatten. Der Wagen war zerstört gewesen, das Einkommen hatte gefehlt und das Loch in ihren Herzen hatte sich auch in ihrer Geldbörse ausgebreitet.

Bärbel Gordon, Henrys Mutter, war plötzlich ganz allein verantwortlich für ihr Leben und das ihres Kindes gewesen. Schweren Herzens hatte sie Haus und Grundstück verkauft, um die Schulden zu bezahlen und den Rest in eine kleine Wohnung zu investieren, in der sie und ihr Sohn leben konnten. Sie hatten sich zwar in der folgenden Zeit ein wenig einschränken müssen, doch inzwischen verdiente Bärbel mit ihrem kleinen Tante-Emma-Laden am Ende der Straße genug, um ihnen ein angenehmes Leben zu ermöglichen. Henry fehlte es an nichts, wenn man mal von seinem Vater absah.

Dennoch hatte er sich in den letzten zwei Jahren stark verändert. Aus dem früher so lebenslustigen, aktiven Jungen war ein Einzelgänger geworden. Er hatte nach dem Unfall aufgehört, mit seinen Freunden Fußball zu spielen, auf Bäume zu klettern oder im Wald verstecken zu spielen. Stattdessen war er oft stundenlang allein unterwegs, streifte durch die Wälder oder lag gedankenverloren auf einer der vielen Wiesen. Auch verbrachte er viel Zeit in seinem Zimmer, um zu lesen, zu lernen oder einfach nur nachzudenken.

Manchmal machte sich Bärbel ein wenig Sorgen um den Jungen, aber sie stand oft zehn Stunden täglich in ihrem Laden und da blieb es nicht aus, dass Henry auf sich allein gestellt war.

Endlich hatte er sein Ziel erreicht, holte das Lebenslicht aus seiner Tasche und zündete es an, bevor er es in die kleine Laterne stellte, die neben dem Holzkreuz stand. „Ach, Papa“, sagte er dabei leise. „Du fehlst mir so. Und Mama auch. Sie ist immer nur im Laden. Wenn sie nach Hause kommt, ist es meist Abend. Dann kümmert sie sich noch um die Wohnung oder die Wäsche und geht dann ins Bett. Früher war das anders. Da seid ihr ausgegangen, mal ins Kino oder zum Essen – oder wir haben einen Ausflug gemacht. Aber jetzt? Ich höre sie manchmal weinen, wenn ich im Bett liege, aber ich weiß nicht, wie ich ihr helfen soll. Bitte, Papa, hilf uns.“

Henry kniete neben dem Licht nieder und faltete die Hände. Dabei spürte er, wie das Hämmern in seiner Brust langsam ein wenig verebbte und sich die Enge löste, die ihm die Luft abschnüren wollte. Er war wirklich nicht mehr in Form, wenn ihn der kleine Fußmarsch so aus der Ruhe brachte. Früher war er stundenlang durch die Gegend gerannt – aber jetzt?

SCHULBEGINN

Die letzten Ferientage gingen vorüber und für Henry und die anderen Kinder aus dem Dorf ging der Ernst des Lebens wieder los. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Gleichaltrigen freute sich Henry sogar auf den Unterricht. Er ging gerne in ihre kleine Dorfschule und würde nun in die neunte Klasse kommen. Was sie wohl in diesem Jahr alles lernen würden? Ganz besonders freute er sich auf Mathematik, Physik und Chemie. Auf jeden Fall viel mehr als auf Sport, Musik oder Kunst. Im Singen war er eine komplette Null und ihm ein Musikinstrument beizubringen, hatten die Lehrer bereits vor Jahren aufgegeben. Ganz ähnlich ging es im Kunstunterricht: seine künstlerische Ader suchte die Kunstlehrerin bisher vergeblich und im Sportunterricht versuchte er sich irgendwie einfach durchzumogeln. Bisher hatte das ganz gut geklappt und er würde es auch weiterhin versuchen.

Schon früh am Morgen sprang Henry aus dem Bett, ging ins Bad und machte sich fertig. Sorgfältig prüfte er seine Schultasche, steckte noch ein Buch ein und machte sich anschließend auf den Weg in die Küche.

„Guten Morgen“, rief seine Mutter ihm zu, als er in die Küche trat und seine Tasche in der Ecke ablegte.

„Guten Morgen, Mam“, antwortete dieser und setzte sich zu seiner Mutter an den Frühstückstisch. „Wann kommst du denn heute Abend aus dem Laden?“

„Wie immer. So gegen sieben. Dein Mittagessen steht im Kühlschrank.“

Der Junge nickte, nahm sich eine Scheibe Toast und beschmierte sie mit Erdnussbutter. Nach dem Frühstück verließen beide gemeinsam das Haus und verabschiedeten sich. Während Bärbel in Richtung Laden davon ging, machte sich der Junge auf den Weg in die entgegengesetzte Richtung. Die Sonne schien und man konnte bereits zu dieser frühen Stunde spüren, dass es wieder ein heißer Tag werden würde.

Ein paar Häuser weiter blieb der Junge stehen. Er wusste, dass dieses Haus bis vor wenigen Tagen leer stand. Inzwischen hingen jedoch in den Fenstern Vorhänge und ein Auto parkte vor dem Haus – ein Geländewagen mit Münchner Kennzeichen. Neugierig warf er einen Blick auf das Gelände, konnte jedoch niemanden entdecken.

Als Henry weiterging, traf er seinen Klassenkameraden Maxi, begrüßte ihn kurz und sie gingen gemeinsam weiter. Die Schule war nicht sehr groß, doch allen, die dort unterrichtet wurden, gefiel sie. Sie war in einem alten Holzhaus untergebracht worden und bot Platz für insgesamt sechs Klassen – je eine pro Jahrgang. Nach der zehnten Klasse mussten die Schüler dann allerdings auf eine andere Schule wechseln. Der Unterricht wurde gemeinsam durchgeführt, da es weder genug Platz noch genug Lehrer für die verschiedenen Schulzweige gab. Allerdings wurden die Schüler je nach Zweig unterschiedlich benotet. Die Klassen waren klein genug, um den Unterricht individuell zu gestalten, sodass jeder das lernen konnte, was er für einen entsprechenden Abschluss benötigte. Allerdings gab es nur sehr wenige Schüler, die nach der Neunten mit einem Hauptschulabschluss die Schule verließen. Die meisten machten mindestens einen Realschulabschluss nach der zehnten Klasse.

Das Haus war schon ziemlich alt – einen elektrischen Pausengong gab es nicht, genauso wenig wie eine Lautsprecheranlage für Durchsagen. Nachrichten mussten persönlich vorgenommen werden, was bei der geringen Anzahl an Klassen jedoch nicht schwerfiel. Für Notfälle und auch für die Pausen gab es eine kleine, altmodische Glocke, die vor der Eingangstür hing. Diese wurde am Ende der Pause von einem der Schüler geläutet, der vorab dazu abgestellt wurde. Das machte den Schülern immer einen Mords-Spaß und sie rissen sich daher um diesen Job. Doch der Dienst wanderte wochenweise zu einer anderen Klasse und der Lehrer legte fest, welcher der Schüler wann drankam oder wer dieses Privileg unter Umständen entzogen bekam, weil er oder sie etwas angestellt hatte.

Kurz: es war eine kleine, gemütliche Dorfschule, deren Schulhof Henry wenig später in Begleitung seines Klassenkameraden betrat. Langsam füllte sich der Hof und überall bildeten sich kleinere Grüppchen, um sich gegenseitig von ihren Ferienerlebnissen zu erzählen. Henry lehnte sich an einen Baum und betrachtete das fröhliche Treiben. Überall wurde erzählt, wo man gewesen war, was man erlebt hatte oder welche unglaublichen Sehenswürdigkeiten man fotografieren konnte.

Henry hatte nichts zu erzählen. Er war die gesamten Ferien über zu Hause gewesen, hatte gelesen, war durch den Wald gestreift und hatte das Grab seines Vaters besucht, während seine Mutter arbeiten musste.

„Und du, Henry?“, fragte Tonia plötzlich und eine Gruppe Mädchen drehte sich erwartungsvoll zu ihm um. „Was hast du so getrieben in den Ferien? Wohin seid ihr denn gefahren?“

„Ich?“, fragte der Junge – überrascht, dass ihn jemand ansprach – und versuchte, seine Verlegenheit zu überspielen. „Ähm, ich… ich habe an einer Naturstudie teilgenommen. Mitten in der Pampa. War ganz lustig.“

„Ha!“, lachte es da hinter ihm und Henry wirbelte zu Bernd herum, der ebenfalls in ihre Klasse ging. Bernd war trotz des Unterschiedes von nur einem Jahr bereits einen guten Kopf größer als die meisten, ziemlich kräftig gebaut und dachte lieber mit den Fäusten als mit dem Kopf. „Lügner!“, beschuldigte er Henry nun. „Ich weiß vom Förster, dass du die ganzen Ferien im Wald herumgeschlichen bist. Von wegen Naturstudie irgendwo am Arsch der Welt. Zu Hause bist du gewesen – die ganzen Ferien über.“

Henry wurde rot, doch dann straffte er die Schultern. „Das sage ich doch!“, konterte er mit fester Stimme, drehte sich um und ließ die anderen einfach stehen. Verwirrt blickte Bernd ihm nach. Er war noch nie der schnellste, wenn es ums Denken ging.

Bis zum Beginn der ersten Stunde verkrümelte sich Henry in einer stillen Ecke. Erst, als der Direktor persönlich die kleine Glocke läutete, ging er hinter den anderen her in die Klasse und setzte sich auf seinen Stuhl. Die Doppeltische im Klassenzimmer standen so neben- und hintereinander, dass jeweils zwei Schüler oder Schülerinnen zusammensaßen. Neben Henry, Bernd und Maxi gab es noch vier weitere Jungen und insgesamt acht Mädchen in der Klasse. Darunter auch Tonia und ihre Freundinnen, die schnatternd in der hinteren Ecke standen, bis der Gong das zweite Mal ertönte und sie sich voneinander losrissen, um ihre Plätze einzunehmen.

Der Platz neben Henry blieb als einziger leer, aber das störte den Jungen nicht im Geringsten. Er blieb gerne für sich und brauchte niemanden, der ihn ablenkte oder von ihm abschrieb. Er wusste nicht, dass der Platz nicht lange leer bleiben würde.

Die Tür wurde geöffnet und ihr Klassenlehrer Herr Dr. Lehmann trat in den Raum. Sofort erhoben sich die Schüler und Schülerinnen von ihren Plätzen. „Guten Morgen“, grüßte der Lehrer freundlich.

„Guten Morgen, Herr Dr. Lehman“, kam es im Chor zurück.

„Bitte setzt euch.“

Henry bemerkte, dass Dr. Lehmann die Tür nicht geschlossen hatte und hinter ihm ein Mädchen in den Klassenraum trat. Er betrachtete es neugierig, genau wie die restlichen Schüler. Das Mädchen war braungebrannt und hatte lange, blonde Haare, die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren, blaue Augen und ein paar lustige Sommersprossen. Sie trug einen weiten, schwarzen Rock, der mit einem breiten, ebenfalls schwarzen Gürtel zusammengehalten wurde und die Taille betonte. Dazu trug sie Pumps und eine kurze, weiße Bluse. Sie war schlank und mochte etwa Henrys Größe haben.

Mit ihrem Outfit fiel sie vollkommen aus der Reihe, denn die meisten trugen kurze Jeans, bunte T-Shirts oder Hemden und dazu Sandalen oder Turnschuhe. Sie stand ein wenig unschlüssig in der Tür und wartete, was geschehen würde. Der Lehrer kam auf sie zu, zog die Tür zu und schob sie sanft in die Mitte des Zimmers. „Das ist eure neue Mitschülerin“, sagte nun Herr Dr. Lehmann. „Sie heißt Gloria Braun und ist vierzehn Jahre alt. Möchtest du ein bisschen was von dir erzählen, Gloria?“

Sie warf einen unschlüssigen Blick zwischen den neugierigen Gesichtern der Jugendlichen und dem Lehrer hin und her und schüttelte dann kaum merklich den Kopf. „Ich… nein, vielleicht lieber nicht.“ Ihre Stimme klang leise und schüchtern. Henry war sich nicht sicher, ob sie das nur vorspielte und einfach zu eingebildet war, um sich mit einfachen Dorfschülern abzugeben. Ihre Kleidung ließ darauf schließen, dass sie aus der Stadt kam. Vielleicht war sie ja gegen ihren Willen in diese Provinz gekommen und hielt sich für etwas Besseres, so, wie sie die Klasse gemustert hatte. Oder aber, sie war wirklich schüchtern und merkte gerade, dass sie mit dem langen, eleganten Rock wie ein Paradiesvogel wirkte.

„Na gut“, sagte der Lehrer gerade. „Das hat sicherlich auch noch etwas Zeit. Ihr werdet euch in den nächsten Tagen bestimmt besser kennenlernen. Gloria? Bitte setze dich erst einmal zu dem Jungen hier vorne. Das ist Henry Gordon. Er ist so alt wie du und wird dir sicherlich beim Einstieg in die Klasse helfen.“

Mit einem skeptischen Blick ging sie auf Henry zu. „Hallo“, grüßte sie leise und stellte ihre Tasche neben den Tisch.

„Hallo. Setz’ dich“, sagte Henry freundlich und schob den Stuhl ein wenig vom Tisch weg.

„Du wirst lachen, aber genau das hatte ich vor“, gab sie spitz zurück und setzte sich ohne ein weiteres Wort nieder, während Henry sie ungläubig anstarrte. Was hatte er ihr denn getan?“

Während des anschließenden Unterrichts war Henry mit seinen Gedanken nicht wirklich da, wo diese eigentlich sein sollten. Er starrte Gloria die ganze Zeit an und grübelte über allerlei nach, was nicht zum Unterricht gehörte. Plötzlich wurde er unsanft aus seinen Gedanken gerissen.

Seine Sitznachbarin stieß ihn in die Seite und fragte grob: „Was stierst du mich denn dauernd an? Schläfst du im Unterricht? Du bist übrigens dran.“

Erschrocken sprang der Junge auf und hätte dabei beinahe seinen Stuhl umgeworfen. Ein unterdrücktes Kichern ging durch den Raum. „Verzeihung, Herr Dr. Lehmann. Aber ich habe gerade nicht aufgepasst“, gab er mit roten Ohren zu.

„Das ist mir nicht entgangen, Henry“, gab der Lehrer streng zurück, doch dann lächelte er freundlich. „Aber nach den Ferien kann so etwas schon mal passieren, nicht wahr? Du sollst bitte an die Tafel kommen und die Aufgabe lösen.“

Erleichtert nickte der Junge, ging an die Tafel und ließ seinen Blick über die Mathe-Aufgabe schweifen. Sie bereitete ihm keinerlei Probleme und wenig später hatte er den Rechenweg an die Tafel geschrieben und konnte an seinen Platz zurückkehren.

Am Ende der Stunde kam der Lehrer noch einmal auf ihn zu. Henry glaubte schon, dass er ein ernstes Wort mit ihm reden wollte, und setzte zu einer Entschuldigung an. „Es tut mir leid…“

„Schwamm drüber, Henry. Ich kenne dich lange genug, um zu wissen, dass es eine Ausnahme ist, wenn du im Matheunterricht träumst. Also vergessen wir den kleinen Ausrutscher einfach mal. Es ist der erste Schultag und wir alle müssen uns erst wieder an die Routine gewöhnen, nach dem Sommer, richtig?“ Er lächelte freundlich. „Ich wollte dir nur sagen, dass du in der ersten Pause Glockendienst hast, Henry.“

„Danke, Herr Dr. Lehmann“, antwortete der Junge und der Lehrer meinte förmlich, den Stein von seinem Herzen poltern zu hören. Lächelnd wandte er sich ab und verschwand nach draußen.

Wie immer stand Henry während der Pause abseits an einer Mauer und beobachtete das Treiben auf dem Schulhof: Mädchen standen in Grüppchen zusammen und tuschelten; Jungs spielten Fußball oder Tischtennis und die jüngeren von ihnen liefen auf Stelzen herum oder liehen sich eines der kleinen Fahrzeuge aus. Er bemerkte Gloria, die einige Meter von ihm entfernt allein auf einer Bank saß und an ihrem Brot knabberte.

Entschlossen ging Henry auf sie zu. „Möchtest du nicht gerne die Glocke läuten?“

„Warum sollte ich?“, fragte sie grob und wandte den Blick ab.

Niedergeschlagen ging Henry zur Mauer zurück. Warum war sie nur so unhöflich? Er wollte doch nur nett sein und ihr den Einstieg in die Klasse erleichtern.

Für Glorias Unfreundlichkeit gab es eine einfache Erklärung. Sie war erst vor kurzem aufs Land gezogen. Bisher hatte sie in der Großstadt – nämlich in München – gelebt und war dort auf eine große Schule gegangen. In dieser Schule gab es strikte Trennung von Jungen und Mädchen – zumindest in ihrer Klasse war das so gewesen. Wenn sich Mädchen mit Jungs abgaben, wurden sie gleich als Flittchen bezeichnet, es wurde getuschelt und manchmal sogar gemobbt. Sie konnte nicht ahnen, dass es hier nicht so war…, dass in dieser Schule Jungen und Mädchen zusammen arbeiteten. Natürlich gab es auch hier Schüler, die dem anderen Geschlecht weitestgehend aus dem Weg gingen, doch das war eher die Ausnahme. Die meisten verstanden sich ganz gut. Auch Henry war früher ein fester Bestandteil dieser Gemeinschaft gewesen und hatte sich mit Jungen und Mädchen super verstanden. Doch seit dem Tod seines Vaters hatte er sich abgekapselt – sowohl von dem einen als auch dem anderen Geschlecht. Dass er versuchte, Gloria zu integrieren, war einzig und allein dem Umstand geschuldet, dass sie neu war und er ihr helfen wollte. Es hatte nichts damit zu tun, dass sie ein Mädchen war und er irgendetwas von ihr wollte. Doch das konnte Gloria nicht wissen. Sie dachte, er wollte sie vor allen bloßstellen, wie es in ihrer alten Schule bereits vorgekommen war. Sie musste zwar nicht gleich so unhöflich sein, doch sie wusste nicht, wie sie so etwas sonst aus dem Weg gehen sollte.

Eigentlich fand sie Henry ganz nett und es tat ihr wenig später leid, dass sie ihn so angefahren hatte. Sie beschloss, sich bei dem Jungen zu entschuldigen. Deshalb ging sie zu Henry hinüber und blieb ein wenig unschlüssig vor ihm stehen. Als dieser ihre Schritte bemerkte, blickte er auf und sah Gloria erstaunt an.

„Ich wollte mich entschuldigen“, sagte das Mädchen zögernd. „Es war nicht so gemeint. Verzeih’ mir bitte.“

Sie wollte sich schon umdrehen und wieder gehen, da hielt der Junge sie zögernd am Arm fest. Ein erfreutes Lächeln lag auf seinen Lippen. „Bitte bleib’. Vielleicht sollten wir einfach noch mal von vorne anfangen.“ Er stand auf, deutete eine winzige Verbeugung an und hielt ihr seine Hand hin. „Hallo, mein Name ist Henry. Und wie heißt du?“

Gloria kicherte leicht, ging aber auf das Spiel ein und ergriff seine Hand, während sie nun ihrerseits einen Knicks andeutete. „Mein Name ist Gloria.“

„Sehr erfreut, Gloria. Willkommen in unserer Dorfschule. Wo kommst du her?“

„Aus München“, gab sie Auskunft und ließ seine Hand wieder los. Gemeinsam setzten sie sich auf die Mauer.

„Wow“, machte Henry. „Aus der Großstadt? Ist bestimmt aufregend da. Auf jeden Fall mehr als bei uns. Vermisst du den Trubel?“

Das Mädchen zögerte einen Moment. „Also eigentlich nicht wirklich. Ich meine… München ist eine tolle Stadt, wenn du weggehen willst, shoppen oder so. Aber wenn ich ehrlich bin, stehe ich da nicht so wirklich drauf.“

Henry musterte sie mit einem skeptischen Blick. Sie folgte diesem Blick und konnte sich denken, was ihm gerade durch den Kopf ging. Sofort sprang sie auf, schüttelte die blonden Haare nach hinten und funkelte ihn an. „Gib’s zu! Du hältst mich auch für so ’ne verwöhnte Großstadtgöre, stimmt’s?“ Bevor Henry reagieren konnte, stapfte sie davon.

Henry rappelte sich hoch. ‚Idiot!', dachte er. ‚Was hast du nun wieder angestellt?' Schnell lief er hinter Gloria her und berührte sie erneut am Arm. Sie wirbelte herum, als wenn er einen Böller hinter ihr abgeschossen hätte. Zu Henrys Entsetzen hatte sie Tränen in den Augen. „Gloria, es tut mir leid. Ich wollte nicht… ich dachte nur… weißt du, ich war noch nie in München. Das größte, was ich kenne, ist Garmisch. Es tut mir leid, wenn ich dir wehgetan habe.“

„Aber du hast ja Recht“, gab sie traurig zu.

„Womit?“ Henry war verblüfft.

„Na ja, wir sind wirklich nicht gerade arm und ich komme nun mal aus der Großstadt. Und ja, dort ist man so zur Schule gegangen.“ Sie machte eine Handbewegung über ihren Rock. „Ich konnte nicht wissen, dass es hier anders ist. Dabei hätte ich heute Morgen viel lieber Shorts und eine einfache Bluse angezogen. Ich fühle mich total unwohl in diesen Klamotten.“

„Dann ziehst du eben morgen das an, worin du dich wohl fühlst. Okay?“ Henry lächelte aufmunternd. Dabei fiel sein Blick auf die große Uhr am Schulgebäude. „Oh, verdammt. Komm’ mit!“ Schnell griff er ihre Hand und zog das Mädchen hinter sich her zur Glocke. Dort deutete er auf den Strick, der am Glockenklöppel befestigt war. „Nun mach’ schon, sonst kommen wir zu spät zum Unterricht.“

Zögernd griff das Mädchen zu und läutete die Glocke. Ihr Gesicht hellte sich auf bei ihrem Klang und sie nickte Henry dankbar zu. Zufrieden gingen sie zurück in ihre Klasse.

In der zweiten Pause hatte Henry keine Gelegenheit, sich weiter mit Gloria zu unterhalten. Als sie nach draußen gingen, wurde sie von einigen Mitschülerinnen umringt, die nun ebenfalls Interesse an ihr zeigten, und das Mädchen verschwand in einer Traube aus Schülerinnen. Henry machte das nichts aus. Er war es gewohnt, allein zu sein, und meistens fühlte er sich dabei auch ganz gut. Aber irgendwie war er doch neugierig geworden und würde gerne mehr über die Neue erfahren. Sie kam aus einer Welt, die Henry nicht kannte, und es interessierte ihn einfach, wie es in der Großstadt so zuging. Zu gerne würde er sie mal sehen, auch wenn er sich fast sicher war, dass er danach liebend gerne in ihr kleines, idyllisches Dorf zurückkehren würde. Aber neugierig war er trotzdem.

Nach der Schule machte er sich allein auf den Nach-Hause-Weg und dachte darüber nach, was sie heute durchgenommen hatten. Dabei kam er auch an dem Haus vorbei, das erst seit kurzem bewohnt war. Es lag verlassen da. Niemand war zu sehen und der Wagen, der am Morgen noch vor der Tür gestanden hatte, war verschwunden. ‚Moment mal‘, dachte Henry plötzlich. ‚Hat Gloria nicht gesagt, sie käme aus München? Der Wagen heute Morgen hatte doch auch ein Münchner Kennzeichen. Ob Gloria wohl hier wohnt?' Möglich wäre es ja. Sie hatte gesagt, sie wäre neu zugezogen und dieses Haus war erst seit kurzem wieder bewohnt.

Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Etwas bohrte sich in sein Herz, als er sich vorstellte, dass Gloria nun in seinem Zimmer wohnte, dass sie die Nachmittage an dem Teich saß, den er und sein Vater angelegt hatten. Denn das Haus, um das es ging, war das Haus, in dem Henry noch vor gut zwei Jahren mit seiner Mutter und seinem Vater gewohnt hatte und welches seine Mutter nach dem Tod seines Vaters hatte verkaufen müssen.

Während er noch auf das Haus starrte, bog Gloria um die Ecke und kam langsam auf ihn zu. Er schien sie gar nicht zu bemerken, bis sie neben ihm anhielt und sich räusperte. „Warum starrst du denn unser Haus so an? Hast du ein Gespenst gesehen?“ Sie lachte amüsiert, verstummte jedoch sofort, als er ihr einen wütenden Blick zuwarf.

Seine Augen blitzten, ob vor Trauer oder Zorn vermochte sie nicht zu unterscheiden. „Lass’ mich in Frieden! Verschwinde einfach!“, brüllte er sie an, drehte auf dem Absatz um und rannte in Richtung Wald davon.

Gloria starrte ihm ein paar Sekunden nach, zu geschockt, um sich zu rühren. Dann ging sie zum Haus und schloss die Tür auf. Als sie sich noch einmal umdrehte, war der Junge verschwunden. Traurig betrat sie das Haus und lehnte sich gegen die Tür. Was war nur in diesen Jungen gefahren? Erst war er nett und freundlich und nun fuhr er sie an, als wenn sie ihm das liebste genommen hätte, was er besaß. Ob er wohl eifersüchtig war, weil sie sich in der zweiten Pause mit den Mädels unterhalten hatte? Aber warum sollte er? Sie hatte das Recht, sich zu unterhalten, mit wem auch immer sie wollte.

Während Gloria noch darüber nachdachte, was sie getan hatte, um Henry derart vor den Kopf zu stoßen, dass er sie anbrüllte, rannte der Junge in den Wald hinein. Doch weit kam er nicht. Kurz hinter den ersten Bäumen fuhr ihm ein stechender Schmerz in die Brust. Er ließ seine Tasche fallen, griff sich mit den Händen an die Brust und stürzte auf den weichen Waldboden. Dort blieb er liegen, mit schmerzverzerrtem Gesicht, schwer atmend und einem rasenden Herzschlag, den er deutlich in seinem Kopf hören konnte. Er fühlte sich wie gelähmt, war weder in der Lage, nach Hilfe zu rufen, noch sich irgendwie zu bewegen.

Henry kam es vor wie Stunden, bis sich sein Herzschlag endlich etwas normalisierte und das Stechen schwächer wurde. Schließlich bekam er wieder normal Luft, setzte sich vorsichtig auf und atmete mehrfach tief durch. Was immer da gerade passiert war, es hatte ihm Angst gemacht – Todesangst. Doch jetzt war wieder alles wie immer. Was war da gerade geschehen?

Er wartete noch eine Weile und versuchte dann, aufzustehen. Seine Beine zitterten noch leicht, doch sie hielten. Langsam und vorsichtig machte er sich auf den Heimweg. Als er dort ankam, legte er die Tasche zur Seite und ließ sich auf sein Bett fallen. Er war erschöpft und müde und es dauerte nicht lange, bis er einschlief.

Ein Geräusch ließ ihn hochschrecken und er musste sich kurz orientieren, wo er war. „Ich bin zu Hause, Schatz!“, rief seine Mutter von der Tür her. „Bist du da?“

„Ja, Mam. Ich komme gleich!“, rief er zurück. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es bereits kurz nach sieben war. Schnell warf er ein paar Schulsachen auf den Schreibtisch, öffnete daneben sein Mäppchen und warf einen Blick in den Spiegel, um sich die Haare, die vom Schlaf ein wenig verwuschelt waren, zu richten. Er wollte nicht, dass seine Mutter sich Sorgen machte, wenn sie erfuhr, dass er den Nachmittag verschlafen hatte. Anschließend ging er auf den Flur und fand seine Mutter in der Küche vor. „Hallo, Mam. Wie war dein Tag?“

„Ganz gut. Und bei dir? Wie war der erste Schultag? Habt ihr neue Lehrer bekommen?“

„Nicht wirklich. Nur eine neue Schülerin“, antwortete er mit wenig Begeisterung.

„Ach ja? Das muss dann wohl Gloria sein. Die Tochter unseres neuen Nachbarn. Ist sie in deiner Klasse?“

„Ja, aber woher weißt du ihren Namen?“

„Weil ihr Vater heute Morgen bei mir im Laden war. Netter Mann. Er ist der neue Tierarzt – der alte ist doch in Rente gegangen. Er hat mir erzählt, dass seine Tochter heute ihren ersten Schultag hat. Sie muss etwa in deinem Alter sein.“

„Ja, ist sie, Mam. – Kann ich dir etwas helfen?“, fragte Henry, um seine Mutter von diesem Thema abzubringen.

„Gerne“, antwortete die Mutter und öffnete den Kühlschrank. „Was ist denn das? Hast du dir heute Mittag gar nichts warm gemacht.“

„Ähm, nein. Ich… ich hatte keinen Hunger. Tut mir leid, Mam. Ich esse es morgen.“

„Junge, du musst essen. Vor allem, wenn du in die Schule gehst. Lernen ist anstrengend.“

„Keine Angst, Mam. Ich werde schon nicht zusammenklappen“, lachte der Sohn, doch plötzlich verlosch sein Grinsen, als er an die Situation im Wald dachte. Schnell drehte er sich weg und holte einen Topf aus dem Schrank, damit seine Mutter sein Gesicht nicht sehen konnte.

Nach dem gemeinsamen Essen half Henry beim Abräumen und Saubermachen. „Setzt du dich noch ein bisschen zu mir auf die Couch?“, fragte seine Mutter anschließend.

„Nein, Mam. Tut mir leid. Aber ich muss noch was für die Schule machen. Bin noch nicht ganz fertig geworden.“

„Na gut. Aber geh’ nicht zu spät ins Bett, ja?“

„Nein, bestimmt nicht“, lachte der Junge scheinbar ungezwungen, gab seiner Mutter einen Gute-Nacht-Kuss und verschwand in seinem Zimmer. Glücklicherweise hatten sie am ersten Tag noch nicht ganz so viel aufbekommen, sodass es nicht sehr lange dauerte, bis er alles erledigt hatte und sich fürs Bett fertig machte. Trotz der Tatsache, dass er den ganzen Nachmittag verschlafen hatte, war er genauso müde wie sonst, als er sich ins Bett legte. Er las nur noch ein paar wenige Seiten in einem Buch und löschte dann das Licht. Im Halbschlaf hörte er noch, wie seine Mutter ebenfalls ins Bett ging. In dieser Nacht träumte er seit langem wieder von dem Unfall seines Vaters. Obwohl er ihn nicht gesehen oder gar erlebt hatte, hatte er aufgrund der Bilder vom Unfallort und der Gerichtsverhandlung eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was geschehen war. Den Rest hatte sich sein Gehirn zusammengesponnen und ließ die Bilder wie eine wirkliche Erinnerung erscheinen. Schweißgebadet wachte er mitten in der Nacht auf und konnte lange nicht wieder einschlafen. Entsprechend müde wirkte er am nächsten Morgen, als er zum Frühstück in die Küche kam.

„Geht es dir nicht gut, mein Junge?“, fragte seine Mutter überrascht, als sie sein Gesicht erblickte.

„Doch, alles okay“, log Henry. „Ich habe nur schlecht geschlafen. Das ist alles.“

NEUE NACHBARN

Gloria wunderte sich ein wenig darüber, dass Henry ihr aus dem Weg zu gehen schien. Vielleicht hatte sie ja doch Recht und hier war es auch nicht anders als in München. Ihr Sitznachbar gab ihr zwar Auskunft, wenn sie eine Frage hatte, darüber hinaus sprach er jedoch kein Wort mit ihr. Von seiner Freundlichkeit und Fürsorge am ersten Tag war nichts mehr zu spüren.

Gloria hielt sich daher an die Mädchen, auch wenn sie mit denen nicht so recht warm werden wollte. Doch sie versuchte einfach, das ungute Gefühl zu verdrängen und war ganz froh, wenigstens in den Pausen nicht immer allein zu stehen.

„Bin mal gespannt, welche Ausrede Henry heute wieder findet“, sagte Tonia am Donnerstag in der zweiten Pause zu ihren Freundinnen.

„Ausrede?“, fragte Gloria. „Was meinst du damit?“

Tonia lachte. „Ach ja, das weißt du ja noch gar nicht. Sieh’ mal, Henry ist ein wenig... speziell. Er kann supernett sein und hilfsbereit... und dann guckt er dich mit dem Arsch nicht an oder tickt total aus.“

Gloria nickte verstehend – davon konnte sie auch ein Lied singen. „Ja, ich weiß. Aber was hat es mit den Ausreden auf sich? Wir haben doch nur noch Sport.“

„Eben drum“, gab Katie zurück und Tonia erklärte:

„Heute ist Ausdauertraining angesetzt. Das hat mir Herr Lindner gesteckt.“

„Wer ist Herr Lindner?“, fragte Gloria, da sie diesen Lehrer noch nicht kannte.

„Unser Sport-Guru. Super Typ, umwerfender Body. Sieht aus wie ein Model und ist total korrekt“, schwärmte Tonia, woraufhin Gloria kicherte.

„Und was hat das nun mit Henry zu tun?“

„Ach so, ja. Also, immer, wenn wir Joggen gehen oder Ausdauertraining machen oder ähnliches, findet Henry eine Ausrede, warum er nicht mitmachen kann: Kopfschmerzen, plötzliche Übelkeit oder spontane Verletzungen. Du wirst schon sehen. Bestimmt passiert heute wieder was.“

„Aber wieso will er denn nicht mitmachen?“, fragte Gloria verwundert. „Er ist doch ein guter Läufer. Ich habe ihn am Montag gesehen, wie er in den Wald gerannt ist. Also ich hätte ihn nicht einholen können.“

„Tja, das ist die Preisfrage. Aber wir haben keine Ahnung. Früher war er nicht so – erst seit vorletztem Winter.“

„Habt ihr ihn denn mal darauf angesprochen?“

„Nee, wieso denn?“, fragte Tonia. „Ist doch seine Sache, wenn er schwänzt.“

„Na, wenn ihr meint“, gab Gloria zurück, nahm sich aber vor, ihn darauf anzusprechen, wenn sich ihr eine Gelegenheit dazu bot.

Nach der Pause zogen sich die Mädchen um und trafen dann in der Sporthalle auf Herrn Lindner, der zwar ein fertig ausgebildeter Lehrer war, jedoch aussah, als wenn er selbst gerade erst die Schule abgeschlossen hätte. Gloria fand ihn sofort sympathisch, auch wenn sie nicht gleich ins Schwärmen geriet wie ihre Klassenkameradinnen. Der Lehrer hatte bereits einen Parcours aufgebaut und nachdem alle umgezogen waren, klärte er sie über die einzelnen Stationen auf. Es gab Liegestütze, Sit-ups, Bänke zum darüber springen und noch einige andere Stationen.

Henry betrachtete die einzelnen Aufgaben skeptisch, reihte sich mit den anderen ein und begann mit dem Training. Doch bereits nach dem Aufwärmtraining merkte er, wie er nach Luft schnappen musste, versuchte dies jedoch so gut es ging zu verbergen. Der Schmerz kam bei den Liegestützen, wodurch Henrys Arme ohne Vorwarnung zusammenklappten und er mit dem Gesicht auf den Hallenboden knallte. Für einen kurzen Moment blieb er liegen, während Herr Lindner zu ihm eilte.

„Henry? Was ist passiert?“

„Ich... ich weiß nicht. Bin wohl mit dem Handgelenk umgeknickt. Es geht schon wie...“ Er hatte versucht, sich aufzurichten, bemerkte dabei das Blut, das ihm aus der Nase tropfte und brach mitten im Satz ab.

„Komm’, wir gehen erst einmal ins Bad“, sagte Herr Lindner und half Henry, der etwas wackelig auf den Beinen war, sich aufzurichten. An die restlichen Schüler gewandt mahnte er: „Ihr wartet bitte, bis ich zurückkomme. Keiner geht an die Geräte!“

Gloria folgte den beiden zu den Waschräumen, was der Lehrer jedoch erst an der Tür bemerkte. „Ich sagte doch...“, fing er an, doch Gloria unterbrach ihn:

„Entschuldigen Sie. Ich wollte nur ein paar Tücher holen, um das Blut wegzuwischen.“

„Ach so. Danke dir.“

„Gerne“, gab sie zurück, warf Henry einen Blick zu und verschwand in der Mädchentoilette. Bis Henry in Begleitung des Lehrers zurückkehrte, hatte sie die Spuren des kleinen Unfalles bereits beseitigt.

„Bist du sicher, dass ich niemanden anrufen soll, Henry?“, fragte der Lehrer, während er den Jungen auf eine Bank setzte.

„Nein, danke. Es geht schon wieder. War doch nur ein bisschen Nasenbluten.“

„Und eine kleine Beule, nicht zu vergessen. Du bleibst bitte auf jeden Fall hier sitzen und solltest du Kopfschmerzen bekommen oder dir schlecht werden, sagst du mir umgehend Bescheid. Mit Kopfverletzungen ist nicht zu spaßen.“ Henry nickte. Er wirkte noch etwas blass und hatte ein feuchtes Tuch in der Hand, das er auf die Beule drückte, doch sonst ging es ihm gut. Das Nasenbluten hatte bereits aufgehört und nur die Flecken auf seinem Shirt zeugten von der Verletzung.

Während der restlichen Stunde sah der Lehrer immer wieder nach seinem verletzten Schüler, doch der schien sich zusehends zu erholen. Dennoch wollte er ihn nicht allein nach Hause gehen lassen. „Hast du jemanden, der dich abholen kann?“

„Nein, ich kann allein laufen. Ich bin doch kein kleines Kind mehr.“

„Das behauptet ja auch niemand, Henry. Aber ich habe eine Fürsorgepflicht dir gegenüber.“

„Herr Lindner?“, mischte sich Gloria ein, die gerade aus der Umkleide kam und das Gespräch mit angehört hatte.

„Ja, Gloria?“

„Ich könnte Henry doch begleiten. Wir wohnen in derselben Straße.“

„Würdest du das tun?“

„Ja, natürlich.“

„Also gut. Henry? Nimm’ das Angebot bitte an, wenn du nicht möchtest, dass ich deine Mutter anrufe. Und gute Besserung.“

„Danke“, gab Henry zurück und lief los.

Schnell beeilte sich Gloria, ihm zu folgen. „Henry, warte! Wir sollen doch zusammen gehen.“

„Dann beeilst du dich besser“, gab er knapp zurück, verlangsamte seine Schritte jedoch, damit sie aufholen konnte.

Schweigend liefen sie durch die Straßen, bis sie allein waren. Dann erst ergriff Gloria das Wort. „Henry?“

„Mmh?“, machte er nur.

„Warum bist du so?“

„Wie denn?“

„Na, so abweisend. An meinem ersten Tag in der ersten großen Pause, da warst du total nett und hilfsbereit. Und plötzlich benimmst du dich, als hätte ich dir das Liebste genommen, was du besitzt. Warum?“

‚Wenn du wüsstest, wie nah du an der Wahrheit bist‘, dachte Henry, doch er war nicht bereit, es ihr zu erklären. „Das bildest du dir ein“, sagte er laut und ging einfach weiter.

Mit schnellen Schritten holte sie ihn ein und hielt seinen Arm fest. „Ich mag zwar in deinen Augen eine verwöhnte Großstadtgöre sei, aber blöd bin ich nicht. Also erzähl’ mir keinen Stuss! Was zum Teufel habe ich dir getan?“

„Nichts“, gab er zu. „Du hast überhaupt nichts getan, Gloria.“

„Schön, dann haben wir das ja schon mal geklärt. Was ist denn dann der Grund? Findest du Mädchen einfach nur nervig?“

Ein Grinsen huschte über seine Züge. „Also wenn sie zu viele Fragen stellen, kommt das schon vor.“

„Gut, dann weiß ich ja, woran ich bin“, lachte sie. „Und da wir das ja nun auch geklärt haben, kann ich dich ja auch weiter nerven – Dein Unfall heute... war das mit Absicht?“

„Wie kommst du denn auf den Quatsch? Glaubst du wirklich, ich würde mich auf die Fresse legen, nur um nicht beim Sport mitmachen zu müssen?“ Henry war empört über diese Unterstellung.

„Entschuldige bitte. Aber Tonia und ihre Freunde haben da so merkwürdige Anspielungen gemacht.“

„Was für Anspielungen?“

„Na ja“, druckste das Mädchen herum. „Sie scheinen zu glauben, dass du Dinge erfindest, um nicht am Sport teilnehmen zu müssen. Ist da irgendetwas dran?“

„Natürlich nicht“, echovierte sich der Junge, doch Gloria bemerkte die Verlegenheit in seinem Gesicht, bevor er sich abwandte. So ganz falsch schienen die Anschuldigungen dann doch nicht zu sein, auch wenn sie glaubte, dass der heutige Unfall echt war.

„Na, dann ist ja alles gut“, sagte sie. „Es hätte mich nur interessiert, warum... falls es so wäre. Ich möchte dir nur sagen, dass ich Geheimnisse gut für mich behalten kann.“

„Es gibt aber kein Geheimnis“, sagte Henry etwas zu schroff und fügte deshalb etwas freundlicher hinzu: „Ich bin einfach nur ein bisschen tollpatschig, das ist alles. Danke, dass du mich begleitet hast. Den Rest schaffe ich allein.“ Sie waren an dem Haus von Gloria angekommen.

Dennoch widersprach sie: „Aber ich soll doch...“

„Bitte, Gloria. Lass’ mich einfach in Ruhe!“ Und damit ließ er sie stehen wie einen begossenen Pudel. Sie wartete vor der Tür, bis Henry ein paar Häuser weiter im Eingang verschwand – erst dann betrat sie ebenfalls das Haus, legte ihre Tasche in ihr Zimmer und nahm sich etwas Geld aus der Haushaltskasse. Ihr Vater hatte ihr von dem kleinen Laden am Ende der Straße vorgeschwärmt und sie wollte etwas Leckeres zum Abendessen vorbereiten. Nachdenklich ging sie wenig später an dem zweistöckigen Mehrfamilienhaus vorbei, in dem ihr Klassenkamerad verschwunden war. Dabei konnte sie im Erdgeschoss hinter einem Fenster das Gesicht von Henry erkennen, der scheinbar an seinem Schreibtisch saß und ins Leere starrte. Sie meinte, Tränen zu erkennen, die ihm über das Gesicht liefen und spielte kurz mit dem Gedanken, zu klingeln. Doch es wäre ihm bestimmt peinlich, wenn er wüsste, dass sie ihn hatte weinen sehen. Jungs waren da manchmal schnell eingeschnappt.

Daher beschloss sie, vielleicht später noch einmal vorbeizuschauen und machte sich weiter auf den Weg zum Ende der Straße. Überrascht betrat sie das kleine Geschäft – viel mehr als ein Tante-Emma-Laden, aber auch viel gemütlicher als ein Supermarkt. Sie wurde sofort von einer freundlichen Dame begrüßt, die ihre braunen Haare zu einem Dutt zusammengebunden hatte und eine Schürze trug. „Herzlich Willkommen. Kann ich dir irgendwie helfen? Suchst du etwas Bestimmtes?“

„Ähm, nein. Das heißt: ja. Irgendwie schon. Ich würde gerne etwas Schönes zum Abendessen kochen und wollte mich dafür etwas umsehen. Ist das okay?“

„Aber natürlich, mein Kind. Sieh dich in Ruhe um und wenn du etwas brauchst oder ich dir helfen kann, sagst du einfach Bescheid, okay?“

„Okay“, gab Gloria zurück und die Frau machte sich wieder an die Arbeit. Sie war gerade dabei, ein Regal neu einzuräumen. Das Mädchen ging neugierig durch die Reihen. Es gab frisches Obst, eine kleine Theke mit Fleisch und Wurst, große Bonbonieren mit Süßigkeiten, die man scheinbar einzeln kaufen konnte, und große Behälter mit Dingen wie Mehl, Zucker, Salz und so weiter. Scheinbar wog die Verkäuferin die Sachen noch nach Bedarf ab, so wie es früher der Fall war. Daneben gab es aber auch moderne, bereits abgepackte Dinge wie Konserven. Dennoch fühlte Gloria sich sofort wohl in dem Geschäft. Es roch angenehm nach Zitrusfrüchten und Tee, den es ebenfalls lose zu kaufen gab. Gloria ging mit ihrem Körbchen durch den Laden und besorgte ein paar Kleinigkeiten, mit denen sie ihren Vater überraschen wollte. Als sie schließlich alles bezahlen wollte, ging sie zur Kasse. „Na, hast du alles gefunden, was du brauchst?“

„Ja, danke. Sie haben einen sehr schönen Laden. Bestimmt komme ich noch öfter vorbei. Wir wohnen nicht weit.“

„Dann musst du wohl Gloria sein, hab’ ich Recht?“

Überrascht hob das Mädchen den Kopf und blickte der Frau in die Augen, die ihr irgendwie bekannt vorkamen. „Woher wissen Sie das?“

„Ich habe magische Fähigkeiten“, lachte die Frau, lenkte dann jedoch ein: „Aber Spaß beiseite. Dein Vater war die Tage schon mal da und hat mir erzählt, dass er mit seiner Tochter in…“ Sie zögerte kurz und Gloria meinte Schmerz in ihren Augen zu erkennen. „…in das leere Haus hier in der Straße gezogen sei. Und mein Sohn erzählte mir von einer neuen Mitschülerin. Und da du etwa in seinem Alter sein dürftest und es hier auch nicht allzu viele Neu-Zugezogene gibt, habe ich eben eins und eins zusammengezählt.“

„Ihr Sohn?“

„Ja, natürlich. Mein Name ist Bärbel Gordon. Henry Gordon ist mein Sohn.“

Gloria konnte ihre Überraschung nicht ganz verbergen. Damit hatte sie nicht gerechnet. Doch als sie darüber nachdachte, machte es auch wieder Sinn. Die Frau hatte die gleichen Augen wie Henry – deshalb kamen sie ihr so bekannt vor. Immerhin saß der Junge seit einer knappen Woche neben ihr.

„Du scheinst überrascht zu sein. Hat Henry denn nichts von unserem Laden erzählt?“

„Nein, hat er nicht. Er ist nicht gerade… wie soll ich das sagen...? Nicht gerade der gesprächige Typ.“

Die Frau nickte. „Ja, da hast du Recht. Er ist viel zu oft allein, wenn ich arbeiten muss. Aber irgendwie müssen wir beide ja über die Runden kommen. Aber zurück zu dir. Soll ich dir eine Tüte geben?“

„Ähm, nein danke. Ich habe was dabei“, sagte das Mädchen und zog eine Tüte aus der Hosentasche, in die sie ihre Einkäufe packte. Etwas an der Aussage der Frau ließ das Mädchen vermuten, dass sie von ihrem Mann getrennt lebte, vielleicht sogar geschieden war. Sie schien allein für Henry und sich sorgen zu müssen und war wohl einen Großteil des Tages im Laden, der laut Schild an der Tür von 08:00h bis 18:00h geöffnet hatte. Zog sich Henry deshalb zurück und blieb für sich allein? Schämte er sich dafür, dass sein Vater vielleicht abgehauen war? Oder gab es noch einen anderen Grund? Sie selbst wäre stolz darauf, wenn ihre Mutter so einen tollen Laden hätte. Doch ihre Mutter lebte nicht mehr und sie war auch nicht Verkäuferin, sondern Stewardess gewesen. Gloria verdrängte die Gedanken an ihre Mutter schnell wieder – in den letzten Jahren hatte sie gelernt, den Schmerz zu unterdrücken, ihn nur zuzulassen, wenn sie allein war – oder mit ihrem Vater. Sie straffte die Schulter und wandte sich noch einmal an die Verkäuferin: „Frau Gordon? Hat sich Henry schon bei Ihnen gemeldet?“

„Nein, wieso? Er kommt nur selten mittags vorbei. Meist geht er direkt nach Hause, isst etwas und macht dann Hausaufgaben. Nachmittags kommt er mich manchmal besuchen, wenn er spazieren geht. Wieso fragst du?“

„Weil er heute im Sportunterricht einen kleinen Unfall hatte“, gab Gloria zu.

„Oh nein. Schon wieder? Was ist passiert?“

„Er ist gestürzt und hat sich eine kleine Beule und eine blutige Nase geholt. Aber es ging ihm schon wieder gut. Ich habe ihn vorhin nach Hause gebracht und wollte gleich nochmal nach ihm sehen, wenn ich zurückgehe.“

„Gott sei Dank. Ich werde ihn gleich mal anrufen. Danke, Gloria, dass du mir Bescheid gegeben hast. Komm’ gut nach Hause.“

„Danke. Schönen Tag noch“, sagte das Mädchen und ging nach draußen. Mit der Tasche in der Hand schlenderte sie langsam die Straße entlang, tief in ihre Gedanken versunken und bemerkte daher nicht, wie sie am Haus der Gordons vorbeiging.

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und ein wütender Junge stürmte auf sie zu. Vor Schreck hätte Gloria fast die Einkaufstasche fallen lassen. „Was fällt dir eigentlich ein?“, rief Henry erbost.

„Wovon sprichst du?“, fragte Gloria irritiert. Sie war sich nicht bewusst, dass sie irgendetwas angestellt hatte. Passte es ihm nicht, dass sie im Laden seiner Mutter einkaufen ging?

„Wieso hast du es ihr gesagt?“

„Was denn?“

„Was im Sport passiert ist!“, schnaufte der Junge.

Endlich begriff sie. „Weil sie ein Recht darauf hat, Henry. Sie ist immerhin deine Mutter. Herr Lindner sagte, dass man aufpassen muss mit Kopfverletzungen. Du könntest immerhin eine Gehirnerschütterung haben. Warum bist du nicht zu ihr gegangen, wenn sie doch gleich hier um die Ecke arbeitet? Du hättest ihr wenigstens sagen können, was passiert ist.“

„Hätte ich, ja. Aber glaubst du nicht, dass es meine Sache ist, was ich meiner Mutter sage und was nicht? Zum letzten Mal: Misch’ dich nicht in Dinge ein, die dich nichts angehen! Du hast keine Ahnung davon, wie wir leben – kannst es dir nicht mal ansatzweise vorstellen, was wir durchgemacht haben. Ich bin alt genug, selbst zu entscheiden, und ich lasse mich nicht von einer dahergelaufenen, reichen Tussi bevormunden. Hast du das endlich kapiert?“ Wütend wirbelte er herum und Sekunden später knallte die Haustür ins Schloss.

Gloria war wütend, aber auch irgendwie ein bisschen irritiert. In seinen Augen blitzte so etwas Verletzliches, als wenn sie ihn tief gekränkt hätte. Dabei war sie es doch, die beschimpft wurde und die sich gekränkt fühlen müsste. Sie wurde aus diesem Jungen einfach nicht schlau. Je mehr sie über seine Worte nachdachte, umso zorniger wurde sie. Sollte er doch bleiben, wo der Pfeffer wächst. Sie brauchte ihn nicht. Sie konnte gut ohne ihn leben.