Verlorene Seelen 2 - Ein Hundeleben - Claudia Choate - E-Book

Verlorene Seelen 2 - Ein Hundeleben E-Book

Claudia Choate

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Beschreibung

In der Schule ahnt anfangs niemand, dass der aufgeweckte Jason zu Hause die Hölle durchmacht. Nach der harten Arbeit auf dem Hof und im Haushalt ist der 12-jährige oft zu erschöpft, um noch für die Schule zu lernen, während sein gewalttätiger Vater sich vom Nichts-tun ausruht. Doch der Junge hat Angst, sich irgendjemandem anzuvertrauen, bis ihn seine Neugierde eines Tages fast das Leben kostet und er begreift, dass auch er ein Recht auf ein Leben ohne Angst und Gewalt hat.

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Seitenzahl: 277

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INHALTSVERZEICHNIS

Alltag

Hoffnung

Schulprobleme

Freundschaft

In letzter Minute

Ermittlungsarbeit

Panikattacken

Die Ponyburg

Eingewöhnung

Zuwachs

Besuch

Ferienbetrieb

Ungewohntes Terrain

Gerichtstermin

Enthüllungen

Neue Gäste

Schulbeginn

Nestflucht

In Gefahr

Geburtstagsüberraschung

Danksagung

ALLTAG

Erschöpft ließ Jason den Spaten sinken und lehnte sich für eine paar Minuten an einen Baum, um sich auszuruhen. Der Boden war ganz schön hart und er hatte lange gebraucht, bis er die flache Grube ausgehoben hatte. Trotz des kalten Apriltages standen ihm die Schweißperlen auf der Stirn und seine Jacke hatte er bereits vor einer halben Stunde über die Griffe einer Schubkarre gehängt, die nur wenige Meter entfernt stand.

Als sich seine Atmung wieder beruhigt hatte und die kalte Luft nicht mehr im Hals schmerzte, ging er zur Schubkarre, hob keuchend den Stoffsack hoch, der eigentlich viel zu groß und zu schwer für den schmächtigen Jungen war, und legte ihn in die Grube. Zärtlich streichelte er über den Sack, bevor er erneut den Spaten ergriff, die Erde über das Bündel schaufelte und anschließend festklopfte. Dabei liefen ihm einige Tränen über das Gesicht. ‚Das Leben ist manchmal aber auch ungerecht‘, dachte der kleine Junge, ‚Warum muss es immer die Unschuldigen treffen?‘

Nachdem Jason das Loch wieder zugeschüttet hatte, blickte er von dem frischen Erdhügel über die Wiese, auf der er nicht zum ersten Mal ein Loch gegraben hatte. Es kam immer mal wieder vor, dass ein Tier verstarb, das hier seine letzte Ruhe gefunden hatte. Die anderen Gräber waren unter der Wiese kaum noch zu sehen, doch der kleine Junge wusste auch so ganz genau, wo sie sich befanden. Die Bilder hatten sich tief in sein Gedächtnis eingebrannt, sodass er selbst unter einer dicken Schneeschicht die Stellen wiederfinden würde.

Seufzend nahm er schließlich die Schaufel, hob die Hacke auf, die er neben das Loch gelegt hatte, und legte beides zurück in die Schubkarre. Er griff seine Jacke, zog sie sich über und schloss den Reißverschluss. Anschließend wischte er sich das Gesicht ab, damit sein Vater die Tränen nicht sehen würde. ‚Tränen sind etwas für Mädchen‘, sagte er immer. Und um die Hunde zu weinen, die sein Vater für Waren hielt, konnte dieser schon gar nicht verstehen.

Einmal hatte er Jason dabei erwischt, wie dieser an einem der Gräber geweint hatte, und war vollkommen ausgerastet. Er hatte Jason geschlagen und als Memme beschimpft, ihn anschließend in den alten Brunnenschacht hinuntergelassen und das Seil hochgezogen. Dort durfte er mehrere Stunden in der Dunkelheit über sein Verhalten nachdenken. Als sein Vater ihn schließlich wieder herausließ, erlaubte er dem Jungen, sich zu entschuldigen, was Jason natürlich gerne getan hatte. Immerhin war er ein ungezogener Junge gewesen – dann musste man auch dafür gerade stehen.

Seit diesem Tag hatte Jason nie wieder vor seinem Vater geweint. Er wollte ihn nicht verärgern. Herr Bauer war sowieso schon oft genug verärgert, wenn sein Sohn zu langsam war oder schlechte Noten in der Schule schrieb. Da musste man ihn nicht auch noch zusätzlich reizen. Doch wenn der Junge alleine war, ließ er seinen Tränen freien Lauf. Es befreite ein wenig, wenn er an die toten Körper dachte und an das Leben, das die Tiere eigentlich vor sich gehabt hätten.

Aber sein Vater hatte ihm oft genug erklärt, dass es nicht alle schafften. Er züchtete schon seit vielen Jahren verschiedene Hunderassen, um die Welpen zu verkaufen. Bei den vielen Geburten waren immer mal wieder ein paar Welpen, die tot geboren wurden oder kurz nach der Geburt verstarben, weil sie zu klein und schwach waren oder einfach irgendeinen Geburtsdefekt hatten. Daran hatte sich der Zwölfjährige schon lange gewöhnt. Er war dann zwar auch traurig, aber das gehörte einfach dazu.

Was ihm immer schwer im Magen lag, waren die älteren Tiere – Tiere, die für die Zucht verwendet worden waren oder auch ältere Welpen, die keinen Abnehmer gefunden hatten. Wenn diese Tiere plötzlich starben, musste sich der Junge schwer zusammenreißen, um nicht von der Traurigkeit übermannt zu werden.

Beherzt griff Jason die beiden Griffe der Schubkarre und machte sich auf den Rückweg über die ungepflegten Weiden, die früher von Rindern und Pferden bevölkert wurden, heute jedoch nur noch wild vor sich hin wucherten. Der einst so prächtige Hof machte heute einen eher traurigen Eindruck. Überall lag Schrott herum, die Farbe der Gebäude war verblichen und blätterte an einigen Stellen ab, und die geräumigen Pferdeboxen waren in Hundekäfige verwandelt worden

Manchmal stellte sich Jason vor, wie der Hof früher ausgesehen haben mochte, als reiche Pferdebesitzer mit ihren edlen Tieren über den Hof liefen, Ausritte machten oder auf dem Reitplatz über hohe Hindernisse sprangen. Aber all das gab es schon lange nicht mehr. Jetzt wohnte er alleine mit seinem Vater auf dem heruntergekommenen Anwesen. Seine Mutter war fort; er konnte sich nicht mehr an sie erinnern. Fotos gab es keine und vor seinem Vater durfte er sie nicht erwähnen.

Nachdem er endlich an der Scheune ankam und die Schubkarre weggeräumt hatte, lief er eilig ins Haus. Für ein Frühstück war keine Zeit mehr; er musste dringend los, sonst würde er schon wieder zu spät kommen, und das wiederum würde erst Ärger in der Schule und danach Ärger zu Hause bedeuten. Er rannte kurz ins Bad, um sich Gesicht und Hände zu waschen, dann schnappte er sich seinen Schulranzen und lief wieder aus dem Haus. Auf dem Hof kam ihm sein Vater entgegen: „Bist du immer noch nicht weg?“, fragte dieser mit einem Funkeln in den Augen.

„Schon auf dem Weg“, rief Jason und war schon um die Ecke verschwunden. Für den Schulweg brauchte er normalerweise eine halbe Stunde. Um die verlorene Zeit aufzuholen, rannte er die erste Strecke, bis er keine Luft mehr bekam und seine Schritte keuchend verlangsamte. Als er sich schließlich erschöpft auf seinen Stuhl im Klassenzimmer sinken ließ, läutete gerade die Schulglocke – er hatte es geschafft… in letzter Sekunde. Die Zeit reichte gerade noch, um kurz durchzuatmen und seine Bücher aus der Tasche zu ziehen, bevor der Lehrer in das Zimmer trat.

„Jason?“

Erschrocken blickte der Junge auf. „Ja?“

„Kann es sein, dass du schon wieder fast zu spät gekommen wärst?“

„Es hat noch nicht geklingelt, als ich rein bin“, verteidigte sich der Junge.

„Das ist richtig, und deshalb sagte ich ja auch ‚fast‘. Aber ich habe gesehen, wie du wieder gerannt kamst. Hatte dein Bus Verspätung?“

„Nein“, schüttelte Jason verlegen den Kopf, „ich laufe zur Schule.“ Er sprach leise, doch der Lehrer hatte es dennoch gehört.

„Das ist zwar sehr löblich, wenn du die ganze Strecke läufst – das ist gut für die Gesundheit. Aber ich möchte dich bitten, in Zukunft entweder den Bus zu nehmen oder etwas früher aufzustehen. Können wir uns darauf einigen?“

Die Klasse kicherte, während der Junge sich am liebsten unter dem Tisch verkrochen hätte. „Ja, Herr Mengele“, sagte er leise.

„Da wir das nun geklärt haben, werden wir einen kurzen Mathetest schreiben. Ich möchte gerne wissen, ob ihr richtig geübt habt.“

Erschrocken verstummte die Klasse, packte Bücher von den Tischen und legte sich ihr Schreibzeug griffbereit, während Herr Mengele ihnen einige Arbeitsblätter austeilte. Jason blickte ängstlich auf die Fragen, die der Lehrer zusammengestellt hatte. Eigentlich war er ein guter Schüler, aber gestern nach den Hausaufgaben war es bereits zehn Uhr gewesen und er hatte wirklich keine Zeit und Kraft mehr zum Lernen gehabt. Entsprechend viele Probleme bereitete ihm der kurze Test und als Herr Mengele am Ende der Doppelstunde die während einer vorherigen Stillarbeit kontrollierten Blätter zurückgab, blieb er erneut vor Jason stehen, der direkt zu schrumpfen schien. „Jason, ich würde sagen, vor der Arbeit solltest du dringend noch etwas üben.“ Damit legte er das Blatt auf den Tisch, das diverse Korrekturen aufwies, die der Lehrer mit einem Rotstift hinterlassen hatte. Der Junge nickte und nahm sich vor, in den Tagen bis zur Arbeit so viel wie möglich zu üben. Dann musste eben notfalls irgendeine andere Hausaufgabe darunter leiden.

In der Pause lehnte der Junge erschöpft an einer Mauer, als sein Klassenkamerad Daniel auf ihn zukam. „He Jason. Heute gar keinen Hunger?“ Jason schüttelte den Kopf, obwohl sein Magen hörbar das Gegenteil behauptete. „Hast wohl heute Morgen dein Frühstücksbrot vergessen, was? Komm‘, ich gebe dir was ab. Meine Mutter hat es mal wieder ein bisschen zu gut mit mir gemeint. Wenn ich immer alles essen würde, was sie mir einpackt, würdet ihr mich bald über den Schulhof rollen können.“

Jason lachte und nahm dankbar ein belegtes Brot entgegen, doch innerlich wäre er froh gewesen, wenn er jemanden hätte, der ihn dermaßen verwöhnen würde, wie Daniels Mutter es mit ihrem Sohn tat. Mit Genuss biss er in das leckere Brot und anschließend teilte Daniel auch noch einen Schokoriegel mit ihm, den er sich genüsslich auf der Zunge zergehen ließ. „Danke, Daniel. Das war wirklich lecker.“

„Kommst du heute Nachmittag auf die große Wiese zum Fußball?“

„Tut mir leid, ich kann leider nicht. Hast ja Herrn Mengele vorhin gehört. Muss lernen.“

„Ich verstehe das nicht, du bist doch einer der besten Schüler in der Klasse, begreifst immer als Erster, wenn wir etwas Neues lernen, und bist dennoch ständig am Lernen. Soviel kann doch ein einzelner Mensch gar nicht üben.“

Jason senkte den Blick. Er wollte seinen Freund eigentlich nicht anlügen. „Du weißt doch, dass ich mit meinem Vater alleine lebe, und da muss ich halt auch mal im Haushalt mit anpacken. Ich kann meinen Vater ja nicht alles alleine machen lassen.“ In Wahrheit war es zwar Jason, der den kompletten Haushalt alleine schmiss, aber das wollte er lieber nicht laut sagen.

„Natürlich, das müssen wir alle mal tun. Vielleicht ist es bei euch mehr, weil ihr zwei alleine seid. Ich habe es da gut, außer meinen Eltern habe ich ja noch drei Geschwister; da verteilt sich das etwas besser“, grinste Daniel und Jason nickte zustimmend.

Nach der Schule lief Jason wieder die drei Kilometer nach Hause, warf seine Tasche in sein Zimmer und schmierte sich eine Scheibe Brot, die er im Laufen herunterwürgte. Im ehemaligen Reitstall begann er damit, die Käfige zu säubern und den Hunden frisches Wasser zu geben. Gefüttert hatte er sie bereits am Morgen. Als er fertig war, blieb er kurz vor einer der Boxen stehen und betrachtete die kleinen Welpen, die erst vor wenigen Tagen geboren worden waren. Wie gerne hätte er mit ihnen gespielt, doch das hätte sein Vater nicht geduldet. Er wollte nicht, dass Jason zu sehr an den Tieren hing, weil sie sowieso nicht bleiben würden. Für Herrn Bauer waren es eben Waren oder Dinge – ohne Seele oder Gefühle. Jason war da anders. Er hätte gerne einen eigenen Hund gehabt, aber obwohl er schon mehrfach gefragt hatte, ob er nicht einen der Welpen behalten durfte, hatte er immer eine Ablehnung erhalten.

„Träumst du schon wieder, Junge?“

Erschrocken fuhr der Zwölfjährige zusammen. „Nein, ich habe nur…“

„Ich will deine Ausreden gar nicht hören. Hier ist ein Einkaufszettel und Geld – Geh‘ zum Supermarkt und besorge die Sachen. Und beeile dich gefälligst. Die Wäsche wartet auch schon.“

Der Junge ergriff die Sachen und drehte sich wortlos um. Im Gehen besah er sich die Liste seines Vaters. Da würde er ganz schön zu schleppen haben. Und er behielt Recht. Als er zwei Stunden später wieder auf dem Hof erschien, trug er mehrere Einkaufstüten in den Händen, die ihm in die Finger schnitten. Herr Bauer saß rauchend auf einer Bank vor der Tür. „Da bist du ja endlich. Ich dachte schon, du hast dich verlaufen. Es ist schon fast sechs, es wird langsam Zeit fürs Abendessen.“

„Ich bin schon auf dem Weg“, schnaufte der Junge und hievte seine Einkäufe ins Haus, während der Mann genüsslich an seiner Zigarette zog. In der Küche stellte Jason seine Tüten ab, füllte einen Topf mit Wasser und Kartoffeln und stellte ihn auf den Herd.

„Hast du auch an die Kippen und das Bier gedacht?“, rief sein Vater von draußen.

„Ja, habe ich.“ Hastig kramte er in einer der Tüten und rannte anschließend mit einem Päckchen Zigaretten und dem Bier nach draußen.

„Nur ein Päckchen?“, fragte sein Vater wütend. „Ich habe doch drei aufgeschrieben.“

„Tut mir leid, aber Tom von der Tankstelle hat mir gesagt, ich solle dir einen schönen Gruß ausrichten. Er würde in Teufels Küche kommen, wenn er mir weiterhin die Zigaretten und das Bier für dich mitgeben würde. Er sagte, das wäre das letzte Mal gewesen und du sollst bitte selber kommen, wenn du mehr möchtest.“ Jason senkte den Blick und machte sich auf das gefasst, was nun kommen würde.

„Der hat sie ja wohl nicht alle!“, schrie sein Vater auch gleich los und stieß den Jungen von sich weg. „Dem werde ich was erzählen.“ Wütend griff er nach seinem Schlüssel und lief zum Auto, das kurz darauf mit durchdrehenden Reifen vom Hof donnerte.

Jason ging zurück ins Haus, stellte die Waschmaschine an und kümmerte sich dann um die Einkäufe, während er darauf wartete, dass die Kartoffeln zu kochen anfingen. Die Laune seines Vaters hatte sich nach seiner Rückkehr nicht gebessert; er ließ sie wie immer an dem Jungen aus und meckerte über das Essen. Aber das störte Jason nur wenig, er war an die Launen des Mannes gewöhnt.

Während Jason nach dem Essen darauf wartete, dass der Trockner, den sein Vater erst kürzlich angeschafft hatte, fertig wurde, setzte er sich mit seinem Mathebuch in der Waschküche auf den Boden, um für die kommende Prüfung zu lernen. Neben sich hatte er den verhauenen Test und mit Hilfe der Korrekturen und der Anleitungen im Buch hatte er bald verstanden, was er falsch gemacht hatte. Dann legte er die Wäsche zusammen, packte die nächste Maschine in den Trockner und setzte sich erneut vor sein Buch, um weiter zu lernen. Gegen neun Uhr war auch die zweite Maschine fertig und nachdem er diese zusammengelegt hatte, ging er schließlich in sein Zimmer, um mit den Hausaufgaben anzufangen. Gähnend setzte er sich an den altersschwachen Schreibtisch, knipste die Schreibtischlampe an und zog seine Hefte aus der Tasche. Gegen kurz vor elf klappte er schließlich die Unterlagen zu, packte seinen Schulranzen und ging zu seinem Bett, um den Wecker zu stellen. Aus dem Nebenzimmer hörte er das Schnarchen seines Vaters. Erschöpft ließ er sich mit seinen Klamotten aufs Bett sinken und war gleich darauf eingeschlafen.

*

Als der Wecker ihn um fünf aus seinen Träumen riss, fühlte er sich erschöpft und müde. Aber es half ja nichts, er musste raus aus dem Bett. Gähnend streckte er seine müden Glieder, zog sich aus und sprang unter die kalte Dusche, die dafür sorgte, dass er wieder munter wurde. Dann zog er sich an, ging für die morgendliche Fütterung in den Stall und machte sich anschließend auf den Rückweg zum Haus, um eine Kleinigkeit zu frühstücken und sich ein Pausenbrot zu schmieren. Während er gerade am Tisch saß, kam sein Vater aus dem Schlafzimmer geschlurft und betrat die Küche.

„Möchtest du etwas essen?“, fragte Jason und lief bereits los, um einen Teller zu holen.

„Nee, ich muss erst mal eine rauchen. Und dann will ich meinen Kaffee“, murmelte Herr Bauer verschlafen und ging weiter nach draußen, während der Junge schnell eine Kapsel in den Automaten warf und eine Tasse unter den Auslauf stellte. Kurz darauf strömte frischer Kaffeeduft durch das Zimmer.

„Wo bleibt mein Kaffee?“

„Kommt gleich“, rief Jason und eilte mit der dampfenden Tasse vor die Tür. „Bitteschön.“ Er drückte seinem Vater die Tasse in die Hand und ging wieder zurück in die Küche, um fertig zu essen. Dann stellte er das Geschirr in die Spüle, schnappte sich seine Tasche und machte sich auf den Schulweg. Heute war er pünktlich und konnte in einem für ihn angenehmen Tempo den Weg hinter sich bringen. Er genoss die kühle Morgenluft während des Schulweges und war pünktlich zum Unterricht in der Klasse.

*

Auch in den nächsten Tagen änderte sich nichts an seinem normalen Tagesablauf. Morgens fütterte Jason die Hunde – bis auf die beiden Pitbulls, die in der Nähe einer großen Scheune im hintersten Teil des Geländes an Ketten hingen und denen er sich nie nähern durfte. Dann ging er in die Schule und anschließend kümmerte er sich um die Ställe und den Haushalt, bevor er sich schließlich an seine Schularbeiten machte. Meist ließ er sich danach erschöpft in sein Bett fallen und schlief schnell ein. Nachts träumte er davon, einmal mit seinen Schulfreunden Fußball zu spielen, im Sommer ins Schwimmbad zu gehen oder einfach mal mit einem Buch im Gras zu liegen, um zu lesen. Aber für solche Sachen hatte er einfach keine Zeit. Außer vielleicht mal am Wochenende, da er dort nicht in die Schule musste und somit seine Arbeiten aufteilen konnte. Dann kam es doch hin und wieder einmal vor, dass er sich ein Buch schnappte und sich irgendwo auf den Wiesen oder im Wald versteckte, um eine Stunde zu lesen. Aber an den Wochenenden kamen natürlich auch die meisten Interessenten für die Hundewelpen, die Jason dann für den Besuch vorbereiten und vorführen musste. Sie sollten ja einen guten Eindruck machen, um ein schönes Zuhause zu finden, und daher verbrachte er einige Zeit damit, sie zu bürsten oder gar zu baden, bevor er sie zu einem großen, umzäunten Gehege brachte, in denen sie von den kaufwilligen künftigen Besitzern betrachtet und gestreichelt werden konnten.

HOFFNUNG

Als er am Samstagmorgen zur Morgenfütterung in den Stall ging, sah er schon von weitem die Schubkarre, die vor dem Stall auf ihn wartete. Jason stöhnte innerlich auf. ‚Nicht schon wieder!‘ Er wandte den Blick von dem Bündel in der Karre ab und ging traurig in den Stall, um die Tiere zu füttern. Einer der letzten beiden Labrador-Welpen, die noch keine neuen Besitzer gefunden hatten, fehlte. Und Jason wusste sofort, welches Tier sich in dem Bündel befand. Dabei waren die beiden braun-schwarzen Welpen gestern noch quietschfidel durch die Box getobt und hatten keine Anzeichen dafür gezeigt, dass einer von ihnen sterben könnte.

*

Als er nach dem Füttern mit der Schubkarre zum Friedhofsfeld ging, wie er die Wiese im Stillen nannte, konnte er immer noch nicht glauben, dass einer der beiden süßen Hunde gestorben war. Wütend machte er sich daran, die Grube auszuheben, als er plötzlich ein leises Winseln vernahm. Erschrocken drehte er sich um, konnte aber weder etwas sehen, noch etwas hören. Jason dachte schon, dass er sich alles nur eingebildet hatte, als sein Blick zufällig über das Bündel in der Schubkarre glitt, das sich kaum merklich bewegt hatte. Mit zwei großen Schritten war er dort und öffnete mit zitternden Händen den Knoten im Sack. Darunter war ein weiterer Stoffsack, der viele, dunkle Flecken aufwies. Auch diesen öffnete er und als er ihn vorsichtig zurückschlug, ließ er vor Schreck den Stoff sinken.

In dem Bündel lag wirklich der Labrador-Welpe, den er bei der Fütterung vermisst hatte, aber dieses Tier war nicht, wie er dachte, an einer Krankheit oder einem Gendefekt gestorben. Sein Körper war mit Bisswunden übersäht. Jetzt hörte Jason deutlich, dass das Tier leise wimmerte. Dann öffnete es schwach die Augen und der Junge streichelte sanft den weichen Kopf. „Bleib schön hier liegen. Ich hole Hilfe.“ Er rannte zurück zum Hof und rief nach seinem Vater, der schließlich aus der großen Scheune kam, die sein Sohn noch nie betreten hatte.

„Was brüllst du denn hier so rum, Junge?“

„Papa, der Welpe, den ich begraben sollte: er lebt und er hat ganz viele Bisswunden“, erzählte Jason aufgeregt.

„Ich weiß, der hat sich mit einigen älteren Hunden angelegt.“ Die Stimme seines Vaters klang gelangweilt.

„Aber er lebt noch“, rief der Junge eindringlich.

Jasons Vater drehte sich um, ging in die Scheune und trat kurz darauf mit einem Baseballschläger aus der Tür, den er dem verblüfften Jungen in die Hand drückte. „Bring’ es zu Ende!“, befahl er seinem Sohn.

Jason ließ den Schläger fallen und starrte seinen Vater an. „Ich kann doch nicht…“ Tränen traten dem Kind in die Augen.

Herr Bauer hob den Schläger auf und drückte ihn Jason erneut in die Hand. Dann holte er aus und gab ihm eine schallende Ohrfeige: „Reiß’ dich zusammen, Heulsuse. Geh‘ und tue, was ich dir befohlen habe, bevor ich das Ding an dir ausprobiere.“ Damit gab er ihm einen Stoß, sodass sein Sohn fast gestürzt wäre, und ging zurück in die Scheune.

Jason blickte seinem Vater hinterher. Seine Wange brannte, doch das Wasser in seinen Augen brannte noch viel stärker. Mit dem Schläger in der Hand drehte er sich um und rannte zurück zur Wiese. Die Tränen blockierten seine Sicht, als er ihn langsam über den Kopf hob. Dann öffnete er jedoch die Hände und der schwere Schläger fiel hinter ihm mit einem dumpfen Ton ins Gras, während Jason auf die Knie sank und anfing zu schluchzen. Er konnte den kleinen Hund nicht töten, auch wenn es für diesen vielleicht ein Ende seines Leidens bedeutet hätte. Zitternd richtete er sich halb wieder auf und streichelte den Kopf des Hundes, der ihm schwach über die Hand leckte. Jason wischte sich die Tränen weg, straffte die Schultern und lief so schnell er konnte erneut zurück. In der Nähe des Stalles blickte er sich vorsichtig um und schlüpfte dann ungesehen ins Wohnhaus. Schnell raffte er eine alte Decke an sich und griff sich eine Tüte, in die er eine kleine Schüssel, eine Wasserflasche, Verbandszeug und etwas Hundefutter füllte und dann das Haus genauso vorsichtig wieder verließ, wie er es betreten hatte. Zurück auf der Wiese lief er zu einem kleinen Schuppen, der sich dort befand und früher einmal als Heu-Lager für die Pferde gedient hatte, heute jedoch nicht mehr genutzt wurde. Mit der Decke und altem Heu, das sich noch dort befand, baute er ein weiches Lager. Dann ging er zu dem Hund zurück, schälte ihn vorsichtig aus dem Sack und trug ihn zum Schuppen, wo er ihn sanft auf das Lager bettete.

„Ich werde nicht zulassen, dass dir was passiert. Hier hast du erst mal was zu trinken.“ Jason füllte ein wenig Wasser in die Schüssel und hielt sie dem Hund hin, der langsam zu saufen anfing. Dann stellte er die Schüssel auf den Boden. „Ich komme gleich wieder.“

So schnell er konnte, füllte er ein wenig Erde in die Säcke und verschloss sie wieder. ‚Nur für den Fall, dass Papa vorbeikommt‘, dachte er und machte sich daran, die Grube fertig auszuheben. Anschließend warf er den Sack hinein und verschloss das nun leere Grab wieder, sodass es wie die anderen aussah. Dann öffnete er einen Schorf an seinem Arm, sodass die Wunde leicht blutete und verschmierte das Blut an dem Schläger, den er zusammen mit Spaten und Hacke anschließend in die Schubkarre legte. Vorsichtig blickte er sich um, aber sein Vater war nirgends zu sehen.

Als er zurück in den Schuppen kam, blickte ihn der Welpe neugierig an, schloss aber gleich darauf wieder erschöpft die Augen. Jason begann, mit einem Stück Mull und dem Wasser die vielen Wunden zu säubern und anschließend mit einer Wundsalbe zu behandeln, bevor er sie sorgfältig verband. Zwischendurch gab er dem Tier etwas zu trinken und bot ihm auch von dem Futter an, doch der junge Hund hatte keinen Appetit. Bei seiner Arbeit bemerkte er auch, dass es sich um eine kleine Hündin handelte. Nachdem er schließlich alle Wunden versorgt hatte, betrachtete er sein Werk.

„So sieht das schon viel besser aus. Tut mir leid, dass ich nicht mehr tun kann, kleines Mädchen. Ich hoffe wirklich, dass du wieder gesund wirst. Aber erst einmal brauchst du einen Namen.“ Er dachte einen Moment nach. „Vielleicht sollte ich dich Hope nennen. Hope – Die Hoffnung. Ja, das klingt gut und wir hoffen ja, dass du wieder gesund wirst und ein schönes Zuhause findest. Na, wie gefällt dir das, Hope?“

Die Hündin leckte ihm erneut über die Hand und Jason ging davon aus, dass das ein JA war. Er blieb noch eine Weile bei dem kleinen Labrador, dann füllte er die Wasserschüssel noch einmal auf und legte ein wenig Hundefutter daneben. Es wurde Zeit, zu gehen, bevor sein Vater Verdacht schöpfte.

Wie erwartet hatte sich dieser schon gewundert, wo sein Sohn abgeblieben war und blickte ihn wütend an. „Wo bleibst du denn, Junge?“

„Entschuldige Papa. Der Boden war so hart.“

„Ach, quatsch nicht rum. So kalt ist es doch heute nicht. Hast wieder geheult, das sehe ich doch an den Spuren in deinem Gesicht.“ Jason erschrak, er hatte vergessen, sich das Gesicht zu waschen, doch im nächsten Moment hatte ihn sein Vater bereits am Arm gepackt und zerrte ihn zum alten Brunnen. Der Junge versuchte, sich zu wehren, hatte jedoch keine Chance gegen den groben Griff seines Vaters. Als dieser ihn in den zwei Meter tiefen Schacht stieß, wie er es schon oft getan hatte, passte er aufgrund seiner Gegenwehr nicht richtig auf und landete auf seinem Handgelenk. Jason ließ einen Schrei los, doch sein Vater kümmerte sich nicht darum und ging einfach fort, während der Junge mit schmerzverzerrtem Gesicht auf den Bohlen saß, die schon vor vielen Jahren dort angebracht worden waren. Durch eine Ritze in den Balken konnte man das schwarze Loch erkennen, das sich darunter befand und das, wie Jason wusste, noch viele Meter weiter in die Tiefe führte. Vorsichtig betastete er sein linkes Handgelenk und stieß erneut einen Schmerzensschrei aus. Er konnte die Hand nicht mehr bewegen und die Tränen liefen dem kleinen Jungen erneut über das Gesicht.

Stundenlang kauerte der Junge in dem dunklen Schacht. Er hatte Hunger und Durst, doch sein Vater ließ sich nicht blicken. Als es dunkel wurde, gab er schließlich die Hoffnung auf, heute noch aus dem Schacht heraus zu dürfen. Er zog seine Jacke enger um die Schultern, versuchte sich so gut es ging zusammenzurollen und sich so hinzulegen, dass ihm das Handgelenk möglichst wenig wehtat. Schlafen konnte er jedoch immer noch nicht. Ihm war kalt und der Arm wurde auch nicht besser. Sobald er sich bewegte, durchzuckte ihn ein stechender Schmerz. Irgendwann hörte er Motorengeräusche und wunderte sich, wer um diese Zeit auf den Hof kam. Dann wurde es wieder still, doch schon wenig später hörte er das wütende Kläffen von Hunden. Jason vermutete, dass es die beiden Pitbulls seines Vaters waren, war sich jedoch nicht sicher.

Irgendwann nickte er dann doch ein, wachte aber immer schon nach kurzer Zeit wieder auf. Als die Sonne aufging, fühlte er sich völlig erschöpft und durchgefroren. Sein Vater ließ ihm die Strickleiter herunter, doch Jason brauchte eine Weile, bis er mit nur einer Hand hinaufgeklettert war. „Warum nimmst du nicht beide Hände, Junge?“, fragte sein Vater, als ihm das alles zu lange dauerte.

„Ich habe mich verletzt. Mein Arm tut weh.“

„Ach, stell’ dich nicht so an. Geh‘ und wasch’ dich und dann ab an die Arbeit.“ Damit drehte sich Herr Bauer um und ließ den Jungen einfach stehen. Jason ging ins Haus und stellte sich unter die warme Dusche, um die Kälte zu vertreiben, bevor er sich umzog. Sein Handgelenk war dick geschwollen und er konnte es immer noch nicht bewegen. Vorsichtig holte er sich eine Mullbinde und versuchte, das Gelenk damit zu stützen, was ihm wieder die Tränen in die Augen trieb. Schnell wischte er sich das Gesicht ab und ging dann an die Arbeit. Da er nur einen Arm zur Verfügung hatte, brauchte er länger als normalerweise, und als er endlich die Zeit fand, den Welpen zu besuchen, war es bereits Mittag.

Vorsichtig öffnete er die Tür zur Scheune, in der er Hope am letzten Vormittag zurückgelassen hatte. Die kleine Hündin hob den Kopf und der Schwanz fing leicht an zu wedeln. Sie stand jedoch nicht auf. Jason gab ihr frisches Wasser, das sie gierig schlabberte und versuchte anschließend erneut, sie zum Fressen zu überreden. Ganz vorsichtig nahm sie ein paar Brocken aus seiner Hand, dann ließ sie den Kopf erneut auf ihr Bettchen sinken. Doch die Augen blickten den Jungen neugierig an. Er streichelte die Hündin ausgiebig und erzählte ihr Geschichten, während er ihre Wunden kontrollierte und die Verbände erneuerte. Die Verletzungen hatten aufgehört zu bluten und Jason hatte die Hoffnung, dass sie bald heilen würden.

Bevor er an diesem Abend ins Bett ging, lief er noch einmal zu der verletzten Hündin, gab ihr Wasser und einige Brocken zu fressen und redete mit ihr. Dann füllte er die Wasserschüssel erneut mit sauberem Wasser und eine zweite Schüssel mit Hundefutter, wünschte Hope eine gute Nacht und schlich sich zurück zum Haus. Müde ließ er sich in sein Bett sinken und schlief bald darauf ein, wachte aber immer wieder auf, weil er sich im Schlaf drehte und dadurch starke Schmerzen hatte.

Am nächsten Morgen war das Handgelenk noch geschwollener als vorher und er musste den Verband lösen, weil ihm dieser den Arm abschnürte. Er war extra früher aufgestanden, um die Fütterung noch zu schaffen, kam jedoch trotzdem zu spät zum Unterricht, weil er aufgrund seiner Verletzung so lange gebraucht hatte.

Atemlos trat er ins Klassenzimmer, murmelte eine Entschuldigung und wollte an seinen Platz gehen. Herr Mengele blickte ihn streng an und wollte ihn zurückhalten, um ihm eine seiner Strafpredigten zu halten. „Jason, so geht das nicht…“ Er griff nach der Hand des Jungen, der daraufhin einen lauten Schmerzensschrei ausstieß. Erschrockene Stille breitete sich im Zimmer aus, während Jason gegen die Tränen kämpfte und sich den Arm hielt.

„Ich habe dich doch nur ganz leicht berührt“, stellte Herr Mengele verwirrt fest und trat einen Schritt auf den Jungen zu, der sich heftig atmend an einen Tisch gelehnt hatte. „Zeig’ mal her!“ Jason wollte ihm den Arm entziehen, doch der Lehrer war schneller und hinderte ihn daran. Erstaunt blickte ihn Herr Mengele an. Der Junge senkte den Blick. „Warte bitte einen Moment vor der Tür, Jason.“ Die Stimme des Lehrers war plötzlich ganz sanft. Er wartete, bis der Junge aus dem Klassenzimmer gegangen war und wandte sich dann seinen Schülern zu: „Daniel, du als Klassensprecher sorgst bitte für Ruhe. Auf meinem Schreibtisch liegt ein Arbeitsauftrag, den werdet ihr jetzt bitte erledigen. Ich bin in ein paar Minuten zurück.“ Damit folgte der Lehrer Jason aus dem Klassenraum und brachte ihn zum Krankenzimmer. Dort drückte er ihn auf die Liege und verschwand für ein paar Minuten im Sekretariat. Als er zurückkam, zog er sich einen Stuhl heran. „So und jetzt sagst du mir, was mit deinem Arm passiert ist.“

„Nichts! Ich bin nur hingefallen“, sagte Jason schnell.

„Wann?“

„Ich… ehm… heute Morgen“, stammelte der Junge.

Der Lehrer blickte ihn überrascht an und versuchte, etwas in dem verschlossenen Gesicht zu lesen. „Warum lügst du? Hat dich ein Schüler verletzt? Oder jemand aus deiner Familie?“

Jason zuckte zusammen: „Nein, nein. Ich bin wirklich nur gefallen. Ehrlich!“ Genaugenommen war das noch nicht einmal gelogen.

„Jason, diese Verletzung stammt mit Sicherheit nicht von heute Morgen. Die ist älter. Ich bin zwar kein Arzt, aber lange genug Lehrer, um eine frische Verletzung erkennen zu können. – Also? Was ist los?“

„Also gut, es war schon am Samstag.“ Jasons Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.

„Das dachte ich mir fast. Und warum haben dich deine Eltern nicht zu einem Arzt gebracht?“

Jason überlegte eine Minute. Er konnte dem Lehrer ja schlecht sagen, dass sein Vater Schuld an dem Unfall war, weil er ihn in einen Brunnenschacht gestoßen hatte und dass es den Mann nicht interessierte, ob Jason verletzt war oder nicht. „Ich habe nichts gesagt“, sagte er schließlich.

„Und sie haben es nicht bemerkt?“ Der Lehrer war sprachlos.

„Mein Vater hat viel zu tun mit der Hundezucht. Ich habe ihn am Wochenende kaum gesehen“, sagte Jason schnell.

„Und deine Mutter?“

„Ich habe keine Mutter.“

Noch bevor der Lehrer darauf reagieren konnte, klopfte es an die Tür des Krankenzimmers und zwei Sanitäter kamen in den Raum, die freundlich grüßten. Herr Mengele trat aus dem Weg, damit sich die beiden um den Jungen kümmern konnten. Nach wenigen Minuten drehte sich der ältere der beiden zu dem Lehrer um. „Ich fürchte, wir müssen ihn mit ins Krankenhaus nehmen. Der Arm ist stark geschwollen und vermutlich gebrochen, muss vielleicht sogar reponiert werden. Wir werden den Arm erst einmal ruhig stellen.“ Und zu Jason gewandt fügte er hinzu: „Ich kann dir leider kein Schmerzmittel geben. Glaubst du, wir schaffen das auch so?“

Jason nickte, doch als der zweite Sanitäter ihm eine Schiene anlegte, bereute er diese Aussage zu tiefst. Die Tränen traten ihm erneut in die Augen und er musste sich sehr zusammenreißen, um nicht laut loszubrüllen. Nachdem der Arm endlich geschient war, fühlte sich der Junge benebelt und als sie ihn anschließend zum Krankenwagen bringen wollten, versagten ihm die Beine. Schnell griff der jüngere der Sanitäter zu und hob ihn in seine Arme. Im Krankenwagen wurde er auf die Trage gelegt und der ältere der beiden überprüfte den Blutdruck. Langsam wurde Jason wieder klarer im Kopf und schließlich setzte sich der Krankenwagen in Bewegung zum nahegelegenen Kinderkrankenhaus. Jason schloss die Augen und fühlte die schaukelnde Bewegung des Fahrzeuges.

*

Im Krankenhaus bekam Jason für die weiteren Untersuchungen ein Schmerzmittel, das schnell wirkte. Endlich fühlte er sich etwas besser und die Röntgenbilder konnten ohne Probleme durchgeführt werden.

„Wir versuchen noch, deinen Vater zu erreichen, Jason. Wir müssen mit ihm das weitere Vorgehen besprechen.“

„Aber mein Vater hat keine Zeit“, sagte der Junge schnell. „Können sie mir nicht einfach einen Gips verpassen und ich gehe nach Hause?“

Der Arzt lachte. „Nein, Jason, so einfach ist das leider nicht. Dein Arm ist gebrochen und muss operiert werden.“

„Dann machen Sie das doch.“