Verpiss dich Bulle! - Ralf von der Brelie - E-Book

Verpiss dich Bulle! E-Book

Ralf von der Brelie

0,0
2,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

12 spannende Short Storys. Zum teil nach wahren ereignissen.

 

Ich wollte, dass er weiß, wie es sich anfühlt, wenn der Körper gemartert und die Seele in Scherben zerspringt, und ich wollte auch, dass er meinen Hass spürt, auf ihn, der ihr all das antat, und meinen quälenden Schmerz, weil ich ihr nicht helfen konnte.

Ich wollte, dass er all das weiß, all das spürt, bevor ich ihn endgültig vernichten würde ...

Aus: Golgatha

 

Das Feuer lag tief in den Augen verborgen, das funkeln, welches den Mörder erkennen ließ. Ich hatte dieses funkeln schon so oft gesehen, nicht nur bei denen, die in den vielen Jahren vor mir gesessen hatten. Auch bei Bekannten und Freunden hatte ich es manches Mal erkennen können. Ja, selbst bei dem Mann, der mir aus dem Spiegel entgegen

starrte, hatte ich es schon erblickt ...

Aus: Ein netter Mann. Anatomie eines Mörders

 

 Er wollte schreien, wollte nach seiner Mutter rufen. Doch kein Laut drang über seine Lippen.

Er spürte, wie sich sein Mund mit warmer, metallisch schmeckender Flüssigkeit füllte. Hörte seinen eigenen,

gurgelnden Atem und fühlte, wie es zwischen seinen Beinen warm wurde. Spürte, als er, wie ein Säugling, in die Hosen machte und nichts dagegen tun konnte ...

Aus: Lieb Vaterland

 

 

 

 

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ralf von der Brelie

Verpiss dich Bulle!

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Innhaltsverzeichnis

 

 

 

- Sechs Jahre sind kein Tag

 

- Die Zärtlichkeit von Rot

 

- Verpiss dich Bulle!

 

- Ein netter Mann. Anatomie eines Mörders

 

- Hass

 

- Ein todsicheres Ding

 

- Lieb Vaterland

 

- Totenklage

 

- Golgatha

 

- Stupid Man - ein Thriller in 500 Worten

 

- Engelstränen

 

- Das Experiment

Sechs Jahre sind kein Tag

 

 

 

Ich war gerade dabei meinen Schreibtisch abzuschließen, als das Telefon klingelte.

Das Wochenende stand vor der Tür und deshalb zögerte ich einen Moment, den Hörer abzunehmen. Mit einem unwilligem Seufzer tat ich es dann doch "Guten Tag, Agentur Schreiber, was kann ich für Sie tun?" versuchte ich meine Stimme so freundlich wie möglich klingen zu lassen und war im selben Moment froh darüber das ich mich doch, wenn auch widerwillig, dazu entschlossen hatte ans Telefon gegangen zu sein, denn am anderen Ende der Leitung hörte ich meinen Chef: "Müller?" fragte er, "Müller, sie müssen mir einen Gefallen tun. Ich muss übers Wochenende dringend nach London. Mein Flug geht schon in einer Stunde. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn sie mein Auto aus der Werkstatt holen würden. Es war zur Inspektion dort und ich schaffe es einfach nicht, es vor dem Abflug noch dort abzuholen. Stellen Sie es doch einfach auf dem Parkplatz vor dem Büro ab und werfen den Wagenschlüssel in den Briefkasten. Am Montag, wenn ich aus London zurück bin, hole ich das Auto dann ab".

Ich nickte, wurde mir dann aber bewusst, dass er mein zustimmendes Nicken nicht sehen konnte und antwortete deshalb: "Ja, natürlich werde ich das machen. Kein Problem!"

"Danke Müller und, äh, ein schönes Wochenende wünsche ich Ihnen!", "Viel Erfolg in London und auch für Sie ein schönes Wochenende", wollte ich gerade sagen, als ich feststellte, dass er schon wieder aufgelegt hatte.

 

Es war nicht ungewöhnlich, dass mein Chef mich um diesen Gefallen bat. Schon öfters hatte ich seinen Wagen zur Werkstatt gefahren oder ihn von dort abgeholt. Mir machte das nichts aus. Im Gegenteil, es unterbrach meine langweilige Tätigkeit im Büro und dann, dann liebte ich es, mit

diesem roten Cabriolet durch die Gegend zu fahren. Ich mochte das Gefühl, wie die Kraft des

Motors sich auf meinen Körper übertrug und die Vibrationen der wummernden Maschine eine Leichtigkeit in mir hervorrief, die ich nicht beschreiben, dafür aber umso mehr genießen konnte.

Mit meinem kleinen Gehalt würde ich mir ein solches Auto niemals leisten können, aber wenn ich hinter dem Lenkrad dieses Flitzers saß, konnte ich mich für eine kleine weile der Illusion hingeben, es wäre meines und zumindest eine Ahnung von Freiheit, Ungebundenheit und Wohlstand zwischen seinen Polstern fühlen.

 

Man kannte mich in der Werkstatt und so schlenderte ich schon nach kurzer Zeit über das

Werkstattgelände, wo ganz hinten, nahe der Mauer, die unbefugten den Zugang verwehren sollte, dass in der Sonne, rotglänzende Fahrzeug stand.

Mit einem freundlichen Piepen öffneten sich die Türen, als ich die kleine Erhebung auf dem Schlüssel niederdrückte.

Das schwarze Leder schmiegte sich angenehm kühl in meinen Rücken und mit leisem Surren

öffnete sich das Verdeck, als ich den Schalter am Armaturenbrett betätigte.

Ich atmete tief ein, startete den Wagen und fühlte mich leicht und frei, als ich das Fahrzeug auf die Straße lenkte.

Ich mochte mich noch nicht so schnell trennen, wollte dieses Gefühl der Unabhängigkeit

wenigstens noch eine ganz kleine Weile genießen und so fuhr ich nicht direkt zurück zum Büro,

sondern dachte mir, dass ich es mir verdient hatte, mich eine Weile der Illusion hinzugeben das die Blicke der Passanten mir galten und nicht nur dem Wagen und dessen vermeintlichem Besitzer,

dessen Aura Reichtum, Luxus und Coolness ausstrahlte.

Ich könnte wenigstens noch für das Wochenende einkaufen, dachte ich und steuerte den Wagen auf die Straße, an der sich der Supermarkt befand, indem ich Stammkunde war, weil er ganz in der nähe meiner Wohnung lag.

Ich dachte an das vor mir liegende Wochenende. An die Wände meiner Wohnung, die mich

anstarren würden. An die Leere, die dort herrschte und die kälte, von der ich wusste, dass auch das warme Sommerwetter diese nicht vertreiben würde.

Ich dachte an meine Einsamkeit und daran, dass es niemanden gab, den ich hätte anrufen können. Keinen, mit dem ich ein wenig Zeit verbringen könnte oder der auf mich wartete.

 

Ich steuerte auf den Parkplatz des Supermarktes, auf dem es jetzt, am frühen Freitagnachmittag, schon sehr voll war.

Auch hier schauten die Leute zu mir herüber, als ich den Wagen elegant in eine der wenigen noch freien Parklücken lenkte.

Ich genoss dieses Gefühl der neidischen Blicke, welches mich mit wärme durchströmte und mir fast so etwas wie Macht zu verleihen schien.

Gleich im Eingangsbereich schob ich meine Kreditkarte in den Geldautomaten, um für den Einkauf noch etwas Bargeld abzuheben.

Vor ein paar Jahren war es mir einmal passiert, dass meine Karte an der Kasse nicht akzeptiert

wurde und ich konnte mich noch allzugut an diese peinliche Situation erinnern, als ich beschämt und unter den neugierigen und ungeduldigen Blicken der Menschen, die hinter mir in der Schlange an der Kasse standen, stotternd eingestehen musste, dass ich nicht ausreichend Bargeld mit mir führte, um den Einkauf bezahlen zu können.

Mit ärgerlichem Gesicht und, wir es mir damals schien, Wut in den Augen, hatte die Kassiererin meinen Einkaufswagen beiseitegeschoben und mich fortgeschickt.

Wochenlang hatte ich mich nicht mehr getraut, dort einzukaufen, so hatte ich mich geschämt. Noch heute konnte ich das unangenehme heiße Prickeln im Nacken spüren, das mir die Kopfhaut

emporkroch, als ich unter den Blicken all der anderen Kunden unverrichteter dinge den Laden

verlassen musste.

Seit damals hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht nur noch, wann immer es ging, mit Bargeld zu bezahlen.

 

Ich weiß nicht, warum ich es tat, aber als auf dem Bildschirm des Geldautomaten die Zahlen

auftauchten, unter denen ich mich entscheiden sollte, welchen Betrag ich abzuheben gedachte, drückte ich wie von selbst auf die höchstmögliche Summe. Ein Betrag, den ich mir eigentlich nicht leisten konnte und dessen höhe mir für einen Augenblick schwindel verursachte.

Der Automat surrte, spuckte dann meine Karte aus und kurz danach hielt ich einige große

Geldscheine in den Händen, die ich eiligst einsteckte.

Dann verließ ich den Supermarkt, überquerte mit schnellen Schritten den Parkplatz und war froh, als ich mich endlich wieder in die weichen Lederpolster fallen lassen konnte.

Ich hatte einen Entschluss gefasst. Oder nein, dort vor dem Geldautomaten war eigentlich nicht ich es, der diesen Entschluss fasste. Etwas in mir sagte „Tu es!“, und ich tat es. Ohne zu überlegen,

ohne an irgendwelche Konsequenzen zu denken, schob ich jeden Zweifel beiseite und unterdrückte das schlechte Gewissen, das mich für einen Moment zögern ließ, als in mir der Gedanke

heranwuchs, mir ein kleines Stückchen von dem zu holen, was mir das Leben bis jetzt schuldig

geblieben war.

Ich drückte das Gaspedal durch. Der Wagen beschleunigte mit quietschenden Reifen und ich wurde in den Sitz gedrückt. Ich verließ den Parkplatz, bog nach rechts ab und in weniger als zwei Minuten stand ich vor dem grauen Wohnkomplex, in dem ich schon seit einigen Jahren meine kleine

Wohnung hatte.

Obwohl es eigentlich keinen erkennbaren Grund zur Eile gab, beeilte ich mich. Vielleicht lag es

daran, dass ich Angst davor hatte, dass mein Mut mich verlassen würde, dass die Gewissensbisse, die ich vor dem Geldautomat zurückgelassen hatte, mich doch noch einholen könnten.

Auf der Treppe zu meiner Wohnung begegnete mir Frau Wieland, meine Nachbarin „Ah, guten Tag Herr Müller, endlich Wochenende was?“

Ich beachtete sie nicht weiter. Erklomm mit schnellen Schritten die letzten Stufen, öffnete die

Wohnungstür und ohne mich groß umzusehen, ging ich direkt in mein Schlafzimmer.

Die Reisetasche lag ganz unten im Kleiderschrank. Ich hatte sie schon seit einer Ewigkeit nicht mehr benutzt. Ich warf sie auf das Bett und gleich darauf folgten ein paar wenige Kleidungsstücke.

Ich brauchte nicht viel für die kurze Zeit. Schnell stopfte ich alles in die Tasche. Dann holte ich noch Zahnbürste, Zahnpaste, Rasierapparat und die Flasche angefangenes Duschgel aus dem Bad. Legte alles oben in die Tasche, schloss den Reißverschluss und zog gleich darauf die Wohnungstür wieder hinter mir zu.

Frau Wieland war verschwunden, stellte ich erleichtert fest und nahm gleich zwei Stufen auf

einmal, als ich die Treppe hinuntereilte.

Meine Tasche warf ich achtlos auf den Rücksitz, sprang dann selbst in den Wagen, startete den

Motor und fuhr davon. Hinaus aus der Stadt und hinein in ein Wochenende voller Sonnenschein, voller Wärme und mit etwas glück ein paar Menschen, die Kenntnis von mir nahmen. Weg aus der Stadt, fort von dem grau aus Asphalt und Beton und der Einsamkeit und enge meiner Wohnung und hinein in etwas, von dem ich hoffte, dass es das Leben war.

 

Schon bald hatte ich die Stadt hinter mich gebracht. Vor mir breitete sich das Band der Landstraße aus. Umsäumt von blühenden Wiesen, in voller Pracht stehender Bäume und hier und da einzeln stehenden Häusern, in denen glückliche Menschen leben mussten. Über allem breitete sich die

unendliche weite des Himmels aus, dessen klares Blau nur mit wenigen, wie Watte wirkende

Schäfchenwolken durchzogen war. Der warme Fahrtwind streichelte mein Gesicht und ich hatte das Gefühl nach langer, sehr langer Zeit wieder frei atmen zu können.

Niemand wird es merken, sprach ich mir selbst Mut zu. Das Wochenende würde ich irgendwo in einem kleinem Landhotel verbringen. Ich könnte Spaziergänge machen, die mich durch Wälder und über blühende Wiesen führen werden. Vielleicht hatte ich auch die eine oder andere Begegnung mit einem netten Menschen, mit dem ich das Gefühl des Welt umarmen wollen teilen dürfte. Aber egal wie auch immer es wird, dieses Wochenende. Diese wenigen Tage werden glücklich sein, so schwor ich mir und dann, am Sonntagabend werde ich zurück in die Stadt fahren, das Auto vor dem Büro abstellen, den Schlüssel wie vereinbart in den Briefkasten werfen und keiner wird je von meinem Ausflug erfahren.

Beschwingt ob dieser Glücksverheißenden versprechen, drückte ich das Gaspedal durch.

 

„Mist!“ fluchte ich. Ich hatte die Radarfalle erst gesehen, als ihr blitzen mich aus meinen

glücklichen Gedanken aufschrecken ließ.

„Verdammt, verdammt, verdammt!“ rief ich laut gegen den Fahrtwind an und schlug dabei mit der Faust aufs Lenkrad. Jetzt würde alles rauskommen. Das Wochenende hatte so gut und

vielversprechend begonnen und nun das. „Scheiße!“ Schimpfte ich noch einmal und ärgerte mich über meine eigene Dummheit, als ich gleich dort vorne, nur etwa hundertfünfzig Meter vor mir, am Straßenrand die rot leuchtende Kelle sah, die mich zum halten aufforderte.

Ich setzte den Blinker, und als ich dicht hinter dem Streifenwagen zum stehen kam, spürte ich das mich mein schlechtes Gewissen, welches ich weit hinter mir in der Stadt zurückgelassen geglaubt hatte, mit Wucht einholte. Wie es erst in den Wagen, dann in meinen Magen und gleich darauf in meinen Kopf schoss und mir kalten Schweiß aus den Poren trieb.

Einer der beiden Polizisten, die ich sehen konnte, kam langsam, und wie ich zu erkennen glaubte, mit einem triumphierendem grinsen, auf den Wagen zu.

„Das war wohl nichts!?“, sagte er, als er sich über das Fahrzeug beugte und mich anschaute.

„Tut mir leid“, stotterte ich und fühlte, wie mir siedeheiße röte ins Gesicht schoss.

„Ist das Ihr Wagen?“, fragte er und tastete mit seinen Augen das Innere des Fahrzeugs ab, bevor er mich wieder direkt ansah.

„Ähm, nein, ist nur geliehen“, antwortete ich verlegen. „Mhm, dann geben Sie mir mal Ihren

Führerschein und die Fahrzeugpapiere“

Nervös kramte ich erst in der Innentasche meines Jacketts herum, um sogleich dasselbe im

Handschuhfach zu tun. Schweiß rann mir dabei von der Stirn und brannte in den Augen und ich hoffte inständig, er würde nicht merken, dass ich Angst hatte.

Endlich fand ich die Dokumente und drückte sie ihm in die Hand.

Langsam ging er um den Wagen herum, verglich Zulassung und Nummernschild und kam dann wieder zu mir zurück und fragte mich völlig unvermittelt „Verbandskasten, Warndreieck?“

„Äh, äh, im Kofferraum“, stotterte ich noch mehr und hoffte, dass beides sich auch dort befinden würde.

„Na dann, bitte!“, forderte er mich auf, das Fahrzeug zu verlassen.

Ich öffnete die Wagentür, stieg aus, ging um den Wagen herum und mit zitternden Händen gelang es mir schließlich, den Kofferraum zu öffnen.

 

Das ging nicht!

Das war unmöglich und völlig absurd!

Ich spürte, wie ein fast unkontrollierbares Gefühl sich in meiner Magengegend breitmachte. Wie es darum kämpfte herausgelassen zu werden. Es fehlte nicht viel und ich hätte ihm nachgegeben und laut angefangen zu lachen. Doch gleichzeitig verschwand alles um mich herum in einem Nebel. Die Sonne, die gerade noch hell und warm am Himmel stand, explodierte in schmerzhaften Blitzen. Meine Beine schienen unfähig mich weiter tragen zu können und die Erde drehte sich mit

irrsinniger, torkelnder Geschwindigkeit und drohte mir die Füße wegzureißen.

Nur mit Mühe gelang es mir, mich am Rand des Kofferraums festzuhalten und abzustützen, sonst wäre ich gestürzt, wäre nach vorne gefallen, hinein in den weit offenstehenden Kofferraum und

direkt auf die Leiche meines Chefs.

 

Jetzt sitze ich hier in dieser Zelle mit den schmutziggrauen Wänden. Sitze auf einer grauen,

schmalen Liege auf einer grauen, einfachen Wolldecke. Alles um mich herum ist Grau. Selbst die Stahltür und das kleine Guckloch, das in Augenhöhe in ihr eingelassen ist, der Boden und die

Decke des winzigen Raumes. Alles grau.

Auch meine Gedanken sind grau und verworren. Nichts passt zusammen, alles verschwimmt in einer Kloake aus grauem, zähem Schleim.

Ich weiß nicht, wie ich hierhergekommen bin.

Das rote Auto, ein Traum von Luxus. Der so wunderbar blau leuchtende Himmel, an dem Wolken unschuldig ihre Bahnen ziehen. Der geöffnete Kofferraum der, wie ein weit aufgerissener Schlund mich in sich hineinziehen will. Die seltsam verkrümmte Leiche meines Chefs, aus dessen Brust, fast obszön wirkend, dieses goldene Ding steckte, an dessen Griff ich sofort meinen

verschwundenen Brieföffner erkannte. Mein Chef, der nicht in diesem Kofferraum, in diesem roten Auto sein konnte und es dennoch war.

Hände, die nach meinen Armen griffen. Kalter Stahl und das Klicken der Handschellen, die sich um meine Gelenke schlossen.

Fragen, die mir gestellt wurden und deren Sinn ich nicht begriff. Fotos wurden gemacht, meine

Finger auf ein Stempelkissen gedrückt und schließlich auf Karton. Irgendjemand reichte mir ein weißes Papiertuch, um mir die Hände damit zu säubern.

Warum kann ich mich noch so gut an dieses billige Einwegtuch erinnern?

Vielleicht, weil seine weiße Farbe nicht in diese graue Welt, zu meinen grauen, verworrenen

Gedanken passt?

Nichts passt irgendwie zusammen und doch sitze ich hier auf dieser Pritsche, in dieser grauen Zelle.

Ich schrecke aus meinen Gedanken auf, als ein Schlüssel im Schloss gedreht und die Tür

aufgerissen wird.

„Müller, zum Verhör!“ ruft mir ein Uniformierter zu.

Widerstandslos erhebe ich mich von meinem Platz, trete hinaus und lasse mir wortlos Handschellen umlegen und von dem Wärter abführen.

Nach kurzer Zeit erreichen wir einen anderen Raum. Auch hier ist alles grau. Der in der Mitte des Raumes stehende braune Holztisch wirkt wie ein Fremdkörper in dieser grauen, kahlen Welt.

Zwei Stühle stehen sich an dem Tisch gegenüber. Mir wird befohlen, mich auf einem von ihnen

niederzulassen.

Schon nach kurzer Zeit wird eine weitere Tür geöffnet und ein mir bekanntes Gesicht betritt den Raum.

Es ist der Kommissar, der meinen Fall untersucht. Sein Anblick flößt mir fast so etwas wie

Vertrautheit und ja, Hoffnung ein.

 

Endlich mal ein einfacher Fall, denke ich beim Umblättern der dünnen Akte, die ich in den Händen halte. Vielleicht, mit etwas Glück, ist das Wochenende doch noch nicht ganz versaut und ich kann in ein - zwei Stunden nach Hause. Mich in den Garten legen, mir die Sonne auf den Pelz brennen lassen, in einem guten Buch blättern und die Welt, die mich komplett am Arsch lecken konnte, draußen lassen.

Ich öffne die Tür und schaue in den Raum. Müller sitzt schon dort, stelle ich befriedigt fest. Ja, es würde einfach werden. Gott sei dank!

Ich nicke dem untersetzt wirkenden Typ kurz zu. Ziehe den Stuhl ein wenig zurück, lasse die

Mappe auf die Tischplatte fallen und setze mich schließlich.

Ich sehe in das Gesicht meines gegenüber, auf dessen glänzender Stirn sich nun Schweißtropfen

bilden.

Ich versuche, ihm in die Augen zu schauen, doch er weicht meinem Blick aus. Seine Augen irren im Raum umher, und auch wenn er es ehrlich versucht, er kann mir einfach nicht direkt ins Gesicht schauen.

Seine Hände liegen auf den Beinen. Nervös reibt er mit ihnen immer wieder an seinen Knien

entlang und schon bald zeichnet sich dort, wo er ständig die Handflächen entlang reibt, dunkle

Flecken auf den Hosenbeinen ab.

Ich versuche, in seinem Gesicht zu lesen, dessen Konturen schmal und blass, unruhig vor mir hin und her pendeln. Sein schon schütteres Haar glänzt schmutzig braun unter dem Licht der

Neonröhren, die den Raum mit unnatürlicher kälte erhellen. Seine Haut wirkt wie durchsichtiges grau und ich spüre die Angst, die sein Denken beherrscht.

Ich kenne solche Typen, deren ganzes Leben aus einer Aneinanderreihung unendlicher Langeweile besteht, aus der sie nicht ausbrechen können, weil ihnen dazu das wichtigste fehlt - Mut, kraft und Entschlossenheit.

Dann sitzen sie irgendwann vor mir, wissen selbst nicht, wie sie hierhergekommen sind, und

weigern sich, selbst das offensichtliche zu erkennen und zu akzeptieren.

Nein, solche Typen sind keine Mörder. Auch dieser Müller ist keiner der einen eiskalten Plan

ausheckt und diesen dann in die Tat umsetzt.

Fast tut er mir ein wenig leid, wie er da vor mir auf seinem Stuhl hin und herrutscht und sich

windet, während ihm der Schweiß aus allen Poren trieft.

Ich ziehe die Akte zu mir heran, schlage sie auf und blättere ein wenig darin herum. Es sind nur

wenige Seiten, aber die Beamten haben gute Arbeit geleistet in den wenigen Stunden seit Müllers Verhaftung.

„Dann erzählen Sie mal“, fordere ich Müller auf.

Dieser schaut kurz auf, senkt dann aber sogleich wieder seinen Kopf, starrt einen Moment auf die Hände in seinem Schoss und flüstert dann fast unhörbar „Ich weiß nichts. Das alles, dass alles muss ein Irrtum sein. Ein furchtbarer Irrtum. Eine Verwechslung vielleicht. Ich habe doch niemanden

umgebracht!“

„Gut, dann werde ich Ihnen erzählen, wie es war“. Ich warte einen Augenblick, als aber weiterhin nichts von Müller kommt und er auch seinen Kopf nicht hebt, sondern nach wie vor auf seine

Hände starrt, deren Finger er jetzt mit fahrigen Bewegungen ineinander reibt, setze ich meine

Ausführungen fort: „Es war nicht das erste Mal, dass Sie den Wagen ihres Chefs von der Werkstatt abholten. Das haben uns die dortigen Mitarbeiter bestätigt. Es war auch nicht das erste Mal, dass Sie sich, anstatt ihren Anweisungen folge zu leisten und das Fahrzeug direkt abzuliefern, es

stattdessen für eine kleine Spritztour ausliehen!“ Müller schwieg weiterhin, nickte aber fast

unmerklich.

Ich atmete tief ein und hatte nur das Bedürfnis diesen Fall endlich zu einem ende zu bringen. Dort draußen wartete die Sonne auf mich, warteten meine Frau und die Kinder, ein einladend

verlockender Liegestuhl und ein Wochenende, welches nur mir gehörte, während hier drinnen nichts anderes als kaltes grau und die Ergebnisse niedrigster, menschlicher Instinkte das wirkliche Leben aussperrten.

Ich setze erneut an: “Sie holten also das Auto aus der Werkstatt ab und wie so oft fuhren Sie nicht direkt zurück ins Büro, sondern stattdessen ein wenig in der Gegend herum. Sie kamen somit erst unerwartet spät von der Werkstatt zurück. Ihr Chef erwartete Sie, machte Ihnen Vorwürfe. Es kam zu einem Streit, indessen folge Sie nach dem Brieföffner auf Ihrem Schreibtisch griffen und damit zustachen!“. Nun endlich zeigte Müller eine Reaktion „Aber das stimmt nicht, ich habe meinen Chef nicht umgebracht, er ist doch in London, er war doch gar nicht da. Ich bin doch kein Mörder!“

Ungerührt fahre ich fort “Ja, es stimmt, es gab einen reservierten Flug nach London, aber dieser wurde kurz vor dem Abflug storniert. Sie hatten damit nicht gerechnet, fühlten sich sicher als Sie den Wagen benutzen und es muss ihnen einen furchtbaren Schrecken eingejagt haben, als dann ihr Chef wiedererwarten vor Ihnen stand!“

„Nein, nein, nein!“, ruft Müller nun und seine Stimme überschlägt sich fast dabei. „Es war doch

alles ganz anders, mein Chef ist in London, er war doch gar nicht da. Ich bin kein Mörder, ich habe niemanden umgebracht!“

Ich glaube ihm. Ja sicher, er hatte getötet. Für einen kurzen Moment die Kontrolle verloren und als er dann begriff, was er getan hatte, hatte er alles darangesetzt, es ungeschehen zu machen. Er hatte seine Tat vor sich selbst geleugnet, sie weggewischt wie einen bösen Albtraum. Als Müller dann die Leiche im Kofferraum verstaut hatte, die Klappe geschlossen und der Tote nicht mehr zu sehen war, konnte er sich selbst einreden, dass alles wäre nie wirklich geschehen. Nein, Müller war kein

Mörder. Er hatte getötet, aber ein Mörder war er ganz sicher nicht.

„Es sind nur Ihre Fingerabdrücke auf dem Brieföffner, ebenso haben wir Fingerabdrücke von Ihnen auf dem Kofferraumdeckel gefunden. Leugnen hat doch keinen Zweck mehr. Erzählen Sie, wie es war, und Sie werden sehen, es wird Ihnen gleich besser gehen“. Doch Müller schwieg. Schüttelte nur mit dem Kopf und schwieg.

Ich fahre fort „Sie haben ihren Chef getötet, daran besteht kein Zweifel. Dann haben sie die Leiche in den Kofferraum gelegt. Sie waren sicher voller Panik und wussten nicht genau, was Sie nun tun sollten. Das einzige an das Sie denken konnten war Flucht“, ich mache eine kurze Pause, fahre dann aber weiter in meinen Ausführungen fort „Sie fuhren zum nächsten Geldautomaten und hoben dort so viel Geld ab, wie Sie konnten, auch das haben wir überprüft. Dann eilten sie in Ihre Wohnung. Ihre Nachbarin Frau Wieland begegnete Ihnen im Treppenhaus. Sie berichtete, wie eilig Sie es

hatten, so eilig, dass Sie Nichteinmal ihren Gruß erwiderten.

In Ihrer Wohnung packten Sie einige Dinge zusammen, die Sie für ihre Flucht benötigten, und machten sich dann auf den Weg. Erst die Radarfalle und meine Kollegen stoppten Ihre Flucht. Wo wollten Sie eigentlich hin? Was hatten Sie mit der Leiche vor? Dachten Sie wirklich, Sie würden damit durchkommen, dass niemand fragen stellen würde, das Sie ihr Leben einfach so weiterleben hätten können, so als wäre nichts passiert?“

Es wurde still im Raum. Eine Stille, die aus den Ecken zu kriechen schien und sich ganz allmählich ausbreitete. Eine Ruhe die Beklemmung und kälte in sich trug und die ich in meinem Leben schon all zu oft hier, in diesem Raum, gespürt hatte und die mich um so mehr daran erinnerte, dass draußen die Sonne schien und das Leben mehr, viel mehr war, als das unfreiwillige Sterben, mit dem ich mich Tag für Tag beschäftigen musste.

Müller hebt den Kopf. Endlich schaut er mich an, traute sich, mir direkt in die Augen zu blicken. Seine Lippen zittern, als er endlich Worte findet „Ich bin kein Mörder. Ich habe niemanden getötet. Ich, ich war das nicht, dass müssen Sie mir einfach glauben. Das alles ist ein Irrtum, dass kann doch alles gar nicht sein. Eine Verwechslung, das muss eine Verwechslung sein. Mein Chef ist doch in London. Ich bin doch kein Mörder!“, stammelt er.

„Nun gut“, sage ich leise, „Ich werde Sie zurück in Ihre Zelle bringen lassen. Vielleicht denken Sie ja dort noch einmal über alles nach, es ist wirklich besser Sie gestehen. Sie werden sehen, das hilft.

 

Ich greife zu der Akte, die zugeklappt auf dem Tisch zwischen uns liegt, nehme sie an mich und

stehe dann auf. Für mich ist der Fall abgeschlossen, der Rest ist Sache der Staatsanwaltschaft.

Ich wende mich der Tür zu und klopfe zweimal dagegen. Fast im selben Augenblick wird sie von einem uniformierten Beamten geöffnet.

Noch einmal drehe ich mich um. Müller sitzt noch immer an dem Tisch. So alleine dort sitzend wirkt er klein und zerbrechlich. Wieder hat er den Kopf gesenkt und nur am Zucken seiner

Schultern kann ich erkennen, dass er weint. Fast überkommt mich wieder ein hauch von Mitleid, den ich mit einer Handbewegung wegwische und mich schließlich wieder dem Beamten zuwende „Abführen!“

 

Aus!

Alles ist aus!

Fast wie in Trance lege ich den Telefonhörer, aus dem nur noch ein ins Unendliche gezogener Piepston zu mir dringt, wieder auf die Gabel zurück.

Ich hätte wütend sein müssen, zumindest ärgerlich oder enttäuscht. Aber da war nichts.

Aus, war alles, was ich denken kann.

Ich habe keine Kraft mehr. Noch einmal werde ich es nicht schaffen, mir all das aufzubauen. Es hat so viele Jahre gedauert, so viele unfaire Kämpfe liegen hinter mir und alles, was nun bleibt, ist

dieses eine Wort, das in meinem Kopf pulsiert, in meiner Brust zu schneidendem Schmerz an und abschwillt und alles um sich herum in Dunkelheit versinken lässt: Aus!

Dieser eine Auftrag aus London hätte die Firma vielleicht noch retten können aber nun, nach

diesem Anruf war jede Hoffnung darauf, dass es irgendwie weitergehen würde einfach erloschen.

Aus, Bankrott, Schluss!

Ich war am ende und das wissen darum und mir dieses selbst eingestehen zu müssen, brachte nun doch einen Funken Zorn in mir zum Glimmen.

Diese verdammten Engländer! Den Flug hatte ich schon gebucht, die Präsentation in wochenlanger Arbeit fertiggestellt. Ich hatte so knapp kalkuliert, wie es nur irgend möglich war, und dann riefen sie einfach an, um mir mitzuteilen, dass sie sich anderweitig entschieden hatten. Verdammte

Tommys!

Bankrott!

„Habt ihr schon gehört, der Schreiber ist pleite. Geschieht ihm ganz recht!“ Ich höre schon, wie meine Konkurrenten über mich lästern werden. Wie sie die Hände reiben und sich in ihrer

Schadenfreude suhlen. Dann denke ich an meine Frau, an die Kinder. An unser großes Haus unser luxuriöses Leben. Alles vorbei!

Aber so einfach werde ich mich nicht geschlagen geben. Niemand wird über mich Lachen, denn noch gab es einen Ausweg.

Ich erhebe mich von meinem Sessel, in dem ich vor wenigen Augenblicken noch wie versteinert

gesessen hatte, gehe zu dem Regal an der gegenüberliegenden Wand meines Büros. Fahre dort mit den Augen die langen Reihen von Aktenordnern ab und ziehe schließlich einen von ihnen hervor, mit dem ich mich zurück zu meinem Schreibtisch begebe.

Ich habe schnell gefunden, was ich suche. Zwei Millionen Euro, verkündet mir die Police der

Lebensversicherung. Eine Summe, die meine Gegner zum Schweigen und meine Frau und den

Kindern zu einem guten Leben verhelfen wird.

Fast eine Stunde benötige ich, bis ich den Versicherungsvertrag komplett durchgearbeitet habe.

Ja, ich hatte es geahnt. Dort, im Kleingedruckten stand es: keine Auszahlung im Falle eines

Selbstmordes. Diese Klausel würde erst nach Ablauf von drei Jahren wirkungslos werden, doch die Lebensversicherung hatte ich erst vor gut zwei Jahren abgeschlossen.

Ich schließe den Ordner, lehne mich in meinem Sessel zurück und überlege, als es plötzlich an die Tür klopfte. „Herein!“, rufe ich ärgerlich. Zögernd wird die Tür geöffnet und Müller steckt seinen Kopf herein „Ähm, entschuldigen Sie bitte Herr Schreiber, ich hätte da nur noch etwas zum

Unterschreiben“. Mit ungeduldiger Handbewegung winke ich ihn zu mir, lass mir das Dokument vorlegen, setze meinen Namen darunter und gebiete ihm, dass ich nicht weiter gestört werden möchte.

Müller nickt beflissentlich und verschwindet kurze Zeit darauf wieder.

Ich mochte ihn nicht, diesen Müller. Ich hatte ihn noch nie gemocht. Seine unterwürfige Art, sein zusammenzucken, wenn ich das Büro betrat, seine Unfähigkeit niemals Nein sagen zu können. All das waren Wesenszüge, die ich verabscheute und die mir jedes Mal, wenn ich diesem Müller ins

Gesicht sah, ein Unwohlsein verursachte das, würde ich nicht aufpassen, ohne frage eines Tages in wütendem Hass explodieren wird. Schon längst hätte ich ihn rausgeschmissen, wenn es denn einen wirklichen Grund dafür gegeben hätte. Aber Müller tat, was immer ich ihm befahl und was er tat, das machte er gut.

Ich lehne mich in meinem Sessel zurück, schliesse die Augen und überlege, wie ich an das Geld der Lebensversicherung herankommen konnte, doch meine Gedanken schweifen beständig ab und

drehen sich immer um diesen Müller.

Dann kommt mir ein Gedanke und ganz allmählich formt sich dieser zu einem Plan, den ich abwiege, verwerfe, dann wieder aufnehme und als ich alles durchdacht hatte, scheint alles so einfach und logisch, dass es einfach funktionieren musste.

Es war Mittwoch, für Freitag hatte ich meinen Flug nach London gebucht. Viel Zeit hatte ich also nicht mehr. Ich hebe den Hörer des Telefons ab, wähle die Nummer meiner Vertragswerkstatt,