10,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 10,99 €
Elena Ludwig ist eine attraktive, gut situierte Maklerin und wohnt im Herzen von Siena. Gelangweilt von ihren Mitmenschen, lebt sie ihre sexuelle Leidenschaft auf eine riskante Art und Weise aus. Ein hochgefährlicher Kick, wenn sie an den Falschen gerät.
Unterdessen erschüttert eine brutale Verbrechensserie die Toskana. Menschen verschwinden, und die wenigen, die zurückkommen, sind traumatisiert und für immer zerstört. Commissario Neri ermittelt, träumt aber schon von einem Altersruhesitz am Meer, den ihm die Maklerin Elena vermitteln soll. Doch dann verschwindet auch sie...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 514
Das Buch
Das alljährliche Dorffest im toskanischen Städtchen Ambra ist in vollem Gange, man isst und trinkt, singt und tanzt und liegt sich weinselig in den Armen. Im Gedränge geht Jonas, ein siebenjähriger Junge, verloren. Seine Eltern suchen ihn verzweifelt – aber er ist wie vom Erdboden verschluckt.
Schweren Herzens nimmt commissario Neri die Ermittlungen auf. Nicht schon wieder ein verschwundenes Kind!
Aber dabei bleibt es nicht. An unterschiedlichen Orten in der Toskana verschwinden Menschen. Es gibt keine Leichen, keine Spuren – nichts.
Neri überfordert die Suche nach dem kleinen Jonas, er sehnt sich nach dem Ruhestand, am besten mit einem kleinen Ferienhaus am Meer. Das soll ihm die Maklerin Elena vermitteln, eine alte Bekannte der Familie.
Elena spielt in der höchsten Liga, hat die absoluten Topimmobilien der Toskana im Portfolio. Doch trotz ihres beruflichen Erfolgs spürt sie eine tiefsitzende Langeweile, vor allem was ihre Beziehungen zu Männern betrifft. Den nötigen sexuellen Kick verschafft ihr erst eine Agentur, über die sie sich mit wildfremden Männern einlässt. Elena weiß selbst, dass sie damit ein verdammt hohes Risko eingeht.
Und dann ist auch sie plötzlich verschwunden.
Die Autorin
Sabine Thiesler, geboren in Berlin, studierte Germanistik und Theaterwissenschaften. Sie arbeitete einige Jahre als Schauspielerin im Fernsehen und auf der Bühne. Außerdem schrieb sie erfolgreich Theaterstücke und zahlreiche Drehbücher fürs Fernsehen. Bereits mit ihrem ersten Roman »Der Kindersammler« stand sie wochenlang auf den Bestsellerlisten, ebenso mit all ihren weiteren Romanen. Zuletzt bei Heyne erschienen: Im Versteck.
Große Autorenwebsite unter: www.sabine-thiesler.de
SABINE
THIESLER
VERSCHWUNDEN
THRILLER
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.
© 2023 by Sabine Thiesler
© 2023 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: Eisele Grafik · Design, München,
unter Verwendung von Trevillion Images/Joanna Czogala
Herstellung: Mariam En Nazer
Satz: Leingärtner, Nabburg
ISBN 978-3-641-28084-0V002
www.sabine-thiesler.de
www.heyne.de
Wenn du einen verhungernden Hund aufliest und machst ihn satt, dann wird er dich nicht beißen. Das ist der Grundunterschied zwischen Hund und Mensch.
Mark Twain
PROLOG
Da war ein winziger Laut. Wie ein Schaben. Etwas Kratzendes, das sie in ihre Träume einbaute. Dann war es wieder still.
Kurz darauf ein Schlag. Oder ein dumpfes Krachen. Es kam vom Balkon und war auf alle Fälle nicht normal.
Im Schlafzimmer war es stockfinster, sie hielt den Atem an. Horchte und starrte in die Dunkelheit. Ihr Herz raste.
Sie konnte nichts hören und nichts sehen. Alles war still.
Nein, da war nichts, sagte sie sich schließlich. Alles in Ordnung, was sollte auch sein. Schlaf weiter. Morgen hast du zwei Vorlesungen, da musst du ausgeruht sein.
Sie streckte sich, schlang die Bettdecke um ihre Beine, atmete tief aus, was fast wie ein sanftes, wohliges Seufzen klang, und schlief weiter.
Als sie der grelle Strahl einer Taschenlampe direkt ins Gesicht traf, schreckte sie aus all ihren Träumen und war augenblicklich wach. Ihr Zustand kam einem Herzstillstand nahe.
Vor ihrem Bett stand ein Mann. Vollkommen schwarz gekleidet. Vermummt. Mit einem Messer in der Hand.
Sie versuchte zu schreien. Aber da kam kein Laut. Und dann wollte sie kämpfen, sich wehren, versuchen zu fliehen, aber sie lag wie festgeschraubt in ihrem Bett, unfähig, sich zu bewegen. War vollkommen hilflos. Gelähmt und ausgeliefert. In kompletter Schockstarre.
Sie hatte nur noch die eine Chance, dass dies alles ein ganz böser Traum war. Der schlimmste, den sie je geträumt hatte.
Aber es war kein Traum.
DORFFEST
Das kleine, beschauliche toskanische Städtchen Ambra glich einem Irrenhaus. Auf der Piazza waren eine Bühne und eine Tanzfläche aufgebaut, und die hämmernden Bässe einer Band wummerten durch die Gassen. Überall Buden mit Salami, Schinken, Oliven, Käse oder primitivem Kunsthandwerk. Familienväter hatten aus Holz kleine Boote zusammengeleimt, Frauen aus einfachen Materialien Ohrringe und Halsketten zusammengelötet. Auf der kleineren Piazza vor dem Zeitungsladen stand ein großes weißes Zelt, in dem man Schnecken in Knoblauchöl, lumache aglio e olio, verspeisen konnte. Der Chianti floss in Strömen, Einheimische und Touristen feierten gemeinsam, lautstark und weinselig. »Azzurro« dröhnte zweisprachig durchs Zelt, man lag sich in den Armen und fühlte sich am schönsten Ort der Welt.
Auf dem Parkplatz direkt am Kindergarten stand sogar ein Karussell für die Kleinsten mit Autos, Feuerwehren, Pferden und Elefanten.
Ganz Ambra war unterwegs, und keinen Touristen hielt es in seinem Ferienhaus. Dies war der Event des Jahres, dieses Fest wollte niemand verpassen. Die Italiener waren wie im Rausch, sie lachten, aßen, tranken und sangen, der wummernden Band zum Trotz, einige tanzten die engen Gassen entlang.
Es war voll.
Es war laut.
Es war ein herrlicher Ausnahmezustand.
Gitta war an einem kleinen Stand mit Modeschmuck stehen geblieben. Die Frau hinter dem Verkaufstresen hatte langes graues Haar. Sie begrüßte Gitta nicht, beobachtete sie nur und ließ sie in Ruhe.
Gitta interessierte sich für ein Paar Ohrringe. Gut, sie waren nichts wert, aber irgendwie originell und eine schöne Erinnerung an diesen traumhaften Urlaub, der in drei Tagen zu Ende ging.
Sie überlegte hin und her, konnte sich nicht entscheiden, zögerte und zauderte, als ginge es um eine Immobilie, dabei kosteten die Ohrringe gerade einmal zwanzig Euro. Viel zu teuer für das billige Zeugs, dachte sie, aber auch wunderschön. Und was sind schon zwanzig Euro für ein Andenken. Mein Gott!
Die grauhaarige Frau sagte immer noch keinen Ton, sondern sah Gitta nur unverwandt an, bis diese schließlich meinte: »Va bene. Ich nehme sie.«
Jetzt huschte ein Lächeln über das Gesicht der Grauhaarigen, sie zauberte blitzschnell ein Tütchen aus einer Schublade, ließ die Ohrringe hineinfallen und gab sie Gitta.
Gitta bezahlte, bedankte sich und reihte sich wieder in den Strom der Menschen ein, die sich in der engen Gasse drängelten.
Wo waren Elmar und Jonas? Sie hatte wegen der Ohrringe nicht mehr auf die beiden geachtet und konnte sie jetzt nirgends entdecken. Allmählich hatte sie keine Lust mehr auf den Trubel, wünschte sich zurück auf die stille und herrlich nach Jasmin duftende Terrasse, wollte noch in Ruhe mit Elmar ein Glas Wein trinken. Und Jonas musste auch allmählich ins Bett. Immerhin war es schon halb elf.
»Elmar!«, schrie sie, aber das war inmitten der vielen Menschen sinnlos. Er würde sie nicht hören.
Sie sah sich um, stellte sich auf die Zehenspitzen, rief erneut – nichts. Mein Gott, dachte sie entnervt, da bleibe ich ein Mal an einem Stand stehen, weil mich etwas interessiert, und schon sind die beiden weg. Warum muss ich immer ihnen hinterherdackeln, warum kann sich Elmar mit dem Jungen nicht auch mal daran orientieren, wo ich gerade bin? Warum bin ich eigentlich immer diejenige, die sich sorgt und sich kümmert und den beiden hinterherrennt?
Die Wut kam in ihr hoch, aber gleichzeitig auch eine Spur von Sorge. Das letzte Mal hatte sie die beiden an einer Bude gesehen, wo ein Mann selbst zusammengelötetes Blechspielzeug verkaufte.
Grottenhässlich, fand sie, darum hatte sie sich auch dem Schmuckstand zugewandt.
Aber beim Spielzeug waren Elmar und Jonas nicht mehr zu sehen.
Okay, dachte Gitta, Ambra ist ja nicht groß, hier geht niemand verloren, irgendwo werden sie schon sein. Doch ein wenig sauer war sie schon, dass die beiden sie anscheinend einfach vergessen hatten.
Sie ging langsam, sah sich überall um, und schließlich entdeckte sie Elmar. Direkt vor dem lumaca-Zelt. In der Hand ein Schälchen mit Pasta und Schnecken in Knoblauchöl. Eine widerliche Kombination, wie sie fand. Aber egal. Wenn Elmar hier war, würde Jonas nicht weit sein.
Elmar unterhielt sich gerade mit einem deutschen Paar, als Gitta mit einem knappen »Entschuldigen Sie« in das Gespräch platzte. »Himmel noch mal, hier bist du!«, rief sie. »Ich hab dich überall gesucht! Wo ist Jonas?«
Das Ehepaar verabschiedete sich schnell und verschwand in Richtung Piazza.
»Ich hab dich auch gesucht, aber du warst plötzlich wie vom Erdboden verschwunden!«
»Ich hab mir an dem Schmuckstand Ohrringe angeguckt. Warum hast du nicht gewartet?«
»Weil ich mir zwei Stände weiter eine kurze Hose kaufen wollte. Und dann dachte ich, du wärst schon weitergelaufen.«
»Und wo ist Jonas?«
»Keine Ahnung. Ist er nicht bei dir?«
»Du hast doch gesehen, dass er nicht bei mir ist! Ich dachte, er ist bei dir!«
»Ja, am Anfang schon. Aber dann war er plötzlich weg, und ich hab geglaubt, er ist zu dir gelaufen, weil es ihm bei mir zu langweilig wurde.«
»Nein. Er war nicht bei mir.«
»Hm.« Elmar schob sich von seinem Pappteller eine Schnecke in den Mund.
Gitta starrte ihren Mann fassungslos an. »Elmar, begreifst du denn nicht? Jonas ist weg, und wir müssen ihn suchen! Komm!«
Sie packte ihn am Arm und zog ihn durchs Gedränge.
Jonas war noch einmal an den Stand mit lebenden Hühnern zurückgekehrt, die ihn nicht losließen, alle zusammengepfercht in einem winzigen Käfig, wild flatternd und scheinbar irre vor Angst. Sie taten ihm so unendlich leid. Er wusste nicht, was mit ihnen geschehen würde. Wurden sie gekauft, um in einem Hühnerstall zu leben, auf einer Wiese herumzuspazieren und Eier zu legen, oder wurden sie bereits morgen geschlachtet?
Er stand wie paralysiert vor ihnen, sah ihr panisches Geflatter und konnte ihnen nicht helfen.
Der Käfig war viel zu klein. Jonas hoffte inständig, dass irgendjemand kommen und ein paar Tiere kaufen würde, damit sich die anderen in der Enge beruhigen konnten.
Nach einigen Minuten löste er sich von den Hühnern, war irgendwie traurig und sah sich nach seinen Eltern um.
Sie waren nirgends zu sehen.
Er lief durch die Dorfstraße bis zur Piazza. Nichts. Seine Eltern waren wie vom Erdboden verschluckt. Er sah sich um. Immer hektischer, immer verzweifelter, rief nach seiner Mutter, nach seinem Vater, obwohl er sich blöd dabei vorkam, aber allmählich geriet er in Panik, und da war ihm alles egal.
»Maaammaaa!«, schrie er, so laut er konnte. Und »Paaappaaa!«.
»Was ist mit dir?«, fragte ein Mann, der plötzlich zwischen den vielen Menschen vor ihm stand.
Vollkommen verunsichert sah Jonas hin und her. In dem Gewimmel erkannte er gar nichts und niemanden mehr.
»Ich suche meine Eltern!«, flüsterte er. »Mein Vater war da vorn und meine Mutter kurz hinter mir. Und jetzt sind beide verschwunden.«
»Komm!«, meinte der Fremde. Er hatte einen merkwürdig geraden Stoppelhaarschnitt, einen Wirbel direkt über der Stirn und tiefe Grübchen in den Wangen. Daher sah er aus, als würde er unentwegt grinsen und Witze machen.
Jonas fasste sofort Vertrauen zu ihm. Und der Mann sprach auch recht gut Deutsch.
»Komm, wir suchen sie. Wie sehen sie denn aus?«
»Mein Vater ist ziemlich groß, hat dunkle Haare, eine schwarze Weste, und meine Mutter ist blond, etwas kleiner als mein Vater, hat lange Haare und eine grüne dünne Jacke. Und ein rotes Halstuch.«
»Bene. Keine Sorge, wir finden sie schon.«
Und dann nahm ihn der Mann an die Hand und zog ihn durch die Menschenmassen. Bis hinauf zum Parkplatz.
»Was machen wir jetzt?«, fragte der Mann. »Wir haben alles abgesucht. Offensichtlich sind sie hier nicht. Wo wohnt ihr?«
»Casa Bella Vista, in Cennina.«
»Okay. Dann fahren wir da jetzt hin. Und entweder deine Eltern sind dort, oder wir warten auf sie. Okay?«
Jonas nickte und hatte das Gefühl, dass der fremde Mann seine Probleme lösen konnte. Er war nicht mehr allein und weniger verzweifelt.
Im Auto am Steuer saß ein weiterer Mann mit langen dunklen Haaren, die am Hinterkopf zu einem Schwanz zusammengebunden waren. Er sagte nichts, als Jonas einstieg. Als wäre alles ganz normal. Und dann fuhr er los. Aber nicht bis zur Casa Bella Vista, sondern sehr viel weiter. In den Wald und dann auf die Landstraße.
»Wo fahren wir denn hin?«, fragte Jonas, jetzt vor Angst zitternd, weil er spürte, dass irgendetwas nicht stimmte.
»Dahin, wo es dir gut geht und wo dich deine Eltern morgen abholen«, sagte der Mann, mit dem er zum Auto gegangen war. »Mach dir keine Sorgen.«
Cennina war von Ambra höchstens fünf Minuten entfernt. Auf einer kurvigen Straße den Berg hinauf, und dann lag auf der linken Seite das Haus, in dem sie wohnten. Und jetzt waren sie bestimmt schon eine Viertelstunde unterwegs.
Jonas überschwemmte eine Angst, wie er sie so heftig noch nie gespürt hatte. Der Mann hatte ihm versprochen, zur Casa Bella Vista zu fahren. Er hatte gelogen. Er wollte ihm nicht helfen, er hatte anderes, irgendetwas Böses mit ihm vor. Er war ein Verbrecher, vielleicht ein Mörder. Genau so einer, vor dem ihn seine Eltern immer gewarnt hatten. Und er war so dumm gewesen und mitgegangen und ins Auto gestiegen. Obwohl er doch wusste, dass man das auf gar keinen Fall machen durfte.
Jetzt war ihm plötzlich alles klar. Er hätte einfach nur warten müssen. Spätestens wenn das Fest zu Ende war und alle nach Hause gingen, hätte er seine Eltern wiedergefunden, denn sie wären niemals ohne ihn zurück ins Ferienhaus gefahren. Er war so schrecklich dumm gewesen, so bescheuert, dass er es gar nicht aushalten konnte, daran auch nur zu denken.
Und jetzt saß er in der Falle. Irgendetwas hatten die Männer mit ihm vor. Irgendetwas Schreckliches.
In Gedanken und in seinem Inneren schrie er nach Hilfe, schrie nach seinen Eltern und begann zu weinen.
»Bitte, bring mich zur Casa Bella Vista«, flehte er schluchzend, »bitte, meine Eltern sind sicher schon ganz verrückt vor Angst. Bitte!«
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, sagte der Mann mit den Grübchen kühl, »denn sonst hätten sie sicher besser aufgepasst, dass ihr euch zwischen den vielen Menschen nicht verliert.«
Zu bitten hatte keinen Zweck. So viel kapierte Jonas.
Er weinte, konnte gar nicht mehr aufhören, war so verzweifelt wie noch nie, überlegte, ob er sich aus dem Auto werfen könnte. Aber dabei würde er sich vielleicht verletzen, konnte dann nicht schnell genug wegrennen, die Männer würden ihn einholen, wieder ins Auto schleppen, und dann wären sie stinksauer auf ihn und vielleicht noch böser. Noch gemeiner.
Zum ersten Mal spürte Jonas sein Herz. Da saß die Angst. Und sein Herz tat unheimlich weh.
Er sagte nichts mehr.
Und auch die Männer schwiegen.
Jonas sah aus dem Fenster. Es war tiefschwarze Nacht. Nur durch die Scheinwerfer des Wagens konnte er schemenhaft Wald, Olivenhaine und Weinberge erkennen. Ab und zu ein paar Häuser an der Straße, kein Licht in den Fenstern, alle schliefen. Alle waren zu Hause. Jonas hätte alles dafür gegeben, jetzt wieder bei seinen Eltern zu sein. Er sehnte sich so sehr nach ihnen, dass es wehtat.
Die Straße war eng und kurvig. Nirgends sah er ein Ortsschild, er kannte die Gegend nicht, wusste nicht, wo er war. Intuitiv versuchte er, sich so viel zu merken wie möglich.
Er versuchte herauszufinden, in was für einem Auto sie saßen. Beim Einsteigen hatte er nicht darauf geachtet. Er beugte sich etwas vor und sah das Emblem auf dem Lenkrad. Ein Mercedes. Okay. Das würde er sich merken. Er würde nach der Farbe gucken, wenn er aussteigen musste.
»Hast du Durst? Möchtest du etwas trinken?«, fragte der mit den Grübchen auf einmal, drehte sich zu Jonas um und sah ihm in die Augen. »Ich hab hier eine Cola für dich!«
Jonas nickte vollkommen eingeschüchtert.
Der Mann gab ihm einen Plastikbecher, den Jonas sofort gierig austrank. Vielleicht waren die Männer doch nicht so schlimm. Sonst hätten sie ihm ja keine Cola gegeben.
Der Mann mit den kurzen Haaren beobachtete lächelnd, wie Jonas nur Sekunden später die Augen zufielen, er auf der Rückbank umkippte und in tiefen Schlaf sank.
Daher bekam er auch nicht mehr mit, dass der Mann ihm in den Finger stach, Blut abnahm, einen Test machte und nach wenigen Minuten den Daumen in die Höhe reckte.
Der Fahrer mit dem Pferdeschwanz grinste. »Perfetto«, sagte er.
Jonas schlief, als der Wagen auf die Autostrada abbog und noch über eine Stunde unterwegs war, bis die Lichter einer Stadt auftauchten und der Fahrer die Ausfahrt nahm.
Gitta und Elmar irrten durch die Gassen, guckten immer wieder nach rechts und links, sahen hinter sich, riefen ihn, aber nirgends war eine Spur von Jonas. Auch bei den Hühnern war er nicht.
Sie fragten an jeder Bude, jedem Stand, sprachen Leute an, die touristisch aussahen oder einen deutschen Eindruck machten, sie ließen die wummernde Band Jonas ausrufen, durchsuchten die Toiletten, das Festzelt und fragten beim Karussellbesitzer. Obwohl sie ziemlich sicher waren, dass Jonas sich nicht mehr auf einen Elefanten oder in ein Polizeiauto setzen würde. Egal. Sie griffen nach jedem Strohhalm. Denn allmählich wurde ihnen immer klarer, dass sie ein Problem hatten, dass Jonas wirklich verschwunden war.
Sie hörten auf, darüber zu diskutieren, wer schuld war, sie waren einfach nur fassungslos.
Irgendwann blieben sie erschöpft stehen und sahen sich an. In ihren Gesichtern spiegelten sich Panik und nackte Angst.
Elmar sah auf die Uhr. »Verdammt noch mal, es ist schon nach zwölf!«, sagte er. »Gitta, es hat keinen Zweck, wir müssen die Polizei verständigen. Ich verstehe es einfach nicht. Jonas achtet doch auch darauf, dass er uns nicht verliert. Er hat doch selbst den absoluten Horror davor, in einem fremden Land, in einer fremden Stadt plötzlich allein dazustehen.«
Gitta brach in Tränen aus.
Elmar legte den Arm um sie. »Die Sucherei bringt jetzt nichts mehr. Wir sind bestimmt zehnmal durch den gesamten Ort gerannt, wir gehen jetzt zur Polizei. Direkt oben beim Karussell hab ich eine Carabinieri-Station gesehen.«
Gitta nickte. Aber sie war so verzweifelt, dass sie kaum noch laufen konnte.
Allmählich leerten sich die Gassen, die Band packte ihre Instrumente ein, in Ambra kehrte langsam Ruhe ein.
»Irgendjemand hat ihn mitgenommen«, sagte Gitta leise. »Da bin ich ganz sicher. Denn er haut nicht ab.«
Die Carabinieri-Station war verschlossen, aber an der Tür klebte ein Zettel mit einer Notfallnummer.
Neri war erst vor einer Stunde nach Hause gekommen, direkt ins Bett gefallen und schreckte aus dem Tiefschlaf hoch, als das Diensttelefon klingelte. Er warf einen Blick auf die Uhr: Kurz vor eins. Na toll. Was gab es denn jetzt schon wieder? Wahrscheinlich war irgendein Besoffener mit seinem Wagen in die Ambra gestürzt oder in einen Graben gefahren.
Er meldete sich bewusst müde und genervt: »Maresciallo Donato Neri, Carabinieri-Station Ambra, che cosa è successo?«
»Sorry, wir waren heute auf dem Fest in Ambra«, sagte Elmar auf Englisch, »und da haben wir unseren Sohn Jonas aus den Augen verloren. Er ist ein zarter kleiner Junge, gerade erst sieben geworden. Und nun ist er weg. Verschwunden, maresciallo. Seit über zwei Stunden. Wir sind am Ende, wissen nicht mehr weiter. Bitte helfen Sie uns!«
Neri stöhnte auf. Oddio! So viel hatte er verstanden: Es ging schon wieder um ein verschwundenes Kind.
Er atmete dreimal tief durch, antwortete Elmar ebenfalls auf Englisch, aber längst nicht so fließend, dass er in die Carabinieri-Station kommen würde. In einer halben Stunde.
Dann stand er auf, nahm seine Sachen und ging leise ins Bad.
Es war halb zwei, als sich das Ehepaar Wengler und Donato Neri gegenübersaßen. Neri war verschlafen und übermüdet, hatte auf dem Fest sicher eine Flasche Chianti getrunken und wollte nur noch zurück ins Bett. Dennoch pochte in seinem geräderten Verstand nur ein einziger glasklarer Gedanke: Schon wieder ein verschwundenes Kind! Das kann nicht sein! Das verkrafte ich nicht!
Die Wenglers waren hellwach und hektisch, hatten jede Menge Adrenalin im Blut und wollten Jonas finden, irgendetwas tun.
»Sie sind Deutsche?«, fragte Neri.
»Ja.«
»Kann ich Ihre Ausweise sehen?«
Elmar und Gitta reichten ihre Plastikkarten Neri, der müde aufstand und sie fotokopierte.
»Va bene. Sie machen hier Urlaub?«
»Ja. In Cennina. Casa Bella Vista. Gleich hinter der Ruine rechts.«
Neri nickte. Er kannte das Haus. War nicht die allerbeste Adresse, aber ganz nett mit kleinem Garten und einem schönen Blick über das Ambratal.
»Bitte erzählen Sie mir, was passiert ist.«
Elmar berichtete alles, was er wusste. So genau wie möglich.
Gitta schwieg. Einen Abend, an dem sie nicht wusste, wo ihr Sohn war, hatte sie noch nie erlebt. Sie war so fassungslos, dass sie nichts mehr sagen konnte.
Jonas, dachte sie, bitte, lieber Schatz, komm nach Hause, komm zurück zu mir, wo bist du nur, oh, mein Gott, Jonas, wie soll ich nur weiterleben ohne dich?
Völlig in sich zusammengesunken, saß sie Neri gegenüber und rührte sich nicht.
»Bei wem war Jonas zuletzt? Bei Ihnen oder Ihrer Frau?« Neri sah beide an.
Und beide zuckten die Achseln. »Keine Ahnung«, sagte Gitta ebenfalls in gutem Englisch, »ich dachte, er wäre bei meinem Mann, und er dachte, Jonas wäre bei mir. Ich verstehe es nicht! Er haut doch nicht einfach ab? Es kann sein, dass er gedankenverloren irgendwo stehen bleibt … Aber dann finden wir ihn doch! Mein Gott, er ist gerade mal sieben, maresciallo!«
»Gab es an diesem Tag vielleicht irgendeinen Streit mit Jonas, oder war irgendetwas Außergewöhnliches passiert?«, fragte Neri nach.
»Nein!«, sagte Gitta bestimmt.
»Überhaupt nicht!«, meinte auch Elmar. »Es war alles in Ordnung. Jonas war nur unglücklich, dass wir in drei Tagen abreisen wollten.«
»Tja«, sagte Neri, weil ihm nichts mehr einfiel. Dass sich ein kleiner deutscher Junge in Italien auf die Reise ins Ungewisse machte, konnte er sich auch nicht vorstellen.
»Wie sieht Ihr Sohn aus?«, fragte er. »Haben Sie vielleicht ein Foto?«
»Na klar.« Gitta scrollte auf ihrem Handy die Fotos durch und zeigte Neri einige Bilder von Jonas. »Die sind aktuell«, meinte sie, »hab ich in den letzten Tagen gemacht.«
Neri nickte. »Können Sie sie mir auf mein Handy schicken?« Er zückte eine seiner schönen neuen Visitenkarten und gab sie Gitta. Dabei hatte er das Gefühl, dass sich die Anschaffung der tausend Stück durchaus gelohnt hatte.
Wenige Sekunden später sagte Gitta: »Sie müssten die Fotos jetzt bereits bekommen haben.«
Neri kontrollierte sein Handy. »Va bene. Grazie. Sagen Sie, was hatte Jonas am Abend an?«
Elmar kratzte sich am Kopf und sah seine Frau fragend an.
»Eine kurze, blaue, ausgefranste Jeans, die ich ihm mal oberhalb des Knies abgeschnitten hab. Turnschuhe, ein gelbes T-Shirt und eine blaue Adidas-Trainingsjacke mit weißen Streifen.«
»Mir ist so, als ob er was Rotes anhatte?«, meldete sich Elmar unsicher zu Wort.
»Nein!«, sagte Gitta scharf. »Das hatte er nicht. Ich weiß genau, was er anhatte. Ganz bestimmt.«
Neri nickte.
»Was können Sie tun?«, fragte Elmar weiter.
»Niente«, sagte Neri. »Gar nichts. Ich habe keine Leute und kann niemanden losschicken. Und mitten in der Nacht schon gar nicht. Morgen früh sehen wir weiter.«
»Was?« Gitta sprang auf. »Er kann doch nicht die ganze Nacht da draußen bleiben! Irgendwo in einem Graben oder im Wald? Oder in einem Keller bei dem, der ihn weggefangen hat! Seinem Entführer oder seinem Mörder!« Sie schlug die Hände vors Gesicht und weinte hemmungslos.
»Nun sehen Sie mal nicht so schwarz«, beschwichtigte Neri. »Vielleicht hat er mit Kindern gespielt, ist mit ihnen mitgelaufen und weiß jetzt nicht mehr, wo er ist und wo er wohnt. Das scheint mir das Wahrscheinlichste zu sein. Und morgen früh melden sich die Eltern bei mir, weil sie plötzlich ein Kind zu viel zu Hause haben.« Er grinste.
Elmar sah seine Frau an, die sich kaum beruhigen konnte.
»Gitta, das stimmt. Ich weiß nicht, ob Jonas überhaupt die Adresse von unserem Ferienhaus weiß?«
»Hat er ein Handy?«, fragte Neri.
»Nein.«
»Ja, schade, sonst hätten wir es vielleicht orten können.«
»Dazu ist er noch zu klein. Finden wir jedenfalls. Ab und zu spielt er mit meinem ein bisschen herum. Mehr nicht.«
»Verstehe«, sagte Neri, um das Ganze abzukürzen. »Gehen Sie jetzt in Ihre Ferienwohnung und versuchen Sie zu schlafen. Sie werden morgen Ihre ganze Kraft brauchen. Ich kümmere mich, und wir hören voneinander. Va bene?«
Elmar und Gitta nickten. Vollkommen verzweifelt.
»Bitte, kommen Sie.«
Elmar und Gitta verließen die Carabinieri-Station, und Neri schloss hinter ihnen ab. Dann stieg er in seinen Wagen, winkte ihnen noch kurz zu und fuhr davon.
Elmar und Gitta sahen ihm nach, bis die Rücklichter seines Wagens in der Dunkelheit verschwanden. In dieser Nacht würden sie vollkommen allein sein.
Nichts passierte mehr. Jonas war verschwunden.
Es war so endgültig.
Mitternacht war vorbei. Elena lag auf einer Liege an ihrem Pool mitten in Siena. Er schimmerte grünlich und gespenstisch im Schein der Lampen, die seinen Boden und seine Wände beleuchteten. Ein faszinierendes, aber gleichzeitig auch bedrückendes Bild.
Diese verdammten Algen setzen sich schon wieder an den Wänden fest, dachte Elena, ich muss Alberto bitten, den Pool zu scheuern und mehr Chemie hineinzukippen. Der kleine Reinigungsroboter, der unermüdlich seine Arbeit verrichtete und ohne Unterlass die Bodenfliesen absaugte, schaffte es offensichtlich nicht. Er kam bei dieser Hitze gegen den Algenbewuchs, der vor allem an den Poolwänden explodierte, nicht an, und Elena hasste es, wenn der Pool grün und trüb wurde. Dann ekelte sie sich und ging nicht mehr hinein.
Und gerade jetzt, in den warmen Sommernächten, war das ein herber Verlust von Lebensqualität. Sie würde Alberto morgen anrufen.
Ihr weitläufiger Garten mitten in Siena war wunderschön bepflanzt. Üppiges Grün und blühende Stauden an jeder Ecke. Ihr Gärtner kümmerte sich um alles, sie hatte keine Ahnung, welche Pflanzen sie umgaben, aber es sah sensationell aus. Sie liebte ihren botanischen Garten, wie sie ihn gern nannte, vor allem in der Nacht, wenn das Licht der Lampen ihn in eine Traumlandschaft verwandelte.
Dieser Ort war ein bezauberndes Kleinod, etwas ganz Besonderes und Wertvolles mitten in Siena.
Umgeben war der Garten von alten Mauern, doch ungeachtet dessen genoss Elena den Blick auf die mittelalterliche Abtei San Sebastiano. Sie saß im Herzen der italienischen Kultur, im Zentrum einer der schönsten Städte Europas, und war trotzdem nicht dem Lärm der Straße ausgesetzt. Der Garten wirkte ruhig und ländlich, aber wenn Elena aus dem Haus trat, befand sie sich mitten im Strudel der quirligen Stadt, fünf Minuten vom Dom und genauso weit von der zentralen weltberühmten Piazza del Campo entfernt.
Es gab keine vergleichbare Immobilie in Siena. Und wenn Elena sie verkaufen würde, wäre sie unerschwinglich.
Sie selbst handelte mit Immobilien, hatte die allerschönsten und erlesensten Immobilien der Toskana im Angebot.
Ihre Kunden hatten Stil. Sie wussten, was sie wollten. Und Elena wusste noch besser, was sie wollten, was ihre Träume waren, und konnte ihnen die Häuser schmackhaft machen.
Sie war die Königin der toskanischen Makler. Auch die Kollegen hatten Hochachtung vor ihr und beobachteten voller Neid, wie sie stets die Sahnestücke an Land zog und verkaufte.
Elena atmete tief ein und schloss die Augen. Was für eine herrliche Nacht.
Sie döste ein paar Minuten, dann stand sie auf, ging zu der kleinen Bar am Poolrand und schenkte sich noch ein wenig eiskalten Weißwein ein. Nach diesem Glas würde sie ins Bett gehen. Morgen stand eine wichtige Besichtigung in Montaperti an. Eine Villa für dreieinhalb Millionen. Erst vor einem halben Jahr hatte sie eine Villa oberhalb von Panzano für sechs Millionen Euro verkauft. Das war auch für sie eine Seltenheit gewesen.
Und sie dachte, dass sie eigentlich noch Kaya anrufen wollte. Aber dazu war es heute Abend zu spät.
Sie ließ noch einmal den Blick über ihre so sensationell eigene Welt auf sich wirken, trank den Wein aus, stand auf und ging ins Haus.
Kaya. Ja, meine Liebe. Ich ruf dich morgen an. Morgen ist auch noch ein Tag.
Bereits um kurz vor acht stand Neri im Bademantel mit zerwühltem Haar an der Kaffeemaschine und brühte seine erste Tasse.
Dante verfolgte von der Couch aus jede seiner Bewegungen. Gabriella hatte den Bordercollie vor einem halben Jahr aus dem Tierheim geholt, weil sie wusste, wie sehr der verstorbene Peppone Neri fehlte und wie sehr er sich einen Hund wünschte.
Mittlerweile waren Dante und sein Herrchen ein Herz und eine Seele, Neri konnte sich ein Leben ohne Hund nicht mehr vorstellen.
Gabriella schlief noch, aber Neri war schon aufgestanden, weil er wusste, dass er irgendetwas unternehmen musste, um Jonas zu finden. Ihm fielen auf Anhieb fünf Olivenbauern ein, die er animieren konnte, die Gegend nach dem kleinen Jungen zu durchforsten. Aber das war wie die Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen.
Wenn Jonas wirklich vom Dorffest weg entführt worden war, konnte er längst in Rom, Mailand oder sonst wo sein, da brauchte man nicht durch das trockene toskanische und von Vipern durchseuchte Gebüsch zu robben.
Als kurz darauf Gabriella die Treppe herunterkam, schoss Dante auf sie zu, sprang an ihr hoch und freute sich derart, dass er sich in der Luft beinah überschlug.
Gabriella lachte, streichelte und liebkoste den Hund, der sich nur allmählich beruhigte.
»Buongiorno carissimo«, murmelte sie, küsste Neri auf die Wange und kochte sich auch einen Kaffee. »Was zum Teufel war denn los heute Nacht? Als du weggefahren bist, konnte ich natürlich nicht mehr schlafen. Hab mir ohne Ende Gedanken gemacht, was passiert sein könnte, und war erst einigermaßen beruhigt, als du wieder zurückkamst und zu mir ins Bett gekrochen bist. Aber dann hatte ich nicht mehr viel von der Nacht!«
»Scusa cara, ich hab versucht leise zu sein.«
»Was war denn los?«
»Schon wieder ein verschwundenes Kind, Gabriella. Ich hab mich mit den vollkommen verzweifelten Eltern im Büro getroffen.«
»Oddio!«
Gabriella setzte sich an den Küchentisch, umfasste ihren Kaffeebecher, als wolle sie sich die Hände wärmen, und blickte ihn mit großen, aufmerksamen Augen an. »Erzähl!«
Und dann berichtete Neri ihr alles, was die Eltern des kleinen Jonas ihm erzählt hatten.
Gabriella schien jedes Wort in sich aufzusaugen wie ein Schwamm.
Als Neri mit seinem Bericht fertig war, fragte sie: »Und? Was willst du jetzt tun?«
Das war die schwierigste Frage überhaupt, und gerade die konnte Neri nicht beantworten.
»Keine Ahnung«, murmelte er hilflos. »Ich weiß es wirklich nicht.«
»Tja«, sagte Gabriella, »das ist übel. Wirklich übel. Ich kann mir vorstellen, wie du dich fühlst. Aber ich verstehe auch nicht, warum du hier immer noch so ruhig rumsitzt. Komm, hau ab, Neri, auch wenn es dich ankotzt und du das Gefühl hast, immer wieder die Pferde scheu machen zu müssen. Schick Cesare los, um die Leute zu befragen, die gestern auf dem Fest waren. Das wird ja so gut wie jeder in Ambra gewesen sein, der nicht schon über hundert oder bettlägerig ist. Organisier eine kleine Truppe, die die Gegend durchkämmt. Und dann starte einen Aufruf und eine Suche in den sozialen Netzwerken. Facebook, Twitter, Instagram haben die alle auf ihren Smartphones. Nicht unsere Alten, nicht die Olivenbauern, aber die Touristen, und die haben vielleicht was gesehen oder bemerkt.«
»Ich weiß nicht, wie das geht«, sagte Neri leise.
»Dann hol dir jemanden, der weiß, wie das geht. Fabrizio vielleicht. Der repariert hier alle Computer in der Gegend und kennt sich mit Internet aus. Oder Nicolò. Der installiert dir alles, was du willst, baut dir jede Schüssel aufs Dach und ist echt firm. Ruf einen von den beiden an und lass dir helfen. Das ist – glaub ich – in diesem Fall eine gute Idee.«
Neri war blass vor Entsetzen. »Das kann ich nicht, Gabriella, das überfordert mich jetzt.«
»Dann frag Cesare. Der ist jünger, und für den ist das bestimmt kein Problem.«
»Muss das sein?«
»Ich denke schon. Du kannst hier nicht weiterarbeiten wie in der Steinzeit.«
»Va bene. Dann rede ich mal mit Cesare.« Neri war am Boden zerstört.
»Das persönliche Gespräch ist out, amore. Das Telefon auch. Das dauert viel zu lange. Heutzutage läuft alles nur noch digital. Lade dir Skype runter und unterhalte dich mit den Leuten am Computer. Das ist die Zukunft. Du glaubst immer noch, dass irgendjemand in dein Büro kommt, aber das wird immer seltener und irgendwann gar nicht mehr passieren. Und dann kannst du da die Tür abschließen und den Schlüssel wegschmeißen.«
Neri war immer noch fassungslos. »Du bist mir unheimlich, Gabriella.«
»Kann sein.« Sie lächelte.
»Was soll ich jetzt als Erstes tun?«, fragte Neri. »Ich bin völlig durcheinander.«
»Über deine Pensionierung nachdenken, amore. Und dann fahren wir drei Monate ans Meer, damit deine Birne mal zur Ruhe kommt.«
Neri sah sie an. Ja, dachte er. Ja. Er war an dem Punkt, an dem er sich pensionieren lassen musste. Das hier schaffte er alles nicht mehr.
Neri stand auf, rief Dante, drückte Gabriella einen Kuss auf die Stirn und fuhr los.
Dante saß im Kofferraum, sah aus dem Fenster und schien sich im Gegensatz zu seinem Herrchen auf alles zu freuen, was der Tag so bringen würde.
Elena erwachte, weil die Sonne über die Mauer kroch, sich mühsam einen Weg durch den Nussbaum bahnte, ihr glitzerndes Morgenlicht in den Pool fallen ließ und ganz allmählich das Schlafzimmer sanft beleuchtete.
Sie wachte immer auf, wenn es hell wurde, nur mit einer Schlafmaske könnte sie jetzt noch länger schlafen. Aber ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es Viertel vor sieben war, in fünfzehn Minuten musste sie ohnehin aufstehen.
Sie streckte sich wohlig, hörte ihre verschlafenen Knochen krachen, hob die Beine und fuhr Fahrrad in der Luft.
Ihre Beine waren wunderschön, und sie liebte es, sie anzusehen. Nur wenige Frauen hatten wirklich schöne Beine, das hatte sie in den letzten Jahren beobachtet, aber sie gehörte dazu. Und sie war stolz darauf.
Sie schwang sich aus dem Bett und öffnete die Fenster.
Bereits die Morgenluft war warm und machte Lust auf einen schönen Sommertag.
Vielleicht würde sie heute das große Anwesen bei Montaperti verkaufen, der Kunde hatte sich sehr interessiert gezeigt. Das wäre genial.
Sie schaltete Musik von Gianna Nannini an, drehte auf volle Lautstärke, tanzte fast ins Bad und sang laut mit:
Ai maschi innamorati come me
ai maschi innamorati come te …
Sie putzte sich die Zähne, der Song dröhnte laut durchs ganze Haus, und auch als sie ihr Nachthemd, eigentlich ein übergroßes T-Shirt, auf den Badezimmerteppich fallen ließ und unter die Dusche ging, lief die Musik weiter.
Nachdem sie sich sorgfältig eingecremt hatte, ging sie ins Schlafzimmer, schaltete die Musik aus, zog ein leichtes Sommerkleid mit hohen Sandaletten an und setzte sich an ihren Schminktisch. Sie trug Make-up, Puder, Rouge, Lidschatten, Eyeliner und Wimperntusche auf, überlegte, ob sie noch Wimpern kleben sollte, entschied sich dann aber dagegen, fuhr sich mit der Bürste durch die Haare, schüttelte den Kopf, damit sie weich und locker fielen, und lächelte ihrem Spiegelbild zu.
Sie war sehr zufrieden mit sich. Das Leben war ein einziges Fest.
In der Küche brühte sie sich einen Milchkaffee auf, aß einen Früchtejoghurt und überprüfte den Inhalt ihrer Aktentasche. Die Unterlagen zu Montaperti hatte sie schon am Tag zuvor eingepackt. Soweit sie es überblicken konnte, war alles da: Lageplan, Grundrisse, Beschreibung der Immobilie, Fotos, Liste der vorhandenen Räume, Bäder, Abstellkammern und aller Dinge, die zum Haus gehörten, wie Heizung, Ausstattungen, aber auch Pool, Terrassen, Garagen et cetera. Die Liste war endlos, das Haus perfekt.
Die Genehmigungen aller Umbauten der letzten zehn Jahre lagen ihr vor, Elena überließ nichts dem Zufall. Dennoch würde es einiges geben, was sie noch besorgen oder was noch geklärt werden musste. In Italien fehlten immer irgendwelche Papiere, denn jede Behörde und jeder Sachbearbeiter verlangte etwas anderes. Es gab keine allgemeingültigen Richtlinien, und man konnte sich auf nichts verlassen. Zu Beginn ihrer Tätigkeit als Maklerin hatte sie das wahnsinnig wütend gemacht, aber inzwischen hatte sie sich daran gewöhnt. Und mittlerweile gab es nichts, was sie nicht wieder hinbiegen konnte. Sie kannte die maßgeblichen Leute, die in den Kommunen saßen, sie hatte ein riesiges Netzwerk von Geometern und Architekten, aber auch von Handwerkern, die jederzeit für kleine oder größere Reparaturen oder Korrekturen einspringen konnten.
Elena zahlte gut. Und wenn sie rief, kamen alle sofort.
Es war neun Uhr, als sie Siena verließ. Um neun Uhr dreißig würde sie in Montaperti sein, dann konnte sie das Haus noch einmal kontrollieren und kurz durchlüften.
Und für den Fall, dass der Kauf heute festgeklopft werden sollte, hatte sie in ihrem Wagen eine gekühlte Flasche Champagner dabei. Den kleinen Kühlschrank hatte sie sich in ihren SUV der Luxusklasse extra einbauen lassen.
Es war ein traumhafter Tag. Keine Wolke am Himmel, die Sonne schien bereits klar und hell, nicht mehr verhalten milchig wie am frühen Morgen, was Elena auch immer davon abhielt, direkt nach dem Aufstehen ein Bad im Pool zu nehmen. Sie schwamm lieber abends ihre Bahnen oder dümpelte unter dem Sternenhimmel im warmen Wasser vor sich hin, sah zum großen Außen-Fernseher auf der Terrasse und trank ihren Champagner, auf einem bequemen Mauervorsprung im Wasser sitzend, den sie nur zu diesem Zweck im Pool hatte einbauen lassen. Sport war noch nie ihr Ding gewesen, sie wollte sich nicht täglich anstrengen müssen, Fitnessstudios waren ihr ein Graus, um Gottes willen, sie wollte sich nicht zusammen mit hässlichen, schwitzenden Menschen quälen, dann machte das Leben keinen Spaß mehr. Es ging ihr um nichts anderes als um Genuss. Und dazu gehörte, dass man nichts gedankenlos in sich hineinfraß oder -schüttete, das man dann wieder abstrampeln musste, sondern dass man alles mit Bedacht, in Maßen und ganz bewusst zu sich nahm. Dadurch hatte sie auch immer ihre schlanke Figur behalten.
Genuss bezog sich aber nicht nur auf Essen und Trinken, sondern auf alles, was sie tat. Ob sie nun Auto fuhr, einen Spaziergang durch die Zypressenhaine oder Weinberge machte, ob sie ein Buch las oder einen Film sah, oder ob sie mit einem Mann zusammen war.
Wenn irgendetwas mühsam oder langweilig wurde, hörte sie damit auf. Radikal. Und bisher war sie mit dieser Haltung immer gut gefahren.
Auch stets nur so viel zu arbeiten, dass es ihr nicht auf die Nerven ging, war ihr bisher immer gelungen.
Auf dem großen Display in ihrem Wagen drückte sie auf Telefon, durchsuchte die Kontakte und klickte Alberto an.
Nur Sekunden später hatte sie ihn am Apparat. »Buongiorno Alberto! Come stai?«
Alberto antwortete brav, dass es ihm gut ginge.
»Ascolta«, sagte sie, »mein Pool ist dabei, umzukippen. Ich werde wahnsinnig, bekomme morgen Gäste, die alle den Pool genießen wollen. Kannst du bitte heute noch hinfahren, die Algen abscheuern und ihn mit genügend Chemie wieder auf Vordermann bringen?«
»Certo«, sagte Alberto wortkarg und offensichtlich wenig begeistert.
»Fantastisch. Ich danke dir! Sonst müsste ich alle meine Gäste ausladen. Ich bin heute so gegen siebzehn Uhr wieder zurück.«
»Va bene. Bis dahin habe ich das erledigt.«
»Danke, Alberto. Mille grazie.«
Sie legte auf und lächelte. Es würde funktionieren. Alberto war nicht gerade der temperamentvollste Italiener, aber er tat, was man ihm sagte, und Elena war sicher, dass spätestens morgen der Pool wieder klar sein würde.
Dann wählte sie die Nummer von Kaya, während sich ihr Wagen ruhig und elegant eine Serpentinenstraße hinaufschraubte.
Kaya nahm nicht ab.
Schade, sie hätte gern ein paar Worte mit ihrer Tochter gewechselt, aber es sollte wohl nicht sein. Vielleicht heute Abend.
Neri brühte gerade einen Espresso, als Cesare hereinkam.
»Buongiorno maresciallo«, sagte er, und Neris Laune besserte sich augenblicklich.
»Buongiorno Cesare«, erwiderte er freundlich. »Es tut mir echt leid, dass du heute am Sonntag kommen musstest, aber es ist dringend. Wir haben schon wieder ein verschwundenes Kind.«
Cesare starrte Neri mit großen erschrockenen Augen an und setzte sich stumm.
»Auch einen caffè?«
»Per favore.«
»Ascolta, Cesare, letzte Nacht ist hier in Ambra ein kleiner Junge verloren gegangen. Jonas, sieben Jahre alt, deutsche Eltern, die hier Urlaub machen. Die Eltern haben ihn in dem Gedränge aus den Augen verloren und über Stunden nicht mehr wiedergefunden. Und dann haben sie mich angerufen und aus dem Tiefschlaf gerissen.«
Während sie die Espressi tranken, erzählte Neri langsam und sehr detailliert alles, was er sonst noch wusste.
Als er fertig war, schüttelte Cesare den Kopf. »Nicht schon wieder«, stöhnte er.
»Genau das denke ich auch die ganze Zeit«, sagte Neri ernst. »Cesare, wir müssen andere Saiten aufziehen. Müssen diesmal professioneller vorgehen. Es nützt nichts, wenn irgendwelche Bauern durchs Gebüsch robben und Kinder suchen. Das war gestern. Heutzutage sucht man nicht mehr zwischen den Oliven, sondern digital. Bei Facebook, Instagram und weiß der Teufel wo noch. Da kennst du dich doch aus, oder? Du bist doch eine ganz andere Generation als ich.«
»Schon. Aber ehrlich gesagt bin ich weder bei Facebook noch bei Instagram oder Twitter. Ich kenne mich da genauso wenig aus wie Sie, maresciallo.«
Neri brach zusammen. »Das darf nicht wahr sein, Cesare, in welcher Welt lebst du eigentlich?«
Cesare zuckte die Achseln.
»Was tust du denn, wenn du abends nach Hause kommst? Alle Welt postet da bei Facebook irgendwelchen Blödsinn, nur du nicht?«
Cesare schüttelte den Kopf.
»Und? Was machst du abends?«
»Ich koche mit meiner Freundin zusammen. Und dann setzen wir uns zum Essen raus auf die Terrasse. Sehen danach vielleicht noch ein bisschen fern und gehen ins Bett.«
»Das klingt, als wärst du schon siebzig.«
Cesare grinste verunsichert.
»Gut. Egal!« Neri schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Du wirst ja wohl irgendwelche Kumpel haben, die sich damit auskennen. Mach sie ausfindig. Sofort! Fahr hin und lass dir helfen. Starte eine Online-Suche nach Jonas auf Facebook oder wo auch immer. Wichtig ist, dass die Welt davon erfährt. Stell sein Bild ins Netz. Seine Beschreibung. Frag, ob irgendjemand in Ambra was gesehen oder beobachtet hat. Die Leute starren doch alle den ganzen Tag auf ihr Handy, die halbe Welt war in Ambra unterwegs, da wird doch wohl eine arme Seele was bemerkt oder fotografiert haben? Wahrscheinlich gibt es zig Videos, die an diesem Abend gedreht worden sind. Und die müssen wir finden, denn darauf ist vielleicht irgendwas zu sehen. Jonas mit irgendwelchen Typen oder was auch immer.«
Cesare sah aus, als hätte Neri ihm einen Vortrag über Relativitätstheorie gehalten.
»Alles klar?«, fragte Neri.
Cesare nickte vollkommen verunsichert.
»Allora, dann los. Treib jemanden auf, der dir den Quatsch erklärt. Je eher, desto besser. Ich schicke dir die Fotos von Jonas aufs Handy. Und sowie was reinkommt, lass es mich wissen. Va bene?«
»Va bene.«
Neri sah Cesare, als er das Büro verließ, kopfschüttelnd hinterher. Wozu hatte man junge, unerfahrene Mitarbeiter, wenn sie noch nicht mal in der Lage waren, mit den sozialen Medien umzugehen? Im Grunde konnte Cesare auch bald seinen Rentenantrag einreichen. Er war ja genauso fit wie ein Neunzigjähriger.
Neri griff zum Telefon, um eine Gruppe zusammenzutrommeln, die nach dem kleinen Jonas suchen sollte. Wahrscheinlich würde es am Ende doch mehr bringen, durchs Gebüsch zu robben.
Gitta konnte nicht schlafen. Saß schon seit sechs am Fenster und starrte auf die Hügel der Toskana, die ihr noch vor zwei Tagen traumhaft vorgekommen waren. Sie hatte sich gewünscht, in einem anderen Leben jeden Tag diesen Blick genießen zu können. Dann würde es ihr gut gehen, hatte sie gedacht. Dann würde sie glücklich sein.
Und jetzt erschien ihr dieser Blick grau und hässlich. Bedeutete ihr nichts mehr. Sie sah in die Weite und wurde immer trauriger. Die Wälder waren grauschwarz, der Himmel wolkenverhangen, die Bergdörfer ärmlich und heruntergekommen. Widerlich. Und irgendwo da draußen war Jonas. Was für ein unerträglicher Gedanke.
Sie hatte Fluchtgedanken. Hätte am liebsten ihre Sachen gepackt und wäre nach Hause gefahren, nach Hannover, wo die Welt noch in Ordnung war, wo Jonas zur Schule, Elmar in die Firma und sie selbst ins Amt ging, wo sie sich um Bauanträge kümmerte. Sie gingen alle irgendwohin, jeder hatte seinen Platz, alles war in Ordnung. Am Abend kochten sie gemeinsam ein tolles Essen, dann spielte Jonas, oder sie sahen noch ein wenig fern, das Leben war perfekt.
Und nun war alles aus den Fugen geraten.
Sie wünschte sich Jonas und ihr altes Leben zurück!
Aber sie spürte, dass das alles Illusion war, dass nie wieder alles so sein würde, wie es gewesen war.
Gitta begann zu frieren. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Der Blick aus dem Fenster machte sie ganz krank. Sie suchte sich warme Wollsocken, zog sie an und kochte sich einen Kaffee. Elmar schlief und wurde noch nicht einmal durch das Rattern der Kaffeemaschine wach. Sie verstand es nicht. Wie konnte er nur schlafen? Sie hatte das Gefühl, ziellos durch das Weltall zu treiben ohne Chance, jemals zur Erde zurückzufinden.
Der heiße Kaffee tat gut. Er wärmte nicht nur ihren Magen und ihre Hände, sondern auch ihre Füße.
Fünf Minuten trank sie ruhig den Kaffee, weil sie wusste, dass an diesem Tag noch viel auf sie zukommen würde, dann sprang sie auf und platzte ins Schlafzimmer.
»Elmar!«, rief sie. »Wach auf! Wir haben keine Zeit mehr zu schlafen, wir müssen Jonas finden! Los, komm! Mach dich fertig!«
Elmar grunzte, rollte sich langsam auf die Seite und stand auf. Schlaftrunken meinte er: »Nur fünf Minuten!«, und verschwand im Bad.
Männer können schlafen, dachte Gitta fassungslos, egal, was geschehen oder passiert ist. Sie knipsen sich einfach aus. Nehmen nichts mit in ihre Träume. Auch nicht, dass ihr Kind auf einem Straßenfest verschwindet.
Nur Minuten später kippte Elmar schnell einen Kaffee hinunter, dann stürzte er zur Tür. »Fahren wir zu den Carabinieri«, sagte er. »Los, kommst du nicht mit?«
»Ich bleibe hier«, sagte sie leise. »Was dachtest du denn? Ich muss doch hier sein, wenn er wiederkommt.«
»Glauben Sie mir, ich habe die Nacht kaum geschlafen, aber Sie wahrscheinlich auch nicht«, meinte Neri und gähnte herzhaft. »Keine Sorge, ich habe meine Jungs losgeschickt. Die haben da Routine. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Kind in Ambra verschwindet, und bis jetzt haben wir noch jedes wiedergefunden.« Ob tot oder lebendig, musste er hier ja nicht erwähnen.
Elmar atmete vor Erleichterung hörbar tief aus.
»Heute Abend ist er wieder bei Ihnen.«
»Da sind Sie sicher?«
»Certo. Meine Kollegen durchkämmen jetzt die unmittelbare Umgebung von Ambra: das Flusstal, die Wälder, die Berge, die Höhlen und Verstecke. Und mein Kollege befragt die Bewohner von Ambra. Wer wie wo was gesehen hat. Und natürlich stellt er die Suche nach Jonas auch online. Bindet die sozialen Netzwerke ein mit allem Pipapo. Es läuft bereits eine grandiose Maschinerie. Daher würde ich vorschlagen, wir gehen jetzt auf die Piazza und trinken einen Kaffee. Die Bar ist der zentrale Mittelpunkt des Dorfes, hier kommen täglich fast alle zusammen. Einheimische und Touristen. Wir können uns in der Bar erkundigen, ob sie irgendetwas gehört haben, und auch jeden fragen, der vorbeikommt. Bei mir laufen sowieso alle Informationen der Kollegen zusammen.«
Elmar nickte ergeben.
Und Neri dachte an den Espresso und die duftenden Croissants.
Wenig später saßen sie auf der Piazza, Elmar nippte an seinem Espresso, dachte daran, dass hier gestern Abend noch der Bär gesteppt hatte, und es passierte gar nichts. Neris Handy klingelte nicht, und es kamen keine neuen Informationen herein.
Ambra war immer noch erfüllt von einer lähmenden Trägheit, die einen schliefen ihren Rausch aus, andere tranken ihren caffè an diesem Morgen lieber zu Hause auf der Terrasse als auf der Piazza. Und Cesare hatte sicher noch nichts bewegt.
Aber Neri versuchte, Elmar Wengler irgendwie bei Laune zu halten, ihm die Hoffnung nicht zu nehmen.
»Der, der da kommt, das ist Sergio. Fünfundachtzig. Der sitzt hier immer morgens auf der Piazza, das ist sein Leben, das Highlight, aber nach siebzehn Uhr traut er sich nicht mehr aus dem Haus. Der kommt sicher nicht infrage. Mit dem brauch ich gar nicht zu reden. Und der Dürre da drüben, das ist Mauro. Er ist über fünfzig, wohnt aber noch zu Hause. Seine Mutter würde Zeter und Mordio schreien und mich sofort anrufen, wenn Mauro abends nicht zu Hause wäre.
Ach, guck, da kommt Don Bruno, der Pfarrer. Der tut keiner Fliege was. Der ist sanft wie ein Lamm und hat wahrscheinlich in seiner Stube gebetet, während hier ganz Ambra verrücktspielte. Er kann den Trubel nicht ab. Porca miseria, ich weiß wirklich nicht, was passiert sein könnte. Ob vielleicht ein Tourist Jonas weggefangen hat? Oder ein Ferienhausbesitzer? Das können wir leider alles nicht überprüfen. Dazu fehlen uns die Leute.« Neri schwieg resigniert. »Vermisstenfälle haben immer irgendwie mit Hellseherei zu tun, aber das hab ich während meiner ganzen Laufbahn nicht gelernt. Madonnina! Und ich bin schon fast vierzig Jahre bei der Polizei!«
»Was machen wir jetzt?«, fragte Elmar. »Wir können doch nicht hier rumsitzen, Kaffee trinken und darauf warten, dass irgendjemand Jonas zurückbringt. Das wird nicht geschehen.«
»Nein«, meinte Neri. »Aber Sie können auch nicht draußen durch dorniges Gebüsch klettern. Zumal Sie sich nicht auskennen. Das bringt gar nichts. Das lassen Sie mal unsere Sorge sein. Bleiben Sie hier und halten Sie sich zur Verfügung. Das ist das Einzige und Beste, was Sie tun können! Und ich hab Ihnen ja schon gesagt, die Maschinerie läuft. Die halbe Welt sucht Ihren Sohn!«
Neri stand auf und fasste sich grüßend an die Mütze. »Ich habe Ihre Handynummer und melde mich, sowie es etwas Neues gibt. Bleiben Sie ruhig. Sie können nichts ändern. Aber wir tun, was wir können.«
Elmar nickte. Hilflos und vollkommen verzweifelt.
Elmar saß noch eine halbe Stunde wie festgenagelt auf dem harten Metallstuhl der Bar. Sein Espresso war längst ausgetrunken. Er bestellte sich einen neuen.
Schweigend beobachtete er die Italiener, die allmählich aus ihren Häusern kamen und in der Bar ein und aus gingen, die Touristen in ihren kurzen Hosen und obligatorischen Sandalen, die ihre Fahrräder an den Blumenkästen stehen ließen und sich ein paar panini kauften. Auf der Piazza setzte wieder das normale Leben ein, als wäre nichts geschehen. Als wäre Jonas nicht verschwunden.
Vier Parkplätze gab es direkt vor der Piazza. Wurde einer frei, war er nach wenigen Sekunden sofort wieder belegt. Junge und Alte liefen die stark ansteigende Dorfstraße hinauf und hinab, Frauen und Männer, Einheimische und Touristen. Alltag in Ambra. An der Mauer gleich neben der Bar, die den steilen Berg zur Kirche abstützte, hingen die Todesanzeigen und öffentlichen Danksagungen. Niemand blieb stehen, um sie zu lesen. Sie wussten eh alle Bescheid. Lange bevor das Plakat verkündete, wer von ihnen gestorben, wer nicht mehr bei ihnen war.
Elmar beobachtete dies alles stumm und irgendwie fassungslos. Denn irgendwo hier war vielleicht Jonas. In irgendeinem Haus. Im Weinberg, in den Olivenhainen oder im Wald. Lebendig oder längst schon begraben. Oder man hatte ihn weggebracht. Nach Siena, Florenz oder Mailand. Dann würden sie ihn nie mehr finden. Man würde ihn an einen Pornoring verkaufen und in ein schreckliches, brutales Leben prügeln. Falls sie ihn überhaupt am Leben ließen.
Die Männer da draußen zerkratzten sich die Arme und Beine im Dornengestrüpp, aber es war wahrscheinlich sinnlos. Jonas war tot oder irgendwo auf dieser Welt. Ganz weit weg. Für alle Zeiten unauffindbar. Und wenn er noch am Leben war, würde er es nie wieder mit ihnen teilen. Würde nie mehr wiederkommen.
Er verreckte fast an seinen schrecklichen Gedanken, während er da saß und die fremden Menschen anstarrte.
Bereits jetzt, keine zwölf Stunden nach Jonas’ Verschwinden, hatte er die Hoffnung schon aufgegeben.
Ich verstehe es nicht, dachte Elmar, während er die einsame Serpentinenstraße hinauf in die Berge zu ihrem Ferienhaus fuhr, das Leben geht anscheinend weiter, als ob nichts geschehen wäre. Dabei müsste die Welt eigentlich stillstehen und den Atem anhalten. Ich begreife nicht, was passiert ist. Habe nicht die leiseste Ahnung, wo er sein, und nicht die geringste Idee, wo ich ihn suchen könnte. Meine Welt dreht sich nicht mehr. Es gibt kein Morgen.
Er drückte abrupt auf die Bremse, schaltete den Motor aus und zog die Handbremse an.
In dem Wagen war keine Luft mehr zum Atmen, nur noch Verzweiflung.
Und dann brach er in Tränen aus.
Es dauerte lange, bis Elmar weiterfahren konnte.
Unterdessen schlich Gitta durchs Haus. Auf Socken. Damit sie hören würde, wenn Jonas kam oder rief. Alle Türen standen weit offen, und all ihre Sinne waren auf Alarm gestellt.
Sie hatte versucht zu lesen, hatte den Fernseher angeschaltet, um sich abzulenken, es funktionierte alles nicht.
Unaufhörlich lief sie durch das Ferienhaus und betete innerlich: Bitte, Jonas, komm. Bitte, komm! Damit ich weiterleben kann, denn ohne dich ist mein Leben zu Ende!
Als Elmar zurückkehrte, so gegen halb zwölf, war er so grau im Gesicht, dass Gitta regelrecht erschrak. So krank, so alt und so kraftlos hatte sie ihren Mann überhaupt noch nie gesehen. Genauso wird er aussehen, wenn er tot ist, dachte sie. Und allein der Gedanke trieb ihr die Tränen in die Augen.
»Setz dich«, sagte sie leise und drückte ihn kurz an sich. »Willst du was trinken?«
»Ja. Ein Wasser.«
Elmar setzte sich, und Gitta stellte ihm das Wasser hin.
»Und? Hast du irgendwas gehört? Weiß irgendjemand was?«
Elmar schüttelte stumm und kraftlos den Kopf. »Nein. Nichts.«
»Oh, Mann!«
»Sie werden ihn auch nicht finden, hier in diesem Nest. Der Carabiniere hat ein paar Leute losgeschickt, aber das kannst du vergessen.«
Gitta nickte. Sie stellte sich vor, statt Wasser irgendein Gift zu trinken, und dann fiel sie um und war tot. Ganz schnell, ganz schmerzlos und einfach. Und tschüss. Wenn es so etwas geben würde, sie hätte es sofort getrunken. Die Sehnsucht nach ihrem Sohn und die Angst um ihn waren einfach unerträglich.
»Und nun?«
Elmar zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht mehr weiter, Gitta. Ich weiß nicht, was wir noch machen können.«
Elena hielt vor dem Haus. Die Kunden waren noch nicht da. Wunderbar. Wenn man sich direkt am Objekt verabredete, bestand immer die Gefahr, dass die Interessenten schon ein, zwei Stunden vorher da waren, allein auf dem Grundstück herumkrochen und sich alles ansahen. Das liebte sie gar nicht. Daher hatte sie Herrn und Frau Wedekind gesagt, die Eigentümer erwarteten, dass man die verabredete Zeit einhielt.
Es war eine Notlüge, eine bugia bianca, wie die Italiener sagten, denn die Eigentümer saßen in Mailand, hatten nicht die geringste Lust, in ihrem mittlerweile ungeliebten Haus anwesend zu sein, und überließen alles Elena. Sie wollten nur noch zur Vertragsunterzeichnung beim Notar anreisen.
Sie stieg aus dem Wagen. Was für ein schöner, sonniger Tag. Ideal für eine Hausbesichtigung. Alles sah gut aus. Der Rasen war gemäht, die Büsche gestutzt, das Unkraut weitgehend entfernt, und der Pool schimmerte hellblau und kristallklar. Sie würde Francesco ein kleines Lob per WhatsApp schicken.
Bevor sie das Haus aufschloss, checkte sie noch ihre Mails, klickte jede Menge Werbung weg, öffnete dann alle Fenster und Türen und ertappte sich bei dem Gedanken, dass ihr dieses Anwesen auch gefallen könnte. Es war zwar kein Vergleich zu ihrem Kleinod mitten in Siena, aber auf seine Weise ebenfalls wunderschön. Perfekt. Die Häuser, in denen ein Leben auch für sie durchaus denkbar wäre, konnte sie immer am besten und am schnellsten verkaufen.
Langsam ging sie durch alle Zimmer, wischte hier noch ein bisschen Staub von einer Lampe, entfernte dort einige Spinnenweben aus einer Ecke und spülte die Toilette.
Sie war gespannt, was Herr und Frau Wedekind, die aus Freiburg kamen, sagen würden. Die Exposés hatten sie ansprechend gefunden, aber heute sahen sie das Haus zum ersten Mal in der Realität.
Als sie hörte, wie ein Auto vorfuhr, trat sie auf die Terrasse und war sich ihrer Erscheinung vollkommen bewusst: Ihr sommerliches Outfit war perfekt, ihre Haare wehten locker im Wind, und sie lächelte strahlend.
Elena ging auf das Ehepaar zu, das aus dem Auto stieg und zögernd näher kam. »Herr und Frau Wedekind?«
Die beiden nickten.
»Ich grüße Sie!« Sie gab erst ihr, dann ihm die Hand. »Herzlich willkommen. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Fahrt. Haben Sie das Anwesen hier ohne Weiteres gefunden?«
»Ja«, sagte Herr Wedekind, »wir hatten kein Problem, das heißt: unser Navi hatte kein Problem.«
»Das freut mich. Ich würde vorschlagen, wir gucken uns bei diesem herrlichen Wetter erst einmal die Außenanlagen an. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Ich habe gekühltes Mineralwasser im Wagen.«
»Nein, danke«, sagte Frau Wedekind, »wir hatten Wasser dabei und haben im Auto genug getrunken.« Sie lächelte Elena zu.
Elena lächelte zurück. Zumindest zu der Frau war eine positive Verbindung hergestellt.
»Sind Sie allein hier?«, fragte Herr Wedekind mit hochgezogenen Augenbrauen. »Wo sind denn die Eigentümer?«
»Ach ja.« Elena tat, als ärgere sie sich selbst über ihre Vergesslichkeit. »Sie lassen sich vielmals entschuldigen. Die Signori Rossini wohnen in Milano, und die Signora ist Modedesignerin und hat in dieser Woche eine wichtige sfilata di moda, eine Modenschau. Daher schaffen sie es leider nicht. Es tut mir auch sehr leid, dass Sie sich nicht kennenlernen. Aber das werden wir nachholen, und ich hoffe, dass ich Ihnen alle Fragen beantworten kann.«
Herr Wedekind sah aus, als würde er innerlich leise knurren, aber da rief seine Frau: »Hubertus! Dreh dich doch bitte mal um und lass diesen Blick auf dich wirken! Hast du so etwas Schönes in deinem Leben überhaupt schon mal gesehen?«
»Schon hundertmal!«, sagte Hubertus, aber er grinste dabei.
»Und schau mal: Was für ein herrlicher Pool! Da können wir im Wasser liegen oder schwimmen und dabei über die ganze Welt sehen.«
»Ja, das ist wirklich einmalig«, mischte sich Elena ein. »So einen weiten Blick vom Pool aus habe ich wirklich auch bei den allerteuersten Häusern und Villen nur ganz selten.«
Und dann ließ sie die beiden erst einmal in Ruhe, hielt genug Abstand, um leise Gespräche nicht mitzuhören, blieb aber doch nah genug, um aufkommende Fragen sofort beantworten zu können.
Die beiden besichtigten geschlagene vier Stunden. Das erlebte Elena selten. Es gab Wahnsinnige, die durch ein Haus hasteten, einmal kurz übers Grundstück rannten und nach zehn Minuten sagten: »Okay, wir nehmen es.«
Dann gab es die, die noch nicht einmal aus dem Auto ausstiegen, sondern nur die Scheibe runterließen und sagten: »Nein, tut uns furchtbar leid, aber das ist es nicht.«
»Aber wollen Sie das Haus denn nicht von innen besichtigen? Es ist wunderschön, sehr elegant, mit herrlichem Blick, und den Pool können Sie von hier aus auch noch gar nicht sehen, er ist …«
»Nein, sorry, aber das gefällt uns nicht.« Und schon brausten sie davon.
Der Normalfall war eine Besichtigung von ein bis zwei Stunden, je nachdem, wie groß das Anwesen war.
Aber vier Stunden intensive Besichtigung war schon eine Hausnummer und etwas Besonderes.
Elena blieb ruhig und gelassen, bekam immer mehr Lust, Dinge und Details zu erklären, denn je mehr Zeit verging, desto größer war anscheinend das Interesse. Das rettende Ufer war noch nicht erreicht, aber bereits in Sicht.
Als sie alles gesagt und erklärt hatte, was es zu diesem Haus überhaupt zu sagen und zu erklären gab, setzte sich Elena an den Pool und schloss die Augen. Sie wusste, dass allein ihre Optik mit ihrer lässigen, entspannten Haltung, ihren schönen übereinandergeschlagenen Beinen, ihrer verspiegelten Sonnenbrille und ihrem blonden langen Haar, das so locker, unkompliziert und ungestylt wirkte, aber genau das überhaupt nicht war, den Luxus des Hauses noch unterstrich. In jeder Hochglanzbroschüre wäre sie bei der Präsentation des Hauses mit auf dem Foto gewesen.
Irgendwann setzten sich die Wedekinds zu ihr. Elena nahm die Brille ab, lächelte und schwieg.
»Es ist wunderschön«, sagte Frau Wedekind, aber ihre Stimme klang verzagt, als wäre dies alles nur ein unerreichbarer Traum.
Herr Wedekind blätterte im Exposé. »Dreieinhalb Millionen!«, rief er kopfschüttelnd. »Das ist verdammt noch mal ein Haufen Geld.«
Elena sagte gar nichts. Tja, den Preis hatte er vorher gewusst. Der war schließlich kein Geheimnis. Und er hatte ihn mit keinem Wort infrage gestellt. Konnte es wirklich wahr sein, dass Herr Wedekind jetzt noch anfangen wollte zu handeln? Das war in ihren Augen erbärmlich. Entweder sie konnten sich das Haus leisten oder nicht. Entweder es gefiel ihnen oder nicht. Oder hatten sie am Ende nur läppische dreihunderttausend auf dem Konto und wussten jetzt nicht, wie sie ohne Gesichtsverlust aus der Nummer wieder rauskamen?
Sie hielt ihr Gesicht in die Sonne und wartete ab.
Zum Glück war sie auf den Verkauf nicht angewiesen, da würde sich dann schon jemand anderes finden. Und sie hatte noch heißere und lukrativere Eisen im Feuer.
Zwei Minuten später stand Hubertus Wedekind auf und stopfte sich umständlich das Hemd in die Hose. »Tja, meine Liebe«, sagte er zu seiner Frau, »da ich noch nicht dazu gekommen bin, mich nach einem Geburtstagsgeschenk für dich umzusehen, denke ich, es ist eine gute Idee, wenn ich dir dieses Haus schenke. Du scheinst es ja zu mögen.«
Frau Wedekind stieß einen spitzen hohen Schrei aus, stürzte sich auf ihren Mann, übersäte ihn mit Küssen und quiekte: »Ich mag es nicht nur, ich liebe es! Und ich liebe auch dich! Es ist wunderbar. Ich danke dir! Es wird so schön sein, wenn wir die Sommer hier verbringen.«
Na also, dachte Elena. Das war ja doch einfach gewesen.
»Aber du weißt schon, Rosi, dass ich im Sommer auf der Yacht sein will?«, sagte Hubertus lächelnd, doch unmissverständlich.
Rosi erstarrte. »Das heißt, du bist im Sommer auf der Yacht und ich allein hier? Das geht ja gar nicht!«