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Wenngleich das traditionelle Familienbild unter gesellschaftlichen Druck gerät (z. B. rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften), erfüllen familiale Lebenszusammenhänge für die Gesellschaft unverzichtbare Funktionen. Der immer wieder neu aufzugreifenden Auseinandersetzung mit diesem Themenbereich widmet sich Heft 3/2019: "Vielfalt familialer Lebensformen".
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Seitenzahl: 262
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InhaltsverzeichnisThPQ 167 (2019), Heft 3
Schwerpunktthema:
Vielfalt familialer Lebensformen
Christian Spieß
Liebe Leserin, lieber Leser!
Luisa Fischer
Wandel familialer Lebensformen als Herausforderung für die praktische Theologie
1 Familiale Lebensformen im Wandel
2 Familie in ihrer Funktion als Lernort des Glaubens
3 Familie als mehrgenerationales Beziehungsnetzwerk und Herstellungsleistung
Gerhard Marschütz
Lesarten familialer Pluralität. Theologisch-ethische Anmerkungen
1 Katholische Lesart von Familie
2 Familiale Lesarten „vor einigen Jahrzehnten“
3 Familiale Lesarten heute
4 Genderrevolutionäre Lesart
5 Weihnachtliche Lesart zum Abschluss
Katja Winkler
Familienleitbilder zwischen Ökonomisierung und Antigenderismus. Sozialethische und politische Reflexionen
1 Die öffentliche Debatte über Familie: Zwei dominante Narrative
2 Familienleitbilder in der Kritik: Sozialethische Reflexionen
3 Ermöglichung von Fürsorgebeziehungen: Politik der Lebensformen
Helga Amesberger
„Wir sind Frauen wie andere auch!“Familienleben von Sexarbeiterinnen
1 Harte Realitäten – Die Nichtlebbarkeit von Familie im Kontext der Migration
2 Familie als Solidargemeinschaft und Ort von Abhängigkeit
3 Nicht Sexarbeit, die Notwendigkeit des Gelderwerbs erschwert das Familienleben
Dagmar Bojdunyk-Rack / Sylvia Spiessberger
Rainbows – Hilfe für Kinder und Jugendliche in stürmischen Zeiten nach Trennungs- und Verlusterlebnissen in der Familie
1 RAINBOWS stellt sich vor
2 Vertrauen ist der Anfang von allem. Wie RAINBOWS die Resilienz von Kindern fördert
Michael Schüßler
Unveränderte Messlatte bei weniger Steinschlag. Pastoraltheologische Nachlese zu Amoris Laetitia
Johann Maier (†)
Von der Leidensgeschichte Jesu zur Leidensgeschichte der Juden. Folgen missbräuchlicher Verwendungen neutestamentlicher Aussagen
1 Die Passionserzählungen des Neuen Testaments
2 Die Schuldfrage und die Vorstellung von der Kollektivschuld
3 Der Vorwurf des Gottesmordes
4 Osterwoche und Haltung zu den Juden
5 Knechtschaft als Folge der Kollektivschuld
6 Der Verfall der Rechtssicherheit und die Aushöhlung des christlichen Verantwortungsbewusstseins
7 Fazit
Abhandlungen
Andreas Telser
Zu(m) Gast in der Langen Nacht der Kirchen
Systematisch-theologische Reflexionen eines Experiments
1 Vorbemerkungen
2 Die ‚geschenkte‘ Botschaft
3 Innovation aus Tradition
4 Zu(m) ‚Gast‘ – in der Langen Nacht der Kirchen
Stefanie Roeder
Die achtsame Inszenierung von Botschaft als Wagnis passagerer Erfahrungsmöglichkeit
1 Geschichtlich-kunsthistorisch
2 Architektonisch-transzendierend
3 Spirituell-affordant
4 Stationenorientiert-liturgisch
5 Installationsorientiert-biblisch
6 Biografisch-transzendierend
7 Handlungsempfehlungen zur Umsetzung
Literatur
Wunibald Müller
Das aktuelle theologische Buch
Besprechungen
Eingesandte Schriften
Aus dem Inhalt des nächsten Heftes
Redaktion
Kontakt
Anschriften der Mitarbeiter
Impressum
Liebe Leserin, lieber Leser!
Familienleitbilder als fest gefügte, mit moralischen Gründen abgesicherte Vorstellungen davon, wie das intime Zusammenleben von Person zu Person zu gestalten ist, dürften für viele zu den wichtigen, jedenfalls augenfälligen sozialen Ausprägungen gelebter Religiosität gehören. So wird in verschiedenen religiösen Traditionen das Zusammenleben etwa in der Ehe, werden die sexuellen Implikationen der Partnerschaft, Fragen der Nachkommenschaft und auch das Verhältnis der Generationen intensiv thematisiert, nicht selten strikt reguliert. Religionspädagogik, Pastoraltheologie, Moraltheologie und das kanonische Recht sind ohne eine ausführliche Auseinandersetzung mit diesen Themen kaum denkbar. In den Gemeinden wird mitunter sogar eine problematische Fixierung auf „Familienarbeit“, auf Verkündigung und Liturgie für Eltern mit Kindern kritisiert, für die ein reichhaltiges Seelsorge- und Gottesdienstangebot bereitgestellt wird, während Menschen in anderen Lebenssituationen mitunter schwieriger Zugang zur pastoralen Praxis finden.
In gesamtgesellschaftlicher Perspektive befinden sich die Konventionen des Zusammenlebens in einer äußerst ambivalenten Entwicklung. Einesteils gerät ein typisch modernes Familienleitbild – etwa jenes der „Einverdienerehe“ mit Kindern (zwischenzeitlich moderat erweitert um eine teilzeitbeschäftige Mutter) – unter Druck: Alternative Formen des Zusammenlebens, beispielsweise in Folge einer Trennung der Eheleute oder auch durch politische Entscheidungen wie die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, gewinnen de facto und de jure an Bedeutung. Andernteils scheint dies vorerst nicht zu einem Bedeutungsverlust der Familie als „Primärform des Zusammenlebens“ zu führen: Weiterhin werden in familialen Lebenszusammenhängen unverzichtbare humane Anerkennungsleistungen und für die Gesellschaft unverzichtbare Funktionen etwa der Versorgung, Erziehung, Fürsorge und Pflege erfüllt. Auch Veränderungen wie die Zunahme der frühzeitigen Vollzeiterwerbstätigkeit der Mütter werden semantisch häufig gerade an die grundsätzliche Kontinuität der Familie als Lebensform gekoppelt („Vereinbarkeit von Familie und Beruf“). Zudem vollzieht sich der „Wandel der Familie“ in unterschiedlichen kulturellen, regionalen und sozioökonomischen Kontexten, in verschiedenen sozialen Milieus mit einer beträchtlichen Ungleichzeitigkeit. Beispiele für die fortdauernde normative Priorisierung des überkommenen Familienmodells lassen sich sowohl in der Kirche (Ablehnung der rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften) als auch in der Politik (mancherorts fehlender Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung) leicht finden.
Das hiermit vorgelegte Themenheft der Theologisch-praktischen Quartalschrift nähert sich der Familie und vergleichbaren Lebensformen zum einen in einer allgemeinen, überblicksartigen Weise, erschließt zum anderen aber auch einige besondere, konzentrierte Perspektiven. Luisa Fischer verbindet einen sozialwissenschaftlichen Überblick über die Veränderungen familialen Zusammenlebens mit der Darstellung daraus resultierender Herausforderungen für die Praktische Theologie und für die theologische Praxis. Auf der Grundlage der Annahme, dass interpretierende Lesarten und Leitbilder stets einen normativen Gehalt haben, skizziert Gerhard Marschütz eine katholische Lesart der Familie einerseits und gendertheoretisch gestützte Lesarten von Lebensformen andererseits. Katja Winkler analysiert in kritischer Auseinandersetzung zwei in diesem Diskurs aktuell besonders relevante Positionen, nämlich eine „anti-genderistische“ und eine „neoliberale“ Sicht auf familiales Zusammenleben. Helga Amesberger schildert die Bedeutung familialer Bindung für Sexarbeiterinnen und vermeidet dabei die sonst – auch bei einigen katholischen Organisationen – verbreitete respektlose Stigmatisierung der Frauen als Opfer. Einen Bericht aus der beratenden Praxis bieten Dagmar Bojdunyk-Rack und Sylvia Spiessberger mit der Vorstellung des Vereins „Rainbows“, der Kinder und Jugendliche in Trennungs- und Verlustsituationen unterstützt. Abschließend bietet Michael Schüßler eine „pastoraltheologische Nachlese“ zu Amoris laetitia, dem nachsynodalen Schreiben von Papst Franziskus aus dem Jahr 2016, das sich auf die Beratungen und Ergebnisse der Bischofssynode zu den pastoralen Herausforderungen der Familie bezieht.
Über die thematischen Beiträge hinaus enthält dieses Heft einen Aufsatz von Johann Maier über die fatalen Folgen einer missbräuchlichen Verwendung neutestamentlicher Aussagen der Passionserzählungen für die Haltung von Christen gegenüber Juden. Andreas Telser reflektiert aus systematisch-theologischer Sicht das Experiment „Lange Nacht der Kirchen“. Ebenfalls über die „Lange Nacht der Kirchen“, darüber hinaus aber auch allgemeiner über „passagere“ pastorale Angebote handelt schließlich ein Beitrag von Stefanie Roeder.
Liebe Leserinnen und Leser!
Inwieweit sich familiale Lebensformen und die in ihnen gelebten Rollenmodelle nachhaltig verändern, wissen wir nicht. Einer solchen Pluralisierung, der Gleichberechtigung der Geschlechter sowie dem Respekt gegenüber Menschen mit unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten und sexuellen Orientierungen stehen ein zähes Festhalten an Geschlechterstereotypen, bleibende homophobe Vorbehalte und ein, so scheint es, zunehmendes Ressentiment gegen Genderwissenschaften gegenüber. Gewiss darf und muss es eine „Kritik von Lebensformen“ (Rahel Jaeggi) geben, weil sie eben nicht einfach (nur) Privatsache sind. Diskurse über die Bewertung von unterschiedlichen Formen des Zusammenlebens gehören selbstverständlich nicht nur in die zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit und in die Politik, sondern auch in die Theologie und in die Kirche. Die Basis für solche Diskurse ist die Anerkennung einer Pluralität von Antworten auf die Frage, wie Menschen zusammenleben möchten und wie dies gut gelingen kann. So plädiert dieses Heft für den Respekt gegenüber ganz unterschiedlichen Formen glückenden menschlichen Zusammenlebens.
Ihr
Christian Spieß
(für die Redaktion)
Luisa Fischer
♦ Dieser Beitrag skizziert die Veränderung des Verständnisses von Familie – von der bürgerlichen Kernfamilie zur multilokalen Mehrgenerationenfamilie – und zeigt, wie familiale Lebensformen heute gelebt und theoretisch verstanden werden. Familie wird zunehmend weniger als statische Gegebenheit, sondern vielmehr als eine dynamische Praxis, als „doing family“ erlebt. Daraus ergibt sich ein Plädoyer dafür, diesen Wandel als Ort und Lernort des Glaubens ernst zu nehmen, ihn für eine pastorale Begleitung von Familien und ebenso für theologische Diskurse zur Familie fruchtbar zu machen. (Redaktion)
Der vorliegende Beitrag wertet die wichtigsten familiensoziologischen Analysen und Thesen des Wandels familialer Lebensformen als Herausforderungen für die praktische Theologie aus und stellt neuere familiensoziologische Ansätze vor, die für eine theologische Reflexion sowie die pastorale Praxis fruchtbar gemacht werden können.1
Familiale Lebensformen werden als Teilmenge privater Lebensformen verstanden, d. h. „haushaltsübergreifende, relativ stabile Beziehungsmuster im privaten Bereich“2, die sich durch das Vorhandensein von Eltern-Kind-Beziehungen auszeichnen. Nicht zuletzt aufgrund demografischer Entwicklungen, wie sie im Folgenden nachzuzeichnen sind, erscheint allerdings eine Ausweitung auf Generationenbeziehungen unabhängig vom Vorhandensein minderjähriger Kinder angebracht. Zur Analyse des Phänomens eignet sich der Topos „familiale Lebensformen“ besser als der normativ und ideologisch teilweise stark aufgeladene Begriff „Familie“, dem eine „Einheits- und Ganzheitssuggestion“3 zugrunde liegt, die der Heterogenität und den Differenzierungen innerhalb von Familie(n) nicht gerecht wird.
Bei der Betrachtung familialer Lebensformen sind zwei Ebenen voneinander zu unterscheiden: die Ebene gelebten Familienlebens und die normative Ebene, d. h. Vorstellungen davon, welche familialen Lebenszusammenhänge als gesellschaftlich und/oder religiös legitimiert sowie orientierungsleitend bei der Gestaltung der Lebensführung gelten. Wandel kann sich auf beiden, wechselseitig miteinander verbundenen Ebenen vollziehen.
Theorien der Individualisierung im Anschluss an Beck/Beck-Gernsheim sowie die Deinstitutionalisierungsthese von Tyrell reflektieren auf eben diesen Wandel familialer Beziehungen. Erstere postulieren zunächst auf normativer Ebene die „Autonomisierung der Familie vom Verwandtschaftssystem und der Individuen von der Familie“4. Der gesellschaftliche Modernisierungsprozess gehe insgesamt mit einer Auflösung normativ geprägter sozialer Strukturen einher. Aus dieser Veränderung auf normativer Ebene folge eine Pluralisierung familialer Lebensformen. Darunter wird entweder die Entstehung neuer Lebensformen verstanden5 oder die Verschiebung der Anteile vorhandener Lebensformen und deren gesellschaftlicher Wahrnehmung gedacht.6 In ähnlicher Weise argumentiert die Deinstitutionalisierungsthese von Tyrell. Sie konstatiert den Verlust der Bindungskraft des Ideals der bürgerlichen Kernfamilie und der „exklusiven Monopolstellung“ dieser, die Abnahme sozialer Kontrolle im Bereich der privaten Lebensgestaltung sowie eine zunehmende gesellschaftliche Legitimität anderer familialer Lebensformen; damit einher gehe eine „Motivationskrise“ hinsichtlich von Ehe und Elternschaft.7 Deinstitutionalisierung führt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach Tyrell entsprechend zu einer weitgehenden Freiheit des Einzelnen bei der Gestaltung seiner Lebensführung und zu ausbleibenden Sanktionen bei gelebten Abweichungen von Ehemoral und Familiensittlichkeit.8
Empirisch kann bestätigt werden, dass früher normative und institutionelle Bindungen etwa an religiös legitimierte Rollenmuster Handlungsoptionen des Einzelnen stark beschränkt, aber auch sozial abgesichert haben; heute wirken hingegen vermehrt andere Zwänge – etwa des Bildungssystems oder des Arbeitsmarktes – auf die vom Einzelnen nun selbstverantwortete Lebensgestaltung.9 Die Verwiesenheit von Ehe und Familie ist dabei abhängig von Region und anderen Faktoren unterschiedlich stark aufgebrochen.10 Dennoch kann Pluralisierung eher als Verschiebung der Anteile vorhandener familialer Lebensformen denn als Zunahme der Vielfalt dieser belegt werden.11 Dominante familiale Lebensform bleibt weiterhin die Zwei-Eltern-Kind-Familie.12 Demografische Entwicklungen wie sinkende Heirats- und Geburtenziffern sowie steigende Scheidungs- und Wiederverheiratungszahlen werden häufig angeführt, um eine Zunahme der Komplexität familialer Lebensverlaufsmuster zu erklären.13 Allerdings konnte die historische Familienforschung zeigen, dass sich Familien in Vergangenheit und Gegenwart – betrachtet man nicht nur das „golden age of marriage“ der 1950er-/1960er-Jahre als Referenzrahmen – gerade auch durch den hohen Anteil an Wiederverheiratungen oder neuen Partnerschaften sowie daraus resultierenden komplexen Familienverhältnissen und die große Zahl unverheirateter Paare ähneln. Allerdings sind die Unterschiede etwa in der Funktionsweise, den Entstehungsgründen sowie der normativen Bewertung zwischen historischen Vorläufern und gegenwärtigen Formen gravierend.14 Außerdem scheint das im Bürgertum entstandene Modell der bürgerlichen Kernfamilie, wenn auch mit Veränderungen im Sinne einer Abschwächung der patriarchalen Struktur und der gewandelten Frauenrolle, als Ideal durchaus weiterzubestehen.15 Der schrumpfende Anteil familialer im Vergleich zu nicht-familialen Lebensformen kann nicht zuvorderst durch eine steigende Kinderlosigkeit, sondern vor allem dadurch erklärt werden, dass die Familiengründung – wie auch andere Übergänge – auf einen späteren Zeitpunkt verschoben wird und darüber hinaus die Lebenserwartung zunimmt.16 Einzig neue, statistisch allerdings marginale familiale Lebensformen stellen gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften mit Kindern und seit neuestem Ehen von gleichgeschlechtlichen Paaren dar.17
Aus kirchlicher Perspektive werden diese gesellschaftlichen Entwicklungen häufig bedauert, schließlich haben Normen der kirchlichen Ehe- und Familienlehre an Bindungskraft erheblich eingebüßt. Heute leben viele in familialen Lebenssituationen, die dem kirchlichen Ideal nicht entsprechen. Familien, so beklagt man sich vor allem in der pastoralen Praxis, können eine religiöse Sozialisation nicht mehr gewährleisten. Blasberg-Kuhnke spricht in Rekurs auf die Diagnose der „Verkirchlichung des Christentums“ (Kaufmann) davon, dass die Zuständigkeit für das Religiöse den Kirchen zugewiesen würde und Familien sich hier nicht mehr selbst in der Verantwortung sehen.18 Es scheint daher in Frage zu stehen, ob Familien (noch) „das Fundament und die Zukunft gesellschaftlichen und kirchlichen Lebens“19 sind bzw. sein können.
Familiensoziologisch sind es vor allem die Differenzierungstheorien, die einen Verlust bzw. eine Schwächung der Familie in der modernen Gesellschaft diskutieren und nach den Funktionen der Familie für die Gesellschaft fragen.20 Funktionen, die traditionell der Familie vorbehalten waren, werden heute zu einem erheblichen Anteil von außerfamiliären Institutionen wie Bildungseinrichtungen und dem Sozialstaat (mit-)übernommen.21 Der Funktionswandel von Familien hat dazu geführt, „dass die Qualität der Beziehungen der Familienmitglieder an Bedeutung gewonnen hat, mit dem Nebeneffekt, dass der familiäre Zusammenhalt zunehmend von dieser Qualität abhängt“22. Der Achte Familienbericht des BMFSFJ23 spricht sogar neben Elternschaft von Solidarität und Wahlverwandtschaft als den Konstitutionsbedingungen der modernen Familie. Familie wird daher immer seltener aufgrund relativ verbindlicher sozialer Normen oder sozialen Zwangs realisiert, sondern ist Ergebnis einer individuellen Entscheidung, die von den Wertüberzeugungen der Einzelnen und der Bereitschaft zur Solidarität mit den Anderen abhängig ist.24 Auch Solidarität innerhalb von Familien erscheint dementsprechend manchen als prekär.25
Dennoch scheint vieles dafür zu sprechen, dass Familien weiterhin, obwohl nur noch die wenigsten explizit religiös erziehen, für die religiöse Erziehung und Sozialisation unverzichtbar sind – in Abhängigkeit von der in ihnen erlebbaren Beziehungsqualität.26 „Glaubenstradierung setzt nämlich eine bestimmte Beziehungsqualität voraus.“27 So wären der Funktionswandel von Familien und die damit verbundene zunehmende Bedeutung der Beziehungsqualität für Familien gerade ein geeigneter Ansatzpunkt zur theologischen Reflexion und die pastorale Praxis. In diesem Sinne formuliert Papst Franziskus den Anspruch an heutige Familienpastoral: Sie „muss erfahrbar machen, dass das Evangelium der Familie die Antwort auf die tiefsten Erwartungen des Menschen darstellt: auf seine Würde und auf die vollkommene Verwirklichung in der Gegenseitigkeit, in der Gemeinschaft und in der Fruchtbarkeit. Es geht nicht allein darum, Normen vorzulegen, sondern Werte anzubieten und damit auf eine Sehnsucht nach Werten zu antworten, die heute selbst in den säkularisiertesten Ländern festzustellen ist.“ (AL 201) Familie wird dann (wieder) zum Lernort des Glaubens, wenn es gelingt, die religiöse Dimension innerfamilialer Erfahrungen von Solidarität und Verbundenheit sowie individueller Wertüberzeugungen sichtbar werden zu lassen. Ihre „Empfänglichkeit für Bilder, Symbole und Rituale und für eine gestaltete Umgebung“28 kann dafür fruchtbar sein. Denn jede Erziehung, „die diesen Namen verdient, trägt in ihrem Kern bereits eine religiöse Dimension: Erziehung transzendiert die aktuellen Möglichkeiten des Kindes auf eine Zukunft hin, die nicht schlechthin planbar oder machbar ist“29. Unbestritten ist, dass es für eine Erschließung dieser Dimension der pastoralen und/oder religionspädagogischen Unterstützung und Begleitung im Sinne einer „pastoralen Ermutigung“ anstelle einer „moralischen Kommunikation“30 bedarf. So ist wohl auch Franziskus zu verstehen, wenn er in Amoris laetita auf Folgendes verweist: „Wir sind berufen, die Gewissen zu bilden, nicht aber dazu, den Anspruch zu erheben, sie zu ersetzen.“ (AL 37) Er nimmt dabei auch eine neue Verhältnisbestimmung von kirchlicher Doktrin, moraltheologischer Reflexion und pastoraler Praxis vor: „Einladung und Wahrnehmung von Chancen scheinen wichtiger als Einschärfung von Verboten und lehrhafte Abgrenzungen.“31
Entsprechend können neuere Ansätze der Moraltheologie für die pastorale Praxis fruchtbar gemacht werden. Das gilt etwa für die „Beziehungsethik“, die Beziehungen als „dynamisch-prozessuale Wirklichkeiten“ versteht und folglich weniger das sexuelle Empfinden und Handeln als vielmehr die Dynamik und Qualität von Beziehungen zum Gegenstand macht.32 Für eine entsprechende Familienpastoral hieße das auch, Wachstum und Krisen als Realitäten und stetige Aufgabe anzusehen.33 Auch eine von Laux in den ethischen Diskurs eingebrachte Unterscheidung sollte in der pastoralen Praxis Bedeutung erlangen: zwischen Lebensformen und individueller Lebensführung. „Es ist nicht nur nicht möglich, sondern zwingend notwendig, zwischen der Debatte um Lebensformen und den Urteilen über Personen in ihrer Lebensführung zu unterscheiden; es ist nicht nur nicht möglich, sondern zwingend zu vermeiden, von Lebensformen auf die sittliche Qualität der Lebensführung einzelner zu schließen. Man kann auch eine Ehe schlecht und eine nichteheliche Partnerschaft gut führen. Die Debatte um Lebensformen, die Hervorhebung einer bestimmten Lebensform und die Formulierung eines Leitbildes dienen der Orientierung; sie taugen nicht zur Beurteilung individueller Lebensweisen.“34
Die Perspektive auf Familie als soziales Netzwerk persönlicher Beziehungen kann eine entsprechende theologische Perspektive soziologisch fundieren.35 Dabei rückt Familie „als komplexes und dynamisches Beziehungsgefüge“ ins Blickfeld.36 Individuen durchlaufen in ihrem Lebensverlauf unterschiedliche Partnerschafts- und Familienformen.37 Gleichzeitig sind Familienbeziehungen nicht an Haushaltsgrenzen und an das Vorhandensein minderjähriger Kinder gebunden.38
Erst ein solcher Blick auf familiale Lebensformen ermöglicht es auch, die Auswirkungen der demografischen Entwicklungen seit Mitte des 20. Jahrhunderts auf „Familie(n)“ angemessen einzufangen. So hat die Ausweitung der durchschnittlichen gemeinsamen Lebenszeit mehrerer familialer Generationen verbunden mit einem späten Erstgeburtsalter in Deutschland zu einer von großen „Alterslücken“ geprägten Drei-Generationenstruktur geführt.39 Es kann gezeigt werden, dass die Mehrheit heute in multilokalen Mehrgenerationenzusammenhängen lebt und zwischen den Familienmitgliedern bedeutsame soziale Beziehungen bestehen.40 Die vielfach betonte „eigene“ oder „besondere“ Art familialer Beziehungen ergibt sich aus dem – funktional zu verstehenden – Element familialer (Für-)Sorge.41 Aus familiensoziologischen Studien wissen wir darüber hinaus, dass sich familiale Mehrgenerationenbeziehungen heute meist durch relative räumliche Nähe, enge emotionale Beziehungen, regelmäßige soziale Kontakte, das gemeinsame Feiern von Familienfesten und kirchlichen Feiertagen sowie umfangreiche materielle und finanzielle Transferbeziehungen auszeichnen.42 Familie ist heute nicht mehr allein als Kernfamilie verstehbar. Konzepte wie das der multilokalen Mehrgenerationenfamilie43 versuchen diese Entwicklung einzufangen. Entsprechend muss auch Kritik geübt werden an einer Theologie, die in ihrer ethischen Reflexion sowie der pastoralen Praxis nach wie vor zu stark auf Ehe und Elternschaft in der kernfamilialen Phase fokussiert ist und dadurch andere familiale Lebenssituationen aus dem Blick verliert.
Großeltern und Enkelkinder verbringen heute häufig eine über ein Vierteljahrhundert dauernde gemeinsame Lebenszeit miteinander, wenn sie auch nicht in einem Haushalt leben.44 Die Enkel-Großeltern-Beziehung ist für den Großteil der Bevölkerung dadurch zu einer aktiv gelebten Beziehungsform über einen langen Zeitraum hinweg geworden.45 Großelternschaft gehört dabei zu einer der wenigen positiv konnotierten Altersrollen, sodass ich an anderer Stelle von Großelternschaft als Gut gesprochen habe.46 Allerdings wird Großelternschaft zukünftig keine selbstverständlich zu erwartende Rolle mehr sein, wofür das steigende Erstgeburtsalter, aber auch die zunehmende Kinderlosigkeit verantwortlich sind.47 Neben den Auswirkungen für die familiale Integration wird dies bei manchem die Neukonzeption von Vorstellungen des eigenen Alterns nötig machen.48 Theologisch wird darauf bislang kaum reflektiert. Gerade in der pastoralen Reflexion könnte der Ansatz bei der Dimension der Generativität, d. h. dem „Bedürfnis, einen über die Begrenztheit des eigenen Lebens hinausgehenden Beitrag zu leisten“ ertragreich sein.49
Mithilfe des Netzwerkansatzes kann darüber hinaus der eher statische Blick auf familiale Lebensformen ergänzt werden um eine Perspektive, welche die für die Beziehungsqualität so notwendige Beziehungsarbeit von Familien in den Blick nimmt. Ein solcher Blick nimmt Familie nicht als etwas selbstverständlich (Natur-)Gegebenes wahr. Familienmitglieder müssen etwas tun, um Familie zu sein („Doing family“). Damit vollzieht sich ein Perspektivwechsel auf Familie als Praxis; Familie wird zur Herstellungsleistung.50 „Familie stellt eine gemeinsame Leistung der Akteure nach innen und nach außen dar, die identitätsstiftenden Charakter hat.“51 Die Herstellungsleistungen gehen diesem von Jurczyk entwickelten Ansatz entsprechend auch über das hinaus, was klassischerweise als Leistungen der Familie ausgewiesen wird. Berücksichtigt wird beispielsweise auch, dass in vielen familialen Lebenssituationen etwa von Nachtrennungsfamilien oder Mehrgenerationenfamilien, die nicht zusammen in einem Haushalt leben, erst einmal gemeinsame Zeiträume geschaffen werden müssen, um Familie erfahrbar zu machen oder Fürsorgeleistungen erbringen zu können. Alltägliche Herstellungsleistungen von Familien müssen den gesellschaftlichen Leistungen von Familien, aber etwa auch denen religiöser Sozialisation vorausgehen.52 „The experience of being family, however, is perhaps one of the most elusive challenges. In our everyday life, we talk and think about our individual roles and responsibilities and read about how we are changing collectively as families, but the experience of being family is often so taken for granted, or so implicit as to be invisible, both experientially and theoretically. When and under what conditions do we invoke a consciousness of being in a family, living a family experience, or doing family?“53 Familie zu sein – nicht zuletzt angesichts der zuvor schemenhaft skizzierten sich wandelnden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen – ist eine „voraussetzungsvolle Tätigkeit“54. Das gilt für alle familialen Lebensformen – nicht nur solche, die in theologischen Diskursen immer noch häufig diskreditierend als „irregulär“ bezeichnet werden.
Im Bewusstsein dafür fordern auch Bauer und Schüssler „einen pastoralen Ortswechsel der Kirche von einer weltanschaulichen Normalisierungsagentur hin zu einer risikobereiten Solidaritätsagentur, die das wild bewegte ‚doing family‘ von Männern und Frauen, Kindern und alten Menschen pastoral begleitet.“55 Vielfach ist in der pastoralen Praxis dieser Ortswechsel längst vollzogen worden. Allerdings steht infrage, ob eine entsprechende Perspektive auf Ehe und familiale Lebensformen ohne Auswirkungen auf die kirchliche Lehre bleiben kann. Folglich kritisiert Hilpert an Amoris laetitia: „Es entsteht beim Lesen der Eindruck, pastorale Barmherzigkeit könne und dürfe fast alles, aber unter keinen Umständen Auswirkungen auf frühere doktrinelle Festlegungen haben.“56 Das wäre fatal. Denn nur mit einer Weiterentwicklung der Lehre kann die Kirche dem in diesem Beitrag formulierten Anspruch an ihre pastorale Praxis gerecht werden und Familien wieder darin unterstützen, zu einem Lernort des Glaubens zu werden.
Die Autorin:Luisa Fischer, M.A., 1988, Studium der Soziologie, Pädagogik und Katholischen Theologie; derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Abteilung für Christliche Anthropologie und Sozialethik der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Publikationen: Gerhard Kruip / Luisa Fischer, Familie als Ressource gesellschaftlichen Zusammenhalts. Welche Familienpolitik trägt dazu bei?, in: Stimme der Familie 65 (2018)6, 14–18. Luisa Fischer, Familiale Lebensformen: Thesen des Wandels und aktuelle familiensoziologische Perspektiven als Herausforderungen der Ethik, in: ethikundgesellschaft 2017/1, online: http://www.ethik-und-gesellschaft.de/ojs/index.php/eug/article/view/1-2017-art-5/488.
Weiterführende Literatur:
Zu aktuellen familiensoziologischen Perspektiven auf Familie, auch unter dem Aspekt des sozialen und institutionellen Wandels, sei folgender Sammelband empfohlen: Anja Steinbach / Marina Hennig / Oliver Arránz Becker (Hg.), Familie im Fokus der Wissenschaft, Wiesbaden 2014.
Eine grundlegende Einführung in den soziologischen Ansatz von Familie als Herstellungsleistung bzw. des Doing Family bietet der folgende Sammelband: Karin Jurczyk / Andreas Lange / Barbara Thiessen, Doing Family. Warum Familienleben heute nicht mehr selbstverständlich ist, Weinheim u. a. 2014. Er enthält zudem Reflexionen auf notwendige Bedingungen zur Herstellung von Familie sowie den Zusammenhang von Geschlecht und Herstellung.
Eine soziologisch fundierte Reflexion auf eine praktische Theologie familialer Lebensformen sowie die kirchliche Lehre von Ehe und Familie findet sich etwa im Sammelband von Christian Bauer / Michael Schüssler, Pastorales Lehramt? Spielräume einer Theologie familialer Lebensformen, Ostfildern 2015.
1 Vgl. für eine ähnliche Perspektive auf die theologische Ethik auch Luisa Fischer, Familiale Lebensformen: Thesen des Wandels und aktuelle familiensoziologische Perspektiven als Herausforderungen der Ethik, in: ethikundgesellschaft 1/2017; http://www.ethik-und-gesellschaft.de/ojs/index.php/eug/article/viewFile/1-2017-art-5/488 [Abruf: 26.03.2019].
2Norbert F. Schneider / Thomas Skora / Heiko Rüger, Beruflich bedingte Mobilitätserfahrungen im Lebensverlauf und ihre Bedeutung für die Familienentwicklung. Ein Kohortenvergleich, in: Anja Steinbach / Marina Hennig / Oliver Arránz Becker (Hg.), Familie im Fokus der Wissenschaft, Wiesbaden 2014, 173 – 203, hier: 175.
3Hartmann Tyrell, Familienforschung – Familiensoziologie: Einleitende Bemerkungen, in: Zeitschrift für Familienforschung 18 (2006), H. 2, 139 –147, hier: 145.
4Günter Burkart, Positionen und Perspektiven: zum Stand der Theoriebildung in der Familiensoziologie, in: Zeitschrift für Familienforschung 18 (2006) H. 2, 175 – 205, hier: 177.
5 Vgl. beispielsweise Josef Brüderl, Die Pluralisierung partnerschaftlicher Lebensformen in Westdeutschland und Europa, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 19 (2004), 3 –10.
6 Vgl. z. B. Rosemarie Nave-Herz, Die Familie im Wandel, in: Frank Faulbaum / Cristof Wolf (Hg.), Gesellschaftliche Entwicklungen im Spiegel der empirischen Sozialforschung, Wiesbaden 2010, 39 – 57.
7 Vgl. Hartmann Tyrell, Ehe und Familie. Institutionalisierung und Deinstitutionalisierung, in: Kurt Lüscher / Franz Schultheis / Michael Wehrspaun (Hg.), Die „postmoderne“ Familie, Konstanz 1988, Kapitel 3, 145 –156.
8 Vgl. Hartmann Tyrell, Familienforschung – Familiensoziologie (s. Anm. 3), 144.
9 Vgl. Anne-Kristin Kuhnt / Anja Steinbach, Diversität von Familie in Deutschland, in: Anja Steinbach / Marina Hennig / Oliver Arránz Becker (Hg.), Familie im Fokus der Wissenschaft (s. Anm. 2), 41–70, hier: 45.
10 Vgl. Johannes Huinink, Zur Positionsbestimmung der empirischen Familiensoziologie, in: Zeitschrift für Familienforschung 18 (2006) H. 2, 213 – 252, hier: 223.
11 Vgl. Michael Wagner / Isabel V.Cifuentes, Die Pluralisierung der Lebensformen – ein fortlaufender Trend?, in: Comparative Population Studies 39 (2014), 73 – 98, hier: 90.
12 Vgl. Anne-Kristin Kuhnt / Anja Steinbach, Diversität von Familie in Deutschland (s. Anm. 9), 47.
13 Vgl. ebd., 45.
14 Vgl. Heidi Rosenbaum, Familienformen im historischen Wandel, in: Anja Steinbach / Marina Hennig / Oliver Arránz Becker (Hg.), Familie im Fokus der Wissenschaft (s. Anm. 2), 19 – 39, hier: 37.
15 Vgl. ebd., 36.
16 Vgl. ebd., 46; vgl. Rosemarie Nave-Herz, Die Familie im Wandel (s. Anm. 6), 43 f.
17 Vgl. Anne-Kristin Kuhnt / Anja Steinbach, Diversität von Familie in Deutschland (s. Anm. 9), 48.
18 Vgl. Martina Blasberg-Kuhnke, Art. Familie, in: WiReLex, 2015, https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100100/ [Abruf: 26.03.2019].
19Familienbund der Katholiken, Familienbild des Familienbundes der Katholiken – eine Orientierungshilfe, 2015, Abrufbar über: https://www.familienbund.org/sites/familienbund.org/public/files/Familienbild_des_FDK_Orientierungshilfe_151204.pdf [Abruf: 26.03.2019].
20 Vgl. beispielsweise Alois Herlth / Ewald J. Brunner / Hartmann Tyrell / Jürgen Kriz (Hg.), Abschied von der Normalfamilie? Partnerschaft kontra Elternschaft, Berlin 1994.
21 Vgl. Gerhard Kruip / Luisa Fischer, Familie als Ressource gesellschaftlichen Zusammenhalts – Welche Familienpolitik trägt dazu bei?, in: Stimme der Zeit 65 (2018) H. 6, 14 –18, hier: 16.
22 Ebd., 16.
23BMFSFJ (Hg.), Achter Familienbericht. Zeit für Familie, Berlin 2012; https://www.bmfsfj.de/blob/93196/b8a3571f0b33e9d4152d410c1a7db6ee/8--familienbericht-data.pdf [Abruf: 26.03.2019], 4 f.
24 Vgl. Gerhard Kruip / Luisa Fischer, Familie als Ressource gesellschaftlichen Zusammenhalts (s. Anm. 21), 16.
25 Vgl. Norbert Mette, Art. Familie (Elternhaus), in: Lexikon der Religionspädagogik I, 2001, 542 –547, hier: 543.
26Martina Blasberg-Kuhnke, Art. Familie (s. Anm. 18).
27 Ebd. Zu den dafür notwendigen familiären, gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen s. Gerhard Kruip / Luisa Fischer, Familie als Ressource gesellschaftlichen Zusammenhalts (s. Anm. 21).
28Martina Blasberg-Kuhnke, Art. Familie (s. Anm. 18).
29Dies., Religiöse Erziehung in der Familie. Thesen zur Situation und Zukunft religiöser Elementarerziehung im Kontext der entfalteten Moderne, in: Karl Josef Lesch / Egon Spiegel (Hg.), Religionspädagogische Perspektiven. Kirche, Theologie, Religionsunterricht im 21. Jahrhundert, Kevelaer 2004, 65 –72, hier: 65.
30Rainer Bucher, Fundamentale Neukontextualisierungen. Auswege aus den Sackgassen der katholischen Ehe- und Familienlehre, in: Christian Bauer / Michael Schüssler (Hg.), Pastorales Lehramt? Spielräume einer Theologie familialer Lebensformen, Ostfildern 2015, 69 – 82, hier: 78.
31 Vgl. Konrad Hilpert, Beziehungsethik als Erfordernis der Stunde. Zum Verhältnis von moraltheologischer Reflexion, kirchlicher Doktrin und pastoraler Praxis in Amoris laetitia, in: Stephan Goertz / Caroline Witting (Hg.), Amoris laetitia – Wendepunkt für die Moraltheologie?, Freiburg i. Br.–Basel–Wien 2016, 251– 278.
32 Vgl. ebd.
33 Vgl. ebd., 265 – 269; vgl. AL 37.
34Bernhard Laux, Nichteheliche Partnerschaften und Ehe – Oder: Kann man Lebensformen bewerten?, in: Konrad Hilpert / Bernard Laux (Hg.), Leitbild am Ende? Der Streit um Ehe und Familie, Freiburg i. Br.–Basel–Wien 2014, 149 –166, hier: 162.
35 Vgl. Marina Hennig, Familienbeziehungen über Haushaltsgrenzen hinweg – Familie als Netzwerk, in: Anja Steinbach / Marina Hennig / Oliver Arránz Becker (Hg.), Familie im Fokus der Wissenschaft (s. Anm. 2), 141–172.
36 Vgl. Kai-Olaf Maiwald, Abschied von einem Gegenstand?, in: Erwägen Wissen Ethik 14 (2003) H. 3, These 4, 542 – 544.
37 Vgl. Rüdiger Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, Wiesbaden 2012, 231.
38 Vgl. Marina Hennig, Familienbeziehungen über Haushaltsgrenzen hinweg (s. Anm. 35), 142.
39 Vgl. Evelyn Grünheid / Manfred G. Scharein, Zur Entwicklung der durchschnittlichen gemeinsamen Lebenszeit von Drei- und Vier-Generationenfamilien in West- und Ostdeutschland – Eine Modellrechnung, in: Comparative Population Studies – Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft 36 (2011) H. 1, 3 – 40; Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen, Generationenbeziehungen. Herausforderungen und Potenziale, Wiesbaden 2012.
40 Vgl. Marina Hennig, Familienbeziehungen über Haushaltsgrenzen hinweg (s. Anm. 35).
41 Vgl. Alois Herlth, Familie – persönliche Beziehungen „eigener Art“, in: Erwägen Wissen Ethik 14 (2003) H. 3, 415 – 515; Marina Hennig, Familienbeziehungen über Haushaltsgrenzen hinweg – Familie als Netzwerk, in: Anja Steinbach / Marina Hennig / Oliver Arránz Becker (Hg.), Familie im Fokus der Wissenschaft (s. Anm. 2), 141–172.
42 Vgl. Luisa Fischer, Alter(n) ohne Enkel. Zur ethischen Relevanz zunehmender Enkellosigkeit, in: Stephan Ernst (Hg.), Alter und Altern: Herausforderungen für die theologische Ethik (Studien zur theologischen Ethik 147), Freiburg i. Br.–Basel–Wien 2016, 299 – 314.
43 Vgl. ebd.
44 Vgl. Evelyn Grünheid / Manfred G. Scharein, Zur Entwicklung der durchschnittlichen gemeinsamen Lebenszeit von Drei- und Vier-Generationenfamilien in West- und Ostdeutschland (s. Anm. 39), 8.
45 Vgl. Luisa Fischer, Alter(n) ohne Enkel (s. Anm. 42).
46 Vgl. ebd.; vgl. François Höpflinger, Beziehungen zwischen Großeltern und Enkelkindern, in: Karl Lenz / Frank Nestmann (Hg.), Handbuch Persönliche Beziehungen, Weinheim–München 2009, 311– 336, hier: 311.
47 Vgl. ebd.
48 Vgl. ebd.; vgl. Katharina Mahne / Andreas Motel-Klingebiel, Familiale Generationenbeziehungen, in: Andreas Motel-Klingebiel / Susanne Wurm / Clemens Tesch-Römer (Hg.), Altern im Wandel. Befunde des Deutschen Alterssurveys (DEAS), Stuttgart 2010, 188 – 214, hier: 211.
49BMFSFJ (Hg.), Sechster Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland. Altersbilder in der Gesellschaft, Berlin 2010; http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Pressestelle/Pdf-Anlagen/sechster-altenbericht,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf [Abruf: 26.03.2019], 507.
50 Vgl. Karin Jurczyk / Andreas Lange / Barbara Thiessen, Doing Family als neue Perspektive auf Familie. Einleitung, in: dies. (Hg.), Doing Family. Warum Familienleben heute nicht mehr selbstverständlich ist, Weinheim u. a. 2014, 7– 49.
51 Ebd., 11.
52 Vgl. ebd., 10.
53Kerry Daly, Family Theory Versus the Theories Families Live by, in: Journal of Marriage and Family 65 (2003) H. 4, 771–784, hier: 773.
54Anne-Kristin Kuhnt / Anja Steinbach, Diversität von Familie in Deutschland (s. Anm. 9), 65.
55Christian Bauer / Michael Schüssler, Vorwort, in: dies. (Hg.), Pastorales Lehramt? Spielräume einer Theologie familialer Lebensformen, Ostfildern 2015, 7 f.
56Konrad Hilpert, Beziehungsethik als Erfordernis der Stunde (s. Anm. 31), 275.
Gerhard Marschütz
Theologisch-ethische Anmerkungen
♦ Die Vielfalt familialer Konstellationen und ihre Anerkennung hat die Orientierung an normativen Leitmodellen nicht schwinden lassen. Die katholisch-lehramtliche Lesart gerät dort in Konflikt, wo sie aufgrund ihrer „Konzentration auf naturrechtliche Kategorien“ das darin Nicht-Fassbare ausschließt und wider ihrer am Evangelium orientierten Praxis „unbedingter Zuwendung“ die Zonen lebbaren Lebens verkleinert und dadurch die „gleiche Freiheit aller“ unterläuft. (Redaktion)
Lesarten stellen Sichtweisen und hierin zugleich Interpretationen von Sachverhalten dar. In Bezug auf Lesarten von Familie lassen sich empirisch diverse Familienformen benennen – angefangen von der so genannten Normal- oder Kernfamilie, die in der Regel als eheliches Zusammenleben von Mann und Frau mit eigenen Kindern begriffen wird, bis hin zur Alleinerzieher-, Patchwork- und Regenbogenfamilie. Jede Benennung familialer Pluralität impliziert jedoch unhintergehbar ein normatives Leitbild von Familie, da andernfalls alles Familie genannt werden könnte, was irgendwie ein spezifischeres menschliches Miteinanderleben verdeutlicht bis hin zum Modell einer Menschheitsfamilie, deren Wohlergehen beispielsweise durch den Klimawandel bedroht ist. Ein solches Leitbild verkörpert eine Normalvorstellung dessen, was Familie im Kern ausmacht und diese als diskursfähigen Begriff in Worte fassen lässt. Doch existiert ein solches Leitbild nur in Form einer singulär gefassten Struktur, woraus dann negativ ableitbar wird, was eigentlich keine richtige oder vollständige Familie ist? Oder ist angemessener von Familienleitbildern zu sprechen, von einer Vielfalt familialer Normalvorstellungen, da – wie eine neuere Studie hierzu belegt – „heute Abweichungen von der Kernfamilie mit einer größeren Toleranz bewertet werden als vor einigen Jahrzehnten“1? Bevor dieses „heute“ und „vor einigen Jahrzehnten“ thematisiert wird, ist gemäß der im Untertitel vermerkten theologisch-ethischen Anmerkungen auf die katholische Lesart von Familie einzugehen, sofern diese das abendländische Normalverständnis von Familie entscheidend geprägt hat.
Ehe und Familie bilden in katholischer Lesart eine feste Begriffsverbindung: Familie gründet auf der Ehe, welche auf Nachkommenschaft ausgerichtet ist. Zugleich wird in enger Verbindung von naturrechtlichen und schöpfungstheologischen Begründungskategorien die Familie als eine der Gesellschaft vorgegebene natürliche Gemeinschaft und Gott selbst als „Urheber der Ehe“ (Gaudium et spes, 48) festgehalten. In den einschlägigen Abschnitten 2201– 2203 des Katechismus der Katholischen Kirche heißt es folglich zur Natur der Familie im Plane Gottes: