Im Jahre 3009 fliegt das Raumschiff PERENDRA XX3 im Auftrag
des Irdischen Weltenbundes den kaum erforschten, 5000 Lichtjahre
von der Erde entfernten Perseus-Arm der Milchstraße an. Dort trifft
die Besatzung auf fremdartige Alien-Völker und Nachfahren
menschlicher Kolonisten, zu denen schon vor Jahrhunderten der
Kontakt abbrach. Außerdem treffen sie überall auf die Schiffe der
echsenartigen Mharaav, die die Menschen als feindliche
Eindringlinge betrachten.
Der Auftrag für die hundert Mann Besatzung der PERENDRA XX3
lautet, so viele Erkenntnisse wie nur irgend möglich über das
unbekannte Sternengebiet zu sammeln.
Die PERENDRA XX3 steuert dazu immer wieder einzelne
Planetensysteme an, wo die Besatzung Kontakt mit den dortigen
Lebensformen und Kulturen aufnimmt. Außerdem sucht man nach
Hinweisen auf die Herkunft der kriegerischen Mharaav, die irgendwo
in den Tiefen des Perseus-Arms ihr geheimnisumwittertes
Sternenreich haben.
Seit fünfhundert Jahren leben Siedler auf Bandara III – oder
sollten es jedenfalls. Doch weder Energieemissionen noch
Lebenssignale lassen sich anmessen. Erst als in einer
Skorpionkarawane menschliche Impulse auftauchen, werden die
Nachkommen der Siedler gefunden. Bandara II lässt jedoch jede
Technik nach kurzer Zeit versagen, auch die der PERENDRA XX3.
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books,
Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press,
Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition,
Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints
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Alfred Bekker
© Roman by Authors
Serienidee und Exposé: Alfred Bekker
COVER: LUDGER OTTEN
© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress,
Lengerich/Westfalen
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lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und
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Alles rund um Belletristik!
1
Der amöbenhafte Nugrou rutschte über den Boden. Sein Körper
war amorph. Hin und wieder bildeten sich spontan tentakelartige
Fortsätze aus, die ihm bei der Fortbewegung halfen.
Welch eine Wohltat!, dachte er. Meine wahre Gestalt … Endlich
muss ich für eine Weile nicht die äußere Form wahren.
Wenn er in diesem Moment ein menschliches Gesicht gehabt
hätte, dann hätte der Nugrou vielleicht gelächelt. An seiner
amöbenhaften Gestalt hingegen waren keinerlei Veränderungen zu
erkennen, die auf sein inneres Amüsement hingewiesen hätten.
Abgesehen davon waren Nugrou durchaus dazu fähig, sich
humorvoll zu äußern. Selbst Ironie war ihnen nicht fremd. Insofern
unterscheiden sich Menschen und Nugrou kam voneinander, dachte der
Nugrou. Ein Beweis dafür, dass äußere Erscheinungsform und inneres
Sein sich nicht unbedingt entsprechen müssen.
Die Kabine an Bord des irdischen Raumschiffs PERENDRA XX3, in
der er sich im Moment befand, war natürlich von ihrer Einrichtung
her an die humanoide Physiognomie angepasst – nicht an die
Amöbenform des Nugrou. Das sogenannte Bett hatte der Nugrou daher
unbenutzt gelassen. Der Fußboden war für ihn in seiner
Amöbengestalt einfach die angenehmere Ruhefläche. Auf dem Tisch lag
ein synthetischer Schokoriegel aus dem 3-D-Drucker bereit. Der
Nugrou brauchte jetzt einige Kohlenhydrate, um seinen Stoffwechsel
nach der Ruhephase etwas anzukurbeln.
Ein tentakelartiger Greifarm wuchs aus seinem Körper heraus.
Eine dreifingrige Greifhand bildete sich und nahm den
bereitliegenden Schokoriegel.
Dann führte der Nugrou ihn zu dem Mund, der sich an der
Oberfläche seines Körpers gebildet hatte und vertilgte ihn.
Ein schmatzendes Geräusch entstand.
Die äußere Farbgebung seiner Amöbengestalt veränderte sich
etwas. Es galt unter Nugrou – zumindest in den meisten
Nugrou-Kulturen – als unhöflich, andere an den
Stoffwechselvorgängen innerhalb des Körpers visuell teilnehmen zu
lassen. Daher war es üblich, bei der Nahrungsaufnahme grundsätzlich
die Struktur und Farbgebung der Körperoberfläche so zu
modifizieren, dass die Außenhaut nicht transparent war.
Der Nugrou war jetzt zwar allein, aber dieses kulturelle Gebot
hatte er so internalisiert, dass er sich auch dann noch daran
hielt, wenn er allein in seiner Kabine war.
Der Nugrou wurde etwas wacher.
Der Schokoriegel entfaltete seine belebende Wirkung.
Fast so wie Kaffee.
Aber Kaffee wirkte bei ihm nicht ganz so gut, wie das bei den
meisten Menschen der Fall war.
Ein Signal ertönte.
Das Interkom schaltete sich ein.
„Lieutenant Robert Vancon, hier spricht die Brücke.“
„Lieutenant Vancon hier. Was gibt es, Brücke?“
„Wir brauchen Verstärkung hier. Bitte melden Sie sich umgehend
auf der Brücke zum Dienst.“
„Ich habe eigentlich noch frei.“
„Wir brauchen Ihre speziellen Fähigkeiten, Lieutenant
Vancon.“
„Bin gleich da. Einen Moment noch.“
„Bis gleich, Lieutenant.“
Das Interkom wurde deaktiviert.
Der Nugrou veränderte seine Gestalt. Zunächst formte sich eine
quasi-humanoide Gestalt, deren Oberfläche strukturlos und von einem
chaotischen Farbgemisch war. Man hätte nicht sagen können, ob das
seine Haut war oder er einen Ganzkörperanzug trug.
Um die DNA eines Menschen exakt nachzubilden und auch jedes
Detail seines Körpers und seiner Kleidung brauchte der Nugrou etwas
länger. Der Geist beherrscht die Materie, so lautete ein
fundamentaler Lehrsatz der Nugrou-Kultur. Die äußere Form ist nur
Ausdruck des inneren Seins …
In den nächsten Augenblicken ging eine weitere Verwandlung mit
ihm vor. Der konturlose Humanoide veränderte sich weiter.
Es formten sich menschliche Gesichtszüge.
Schließlich wurde er zu Lieutenant Robert Vancon.
Schon lange lebte der Nugrou unter dieser Identität unter den
Menschen. Bislang hatte es keine Probleme gegeben. Er wurde von
ihnen als ihresgleichen angesehen. Niemand ahnte, wer er wirklich
war. Niemand. Und das sollte auch so bleiben.
Im Grunde genommen war er längst überwiegend zu Robert Vancon
geworden.
Nur ab und zu, da gönnte er sich kurze Auszeiten davon.
Dann nahm er seine amöbenhafte Urgestalt wieder an.
Lieutenant Robert Vancon verließ die Kabine. Wenig später
erreichte er die Brücke der PERENDRA XX3.
Er nahm Haltung an.
„Captain! Lieutenant Robert Vancon meldet sich zum
Dienst!“
Commander Rick Dalbo, der Captain der PERENDRA XX3, musterte
ihn kurz. „Übernehmen Sie Konsole drei“, wies er ihn.
„In Ordnung.“
„Es stehen einige planetare Analysen an. Sie kennen sich am
Besten mit dem Programm aus.“
„Danke, Sir.“
„Es gibt da ein paar widersprüchliche Daten, aus denen wir im
Augenblick noch nicht schlau werden.“
„Ich werde mir die Sache ansehen“, versprach Vancon. „Ich
dachte eigentlich, Bandara III sei … nichts besonderes.“
„Möglicherweise haben wir uns geirrt“, sagte Dalbo.
2
Das Raumschiff schwebte in einem stabilen Orbit um den
Planeten Bandara III.
„3.10.3009 Bordzeit Raumschiff PERENDRA XX3!
Wir haben das Sonnensystem mit dem Planeten Bandara III
erreicht. Unsere bisherigen Kontaktversuche blieben unbeantwortet.
Diese Welt wurde vor nunmehr bereits fünfhundert Jahren neu
besiedelt. Niemand weiß, was aus den einstigen Siedlern geworden
ist in dieser langen Zeit.
Es ist geboten, in den Orbit von Bandara III zu gehen und
einen möglichst genauen Planetenscan durchzuführen, während die
Landefähre mit mir, Captain Rick Dalbo, und weiteren neunzehn
Besatzungsmitgliedern vorbereitet wird, um gezielt nach etwaigen
Lebenszeichen zu suchen und, wenn möglich, persönlichen Kontakt mit
den Nachfahren der einstigen Siedler aufzunehmen.
Rick Dalbo, Captain, Ende!“
Dalbo beendete die Aufzeichnung und richtete sich auf. Sein
Blick fiel auf die Hauptanzeige. Eingeblendet war dort das
Funkzeichen, das leider bedeutete, dass noch immer keinerlei
Reaktion erfolgt war von der Oberfläche des Planeten her.
Die ersten Scan-Ergebnisse lagen bereits vor und wurden mit
den bereits vorhandenen Aufzeichnungen verglichen. Vor jeder
Besiedlung wurde natürlich ein Planet genauestens von mindestens
einem Scout untersucht, um festzustellen, inwiefern er überhaupt
für die Aufnahme von Siedlern geeignet war. Dies war
selbstverständlich auch damals hier auf Bandara III geschehen, um
das Siedlerschiff anschließend erst auf den Weg hierher zu
bringen.
„Datenanalyse läuft“, meldete Lieutenant Vancon.
„Gut“, sagte Dalbo.
Es handelte sich bei Bandara III um einen sogenannten
Wüstenplaneten. Daher hatten die ersten Siedler umfangreiches
technisches Equipment mit dabei, um ein begrenztes Terraforming
einzuleiten. Es gab allerdings keinerlei Spuren nach den ersten
Scans, die darauf hindeuteten, dass die Siedler überhaupt auch nur
begonnen hätten mit diesem Terraforming.
Das hieß: Bandara III war nach wie vor ein für irdische
Siedler in seinem Naturzustand eher unwirtlicher Planet.
Dass er dennoch zur Besiedlung empfohlen worden war, lag unter
anderem an der Zusammensetzung der Atmosphäre, die weitgehend ideal
zu nennen war. Auch das war unverändert geblieben.
Commander Dalbo blickte zu Boden.
Etwas rieb sich schnurrend an seinem Bein und lenkte ihn kurz
ab.
Lächelnd ließ Captain Rick Dalbo seine linke Hand dorthin
gehen, um das wuschelige Fell seiner telosianischen Zweikopfkatze
zu streicheln, was sie ganz besonders liebte. Vor allem dann, wenn
er eigentlich gar keine Zeit dazu hatte.
„Na, was willst du denn?“, fragte Dalbo.
Überhaupt war Miimii, wie er seine Katze nannte, gewissermaßen
mit ihm unzertrennlich. Seit Rick Dalbo sie auf dem Planeten Telos
verletzt gefunden und gesund gepflegt hatte.
Eigentlich ein mehr als seltsames Tier mit ungewöhnlichen
Eigenschaften. Die beiden Köpfe beispielsweise waren
unterschiedlich groß und befanden sich nicht selten in einer Art
Widerstreit miteinander. Worum es dabei im Einzelnen ging, hatte
bisher niemand auch nur erraten können, sogar Rick Dalbo selbst
nicht.
Aber das war ja noch längst nicht alles: Miimii hatte die
Fähigkeit, jedweden Laut perfekt nachzuahmen. Triebwerksgeräusche
ebenso wie menschliche Sprache.
Manchmal wiederholte sie ganze Gespräche, die sie mit angehört
hatte. Was zuweilen zu ziemlich heiklen Situationen führen konnte.
Oder Miimii holte aus ihrem schier unendlich umfangreichen
Sprachrepertoire im ungünstigen Moment irgendwelche Beschimpfungen
hervor, womöglich der schlimmsten Art sogar.
Ob und inwiefern man Miimii allerdings als wahrhaft
intelligent bezeichnen konnte oder ob sie lediglich gleich einem
Papagei einfach nur Laute nachahmte, war ein hartnäckiges Rätsel
geblieben.
Mit anderen Worten: Es erschien einmal so oder einmal so.
Festlegen ließ sich das auf keinen Fall.
Wirklich erlaubt war es natürlich nicht, dass ausgerechnet
eine telosianische Zweikopfkatze hier in der Zentrale des
Raumschiffs herumstreunte, wie es ihr gerade beliebte. Vor allem
nicht in einer solch angespannten Situation, wo es darum ging, nach
Siedlern zu sehen, die nunmehr schon seit fünfhundert Jahren als
verschollen gelten mussten. Aber Rick Dalbo stand sowieso in dem
Ruf, es mit den Vorschriften nicht ganz so genau zu nehmen. Er, als
möglicherweise jüngster Captain eines so respektablen Schiffes
überhaupt innerhalb der Flotte des Irdischen Weltenbundes.
Zum Leidwesen etwa von Tom Wang, des Ersten Offiziers und
Stellvertreters von ihm. Dieser war nicht nur deutlich älter als
sein Captain, sondern ärgerte sich insgeheim darüber, dass Rick
Dalbo es doch tatsächlich schon weiter gebracht hatte als er.
Obwohl er doch alles tat, um genau nach den Buchstaben des
Regelwerkes seinen Dienst zu verrichten.
Rick Dalbo wusste das natürlich, obwohl er es sich niemals
wirklich anmerken ließ. Es war allerdings schon mehrfach
vorgekommen, dass er sich die entscheidenden Worte gerade noch
hatte verkneifen können, wenn Tom Wang mal wieder indirekt auf
diesen Umstand hinwies, dass er ganz besonders korrekt war als
führender Offizier.
Ja, wie hätte er wohl reagiert, wenn er ausgerechnet von
seinem Captain daraufhin gehört hätte:
„Vielleicht sind Sie ja genau deswegen der Erste Offizier und
ich Ihr Captain?“
Nein, Dalbo behielt eine solche Bemerkung lieber für sich, um
nicht noch Öl ins Feuer zu gießen.
Während er weiterhin seine Zweikopfkatze streichelte,
schaltete er den Bordsprech ein und benannte jene neunzehn
Besatzungsmitglieder, nacheinander, in der alphabetischen
Reihenfolge ihrer Namen, die er mitnehmen wollte an Bord der
Landefähre, die bereits vorbereitet wurde.
Unter anderem natürlich Alex Tomlin, der tatsächlich erst 13
Jahre alt war.
Normalerweise hätte er in diesem Alter an Bord eines Schiffes
wie der mit hundert Besatzungsmitgliedern nicht gerade kleinen und
unbedeutenden PERENDRA XX3 nichts zu suchen gehabt. Aber Alex
verfügte über eine besondere Fähigkeit. Als kleiner Junge hatte er
einen Unfall mit schweren Kopfverletzungen gehabt. Sein Leben hatte
damals nur durch den Einsatz von elektronischen Implantaten
gerettet werden können, sogenannten Augmentierungen also, die
seitdem einen Teil seiner Gehirnfunktionen übernommen hatten.
Inzwischen waren diese Implantate längst untrennbar mit ihm
verwachsen. Sie ermöglichten es ihm, mit Computersystemen aller Art
in direkten Kontakt zu treten.
Alex erfasste auf diese Weise sogar fremdartige Alien-Technik
intuitiv.
Er hatte sich von sich aus beworben, an der sogenannten
Perseus-Mission der PERENDRA XX3 teilzunehmen – natürlich ohne
Aussicht auf Erfolg. Schließlich hatte er nicht einmal eine
abgeschlossene Ausbildung an der Raumakademie hinter sich, aber
Captain Dalbo hatte letztlich erfolgreich darauf bestanden, den
Jungen allein schon aufgrund seiner wirklich außergewöhnlichen
Fähigkeiten mitzunehmen.
Obwohl das Ganze natürlich auch ein gewisses Risiko
darstellte, denn obwohl die Fähigkeiten von Alex im Umgang mit
technischen Systemen sogar die des Bordingenieurs weit übertrafen,
war er trotzdem auch ein ganz normaler Junge seines Alters. Was
Captain Dalbo eine ganz besondere Fürsorgepflicht auferlegte.
Zwar war ihr Vorhaben jetzt, mit der Landefähre sozusagen
hinabzusteigen in das Unbekannte, nicht ohne Risiken, doch Rick
Dalbo wollte den Jungen auf jeden Fall auch deshalb mit dabei
haben, weil er ihn dann wenigstens die ganze Zeit über im Auge
behalten konnte.
Mit dabei sein bei dieser Exkursion musste außerdem natürlich
Jennifer Martin.
Genauso wie Captain Dalbo war sie noch sehr jung für ihren
Posten als Expertin für Alien-Sprachen. Zudem war sie an Bord der
PERENDRA XX3 für Funkverkehr und Kommunikation zuständig.
Jennifer Martin hielt sich öfter mal nicht an die Vorschriften
und geriet deswegen häufiger mit dem Ersten Offizier Wang
aneinander.
Captain Dalbo konnte indessen Jennifer gut verstehen. Mehr
noch sogar: Insgeheim gab er ihr sogar beinahe in der Regel recht.
Allerdings musste er sich das nach außen hin möglichst verkneifen
in seiner Rolle als Captain und eher alles tun, um in
entsprechenden Situationen vermittelnd einzugreifen.
Einerseits wäre es vielleicht sinnvoll erschienen, sie an Bord
zurückzulassen, um von dort aus weiter zu versuchen, Kontakt mit
den Siedlern beziehungsweise ihren Nachfahren zu bekommen, sofern
es überhaupt noch welche gab, aber in seiner Abwesenheit musste Tom
Wang das Kommando übernehmen. Andererseits wollte Rick Dalbo sie
jedoch möglichst aus dessen Schusslinie bringen, und außerdem
brauchte er eine solche Expertin sicherlich auch an Bord der
Landefähre.
Genauso wie Doktor Moran-Dor. Auch dieser war im Grunde
genommen etwas ganz Besonderes. Nicht nur als Arzt und Biologe an
Bord des Schiffes. Er gehörte nämlich ausgerechnet dem
echsenartigen Volk der Mharaav an, das eigentlich mit den Menschen
verfeindet war. Denn die Mission der PERENDRA XX3 führte immerhin
hier in den fünftausend Lichtjahre von der Erde entfernten
Perseus-Arm der Milchstraße. Was von den Mharaav allem Anschein
nach als unzumutbare Provokation empfunden wurde.
Obwohl kein Mensch wusste, wo sich das geheimnisumwitterte
Sternenreich der Mharaav überhaupt befand. Etwa hier im Perseus-Arm
der Galaxis? Und wieso hatte man es bisher noch nicht gefunden,
auch und vor allem hier nicht?
Dennoch war eben Doktor Moran-Dor ein so wertvolles Mitglied
des Schiffes geworden. Immerhin war er ja selbst ein Mharaav, der
niemals bei seinem eigenen Volk gewesen war, sondern immer nur
unter Menschen.
Seit er aus seinem Ei geschlüpft war, das man an Bord eines
havarierten Raumschiffes der Mharaav gefunden hatte. Niemand hatte
die Havarie überlebt, außer eben diesem einen Ei.
Von Anfang an hatte Moran-Dor vor allem die Funktionsweise der
artfremden menschlichen Körper interessiert. Eben weil er selbst so
völlig anders war.
Mitten unter den Menschen, als der einzige überhaupt seiner
Art, erwachte beinahe zwangsläufig dieses ganz besondere Interesse
an Biologie und Medizin. Was längst auch über alles hinausging, was
das sogenannte Menschliche ausmachte, denn er hatte sich auch
intensiv mit der Biologie und Medizin von anderen Aliens
beschäftigt.
So war er für die PERENDRA XX3 absolut unersetzlich geworden
auf ihrer Mission hier im Perseus-Arm, wobei die Suche nach den
Siedlernachkommen auf dem Planeten Bandara III nur eine von schier
unzählig vielen war.
„Navigator, bitte die Umlaufbahn um drei Breitengrade nach
Süden verändern“, befahl Captain Dalbo.
„Kursänderung eingeleitet.“
„Danke.“
„Darf ich fragen, was der Grund für diese Änderung unseres
Orbits ist?“, fragte der Navigator.
„Ich denke, dass wir bessere Scan-Ergebnisse bekommen“, sagte
Dalbo.
„Die Verbesserung liegt allerdings rechnerisch in einem
Bereich, der in einem krassen Missverhältnis zum Energieaufwand
steht.“ Der Navigator war ein Hologramm mit mobilem Emitter, der
von einem AKIS (einem Autonomen Künstlichen Intelligenzsystem)
gesteuert wurde.
Dalbo lächelte nachsichtig. „Tun Sie es trotzdem,
Navigator.“
„Aye, Sir.“
„Trotzdem danke für Ihren Hinweis.“
„Danke, Sir.“
Man könnte fast denken, dass er tatsächlich eine Person ist,
dachte Dalbo.
Vielleicht war er es ja auch.
Dalbo war sich da manchmal nicht mehr so ganz sicher in seinem
Urteil.
3
Beim Ablegen der Landefähre kam man nicht umhin, die PERENDRA
XX3 in ihrer ganzen Pracht von außen zu bewundern. Sie hatte bei
etwa einhundert Mann Stammbesatzung eine keilartige Form, die einem
Bumerang ähnelte. Es gab mehrere Beiboote an Bord des Raumschiffs,
vom kleineren Jäger mit einem beziehungsweise zwei Leuten Besatzung
bis hin zu Landefähren mit Platz für bis zu zwanzig Leuten.
Wenn die PERENDRA XX3 einen Planeten anflog, blieb sie in der
Regel im Orbit, während jeweils nur ein Landeteam mit einer der
Fähren auf der Oberfläche landete.
Eine Planetenlandung der PERENDRA XX3 selbst war zwar
grundsätzlich möglich, aber allein schon aufgrund des hohen
Energieaufwandes beim Neustart und der späteren Rückkehr in die
Umlaufbahn wurde dies möglichst vermieden.
An Bord herrschte permanent künstliche Schwerkraft.
Da die Perseus-Mission der PERENDRA XX3 mehrere Jahre dauern
sollte, gab es neben den Kabinen der Besatzungsmitglieder auch
Aufenthaltsräume und (wenn auch eher bescheidene)
Freizeiteinrichtungen an Bord.
Sowohl das Schiff selbst als auch die Beiboote waren mit
Strahlenwaffen zur Verteidigung ausgerüstet.
Das Mutterschiff besaß einen sogenannten Wurmloch-Antrieb für
überlichtschnelle Flüge, die Beiboote aber nur einen
konventionellen Unterlicht-Antrieb. Der genügte ja auch voll und
ganz, um, wie jetzt, auf die Oberfläche des Planeten hinab zu
gehen.
Dabei erfolgte unterwegs eine ständige Anpassung der
Scan-Ergebnisse, ergänzt mit Scans der Landefähre selbst.
Bis jetzt war immer noch keine Funkverbindung möglich. Als
wäre der ganze Planet ein einziges großes Funkloch. Oder aber –
Dalbo spürte eine gelinde Gänsehaut auf dem Rücken, wenn er das in
Betracht zog – es gab schon lange niemanden mehr, der einen
Funkspruch hätte beantworten können.
Dennoch wurden die ersten sogenannten Biomarker entdeckt. Zwar
gab es keinerlei Hinweise auf menschliche oder wie auch immer
geartete Siedlungen, noch nicht einmal rudimentärer Art, was ja den
Verdacht nährte, dass es dort unten ganz einfach gar niemanden –
vor allem eben keine Menschen – mehr gab, aber war es dennoch
möglich, dass die Hinweise auf so etwas wie intelligentes Leben
deuten könnten?
Ob es sich nun um menschliches intelligentes Leben handelte
oder nicht war vorerst natürlich auch nicht feststellbar. Somit
stand auf jeden Fall das vorerst wichtigste Ziel für die Landefähre
fest: Nur wenn sie sich persönlich vor Ort begaben, konnten sie
sich mit eigenem Augenschein davon überzeugen, ob es inzwischen
tatsächlich so etwas wie intelligentes Leben auf dieser Welt
gab.
Etwas, was es vor der versuchten Besiedlung eindeutig und
nachweisbar noch nicht gegeben hatte! Sonst wäre nämlich gar keine
Besiedlung erfolgt!
Dalbo wehrte sich gegen den Verdacht, dass vielleicht gerade
dieses intelligente Leben dafür verantwortlich zeichnete, dass es
keine Siedler und deren Nachkommen mehr gab. Was, wenn sogar eine
fremde Spezies zeitgleich die Besiedlung durchgeführt hatte und es
darüber zu einem blutigen Konflikt gekommen war?
Etwa sogar die Mharaav?
Ein Seitenblick des Commanders traf Doktor Moran-Dor, der
diesen Blick erwiderte.
Dalbo hatte im Laufe der Zeit gelernt, so etwas wie ein
Mienenspiel bei Moran-Dor zu erkennen. Was in der Regel bei dem
Echsenartigen gar nicht möglich erschien. Und jetzt sah es für ihn
so aus, als wäre Doktor Moran-Dor tatsächlich auf einen ganz
ähnlichen Gedanken gekommen.
Was natürlich nicht zwangsläufig bedeutete, dass dieser
Gedanke richtig war. Zumal etwas eindeutig dagegen zu sprechen
schien: Wären hier nämlich tatsächlich die Mharaav am Werk gewesen,
hätte es durchaus eine Reaktion gegeben. Nämlich eine äußerst
feindselige …
Dalbo bemühte sich jedenfalls, alle Gedanken an diese
Möglichkeit gleich wieder zu verdrängen. Zumindest so lange, bis
man mehr wusste.
Die Zeit, die sie benötigten, um ihr ungefähres Ziel zu
erreichen, verstrich so langsam, als würde sich jede Sekunde zu
Minuten und jede Minute zu einer schieren Ewigkeit dehnen. Und noch
immer gab es diese nicht ganz eindeutigen Biomarker als vage
Hinweise auf so etwas wie intelligentes Leben. Wobei es völlig
unmöglich erschien, die Art dieses intelligenten Lebens zu
bestimmen.
Schließlich und endlich waren sie nahe genug, um es in der
entsprechenden Vergrößerung überdeutlich selbst sehen zu
können:
Da gab es ein halbes Dutzend riesige Lebewesen, die an
Skorpione erinnerten. Wahrhaft gigantische Skorpione jedenfalls,
die träge durch die Wüstenei krochen, ihren angestammten
Lebensraum, wie es schien. In einer erstaunlich exakten Formation,
als würden sie sich dabei untereinander absprechen.
Und genau von ihnen kamen diese Biomarker!
Tatsächlich!
„Was sagt man dazu“, äußerte sich Doktor Moran-Dor.
Sein echsenhaftes Gesicht veränderte sich auf eine Weise, die
man wohl als einen Ausdruck des Erstaunens interpretieren
musste.
„Wir werden uns das genau ansehen“, kündigte Dalbo an.
4
Es waren genau sechs. Immerhin so riesig, dass jeder von ihnen
ein kleines Dorf hätte aufnehmen können, und als die Landefähre
noch näher kam, wurde deutlich, dass genau dies sogar der Fall zu
sein schien.
Nicht gerade ein richtiges Dorf, aber offensichtlich hatten
sich irgendwelche Parasiten auf den Rücken der Riesenskorpione
niedergelassen.
Keine gewöhnlichen „Parasiten“ allerdings, denn die
Überraschung war besonders groß, als man in den Bewohnern der
Riesenskorpione doch tatsächlich … Menschen erkannte!
Rick Dalbo konnte sich nicht erinnern, Ähnliches jemals
gesehen zu haben. Ein Anblick, der nicht nur für ihn also absolut
fantastisch anmutete.
Und die Menschen hockten nicht einfach nur auf den Rücken der
Riesenskorpione, sondern sie hatten sich dort im wahrsten Sinne des
Wortes häuslich niedergelassen.
Wenngleich wirklich nicht mit einem richtigen Dorf zu
verwechseln, aber immerhin mit einer Art von Schutzhütten, die
unbedingt fest mit dem Chitinpanzer verbunden sein mussten, denn
sie mussten wohl auch Schutz bieten, falls die Skorpione einmal in
einen Sandsturm gerieten, und mit solcherlei Unbilden war auf
dieser Welt ja tatsächlich häufiger zu rechnen.
Das eigentlich Fantastische dabei war jedoch, dass die
Riesenskorpione selbst ganz offensichtlich überhaupt nichts dagegen
hatten, obwohl sie solchermaßen von Menschen missbraucht wurden.
Als hätten diese Menschen die Riesenskorpione auf irgendeine Art
dressiert.
Oder aber, die Menschen waren nicht wirklich wie Parasiten,
sondern eher wie … Symbionten?
Ein Gedanke, der ganz zwangsläufig dem jungen Captain kam.
Alles wirkte jedenfalls absolut friedlich. Zumindest aus der Luft
gesehen.
Erste Schätzungen ergaben, dass auf jedem der immerhin sechs
Riesenskorpione, die sich dort unten in nahezu perfekter Formation
durch die endlos erscheinende Wüste schoben, wobei das wie in
Zeitlupe wirkte bei ihrer Größe und der dadurch bedingten Trägheit,
mindestens einhundert Menschen regelrecht wohnten. Wenn nicht sogar
mehr.
Also mindestens so viele, wie es Besatzungsmitglieder an Bord
der PERENDRA XX3 gab.
Menschen als Dauerbewohner dieser Riesenskorpione. Aber warum
taten sie das überhaupt? Und was waren das für Menschen? Etwa die
späten Nachkommen der ersten Siedler auf dieser Welt?
Welche denn sonst?
Dann waren sie inzwischen in tiefste Primitivität
zurückgefallen, denn soweit die Beobachter auf der Landefähre
mitbekamen, gab es dort unten keinerlei Technik.
Kein Wunder, dass die Funkversuche unbeantwortet blieben.
Nicht deshalb, weil es keine Menschen mehr gab auf Bandara III,
sondern weil so etwas wie Funk längst von diesen Menschen vergessen
worden war.
Innerhalb von nur fünfhundert Jahren?
Der Rückfall in primitivste Urzeit schien aber schon ziemlich
schnell passiert zu sein, sozusagen direkt nach der Landung auf
diesem Planeten hier, sonst hätte man zumindest rudimentäre Ansätze
entdecken können von bereits versuchtem Terraforming. Stattdessen
hatten sich die Menschen anscheinend sehr schnell an die hier
herrschenden Bedingungen angepasst. Und dazu schien eindeutig zu
gehören, diese Art von Symbiose mit den Riesenskorpionen
einzugehen.
Doch welchen Vorteil konnte es denn überhaupt bringen, immer
unterwegs zu sein auf dem Rücken solcher Riesentiere, anstatt sich
irgendwo sesshaft niederzulassen? Zumal auf den Rücken der
Skorpione keinerlei Landwirtschaft möglich war oder es ähnliche
Möglichkeiten gab, um die Versorgung der Menschen auf Dauer zu
sichern.
Rätsel über Rätsel, und keiner an Bord der Landefähre kam
dahinter, was dies alles bedeuten sollte, was sie mit eigenen Augen
zu sehen bekamen.
Natürlich funkten sie alle Bilder hinauf zur PERENDRA. Nicht
nur, um sie im Zentralsystem zu archivieren, sondern vor allem auch
deshalb, um die übrige Besatzung über alles in Kenntnis zu
setzen.
Der Erste Offizier Tom Wang äußerte sich ausnahmsweise in
keiner Weise zu dem, was die Besatzung der Landefähre unter Captain
Dalbo vor Ort feststellte.
Inzwischen wurde jedoch anhand der Planetenscans, wie sie von
Bord des Raumschiffs aus vorgenommen wurden, deutlich, dass es
offenbar mehr als nur diese eine Skorpionformation mit menschlichen
Reitern gab, die regelrecht auf dem Rücken dieser Riesentiere auf
Dauer zu leben schienen.
Die Gruppen waren über den Planeten weit verteilt. So weit
immerhin, dass sie sich wohl nur höchst selten überhaupt begegnen
konnten. Auf einer Welt, die zu zwei Drittel aus endlos
erscheinenden Wüsten bestand und nur zu einem Drittel von Wasser
bedeckt war. Allerdings beinhaltete das Wasser laut der Fernanalyse
zu hohe Konzentrationen von für Menschen hochgiftigen
Bestandteilen. Es wäre also nicht anzuraten gewesen, etwa eine
Siedlung in Küstennähe zu errichten.
Weitere Messungen ergaben, dass die Skorpionkarawanen
anscheinend einer festgelegten Route folgten. Jede hatte irgendeine
Art Oase zum Ziel, inmitten der Wüstenei.
Lag darin etwa der Grund dafür, dass die Menschen mit den
Riesenskorpionen diese wohl ganz besondere Art von Symbiose
eingegangen waren?
Welches Geheimnis bargen denn diese Oasen? Beziehungsweise:
Was war der Vorteil für beide Parteien, wenn sie solchermaßen
zusammenlebten, und welche Rolle spielten diese Oasen dabei?
Tom Wang teilte nun seinerseits seinem Captain auf der
Landefähre kommentarlos diese Erkenntnisse mit.
Dalbo blieb nichts anderes übrig, als unmittelbaren Kontakt zu
suchen mit den menschlichen Skorpionreitern. Er dirigierte die
Landefähre näher heran, wobei sie die Menschen auf den
Skorpionrücken keine Sekunde aus den Augen ließen.
Jetzt wurden diese aufmerksam auf die Landefähre. Man sah in
einigen Großaufnahmen das Entsetzen in ihren Gesichtern, denn sie
konnten sich offenbar gar nicht erklären, was es mit diesem
Fluggefährt auf sich hatte. Als hätten sie vollkommen vergessen,
dass es so etwas wie Technik und dabei insbesondere Flugtechnik
überhaupt gab.
Dalbo wusste, dass sie vorsichtig sein mussten, um keine
kriegerische Auseinandersetzung zu provozieren. Sie waren
schließlich nicht hier, um gegen die offensichtlichen Nachkommen
der damaligen Siedler zu kämpfen, sondern um ihnen ihre Hilfe
anzubieten.
5
Es kam völlig anders, als die ersten Reaktionen der Menschen
hätten vermuten lassen. Denn beim Näherkommen der Landefähre wich
das Entsetzen aus ihren Gesichtern und machte vielmehr einem
gewissen Erstaunen Platz. Einem Erstaunen, das sich bald sogar in
reine Neugierde verwandelte.
Aus der anfliegenden Landefähre war deutlich zu erkennen, dass
sogar die Riesenskorpione langsamer wurden, als würde man
regelrecht erwarten, dass sie daneben landeten.
Dalbo war nicht sicher, ob er das nicht eher als bedrohlich
werten sollte. Immerhin Nachkommen von Siedlern, die keinerlei
Technik kannten, sonst hätten sie doch wohl welche angewendet,
nicht wahr?
Eine Art Steinzeitkultur hatte sich auf recht merkwürdige
Weise gebildet, und da akzeptierte man einfach so eine anfliegende
Landefähre?
Das hatte ja anfangs wirklich ganz anders ausgesehen. Jedoch
nur vorübergehend. Anscheinend nur so lange, bis die Menschen von
dort unten mehr Einzelheiten hatten erkennen können an dem
heranfliegenden Objekt.
Obwohl es dabei blieb: Sie konnten unmöglich so etwas wie eine
Landefähre kennen!
Oder vielleicht doch? Obwohl es allem widersprach, was sie
bisher herausgefunden hatten über die Menschen auf ihren
Riesenskorpionen?
Nun, es war ja nicht wirklich viel. Bisher hatten sie das
sozusagen nur von Ferne betrachtet. Aber konnten sie es wirklich
wagen, unvoreingenommen die Landefähre zu verlassen, um persönlich
Kontakt aufzunehmen?
Immerhin eine totale Übermacht. Selbst wenn ihre Waffen noch
so primitiv anmuteten, gegen gerade mal zwanzig Leute in der
Landeeinheit eben doch eine nicht zu unterschätzende Gefahr.
Zumal sie selbst ja jetzt nicht gerade mit drohenden Waffen
aussteigen wollten.
Der Befehl Dalbos an die kleine Besatzung der Landefähre war
dennoch einfach und präzise:
„Bereit halten zum Alarmstart! Aussteigen werden lediglich
Jennifer Martin und ich. Unbewaffnet!“
Kein Wort von wegen schussbereit halten, obwohl natürlich auch
die Landefähre über Strahlwaffen verfügte.
Niemand widersprach, als Rick Dalbo sein Vorhaben nach der
erfolgten Landung schließlich in die Tat umsetzte. Auch Jennifer
Martin nicht.
Auf einen zusätzlichen Schutzanzug verzichteten sie beide,
denn die Luftanalyse hatte eindeutig ergeben, dass es keinerlei
schädliche Bestandteile gab.
Trotzdem hielt Rick Dalbo unwillkürlich den Atem an, als sich
vor ihm die Außenschleuse öffnete, denn die hereinströmende Luft
war zwar nicht direkt schädlich, roch jedoch stickig und fühlte
sich so heiß an wie aus einem sprichwörtlichen Backofen.
Er sah zu Boden, denn natürlich war auch Miimii mit von der
Partie. Sie hatte er nicht extra erwähnen müssen. Sie hatte
jedenfalls keinerlei Probleme mit der heißen Luft und rieb
schnurrend einen ihrer beiden Köpfe an seinem Bein.
Rick Dalbo und Jennifer Martin zumindest würden Mühe haben,
sich den Bedingungen dort draußen anzupassen ohne technische
Hilfsmittel. Soviel stand jetzt schon fest. Aber sie hatten keine
andere Wahl, als so zu handeln.
Die Möglichkeit, gar per Außenlautsprecher mit den Menschen
hier in Kontakt zu treten, hatte Dalbo von vornherein schon gar
nicht in Betracht gezogen. Diese Menschen hier mussten erkennen,
dass es tatsächlich ebenfalls Menschen waren, die sich an Bord
dieses Flugobjektes befanden. Vielleicht würde das von vornherein
bereits entscheidend sich auswirken?
Wie auch immer: Es durfte ja nicht vergessen werden, dass
diese Menschen dort draußen, die doch tatsächlich auf den Rücken
von einer Art Riesenskorpionen lebten, keinerlei Technik kennen
konnten.
Wie gesagt: Sonst hätte sie solche ja sicherlich auch
angewendet!
Captain Rick Dalbo fühlte sich ziemlich verloren, als er so
vor der Landefähre stand. Nur Jennifer Martin an seiner Seite
erschien erstaunlich gefasst. Zumindest dem Anschein nach. Was
wirklich in ihr vorging in dieser mehr als eigentümlichen
Situation, konnte man höchstens erahnen.
Miimii zu seinen Füßen tat merkwürdigerweise so, als müsste
sie besonders vorsichtig sein, indem sie hinter ihrem Herrchen
gewissermaßen Deckung suchte. Sie war doch sonst nicht ängstlich,
wenn es darum ging, neues Terrain zu betreten. Was war los mit
ihr?
Fünf Menschen verließen den Rücken des nächsten
Riesenskorpions. Das Tier wies tatsächlich enorme Ähnlichkeit auf
mit seinem irdischen Äquivalent. Es fehlte noch nicht einmal der
riesige Stachel, der allerdings nicht die Menschen auf dem Rücken
des Tieres bedrohte, sondern tatsächlich ihrer Verteidigung zu
dienen schien.
Der Riesenskorpion hatte sich niedergekauert und würde sich
wieder schaukelnd auf seine acht Beine erheben müssen, wenn es
weitergehen sollte. Dennoch gab es einen Höhenunterschied zu
überwinden für die fünfköpfige Delegation der Menschen von
schätzungsweise sieben Metern. Dafür benutzten sie eine Art
Strickleitern. Für jeden einzelnen aus der Delegation eine eigene
wohlgemerkt.
Dalbos Augen verengten sich unwillkürlich zu schmalen
Schlitzen, denn es erstaunte ihn ein wenig, dass die fünfköpfige
Delegation aus drei Frauen und zwei Männern bestand. Wobei sich
eine der Frauen sogleich nach dem Abstieg an die Spitze der Gruppe
setzte und anscheinend das Sagen hatte. Für eine steinzeitliche
Kultur war das zumindest ungewöhnlich, wie er fand.
Allerdings: Was an der Gesamtsituation war denn eigentlich
nicht ungewöhnlich zu nennen?
Dalbo wartete nicht, bis die Gruppe näher kam, sondern setzte
sich in Bewegung, um ihr entgegen zu treten. Jennifer folgte nicht
nur, sondern rückte zu ihm auf, so dass sie gewissermaßen
gleichberechtigt wirkten. Während Miimii sich immer noch
zurückhielt, als befürchtete sie, von der kleinen Delegation
entdeckt zu werden. Und in der Tat, sie wurde tatsächlich nicht
bemerkt von ihnen.
Noch nicht zumindest!
Unterwegs überlegte Dalbo ernsthaft, ob er nicht zusätzlich
drei weitere Besatzungsmitglieder hätte bestimmen sollen für diese
Begegnung der merkwürdigen Art, wie er es nannte. Sozusagen zum
Ausgleich zu der fünfköpfigen Delegation.
Jetzt war es zu spät für eine solche Entscheidung. Er hatte ja
nicht vorher schon wissen können, dass sie gleich fünf der hier
beheimateten Menschen begrüßen würden.
Ein Seitenblick auf Jennifer Martin. Sie war ja die Expertin
für Aliensprachen. Ob sie diese Fähigkeit hier überhaupt
nutzbringend anwenden konnte? Nicht dann, wenn es sich tatsächlich
um Nachkommen der einstigen Siedler handelte, jedenfalls.
Aber noch einmal: Worum denn sonst?
Obwohl Dalbo nicht umhin kam, auch noch andere Optionen in
Betracht zu ziehen, und würden sie noch so fantastisch anmuten. Es
musste sich ja nicht zwangsläufig um die Nachfahren der Siedler
handeln. Eigentlich sprach sogar einiges dagegen, genauer
betrachtet.
Dalbo bemühte sich, all diese Gedanken aus seinem Kopf zu
verbannen, denn es brachte nichts, sich noch weiter in sinnlose
Spekulationen zu ergehen, ehe man mehr Informationen bekommen
hatte. Und zu diesen Informationen gehörte beispielsweise auch,
welche Sprache die Menschen hier sprachen.
Kaum waren sie sich nahe genug gekommen, lächelte die
Sprachführerin der Delegation die beiden ungebetenen Gäste an und
sagte: „Seid gegrüßt, Fremde! Ihr verzeiht unser Erstaunen und vor
allem unsere Neugierde, aber dass ausgerechnet Menschen zu uns
kommen, ist mehr als unerwartet für uns alle.“
Dalbo musste zugeben, dass dies zwar einige Informationen
waren über diese Menschen, aber leider keine, die auch nur
rudimentär von ihm oder von Jennifer Martin begriffen werden
konnten.
Er hatte natürlich schon im Vorfeld überlegt, was er
eigentlich zu ihnen sagen sollte, doch nichts davon wollte jetzt so
recht zur Situation passen, fand er. Also entschloss er sich für
Spontanität, wobei er natürlich auch in Betracht ziehen musste,
dabei vielleicht die falschen Worte zu wählen:
„Wir sind gekommen, weil es keinerlei Kontakt gibt zu dieser
Welt. Um zu sehen, was geschehen ist.“
Die Frau sah ihn erst reichlich verdutzt an. Doch dann begann
sie auf einmal schallend zu lachen.
Ihre vier Begleiter fielen in dieses Gelächter mit ein. Sie
lachten alle wie über einen riesigen Spaß.
Nicht nur Dalbo selber irritierte das natürlich zutiefst. Auch
Jennifer Martin neben ihm starrte die fünf Menschen vor sich an,
als würde es sich um hochgradig Irre handeln.
Und schon hörte Dalbo in seinem winzigen Ohrhörer die Stimme
von Tom Wang an Bord der PERENDRA: „Was geht dort unten eigentlich
vor?“
Dalbo hätte ihm wirklich gern geantwortet, doch er wusste es
ehrlich gesagt selber nicht.
Bis sich die Heiterkeit der Delegation endlich wieder
legte.
„Entschuldigung!“, bat die Wortführerin, noch immer leicht
glucksend. „Niemand wollte euch etwa auslachen. Ganz im Gegenteil.
Seht es als eine Art Mischung aus Erleichterung und Wahnsinn an. Es
ist tatsächlich ziemlich wahnsinnig, dass nunmehr nach immerhin
fünfhundert Jahren endlich einmal hier eine Landefähre auftaucht,
um doch tatsächlich nach dem Rechten zu sehen. Gewissermaßen aus
heiterem Himmel sogar!“
„Sie wissen, was eine Landefähre ist?“, wunderte sich jetzt
Dalbo und schnitt dabei anscheinend eine ziemlich dümmliche Miene,
denn abermals hatte die Delegation Mühe, eine zu große Heiterkeit
zu unterdrücken.
„Bitte, nicht falsch verstehen“, bat jetzt die Wortführerin,
„aber es mutet schon recht merkwürdig an, dass …“
Dalbo konnte nicht länger an sich halten. Obwohl es nicht
gerade diplomatisch erschien, fiel er der Frau ins Wort: „Aber wir
sahen Entsetzen in euren Gesichtern beim Anflug!“
„Ach ja, das meinen Sie …“ Die Wortführerin machte eine
wegwerfende Handbewegung. „Wir haben nicht sofort gesehen, dass es
sich um eine irdische Landefähre handelt.“
„Worum denn sonst?“, hakte Dalbo sogleich nach.
Die fünf wurden auf einmal sehr ernst, was im krassen
Widerspruch zu ihrem vorherigen Verhalten stand.
„Um eine Landefähre der Mharaav beispielsweise!“, gestand die
Wortführerin.
„Mharaav?“, echote Dalbo verblüfft.
Die Wortführerin nickte heftig.
„Vor einiger Zeit havarierte ein Schiff dieser Echsenwesen auf
unserer Welt. Wir boten ihnen unsere Hilfe an, obwohl sie sich uns
gegenüber doch tatsächlich als Feinde der Menschheit bezeichneten.
Was sollten wir auch anderes tun? Hätten sie uns angreifen wollen,
wäre unsere Chance wohl nahe Null gewesen bei unseren primitiven
Waffen. Und die Bordwaffen des havarierten Raumschiffes
funktionierten zu diesem Zeitpunkt anscheinend noch.
Aber die Mharaav verhielten sich nach dieser zutiefst
beunruhigenden Eröffnung überraschend friedlich. Wohl deshalb, weil
sie sich unversehens in der gleichen Situation wie wir befanden.
Sie lehnten jedoch jegliche Hilfe unsererseits rigoros ab.
Später verließen sie ihr Schiff, das nicht mehr starten
konnte, weil es irreparabel geworden war, und verschwanden mit
unbekanntem Ziel. Das heißt, die ungefähre Richtung kennen wir ja.
Wir haben sogar versucht, ihnen zu folgen. Doch sie verschwanden in
einer Gegend, die sogar für unsere Skorpione nicht zugänglich ist.
Dort gibt es weder für sie noch für uns ein Überleben. Deshalb
begreifen wir bis heute nicht, wieso diese Echsenwesen ein solches
Risiko überhaupt eingingen.“
„Dann waren sie zwar nicht gerade aggressiv, aber doch
ziemlich feindselig euch gegenüber gewesen?“
„Oh, ja, das kann man eigentlich so sagen. Obwohl es
letztendlich keine Auseinandersetzung gegeben hat. Wir haben sie
dann einfach ziehen lassen. Was hätten wir sonst denn machen
können?“
„Vor einiger Zeit ist das gewesen, sagten Sie? Aber unser
planetarer Scan hat nichts dergleichen ergeben!“, gab Dalbo zu
bedenken.
„Weil es denen eben genauso erging wie unseren Vorfahren nach
ihrer Landung hier: Keinerlei Technik funktioniert mehr. Schon nach
recht kurzer Zeit. Nichts, also absolut gar nichts.“
„Soll das heißen, dass auch eure Vorfahren damals hier
havarierten?“
„Äh, ja, genau das wollte ich damit sagen!“, bestätigte die
Wortführerin.
Sie tat auf einmal erschrocken und tippte sich bedeutsam an
die Stirn.
„Verzeihung, aber wo bleiben eigentlich meine Manieren? Jetzt
habe ich doch tatsächlich versäumt, mich vorzustellen: Mein Name
ist Kerstin Rush, meines Zeichens gewählte Bürgermeisterin auf
diesem Skorpion hier hinter uns, der uns freundlicherweise durch
diese ziemlich unfreundliche Wüste zu tragen bereit erklärt
hat.“
„Bürgermeisterin?“, wunderte sich Dalbo. „Äh, ich muss mich
selbst entschuldigen bei Ihnen, weil ich mich noch nicht
vorgestellt habe: Mein Name ist Rick Dalbo. Ich bin Captain des
Raumschiffes PERENDRA XX3 der Raumflotte des Irdischen
Weltenbundes. Hier, an meiner Seite, das ist Jennifer Martin. Sie
ist unter anderem Expertin für Aliensprachen.“
„Oh, tatsächlich?“, wunderte sich jetzt Bürgermeisterin
Kerstin Rush. „Da haben Sie anscheinend tatsächlich damit
gerechnet, hier auf Aliens zu treffen?“
Sie lachte belustigt, winkte sogleich aber mit beiden Händen
ab.
„Verzeihung, es sollte wirklich nicht anzüglich klingen, aber
ich sehe schon, es gibt noch einiges zu erzählen. Sie werden sich
sicherlich auch darüber wundern, wieso wir zwar zurückgefallen sind
in die völlige Primitivität, aber dennoch alles wissen über die
Herkunft unserer Vorfahren, die damals hierher kamen, um diese Welt
zu besiedeln. Anscheinend waren die vorangegangenen Untersuchungen
dieses Planeten nicht so ganz sorgfältig, sonst hätte man bereits
gewusst, dass dies ein enormes Risiko sein würde.“
Sie machte eine umfassende Geste.
„Wobei Sie sich natürlich mit eigenem Augenschein davon
überzeugen können, dass wir die Lage dennoch weitgehend gemeistert
haben.“
Sie winkte Dalbo und Jennifer Martin zu.
„Also, kommt bitte mit hinauf. Dort oben können wir es uns
gemütlich machen und über alles dies reden.“
Ein Blick auf die Landefähre hinter Dalbo und Jennifer
Martin.
„Ich nehme an, dort drin sind noch mehr Leute? Falls es denen
langweilig werden sollte, sind sie natürlich ebenfalls herzlich
eingeladen.“
Ein weiterer Blick, der diesmal wieder Dalbo gewidmet war:
„Falls Ihr Captain dies zulassen sollte, heißt das!“
Dalbo dachte daran, dass sich auch Doktor Moran-Dor mit an
Bord befand. Immerhin ein Mharaav. Zumindest sah er so aus, obwohl
er ja ausschließlich unter Menschen aufgewachsen war. Und entschied
sich dagegen.
Kerstin Rush sah, dass er keinerlei Anstalten machte, nach dem
Rest der Besatzung zu rufen, und wandte sich gemeinsam mit ihrer
Delegation zum Gehen.
Rick Dalbo und Jennifer Martin folgten ihnen. Dies war der
Augenblick, an dem überraschend Miimii in Erscheinung trat. Beinahe
hätte Dalbo sie tatsächlich vergessen, was bei einer so
unwirklichen Situation wie der Begegnung mit dieser überaus
seltsamen fünfköpfigen Menschendelegation nicht weiter
verwunderlich war.
Miimii überholte nicht nur Dalbo und Jennifer Martin, sondern
auch die überraschte Delegation. Nur um zu dem Riesenskorpion zu
eilen und diesen anzubellen wie ein riesiger Hund.
So klang es zumindest, was bei einer eher kleinen, wenngleich
doppelköpfigen Katze allerdings ziemlich absurd wirkte.
„Was ist das denn?“, entfuhr es Kerstin Rush
unwillkürlich.
„Darf ich vorstellen?“, antwortete Dalbo nur: „Miimii, meine
telosianische Zweikopfkatze!“
„Aha?“, konterte Kerstin Rush. „Also doch noch ein Alien auf
diesem Planeten?“
Dalbo wusste nicht, ob er das jetzt wirklich für witzig halten
konnte oder ob diese Szene die Absurdität der gegenwärtigen
Situation nicht auch noch erhöhte.
Miimii ihrerseits hörte jedenfalls auf zu bellen und sah mit
beiden Köpfen Kerstin Rush an: „Seid gegrüßt, Fremde! Ihr verzeiht
unser Erstaunen und vor allem unsere Neugierde, aber dass
ausgerechnet Menschen zu uns kommen, ist mehr als unerwartet für
uns alle …“
„Das waren doch nicht etwa meine eigenen Begrüßungsworte?“,
entfuhr es der Bürgermeisterin, wie sie sich nannte. Mehr oder
weniger fassungslos schüttelte sie den Kopf.
Und dann begann Miimii genau dasselbe Gelächter nachzuahmen
wie es die fünfköpfige Delegation von sich gegeben hatte. So
perfekt, als würde es sich um eine technische Aufzeichnung
handeln.
Kerstin Rush lachte jetzt ebenfalls wieder.
„Meine Güte, so etwas hat uns wahrlich noch gefehlt. Miimii
heißt du? Ich glaube kaum, dass es ein Wesen gibt in diesem ganzen
Universum, das dir jemals böse sein könnte!“
Dalbo äußerte sich nicht dazu. Er nahm Miimii auf den Arm. Es
würde schwierig sein, gemeinsam mit ihr diese Strickleiter
hinaufzuklettern, aber es blieb ihm wohl nichts anderes übrig, denn
Miimii selbst würde sich mit Sicherheit standhaft weigern, es auch
nur zu versuchen.
6
„Unmöglich!“
Der Erste Offizier der PERENDRA XX3 schüttelte den Kopf.
Tom Wang gefiel das alles nicht. Ganz und gar nicht. Sie waren
hierhergekommen, um sozusagen nach dem Rechten zu sehen. Und er
hatte ja jedes Wort mitgehört, was dort unten gesprochen worden
war. Und er hatte die Übertragung gesehen. Selbstverständlich hatte
er das! Deshalb empfand er es als höchst unwürdig, wie sein Captain
sich da aufgeführt hatte. Zumal er doch tatsächlich in einer
dermaßen verfänglichen Situation auch noch sein Haustier mit dabei
hatte.
Allerdings hütete er sich davor, irgendetwas dazu zu sagen,
denn er wusste aus bitterer Erfahrung, wie beliebt Captain Rick
Dalbo bei der gesamten Besatzung war. Es hätte möglicherweise
niemanden gegeben, der dem Ersten Offizier recht gegeben und dieses
Vorgehen ebenfalls als inakzeptabel empfunden hätte.
Außerdem kam er nicht umhin, zuzugeben, dass sich das Ganze
tatsächlich in einem Maße entwickelt hatte, wie es niemand hätte
voraussehen können. Wie hätte er denn eigentlich selbst sich
verhalten in dieser Situation?
Allein nur, weil er das selbst nicht zu sagen vermochte,
konzentrierte er seine ganze Aufmerksamkeit jetzt darauf, wie es
weiterging. Die technischen Mittel der Landefähre reichten aus, um
alles genauestens mitbekommen zu können.
Dabei hatte Tom Wang reichlich Gelegenheit, das bisher Gehörte
und Gesehene auch noch sorgfältig zu überdenken.
Dann war also vor fünfhundert Jahren das Siedlerraumschiff
hier havariert? Es mussten die Siedler selbst die Havarie auf jeden
Fall überstanden haben, sonst hätte es ja heute nicht diese
Nachfahren von ihnen gegeben.
Aber hatte diese Kerstin Rush denn nicht behauptet, die
Technik hätte bereits kurz danach versagt? Also nach der Landung
irgendwann? Ja, was, wenn die Landung vorschriftsmäßig erfolgt und
der Ausfall der Technik tatsächlich nach und nach später erfolgt
war?
Tom Wang musste dem nachgehen. Außerdem musste er sämtliche
Möglichkeiten des Raumschiffs PERENDRA XX3 dafür einsetzen, um die
Mharaav zu finden, die angeblich vor einiger Zeit schon ebenfalls
hier havariert waren. Zumindest ihr Raumschiff müsste eigentlich
unübersehbar sein.
Es gab keinerlei Marker, die auf irgendeine weiter entwickelte
Technik hinwiesen. Der gesamte Planet war laut ihrer Messung
garantiert technikfrei. Anders konnte man es gar nicht bezeichnen.
Sogar die Landefähre, die Dalbo benutzt hatte, stach bei dem Scan
überdeutlich als die absolute Ausnahme hervor.
Der nächste Schritt war, nach außergewöhnlicher
Metallanhäufung zu suchen. Etwa wie es typisch gewesen wäre für ein
Raumschiff der Mharaav.
Wieso waren sie überhaupt hier gelandet? Wenn sie den Planeten
nur hätten besuchen wollen, wäre von ihnen doch auch nur eine
Landeeinheit eingesetzt worden?
Tom Wang überlegte fieberhaft, fand aber keine Erklärung
dafür. Und es gab auch keinerlei Erklärung für etwaige technische
Probleme, ob es sich nun um die Technik der Mharaav handelte oder
auch um die menschliche Technik. Jedenfalls funktionierte auch die
Landefähre bisher einwandfrei.
Tom Wang setzte sich mit dieser in Verbindung und verlangte
Doktor Moran-Dor zu sprechen. Als dieser in den Erfassungsbereich
des Übertragungsgerätes trat, fragte er ihn ganz direkt: „Was
halten Sie denn von alledem? Wie kann es sein, dass angeblich ein
Raumschiff der Mharaav hier havarierte, ohne dass es den geringsten
Hinweis darauf gibt?“
„Und ausgerechnet von mir erwarten Sie deshalb eine Antwort
auf diese Frage, weil ich selber ein Mharaav bin? Obwohl ich davon
nicht die geringste Ahnung haben kann, weil ich nun einmal leider,
und Ihnen durchaus bekannt, ausschließlich unter den Menschen
aufwuchs?“, konterte Doktor Moran-Dor ungerührt.
Tom Wang stutzte nur kurz. Dann unterbrach er einfach die
Verbindung wieder.
Doktor Moran-Dor empfand das als ziemlich unhöflich, gelinde
ausgedrückt, aber eigentlich hatte er sich längst an die Eigenarten
von Tom Wang gewöhnt. Außerdem hatte er gelernt, in den Gesichtern
von Menschen zu lesen wie im sprichwörtlichen offenen Buch, und das
hatte ihm im Fall von Tom Wang gesagt, dass der Erste fieberhaft
nach Erklärungen suchte. Also war sein Verhalten nicht wirklich
unhöflich, sondern Tom Wang wurde das selbst gar nicht
bewusst.
Der Doktor wandte sich an Alex Tomlin.
„Was hältst du denn eigentlich von der These, dass damals
sämtliche Technik zu versagen begonnen hat, wie von dieser Kerstin
Rush behauptet?“
Alex schüttelte den Kopf.
„Also, ich habe wirklich jetzt noch einmal alles hier
überprüft, aber nichts Ungewöhnliches festgestellt. Es ist hier
allerdings die einzige Technik anscheinend auf dieser ganzen Welt,
die funktionsfähig ist.“
„Ohne jegliche Einschränkung?“, vergewisserte sich Doktor
Moran-Dor.
„Bisher jedenfalls: Ja!“, bestätigte Alex. „Und wenn auch Tom
Wang oben im Schiff nichts findet …“
Da meldete sich abermals die PERENDRA. Diesmal nicht Tom Wang
persönlich, sondern einer der Ortungsoffiziere: „Nur zur Info
vorerst: Wir haben das Raumschiff der Mharaav gefunden! Aber es ist
nur noch ein großer Haufen totes Metall. Gewissermaßen. Anscheinend
haben sie es verlassen müssen, weil nichts mehr funktionierte.
Dafür benutzten sie wohl eine ihrer Landefähren, die wir ebenfalls
in der Nähe gefunden haben.“
„Nicht funktionsfähig?“, vermutete Alex.
„Richtig. Ebenfalls nur noch ein toter Haufen Metall. Und
niemand befindet sich noch dort. Also keiner der Mharaav.“
„Sind Sie denn sicher, dass die Mharaav damit das Raumschiff
verließen? Also mittels Landefähre nach der Landung auf dieser
Welt? Es hat aus dem Mund von dieser Kerstin Rush für mich
eigentlich mehr danach geklungen, als wären die Echsenwesen
sozusagen zu Fuß losgezogen, um in jener Gegend zu verschwinden,
die angeblich niemand sonst überleben kann.“
„Moment mal!“, bat der Ortungsoffizier knapp.
Tom Wang mischte sich ein. Er erschien sogar persönlich in der
Erfassung.
„Das ist ziemlich beunruhigend!“, behauptete er.
„Was denn?“, erkundigte sich Alex Tomlin mit einem
unschuldigen Augenaufschlag.
Man konnte vom Ersten Offizier Tom Wang behaupten, was man
wollte, aber Tatsache war, dass er Alex Tomlin trotz seiner Jugend
voll und ganz akzeptierte, was eigentlich jeden an Bord schon
verwundert hatte. Aber Tom Wang schätzte anscheinend besondere
Fähigkeiten, und die hatte Alex ja in der Tat schon oft genug unter
Beweis stellen können.
Und jetzt redete er mit Alex sozusagen wie mit seinesgleichen,
nicht wie der ranghöchste Offizier an Bord mit irgendeinem
Untergeordneten.
„Wenn ich das richtig interpretiere, landeten die Mharaav
tatsächlich mit dieser Landefähre. Mit dem Raumschiff kamen sie nur
deshalb, um die Besatzung der Fähre gewissermaßen zu retten, weil
deren Technik ausgefallen ist. Dabei havarierten sie selbst. Das
heißt, sie stürzten nicht etwa ab, weil das Raumschiff vollkommen
unbeschädigt wirkt. Also fiel die Technik an Bord erst nach der
Landung aus, genauso wie wohl auch bei der Landefähre.“
„Es hat nur keinerlei Technik mehr funktioniert, glauben
Sie?“, vergewisserte sich Alex.
„Ja, so zumindest scheint es. Und seitdem sitzen die Mharaav
hier fest. Wir wissen leider viel zu wenig über sie, um begreifen
zu können, wieso sie zu Fuß ausgerechnet in diese Gegend gezogen
sind, die ja laut Kerstin Rush so ganz besonders unwirtlich zu sein
scheint. Ich werde jedenfalls alles von hier oben aus tun, um sie
ausfindig zu machen.“
Tom Wang unterbrach wieder die Verbindung.
Alex sah zu Moran-Dor hin. Der Doktor sah sich indessen
bemüßigt zu sagen: „Immerhin ist der Metabolismus von unsereins
anders als der menschliche.“
„Aber so gravierend, dass die Mharaav eine Umgebung überleben
könnten, die sogar für diese Riesenskorpione tödlich wäre?“
„Es kommt ganz auf die Art der Umweltbedingungen an.
Vielleicht irgendwelche giftige Dämpfe, die aus dem Boden steigen?
Giftig vielleicht sogar für einheimisches Leben hier wie die
Riesenskorpione und natürlich für Menschen, aber womöglich gerade
für Mharaav besonders gut geeignet?“
„Wenn du es sagst …“, meinte Alex leichthin. „Ich bin hier ja
nur das technische Genie. Von solchen Dingen habe ich leider keine
Ahnung. Darin bist du mir auf jeden Fall weit überlegen.“
Moran-Dor lachte nur leise. Es klang wie bei einem normalen
Menschen.
7
Die Geschichte der menschlichen Siedler von Bandara III mutete
so fantastisch an, wie man sie hier auch noch heute erlebte:
Nachdem damals ihre Technik komplett ausgefallen war, aus Gründen,
die sie auch nach fünfhundert Jahren immer noch nicht verstanden,
mussten sie um ihr schieres Überleben kämpfen.
Die mitgeführten Vorräte waren natürlich begrenzt gewesen. Da
entdeckten sie allerdings diese Oasen. Womit sie sich die einzige
Möglichkeit eröffneten, um auch noch auf Dauer überleben zu
können.
Allerdings erwies sich das Ökosystem dieser Oasen als ungemein
empfindlich, weshalb die Menschen niemals lange vor Ort bleiben
durften. Sie mussten weiterziehen, um der Oase genügend Gelegenheit
zu geben, sich von ihrer regelrechten Heimsuchung wieder zu
erholen.
Ein äußerst beschwerlicher Marsch durch die mörderische
Einöde, nicht nur bedroht von streunenden und äußerst hungrigen
Tieren, die in ihnen willkommene Beute witterten, sondern auch noch
von gnadenlos tosenden Sandstürmen, gegen die es unterwegs
keinerlei wirksamen Schutz gab.
Und da kamen die Riesenskorpione ins Spiel. Diese Tiere hatten
seit Urzeiten nichts anderes getan, als von Oase zu Oase zu ziehen.
Aus denselben Gründen wie die Menschen jetzt: Weil sie nur
dank der Oasen auf Dauer überhaupt überleben konnten. Dabei durften
sie niemals das Ökosystem der Oasen überstrapazieren, um sich nicht
dieser einzigen Lebensgrundlage selber zu berauben.
Mehr noch als dies: Sie hatten mit ihren gewaltigen Körpern um
die Oasen herum riesige Schutzwälle errichtet aus losen Steinen,
die sie immer wieder neu zusammenschoben, um den Schutz gegen die
umgebende Wüste aufrecht zu erhalten.
Es war wie eine funktionierende Symbiose zwischen den
Riesenskorpionen und diesen Oasen und dem Leben, das es darin gab.
Für ihren besonderen Schutz durften sie sich am nur hier
vorhandenen Trinkwasser laben und von den Pflanzen fressen, denn
die Riesenskorpione waren reine Vegetarier.
Sie hatten dabei nur ein einziges und immerwährendes Problem:
Unmengen von Parasiten, die sich gern an ihrem riesigen
Chitinpanzer festsaugten, um sich an ihren Körperflüssigkeiten zu
nähren.
Diese riesigen Tiere waren halbwegs hilflos den Parasiten
ausgeliefert und wurden von denen schon immer gnadenlos
gepeinigt.
Bis die Menschen einschritten. Denn die ersten Siedler hatten
bald erkannt – ja, erkennen müssen! –, welchen Vorteil die
Riesenskorpione ihnen bieten würden. Sie bekämpften erfolgreich
deren Parasiten und befreiten sie auf Dauer von der immerwährenden
Plage. Aus Dankbarkeit dafür durften sich die Menschen auf ihren
Rücken häuslich niederlassen.
Und dies nun schon seit fünfhundert Jahren!
Aber wieso hatten die Mharaav nicht auch einen solchen Weg
beschreiten wollen? Immerhin waren sie doch genauso Gestrandete auf
diesem Planeten wie die Menschen.
Das allerdings wusste niemand zu beantworten. Auch nicht, was
die Mharaav ausgerechnet in jener noch unwirtlicheren Gegend zu
suchen hatten.
Für die Siedlernachkommen ergab das jedenfalls nicht den
geringsten Sinn.
Rick Dalbo erfuhr auch von der Bürgermeisterin dieses
Skorpions namens Kerstin Rush, dass jeder Skorpion tatsächlich in
gewisser Weise eine kleine Dorfgemeinschaft trug. Und in jeder gab
es ein gewähltes Oberhaupt, das man einfach Bürgermeister nannte,
nicht etwa Häuptling.
Darauf angesprochen hatte Kerstin Rush wieder einmal lachen
müssen.
„Wir sind zwar notgedrungen in die Primitivität von Urmenschen
zurückgefallen, weil unsere mitgebrachte Technik einfach nicht mehr
funktionieren wollte, doch wir haben uns über die fünfhundert Jahre
unsere mitgebrachte Kultur erhalten. Keiner von uns ist etwa total
verdummt, falls Sie das annehmen sollten, Captain Dalbo. Ganz im
Gegenteil: Wir wissen genau, wer wir sind und wer unsere Vorfahren
waren. Alles wurde haarklein überliefert. Wir besitzen sogar immer
noch die Logbücher des Schiffes, mit dem unsere Vorfahren hierher
kamen.“
„Aber die waren doch sicherlich elektronischer Art?“,
vermutete Dalbo.
„Natürlich! Aber großenteils wurden sie schriftlich noch
einmal fixiert, nachdem sämtliche Technik ausgefallen war.
Gewissermaßen als Gedächtnisprotokoll damals in geraffter Form. Und
wir schreiben auch heute noch nieder, was für uns wichtig genug
ist, um es als Wissen für nachfolgende Generationen zu
erhalten.“
„Dann könntet ihr alle jederzeit wieder irdische Technik
anwenden, sofern sie funktionieren würde?“, erkundigte sich
Jennifer Martin.
Sie sprach nur sehr wenig bei alledem und überließ lieber
ihrem Captain die Wortführung. Aber diese eine Frage hatte sie sich
nicht länger verkneifen können.
Kerstin Rush bejahte dies.
„Deshalb wussten wir ja sehr bald, dass dieser Flugkörper
eindeutig eine Landefähre ist. Weil wir Bilder davon in unserem
Besitz haben. Nicht nur das: Unser Raumschiff existiert ja nach wie
vor – und mit ihm auch alle Beiboote. Nichts davon funktioniert
allerdings.
Und nicht vergessen: Wir kennen ja auch das Raumschiff der
Mharaav und ihre Landefähre.“
Dalbo sah es an der Zeit, sich erneut zu entschuldigen für
seine anfängliche Unwissenheit.
Kerstin Rush klopfte ihm beinahe kameradschaftlich auf die
Schulter.
„Alles gut, mein lieber Captain Dalbo von der PERENDRA XX3,
längst schon vergeben und vergessen. Ich muss mich vielmehr
umgekehrt für unser eigentlich ziemlich unpassendes Gelächter
entschuldigen. Wir wollten keineswegs euch zur Begrüßung auslachen,
aber Sie können jetzt, im Nachhinein, sicherlich verstehen, dass
wir den Ablauf unserer ersten Begegnung anfangs ziemlich erheiternd
fanden.“
„Obwohl wir eigentlich hierhergekommen sind, um euch zu
helfen?“, warf Jennifer kühn ein.
„Zu helfen? Uns?“ Kerstin Rush schüttelte auf einmal betrübt
den Kopf. „Noch funktioniert die von euch mitgebrachte Technik
zwar, aber glauben Sie mir: Niemand weiß, wie lange das noch gut
geht. Vielleicht wäre es sogar besser gewesen, Sie beide wären
gemeinsam mit der armen Miimii schleunigst wieder von hier
weggeflogen, anstatt sich hier aufzuhalten.“
Jetzt war es an Dalbo, den Kopf zu schütteln.
„Es ist nicht wirklich zu begreifen: Wieso funktioniert seit
nunmehr fünfhundert Jahren die gesamte mitgebrachte Technik nicht
mehr, aber wir können unsererseits bei unserer Technik nicht die
geringste Störung feststellen?“
Kerstin Rush zuckte die Achseln.
„Wie schon erwähnt: Keine Ahnung! Das konnten wir auch nach
fünfhundert Jahren nicht herausfinden. Nur eines ist anscheinend
klar dabei: Wäre das Mharaav-Schiff nicht hier gelandet, um die
Besatzung ihrer Landefähre zu retten, und wäre einfach nur wieder
weggeflogen, hätte es hier nicht stranden müssen.“
„Es scheint fast so“, meinte jetzt Dalbo gedehnt, wobei er
lediglich den Gedanken aussprach, der ihm bei diesem Gespräch
unwillkürlich gekommen war: „als wäre dies kein natürlicher
Vorgang!“
„Wie bitte?“, wunderte sich Kerstin Rush über diese Worte.
„Kein natürlicher Vorgang, meinen Sie? Was denn sonst? – Also,
falls Sie dabei an die Mharaav denken: Ich kann mir kaum
vorstellen, dass sie sich das selber eingebrockt haben
sollten.“
„Nein, die meine ich gar nicht.“
„Wen denn sonst? Also, ich kann Ihnen versichern, dass uns in
fünfhundert Jahren niemals jemand anderes hier begegnet ist. Also
außer eben den Mharaav, wie schon beschrieben. Hier gibt es
ansonsten nichts und niemand.“
„Es ist zumindest nichts und niemand feststellbar!“,
relativierte Dalbo ungerührt diese Behauptung. „Was nicht wirklich
bedeuten muss, dass es auch tatsächlich nichts und niemanden gibt.
Und vielleicht denken ja die Mharaav ebenso und sind allein schon
deshalb in diese besonders unwirtliche Gegend gegangen?“
„Sie meinen, dort sei möglicherweise sogar der Ursprung des
ganzen Desasters zu finden?“, rief Kerstin Rush ungläubig. „Auf
diese Idee ist von uns bisher noch keiner gekommen. Aber wenn ich
mir das jetzt so überlege …“
Sie wirkte dabei ziemlich ratlos.
Dalbo fuhr indessen fort: „Allerdings, falls ich wirklich
recht haben sollte, dann wäre dies gewissermaßen eine dritte
Institution, die sich sicherlich nicht so ohne Weiteres in die
Karten blicken lässt. Sonst hätte sich seit der Havarie der Mharaav
wohl etwas geändert, nicht wahr?“
„Sie meinen, falls diese wirklich nur deshalb dorthin sind, um
sich auf die Suche nach der eigentlichen Ursache zu machen, haben
sie womöglich bis heute nichts gefunden beziehungsweise zumindest
nichts erreichen können?“
„So sieht es jedenfalls aus“, bestätigte Dalbo.
„Aber die von euch mitgebrachte Technik funktioniert nach wie
vor einwandfrei“, widersprach Kerstin Rush jetzt vehement. „Wenn
ich an die diesbezüglichen Aufzeichnungen unserer Vorfahren denke …
Sie haben davon berichtet, dass die von ihnen mitgebrachte Technik
schon recht bald versagte.
Außerdem, wenn ich das jetzt auch noch mit der Havarie der
Mharaav vergleiche: Eigentlich sind Sie mit Ihrer Landefähre
bereits deutlich über der Zeit! Tut mir leid, wenn ich das so sagen
muss, aber es scheint mir, als hätten die Mharaav vielleicht doch
einen gewissen Erfolg gehabt inzwischen. Hätten wir das nur ahnen
können, wären wir längst zu unserem alten Schiff hin, um dies zu
überprüfen.“
„Was wir ja durchaus jetzt nachholen können!“, schlug Dalbo
vor.
Kerstin Rush musste nicht lange überlegen. Sie sprang
tatkräftig auf.
„Guter Vorschlag“, lobte sie euphorisch. „Ich werde mit Ihnen
gehen. Ich nehme doch an, wir nehmen die Landefähre? Immerhin,
solange die noch fliegen kann …“
„Wenn wir dort noch jemanden aufnehmen, wird es zwar ein klein
wenig enger, aber immerhin kann ich mir niemanden vorstellen, der
besser geeignet wäre dafür, uns zu begleiten.“
„Ich allein genügt voll und ganz!“, entschied die
Bürgermeisterin und erteilte ihre Befehle für die Zeit ihrer
persönlichen Abwesenheit.
Captain Dalbo und Jennifer Martin hatten es bereits
mitbekommen: Vom Rücken dieses einen Skorpions aus wurde mittels
einer schrillen Lautfolge an den nächsten Skorpion berichtet. Es
war wie eine eigene Sprache, die von den Siedlernachkommen
entwickelt worden war, um auf diese Entfernung hin einwandfrei und
ohne jegliche technische Unterstützung kommunizieren zu
können.
Alles, was von hier aus berichtet wurde, gab man vom
Nachbarskorpion aus weiter. So dass am Ende alle sechs
„Skorpionsiedlungen“ im Bilde waren.
Anschließend war Kerstin Rush mehr als bereit aufzubrechen,
und Captain Dalbo gemeinsam mit Jennifer Martin ebenfalls.
Dabei störte es niemanden, dass Miimii während des ganzen
Abstiegs über die Strickleiter diese besonders schrillen Laute von
sich gab, mittels derer sich die Menschen hier auf größere
Entfernungen hin unterhielten. Welchen Sinn die Laute im Einzelnen
hatten, konnte Dalbo noch nicht einmal ahnen. Kerstin Rush
jedenfalls schien alles gut zu verstehen, wobei sie sich allerdings
ein gewisses Dauergrinsen nicht verkneifen konnte.
Dalbo seinerseits verkniff sich indessen die Frage, die ihm
automatisch auf der Zunge brannte, nämlich die Frage danach, was
denn nun Miimii mit diesen Lauten eigentlich mitteilte.
8
Die Hauptschleuse des hier gelandeten ziemlich riesigen
Siedlerschiffes stand seit fünfhundert Jahren sperrangelweit offen.
Von Hand konnte man sie nicht schließen, und weil sämtliche Technik
versagte, war den Siedlern damals nichts anderes übriggeblieben,
als den Zugang mittels aufgetürmter Steine zu sichern. Nach dem
Vorbild der Steinwälle, die von den Riesenskorpionen rings um jede
Oase zusammengeschoben worden waren.
Um das Schiff also betreten zu können, mussten erst einige
Steine beiseite geräumt werden. Dabei fand Dalbo Hilfe von der
übrigen Besatzung der Landefähre.
Kerstin Rush war ziemlich überrascht gewesen, als sie Doktor
Moran-Dor zum ersten Mal gesehen hatte. Ein Mharaav als
Besatzungsmitglied der PERENDRA XX3? Ausgerechnet?
Dalbo hatte sie mit wenigen Worten über die Zusammenhänge
aufgeklärt. Danach war ihr vor allem Alex Tomlin besonders
interessant erschienen, nachdem sie erfahren hatte, dass er als
absolutes technisches Genie galt, auf Grund sozusagen seiner
besonderen Umstände.
Falls es wirklich jemand schaffen sollte, das alte
Siedlerraumschiff wieder flott zu kriegen, dann wohl tatsächlich
nur er. Immerhin!
Während sie sich hier um das Schiff kümmerten, würden die
sechs Riesenskorpione mit ihren Reitern auf ihrer gewohnten Route
weiterziehen.
Bislang gab es ja keinerlei technische Probleme mit der
Landefähre. Es würde gewissermaßen eine Kleinigkeit sein, mit ihr
die bizarr anmutende Karawane wieder einzuholen.
Kerstin Rush machte keinen Hehl daraus, wie sehr es sie nach
wie vor wunderte, wieso es noch immer keinerlei Beeinträchtigung
für die Landefähre gab.
Und dann begann Alex mit seiner Arbeit. Das hieß, er machte
sich in der Zentrale an den Kontrollen zu schaffen, wobei ihm
zunächst einmal vor allem wichtig war, die vorhandene Technik, wenn
irgend möglich, mit der entsprechenden Energie zu versorgen.
Und genau da begann schon das eigentliche Problem!
„Ich weiß, es klingt ein wenig zu vage, aber ich spüre
irgendwie, dass es hier eine Art Kraftfeld geben muss. Es
verhindert jeglichen technisch basierten Energiefluss. Anders kann
ich es gar nicht umschreiben. So etwas hätte ich vorher noch nicht
einmal für möglich gehalten.“
„Das spürst du regelrecht?“
„Ja, weil es versucht, auch mich zu beeinträchtigen. Aber weil
ich kein reines technisches System bin, um es einmal so
auszudrücken, und größtenteils immer noch ein menschliches Wesen,
kann ich mich dagegen erfolgreich wehren.“
„Bleibt dieses Kraftfeld denn auf das Schiff
beschränkt?“
„Das kann ich nicht klar beantworten. Bedauere, Captain Dalbo.
Es scheint jedenfalls so zu sein, wobei es ziemlich gezielt
vorgehen kann.“
„Etwa, als hätte es einen eigenen Willen? Ich hatte ja schon
den Verdacht, dass es sich um kein natürliches Phänomen handelt.
Aber wie kann jemand ein Kraftfeld erzeugen und sogar auf Dauer
aufrecht erhalten, ohne sozusagen selbst mit anwesend zu sein? Etwa
aus der Ferne?“
„Bislang hätte ich das jedenfalls für unmöglich gehalten. Aber
Sie wissen ja selbst: Sage niemals nie! Fakt dabei ist auf jeden
Fall: Es unterdrückt erfolgreich jeglichen Energiefluss, der nicht
rein biologisch abläuft. Ganz gezielt betreffend alles, was dieses
Schiff hier ausmacht. Und erst seit ich mich um die Kontrollen
bemühe, nehme ich es irgendwie ebenfalls wahr.“
„Eine nette Umschreibung von dir, gedacht für jemanden, den du
als technisch nicht sonderlich kundig einstufst? Geht es wirklich
nicht genauer?“
Alex lachte wie über einen Scherz.
„Ich bemühe mich jedenfalls weiterhin. Aber ich würde mir an
Ihrer Stelle jetzt keine allzu große Hoffnung machen, das Schiff
wieder flott zu kriegen. Es hat sich hier jedenfalls nichts positiv
verändert in den letzten fünfhundert Jahren, also ganz
offensichtlich auch nicht durch irgendwelche Maßnahmen der
Mharaav.“
„Dann hat also das Lahmlegen sämtlicher Technik hier an Bord
tatsächlich nichts damit zu tun, dass unsere Landefähre davon in
keiner Weise betroffen ist!“
Es klang mehr wie eine Feststellung als eine Frage. Trotzdem
ging Alex darauf ein: „Wie schon gesagt: Es scheint so, als käme
dieses Kraftfeld ganz gezielt zur Anwendung.“
„Als würde es gesteuert werden …“ Dalbo schürzte nachdenklich
die Lippen.
Alex wandte sich ab und konzentrierte sich wieder auf seine
Arbeit.
Das hieß, er spielte nicht nur an den Kontrollen herum,
sondern er versuchte auch mit seiner besonderen Begabung, in das
System hinein zu gelangen. Aber das gelang allein schon deshalb
nicht, weil dieses System nicht mit der notwendigen Energie
versorgt werden konnte.
Dies war der Zeitpunkt, an dem Captain Dalbo die Warnung von
Bord erhielt, von Tom Wang persönlich übermittelt: „Wir haben einen
diffusen Funkspruch von der Oberfläche aufgenommen. Es scheint sich
um keine klare Übermittlung zu handeln, sondern vielmehr um eine
Art Notsignal. Nur ziemlich kurz, denn gerade bricht es wieder
regelrecht zusammen.“
„Aber von wem denn?“, fragte Dalbo überrascht.
„Es erscheint mir typisch zu sein für die Mharaav!“
„Dann ist der Ursprung des Funksignals vielleicht sogar in
jener gefährlichen Zone?“
„Genauso ist es wohl. Allerdings war die Dauer nicht lang
genug, um den Ursprung genau eingrenzen zu können.“
Ein gellender Schrei lenkte Dalbos Aufmerksamkeit wieder auf
Alex Tomlin. Der Junge war aufgesprungen von dem Kontursitz, auf
dem er Platz genommen hatte. Er presste beide Hände gegen den Kopf
und schrie abermals schmerzerfüllt.
Ehe Dalbo ihm noch beistehen konnte, sank Alex bereits leblos
zu Boden.
Auch Jennifer Martin wurde aufmerksam und eilte herbei.
Doktor Moran-Dor, der es sich nicht hatte nehmen lassen,
ebenfalls die Zentrale zu inspizieren, war schneller. Er beugte
sich zu dem leblosen Körper des Jungen hinab.
Dalbo, Jennifer Martin und Kerstin Rush fühlten sich wie
hilflos bei diesem Anblick. Zumal keiner von ihnen auch nur ahnen
konnte, was denn eigentlich mit Alex los war.
Doch da schlug dieser wieder die Augen auf und ließ sich von
Doktor Moran-Dor auf die Beine helfen.
Ein um Entschuldigung heischender Rundblick.
„Tut mir leid, aber es kam ziemlich plötzlich. Dieses
Kraftfeld, das ich schon erwähnt habe. Es wurde auf einmal
sprunghaft stärker, und ich konnte mich nicht länger dagegen zur
Wehr setzen. Anscheinend hat das in meinem Kopf integrierte System
jetzt dennoch eine Möglichkeit gefunden, das Kraftfeld zu
überwinden, wenn auch erst nachträglich. Daher die kurze
Bewusstlosigkeit nach einem wirklich ziemlich grausamen Schmerz.
Ein Vorteil hat das alles dennoch: Dadurch ist es jetzt
nämlich für mich auf jeden Fall besser zu analysieren.“
„Und es geht dir wirklich wieder gut?“, erkundigte sich
Moran-Dor besorgt.
„Ja, geht es!“, beruhigte Alex ihn und nahm wieder auf dem
Kontursitz Platz, auf dem einst der Kommandant dieses stolzen
Schiffes gesessen hatte.