Vier Leichen für Trevellian: 4 Krimis - Alfred Bekker - E-Book

Vier Leichen für Trevellian: 4 Krimis E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieses Buch enthält folgende Krimis: (499XE) Alfred Bekker: Kahlgeschoren Thomas West: Mörderische Planung Thomas West: Vermittlung in den Tod Thomas West: Alte Leichen Viele junge Mädchen träumen davon, einmal berühmt zu werden. Für Janet scheint dieser Traum wahr zu werden. Eine Modelagentur interessiert sich für sie. Überglücklich schließt sie den Vertrag ab. Doch nach einiger Zeit kommt die wahre Absicht dieser Agentur zutage. Janet will aussteigen, nur noch weg. Vollgepumpt mit Drogen stürzt sie von einem Hochhaus. Selbstmord? Ihr Vater glaubt es nicht. Als man auch ihre Freundin tot auffindet, beginnt das FBI zu ermitteln und findet Erschreckendes heraus ...

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Thomas West, Alfred Bekker

Vier Leichen für Trevellian: 4 Krimis

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Inhaltsverzeichnis

Vier Leichen für Trevellian: 4 Krimis

Copyright

Kahlgeschoren: Thriller

Mörderische Planung

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Vermittlung in den Tod

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Thomas West | Alte Leichen

Vier Leichen für Trevellian: 4 Krimis

von Alfred Bekker, Thomas West

Dieses Buch enthält folgende Krimis:

Alfred Bekker: Kahlgeschoren

Thomas West: Mörderische Planung

Thomas West: Vermittlung in den Tod

Thomas West: Alte Leichen

Viele junge Mädchen träumen davon, einmal berühmt zu werden. Für Janet scheint dieser Traum wahr zu werden. Eine Modelagentur interessiert sich für sie. Überglücklich schließt sie den Vertrag ab. Doch nach einiger Zeit kommt die wahre Absicht dieser Agentur zutage. Janet will aussteigen, nur noch weg. Vollgepumpt mit Drogen stürzt sie von einem Hochhaus.

Selbstmord? Ihr Vater glaubt es nicht.

Als man auch ihre Freundin tot auffindet, beginnt das FBI zu ermitteln und findet Erschreckendes heraus ...

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Alles rund um Belletristik!

Kahlgeschoren: Thriller

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 116 Taschenbuchseiten.

Eine Serie von grausamen Prostituiertenmorden stellt die Ermittler vor ein Rätsel. Immer wieder schlägt der geheimnisvolle Killer zu – und die Stadt erstarrt in Angst.

Treibt hier ein irrer Serienkiller sein Unwesen – oder steckt Krieg zwischen Zuhältern und Gangsterbossen dahinter?

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author/ Cover Firuz Askin

© dieser Ausgabe 2016 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

1

New York City, Bronx...

Ein kalter Tag.

Ein böser Tag.

Ein Tag, den keiner, der ihn erlebt hatte, je vergessen würde.

Auch die zwei Cops nicht, die an diesem Tag im Einsatz waren.

„Wo müssen wir genau hin, Barney?", meinte der Cop am Steuer und blinzelte in die Nacht hinein.

Sein Partner zuckte die Schultern.

„Mich darfst du nicht fragen. Ich kenn mich hier nicht aus.“

„Na großartig!“

„Keine Ahnung, Ed!", knurrte er zwischen den Zähnen hindurch. Er hatte das Pump Action-Gewehr auf den Schoß genommen und überprüfte nun die Ladung. „Ist wirklich 'ne miese Gegend hier. Und an den Häusern scheint es nicht mal Nummern zu geben..."

„Meinst du, dass du das Riesengeschütz dort brauchst?", fragte Ed, der sich immer noch sehr anstrengte, draußen etwas erkennen zu können. Die Straßenbeleuchtung funktionierte nicht. Es war nur zu hoffen, dass sie sich nicht verfahren hatten.

„Ich bin in dieser Gegend lieber etwas besser bewaffnet.“

Barney verzog das Gesicht und gähnte. Eigentlich hätte er Feierabend gehabt, aber dann war diese Sache dazwischengekommen...

Verdammter Mist!, fluchte er innerlich.

„Ich wünschte, ich wäre zu Hause.“

„Wenn du das sagst...“

„Wieso?“

„Na, du beklagst dich doch immer über deine Alte!“

„Wir haben uns getrennt.“

„Du meinst: Sie ist abgehauen.“

„So kann man es auch sehen.“

„Und das erzählst du mir erst jetzt?“

„Na und?“

„Ich könnte jetzt auf dem Weg nach Hause sein und mich aufs Bett freuen. Stattdessen werde ich meinen Hals dabei riskieren müssen, um irgendeinen Spinner dingfest zu machen...“

„Und das nur, weil wir gerade am nächsten dran gewesen sind.“

„So ist das Schicksal! Zur falschen Zeit am falschen Ort...“

„Vorsicht, Ed!", schrie Billy dann, und sein Partner trat in die Eisen. Eine Gestalt stand auf der Straße und winkte erst im letzten Moment. Sie war nicht allein, da waren noch andere Leute.

Billy machte die Tür auf und stieg aus, das Gewehr hielt er in der Rechten.

„Gott sei Dank, Polizei! Kommen Sie schnell!", rief die Frau.

„Haben Sie uns gerufen?", fragte Barney.

„Eine Tote! Schnell!“

„Ob Sie uns gerufen haben, wollte ich wissen!“

„Ja, das war ich.“

Große Pupillen hat sie, dachte Barney. Wahrscheinlich drogensüchtig. Und ob sie im Moment überhaupt zurechnungsfähig war, musste man wohl in Zweifel ziehen.

„Ja, ich war das. Unser Hausmeister ist da oben!"

„Was hat das mit dem Hausmeister zu tun!“

„Gehen Sie doch einfach nach oben! Schnell!“

„Ja, ja...“

„Wenn Sie nicht schnell machen, ist es zu spät!“

„Immer mit der Ruhe, Lady!“

Sie deutete auf das mehrgeschossige Haus zur Rechten. In mehreren Stockwerken brannte Licht. "Schnell! Wahrscheinlich ist es schon zu spät!"

So etwas hört man gerne!, dachte Billy sarkastisch.

Und dabei waren sie nur ein paar Straßen entfernt gewesen, als sie verständigt wurden.

Keine fünf Minuten hatten sie bis hier her gebraucht, trotz der Lichtverhältnisse und der Tatsache, dass man hier von Hausnummern nichts zu halten schien.

Billy sah die Frau prüfend an. Im Schein der Wagenlampen sah er ihr Gesicht. Billy hätte sie unter normalen Umständen für fünfundvierzig geschätzt.

Ihre Zähne waren schlecht, ihr Teint auch.

Billy atmete tief durch.

Wahrscheinlich ist sie zehn Jahre jünger als sie aussieht!, dachte er. Wäre nichts Ungewöhnliches für diese Gegend.... Eine Cracksüchtige mit einem Crack-Gesicht. Wie ein Zombie. Nur, dass das kein Film war, sondern die Realität.

Und noch ein anderer Gedanke kam ihm. Ein Gedanke, der sich wie eine kalte, glitschige Hand anfühlte, die ihm jemand auf die Schulter legte.

Billy schluckte.

Wenn hier jemand die Polizei ruft, dann sicher nicht ohne triftigen Grund!

Ed schloss indessen den Polizeiwagen ab. Schließlich sollte hinterher nicht die halbe Ausrüstung fehlen. Er hielt das Handy in der Hand und lauschte angestrengt.

„Hast du den Captain, Ed?"

„Captain Delany ist unterwegs. Mit Verstärkung."

„Sollen wir warten? Wenn du mich fragst, ist der Kerl sowieso längst über alle Berge. Und ich habe ehrlich gesagt keine Lust, hier..."

„Wir sollen ihn schnappen", sagte Ed ernst. "Um jeden Preis."

Jetzt meldete sich wieder die Frau zu Wort. "Der Perverse muss noch im Haus sein!“

Billy hob die Augenbrauen.

„Hören Sie! Nach allem, was hier in der Gegend passiert ist, nach all den toten Nutten und diesen Perversen..."

„Schon gut", schnitt Billy ihr grob das Wort ab.

„Ist er bewaffnet?", fragte Ed unterdessen die Frau.

„Ich weiß nicht. Aber..."

Ed kniff die Augen zusammen, seine Brauen beschrieben dabei eine geschwungene Linie, die Skepsis ausdrückte.

„Aber was?", fragte er.

Die Frau flüsterte nur.

Aus ihren Augen leuchtete das blanke Entsetzen.

„Er muss es sein..."

„Was?"

„Das Monstrum!"

Dermaßen vage Aussagen liebe ich! Barney verzog das Gesicht.

Er machte seine Taschenlampe an, die er am Revers seiner Jacke hängen hatte. Der Lichtkegel ließ die Nase der Frau rötlich leuchten.

Alkohol!

Aber Billy fröstelte trotzdem.

„Wenn er aus dem Haus gekommen wäre, hätten wir das gesehen!", meinte einer der anderen Leute, ein Mann in den Sechzigern, der sein linkes Bein nachzog.

„Ist wirklich niemand aus dem Haus gekommen?“, fragte Barney.

„Jedenfalls kein Mann“, sagte jemand.

„Alles klar“, sagte Barney.

„Er muss also noch dort sein“, meinte Ed.

„Ja“, nickte Barney.

„Worauf warten wir noch?“

Barney schob sich die Mütze in den Nacken. Er sah kurz zu seinem Partner hinüber.

„Also los", knurrte er.

In seiner Magengegend spürte er einen Krampf.

Der Aufzug war defekt und die Treppe ziemlich schmal.

Auf manchen der Stufen war der Belag durchgelaufen. Ein undefinierbarer Geruch hing in der Luft. Wenn hier jemand als Hausmeister tätig war, dann hatte er seine Pflichten wohl nicht sonderlich ernst genommen.

Barney nahm immer zwei bis drei Stufen auf einmal, sodass Ed, der außerdem noch einen Kopf kleiner war, Mühe hatte, mit seinem Partner Schritt zu halten.

Keine Minute verging, dann hatten sie ihr Ziel erreicht.

Die Frau war auch mit hochgekommen.

Um sich das entgehen zu lassen, war sie einfach zu neugierig.

Barney fasste die Pump Action fester, während Ed mit dem Griff seines Polizeirevolvers an die Tür klopfte.

„Hier ist die Polizei! Machen Sie sofort die Tür auf!"

Aus der Wohnung war ein Geräusch zu hören. Es klang wie ein lautes Atmen oder Ächzen. Ein fast tierischer Laut. Eine volle Sekunde verstrich, ohne dass etwas geschah. Die beiden Cops sahen sich gegenseitig an. Barney nickte, und Ed trat die Tür ein. Es war eine wuchtige Bewegung, viel heftiger, als sie nötig gewesen wäre, um das morsche Holz splittern zu lassen.

Die Tür flog auf und Barney hob das Gewehr.

Der Blick war frei auf ein mieses Ein-Zimmer-Apartment, das lange nicht mehr neu tapeziert worden war. An einer Stelle begann Schimmel sich die Decke entlang zu fressen.

Die Einrichtung war karg. Ein Sofa, ein Tisch, ein Stuhl. Außerdem ein Kleiderschrank und eine Matratze.

Ausgestreckt auf dem Fußboden lag eine Leiche.

Weiblich.

Und kahl geschoren.

Um den Hals ein Würgemal.

Wie von einer Drahtschlinge, wie man später feststellen würde.

„Hier ist sonst niemand“, stellte Billy fest.

„Er muss über die Feuerleiter geflohen sein“, meinte Ed.

Barney ging zur Fensterfront. Er blickte in einen Hinterhof im Halbdunkel. Vom Täter war nichts zu sehen.

Hinter der Sofa-Garnitur fanden sie den Hausmeister. Er erwachte gerade aus seiner Bewusstlosigkeit. Mit einer Platzwunde am Kopf.

„Haben sie ihn gesehen?“, fragte Ed. „Den Täter, meine ich.“

„Nein. Konnte ich nicht. Bin gleich niedergeschlagen worden, als ich hier eintraf. Jemand hat um Hilfe geschrien...“

„Ganz ruhig, Mister...“

Er sah auf die Frauenleiche.

„Oh Gott.“

„Kennen Sie sie?“

„Ja, natürlich!“

„Der Täter muss noch in der Wohnung gewesen sein, als Sie eintrafen.“

„Sie sind schwer von Begriff, Officer? Ich habe eins auf die Rübe gekriegt!“

„Das wird sich alles gleich klären, Sir. Verstärkung ist unterwegs.“

2

Später traf die Mordkommission ein. Spuren wurden gesichert.

Captain Delany von der Homicide Squad machte ein ernstes Gesicht, während er telefonierte und seinen vorläufigen Bericht durchgab. „Ein Mord an einer mutmaßlich cracksüchtigen Prostituierten. Der Kerl hat sie mit einer Drahtschlinge abgemurkst. Niemand kann ihn beschreiben. Es gibt keine vernünftigen Spuren und sämtliche Zeugen sind mehr oder weniger vollgedröhnt.... nein, Sir vernünftige Aussagen können Sie da nicht erwarten. Zum Tathergang können wir nur sagen, dass die Tatwaffe mutmaßlich eine Drahtschlinge war. Der Täter war noch in der Wohnung, als eine andere Frau, die mit dem Opfer zusammen dieselbe Wohnung bewohnt, dorthin zurückkehrte und drinnen Schreie hörte. Sie rief den Hausmeister und die Polizei. Der Hausmeister bekam eins übergebraten, als er eintraf... Ja, seltsam, nicht? Der Täter ist trotz der Tatsache, dass er ertappt wurde, so lange am Tatort geblieben... Was weiß ich, vielleicht wollte er die Kopfrasur des Opfers beenden, keine Ahnung.“

Delany beendete das Gespräch und steckte sein Handy ein.

Barney stand in der Nähe und unterdrückte ein Gähnen.

„Schlecht geschlafen, Officer?“

„Geht so“, sagte Barney. „Ein Fall für den Aktenberg, was?“

„Darauf wird es hinauslaufen, fürchte ich.“

„Weil Nutten keine Lobby haben?“

„Weil Cracksüchtige kein Hirn mehr haben, mit dem sie eine vernünftige Aussage formulieren und ihre Erinnerungen sortieren könnten.“

„So kann man es auch sehen.“

„So sehe ich es.“

Barney sah auf die Uhr. „Ich hoffe, dass Theater hier ist bald zu Ende.“

Delaney nickte. „Wir machen Schluss, Leute!“, rief er.

„Der Gerichtsmediziner war noch nicht da!“, rief jemand.

„Der kriegt seine Leiche angeliefert und soll im Sektionsraum sehen, was er tun kann. Wir warten jetzt nicht länger.“

„Okay, Chief!“

„Haben Sie eine Ahnung, warum der Killer ihr die Haare abrasiert hat?“, fragte Barney.

„Ganz einfach: Weil er irre ist“, sagte Delaney.

Barney hob die Schultern. „Ich meinte, der muss das ziemlich routiniert und schnell über die Bühne gekriegt haben. Und auch ziemlich schnell...“

„Ja, wie einer, der Schafe schert.“

„Komischer Vergleich“, meinte Barney.

„Wieso?“

„Naja...“

„Ich hab die Tote ja nur mit einem Schaf verglichen – und nicht mit einem Unschuldslamm“, sagte Delany.

Einer der Spurensicherer kam zu Captain Delany. „Ich habe hier noch was gefunden“, meinte er.

„Was denn?“

„Ein Fläschchen. Wenn drin ist, was draufsteht, dann sind das K.O.-Tropfen.“

„Könnte der Täter zurückgelassen haben.“

„Genau.“

„Das Zeug soll ins Labor. Dann sehen wir weiter“, sagte Delany.

3

Jahre später...

Es war Nacht und der Big Apple hatte sich in ein Lichtermeer verwandelt. Von den Sternen war dadurch kaum etwas zu sehen.

Die schwarze Limousine hielt kurz vor dem Hotel Parrinder in der Davis Lane, Brooklyn. Eine junge Frau stieg aus der Tür hinten rechts. Sie trug einen sehr knappen Lederrock, hochhackige Schuhe und viel Make-up. Das wasserstoffblonde Haar war hochgesteckt. Auf der Holzspange war das Wort L’AMOUR in kunstvollen Lettern eingebrannt worden.

Die Blondine zählte ein paar Geldscheine und steckte sie in ihre Handtasche.

Das Seitenfenster der Limousine glitt hinab.

„Sehen wir uns nächste Woche?“, fragte eine Männerstimme.

„Du hast meine Nummer, ruf mich an.“

„Ich möchte, dass du dir den Mittwoch ab acht Uhr abends für uns reservierst, Eileen“, forderte der Mann, von dem nichts als ein heraus gelehnter Ellenbogen zu sehen war.

Eileen grinste.

„Dann musst du aber noch einen Schein drauflegen!“

„Okay! Bis dann!“

„Bye!“

Die Limousine fuhr davon. Eileen atmete tief durch und ging auf den flackernden Neonschriftzug des nahen Hotels zu.

Ein unscheinbarer Ford näherte sich jetzt. Der Fahrer musste Eileen beobachtet und gewartet haben, bis die Limousine fort war.

Hoffentlich nicht wieder so ein Perverser!, dachte sie und verzog das Gesicht. Selbst ein Lockvogel der Cops lässt sich leichter ertragen als so ein Schwein!

4

Die Seitenscheibe auf der Beifahrerseite öffnete sich. Eileen blieb stehen und blickte ins Innere. „Na, was kann ich für dich tun?“, fragte sie mit einem anzüglichen Unterton, der jedem potentiellen Freier gleich klarmachte, dass dieser Dialog ein Geschäft anbahnte. Auf der anderen Seite hatte sie nichts gesagt, was sie in den Augen des Gesetzes schon als Straftäterin gebrandmarkt hätte.

Prostitution war im Staat New York strafbar und die Vice-Abteilungen der zuständigen Polizeireviere setzten mit Vorliebe Lockvögel ein, um sowohl Prostituierte als auch Freier reihenweise anklagen zu können. Eine Vorgehensweise, die rechtlich sehr umstritten war, da die Polizei das von ihr angeklagte Vergehen selbst aktiv anbahnte. Weil es allerdings kaum im persönlichen Interesse der Angeklagten lag, diese Frage wirklich bis zum Obersten Gerichtshof durchzufechten, blieb es in zahlreichen Bundesstaaten bei dieser Praxis.

Eileen versuchte zu erkennen, wer hinter dem Steuer der Limousine saß. Die Gestalt beugte sich ihr entgegen. Etwas Licht fiel jetzt von der Leuchtschrift des nahen Hotels auf das Gesicht.

Eileen schüttelte den Kopf.

„Nein, tut mir leid, so etwas mache ich nicht!“, erklärte sie bestimmt.

Sie ging die Straße entlang Richtung Hotel. Dort hatte sie ein Zimmer. Der Wagen folgte ihr.

Die Gestalt am Steuer hatte jetzt auch die Seitenscheibe auf der Fahrerseite herabgelassen. Eine Hand in einem Lederhandschuh hielt Geldscheine empor.

Eileen drehte sich kurz um.

Dreihundert Dollar, durchfuhr es sie. Sie blieb stehen, der Wagen ebenfalls.

Sie umrundete den Wagen und trat auf der Fahrerseite an das geöffnete Seitenfenster. Die Hand hielt ihr das Geld hin. Etwas ließ sie zögern.

Dann nahm sie doch das Geld.

„Ich sagte ja, eigentlich mache ich so etwas nicht. Schließlich habe ich meine Grundsätze, aber…“

Stumm deutete die Gestalt auf den Platz auf dem Beifahrersitz. Eileen nickte. Sie umrundete den Wagen erneut und stieg ein.

„Du musst es ja ganz schön nötig haben!“, glaubte sie und steckte die Scheine in ihre Handtasche.

5

Es war kurz nach Mitternacht, als die Eingangstür des Hotels Parrinder zur Seite flog.

Ein Mann in einem hellgrauen Wollmantel trat ein. Das blauschwarze Haar trug er schulterlang. Es war zu einem Zopf zusammengefasst.

Mit weiten Schritten ging er quer durch das Foyer und zog eine Waffe hervor. Es handelte sich um eine sehr zierliche Maschinenpistole vom Typ Uzi.

Der Portier erstarrte und wollte in eine Schublade greifen, aber die Uzi knatterte bereits los. Ein Dutzend Schüsse ging knapp über den Portier hinweg und zeichnete hinter ihm ein Lochmuster in die Wand.

„Wo ist Eileen?“, fragte er anschließend.

„Ich... ich habe keine Ahnung!“, stotterte der Portier.

„Ich pump dich voll Blei, wenn du mir keine Antwort gibst! Ich lass mich nicht länger hinhalten!“

Ein Mann kam die Freitreppe herunter, die ins Obergeschoss führte. Er trug einen silbergrauen Maßanzug. Die Linke war in der Hosentasche verborgen.

„Jack Mancuso, immer noch der alte Hitzkopf! Was machst du hier für einen Zirkus?“, fragte er. „Zerballerst mir die ganze Einrichtung! Was glaubst du, was das alles kostet!“

Jack drehte sich um und richtete die Uzi auf den Mann im Anzug, eine grauhaarigen Endvierziger mit dünnem Oberlippenbart und einem überlegenen Lächeln.

„Ich habe tagelang versucht, dich zu erreichen, Sonny!“

„Und? Hier bin ich! Was gibt es zu besprechen?“

„Es geht um Eileen!“

„Sie hat sich entschieden, Jack.“

„So?“

„Sie will lieber für mich arbeiten. Da wird sie nämlich nicht so oft verprügelt und kann mehr von ihrem Geld für sich behalten. Außerdem kann ich sie beschützen – im Gegensatz dazu bist du eben ein Loser, Jack!“

Jacks Gesicht lief rot an. Sein Gesicht verzog sich zur Grimasse. Er richtete die Uzi in Kopfhöhe auf sein Gegenüber.

„Was ist los, willst du mal wieder durchdrehen, Jack? Wer einen Sonny Ricone bedroht, sollte sich das gut überleben. Ich habe nämlich viele gute Freunde, die du dann am Hals hättest…“

„Wo ist Eileen?“, wiederholte Jack.

Sonny Ricone grinste schief. „Ich verstehe schon, dass es dich ziemlich anpisst, dass Eileen jetzt bei mir ist. Immerhin hast du ja wohl ausschließlich von dem gelebt, was sie herangeschafft hat.“ Ricone zuckte mit den Schultern. „Dann hättest du halt etwas netter zu ihr sein sollen! Das letzte Mal hast du sie so zugerichtet, dass sie fast nicht mehr einsetzbar gewesen wäre! Glücklicherweise kenne ich einen guten Doc, der so etwas wieder hinkriegt! Aber jetzt hat sie von dir einfach die Nase voll! Akzeptier das und verschwinde.“

„Ich will das aus ihrem eigenen Mund hören!“

„Brad hat dir schon gesagt, dass sie nicht hier ist.“

„Wo finde ich sie, verdammt noch mal?“ Er ließ die MPi erneut losknattern. Die Schüsse fetzten in den Parkettboden, dicht vor Sonny Ricones Füße.

Dieser blieb seelenruhig stehen.

Sein Gesicht gefror zu einer eisigen Maske.

„Keine Ahnung, was du genommen hast und auf welchem Trip du gerade bist, aber der Stoff kann nicht gut gewesen sein, Jack! Eileen ist bei einem Kunden und hat jetzt keine Zeit für dich! Du wirst dich also mit meinen Auskünften zufrieden geben müssen.“

Jack atmete tief durch.

Er hatte sichtlich Mühe, sich unter Kontrolle zu halten. Seine Hand zitterte leicht. Mit dem Finger am Abzug einer Uzi war das nicht ungefährlich.

„Wir können über alles reden, Jack“, versuchte Sonny Ricone ihn zu beschwichtigen.

Schließlich senkte Jack die Waffe.

„Wie gesagt, ich möchte es von Eileen selbst hören!“

„Kannst du, sobald sie zurück ist.“

„Außerdem will ich eine Ablösesumme.“

„Was schwebt dir denn da so vor?“

„Mindestens 50 000 Dollar. Eileen ist ein Klasse-Girl. Sie bringt dir doch im ersten Vierteljahr schon mehr ein!“

„Ich werde darüber nachdenken!“, versprach Sonny Ricone.

Aber das war Jack nicht genug. Er hatte das Gefühl, dass Sonny ihn hereinlegen wollte.

Jack hob den Lauf der Uzi. „So nicht!“

Ein Geräusch, das an ein heftiges Niesen erinnerte, war jetzt von der anderen Seite zu hören. Dreimal kurz hintereinander wurde eine Automatik mit Schalldämpfer abgefeuert.

Jacks Körper zuckte unter den Treffern.

Er sackte in sich zusammen und fiel schwer auf den Boden.

Der Schütze trat aus einer seitlich gelegenen, offen stehenden Tür heraus, durch die es in die Zimmer des Erdgeschosses ging. Er war rothaarig, hatte starke Sommersprossen und trug einen eleganten, kobaltblauen Anzug aus einem fließenden, seideartigen Stoff. Die obersten drei Knöpfe seines Hemdes waren geöffnet. Ein kleines Kreuz aus Rotgold blitzte dort auf. Darüber befand sich ein tätowierter Adler mit gespreizten Schwingen.

„Das wurde aber auch höchste Zeit, Norman“, knurrte Sonny Ricone.

Der Mann, der Norman genannt worden war, grinste und begann damit, den Schalldämpfer abzuschrauben.

Anschließend wog er ihn in der Linken und meinte grinsend: „Ich konnte dieses verdammte Ding nicht finden!“

„Mann, das ist nicht witzig! Ich dachte schon, du tauchst gar nicht mehr auf.“ Sonny Ricone trat auf den am Boden liegenden Mann zu und drehte ihn mit dem Fuß herum.

„Ich habe doch gesagt, dass Jack Mancuso es sich nicht so einfach gefallen lassen wird, dass Eileen zu uns gewechselt ist“, meinte der Portier.

„Wie auch immer!“, presste Sonny Ricone zwischen den Zähnen hindurch. Er wandte sich an Norman. „Sorg dafür, dass dieses Stück Dreck auf Nimmerwiedersehen verschwindet.“

„In Ordnung.“

6

An diesem klaren, kalten Morgen holte ich meinen Kollegen Milo Tucker wie gewöhnlich an der bekannten Ecke ab. Er hatte sich inzwischen die Finger rot gefroren.

„Hast du keine Handschuhe, Milo?“

„Ich sollte mir wohl schleunigst welche besorgen, Jesse.“ Er rieb sich die Hände und schnallte sich an, während ich bereits losfuhr. „Zum Glück können wir uns gleich ja wohl auf einen Becher mit Mandys berühmtem Kaffee freuen!“

„Tut mir leid, daraus wird nichts.“

Er sah mich erstaunt an. „Wieso? Was ist los?“

„Schlechte Nachrichten, Mister McKee hat uns vorhin angerufen. Wir müssen zu einem Tatort.“

„Wo?“

„Liegt direkt auf dem Weg. Auf dem Heckscher Playground wurde von Joggern eine Leiche gefunden, die in unsere Serie passt.“

Zurzeit hatten wir es mit einer Serie von Prostituiertenmorden zu tun. Die Opfer waren mit einer Drahtschlinge erwürgt und kahl rasiert worden, weswegen der Täter in den Medien inzwischen den Beinamen „Barbier“ bekommen hatte. Die Tote vom Heckscher Playground war die Nummer sechs dieser Serie, deren erster Fall bereits sieben Jahre zurücklag. Anfangs hatte man natürlich noch nicht erkennen können, dass es sich um einen Serientäter handeln musste. Inzwischen war das aber unstrittig.

Nachdem der Barbier innerhalb eines halben Jahres gleich drei Mal zugeschlagen hatte, war das FBI Field Office mit dem Fall beauftragt worden.

Wir fuhren die Columbus Avenue Richtung Süden, bogen an der West 70th Street nach links bis zur spanisch-portugiesischen Synagoge. Anschließend ging es auf dem Central Park West weiter bis zur Holy Trinity Lutheran Church. Gegenüber befand sich die Einfahrt zur Transverse Road No.1, die quer durch den Central Park führte, sich beim Zoo teilte und dann in der Fifth Avenue mündete.

Auf der linken Seite der Transverse Road No. 1 lag eine Wiese mit der Bezeichnung ‚The Sheep Medeaw’, rechts der Heckscher Playground.

Zahlreiche Einsatzfahrzeuge der City Police und der Scientific Research Division waren bereits da und zeigten uns, wohin wir uns halten musste. Ein uniformierter Kollege wollte uns am Fundort der Leiche vorbeilotsen.

Ich hielt mit dem Sportwagen an, ließ das Fenster hinunter und zeigte ihm meinen Ausweis.

„Trevellian, FBI. Wir werden hier erwartet.“

„Fahren Sie noch ein Stück weiter und parken Sie links auf dem Rasen. Dann bleibt Platz genug für den Durchgangsverkehr.“

„Wirklich links?“

„Die rechte Seite sehen sich die Kollegen der SRD genauestens an.“

„In Ordnung.“

Ich fuhr also weiter.

Eine Reihe von Fahrzeugen säumte die linke Seite der Transverse Road No. 1. Schließlich fanden wir einen Platz, wo wir den Sportwagen abstellen konnten.

Anschließend liefen wir zum Heckscher Playground.

Spielgeräte, Sandkästen und Sitzbänke waren hier zu finden.

Ein breitschultriger Afroamerikaner Mitte fünfzig begrüßte uns. Er trug einen Knebelbart.

„Matt Gerber, Police Lieutenant bei der Homicide Squad“, stellte er sich vor.

„Jesse Trevellian, FBI. Dies ist mein Kollege Milo Tucker.“

„Die Tote wurde dort drüben, bei den Sträuchern neben dem Karussell gefunden. Wir können von Glück sagen, dass um diese Zeit noch keine Kinder zum Spielen hier sind!“

„Wer hat sie gefunden?“, fragte ich.

„Ein Jogger. Paul Davis, 44, Börsenmakler, hat eine Wohnung der Fifth Avenue und bezahlt dafür wahrscheinlich mehr, als ich im Monat verdiene.“ Lieutenant Gerber verzog das Gesicht. „Wir haben die Personalien aufgenommen. Wenn Sie noch mit ihm sprechen wollen… Es sind ja nur ein paar Minuten von hier bis zu seiner Adresse.“

„Mal sehen.“

Matt Gerber führte uns zum Karussell.

Die Stelle, wo die Tote in den Büschen gelegen hatte, war markiert. Die Leiche selbst befand sich bereits im Wagen des Gerichtsmediziners.

„Die äußerlich erkennbaren Tatumstände sprechen dafür, dass Sie zur Serie des ‚Barbiers’ gehört“, erklärte Matt Gerber. „Male am Hals deuten auf einen Draht als Tatwaffe hin. Außerdem hat man ihr sehr sorgfältig die Haare abrasiert.“

„Wurde sie vergewaltigt?“

„Dr. Claus meint nein. Aber genau können wir das natürlich erst nach der Obduktion ausschließen. Allerdings ist sie wohl gefesselt worden. Vermutlich mit handelsüblichen Kabelbindern.“

Einer der anderen Beamten der City Police, die an diesem Leichenfundort Dienst taten, trat auf uns zu und wandte sich an Gerber. „Wir haben alles abgesucht. Die Schuhe sind nicht zu finden.“

„Danke, Sergeant“, nickte Gerber.

„Was hat es mit den Schuhen auf sich?“, erkundigte sich Milo.

„Ganz einfach: Sie fehlen“, gab Gerber kurz und knapp Auskunft. „Sie hatte übrigens keinerlei Papiere bei sich. Wir wissen nicht, wer sie ist.“

Unsere Innendienstler würden das früher oder später herausfinden. Man konnte von der Toten Fingerabdrücke nehmen und sie mit den vielen Millionen Abdrücken vergleichen, die über AIDS, das Automated Identification System, für alle Polizeieinheiten abrufbar waren. Nicht nur die Fingerabdrücke von Kriminellen waren dort gespeichert, sondern auch die von Bewerbern für den öffentlichen Dienst oder die Streitkräfte. In diesem Fall lag sehr wahrscheinlich bereits eine Verurteilung oder Anklage wegen Prostitution vor, da die anderen Opfer des Barbiers auch Prostituierte waren.

7

Während Milo sich weiter mit Lieutenant Gerber unterhielt, suchte ich Dr. Brent Claus auf, der sich bei dem Leichenwagen befand, mit dem die Tote in die Gerichtsmedizin transportiert werden sollte.

Dr. Claus begrüßte mich freundlich.

Ich hatte bereits im Rahmen anderer Ermittlungen mit ihm zusammengearbeitet.

„Sie hatte nichts bei sich, was sie hätte identifizieren können“, berichtete Dr. Claus. „Kein Führerschein, keine Kreditkarte und kein Handy.“

„Das hat mir der Lieutenant bereits gesagt. Sind Sie sicher, was den Draht angeht?“

„Sie können gerne noch einen Blick auf die Leiche werfen.“

„In Ordnung.“

„Die Male am Hals sind ziemlich eindeutig. Wir werden natürlich noch genauere Untersuchungen anstellen. Ob sie eine Prostituierte war, wissen wir mit Sicherheit erst, wenn wir ihre Personalien kennen.“

„Wann starb sie?“

„Deutlich vor Mitternacht.“

Jemand hatte sie irgendwo in der Umgebung getötet und sie später genau hier, beim Karussell des Heckscher Playground einfach abgelegt.

„Dass wir die Obduktionsergebnisse so schnell wie möglich brauchen, muss ich ja wohl nicht extra betonen“, sagte ich.

„Bis die Leiche in unserem SRD-Labor in der Bronx ist, vergeht eine Dreiviertelstunde. Mindestens. Für die Obduktion brauche ich voraussichtlich nicht länger als drei Stunden. Da ich zwischendurch etwas essen möchte, können Sie mich gegen 15 Uhr anrufen, dann kann ich Ihnen eine mündliche Zusammenfassung geben. Mein diktierter Bericht kommt etwas später – je nachdem, wie viele Berichte gerade sonst noch in der Warteschleife hängen.“

„Okay“, murmelte ich.

Längst hatten sich entlang der mit Flatterband abgesperrten Zone Trauben von Passanten gebildet. Jogger, die ihren eigentlichen Fitnesslauf unterbrachen, um zu sehen, was hier los war und Rentner, die ihre Hunde ausführten. Außerdem ein Mountainbiker und ein paar junge Leute mit Roller Blades.

Mir fiel eine Passantin mit dunklem, schulterlangem Haar auf. Sie wirkte sehr elegant gekleidet. Nicht nur Ihr Business-Kostüm hob sie aus der Menge heraus, sondern auch die Tatsache, dass sie die Absperrungen der NYPD-Kollegen ziemlich dreist ignoriert hatte.

Von den uniformierten Kollegen hatte das noch niemand bemerkt.

Es waren wohl einfach auch zu wenige Einsatzkräfte vorhanden, um den Heckscher Playground tatsächlich komplett abzuriegeln. Die Schwarzhaarige hatte so nah bei uns gestanden, dass sie das Gespräch zwischen Dr. Claus und mir mit Sicherheit verstanden hatte.

„Wir hören voneinander“, sagte ich an den Gerichtsmediziner gewandt und trat anschließend auf die elegante Lady zu. Ich schätzte sie auf Ende zwanzig.

„Agent Jesse Trevellian, FBI!“, stellte ich mich vor. „Sie haben die Absperrungen übertreten. Es ist eigentlich nicht gestattet, sich jenseits des Flatterbandes aufzuhalten, wenn man nicht zum Kreis der dafür autorisierten Personen gehört.“

Sie zuckte zusammen. „Oh, das war mir nicht bewusst“, sagte sie. Ihr Lächeln war gleichermaßen charmant und verlegen.

„Oder sind Sie eine Zeugin und haben irgendetwas gesehen, was vielleicht zur Aufklärung dieses Falles beitragen könnte.“

„Nein. Ich bin keine Zeugin.“ Sie hob die Schultern. „Tut mir leid.“

„Dann muss ich Sie bitten, sich wieder hinter die Absperrung zu begeben.“

„Natürlich.“

Sie ging in Richtung des Flatterbandes, tauchte dann darunter hindurch und drehte sich wieder in meine Richtung, als sie sich auf der anderen Seite befand. Einige der Passanten, die sich entlang des Flatterbandes aufgestellt hatten, um möglichst viel mitzubekommen, machten etwas widerwillig Platz. Ein Hund knurrte und wurde von seinem Besitzer zur Ruhe ermahnt.

„Sagen Sie, stimmt es, dass man dem Opfer sämtliche Haare abgeschnitten hat, Agent Trevellian?“, fragte mich die Schwarzhaarige.

„Es wird zu gegebener Zeit eine Erklärung unserer Pressestelle an die Medien geben, sodass Sie alle Einzelheiten erfahren können“, erklärte ich ausweichend. Ich hielt meine ID Card hoch. „Ist unter Ihnen noch jemand, der sachdienliche Hinweise geben kann?“, fragte ich. „Falls Sie sich nicht hier und jetzt zu einer Aussage entschließen können, rufen Sie einfach die Nummer des FBI Field Office New York an – oder die Ihres zuständigen Polizeireviers. Ich danke Ihnen.“

„Sir, wenn ich Sie kurz sprechen könnte!“, meldete sich ein älterer Mann zu Wort, der einen angeleinten Terrier mit sich führte.

„In Ordnung, wir gehen ein Stück zur Seite“, erwiderte ich.

„Ich mache morgens gegen fünf meine erste Runde durch den Central Park. Vom Columbus Circle aus, den West Drive entlang, dann bei den Bowling Greens links und anschließend hier am Heckscher Playground vorbei zurück zum Ausgangspunkt.“

„Und was haben Sie gesehen?“

„Einen viertürigen Ford, der an der Transverse Road No.1 hielt. Jemand machte sich am Kofferraum zu schaffen.“

„Konnten Sie denjenigen sehen, der am Kofferraum beschäftigt war?“

„Nein. Die Klappe stand offen, ich konnte den Kerl nicht sehen.“

„Wo standen Sie genau?“

Er streckte die Hand aus. „Dort auf der Brücke!“

„Dann möchte ich mit Ihnen dorthin gehen und mal sehen, wie der Blick ist.“

„Gerne.“

8

Der alte Mann hieß Allister Reagan, war 81 Jahre alt, verwitwet und hatte drei erwachsene Kinder, die er nur selten sah, weil ihre Jobs sie über die gesamten USA verstreut hatten. Innerhalb der fünf Minuten, die wir brauchten, um auf die Brücke zu gelangen, über die der East Drive geführt wurde, um die Transverse Road No.1 zu überqueren, erzählte er mir seine halbe Lebensgeschichte.

Schließlich standen wir auf der Brücke und Reagan beschrieb mir exakt die Position, an der er den Wagen gesehen hatte.

„Ich habe leider nicht weiter darauf geachtet“, bekannte er. „Ich meine, wer denkt denn auch daran, dass da vielleicht jemand eine Leiche aus dem Kofferraum holt und auf einem Spielplatz abgelegt. Das ist doch pervers!“

„Wie kommen Sie denn darauf, dass die Leiche dort abgelegt wurde und man das Opfer nicht auf dem Playground umgebracht hat?“

Er sah mich etwas verdattert an, nahm seine dicke Brille ab und putzte mit einem Taschentuch über die Gläser. „Das haben die Leute gesagt, die das Glück hatten eher da unten zu sein und mehr von den Ermittlungen mitzubekommen.“

„Ach, so. Wie stark ist übrigens Ihre Brille?“

„Fünf Dioptrien. Aber mit Brille sehe ich ausgezeichnet. Und das da ein Ford stand, da bin ich mir sicher!“

„Können Sie sich an das Modell erinnern?“

„Ich kenne mich mit den Bezeichnungen nicht so aus.“

„Wären Sie dann so freundlich, sich in unserem Field Office an der Federal Plaza ein paar Bilder verschiedener Ford-Modelle anzuschauen? Vielleicht gelingt es Ihnen ja, das richtige zu identifizieren.“

Allister Reagan nickte. „Aber nur, wenn Sie mich in Ihrem Wagen mitnehmen und mein Hund dabei sein kann. Ich besitze nämlich keinen gültigen Führerschein mehr und in der Subway fühle ich mich nicht sicher.“

„Kein Problem, Mister Reagan.“

9

An der Stelle, die Reagan uns angegeben hatte, waren tatsächlich Reifenspuren zu finden. Ein Fahrzeug war dort an den Rand gefahren. Die beiden Räder auf der rechten Seite hatten dabei auf der Rasenfläche Spuren hinterlassen. Da der Boden sehr weich war, konnte man allerdings kein brauchbares Profil gewinnen.

Wir brachten Mr Reagan etwas später zum Bundesgebäude an der Federal Plaza 26. Milo quetschte sich dafür in den engen Fond des Sportwagens, während Reagan auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Der Hund befand sich zu seinen Füßen.

Während sich unser Innendienstkollege Max Carter um die Auswertung der Fingerabdrücke kümmerte, die man der Toten abgenommen hatte, verbrachten Milo und ich geschlagene zwei Stunden damit, Allister Reagan verschiedene viertürige Ford-Modelle auf einem Computerschirm zu zeigen.

Zunähst glaubte er, das Modell erkannt zu haben, dann wurde er jedoch unsicher, identifizierte schließlich auch einen von mir in die Bildreihe geschmuggelten Mitsubishi als Ford und wurde sich immer unsicherer.

Schließlich ließen wir ihn von einem Kollegen unserer Fahrbereitschaft nach Hause bringen.

„Wir wissen, dass da heute Morgen ein viertüriger metallicfarbener Wagen – wahrscheinlich ein Ford – mit zwei Reifen auf dem Rasen stand“, fasste Milo die Ergebnisse der Befragung von Allister Reagan zusammen. „Hast du eine Ahnung, wie viele es davon in New York gibt?“

„Hunderttausende“, schätzte ich.

„Optimistisch geschätzt. Wahrscheinlich sind es mehr. Und Metallic ist nun auch nicht gerade ein seltener Farbwunsch. Vom Nummernschild konnte Mister Reagan ja leider nichts erkennen und angesichts seiner Sehschwäche frage ich mich, was er überhaupt mitbekommen hat.“

„Möglicherweise wurde dieser Wagen ja noch von jemand anderem beobachtet. Wir wissen jetzt zumindest den Zeitpunkt, an dem die Leiche abgeladen wurde.“

Inzwischen hatte Max Carter die Identität der Toten anhand ihrer Fingerabdrücke herausbekommen.

Er suchte Milo und mich in unserem gemeinsamen Dienstzimmer auf und zeigte uns einen Computerausdruck.

„Ich habe euch die Daten auf den Rechner geschickt. Die Tote hieß Eileen Genardo. Es gibt mehrfache Verurteilungen wegen Prostitution, einmal wegen gemeinschaftlichen Raubes. Ein Freier wurde niedergeschlagen, um ihm die Geldbörse und diverse andere Wertgegenstände zu entwenden.“

„Gemeinschaftlicher Raub?“, echote Milo. „Wer war denn noch an der Tat beteiligt?“

Ich hatte inzwischen den Rechner hochgefahren, sodass wir die Daten auch auf dem Schirm hatten.

„Der Mittäter war ein gewisser Jack Mancuso, angeblich ihr Lebensgefährte – wahrscheinlich aber auch ihr Zuhälter. Eine Anklage wegen Förderung der Prostitution führte jedoch aus Mangel an Beweisen nicht zu einer Verurteilung.“

„Die letzte Adresse, unter der ihr Bewährungshelfer Eileen Genardo erreichen konnte, ist in der Boerum Street in Brooklyn“, stellte ich fest. „Hausnummer 21.“

„Das ist identisch mit der letzten Adresse, die wir von Jack Mancuso haben“, stellte Max fest. „Gleich um die Ecke am Broadway gibt’s einen Club mit der Bezeichnung ‚Hidden Joy’, in dem Mancuso längere Zeit als Rausschmeißer gearbeitet habe.“

Max meinte natürlich den Broadway in Brooklyn, nicht die gleichnamige Theatermeile im Herzen Manhattans. „Eileen war da mal Gogo-Tänzerin.“

„Scheint, als hätte man ihr dort nicht genug gezahlt, um sie in dem Job zu halten“, kommentierte Milo Max' Angaben.

„Ich schlage vor, wir schauen uns das traute Heim von Miss Genardo mal an“, meinte ich. „Und es wäre sicher auch ganz aufschlussreich mit Jack Mancuso zu sprechen.“

„Gute Idee, aber ich soll euch von Mister McKee ausrichten, dass vorher eine kurze Besprechung in seinem Büro ansteht.“

10

Mr McKee, der Chef des FBI Field Office New York, nippte an seinem Kaffee und hielt mit der anderen Hand einen Telefonhörer, als wir sein Büro betraten. Max Carter begleitete uns. Mr McKee nickte uns knapp zu. Außer uns befanden sich noch die Agenten Clive Caravaggio und Orry Medina sowie die Erkennungsdienstler Sam Folder und Mell Horster im Raum. Normalerweise nutzen wir zwar die in der Bronx gelegenen Labors der Scientific Research Division, deren Hilfe allen New Yorker Polizeieinheiten zusteht, aber wenn es nötig ist, unterstützen wir deren Arbeit durch den Einsatz eigener Erkennungsdienstler, Ballistiker oder anderer wissenschaftlich ausgebildeten Spezialisten.

Mr McKee beendete inzwischen sein Telefongespräch.

„Das war Dr. Claus mit ersten Obduktionsergebnissen. Er ist zwar noch nicht ganz fertig, aber wir können es jetzt wohl als sicher ansehen, dass die Tote zur Serie des Barbiers gehört. Es sind alle Merkmale vorhanden, die auch auf die anderen Opfer zutrafen: Die Opfer wurden zunächst mit K.o.-Tropfen betäubt und anschließend gefesselt. Etwas später wurden sie dann mit einer Drahtschlinge erwürgt und schließlich irgendwo abgeladen.“

An der Wand von Mr Highs Büro hing eine Karte des Großraums New York. Die Fundorte der einzelnen Opfer waren markiert. Die meisten hatte man auf dem Gebiet von Manhattan gefunden. Eine im Lindsay Park, Brooklyn. Gail Montgomery, das erste Opfer war vor sieben Jahren in der Uferzone des Queens Bridge Parks gefunden worden. Wir nahmen an, dass der Täter versucht hatte, die Leiche im East Channel zwischen Franklin D. Roosevelt Island und Long Island City zu versenken, dies aber erstens sehr dilettantisch getan hatte und zweitens vielleicht gestört worden war.

„Viel mehr gibt es im Moment leider noch nicht zu sagen, außer dass die verwendete Drahtschlinge rostig gewesen ist, was ebenfalls für sämtliche Opfer gilt, sodass es wohl ausgeschlossen ist, dass irgendeiner dieser Morde in einem anderen Zusammenhang gesehen werden muss“, fuhr Mr McKee fort. „Allerdings möchte ich noch ein paar Worte in Bezug auf die Tatortabschirmung am Heckscher Playground loswerden.“ Mr McKee wandte sich an Milo und mich. „Das, was ich jetzt sage, ist keine Kritik an Ihnen beiden, schließlich war das Kind schon in den Brunnen gefallen, als Sie am Fundort der Toten eintrafen. Ich hatte vorhin ein eher unfreundliches Gespräch mit Captain Willard Gresky, dem Chief des zuständigen Reviers. Dieser Lieutenant Gerber hat es zugelassen, dass wichtige Details der Ermittlungen an die Medien gegangen sind und sich jetzt jeder Konsument des Kabelfernsehens darüber informieren kann, wenn er will. Beispielsweise wurde die Nachricht über den Ford sofort verbreitet.“

„Und dabei hat Mister Reagan noch nicht einmal den richtigen Typ identifizieren können“, gab Milo zu bedenken.

„Das sehen einige Reporter offenbar anders.“ Mr McKee atmete tief durch. „Ich hoffe, dass so etwas das nächste Mal nicht passiert. Das gibt doch nur Leuten wie diesen Trittbrettfahrern das nötige Material.“

Es gab einen anonymen Anrufer, der von sich behauptete, die Morde begangen zu haben. In den kurzen Statements, die er bei seinen Anrufen von sich gab, bezog er sich allerdings ausschließlich auf den ersten Fall. Tatsächlich schien er auch einiges über Gail Montgomery zu wissen und stammte vielleicht aus ihrem immensen Bekannten- und Kundenkreis.

Aber was die anderen Opfer anging, so bekam er nicht einmal die Namen vollständig auf die Reihe, was bei jemandem, der sich ansonsten so akribisch über zumindest ein Opfer informiert hatte, sehr ungewöhnlich war. Wir nahmen daher an, dass es sich eher um einen Wichtigtuer handelte, der davon träumte, irgendwann einmal einen großen Auftritt in einem Mordprozess zu haben. Dass er sein Leben damit womöglich ruinierte, schien ihm weniger wichtig zu sein, als zumindest einmal im Rampenlicht der Öffentlichkeit zu stehen und das Interesse einer ganzen Stadt – und später im Prozess vielleicht des ganzen Landes auf sich gerichtet zu wissen.

Leider hatten wir im Rahmen von spektakulären Mordfällen immer wieder mit Menschen zu tun, die uns mit ihren falschen Geständnissen wertvolle Zeit stahlen.

Einstweilen schätzten wir diesen Anrufer als unglaubwürdig ein. Trotzdem waren wir hinter ihm her, da wir annahmen, dass er Gail Montgomery gut gekannt haben musste und von daher vielleicht ein wertvoller Zeuge war.

„Leider war es bisher nur möglich, die Anrufe zu Telefonzellen in Long Island City zurückzuverfolgen“, erklärte Clive Caravaggio. „Wir nehmen daher an, dass der Trittbrettfahrer dort lebt.“

„Gibt es irgendeine Verbindung zwischen Gail Montgomery und Long Island City?“, erkundigte sich Mr McKee.

Clive schüttelte den Kopf. „Nein. Sie hat weder dort gelebt noch gibt es irgendeine andere Verbindung zu dieser Gegend in Queens, die uns momentan bekannt wäre.“

„Ich nehme an, dass es uns im Moment eher weiterbringt, wenn wir uns zu Jack Mancuso, den Lebensgefährten und vermutlich auch Zuhälter von Eileen Genardo kümmern“, schlug ich vor. „Der müsste Eileen eigentlich längst vermissen.“

„Eine Vermisstenanzeige ist aber ihretwegen definitiv nicht eingegangen“, stellte Mr McKee fest. „Aber tun Sie das ruhig, Jesse. Versuchen Sie, Mancuso aufzuspüren.“

11

Zwei Stunden später suchten wir Jack Mancusos Wohnung in der Boerum Street in Brooklyn auf. Das Haus Nummer 21 war ein ehemaliges Lagerhaus, das irgendwann in den Siebzigern in ein Apartmenthaus umgewandelt worden war.

Mir fiel auf, dass die Post von heute noch in Mancusos Brieffach steckte, während alle anderen Bewohner von Nummer 21 ihre Fächer bereits gelehrt hatten.

Der Lift war früher als Lastenaufzug benutzt worden und die Kabine so groß, dass ein Kleinwagen darin Platz gehabt hätte.

Wenig später standen wir vor der Tür zu Mancusos Wohnung. Milo betätigte die Klingel. Keine Reaktion.

Milo probierte es ein zweites Mal. „Mister Mancuso?“, rief ich. „Hier ist das FBI! Machen Sie bitte auf!“

Ich drückte leicht gegen die Tür. Sie war nur angelehnt und öffnete sich einen Spalt. An dem herkömmlichen Zylinderschloss waren Spuren von Gewalteinwirkung zu sehen.

Milo und ich zogen die Dienstwaffen. Ich gab der Tür einen Stoß. Sie flog zur Seite. Milo trat zuerst ein. Der Raum vor uns war ziemlich groß und vor allem hoch. Die Deckenhöhe betrug sicherlich mehr als viereinhalb Meter.

Es war offensichtlich, dass bereits jemand vor uns da gewesen war, der alles durchwühlt hatte. Die Polstermöbel waren aufgeschlitzt, alle Schubladen geöffnet und ausgeleert und der Inhalt sämtlicher Regale auf den Fußboden geworfen.

In einer Ecke befand sich ein Computer, dessen Gehäuse aufgeschraubt worden war.

Es stellte sich später heraus, dass jemand die Festplatte mitgenommen hatte.

Die Tür zum Nebenraum stand halb offen. Mit der Waffe im Anschlag ging ich hinein und gelangte in ein Schlafzimmer, in dessen Mittelpunkt ein riesiges Wasserbett stand. Auch hier war alles durchwühlt und auf dem Boden verstreut worden. Die Kleiderschränke standen offen. Zwei Drittel der Sachen waren eindeutig für eine Frau bestimmt.

Milo schaute kurz im Bad und in der Küche nach, wo ebenfalls niemand anzutreffen war.

Ich steckte die Waffe weg.

„Wir sind offenbar zu spät dran, Jesse“, sagte Milo, während er in der Tür zum Bad stand und ebenfalls seine Waffe einsteckte. Anschließend griff er zum Handy.

„Zumindest haben wir jetzt einen Grund, diese Wohnung zu durchsuchen“, meinte ich.

„Und wenn Mister Mancuso gleich in der Tür steht und behauptet, dass dies der Normalzustand seiner Wohnung wäre?“

„Das glaubst du doch nicht im Ernst, Milo!“

„Nein, aber wir würden ziemlich alt aussehen.“

„Auf den Fluren gab es eine Videoüberwachung. Und da der oder die Einbrecher offensichtlich durch die Tür gekommen sind, müssten sie gefilmt worden sein.“

„Dann schlage ich vor, wenden wir uns als Nächstes an die Hausverwaltung.“

12

Der Hausverwalter hieß George Wendell. Außerdem gab es insgesamt sechs Wachmänner, die in einem Wechselschicht-System rund um die Uhr gewährleisteten, dass in den Fluren von Nummer 21 nichts geschah, was das gegen das Gesetz war.

Im Wesentlichen bestand ihre Aufgabe darin, die Überwachungskameras im Auge zu behalten.

Der Wachmann, der gerade Dienst hatte, hieß Ray Jamison und war ein mittelgroßer Mann mit leichtem Übergewicht und dunklen Haaren.

Während Milo sich in der Wohnung weiter umsah, nahm ich mir zusammen mit Ray Jamison die in Frage kommenden Videoaufzeichnungen vor.

„Die Aufnahmen werden auf einer Festplatte aufgezeichnet“, erklärte Jamison, der dabei auf der Tastatur seines Computers herumtippte, um die entsprechenden Daten herauszusuchen.

„Wir hatten einen Ausfall der Überwachungsanlage zwischen drei und vier Uhr heute Nacht“, berichtete Jamison.

„Ich würde gerne wissen, wann Jack Mancuso seine Wohnung verließ.“

„Das lässt sich schnell beantworten. Um die Haustür zu passieren, braucht man eine Chip Card. Irgendwann wollen wir die Türschlösser zu den einzelnen Wohnungen auch auf Chip Cards umstellen, aber das wird sich noch ein halbes Jahr hinziehen…“ Jamison ließ die Finger über die Tastatur tanzen und fuhr schließlich fort: „Mister Mancuso hat den Haupteingang um kurz nach drei passiert und das Haus um kurz vor vier wieder verlassen. Seitdem ist er nicht zurückgekehrt. Wie sind Sie eigentlich hereingekommen?“

„Wir haben einfach bei einer anderen Wohnung geklingelt“, sagte ich.

Jamison grinste. „Ich verstehe.“

„Wir gehen also davon aus, dass jemand mit Jack Mancusos Chip Card das Haus genau in dem Zeitraum betreten und wieder verlassen hat, in dem Sie einen Systemausfall hatten. Finden Sie das nicht verdächtig?“, fragte ich.

Jamison hob die Schultern. „Nun, wenn Sie das so sagen…“

„Es könnte doch sein, dass jemand anderes zuvor Mancuso die Chip Card abgenommen hat, um damit in seine Wohnung einzubrechen. Allerdings hatte dieser Unbekannte wohl nicht den Schlüssel für die Wohnungstür dabei, sonst hätten der oder die Täter nicht das Schloss aufzubrechen brauchen.“

„Wir haben die Türschlösser mit einer elektronischen Sicherung versehen. Man muss zuerst eine Zahlenkombination eingeben. Die Tastatur befindet sich hinter einer seitlich der Tür in die Wand eingelassenen Klappe. Aber wenn die neue Anlage erst eingebaut ist, dann bekommen wir hier in der Sicherheitszentrale Alarm, wenn jemand versucht, am Schloss herumzumanipulieren.“

„Wann hat Mancuso vor dem Zeitraum des Systemausfalls zuletzt seine Wohnung verlassen?“

„Kurz nach acht am Abend. Zumindest hat er da die Chip Card benutzt, um die Tür am Haupteingang zu öffnen.“

„Aber wenn er das Haus in einem Moment verlassen hätte, in dem gerade jemand anders die Tür öffnete, hätten wir darüber jetzt keine Aufzeichnungen, richtig?“, hakte ich nach.

Jamison schüttelte den Kopf. „Nein, Agent Trevellian, das ist ausgeschlossen. Unsere Bewohner müssen die Chip Card in jedem Fall durch den Schlitz ziehen, um ins Freie zu gelangen. Ansonsten kann es ihnen passieren, dass das System nicht reagiert, wenn sie später wieder hinein wollen.“

Ich seufzte. „Sicherheit hat ihren Preis, was?“

„Ich gebe zu, dass unser System in diesem Punkt noch verbesserungsfähig ist und man hat mir auch versprochen, dass daran gearbeitet wird.“

„Ach, so.“

„Aber unsere Mieter schätzen die Sicherheit, die Ihnen hier geboten wird und sind auch bereit, dafür ein paar Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen.“ Jamison lachte heiser. „Die können sich den Spaß auch leisten. Ich selbst wohne mit meiner Familie in einem ganz normalen Wohnblock hier in Queens – ohne irgendwelchen Security Schnickschnack.“

„Es dürfte doch nicht allzu schwierig sein, mir die passende Aufnahme herauszusuchen, die zeigt, wie Mancuso das Haus verließ.“

„Sofort, Agent Trevellian. Ich habe sie gleich.“

Es dauerte nicht einmal eine halbe Minute und Jamison hatte gefunden, wonach ich suchte.

Deutlich war zu sehen, wie Jack Mancuso seine Wohnung verließ. Anschließend sah man ihn im Flur, im Lift und schließlich in der Eingangshalle von Haus Nummer 21.

„War es das, was Sie suchten?“, fragte Jamison.

Ich nickte. „Ich brauche die gesamten Aufzeichnungen der letzen Zeit auf einem Datenträger.“

„Wir zeichnen nur zwei Wochen auf und löschen dann die Speicher.“

„Dann eben die Daten dieses Zeitraums.“

„Ich sitze Wochen daran, Ihnen das auf DVDs zu brennen.“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, brennen Sie mir nur diese Sequenz auf DVD. Für den Rest schicke ich Ihnen einen unserer Spezialisten her, der alles auf eine mobile Festplatte speichert.“

Jamison wirkte erleichtert.

„In Ordnung.“

„Und dann möchte ich noch wissen, wer von Ihren Leuten während der Zeit des Systemausfalls Dienst hatte.“

Jamison zögerte. „Ich möchte niemanden in Schwierigkeiten bringen“, meinte er. „Sehen Sie, ich bin noch nicht lange dabei und ziemlich froh diesen Job bekommen zu haben.“

„Sie werden Schwierigkeiten bekommen, wenn Sie keine Aussage machen“, hielt ich ihm entgegen und zeigte ihm zwei Fotos von Eileen Genardo. Eines zeigte sie bei ihrer letzten Verhaftung, noch etwas jünger und vor allem lebendig und mit vollem Haar.

Das andere war am Fundort der Leiche auf dem Heckscher Playground aufgenommen worden.

Jamison sah sich vor allem das zweite Bild an.

„Diese Frau wohnte bei Jack Mancuso, auch wenn Sie vielleicht Schwierigkeiten haben, sie wieder zu erkennen. Uns geht es darum herauszufinden, wer sie getötet und so zugerichtet hat. Sie hieß Eileen Genardo und arbeitete als Callgirl.“

„Der Barbier…“, murmelte Jamison. „Ich habe davon gehört. Aber wieso glauben Sie, dass der Einbruch in Mister Mancusos Wohnung damit zu tun hat?“

„Das wissen wir nicht“, widersprach ich. „Aber Tatsache ist, dass Jack Mancuso ein wichtiger Zeuge ist und in so fern liegt uns sehr daran, ihn so schnell wie möglich zu finden und alles, was mit Mancuso zu tun hat, hat auch zunächst einmal mit diesem Fall zu tun.“

Jamison atmete tief durch.

„Unser Kollege Dan McGregor hatte hier Dienst, als es zum Systemausfall kam“, gab er mir schließlich Auskunft. „Ich schreibe Ihnen die Adresse auf.“

„War McGregor allein hier?“

„Ja. Eine Doppelbesetzung wäre zwar wünschenswert, aber dazu ist unser Haus zu klein.“

13

In der Zwischenzeit trafen unsere Erkennungsdienstler Sam Folder und Mell Horster ein, um in der Wohnung von Jack Mancuso nach Spuren der Einbrecher zu suchen. Mr McKee berichtete uns am Telefon, dass er erhebliche Schwierigkeiten beim Erwirken eines Durchsuchungsbeschlusses gehabt hatte.

Dass wir die Wohnung betreten hatten, war angesichts der Umstände rechtens. Aber die Umstände des Einbruchs waren noch längst nicht klar – ebenso wenig, ob ein Zusammenhang zur Mordserie des Barbiers bestand.

Etwas anders hätte der Fall ausgesehen, wenn Jack Mancuso vermisst gemeldet oder umgebracht worden wäre.

Aber dafür gab es bis jetzt nur vage Anhaltspunkte, die sich zudem auch anders interpretieren ließen.

Mr McKee gelang es allerdings, die Justiz von der Notwendigkeit der Untersuchungen zu überzeugen.

Während Sam und Mell in Mancusos Wohnung alles genauestens unter die Lupe nahmen, suchten wir die Adresse des Wachmannes auf, der während der Zeit des Systemausfalls der Überwachungsanlage Dienst gehabt hatte.

Dan McGregor bewohnte mit seiner Familie die dritte Etage eines Mietshauses mit Brownstone-Fassade in Williamsburg.

Mrs McGregor öffnete uns.

Wir hielten ihr unsere ID-Cards entgegen.

„Jesse Trevellian, FBI. Dies ist mein Kollege Milo Tucker. Wir möchten gerne mit Ihrem Mann sprechen!“

Mrs McGregor war eine dunkelhaarige Frau in den Dreißigern. Sie trug einen etwa zweijährigen Jungen auf dem Arm, der uns neugierig musterte.

„Worum geht es denn?“, fragte sie.

„Das werden wir Ihrem Mann schon persönlich sagen müssen!“, entgegnete Milo und kam mir damit um einen Bruchteil einer Sekunde zuvor.

Mrs McGregor führte uns ins Wohnzimmer und bot uns einen Platz auf der Ledergarnitur an, die den gesamten Raum sehr eng erscheinen ließ.

Mrs McGregor verschwand einen Augenblick lang in einem Nachbarraum. Den Jungen behielt sie dabei die ganze Zeit über auf dem Arm.

Wenig später kehrte sie zurück.

„Mein Mann kommt gleich. Möchten Sie einen Drink?“

„Nein danke“, entschied ich für meinen Partner und mich, was Milo mit einem bedauernden Blick quittierte.

„Sie sind im Dienst, nicht wahr? Tut mir leid, daran hatte ich nicht gedacht“, sagte Mrs McGregor. „Mein Mann hat bis gerade noch geschlafen, da er heute Nachtschicht hatte“, fuhr sie fort.

In diesem Augenblick trat ein großer, breitschultriger Mann in Jeans und T-Shirt ins Zimmer.

„Dan McGregor?“, fragte ich.

Er nickte.

„Meine Frau sagte, Sie wollen mich sprechen.“

Er verschränkte die Arme vor der Brust. Ich hielt ihm den Dienstausweis entgegen. „In die Wohnung von Jack Mancuso wurde eingebrochen. Vermutlich genau in der Zeitspanne, in der es einen Totalausfall des Sicherheitssystems gab.“

„Na, und? Das ist bedauerlich, aber so etwas passiert nun mal.“

„Der oder die Einbrecher waren im Besitz von Mancusos Chip Card. Möglicherweise lebt der Wohnungsinhaber gar nicht mehr“, ergänzte Milo „Ich weiß nicht, ob Sie wirklich gerne in so etwas hineingezogen werden wollen oder uns besser gleich die Wahrheit sagen.“

„Wovon reden Sie?“, fauchte McGregor.

„Wir nehmen an, dass Sie den Ausfall des Überwachungssystems ausgelöst haben“, äußerte ich meine Überzeugung. „So groß können die Zufälle nämlich gar nicht sein.“

„Haben Sie Beweise?“

„Ich schlage vor, Sie arbeiten mit uns zusammen, bevor unsere Spezialisten diese Beweise in mühevoller Kleinarbeit sichern müssen.“

„Sie können mich mal!“, knurrte McGregor. „Wenn Sie keinen Haftbefehl oder etwas in der Art haben, sage ich Ihnen keinen Ton mehr und schmeiße Sie außerdem achtkantig raus!“

„Okay, wir können Sie auch vorläufig festnehmen“, erwiderte ich. „Und wenn dann jemand von den Medien herausbekommen sollte, dass Ihre Festnahme im Zusammenhang mit dem Fall des Barbiers erfolgte, habe Sie für die nächsten Monate keine ruhige Minute mehr, das verspreche ich Ihnen.“

McGregor blicke kurz zu seiner Frau hinüber, dann trat er einen Schritt auf mich zu, baute sich breitbeinig auf und sah mir direkt in die Augen. Auf seiner Stirn zeigte sich dabei eine tiefe Furche.

„Der Barbier? Sie meinen diesen irren Killer, der durch die Straßen rennt und Frauen skalpiert?“

Ich nickte. „Ja.“

„Aber was verdammt noch mal hat Mancuso damit zu tun?“

„Kannten Sie seine Lebensgefährtin?“, fragte Milo.

McGregor drehte den Kopf um dreißig Grad und nickte. „Ja. Die war immer ziemlich aufgetakelt, sodass man fast auf die Idee kommen konnte…“ Er sprach nicht weiter. „Ist sie ein Opfer dieses Wahnsinnigen geworden?“

„Ja“, nickte ich.

„Ich habe heute noch keine Nachrichten gehört, sonst hätte ich sicher schon etwas davon mitbekommen.“ Er schluckte und fuhr fort: „Eileen Genardo wohnte bereits ein paar Wochen nicht mehr bei Mancuso. Deshalb weiß ich nicht, weshalb Sie annehmen, dass dieser Einbruch etwas mit dem Kerl zu tun hat, der Prostituierte umbringt und sie anschließend rasiert.“

„Wie viel hat man Ihnen gegeben, damit das Überwachungssystem fast eine Stunde lahm gelegt war?“, fragte jetzt Milo in scharfem Tonfall. „Oder haben Sie doch mehr mit der Ermordung von Eileen Genardo zu tun?“

„Hey, jetzt versuchen Sie nicht, mir irgendetwas anzuhängen!“, rief er aufgebracht.

„Okay“, meinte ich. „Dann begleiten Sie uns zur Federal Plaza und betrachten Sie sich als vorläufig festgenommen. Sollen sich unsere Verhörspezialisten mit Ihnen herumschlagen. Wenn Sie unbedingt eine große Sache daraus machen wollen…“

„Verdammt, ich verliere meinen Job, wenn das herauskommt!“

„Das sollte Ihre geringste Sorge sein…“

McGregor atmete tief durch. Er ging zur Fensterfront seines Wohnzimmers, von wo aus man einen Blick auf eine ziemlich zugeparkte Einbahnstraße in Williamsburg hatte.

„Okay“, murmelte er schließlich. „Der Typ hat mir tausend Dollar dafür geboten. Ich erhielt einen Anruf – kurz bevor meine Schicht begann.“

„Wann war das?“

„Mitternacht. Ein rothaariger Typ mit Sommersprossen hat mich auf dem Parkplatz angesprochen, bevor ich meine Schicht antrat.“

„Versuchen Sie ihn genauer zu beschreiben. Vielleicht sind Ihnen noch irgendwelche Einzelheiten in Erinnerung.“

„Ja, er hatte sein Hemd ziemlich weit offen und trug ein Goldkettchen mit einem Kreuz daran. Ach, ja da war noch was…“

„Reden Sie!“

„Eine Tätowierung unterhalb des Halsansatzes. Ein Adler.“

Milo machte sich jetzt in das Gespräch ein. „Wir schicken unseren Zeichner vorbei. Er heißt Agent Prewitt und wird mit Ihnen eine Phantomzeichnung anfertigen.“

„In Ordnung.“

14

Milo und ich setzten uns in den Sportwagen. Milo fuhr den eingebauten Computer hoch. Der Flachbildschirm wurde aktiviert.

Ich telefonierte in der Zwischenzeit mit unserem Kollegen Max Carter aus der Fahndungsabteilung und gab ihm die Beschreibung durch. „Gibt es irgendjemanden, der mit Eileen Genardo oder Jack Mancuso im Zusammenhang steht und so aussieht? Die Tätowierung ist ja nicht gerade ein Allerweltsmerkmal.“

„Sekunde, Jesse. Ich bekomme hier gerade in diesem Augenblick eine Nachricht herein.“ Einige Augenblicke lang hörte ich nur undeutlich ein paar Stimmen im Büro unseres Kollegen aus der Fahndungsabteilung. Dann meldete sich Max wieder. „Bist du noch dran, Jesse?“

„Sicher.“

„Ihr seid doch eigentlich auf der Suche nach Jack Mancuso.“

„Richtig.“

„Die ist zu Ende. Jemand hat ihn auf einer Müllkippe in Staten Island abgelegt. Clive und Orry sind dorthin unterwegs.“

„Der Mann, den ich dir gerade beschrieben habe, könnte sein Mörder sein, Max“, gab ich zurück.

Durch das Handy konnte ich hören, wie Max' Finger über die Computertastatur glitten. „Ich habe hier einen. Die Daten schicke ich euch auf den Rechner in eurem Wagen. Der Kerl heißt Norman Brodie und ist der Mann fürs Grobe im Dienst von Sonny Ricone. Der gilt als aufstrebender Zuhälter, handelt wahrscheinlich auch in begrenztem Umfang mit Drogen, ist aber zu geschickt, als dass ihm die Justiz ernsthaft gefährlich werden konnte. Er betreibt seit ein paar Jahren den Club ‚Hidden Joy’. Adresse ist 332 Broadway, Brooklyn.“

„Ist das nicht der Club, in dem Jack Mancuso mal Türsteher war?“

„Ja, genau. Aber das war früher, als das ‚Hidden Joy’ noch einem gewissen Jaden Nichols gehörte – Ricones schärfsten Konkurrenten. Niemand hat je herausbekommen, wieso Nichols plötzlich dem Besitzerwechsel im ‚Hidden Joy’ zugestimmt hat. Da lief irgendetwas im Hintergrund, wovon bis heute niemand die volle Wahrheit kennt. Wenn ihr wollt, kann ich mich ja noch mal mit dem zuständigen Vice Department kurzschließen.“

„Das wäre sehr nett, Max.“

„Sonny Ricone hat übrigens noch eine andere Immobilie, deren Besitz ihn immer wieder mit der Justiz in Konflikt bringt“, berichtete Max weiter. „Das Hotel Parrinder liegt ganz in der Nähe. Die Adresse habe ich euch mitsamt den Daten über Normann Brodie geschickt.“

„Was hat es mit dem Hotel Parrinder auf sich?“, fragte ich.

„Ein getarntes Bordell. Ricone vermietet natürlich nur die Zimmer und hat mit alledem nichts zu tun. Zumindest konnte er das mit Hilfe seiner Anwälte gegenüber der Justiz immer so überzeugend darlegen, dass man ihn bis jetzt nicht belangen konnte!“

Ich blickte auf die Uhr. „In diesem Club dürfte um diese Zeit noch nichts los sein, daher nehmen wir uns zuerst das Hotel vor. Ich wette, dass Norman Brodie sich an einem dieser beiden Orte herumtreibt, wenn er noch immer noch Sonny Ricones Mann fürs Grobe ist!“

Ich beendete das Gespräch.

Milo ging mit dem Rechner unseres Sportwagens online und holte die Daten aus dem E-Mail-Fach, die Max uns übersandt hatte.

Nach der Fahndungsdatei hatte Norman Brodie bereits diverse einschlägige Verhaftungen und Anklagen hinter sich. Vier Jahre hatte er wegen gefährlicher Körperverletzung bereits auf Rikers Island verbracht und war dort unter bis heute nie wirklich geklärten Umständen in einen Streit mit einem Mithäftling verwickelt worden.

Für letzteren hatte der Streit tödlich geendet.

Brodies Behauptung, aus Notwehr gehandelt zu haben, war seinerzeit beim Prozess nicht zu entkräften gewesen, so hatte ihn die Jury freisprechen müssen. Ein hervorragender Anwalt hatte ihn damals vertreten. Wahrscheinlich hatte Ricone für dessen Bezahlung gesorgt.

Wir erreichten das Hotel Parrinder und parkten in einer Seitenstraße. Die letzten 50 Meter mussten wir zu Fuß gehen.

Dem Hotel war deutlich anzusehen, dass es seine beste Zeit längst hinter sich hatte. Es handelte sich um einen Sandsteinbau aus den Dreißigern. Ein Hauch des mondänen Flairs, das von diesem Hotel in früheren Zeiten ausgegangen war, konnte man immer noch spüren.

Der Eingangsbereich war einem griechischen Säulenportal nachempfunden.

Wir traten ein.

Der Portier beobachtete uns misstrauisch. Eine junge Frau in einem knappen, eng anliegenden Kleid kam die Freitreppe hinunter. Sie trug hochhackige Schuhe, mit denen man gut balancieren musste, außerdem kramte sie in ihrer Handtasche herum und bemerkte uns daher zunächst nicht. Das gelockte schwarze Haar trug sie mit einem einfachen Haargummi zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst.

„Sag mal, Brad – hast du inzwischen was von Eileen gehört?“, fragte sie den Portier, erreichte den Fuß der Freitreppe, blickte auf und stutzte plötzlich, als sie uns sah.

Der Portier gab ihr keine Antwort.

Die junge Frau musterte Milo und mich von Kopf bis Fuß. Wir trugen ganz normale Zivilkleidung und hatten eigentlich darauf geachtet, weder Waffe noch Dienstmarke offen zu zeigen.

Aber es gibt immer wieder Menschen, die einen sechsten Sinn zur Erkennung von FBI-Agenten, Beamten der City Police oder Cops aus anderen Einheiten haben.

„So ein Mist!“, murmelte sie.

Milo trat an den Tresen, um zu verhindern, dass der Portier irgendwelche Alarmknöpfe drückte.

„Wir suchen Mister Norman Brodie“, wandte er sich an den Portier. „Ist der hier im Haus?“

Der Portier wirkte unsicher. Er zögerte einen Augenblick und schüttelte schließlich den kopf. „Tut mir Leid, Sir.“

„Und wer sind Sie?“

„Brad Myers. Ich bin hier das Mädchen für alles, aber keine Auskunftsagentur.“

„Wir können das Gespräch gerne an der Federal Plaza fortsetzen, wenn Ihnen das lieber ist, Mister Myers.“

Während sich Milo weiter mit dem Portier unterhielt, trat ich auf die junge Frau zu und hielt ihr meinen Ausweis unter die Nase. „Trevellian, FBI! Sie erwähnten jemanden mit dem Namen Eileen.“

Sie schluckte. „Das ist richtig.“

„Eileen Genardo.“

„Was ist mit ihr?“

„Sie wird nicht zurückkommen“, erklärte ich. „Sie ist nämlich tot und wenn Sie sie gekannt haben, können Sie uns vielleicht ein paar wertvolle Hinweise geben.“

„Ach, ja?“

„Wie heißen Sie?“

„Jennifer Garrison.“ Sie schluckte. „Eileen ist tot?“

Ich nickte. „Haben Sie noch nichts davon gehört?“

„Ich hatte heute noch keine Gelegenheit Radio zu hören oder die Glotze einzuschalten.“

„Sie kannten Eileen offensichtlich.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Aber nur flüchtig. Und ich muss jetzt auch weg.“

„Wir brauchen Ihre Aussage.“

„Verdammter Mist“, murmelte sie.

„Wir sind nicht von der Vice-Abteilung“, erklärte ich. „Uns interessiert ausschließlich der Mörder, der Eileen Genardo und fünf weitere Frauen auf dem Gewissen hat. Dass Ihr Gewerbe nicht legal ist, ist dabei zweitrangig. Und was Ihre Geschäfte angeht…“

„Es tut mir Leid, ich kann Ihnen leider nicht weiterhelfen“, behauptete sie. „Ich kannte Eileen nur sehr flüchtig. Ich wohne im ersten Stock, Zimmer 16. Eileen wohnte daneben.“

„Seit wann wohnte sie hier?“

„Seit ein paar Wochen. Aber mehr weiß ich wirklich nicht.“

„Wann haben Sie Eileen das letzte Mal gesehen?“

„Gestern Nachmittag sind wir uns auf dem Flur begegnet.“

„Aber Sie haben den Portier gerade danach gefragt, wo sie geblieben ist. Das klingt nicht gerade danach, dass sie Ihnen gleichgültig war.“

„Bin ich verhaftet oder haben Sie im Moment irgendetwas gegen mich vorliegen? Wenn nicht, dann würde ich jetzt gerne gehen.“

Ich verstand schon, dass sie sich hier im Hotel Parrinder nicht offen äußern wollte. Also gab ich ihr eine der Visitenkarten, die das FBI für seine Agenten drucken lässt. „Vielleicht fällt Ihnen ja noch etwas ein. Sie können mich unter den angegebenen Nummern jederzeit ereichen.“

„Danke.“

Sie nahm die Karte, steckte sie ein und hatte es anschließend sehr eilig, das Hotel zu verlassen.

„Wo ist Brodie?“, wiederholte Milo unterdessen seine Frage an den Portier.

Dieser stotterte nur herum.

„Ich weiß nicht, Sir… Ich verliere meinen Job, wenn ich…“

„Sie verlieren Ihren Job auch, wenn wir der Vice-Abteilung des zuständigen Reviers der City Police einen Tipp geben und sich die Kollegen mal genauer ansehen, was hier so getrieben wird!“

„Es ist alles legal!“, zeterte der Portier.

„Gut, ganz wie Sie wollen. Ich weiß nicht, ob Mister Ricone findet, das Sie die richtige Entscheidung getroffen haben…“

„Brodie ist in seinem Zimmer“, presste der Portier schließlich heraus. Er streckte die Hand aus und deutete auf eine Nebentür. „Den Gang nach links, das letzte Zimmer. Da finden Sie ihn.“

15

Milo blieben beim Portier, um zu verhindert, dass Brodie vorzeitig gewarnt wurde. Ich trat durch die Nebentür und folgte dem Korridor.

Vor dem letzten Zimmer blieb ich stehen.

Mit einem wuchtigen Tritt ließ ich die Tür zur Seite fliegen. Brodie saß vor dem Fernseher und hatte die Füße auf den Tisch gelegt. Zwei Wrestler schlugen sich auf dem riesigen Flachbildschirm gerade gegenseitig die Schädel ein.

„FBI! Hände hoch!“, rief ich.

Brodie wirkte wie erstarrt. Er wandte den Kopf in meine Richtung. Sein Jackett hatte er über einen Stuhl gehängt, sodass er nur im Hemd dasaß und man das Schulterholster mit der Automatik sehen konnte.

Aber er war klug genug, jetzt nicht zur Waffe zu greifen.

Auf die geringe Entfernung war es für ihn unmöglich, die Automatik in Anschlag zu bringen, bevor ich abgedrückt hatte.

„Hey, was wollen Sie?“, fragte er.

„Aufstehen!“

Er gehorchte, stand mit erhobenen Händen auf und ich näherte mich, um ihn zu entwaffnen.

In dem Augenblick, als ich ihm die Waffe abnehmen wollte, wirbelte seine Faust plötzlich durch die Luft. Ich bekam eine blitzschnelle Kombination von Schlägen gegen meinen Kopf und einen Tritt vor den Solar Plexus, der mich in die Ecke schleuderte. Ich rang nach Luft.

Brodie machte zwei schnelle Schritte und sprang durch das Fenster. Glas splitterte. Er rollte sich auf dem Boden ab und rannte davon.

Ich rappelte mich auf und hetzte zum Fenster.

Brodie hatte inzwischen seine Waffe gezogen und feuerte in meine Richtung. Zwei Kugeln fraßen sich in den Fensterrahmen und ließen das Holz splittern. Ich schickte ihm einen Warnschuss hinterher und schnellte zur Seite.

Brodies Zimmer war zur Rückfront ausgerichtet. Hinter dem Hotel befand sich ein Parkplatz, der von weiteren Gebäuden eingerahmt wurde.

In geduckter Haltung lief Brodie durch die Reihen der parkenden Fahrzeuge.

Ich kletterte durch das Fenster und folgte ihm.

Ein Schuss zischte dicht an mir vorbei und kratzte an der Wand. Dann rannte Brodie weiter und nahm hinter einem Van Deckung, noch bevor ich zurückfeuern konnte.

Ich pirschte mich heran, lief zwischen den parkenden Fahrzeugen her und behielt den Van im Auge.

Einige Augenblicke war alles ruhig.

Ich duckte mich hinter einen Ford und wartete ab.

Dann wurde plötzlich der Motor eines Wagens gestartet, der sich im Sichtschatten des Vans befand. Das Fahrzeug brach aus der Parklücke seitlich aus und raste dann in Richtung der Parkplatzausfahrt. Es handelte sich um ein champagnerfarbenes Mercedes Coupé.

Ich tauchte aus meiner Deckung hervor und feuerte auf die Reifen. Der hinten links platzte mit einem Knall. Der Geruch von Gummi verbreitete sich. Die Felgen glühten, als sie über das Asphalt kratzten.