Vier Strandkrimis: Der Amokläufer & Der Killer wartet & Hinter Schloss und Riegel & Für den Mörder geht es um die Wurst - Alfred Bekker - E-Book

Vier Strandkrimis: Der Amokläufer & Der Killer wartet & Hinter Schloss und Riegel & Für den Mörder geht es um die Wurst E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieses Buch enthält folgende Krimis: YYY Alfred Bekker: Der Amokläufer Alfred Bekker: Der Killer wartet... Alfred Bekker: Hinter Schloss und Riegel Alfred Bekker alias Neal Chadwick: Für den Mörder geht es um die Wurst Für den Killer war Joe Grotzky ganz einfach ein Auftrag wie jeder andere. Es hatte ihm niemand gesagt, weshalb die Mafia Grotzky aus dem Weg haben wollte, aber der Killer konnte es sich zusammenreimen. Grotzky war Richter. Das erklärte schon fast alles. Es war nicht sonderlich kalt, nur regnerisch. Aber der Killer trug dennoch Handschuhe. Er war hochgewachsen und ziemlich kräftig gebaut. Der blonde Kurzhaarschnitt unterstrich die kantigen Gesichtszüge. Seinen blauen Chevy hatte er am Straßenrand abgestellt. Jetzt ging der Blonde die Zeile der Reihenhäuser entlang. Mit der Rechten umklammerte er den Griff der Automatik, die in seiner tiefen Manteltasche verborgen war. Er mußte vorsichtig sein, denn der Mann, mit dem er es zu tun haben würde, war nicht irgendwer, sondern einer, der alle Tricks kannte. Der Blonde hielt an, ließ den Blick die Häuserzeile entlanggleiten und hatte dann die richtige Nummer gefunden.

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Alfred Bekker

Vier Strandkrimis: Der Amokläufer & Der Killer wartet & Hinter Schloss und Riegel & Für den Mörder geht es um die Wurst

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Inhaltsverzeichnis

Vier Strandkrimis: Der Amokläufer & Der Killer wartet & Hinter Schloss und Riegel & Für den Mörder geht es um die Wurst

Copyright

Der Amokläufer

DER KILLER WARTET ...

Hinter Schloss und Riegel

Für den Mörder geht es um die Wurst: Kriminalroman

Vier Strandkrimis: Der Amokläufer & Der Killer wartet & Hinter Schloss und Riegel & Für den Mörder geht es um die Wurst

Alfred Bekker

Dieses Buch enthält folgende Krimis:

Alfred Bekker: Der Amokläufer

Alfred Bekker: Der Killer wartet...

Alfred Bekker: Hinter Schloss und Riegel

Alfred Bekker alias Neal Chadwick: Für den Mörder geht es um die Wurst

Für den Killer war Joe Grotzky ganz einfach ein Auftrag wie jeder andere. Es hatte ihm niemand gesagt, weshalb die Mafia Grotzky aus dem Weg haben wollte, aber der Killer konnte es sich zusammenreimen. Grotzky war Richter. Das erklärte schon fast alles.

Es war nicht sonderlich kalt, nur regnerisch. Aber der Killer trug dennoch Handschuhe. Er war hochgewachsen und ziemlich kräftig gebaut. Der blonde Kurzhaarschnitt unterstrich die kantigen Gesichtszüge. Seinen blauen Chevy hatte er am Straßenrand abgestellt. Jetzt ging der Blonde die Zeile der Reihenhäuser entlang. Mit der Rechten umklammerte er den Griff der Automatik, die in seiner tiefen Manteltasche verborgen war. Er mußte vorsichtig sein, denn der Mann, mit dem er es zu tun haben würde, war nicht irgendwer, sondern einer, der alle Tricks kannte. Der Blonde hielt an, ließ den Blick die Häuserzeile entlanggleiten und hatte dann die richtige Nummer gefunden.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

COVER A.PANADERO

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Der Amokläufer

von Alfred Bekker

Alfred Bekker Kommisar X #4: Der Amokläufer

Kriminalroman

Alfred Bekker schrieb als Neal Chadwick

Jo Walker alias Kommissar X ist der beste Privatdetektiv von New York. Er knackt die härtesten Fälle und stellt sich dem Verbrechen. Da, wo die Polizei längst aufgegeben hat, nimmt Walker die Ermittlungen auf.

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author, Titelbild Firuz Askin

Die Benutzung des Seriennamens „Kommissar X“ erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Verlagsunion Pabel-Moewig.

Der Roman erschien erstmalig zu Beginn der 1990er Jahre und spiegelt die damaligen Zeitverhältnisse wider. Der Text wurde in alter Rechtschreibung belassen.

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

Kommissar X - Der Amokläufer

Neal Chadwick

Vielleicht wußte der Mann nicht wirklich, was er tat. Aber das machte die Sache nicht weniger schlimm. Brannigan hielt die automatische Pistole in seiner Rechten krampfhaft umklammert. Sein Blick war starr, sein Gesicht rot angelaufen und seltsam verkrampft. Die Augen waren zu schmalen Schlitzen geworden. Der Arm mit der Pistole hob sich und als dann der erste Schuß krachte, stoben die Passanten schreiend auseinander. Panik griff um sich, während jemand getroffen zu Boden sank. Der Mann preßte die Hände gegen die Brust, aber das Blut rann ihm zwischen den Fingern hindurch. Der Mann blickte ungläubig zu Brannigan auf, der für einen Augenblick innehielt. Dann brach der Mann zusammen, schlug hart auf den Asphalt und regte sich nicht mehr. Brannigan wirbelte herum. Er hörte die Schreie. Die Stimmen drohten, ihn halb wahnsinnig zu machen.

"Ein Verrückter!" rief jemand. "Ein Irrer!"

Dann taumelte Brannigan vorwärts. Ein zweiter Schuß löste sich aus seiner Pistole und dann ein dritter. Nur am Rande nahm Brannigan war, wie jemand getroffen nach hinten gerissen und durch die Wucht des Projektils gegen ein Schaufenster geschleudert wurde. Das Glas ging klirrend entzwei. Brannigan beschleunigte seine Schritte. Er wirbelte herum. Er wußte nicht, wohin er eigentlich wollte. Dunkel erinnerte er sich, gerade noch hinter dem Steuer seines Wagens gesessen zu haben.

Und jetzt war er in dieser belebten Einkaufsstraße, umgeben von Menschen, die versuchten, sich vor ihm in Sicherheit zu bringen. Brannigan fühlte seinen Puls bis zum Hals schlagen. Er hatte Angst. Namenloses Entsetzen kroch ihm wie eine kalte, glitschige Hand den Rücken hinauf.

Er hörte eine Stimme, schnellte herum, sah eine Gestalt und feuerte sofort, ohne auch nur den Bruchteil einer Sekunde zu zögern. Immer wieder betätigte er den Abzug. Die Gestalt, die er gesehen hatte, gehörte einem Mann in den Fünfzigern, der gerade in seinen Wagen hatte einsteigen wollen. Schützend hatte der Mann seinen Aktenkoffer hochgerissen, aber das hatte ihm nichts genützt. Die erste Pistolenkugel war glatt durch das harte Kunststoffmaterial hindurchgeschlagen und in seinen Oberkörper eingedrungen. Der Mann war längst tot, aber Brannigan feuerte noch immer. Er war wie besessen und konnte einfach nicht aufhören. Auch nicht, als zwei weitere Passanten getroffen aufschrieen. Als Brannigan sich dann herumdrehte, sah er in ein schreckensbleiches Gesicht, das nur stumm den Kopf schüttelte. Ein vielleicht fünfzehnjähriger Junge in Jeans und Turnschuhen, der unwillkürlich erstarrt war, als er in die Pistolenmündung blickte.

"Nein", flüsterte der Junge und schien dabei unfähig zu sein, sich zu bewegen. Brannigan drückte sofort ab. Glücklicherweise traf er nicht richtig. Die Kugel fuhr dem Jungen in die Schulter.

"Stehen bleiben! Keine Bewegung!" rief eine Stimme, die wie ein Messer in Brannigans Bewußtsein drang und ihn sich erneut herumdrehen ließ. Der Junge nutzte das. Die Lähmung, die ihn noch eine Sekunde zuvor gefangen gehalten hatte, schien wie weggeblasen zu sein. Er rannte um sein Leben und flüchtete in einen Kaufhauseingang. Brannigan sah indessen die dunkelblaue Uniform eines Polizisten, der seine Dienstwaffe aus dem Holster gerissen und auf den Amokläufer gerichtet hatte.

"Ich sagte, Sie sollen die Waffe fallen lassen!" rief der Polizist, der sichtlich nervös war. "Ich will Sie nicht erschießen, aber ich werde es tun, wenn Sie mich dazu zwingen!"

Es war Brannigan nicht anzusehen, ob er sein Gegenüber überhaupt verstanden hatte.

Eine volle Sekunde lang geschah überhaupt nichts. Brannigan stand einfach nur da, aber er warf seine Waffe nicht weg.

Niemand wird mich kriegen! durchzuckte es ihn heiß. Niemand! Nicht noch einmal!

Dieser Gedanke hämmerte immer wieder in seinem Kopf. Brannigan schluckte. Er dachte an damals. Aber es würde sich nicht wiederholen. Nie wieder. Dafür würde er sorgen.

Und dann riß er urplötzlich seine Waffe hoch und feuerte.

Der Polizist schoß annähernd gleichzeitig und traf Brannigan im Oberkörper. Brannigan wurde nach hinten gerissen, ein weiterer Schuß löste sich aus seiner Waffe und traf einen Passanten in den Rücken, der sich gerade in Sicherheit bringen wollte.

Brannigan taumelte, schaffte es aber bis zu einer Parkuhr, an der er sich aufstützte. Den Polizisten hatte es am Bein erwischt und so lag dieser mit grimmig verzerrtem Gesicht auf dem Asphalt, den 38er Revolver immer noch in der Rechten. Brannigan ächzte. Er fühlte den Schmerz an seiner Seite und preßte die Linke dagegen. Er blickte nicht hinab. Stattdessen hob er erneut die Pistole und ließ seinem uniformierten Gegenüber keine andere Wahl.

Bevor Brannigan abdrücken konnte, hatte eine weitere Kugel ihn getroffen und dann noch eine. Er schlug rückwärts gegen einen parkenden Wagen und rutschte an dem glatten Blech zu Boden. Die Pistole hielt er immer noch fest umklammert, auch dann noch, als seine Augen schon erstarrt ins Nichts blickten.

*

Jo Walker war ziemlich guter Laune, als er die Räume seiner Agentur betrat, die in einer Traumetage am nördlichen Ende der Seventh Avenue gelegen war. Walker, dem man den respektvollen Beinamen Kommissar X gegeben hatte - war so etwas wie die Nummer eins unter den New Yorker Privatdetektiven. Und so war er bei der Erstellung eines neuen Sicherheitskonzepts hinzugezogen worden, das eine Kette von Juweliergeschäften für ihre an der gesamten Ostküste verstreuten Filialen einführen wollte. Keine aufregende Tätigkeit, dafür ziemlich zeitraubend und arbeitsintensiv. Doch dafür stimmte das Honorar. Jo hatte den Scheck in der Jackett-Innentasche.

Als seine blondmähnige Assistentin April Bondy ihn begrüßte, zog er das Papier grinsend hervor und zeigte es ihr.

"Na, der Streß scheint sich ja gelohnt zu haben!" meinte April dazu und fügte dann noch lächelnd hinzu: "Über eine Erhöhung meiner Bezüge mit dir zu reden dürfte jetzt wohl reine Formsache sein, nehme ich an..."

Jo hob die Augenbrauen.

"Nach diesem dicken Fisch kannst du von Glück sagen, wenn ich mich nicht plötzlich dazu entschließe, die Agentur einfach dicht zu machen, um..."

"...dich zur Ruhe zu setzen?" April stemmte ihre schlanken Arme in die wohlgeformten Hüften und lache dann laut los.

"Warum nicht?" fragte Jo. "Was ist so abwegig daran?"

"Nichts als leere Drohungen! Wir wissen beide, daß du das nie tun würdest!"

Jo zuckte die Achseln. "Vermutlich hast du recht."

"Natürlich habe ich das!"

"Aber für heute finde ich, sollten wir Schluß machen."

Doch April schüttelte entschieden den Kopf. "Ich fürchte, daraus wird nichts, Jo."

"Und warum nicht? Soweit ich weiß, habe ich heute keine Termine mehr. Es gibt auch keinen Fall, an dem..."

"Vielleicht doch, Jo."

Jo runzelte die Stirn. Er löste den ersten Hemdknopf und lockerte den Krawattenknoten ein Stück. "Was soll das heißen?" fragte er gleichzeitig.

"In deinem Büro sitzt eine Frau, die ganz so aussieht, als würde sie unsere nächste Klientin. Sie wartet schon eine halbe Stunde..."

"Du hättest ihr einen anderen Termin geben können."

"Natürlich, Jo. Aber sie machte mir einen so niedergeschlagenen Eindruck, daß ich mir dachte, daß ihre Sache wohl nicht länger warten kann."

Jo seufzte. Wann hatte es schon je einen Klienten gegeben, der freudestrahlend im Büro eines Privatdetektivs saß und mit sich und der Welt zufrieden war?

"Hat die Dame dir schon gesagt, worum es geht?"

"Nur, daß ihr Lebensgefährte erschossen wurde. Aber nichts weiter. Sie brach gleich in Tränen aus. Sei also nett zu ihr."

"Sicher."

Als Jo dann einen Moment später sein Büro betrat, saß dort eine gutaussehende Dunkelhaarige, deren verlaufenes Make-up für sich sprach. Jo reichte ihr die Hand und sie nickte. Sie brauchte eine Sekunde, um etwas herauszubringen. Ein Kloß schien ihr im Hals zu sitzen.

"Sie sind Walker?"

"Ja."

"Geld spielt keine Rolle", sagte sie und zuckte dann ihre schmalen Schultern. "Oder besser gesagt: fast keine. Ich habe einiges auf der hohen Kante und..."

"Vielleicht sagen Sie mir erst einmal, wer Sie sind und worum es geht, Miss..."

"Carter, Joanne Carter."

Jo nahm in dem Sessel hinter dem Schreibtisch Platz und lehnte sich etwas zurück, während er sein Gegenüber einer knappen Musterung unterzog. Diese Frau schien noch ganz unter einer Art Schock zu stehen und war deshalb wohl etwas durcheinander. Was immer es auch gewesen war, das ihr so zugesetzt hatte - es konnte keine Kleinigkeit sein.

"Meine Mitarbeiterin hat mir gesagt, daß man Ihren Lebensgefährten erschossen hat", begann Jo, nachdem er bemerkte, daß es Joanne Carter schwer fiel, über die Sache zu sprechen und den richtigen Anfang zu finden.

Sie nickte. "So ist es", meinte sie. "Sein Name ist Walt Brannigan. Und der Mann, der ihn erschossen hat, war Polizist und hat selbst eine Kugel ins Bein gekriegt..." Sie atmete tief durch und Jo begann zu dämmern, um welche Sache es sich hier drehte. Indessen hob Joanne den Kopf und sah den Privatdetektiv offen an. "Vielleicht haben Sie in der Zeitung von der Sache gelesen. Walt hat in einer belebten Geschäftspassage wild um sich geschossen und dabei insgesamt fünf Menschen erschossen..."

Jo beugte sich etwas nach vorne.

"Sie meinen..."

"Er ist Amok gelaufen, daß wollten Sie doch sagen, nicht wahr? Ein Verrückter, der wild um sich ballert, der in seiner Verzweifelung oder seinem Wahn oder aus welchen Gründen auch immer so viele Menschen wie möglich mit sich in den Tod zu reißen sucht!" Sie wischte die Träne hastig beiseite, die sich unmerklich auf ihre Wange gestohlen hatte.

"Ich habe von der Sache tatsächlich gehört", meinte Jo. "Und soweit ich weiß, hatte der Polizist wohl keine andere Wahl..."

Sie nickte. "Ja, so denken alle darüber. Polizei, Staatsanwaltschaft, Presse und so weiter."

"Und was ist falsch daran?"

Sie schluckte. "Vielleicht nichts", murmelte sie dann. "Ich weiß selbst schon nicht mehr, was ich darüber denken soll. Ich weiß nur eins: Es gibt keinen Grund, weshalb Walt auf die Straße gehen und wahllos Menschen erschießen sollte!"

Jo zuckte die Achseln. "Aber er hat es doch getan, oder? Aus welchem Grund auch immer..."

Sie hob den Kopf und schien sich ihrer Sache auf einmal sehr sicher zu sein. "Walt und ich leben zusammen. Wahrscheinlich kennt ihn niemand besser als ich. Und ich sage Ihnen, die Vorstellung ist völlig absurd."

Jo musterte sie. Was sollte er dazu sagen? Es schien ihm, als wollte die Frau einfach die Realitäten nicht anerkennen. Walt Brannigan wäre nicht der erste Amokschütze gewesen, der seiner engsten Umgebung als völlig normal erschienen war. Bis zu dem bestimmten Tag, an dem es geschah.

"Sehen Sie, Miss Carter, man kann in den Kopf eines Menschen nicht hineinschauen. Und in den eines Toten schon gar nicht. Ich weiß nicht, warum Ihr Freund das getan hat - und wahrscheinlich wird es man es auch nie mehr erfahren."

"Er war Mitarbeiter eines erfolgreichen Ingenieurbüros. Ein erfolgreicher, dynamischer Mann. Er war gesund, er hatte eine glückliche Kindheit auf dem Lande und mit uns beiden lief es auch sehr gut. Sagen Sie mir, weshalb ein Mann durchdreht, in dessen Leben doch wirklich alles zu funktionieren scheint! Selbst sein Ferrari war abbezahlt!"

Jo überlegte. So, wie sie das sagte, klang das tatsächlich ein bißchen merkwürdig. Aber wahrscheinlich lag es einfach nur daran, daß sie beide zu wenig über Brannigan wußten. Jo fragte sich, wie er ihr schonend beibringen konnte, daß er wahrscheinlich nicht der richtige Mann für ihre Angelegenheit war. Vermutlich wandte sie sich besser an einen Psychologen.

Aber als er sie da so sitzen sah, brachte er es nicht über sich. Und so fragte er: "Vielleicht sagen Sie mir einfach mal, was ich für Sie tun soll und ich sage Ihnen dann, ob es im Bereich meiner Möglichkeiten liegt!"

Sie nickte. "Okay", meinte sie und versuchte ein Lächeln, das ihr aber gründlich mißlang. Die innere Anspannung war ihr nach wie vor deutlich anzusehen. "Ich will, daß Sie herausfinden, was wirklich geschehen ist."

"Das steht doch sicher im Polizeibericht - und in etwas öffentlichkeitswirksamerer Form in den Zeitungsartikeln. Ich weiß nicht, was meine Nachforschungen da noch sollen."

"Ich möchte wissen, was wirklich geschehen ist, Mister Walker. Das Ende der Geschichte, das steht im Polizeibericht, aber so etwas geschieht nicht aus heiterem Himmel! Das kann mir niemand erzählen!" Sie hielt einen Moment lang inne und der Blick ihrer dunklen Augen ruhte auf Jos Gesicht. "Werden Sie die Sache übernehmen? Wie gesagt: Ich bin bereit, tief in die Tasche zu greifen! Aber das ist es mir wert!"

"Ich kann Ihnen nichts versprechen, Miss Carter."

"Das weiß ich. Trotzdem, versuchen Sie etwas herauszufinden."

Jo nickte. Und damit hatte er sich entschieden. Er war sich nicht sicher, ob er diese Entscheidung nicht bald schon wieder bereuen würde. Jedenfalls hatte ein flaues Gefühl dabei.

"Hat Walt Brannigan vielleicht Drogen genommen?"

"Nein."

"Niemals?"

"Niemals. Ich hätte das gemerkt."

"Auch nicht irgend welche Aufputscher, um mehr Leistung zu bringen? Sie sagten, er war sehr erfolgreich. Manchmal..."

"Nicht Walt!" schnitt sie Kommissar X das Wort ab.

"Haben Sie sonst irgendeinen Verdacht? Dann sagen Sie ihn mir am besten gleich."

"Nein."

"Ich nehme an, die Leiche ist obduziert worden?"

"Ja, aber was sollte man außer den Kugeln, die Walt getötet haben, noch finden?"

Jo zuckte die Schultern. "Das hängt immer ein bißchen davon ab, wonach man sucht!"

"Davon verstehe ich nichts."

"Wenn Sie mir noch Ihre eigene Adresse und die des Ingenieurbüros geben könnten, bei dem Walt Brannigan beschäftigt war."

"Natürlich."

Jo reichte ihr Zettel und Kugelschreiber. Während sie schrieb, fragte er dann: "Woher kam die Waffe, mit der Ihr Freund herumgeballert hat?"

"Er hatte sie immer im Handschuhfach."

"Weswegen? Wurde er bedroht?"

Sie zuckte die Achseln. "Ich weiß es nicht. Aber ist das heut' zu Tage so ungewöhnlich? Die einen haben abgezählte dreißig Dollar in der Tasche, um bei einem Überfall nicht die ganze Brieftasche abliefern zu müssen, andere tragen Reizgas bei sich oder besuchen Kurse in Selbstverteidigung."

"Und Walt Brannigan hatte eben eine Pistole, meinen Sie."

"Ja."

"Hat er sie zuvor schon einmal gebraucht?"

"Nein, nie."

"Sind Sie sicher?"

"Ich bin sicher. Sie lag immer nur im Handschuhfach. Ich habe sie einmal per Zufall dort gesehen. Das war noch ganz zu Anfang, als wir uns kennenlernten."

"Die Waffe war immer geladen?"

"Das weiß ich nicht."

Jo nickte. "Gut", meinte er. "Ich werde versuchen, etwas herauszufinden. Vielleicht überlegen Sie sich noch einmal, ob Sie Ihr Geld wirklich zum Fenster herausschmeißen wollen oder..."

"Glauben Sie mir, ich weiß, was ich tue!" erwiderte sie bestimmt.

"Okay."

Sie erhob sich. "Ich werde mich bei Ihnen melden, Mister Walker!"

*

"Besonders aufschlußreich ist der Untersuchungsbefund von Brannigans Leiche ja nicht gerade..." meinte Jo an Captain Tom Rowland gewandt, während er die entsprechende Mappe auf den Tisch legte. "Warum hat man keine weitergehenden Analysen angestellt?"

Der korpulente Rowland war Leiter der Mordkommission Manhattan C/II und seit vielen Jahren Walkers Freund.

Rowland verschluckte sich fast an seinem Kaffee und blickte Kommissar X stirnrunzelnd an.

"Soll das etwa Kritik sein?"

"Nur eine Frage unter Freunden, Tom!"

Der Captain atmete tief durch und meinte dann: "Der Arzt meinte, daß das nicht notwendig sei. Und der Staatsanwalt war derselben Meinung. Die Sache liegt doch so glasklar auf der Hand, wie nur irgendetwas!"

"Erzähl mal."

"Er hatte keinen Alkohol im Blut und es gibt keine Indizien, die dafür sprechen, daß er drogensüchtig war. Warum sollte man ihn dann auseinanderschneiden?"

"Mag sein, Tom."

"Was soll der ganze Aufstand eigentlich, Jo? Ein Mann ist durchgedreht, das kommt öfter vor!"

"Seine Lebensgefährtin glaubt nicht daran."

"Wundert dich das?"

"Ein Mann, für den alles gut läuft, der erfolgreich im Beruf ist und in einer harmonischen Zweierbeziehung lebt - weshalb geht der auf die Straße und schießt wild um sich? Findest du das nicht ein bißchen seltsam?"

Rowland lachte heiser. "Ich bin zu lange in dem Job, um so etwas noch seltsam zu finden, Jo!"

"Du könntest veranlassen, daß Brannigans Leiche noch einmal untersucht wird."

"Und wonach soll man suchen?"

Job hob die Schultern. "Bin ich Arzt?"

Rowland erhob sich und kam auf die andere Seite seines Schreibtischs. "Hör zu, Jo, ich will dir mal ein paar Dinge über Brannigan erzählen!"

"Ich bin gespannt!"

"Sein Leben war keineswegs so glatt, wie diese Joanne Carter dir vielleicht glauben machen wollte." Der Captain zuckte mit den breiten Schultern. "Wahrscheinlich wußte sie es auch nicht besser. Sie kannte ihn ja kaum anderthalb Jahre..."

Jo hob die Augenbrauen. "Und was zum Beispiel wußte sie nicht?"

"Zum Beispiel, daß es vielleicht nicht das erste Mal war, daß Walt Brannigan durchdrehte."

"Wovon sprichst du, Tom?"

"Von einer Vergewaltigungsgeschichte, ist gut zweieinhalb Jahre her. Es war wohl nur ein Versuch, die Frau konnte sich in Sicherheit bringen."

"Wer war die Frau?"

"Nora Gaynor, eine Kollegin aus dem Ingenieurbüro, in dem Walt Brannigan tätig war." Rowland hob die Schultern. "Die Sache ist im Sand verlaufen. Du weißt ja, wie das ist, wenn Aussage gegen Aussage steht und nichts Handfestes vorhanden ist, das irgendetwas beweisen könnte."

Jo machte eine hilflose Geste. "Vielleicht hast du recht und ich jage einer Fata Morgana hinterher."

"Bestimmt. Und da ist übrigens noch etwas! Brannigan nahm seit einem halben Jahr Therapiestunden bei einem Psychologen."

"Weswegen?"

"Anfänge von Paranoia, Jo. Verfolgungswahn."

"Deshalb die Pistole!"

"So ist es. Er hatte sie immer im Handschuhfach liegen."

"Nahm er Medikamente?"

"Ja, Beruhigungsmittel. Aber nur in den Mengen, die ihm der Arzt verschrieben hat." Rowland seufzte. "Die Sache ist abgeschlossen, Jo. Und ich habe nicht die Absicht, den Aktendeckel noch einmal zu öffnen."

"Und eine weitere Untersuchung?"

"Wird es nicht geben. Die Leiche ist frei!"

"Liegt sie noch im Leichenschauhaus?"

"Ja, und wartet darauf, daß sie jemand abholt, um sie zu beerdigen. Warum bohrst du so hartnäckig in der Sache herum, Jo? Was glaubst du, könnte eine weitere Untersuchung bringen?"

Jo zuckte die Achseln. "Was weiß ich! Hinterher ist man immer schlauer! Aber stell dir mal vor, jemand hätte Brannigan etwas eingeflößt..."

"Etwas, daß ihn so wild macht, daß er um sich schießt? Brannigan war so gut wie abstinent! Die einzige Droge, die er in großen Mengen konsumierte, war Kaffee!"

"Und wenn es etwas war, wonach man nicht gesucht hat?"

Rowland machte eine wegwerfende Handbewegung. "Komm schon, jetzt fängst du an, dich lächerlich zu machen Jo! Bei aller Freundschaft!"

Jo lächelte dünn. "Ich weiß, Tom. Aber will diese Möglichkeit zumindest sicher ausschließen können, verstehst du?"

Rowland stellte geräuschvoll die Kaffeetasse auf den Tisch und schüttelte dann energisch den Kopf. "Ich kann die Sache nicht noch mal aufrollen und für eine Obduktion sorgen, nur weil eine Klientin von dir irgendeinen vagen Verdacht hat oder sich nicht erklären kann, wie aus dem netten, dynamischen Mann an ihrer Seite plötzlich ein Monster wird! Das ist ihr Problem und damit muß sie - fürchte ich - auch ganz allein fertig werden!"

*

Joanne Carter bewohnte eine sicher nicht billige Wohnung in Midtown Manhattan. An der Tür war noch immer auch Walt Brannigans Name zu sehen. Wahrscheinlich hatte sie es einfach noch nicht übers Herz gebracht, das Schild abzunehmen.

Als sie Jo Walker die Tür öffnete, schien sie im ersten Moment ein wenig verwundert zu sein.

"Sie, Mister Walker?"

"Ich dachte, ich schau mir mal, wie Walt Brannigan gelebt hat!"

"Kommen Sie herein!"

Jo nickte und trat in eine sachlich und sehr modern eingerichtete Wohnung.

"Was machen Sie eigentlich beruflich?"

"Ich habe einen Job in einem Makler-Büro."

"Immobilien?"

"Ja."

Jo sah sie an und meinte dann: "Ich will ganz offen sein: Bis jetzt habe noch nicht viel herausfinden können."

Sie zuckte mit den Schultern. "Das wäre wohl auch etwas zuviel verlangt."

"Die Leiche ist freigegeben. Wenn Sie wollen, dann gebe ich Ihnen die Adresse eines Bekannten, der früher bei der Gerichtsmedizin war und sich dann selbstständig gemacht hat." Jo zuckte die Achseln. "Ich habe schon ab und zu mit ihm zusammengearbeitet. Wenn wirklich etwas medizinisch Greifbares übersehen wurde, das die plötzliche Wandlung Ihres Freundes erklären könnte, dann wird er es finden! Von Polizei und Staatsanwaltschaft ist in der Hinsicht wohl nichts mehr zu erwarten. Der Fall gilt als abgeschlossen, und solange nicht neue Indizien vorgelegt werden, kann auch mein Freund Rowland von der Mordkommission da nichts machen."

Sie nickte. "Gut", meinte sie.

"Hat Brannigan noch Angehörige?"

"Nur seine Mutter, soweit ich weiß. Sie wohnt in Queens."

"Das ist ja sozusagen gleich um die Ecke. Kennen Sie sie?"

"Ja, wir verstehen uns großartig."

"Das ist gut. Reden Sie mit ihr, denn sie wird ein Wörtchen mitzureden haben, was die Leiche Ihres Freundes angeht. Wenn Sie beide verheiratet gewesen wären, wäre das etwas unkomplizierter."

"Das wird schon klappen", meinte sie zuversichtlich.

"Ich würde gerne Brannigans persönliche Sachen ansehen. Er wohnte hier zusammen mit Ihnen, nicht wahr?"

"Ja." Sie bewegte den Kopf ein wenig zur Seite. "Kommen Sie mit, Mister Walker. Das meiste, was Sie hier sehen, stammt von ihm. Er hat hier zuvor allein gelebt. Ich bin zu ihm gezogen, verstehen Sie?" Sie führte Jo zu Brannigans Schreibtisch. "Ich habe alles so gelassen", meinte sie.

"Hat sich die Polizei das angesehen?"

"Ja."

"Ist etwas mitgenommen worden?"

"Nein. Mit Ausnahme einer Packung Beruhigungspillen und dem dazugehörigen Rezept."

"Die Schublade hier ist abgeschlossen", stellte Jo fest. "Haben Sie den Schlüssel?"

Sie nickte. Dann drehte sie sich um und ging. Währenddessen wandte sich Jo dem Büroschrank zu, der nicht abgeschlossen war. Er bestand aus metallenen Laden, in denen jeweils Dutzende von Hängemappen zu finden waren. Es schien sich dabei vorwiegend um technische Zeichnungen und Entwürfe zu handeln. Dazu Notizen und Berechnungen. Für jemanden, der nichts davon verstand, wirkte das wie Chinesisch.

Jo öffnete die nächste Lade und schaute flüchtig in die Hängemappen. Eine war voll mit Quittungen, die Brannigan vermutlich für die Steuer gesammelt hatte, eine andere enthielt aus Zeitschriften herausgerissene Kochrezepte. Mitten dazwischen lag ein aufgeschlagenes Buch, in dem Brannigan offenbar sehr intensiv gelesen hatte. Jedenfalls waren Passagen mit einem grellgrünen Textmarker gekennzeichnet. Jo nahm das Buch heraus und warf einen Blick auf den nach hinten geknickten Umschlag. Angstneurosen - Ursachen, Diagnose und Therapie lautete der Titel. Offenbar ein populärwissenschaftlicher Taschenbuch-Ratgeber.

Indessen war Joanne mit dem Schlüssel zurück und gab ihn Jo. Der Privatdetektiv gab ihr dafür das Buch. "Walt Brannigan hatte psychische Probleme, nicht wahr?"

Sie sagte nichts. Sie nahm das Buch an sich, ohne einen Blick darauf zu werfen und nickte dann.

"Ja."

"Er war in Therapie. Ich nehme an, Sie wußten das."

"Wenn ich es Ihnen gesagt hätte, hätten Sie den Fall nicht übernommen, Mister Walker! Dann wäre die Sache für Sie genauso klar gewesen, wie für die Polizei!"

Jo zuckte die Achseln. "Wahrscheinlich haben Sie recht! Und vielleicht ist es noch nicht zu spät, um die Sache aufzugeben!"

"Mister Walker! Nur, weil jemand ein paar Probleme hat, muß er noch lange nicht zu einem Killer werden, der ohne jeden Grund auf irgendwelche Menschen schießt!"

"Paranoia ist nicht irgendein kleines Problem, Miss Carter!"

"Ich weiß. Aber Walt war nicht verrückt!" Sie seufzte. "Wie soll ich es Ihnen nur erklären?" stieß sie dann hervor. Unterdessen öffnete Jo die Schublade. "Walts Ängste hatten einen realen Hintergrund", erklärte Joanne Carter dann.

Kommissar X zog die Augenbrauen in die Höhe. "Ach, ja?"

"Vor acht Jahren ist Walt auf offener Straße überfallen worden. Er war zusammen mit einem Freund unterwegs, der dabei ums Leben kam. Die Mugger glaubten wohl, daß er irgendeinen Trick versuchen wollte und haben drauflos geschossen."

"Sie kennen die Geschichte nur aus Brannigans Erzählung, nehme ich an..."

"Was wollen Sie damit sagen? Es war ein traumatisches Erlebnis und seitdem hatte er auch die Waffe bei sich." Sie zuckte die Achseln. "Wir haben nicht oft darüber gesprochen. Es war Walt unangenehm und ich wollte nicht in der Wunde herumbohren."

"Bei wem war er in Therapie?"

"Bei einem gewissen Dr. Stanley. Aaron Stanley, glaube ich."

"Wenn Sie noch etwas wissen, erzählen Sie es mir besser. Von diesem Dr. Stanley werde ich es kaum erfahren. Der wird sich auf seine Schweigepflicht berufen!"

Sie nickte.

Jo sah sich den Inhalt der Schublade an. Er fand eine Straßenkarte von Vermont und einige zusammengerollte Bilder. Aquarelle und Kohlezeichnungen in verschiedenen Formaten.

Jo zeigte Miss Carter die Blätter. "Kennen Sie die?"

"Nein. Ich wußte gar nicht, daß er sich künstlerisch betätigte."

"Die Sachen sind datiert... Ungefähr jede Woche eins."

"Ich schätze, daß er sie während seiner wöchentlichen Therapie-Sitzungen gemalt hat", meldete sich nun Joanne zu Wort.

"Haben Sie nie mit ihm darüber gesprochen, was dort ablief?"

"Nein. Und das ist jetzt die Wahrheit. Er meinte, daß das allein seine Sache sei und er damit fertig werden müßte."

Einige der Bilder zeigten offenbar die Szene des Überfalls. Der tote Freund, die Mugger. Es war alles deutlich zu sehen.

Dann nahm sich Jo die Karte von Vermont vor. Eine Stelle war markiert.

"Was könnte das zu bedeuten haben?" fragte Jo.

"Keine Ahnung", kam die Antwort. "Vor ein paar Wochen war Walt mal in Vermont. Ich glaube, das muß etwas mit seiner Arbeit zu tun haben. Aber über den Job haben wir nie gesprochen. Das eine feste Regel in unserer Beziehung."

Zum Teufel mit dieser Regel! dachte Jo. Ohne sie wäre es vielleicht einfacher gewesen, in der Sache voranzukommen.

*

Das Ingenieur-Büro P. McGreedy war eine hervorragende Adresse im Brückenbau, wenn man den Informationen glauben schenken konnte, die Walkers Assistentin April über diese Firma eingeholt hatte.

Als Jo am nächsten Tag dort auftauchte und die Büros im fünfzehnten Stock eines an der Third Avenue gelegenen Turms sah, schien es nicht geringsten Anlaß zu geben, daran zu zweifeln.

Wer sich Geschäftsräume leisten konnte, die eine solche Top-Adresse hatten, der mußte sehr gut und sehr erfolgreich sein.

Ein Mann mit dunklem Teint und dünnem Oberlippenbart reichte Jo die Hand und zeigte ihm bei seinem geschäftsmäßigen Lächeln zwei Reihen blitzender Zähne. Dieses Lächeln war gut einstudiert. Aber es sagte nichts aus, sondern war reine Maske.

"Mein Name ist Hernandez. Ich nehme an, Sie kommen von Miller Inc. und wollen die Entwürfe sehen. Man hat mir schon gesagt, daß..."

"Mein Name ist Walker und ich komme nicht von Miller Inc.", unterbrach ihn Jo.

Jetzt erst schien Hernandez Jo etwas genauer anzusehen. Er runzelte für einen Moment die Stirn und meinte dann: "Macht ja nichts. Vielleicht kann ich Ihnen trotzdem weiterhelfen."

"In diesem Ingenieurbüro war ein Mann namens Brannigan tätig..."

Ein Schatten flog augenblicklich über Hernandez Gesicht. Seine aufgesetzte Freundlichkeit war wie weggeblasen.

"Was soll die Fragerei? Ich dachte, die Polizei hätte dieses leidige Kapitel endlich abgeschlossen!"

"Hat sie auch. Aber ich interessiere mich trotzdem dafür."

"Sie sind von der Presse, stimmt's? Machen Sie, daß Sie rauskommen!"

"Ich bin Privatdetektiv und ermittle im Auftrag von Brannigans Lebensgefährtin. Sie kommt über die Sache nicht so leicht hinweg!"

Herandez musterte Jo abschätzig von oben bis unten und meinte dann: "Um so schändlicher von Ihnen, daß Sie aus der Geschichte noch Geld zu machen versuchen!" Er verzog das Gesicht und versuchte damit, Verachtung zu signalisieren. Aber seine Maske funktionierte diesmal nicht so ganz. Es war nicht Verachtung Jo gegenüber, die Hernandez in erster Linie empfand. Da war noch irgendetwas anderes, das viel stärker war. Jo konnte es deutlich spüren.

"War Brannigan ein guter Ingenieur?" fragte Jo.

"Schon möglich!" knirschte Hernandez. "Wissen Sie was? Bei mir sind Sie an der falschen Adresse, wenn Sie etwas über Brannigan erfahren wollen."

"Haben Sie nicht zusammengearbeitet?"

"Ich hatte kaum Kontakt zu ihm."

"Mochten Sie ihn nicht?"

"Nein." Er atmete tief durch. "Und Ihre Fragerei mag ich genauso wenig!"

Plötzlich durchschnitt eine energische Frauenstimme die stickige Büroluft und ließ die beiden Männer herumwirbeln. "Darf ich vielleicht erfahren, worum es hier geht?" Die Frau war eine echte Schönheit. Das enganliegende Kleid zeichnete ihre perfekte Figur ziemlich genau nach. Sie hatte blondes, lockiges Haar, aber Jo schätzte, daß weder die Locken, noch die blonden Haare echt waren. Aber das machte nichts. Beides stand ihr hervorragend.

Hernandez wandte Jo noch einen recht giftigen Blick zu und ging dann wortlos davon. Kommissar X zuckte mit den Schultern, sah ihm kurz nach und wandte sich dann dem schönen Lockenkopf zu.

"Mein Name ist Walker. Ich Privatdetektiv und interessiere mich für die Walt Brannigan-Story."

Sie reichte ihm die Hand.

"Pamela McGreedy."

"Draußen steht P.McGreedy. Das sind Sie?"

"Sie sind nicht der erste, den das überrascht. Das zwanzigste Jahrhundert ist zwar fast zu Ende, aber wenn eine Frau behauptet, daß sie Brücken konstruieren kann, sind viele noch immer ziemlich skeptisch."

Jo lächelte dünn. "Aber der Firma P.McGreedy scheint es trotzdem recht gut zu gehen!"

"Wir arbeiten hart dafür." Sie musterte Jo, trat etwas näher an ihn heran und sagte dann in einem ganz anderen, viel weicheren Ton: "Sie sagten, Sie wären wegen Brannigan hier."

"So ist es."

"Kommen Sie in mein Büro. Ein paar Minuten habe ich für Sie!"

Wenig später waren sie allein und als Jo ihr gegenübersaß und so hinter ihrem Schreibtisch sitzen sah, konnte er das Gefühl nicht loswerden, daß sie es war, die etwas von ihm herauszubekommen versuchte.

"Sehen Sie, Mister Brannigan war einer unserer besten Leute. Sympathisch, sehr gewissenhaft. Es ist mir ein Rätsel, was da plötzlich in ihn gefahren ist!"

"Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?"

"An dem Tag, an dem er Amok lief. Das war vielleicht so gegen Mittag. Ich bin dann noch zu einer Baustelle hinausgefahren!"

"Ist Ihnen etwas an ihm aufgefallen?"

"Nein!" Sie schüttelte energisch den Kopf. "Er war wie immer. Für wen arbeiten Sie eigentlich? Für seine Lebensversicherung?"

"Ich wüßte nicht, daß Mister Brannigan eine hatte."'

"Wer dann? Seine Freundin?"

"Kennen Sie Miss Carter?"

Sie nickte "Ja, wir sind uns mal auf einer Party begegnet. Hören Sie, Mister Brannigan stand uns allen hier sehr nahe und die Sache hat mich persönlich tief getroffen..." Jo sah ihr gleich an, daß da noch etwas kommen mußte. Sie wollte auf etwas anderes hinaus, druckste noch ein paar Sekunden herum und beugte sich dann etwas vor: "Vielleicht könnten Sie mich über den Fortgang Ihrer Ermittlungen auf dem Laufenden halten! Meinetwegen gegen entsprechendes Honorar."

Jo lächelte dünn.

"Tut mir leid! Zwei Klienten in derselben Sache, das ist einer zuviel. So etwas mache ich aus Prinzip nicht!"

Sie setzte das charmanteste Lächeln auf, daß sie auf Lager hatte. "Keine Ausnahme möglich?"

"Nein."

Jo erhob sich. Die Unterhaltung nahm eine Richtung, die ihm nicht gefiel. "Ich werde vielleicht noch einmal vorbeikommen."

"Tun Sie das. Und vielleicht überlegen Sie sich mein Angebot noch einmal. Ich würde finanziell nicht kleinlich sein."

"Ich frage mich, warum es Ihnen so verdammt viel wert ist. Bauen Sie eigentlich auch Brücken in Vermont?"

Vielleicht eine halbe Sekunde lang stutzte sie. Dann blitzten ihre weißen Zähne bei einem Lächeln.

"Wir bauen überall Brücken, wenn uns jemand den Auftrag gibt!" erklärte sie, "Warum fragen Sie?"

"Nur so."

*

Pamela McGreedy atmete tief durch, nach dem der athletisch gebaute Privatdetektiv den Raum verlassen hatte. Wir hätten uns unter anderen Umständen kennenlernen sollen! dachte sie, denn sie fand, daß er ein überaus attraktiver Mann war.

Aber so standen sie und Walker vielleicht auf verschiedenen Seiten... Abwarten! dachte sie, stand auf und ging zum Fenster um einen Blick hinab in das Gewimmel der Straßenschlucht zu werfen.

Als sie merkte, daß sich hinter ihr die Tür öffnete, drehte sie sich wieder herum. Es war Hernandez, der sich da in ihr Büro geschlichen hatte.

"Frank!"

"Was wollte dieser Schnüffler von dir?"

"Dasselbe wie von dir", gab Pamela kühl zurück und musterte den Mann mit dem dunklen Teint, dessen Gesichtsfarbe ein wenig blasser als üblich geworden war. Er hat keine Nerven! dachte Pamela. Dann stellte sie sachlich fest: "Er hat Vermont erwähnt."

"Was?" Hernandez' Kinnladen fiel herunter und er vergaß einige Augenblicke lang, seinen Mund wieder zu schließen. "Was bedeutet das, Pam?"

"Keine Ahnung."

"Und wie hat der Kerl davon erfahren?"

Pamela hob die Arme. Sie wirkte hilflos. "Ich weiß es nicht, Frank!"

Hernandez schluckte. Seine Hände hatte er in den Hosentaschen vergraben. Er trat jetzt näher und baute sich vor Pamela auf. "Wir müssen etwas unternehmen!" meinte er.

"Nun verlier mal nicht gleich die Fassung, Frank! Wir wissen ja noch nicht einmal, wie viel dieser Walker überhaupt weiß..."

"Ich werde nicht tatenlos zusehen, wie..."

"Hör zu, Frank! Ich bin hier der Boß! Für mich geht es um mindestens genausoviel, wie für dich!"

"Okay, okay..."

Hernandez hob beschwichtigend die Hände. Dann fuhr er sich mit einer fahrigen Geste durch das dunkle Haar. "Ob Brannigan vielleicht noch irgendwo Material über die Vermont-Sache hatte? Das würde erklären, weshalb dieser Walker bescheid wußte!"

"Wenn wir jetzt etwas tun, wecken wir vielleicht nur schlafende Hunde, Frank! Nimm einen Drink oder irgendetwas anderes, das dich beruhigt und sieh zu, daß du für unsere Firma ein bißchen Geld verdienst!"

*

"Wie konnte man so etwas übersehen?" fragte Jo an Dr. Clifford gewandt. Clifford war ein erfahrener Mann, der fast zehn Jahre in der Gerichtsmedizin tätig gewesen war. Aber eine eigene Praxis brachte mehr Geld, als jede noch so gute Anstellung und so hatte er sich eines Tages doch noch selbstständig gemacht.

Dr. Clifford hob die Schultern.

"So etwas kann schon mal geschehen, Walker. Sie wissen doch, wie das an einem Tatort zugeht! Jede Menge Hektik. Und steht ein ungeduldiger Detective hinter dir und will alles mögliche wissen! Außerdem kann das, was an äußeren Anzeichen eventuell noch zu sehen war genauso gut auf die Beruhigungsmittel zurückzuführen sein, die Brannigan regelmäßig nahm."

"Aber für Sie gibt es keinen Zweifel?"

"So ist es. Walt Brannigan stand unter dem Einfluß einer synthetischen Droge. Vermutlich eine Injektion... Der kleine Einstich ist dem Gerichtsmediziner neben den schlimmen Schußverletzungen wohl nicht weiter aufgefallen. Mir ist das auch schon passiert. Wenn man eine Leiche mit mehreren Einschüssen vor sich hat, neigt jeder dazu, das Urteil schon im Kopf gefällt zu haben, bevor die Fakten da sind!"

"Kennen Sie das Zeug, das Sie bei ihm gefunden haben?"

"Nein. Aber das ist nicht verwunderlich. Diese Sachen werden heute in kleinen Labors gemixt. Am Computerschirm konstruiert man sich Moleküle mit annähernd beliebigen Eigenschaften. Die Behörden können die Stoffe kaum so schnell analysieren und verbieten, wie sie erfunden werden."

"War Brannigan süchtig?"

"Ganz ausschließen kann ich das nicht. Aber dann hätte ich größere Konzentrationen in den inneren Organen vermutet. Ich denke, daß er dieses Zeug noch nicht lange genommen hat, vielleicht sogar zum ersten Mal. Und dann ist da noch etwas."

Jo hob die Augenbrauen. "Nur raus damit."

"Er hat an Armen und Beinen Blutergüsse."

"Von denen stand auch etwas im Polizeibericht. Aber der Arzt hat es darauf geschoben, daß Brannigan erstens gestürzt ist, als man ihn erschoß und zweitens vielleicht jemand versucht hat, ihn festzuhalten."

Aber Clifford schüttelte den Kopf. "Der Arzt wußte ja auch nicht, daß Brannigan mit diesem Teufelszeug vollgepumpt war..."

"Und wonach sieht das Ihrer Meinung nach aus?"

"Er wurde festgehalten und hat sich gewehrt! Und ich kann mir auch nicht vorstellen, daß er sich die Spritze selbst gesetzt hat - so wie die Einstichstelle liegt. Meiner Ansicht nach gehört Brannigan dorthin, wo er gerade hergekommen ist. In die Gerichtsmedizin!"

*

Das Mega Star war ein Glitzerladen der Sonderklasse, kaum ein halbes Jahr alt und nichts für schmale Brieftaschen. Hier trafen sich Leute, die es geschafft hatten und sich in gepflegter, modern gestylter Atmosphäre amüsieren wollten.

Aber das Mega Star war auch ein Ort an dem synthetische Drogen umgeschlagen wurden. Die Drogenfahnder hielten noch still. Sie waren nicht an den kleinen Fischen interessiert, sondern wollten die großen Hintermänner.

Jo bestellte sich an der Bar einen Champagner. Die Flasche war sündhaft teuer, dafür war immerhin das Lächeln der wohlproportionierten Bedienung umsonst.

Jo saß eine Weile einfach nur da, nippte an seinem Champagner und beobachtete die Leute. Das flimmernde Laserlicht, die Musik... Das alles wirkte ermüdend und förderte nicht gerade die Konzentration. Und dann glaubte Kommissar X plötzlich, seinen Augen nicht mehr zu trauen!

Eine Sekunde lang war er sich nicht ganz sicher, aber im nächsten Moment traf ihn die Erkenntnis wie ein Blitzschlag. Zwischen all den herausgeputzten Schickeria-Typen bewegte sich Pamela McGreedy mit der ihr eigenen Geschmeidigkeit. Sie hatte Jo noch nicht gesehen, und das war vielleicht auch besser so.

Pamelas Gesicht schien ziemlich ernst zu sein, fast angespannt. Besonders gut zu amüsieren schien sie sich nicht. Den einen oder anderen, der ihr begegnete, grüßte sie knapp. Sie war also nicht zum ersten Mal hier.

Schließlich ging sie zur Bar und sprach dort einen Mann an, dessen zurückgekämmtes Haar von der Pomade glänze, die er sich da hineingeschmiert hatte.

Was dann zwischen den beiden über die Bühne lief, war nichts anderes, als ein lupenreiner Deal. Und keiner von beiden machte sich die Mühe, es irgendwie zu verbergen. Warum auch?

Der Mann mit den Pomade-Haaren verdrückte sich dann ziemlich schnell, während Pamela McGreedy an der Bar blieb. Jo nahm seinen Champagner und ging zu ihr. Als sie ihn erkannte, schien sie nicht einmal besonders überrascht zu sein. Aber vielleicht konnte sie ihr Erstaunen auch nur besonders gut verbergen.

Jedenfalls hob sie die Augenbrauen und murmelte dann: "Welch eine Überraschung, Jo Walker! Ich habe Sie noch nie hier gesehen..."

"Ich war auch noch nie hier!"

Sie lächelte. "Beschatten Sie mich jetzt etwa?"

"Warum nicht?"

Sie zuckte die Achseln und lachte dann sogar. Schließlich meinte sie: "Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich über Walt Brannigan weiß."

"Ich bin inzwischen etwas schlauer geworden. Sie wollten es doch unbedingt wissen, wenn ich etwas herausgefunden habe."

"Haben Sie Ihre Meinung geändert?"

Jo grinste und zündete sich dabei eine Zigarette ab. "Ich sage es ihnen sogar umsonst, Miss McGreedy! Aber vielleicht sollten Sie erst einmal etwas von dem Zeug nehmen, daß Sie gerade von Kerl mit den fettigen Haaren gekauft haben."

Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich jetzt deutlich. Sie war ärgerlich, machte aber dann doch gute Miene zum bösen Spiel. Das hatte sie in ihrem Job gelernt. "Wollen Sie auch etwas, oder warum fragen Sie?"

"Danke, nein."

"Sehen Sie, es geht in meiner Branche ziemlich hart zu. Wenn man nicht aufpaßt ist man schneller weg vom Fenster, als man sich das in den schlimmsten Alpträumen vorstellen kann." Ihre Züge wurden jetzt weicher. Ein Lächeln stand plötzlich in ihrem Gesicht und umspielte ihre vollen Lippen.

"Brannigan war vollgepumpt mit einem solchen Muntermacher."

Ihr Gesicht zeigte keinerlei Regung. "Ach, wirklich? Um ehrlich zu sein: Das Gegenteil hätte mich mehr überrascht!"

"Vielleicht hat er es nicht freiwillig genommen", murmelte Jo wie beiläufig.

Sie verengte ein wenig die Augen. "Was soll das heißen?"

"Das soll heißen, daß es Anzeichen dafür gibt, daß Brannigan das Zeug gewaltsam verabreicht, und er dann hinter das Steuer seines Wagens gesetzt wurde."

"Warum sollte jemand so etwas tun?" Jo spürte ihre innere Unruhe jetzt sehr deutlich.

"Um ihn zu töten. Wenn man mit so einer Dosis am Steuer sitzt, ist ein Unfall praktisch vorprogrammiert."

"Aber Walt Brannigan hatte keinen Unfall, Mister Walker!"

"Er ist nicht weit gefahren. Jeder reagiert anders auf diese Substanzen. Brannigans Mörder konnte nicht damit rechnen, daß sein Opfer unter einem Trauma litt und immer eine Pistole im Handschuhfach hatte..."

Pamela sah Jo nachdenklich an und meinte dann: "Sie scheinen wirklich zu glauben, was Sie da sagen!"

"Das ist noch nicht alles", fuhr Jo fort. "Das Zeug, das man bei Brannigan gefunden hat ist noch nicht lange auf dem Markt. Dreimal dürfen Sie raten, wo zum ersten Mal aufgetaucht ist!"

"Na, wo schon! Hier in diesem Laden vielleicht?"

"Ja."

Sie zuckte mit den Achseln, als würde sie das nicht weiter interessieren. Aber das Gegenteil war der Fall, Jo konnte es ihr deutlich anmerken. "Es gibt hier öfter mal etwas Neues", meinte sie wie beiläufig dazu. "Und das in jeder Beziehung." Sie hob das Glas und stieß mit Jo an.

"Wer hätte ein Motiv gehabt, um Brannigan umzubringen?"

"Sie nehmen den unwahrscheinlichsten Fall an, Mister Walker. Ich glaube nicht an Mord."

"Das ist inzwischen keine Glaubensfrage mehr, Miss McGreedy."

"Nennen Sie mich Pam, so wie alle anderen. Und lassen Sie uns um Gottes Willen jetzt über etwas anderes reden!" Sie trank ihr Glas aus und ließ es sich Barmixer wieder auffüllen.

"Was ist mit Hernandez?"

"Was soll mit ihm sein?"

"Er schien nicht gut auf Brannigan zu sprechen gewesen zu sein. Warum eigentlich?"

"Rivalitäten gibt es in jeder Firma. Brannigan war immer ein bißchen besser als er, das konnte er nicht vertragen. Hernandez ist Latino und glaubt immer, daß er deshalb benachteiligt würde. Aber das ist Unfug - zumindest, was unsere Firma angeht."

"Bei Ihnen gibt es auch eine gewisse Nora Gaynor, nicht wahr?"

"Von der Geschichte wissen Sie also auch schon. Sie scheinen gut in Ihrem Job zu sein."

"Ich tue mein Bestes."

"Nora arbeitet nicht mehr bei uns. Nachdem ihre Vergewaltigungsanklage gegen Brannigan fallengelassen wurde, hat sie gekündigt."

"Und was war dran an der Sache?"

Pamela zuckte die Achseln. "Keine Ahnung, was wirklich dahinter steckte. Brannigan hatte ein Alibi. Er war auf einer Feier und wurde von zwei Dutzend Menschen zu genau der Zeit gesehen, als er angeblich versucht haben soll, über Nora herzufallen." Sie trat etwas näher an Jo heran und meinte dann: "Geben Sie die Sache auf! Sie sind auf dem Holzweg."

"Es wundert mich, daß Sie da so sicher sind!"

"Ihr Ton gefällt mir nicht, Jo! Verdächtigen Sie am Ende vielleicht sogar noch mich?"

"Was wäre, wenn sich herausstellt, daß Sie haargenau denselben Stoff nehmen, der aus Walt Brannigan einen Berserker machte?"

Sie nestelte etwas an Jos Jackenrevers herum und meinte dann kühl: "Irgendwie schmeckten die Drinks hier auch schon einmal besser!" Dann stellte sie ihr Glas auf den Tresen und ging wortlos davon. Jo blickte ihr und fragte sich, was für eine Rolle sie in Bezug auf Brannigan wirklich gespielt hatte. Jedenfalls sagte sie ihm nicht alles, was sie wußte.

Jo trank sein Glas aus und sah dann den Pomade-Mann sich zwischen den Leuten hindurchschlängeln. Seinem Gesichtsausdruck zu Folge liefen seine Geschäfte nicht eben schlecht.

Kommissar X beobachtete ihn eine ganze Weile lang, Dann verschwand der Kerl schließlich durch einer Tür, durch die es zum Notausgang und zu den Toiletten ging.

Vielleicht war das eine Gelegenheit, sich mal ein bißchen mit ihm zu unterhalten. Selbst, wenn er das Zeug, das Dr. Clifford in Brannigans Leiche gefunden hatte, nicht selbst verdealte, wußte er vielleicht, woher es kam.

Jo ging ihm nach und kam durch einen engen, kahlen Flur.

Bei den Türen, die zu den Toilettenräumen führte, blieb er kurz stehen. Jemand betätigte eine Spülung und einige Sekunden später kam der Pomade-Mann aus einer der Kabinen heraus und zog dabei noch den Reißverschluß seiner Hose zu.

Als er Jo in der Tür stehen sah, erstarrte er unwillkürlich und unterzog den Privatdetektiv einer knappen Musterung. Dann ging der Dealer zum Waschbecken, um sich die Hände zu Waschen. Über den Spiegel behielt er Jo dabei ständig im Auge.

"Was gibt es zu glotzen?" knurrte er.

"Du verkaufst hier Sachen zum Muntermachen, nicht wahr?"

"Bist du ein Bulle?"

"Keine Sorge", wehrte Jo ab.

Der Pomade-Mann drehte sich herum. Er trug ein ziemlich weites Jackett, aber als er sich eines der Einweg-Handtücher griff, konnte Jo deutlich die Ausbuchtung unter der Achsel sehen. Vielleicht ein Schulterholster.

"Du hast aber diesen Ton!" zischte der Pomade-Mann Kommissar X an.

"Dann hast du dich eben verhört. Ich will mich nur ein bißchen mit dir unterhalten..."

Der Pomade-Mann schien ziemlich mißtrauisch zu sein, was in seiner Branche auch sicher angebracht war. Jedenfalls griff er blitzschnell unter sein Jackett. Jo hatte diese Bewegung vorausgeahnt und so war er vorbereitet, als sein Gegenüber einen Augenblick später mit dem kurzen Lauf eines 38er Revolvers auf den Privatdetektiv zeigte.

Aber Jos Reaktion war blitzschnell.

Er ließ den Fuß hochschnellen und kickte dem Dealer die Waffe aus der Hand. Sie fiel geräuschvoll gegen eine der leichten Kunststoffwände, die die einzelnen Toilettenkabinen voneinander trennten und hinterließ dort ein paar Kratzer.

Nur den Bruchteil eines Augenblicks verging, da hatte Jo den Pomade-Mann am Kragen gepackt und grob gegen die Wand gedrückt. Ohne Revolver in der Hand, schien er sich nicht zu trauen, etwas gegen Jo zu unternehmen, denn körperlich war er dem Detektiv unterlegen.

Blitzschnell durchsuchte Jos Linke die Taschen des Mannes. Er fand einen Führerschein auf den Namen Arnold Parker, ein Springmesser und natürlich das Stoffsortiment. Das Springmesser nahm Jo an sich, den Rest beließ er dem Kerl.

"Worum geht es?" knirschte Parker. "Wenn du nicht zu den Bullen gehörst, bist du wahrscheinlich einer von Buzzatis Bluthunden!"

Wahrscheinlich die Konkurrenz! dachte Jo. "Hör zu!" sagte der Privatdetektiv dann. "Was du hier treibst, interessiert mich nicht sonderlich, aber ich kann dir eine Menge Schwierigkeiten machen!"

"Was willst du?"

"Eine Auskunft!"

"Schieß los!"

"Hast du zufällig etwas Neues in deinem Angebot?"

Er verzog das Gesicht. "Ich habe immer das Allerneuste. Was soll die Frage?"

"Es geht um eine Substanz, die mit der Abkürzung DSE bezeichnet wird!"

"Diese Sachen haben viele Namen!"

"Ja, aber mit dieser Substanz ist ein Mann vollgepumpt und dann hinter das Steuer seines Wagens gesetzt worden!"

"Keine Ahnung, was du meinst." Er wandte das Gesicht ab.

"Du hast sicher davon gehört!"

"Glaube ich nicht!"

"Es geht um den Amokläufer, der in einer Geschäftspassage fünf Menschen umgebracht hat!"

"Damit habe ich nichts zu tun!"

Jo packte ihn fester.

"War Walt Brannigan ein Kunde von dir?" In dieser Beziehung mußte Jo sicher gehen.

"Ich kenne die Namen meiner Kunden nicht...", erwiderte Parker schwach.

Jo ließ ihn los und zog ein Foto hervor. Parker warf einen kurzen Blick darauf und schüttelte dann den Kopf. "Kenne ich nicht."

In der nächsten Sekunde bemerkte Jo mit den Augenwinkeln eine blitzschnelle Bewegung. Ehe er ausweichen konnte, war es auch schon zu spät. Ein harter Schlag traf ihn am Kopf und er taumelte zurück. Ein Tritt vor den Solar Plexus raubte ihm für den Bruchteil eines Augenblicks die Luft und ließ ihn zu Boden gehen. Dem nächsten Tritt konnte er gerade noch dadurch ausweichen, daß er sich auf den glatten Fliesen herumdrehte.

Jo sah ein paar klobiger Stiefel. Als er aufblickte, grinste ihn ein sommersprossiges, breites Gesicht an. Am Kinn war eine Narbe, die einen kleinen Halbkreis bildete. Die rotblonden Haare waren kurzgeschoren und zeigten steil nach oben.

Walker war alles andere, als ein kleiner Mann, aber dieser Kerl überragte ihn noch um einen halben Kopf.

Er fletschte die Zähne und blieb dann wie eine versteinerte Drohung stehen. "Was wollte dieser Wurm?" fragte er an Parker gewandt.

Parker ging indessen ein paar Schritte, nahm seine Pistole wieder an sich und zupfte sich dann sein Jackett glatt. "Dürfte sich erledigt haben, Bill."

"Einer von Buzzatis Leuten?" fragte der Rothaarige.

Parker zuckte mit den Achseln. "Alles andere wäre unlogisch, was immer der Kerl auch behauptet. Er wollte wissen, woher wir das neue Zeug haben." In Parkers Gesicht zeigte sich so etwas wie Triumphgefühl, als er Jo noch eines letzten Blickes würdigte. "Buzzatti will uns wahrscheinlich von unserer Quelle abschneiden..." Er lachte heiser und auf eine Weise, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte. "Aber das ist die Hose gegangen! Wir werden in Zukunft etwas mehr aufpassen müssen!"

"Was soll ich mit dem Kerl machen?" fragte der rothaarige Bill. "Umlegen?"

Unter seiner Jacke holte er eine Pistole mit Schalldämpfer hervor.

Einen Moment lang schien alles in der Schwebe zu hängen. Parker wandte sich ab, ging drei Schritte zur Tür und blieb dann stehen, ohne sich umzuwenden.

Jo erwog indessen, blitzschnell unter sein Jackett zu greifen und die Automatic herauszureißen. Aber es war zu bezweifeln, daß er schnell genug sein würde. Der rothaarige Riese beobachtete ihn äußerst aufmerksam. Nicht die geringste Anspannung von Walkers Muskeln und Sehnen schien ihm zu entgegen.

"Umlegen macht nur Komplikationen!" meinte Parker kalt. "Du kannst ihn ein bißchen vermöbeln, so daß er für einige Wochen im Krankenhaus liegt und wir Ruhe vor ihm haben!" Parker strich sich mit der Rechten durch seine glänzenden Haare und ging dann davon.

Die Augen des Rothaarigen musterten Jo indessen kühl. Parkers Schritte verhallten im Flur. Er schien zur Hintertür hinauszugehen.

Aber dann war da noch ein Geräusch. Es kam von der Bar her. Jemand schien eine Tür zu öffnen und den Flur entlangzugehen.

Für einen sehr kurzen Augenblick war der rothaarige Bill nicht hundertprozentig bei der Sache. Jo riß die Automatic aus dem Schulterholster und rollte sich erneut auf dem Boden herum, während der nervöse Finger seines Gegenübers abdrückte. Bills Pistole machte 'plop!' und das Projektil kratzte dicht neben Jo an den Fußbodenfliesen. Aber als der Kerl dann in den Lauf von Jos Automatic blickte, er- starrte er. "Keine Bewegung!" zischte Jo. "Die Waffe auf den Boden!"

Die Pistole klackerte auf die Fliesen und in Bills Gesicht stand die stumme Frage, weshalb sein Gegenüber ihn nicht gleich umgelegt hatte. Er selbst hätte umgekehrt sicher nicht gezögert. Dann kam ein Mann in den Toilettenraum. Anfang sechzig, graues, schütteres Haar, ein Anzug für tausend Dollar. Er blickte auf, als er einen Schritt durch die Tür gemacht hatte, runzelte die Stirn und begriff zu spät, was hier gespielt wurde. Bill hatte ihn schon gepackt und ihn mit einer ruckartigen Bewegung wie einen Schutzschild vor seinen Körper gezogen.

Jo hätte sich zugetraut, Bills Kopf zu treffen. Aber das war es nicht wert. Er sah die Angst in den Augen grauhaarigen Mannes. Bill war vermutlich ohnehin nur ein Handlanger. Und Arnold Parker, der vielleicht etwas wußte, war sicher schon über alle Berge.

Bill schleifte den Grauhaarigen hinaus den Flur, gab ihm dann einen Stoß und warf ihn Jo entgegen. Gleichzeitig setzte der Gorilla zu einem Spurt an. Jo fing den Mann im Tausend-Dollar-Anzug auf, was ihn wertvolle Sekunden kostete. Die Tür zum Hinterausgang wurde geöffnet und wieder zugeschlagen.

"Was ist hier eigentlich los?" fragte der Grauhaarige, nachdem er zweimal tief durchgeatmet hatte. Jo steckte seine Waffe weg.

"Vergessen Sie's", meinte Kommissar X zähneknirschend.

*

Joanne Carter runzelte die Stirn, als sie mit den übervollen Einkaufstüten im Arm vor ihrer Wohnungstür stand und feststellen mußte, daß sie einen Spalt weit geöffnet war.

Die Tür war aufgebrochen worden und es versetzte Joanne einen Stich, als sie erkannte, was bedeutete. Jemand hatte bei ihr eingebrochen.

Innerlich fluchte sie. Mir bleibt im Moment auch nichts erspart! ging es ihr wütend durch den Kopf. Aber zum Glück hatte sie kaum Wertsachen in der Wohnung. Für das, was wirklich wichtig war, hatte sie ein Bankschließfach.

Aber das tröstete sie nicht wirklich.

Mit dem Fuß öffnete sie die Tür ganz und ging hinein.

Es mußte ein sehr rücksichtsvoller Einbrecher gewesen sein. Jedenfalls schien es auf den ersten Blick so, als hätte er kaum Unordnung gemacht.

Joanne stellte die Einkaufstüten im Flur ab. Eine Sekunde lang dachte sie daran, daß der Täter vielleicht in der Wohnung war. Sie lauschte, hörte aber nichts.

Sie würde trotz allem die Polizei verständigen. Das Telefon stand im Wohnzimmer, also ging sie auf direktem Weg dorthin. Sie nahm den Hörer ab und wählte die Notruf-Nummer. Während Sie wenig später einem Beamten vom Einbruchsdezernat zu schildern versuchte, was geschehen war, fiel ihr Blick auf Walt Brannigans Schreibtisch und seinen Büroschrank.

Das war es also gewesen, was der Einbrecher gesucht hatte. Dort war alles durchwühlt. Und dennoch - das Chaos hielt sich Grenzen. Wer immer auch hier gewesen war - er hatte ganz genau gewußt, was er wollte. Für den vergoldeten Füllfederhalter auf dem Schreibtisch hatte er sich zum Beispiel überhaupt nicht interessiert.

"Wir werden jemanden bei Ihnen vorbeischicken!" sagte die gestreßt klingende Männerstimme am Telefonhörer.

"Tun Sie das!" erwiderte Joanne und legte auf.

Sie atmete tief durch und wandte ein wenig den Kopf. Dann ließ ein Geräusch sie erstarren. Namenloses Entsetzen hatte auf einmal von ihr Besitz ergriffen. Mit den Augenwinkeln sah gerade noch etwas wie eine schemenhafte Gestalt und eine Bewegung.

Sie hob schützend die Hand, aber es ging zu schnell.

Der Schlag war wuchtig genug, um sie hart zu Boden schlagen zu lassen. Mit dem Kopf kam sie dabei gegen die harte Kante des niedrigen Wohnzimmertisches. Einen Moment lang war sie wie weggetreten. Ihr war schwarz vor den Augen. Schwindel erfaßte sie. Alles begann sich zu drehen, während ihre Rechte den Kopf berührte. Dunkel nahm sie wahr, daß sie aus einer Wunde blutete.

Sie wollte sich herumdrehen und erheben, aber bevor es soweit war, kam der zweite Schlag.

*

Joanne Carter öffnete die Augen. Ein schwaches Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie Jo Walker sah. Sie lag in einem Krankenhausbett und hatte einen dicken Verband um den Kopf.

"Wie geht's ihnen?" fragte Jo.

"Den Umständen entsprechend", meinte sie. "Der Arzt meinte, ich hätte Glück gehabt. Wenn der Kerl etwas fester zugeschlagen hätte, würden wir uns jetzt nicht mehr unterhalten können. Ich werde wohl noch eine ganze Weile hier in dieser Klinik bleiben müssen."

Jo nickte.

"Sind Sie sicher, daß es ein Mann war?"

Sie zuckte mit den Schultern und versuchte sich aufzurichten, blieb aber doch in Kissen. Sie stöhnte etwas und faßte sich mit beiden Händen an den Kopf. "Mein Schädel hat, glaube ich, in meinem ganzen Leben noch nicht so gebrummt! Ich hoffe, das geht irgendwann wieder vorbei!"

"Bestimmt."

Sie seufzte. "Um ehrlich zu sein, Mister Walker: Ich habe nicht viel von dem Täter gesehen. Die Leute vom Einbruchsdezernat waren auch schon hier, um mich zu befragen. Ich konnte ihnen leider nicht weiterhelfen..."

"Aber Sie sind sich sicher, daß es ein Mann war?"

Sie sah Jo etwas hilflos an. "Ich nehme es an", meinte sie. "Hängt der Einbruch mit Walts Tod zusammen?"

Jo nickte entschieden. "Das könnte durchaus sein. Seine Unterlagen sind das einzige, an dem der Täter interessiert gewesen ist."

"Wie reimen Sie sich das zusammen, Mister Walker?"

"Keine Ahnung. Ich weiß auch nicht genau, was fehlt. Mit einer Ausnahme. Da war eine Karte von Vermont..."

Sie nickte. "Ich erinnere mich."

"Sie haben sie nicht irgendwohin getan?"

"Nein. Sie müßte dort liegen, wo Sie sie hingelegt haben, Mister Walker!"

"Dann hat sie der Einbrecher mitgenommen."

"Und warum?"

"Eine gute Frage. Hatte Ihr Freund in letzter Zeit in Vermont zu tun?"

"Vor einiger Zeit war er mal für zwei Tage dort."

"Hatte das mit seiner Arbeit im Ingenieur-Büro zu tun?"

"Ja. Jedenfalls hat er das gesagt. Die Sache hat ihn eine Weile ziemlich beschäftigt. Ich erinnere mich jetzt, daß er zwei Nächte über seinen Berechnungen gesessen hat."

"Worum ging es?"

"Ich habe ihn nicht gefragt. Warum auch? Für mich waren das alles nur Hieroglyphen, aber ich konnte mir ja denken, daß es um eine Brücke gehen mußte. Es war auch nicht das erste Mal, daß Walt Arbeit mit nach Hause genommen hat..."

Eine Schwester kam herein. Das charmante Lächeln verschwand augenblicklich, als sie Walker sah. "Miss Carter ist heute schon einmal befragt worden", stellte sie mit einem sehr bestimmten Unterton fest. Sie hatte ihre schlanken Arme in die geschwungenen Hüften gestemmt und wirkte sehr entschlossen. "Ich muß Sie bitten zu gehen, Lieutenant!"

Jo grinste. So schnell, konnte man zum Polizei-Lieutenant aufsteigen. "Eine Frage noch, Miss Carter: Sagt Ihnen der Name Arnold Parker etwas?"

Joanne überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf.

"Nein. Nicht das ich wüßte."

"Wie ist Ihre Dienstnummer?" forderte die Schwester indessen. "Ich werde mich bei Ihren Vorgesetzten über Sie beschweren."

"Tun Sie das ruhig!" lächelte Jo.

*

Während Jo hinter dem Steuer seines champagnerfarbenen 500 SL saß, meldete sich April von der Agentur aus.

"Ich hoffe du hast gute Nachrichten!" meinte Jo.

"Ich habe etwas herumtelefoniert, Jo. Rutland, Vermont, so war der Name des Ortes, den Brannigan angekreuzt hatte."

"Es gibt nicht viele größere Städte in Vermont", erwiderte Jo. "Ich habe nur kurz hingesehen, aber ich glaube nicht, daß ich mich täusche."

"Die Firma P.McGreedy ist jedenfalls für eine Brückenkonstruktion in Rutland verantwortlich... Ich bin zwei Dutzend Stadtverwaltungen in Vermont durchgegangen, aber es scheint das einzige Projekt von McGreedy in diesem Staat gewesen zu sein. Doch die Brücke steht seit acht Jahren!"

"Das ist wirklich interessant!" meinte Jo. "Ich frage mich, was Walt Brannigan bei einer Brücke zu suchen hatte, an der wohl kaum noch gebaut wurde..."

Eine Viertelstunde später stellte Jo seinen Wagen in der Nähe von Pamela McGreedys Privatadresse in Greenwich Village ab. Es war jetzt halb sechs. Pamela würde vermutlich bald nach Hause kommen und dann würde sie sich ein paar Fragen von Jo gefallen lassen müssen.

Wen jemand in Brannigans Unterlagen herumgewühlt und nur bestimmte Sachen mitgenommen hatte, dann gestattete das nur eine Schlußfolgerung: Der Täter war ein Fachmann. Jedenfalls, was Brücken anging, nicht so sehr, was den Einbruch betraf, denn der Trug alles andere als die Handschrift eines Profis. Die Tür war mit einem Stemmeisen geknackt worden. Plumper ging es kaum noch.

Jo hatte die Tür gerade zugeschlagen, da hörte er hinter sich eine ziemlich unfreundliche Stimme.

"Können Sie nicht lesen!" rief ein Mann aus einem Buick heraus. "Ich bin Arzt, das da vorne ist mein Parkplatz! Was glauben Sie, was passiert wenn es einen Notfall gibt und ich erst um drei Häuserblocks laufen muß, um zu meinem Wagen zu kommen! Dann tragen Sie die Verantwortung!"

Jo hob beschwichtigend die Hände. "Ist ja gut!" meinte er. "Ich fahre ein Stück weiter!"

Aber der Mann beruhigte sich noch lange nicht. Er schien wirklich sehr ärgerlich zu sein. "Es ist immer dasselbe! Und immer sind es Leute wie Sie, mit dicken Karossen! Sie glauben wohl, daß die Straße Ihnen gehört! Mercedes, BMW, letztens sogar ein blauer Ferrari!"

Jo hatte schon die Hand an der Fahrertür seines SL gehabt, jetzt ging er um den Buick herum zu dem heruntergekurbelten Fenster. Der Mann schien wirklich Arzt zu sein. Auf seinem Beifahrersitz war seine halb geöffnete Tasche aus der ein Stethoskop herausschaute. Daneben eine Packung mit Einweghandschuhen.

"Sagten Sie gerade etwas von einem blauen Ferrari?"

Ferraris waren nicht gerade ein Auto für Jedermann. Aber Walt Brannigan hatte einen gefahren. Einen, mit derselben Farbe. Blau.

"Was soll das? Machen Sie nun Platz und stellen Ihre verdammte Angeber-Karre woanders hin oder muß ich Sie erst abschleppen lassen?"

Jo hielt ihm seine Lizenz unter die Nase und meinte dann: "Es ist sehr wichtig, Mister! Es geht um Mord! Ich suche mir einen anderen Parkplatz, aber sagen Sie mir, wann Sie hier einen blauen Ferrari gesehen haben!"

Er atmete tief durch.

"Meine Praxis ist im zweiten Stock. Kommen Sie dort hin, dann reden wir weiter!"

Jo nickte. "Okay."

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