Vier zauberhafte Schwestern und die große Versöhnung - Sheridan Winn - E-Book + Hörbuch

Vier zauberhafte Schwestern und die große Versöhnung E-Book

Sheridan Winn

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Beschreibung

Vier zauberhafte Schwestern halten zusammen Die vier Schwestern entdecken, dass ihre Cousine Verena plötzlich auch über magische Kräfte verfügt. Was wird ihre Großmutter Glenda jetzt tun? Wird sie versuchen, Verena für ihre finsteren Pläne einzuspannen, um sich Cantrip Towers endlich unter den Nagel zu reißen? Und kann Verena sich gegen ihre böse Großmutter Glenda zur Wehr setzen und zu ihren Freundinnen Flame, Marina, Flora und Sky halten? Die Schwestern rechnen mit dem Schlimmsten und wissen nicht, wem sie sich anvertrauen sollen ... -  Der fünfte Band der erfolgreichen Serie - Voller Magie und Abenteuer - Mit vielen zauberhaften Vignetten und einem Familienstammbaum von Franziska HarveyAlle Bände der Serie: Band 1: Vier zauberhafte Schwestern Band 2: Vier zauberhafte Schwestern und der magische Stein Band 3: Vier zauberhafte Schwestern und das Geheimnis der Türme Band 4: Vier zauberhafte Schwestern und ein Geist aus alten Zeiten Band 5: Vier zauberhafte Schwestern und die große Versöhnung Band 6: Vier zauberhafte Schwestern und die fremde Magie Band 7: Vier zauberhafte Schwestern und die uralte Kraft Band 8: Vier zauberhafte Schwestern und die geheimnisvollen Zwillinge  Band 9: Vier zauberhafte Schwestern und die Weisheit der Eulen Band 10: Vier zauberhafte Schwestern und die unsichtbare Gefahr Prequel 1: Vier zauberhafte Schwestern – Wie alles begann: Flame und die Kraft des Feuers Prequel 2: Vier zauberhafte Schwestern – Wie alles begann: Marina und die Kraft des Wassers Prequel 3: Vier zauberhafte Schwestern – Wie alles begann: Flora und die Kraft der Erde Alle Bände bei Antolin gelistet

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Seitenzahl: 277

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Sheridan Winn

Vier zauberhafte Schwestern und die große Versöhnung

 

Aus dem Englischen von Katrin Weingran

 

Mit Vignetten von Franziska Harvey

Über dieses Buch

 

 

Vier zauberhafte Schwestern halten zusammen

 

Die vier zauberhaften Schwestern entdecken, dass ihre Cousine Verena plötzlich auch über magische Kräfte verfügt. Wird ihre Großmutter Glenda jetzt versuchen, Verena für ihre finsteren Pläne einzuspannen, um sich Cantrip Towers endlich unter den Nagel zu reißen? Kann Verena sich gegen sie zur Wehr setzen und zu ihren Freundinnen Flame, Marina, Flora und Sky halten? Die vier Schwestern brauchen dringend Hilfe – aber von wem?

 

Der fünfte Band der erfolgreichen Serie voller Magie und Abenteuer – mit vielen zauberhaften Vignetten von Franziska Harvey

 

Alle Bände der Serie:

Band 1: Vier zauberhafte Schwestern

Band 2: Vier zauberhafte Schwestern und der magische Stein

Band 3: Vier zauberhafte Schwestern und das Geheimnis der Türme

Band 4: Vier zauberhafte Schwestern und ein Geist aus alten Zeiten

Band 5: Vier zauberhafte Schwestern und die große Versöhnung

Band 6: Vier zauberhafte Schwestern und die fremde Magie

Band 7: Vier zauberhafte Schwestern und die uralte Kraft

Band 8: Vier zauberhafte Schwestern und die geheimnisvollen Zwillinge 

Band 9: Vier zauberhafte Schwestern und die Weisheit der Eulen

Band 10: Vier zauberhafte Schwestern und die unsichtbare Gefahr

Prequel 1: Vier zauberhafte Schwestern – Wie alles begann: Flame und die Kraft des Feuers

Prequel 2: Vier zauberhafte Schwestern – Wie alles begann: Marina und die Kraft des Wassers

Prequel 3: Vier zauberhafte Schwestern – Wie alles begann: Flora und die Kraft der Erde

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter www.fischerverlage.de/kinderbuch-jugendbuch

Biografie

 

 

Sheridan Winn lebt in Norwich, England, und arbeitet als freie Kinderbuchautorin und Journalistin für bekannte Magazine und Zeitungen. Sie hat zwei erwachsene Kinder und eine Enkelin und ist selbst in einem großen Haus voller geheimnisvoller Schränke und schrulliger Tanten aufgewachsen. Das Haus hieß Littlewood House, stand auf einem riesigen Grundstück und hat sie auf die Idee gebracht, diese Geschichte zu schreiben. Genau wie die Cantrip-Mädchen ist Sheridan Winn eine von vier Schwestern – die alle an die Kraft der Magie glauben.

 

Franziska Harvey, geboren 1968, studierte Illustration und Kalligraphie und arbeitet als freie Illustratorin für verschiedene Verlage und Agenturen. Sie lebt mit ihrer Familie in Frankfurt am Main.

Inhalt

[Widmung]

Stammbaum

Die vier zauberhaften Schwestern - Steckbriefe ...

... und ihre Familie

Verenas Hände

Flame braucht Zeit zum Nachdenken

Der Plan verändert sich

Verena, ganz allein

Dunkle Magie

Verenas magische Kräfte

Glenda wird Paroli geboten

Ein Besuch bei Verena

Ausreden

Dads Erwachen

Die Wahrheit über Magie

Streit und Verwirrung

Alles wird noch viel schlimmer

Grandma stattet Glenda einen Besuch ab

MrsDuggery trifft ein

Eine harte Nuss

Glenda gibt nach

Neue Magie

Eine Kugel aus goldenem Licht

Die Heimkehr

Weihnachten auf Cantrip Towers

Danksagung

Für Mandy, die bewundernswert tapfer gewesen ist

Stammbaum

Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt des Familienstammbaums!

Die vier zauberhaften Schwestern - Steckbriefe ...

... und ihre Familie

Verenas Hände

Verena Glass streckte ihre langen schlanken Hände aus. Warum kribbelten sie so? Was war das für ein seltsames Prickeln in ihren Fingern? Sie hatte es noch nie zuvor gespürt. Als ob sie unter Strom stünden, dachte sie und betrachtete grübelnd ihre Handflächen. Sie drehte sie um, aber ihre Hände sahen aus wie immer: weich, mit rosafarbener Haut und kurzgeschnittenen, sorgfältig manikürten Fingernägeln. Und doch war etwas anders, sie fühlten sich anders an.

Verena blickte aus ihrem Schlafzimmerfenster auf die sanften Hügel von Norfolk. Die Felder, die Eichenruh von allen Seiten umgaben, waren abgeerntet und die Bäume kahl. Ein plötzlicher Windstoß fegte ein paar Schneeflocken an ihrem Fenster vorbei. Sie fröstelte leicht. Das elegant eingerichtete Haus wirkte leer und kalt. Seit Mummy uns verlassen hat, ist auf Eichenruh nicht mehr gelacht worden, dachte sie und lehnte sich gegen das Fußteil ihres Metallbettes. Ihre Gedanken wanderten zu Cantrip Towers, das eine Meile die Straße hinunter lag. In der großen, behaglichen Küche herrschte heute bestimmt geschäftiges Treiben, während die Cantrip-Familie ihre Weihnachtsvorbereitungen traf. Ich frage mich, was Flame und ihre Schwestern gerade machen. Ich wette, sie haben viel Spaß.

Heute ist der zwölfte Dezember, also sind es nur noch dreizehn Tage bis Weihnachten. Verena lächelte in sich hinein. Mummy wird schon bald zu Hause sein. Dann hat das Warten endlich ein Ende. Ich vermisse sie so sehr.

Wuuusch! Wieder schoss Energie durch ihre Finger. Sie holte erschrocken Luft und blickte verwundert auf ihre Hände. Was passiert hier gerade? Was hat das zu bedeuten?, fragte sie sich.

Von unten hörte sie ihre Großmutter rufen: »Zeit fürs Mittagessen!«

Verena presste die Lippen zusammen und seufzte tief. Ich werde Grandma das mit meinen Händen nicht erzählen, beschloss sie.

Aber Glenda Glass machte man so leicht nichts vor. Sobald sie zusammen am Tisch saßen, spürte Verena, dass ihre Großmutter sie aufmerksam beobachtete. Während des Essens ertappte sie Glenda mehrmals dabei, wie sie sie ansah. Jedes Mal wandte ihre Großmutter den Blick sofort wieder ab.

Sie weiß, dass etwas passiert ist, dachte Verena. Das spüre ich. Es ist, als könne sie durch mich hindurchsehen. Aber ich werde trotzdem nichts sagen.

Glenda aß schweigend. Sie saß kerzengerade da, mit stolzem Blick. In ihrer Jugend war sie Balletttänzerin gewesen, und sie bewegte sich noch immer voller Eleganz und Anmut. »Was hast du den ganzen Vormittag gemacht?«, verlangte sie zu wissen.

»Ach, nur dies und das in meinem Zimmer«, antwortete Verena ausweichend.

»Du wirkst etwas zerstreut auf mich«, kommentierte Glenda.

»Ich habe bloß an Mummy gedacht«, erwiderte Verena rasch.

»Sie wird bald zu Hause sein«, sagte Glenda mit einem kleinen Lächeln. Dieses gezwungene Lächeln erinnerte Verena daran, dass ihre Großmutter Zoes Heimkehr ganz und gar nicht begrüßte. Denn Glenda höchstpersönlich hatte ihre Magie missbraucht, um Zwietracht zu säen, und damit ihre Mutter vertrieben. Das hatte Verena erst wenige Wochen zuvor erfahren, als sie einen Streit zwischen ihrer Großmutter und Charles Smythson, dem Cousin ihres Vaters, belauscht hatte. Damals hatte sie die beiden über die magischen Kräfte der Cantrip-Familie reden hören und darüber, dass Glenda ihre Kräfte missbraucht hätte.

Verena wusste nicht, was das alles bedeuten sollte. Sie hatte Flame Cantrip nach den magischen Kräften gefragt, aber das Mädchen wollte nicht mit ihr darüber reden. Genau wie ihre Schwester Marina, die Verena ebenfalls gefragt hatte. Alles, was Flame ihr gesagt hatte, war, dass Verena es verstehen würde, wenn die Zeit dafür gekommen sei. Wenn welche Zeit gekommen ist?, hatte sie sich gefragt. Zumindest hat Flame mich angehört, tröstete sie sich. Es war das erste Mal, dass wir richtig miteinander geredet haben.

Sie hatte überlegt, ihre Großmutter nach den magischen Kräften zu fragen, aber Glenda jagte ihr Angst ein. Wenn das, was Charles gesagt hatte, stimmte, dann war ihre Großmutter jemand, vor dem man sich in Acht nehmen musste, jemand, dem man nicht vertrauen konnte.

Instinktiv erkannte Verena, dass er die Wahrheit gesagt hatte. Während der vergangenen Monate hatte Glenda sie so oft gedrängt, ja sogar gezwungen, ihr Informationen über die Cantrips zu beschaffen. Sie hatte gesehen, wie Glendas kalte blaue Augen jedes Mal vor Wut blitzten und sie ihre schmalen Lippen zusammenpresste, sobald das Gespräch auf die Cantrip-Schwestern oder ihre Großmutter Marilyn kam.

Keiner von den Cantrips kann sie leiden, das ist nicht zu übersehen, dachte Verena. Ich frage mich, was wohl dahintersteckt?

Da sie sich bewusst war, dass ihre Großmutter sie mit Argusaugen beobachtete, versuchte Verena sich auf das vor ihr stehende Essen aus gebratenem Hühnchen und Gemüse zu konzentrieren. »Es schmeckt sehr lecker, Grandma, danke fürs Kochen«, murmelte sie.

»Vielen Dank«, sagte Glenda überrascht. Verena lobte ihre Kochkünste sonst nie.

Sie aßen eine Weile schweigend, dann hakte Glenda noch einmal nach: »Bist du sicher, dass es dir gutgeht? Du siehst etwas blass aus.«

»Ja, mir geht es gut«, sagte Verena und hielt dabei Messer und Gabel so fest umklammert, dass ihre Fingerknöchel hervortraten.

Grandma guckt meine Hände so forschend an, dachte sie. Kann sie sehen, was gerade mit mir passiert? Soll ich etwas sagen?

Einen Moment lang war sie in Versuchung. Es wäre eine große Erleichterung gewesen, mit jemandem darüber zu reden. Aber etwas riet ihr, Stillschweigen zu bewahren. Und so verlief der Rest des Essens größtenteils schweigend.

Verena half ihrer Großmutter noch schnell, den Tisch abzuräumen, dann stürmte sie in ihr Zimmer. Kaum dass sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, durchfuhr sie ein neuer Energiestoß: Wuuusch jagte die Elektrizität durch ihre Hände. Mit wild klopfendem Herzen lehnte Verena sich gegen die Tür.

Ich muss Flame anrufen, dachte sie, durchquerte den Raum und griff nach ihrem Handy. Sie ließ sich auf ihr Bett fallen, drückte fieberhaft Flames Nummer auf der Tastatur – und wartete.

Flame, etwas Seltsames geschieht gerade mit mir! Meine Großmutter hat es bemerkt, aber ich weiß nicht, was es ist!, wollte sie rufen, aber niemand hob ab und schließlich sprang die Mailbox an. Verena starrte die gegenüberliegende Wand an. Das kann ich Flame nicht auf die Mailbox sprechen, dachte sie verzweifelt.

Wuuusch! Ein sehr viel stärkerer Energieimpuls schoss durch ihre Hände, dieses Mal bis zu den Armen hinauf. Verena schrie erschrocken, sie saß nach Luft ringend auf dem Bett.

Ruhig bleiben, dachte sie. Atme tief und langsam ein und aus. Guck aus dem Fenster, und sieh die Bäume an.

Eine Weile saß sie so da, absolut regungslos, bis ihre Gedanken zur Ruhe kamen und ihr Körper sich entspannte. Dann konzentrierte sie sich auf das Gefühl in ihrer Hand, holte tief Luft und hob den rechten Arm, bis er auf Höhe ihrer Schulter war. Sie hielt den Arm ruhig, ballte Daumen und Finger zu einer Faust und streckte den Zeigefinger aus.

Dann wartete sie. Das Kribbeln wurde stärker – und verschwand.

Das ist doch lächerlich, dachte sie und betrachtete ihren Zeigefinger. Sie lächelte in sich hinein. Was tue ich da? Was glaube ich, wird passieren?

Sie senkte den Arm und sah sich im Zimmer um. Draußen wurde es allmählich dunkel. Bald ist es Zeit, das Licht anzumachen, dachte sie.

Sie lehnte sich zurück gegen ihr Kissen und legte ihren linken Arm auf dem Metallrahmen ihres Bettes ab.

Dann, beinah instinktiv, hob sie ihren rechten Arm und zeigte mit dem Finger auf die Glühbirne, die in einem kirschroten Lampenschirm von der Deckenmitte herabhing.

Einmal mehr, wenn auch sehr viel stärker als zuvor, jagte das seltsame Gefühl durch ihren Arm. Es schoss durch ihre Hand und aus ihrem Finger – und die Glühbirne leuchtete auf. Im selben Moment legte sich der Lichtschalter an der Wand mit einem Klick um.

Verena schrie überrascht auf und senkte ihren Arm. Sie sah die Glühbirne voller Erstaunen an. »Wahnsinn! War ich das? Wie habe ich das gemacht?«, sagte sie laut.

Da klopfte es an ihrer Tür. Glenda Glass öffnete sie einen Spalt und steckte ihren Kopf ins Zimmer. »Ist alles in Ordnung mit dir, Verena?«, frage sie. »Ich dachte, ich hätte dich schreien gehört.«

»Ich habe ein bisschen Bauchweh«, sagte Verena schnell. »Ich werde mich eine Weile hinlegen.«

Glenda ließ ihren Blick durch den Raum schweifen, sah hinauf zu der brennenden Glühbirne und konzentrierte ihre Aufmerksamkeit dann auf Verena. Ihre kalten blauen Augen musterten die Enkelin forschend.

»Mir geht es gut, Grandma«, sagte Verena. »Ich komme gleich runter zu dir. Dann können wir einen Film zusammen schauen.«

Glenda nickte. »Einverstanden. Ich warte im Wohnzimmer auf dich.« Sie verließ den Raum wieder und zog die Tür hinter sich zu.

Verena lauschte, wie ihre Großmutter die Treppe nach unten ging. Dann stand sie auf und öffnete die Zimmertür vorsichtig einen kleinen Spalt. Sie konnte ihre Großmutter im Erdgeschoss rumoren hören. Die Luft ist rein, dachte sie, schloss behutsam die Tür und kehrte zu ihrem Bett zurück.

Wieder nahm sie darauf Platz und packte mit der linken Hand den Metallrahmen ihres Bettes. Dann streckte sie ihren rechten Zeigefinger aus und deutete damit auf die Glühbirne der Deckenlampe. Dieses Mal rechnete sie damit, dass die Energie durch ihren Arm schießen würde. Und so war es auch. Pling! Die Glühbirne erlosch und der Schalter an der Wand legte sich um.

Sie versuchte es erneut – und das Licht ging an. Dann machte sie es wieder aus. An, aus, an, aus, dachte sie, während sie sich darauf konzentrierte, die Glühbirne zu kontrollieren.

Ein paar Minuten experimentierte Verena Glass in der hereinbrechenden Dunkelheit mit ihrer neuen Fähigkeit. Dann warf sie das lange blonde Haar zurück und sah ihren Zeigefinger nachdenklich an. Sie wackelte damit und drehte und wendete ihn.

Ich kann das Licht an- und ausschalten, indem ich mit dem Finger darauf zeige und mich konzentriere. Das ist einfach unglaublich! Es ist, als hätte ich plötzlich magische Kräfte, dachte sie.

Kaum hatte sie das gedacht, erfasste sie eine unheimliche Ruhe. Wie betäubt starrte sie ihre Hand an. Ist es das?, fragte sie sich. Habe ich jetzt magische Kräfte? Ich bin eine Cantrip, und ich habe gehört, wie Charles zu Grandma gesagt hat, dass einige der Cantrips magische Kräfte hätten. Ob Flame und ihre Schwestern etwa auch welche haben? Können sie, was ich kann?

Vielleicht wollten Flame und Marina deshalb nicht mit mir darüber sprechen, dachte sie. Wenn sie selbst keine magischen Kräfte besäßen, hätten sie mich bestimmt ausgelacht und für verrückt erklärt. Aber das haben sie nicht. Sie haben mich angesehen, als seien sie plötzlich völlig fasziniert von mir. Als gäbe es da etwas Neues an mir, das sie bis dahin nicht wahrgenommen hätten.

O mein Gott, dachte sie mit einem Lächeln. Vielleicht gehöre ich zu den Cantrips, die magische Kräfte haben!

Aber es scheint, als gäbe es verschiedene Arten von Magie, überlegte sie weiter und rief sich in Erinnerung, wie sie ihre Großmutter und Charles hatte streiten hören. Er hatte ihr vorgeworfen, eine abscheuliche Person zu sein, die handelte, ohne auf die Gefühle anderer Menschen Rücksicht zu nehmen. Er hatte gesagt, sie hätte ihre Magie missbraucht, um den Cantrips weh zu tun, und versucht, ihnen Cantrip Towers wegzunehmen. Er hatte sogar behauptet, sie habe Marilyn Cantrips Geld gestohlen!

Wenn das wahr ist, ist es kein Wunder, dass die Cantrip-Familie sie nicht leiden kann, dachte Verena. Was Großmutter wohl tun würde, wenn sie wüsste, dass ich ebenfalls über magische Kräfte verfüge? Würde sie sich freuen? Oder wäre sie wütend? Würde sie mich zwingen, den Cantrip-Schwestern zu schaden?

Verena setzte sich in ihrem Bett auf. Ich muss so bald wie möglich mit Flame reden, Grandma dagegen darf ich nichts davon erzählen. Sie darf auf keinen Fall erfahren, was passiert ist. Ich habe, auch ohne dass sie es weiß, schon genug Angst vor ihr.

In diesem Moment hörte sie ihre Großmutter nach ihr rufen: »Verena, kommst du?«

»Ich bin gleich unten«, rief Verena, und sie stand vom Bett auf und ging auf die Tür zu.

 

Auf Cantrip Towers hatte an diesem Tag in der Tat geschäftiges Treiben geherrscht – und nicht bloß in der Küche. Während Grandma und Flame den Weihnachtskuchen verzierten, der auf dem Küchentisch stand, halfen Marina, Flora und Sky ihrer Mutter dabei, den Baum zu schmücken. Die riesige Fichte stand in der Ecke des Wohnzimmers. Ihre Äste bogen sich bereits unter der Last der vielen bunten Christbaumkugeln und Lichter.

Bert, Grandmas Dackel, lag vor dem prasselnden Kaminfeuer und sah ihnen zu. Seine langen, schlabberigen Ohren hingen ihm ins Gesicht, während er seinen Kopf auf die Vorderläufe stützte.

»Jetzt reicht es aber«, sagte Mum und hob Archie hoch, den siebzehn Wochen alten Labrador, der an den Kabeln der Lichterketten schnüffelte. Abgesehen davon, dass er allen zwischen den Füßen herumgetapst war und an zahlreichen Weihnachtsdekorationen herumgekaut hatte, hatte er auch hinter das Sofa gepinkelt. Mum marschierte mit dem kleinen Hund unter dem Arm in die Küche und kam ohne ihn wieder ins Wohnzimmer zurück. Die Tür schloss sie nachdrücklich hinter sich.

Während die Mädchen weiter den Baum schmückten, wandte sich Mum den Weihnachtskarten zu. Zuerst befestigte sie die Karten an großen roten Schleifen. Dann stieg sie auf die Trittleiter und hing die Schleifen an die Bilderleiste, die dicht unter der hohen Decke an der Wand entlang lief. An den Wohnzimmerwänden hingen so viele Gemälde und Familienporträts, dass kaum Platz für die Karten blieb, aber Mum gelang es, alle unterzubringen.

»Es werden bestimmt noch einige kommen«, meinte Marina und blickte zweifelnd zu den Karten hinauf.

»Wir können ja noch welche rechts und links neben den Kamin hängen«, schlug Mum vor.

Das Wohnzimmer war der eleganteste Raum im ganzen Haus, mit seiner hohen Decke, den hellblauen Wänden, dem offenen Kamin und dem riesigen Bücherregal aus Eiche, das die gesamte Westwand einnahm. Wegen seiner Größe und der damit verbundenen Heizkosten nutzten die Cantrips es nur zu besonderen Anlässen. Und Weihnachten war einer von ihnen. Hier würden sie am Weihnachtsmorgen alle auf den cremefarbenen Sofas und den Perserteppichen sitzen, die das auf Hochglanz polierte Eichenparkett bedeckten, und ihre Geschenke auspacken.

 

Am frühen Nachmittag waren sie mit dem Schmücken des Baums fertig.

»Hier drin sieht es richtig schön festlich aus!«, sagte Dad, als er ins Wohnzimmer kam. Er hatte den Tag in seinem Büro auf Cantrip Towers verbracht und gearbeitet.

»Ja, es glitzert alles!«, sagte Sky begeistert. Ihre großen grauen Augen leuchteten vor Freude.

»Das tut es«, erwiderte Dad zustimmend und legte ihr einen Arm um die Schultern.

Flora ging zu ihrem Vater und drückte ihn fest. Sie standen sich besonders nahe, denn sie teilten die Liebe zur Gartenarbeit miteinander und waren beide eher zurückhaltende Menschen.

»Das habt ihr wirklich toll gemacht«, sagte Dad. »Wir werden alle ein wundervolles Weihnachtsfest zusammen feiern.«

Flame braucht Zeit zum Nachdenken

Sobald die Küche aufgeräumt war, ging Flame nach oben in ihr Zimmer. Es hatte ihr viel Spaß gemacht, den Kuchen zu verzieren, und sie hatte das fröhliche Zusammensein mit ihrer Familie genossen, aber jetzt wollte sie allein sein.

Flame musste über etwas nachdenken, und sie hatte vor, etwas zu überprüfen.

Die älteste Cantrip-Schwester besaß die Gabe, in die Zukunft zu sehen. Es war Teil ihrer Magie des Ostens, ein sehr weitsichtiger Mensch zu sein und stets planvoll vorzugehen. Wenn die Schwestern in Gefahr gerieten, war es meist Flame, die einen Ausweg fand.

Ein paar Wochen zuvor, um Halloween herum, hatte ein böser Geist Cantrip Towers heimgesucht. Der Geist, der durch die Flure gefegt war und alle in Angst und Schrecken versetzt hatte, war kein mittelalterliches Schlossgespenst gewesen, sondern der Geist von Glenda Glass’ Großmutter Margaret.

Flames Gabe, in die Zukunft sehen zu können und gute Pläne zu schmieden, hatte die Schwestern in die Lage versetzt, den Geist zu versöhnen. Es stimmte, die älteste Cantrip-Schwester war oftmals ein Hitzkopf, aber sie war auch sehr mutig und entschlossen. Vor allem aber beschützte sie ihre Schwestern.

Flame hatte den ganzen Tag schon etwas beschäftigt. Noch war sie nicht sicher, worum es sich dabei handelte. Es war eine ihrer speziellen Ahnungen, wie ihre Schwestern gesagt hätten. Das Gefühl, das sie durchströmte, war neu. Seit dem späten Morgen hatten ihr rechter Arm und ihre rechte Hand geprickelt.

Als sie nun die Zimmertür hinter sich schloss, wurde das Prickeln stärker. Ein Energiestoß schien durch ihren Arm zu fahren. Aber es fühlte sich nicht an wie ihre eigene Magie, die Kraft des Feuers. Nein, das hier war anders.

Warum sehe ich ständig Verenas Gesicht vor mir? Hat sie irgendetwas damit zu tun?, grübelte Flame, während sie quer durch das Zimmer zum Bücherregal ging.

Sie kniete sich auf den marineblauen Teppich, beugte sich vor und zog ein paar große, schwere Bücher vom untersten Regalbrett. Dahinter verborgen war eine kleine Holzkiste, die wie ein altmodisches Zigarrenetui aussah.

Flame nahm das Kästchen aus seinem Versteck und legte es auf ihren Schoß. Eine Weile fuhr sie mit dem Finger gedankenverloren das Muster nach, das in den Deckel der Kiste geschnitzt war. Es war ein Kreis, der zweifach durchkreuzt wurde.

Das Kreuz im Kreis, erinnerte sie sich. MrsDuggery hat uns angewiesen, danach Ausschau zu halten. Sie hat gesagt, auf Cantrip Towers gelte es einen Schatz zu finden. Flame dachte an die winzige, sehr alte Dame mit dem lila Strickhut und den klobigen braunen Stiefeln. Von allen Cantrips besaß MrsDuggery die mächtigste Magie. Sogar Glenda Glass mit ihren dunklen Kräften konnte ihr nicht das Wasser reichen.

Wir waren so beschäftigt mit den ganzen Weihnachtsvorbereitungen, dass wir den Schatz darüber völlig vergessen haben, dachte Flame und öffnete den Deckel der kleinen Kiste. Ich muss mit den anderen reden, und wir müssen anfangen, nach dem zweifach durchkreuzten Kreis zu suchen. Wir müssen den Schatz unbedingt finden, was es auch ist. Glenda Glass hat sich zurückgehalten, seit der Geist verschwunden ist, aber wer weiß schon, wie lang das anhalten wird? Solange sie in der Nähe ist, sind wir in Gefahr, denn sie hat keine Skrupel, ihre dunklen Kräfte gegen uns einzusetzen.

Flame sah in das hölzerne Kästchen. Darin lagen vier getrocknete Rosenknospen, die sehr brüchig schienen, zwei alte schwarz-weiße Familienfotografien, ein kleiner Schlüssel, ein Umschlag, der an die Cantrip-Schwestern adressiert war, mit einem Brief darin, und ein Stück festes Papier, das doppelt gefaltet war.

Flame nahm das gefaltete Blatt Papier heraus, schloss den Deckel des Kästchens und stellte es auf den Boden. Sie lehnte sich zurück gegen das Bücherregal, faltete das Blatt auseinander und ließ ihren Blick darübergleiten. Sie hatte dieses Stück Papier schon Hunderte von Malen studiert und kannte jedes Detail und jede Markierung.

In schwarzer Tinte und in einer altmodischen Handschrift notiert, waren auf dem Blatt die Grundrisse der verschiedenen Stockwerke von Cantrip Towers abgebildet, vom Erdgeschoss bis zum Dachboden im dritten Stock und hinauf in die zwei Türme. Jeder Grundriss zeigte die breite Treppe, die in der Mitte des Hauses alle Stockwerke miteinander verband.

Die einzelnen Abschnitte des Plans waren mit einer Vielzahl kleiner Markierungen versehen, zu denen die Buchstaben O, S, W und N gehörten. Dieser Angabe, die für Osten, Süden, Westen und Norden stand, folgten die Schwestern, um die Magie anzuwenden, die das Portal öffnete.

Dieses Blatt Papier ist von unschätzbarem Wert, dachte Flame. Glenda Glass würde vor nichts haltmachen, um den geheimen Plan von Cantrip Towers in die Finger zu bekommen, der uns befähigt hat, das Portal zu öffnen und durch die Zeit in die Vergangenheit unserer Familie zu reisen. Und George Cantrip – er hat uns ermahnt, gut auf den Plan aufzupassen. Flame erinnerte sich an die Begegnung mit ihrem vor langer Zeit verstorbenen Ur-Urgroßonkel, der durch das Portal gereist war, um sie zu treffen. Ich muss gut auf ihn achtgeben, dachte sie.

Als Flame den Plan so ansah, regte sich plötzlich eine Erinnerung in ihrem Hinterkopf. Es war etwas, das George gesagt hatte, als er gekommen war, um sie vor Margaret zu warnen. ›Es wird eine Zeit kommen, da die Markierungen auf dem geheimen Plan sich ändern werden‹, hatte er gesagt. Es gäbe noch viel, das wir lernen müssten, erinnerte sich Flame. Und wir würden es erkennen, wenn die Zeit dafür gekommen sei.

Ist die Zeit nun reif?, fragte sie sich. Sie nahm den Plan genauer unter die Lupe, aber soweit sie es beurteilen konnte, hatte sich keine der Markierungen verändert. Und trotzdem hatte Flame das Gefühl, dass etwas anders war.

Etwas wird passieren oder passiert gerade, dachte sie und biss sich auf die Unterlippe. Ich fühle es. Und da ist dieses seltsame Kribbeln in meinem rechten Arm und meiner Hand. Was hat das zu bedeuten?

Wieder sah sie Verenas Gesicht vor sich.

Was geht hier bloß vor?, fragte sich Flame.

Sie legte den Plan zurück in das Kästchen und ging zu dem Nachttischschränkchen neben ihrem Bett. Dort, neben der Lampe, lag ihr Handy. Jemand hatte versucht sie anzurufen, es war Verenas Nummer.

Verena hat mich angerufen, und zwar vor ein paar Minuten, aber sie hat mir keine Nachricht hinterlassen, dachte Flame. Ich frage mich, was sie mir erzählen wollte. Sollte ich sie zurückrufen?

Flame ging zum Fenster und ließ ihren Blick über das weitläufige Gelände von Cantrip Towers schweifen. Der Himmel sah grau und schneeverhangen aus. Unten bei den Ställen konnte sie Dad und Flora dabei beobachten, wie sie Holzscheite auf den Anhänger des kleinen Traktors luden, um sie zum Haus zu transportieren. Archie rannte im Kreis auf dem Rasen herum, in seinem Maul hatte er einen dicken Stock.

Flame strich sich das dichte kupferfarbene Haar aus dem Gesicht und beobachtete ein paar Schneeflocken, die am Fenster vorbeischwebten.

Seit der Halloweenparty haben sich die Dinge zwischen Verena und mir verändert, dachte sie. Bis dahin wollte ich nichts mit ihr zu tun haben. Dass sie und Marina sich angefreundet haben, war der Grund für Streit zwischen uns Schwestern. Dann ist da noch Quinn. Ich hatte angenommen, dass er mich mag, aber er scheint auch Verena gern zu haben. Das hat nicht gerade geholfen. Aber auf der Party, als ich den Geist von Margaret Cantrip sah, der um Verena herumwirbelte, und ich entdeckte, dass sie keine Angst vor ihm hatte, hat sich etwas zwischen uns verändert.

Alle anderen Mädchen waren außer sich vor Angst gewesen, erinnerte sich Flame, aber Verena nicht. Sie war richtig fasziniert vom Geist ihrer Ur-Urgroßmutter – und sie wusste, dass Flame sie beobachtete. Das war der Moment, in dem sich die beiden Mädchen plötzlich mit anderen Augen sahen.

Vielleicht, so überlegte Flame, empfinde ich plötzlich Respekt für Verena, weil ich gesehen habe, wie sie mit dem Geist umgegangen ist.

Aber es war mehr als das, dachte Flame. Es war eine Ahnung: eine Ahnung, dass Verena die magischen Kräfte der Cantrips geerbt haben könnte, die einige von uns besitzen, obwohl ihr selbst das noch nicht bewusst schien.

Flame stand ganz still da, mit weit aufgerissenen Augen, die ins Leere blickten. Ihr Atem beschleunigte sich, als ihr plötzlich etwas klarwurde.

Ich weiß, was Verena mir erzählen möchte, dachte sie. Ich wette, ihre magischen Kräfte sind erwacht! Aber warum sollte das erst jetzt passiert sein? Wir Cantrip-Schwestern haben unsere Kräfte an unserem neunten Geburtstag bekommen, genau wie Grandma.

Flame hatte keine Antwort auf diese Frage. Vielleicht war ja auch Glenda älter gewesen, als sie ihre magischen Kräfte bekommen hatte, überlegte sie. Vielleicht verlief das Erwachen der magischen Kräfte unterschiedlich in den verschiedenen Zweigen der Familie.

Was nun?, fragte sie sich. Wird Glenda es herausfinden, und wenn ja, was wird sie dann tun? Wird sie versuchen, Verena auf ihre Seite zu ziehen und dazu zu bringen, uns zu schaden? Sollten wir vielleicht Verena helfen und versuchen, sie vor ihrer Großmutter zu beschützen?

Flame schaltete das Licht an und ging zu dem kleinen Holzkästchen zurück, das noch immer auf dem Boden stand. Sie nahm den Plan in die Hand und betrachtete ihn.

Etwas war anders. Sie fühlte es, bevor sie es sah.

Ich bin sicher, dieser kleine Punkt war eben noch nicht da, dachte sie und untersuchte die winzige schwarze Markierung in der Mitte des Westturms.

Flame wurde vor Aufregung ganz kribbelig. Das muss ich unbedingt den anderen erzählen, dachte sie. Und vielleicht haben sie ja auch eine Idee wegen Verena.

Flame faltete den Plan zusammen und legte ihn zurück in das Kästchen. Sie stellte es wieder auf das unterste Regalbrett und schob es weit nach hinten, bevor sie die großen Bücher davorstellte, um es vor neugierigen Blicken zu schützen. Ihre Großmutter Marilyn wusste, dass es existierte, aber ihren Eltern gegenüber hatten die Cantrip-Schwestern es nie erwähnt. Weder ihr Vater noch ihre Mutter hatten den leisesten Schimmer von ihren magischen Kräften. Obwohl Dad ein Cantrip war, hatte er die Kräfte nicht geerbt. Er hatte natürlich von ihnen gehört, aber für ihn waren sie nicht mehr als eine nette Geschichte. Die Mädchen sprachen nur mit ihrer Großmutter über ihre magischen Kräfte. Sie hatte ihnen stets gesagt, dass sie ein Geheimnis bleiben mussten, wenn sie nicht riskieren wollten, sie zu verlieren.

Mum und Dad hatten keine Ahnung von den bösen Kräften, mit denen Glenda Glass der Familie seit ihrer Ankunft im Dorf Anfang Juni geschadet hatte. Genauso wenig kannten sie die Wahrheit über MrsDuggery. Mum hätte ihnen sowieso nicht geglaubt, so viel stand fest. Selbst ihre Erfahrungen mit einem Geist im Haus hatten sie nicht davon geheilt, alles Übernatürliche für Unfug zu halten. Dad war da offener. Er hatte den Geist auf Cantrip Towers gesehen und gespürt und wusste, dass er real gewesen war, wohingegen Mum seine Existenz aus ihrem Gedächtnis verbannt hatte, sobald er verschwunden war.

George Cantrip hat uns aufgefordert, den geheimen Plan mit unserem Leben zu schützen, dachte Flame. Wenn Glenda ihn in die Finger bekäme, würde sie ihn nur benutzen, um uns weh zu tun. Aber was würde Mum damit machen, wenn sie ihn je fände? Sie würde wahrscheinlich behaupten, es sei vollkommener Blödsinn.

Flame ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Der Plan ist hier sicher, dachte sie. Ich werde ihn gut im Auge behalten, jetzt, da seine Markierungen begonnen haben, sich zu verändern.

Aber was mache ich wegen Verena?, grübelte sie, während sie die Tür ihres Zimmers hinter sich schloss und den Flur entlangging. Als sie zur Treppe kam, hörte sie Marina von unten »Flame! Flame!« rufen und polterte schnell die Stufen hinunter.

»Was ist los?«, fragte sie ihre Schwester, als sie sich auf halber Höhe trafen und sie bemerkte, wie durcheinander Marina aussah.

»Verenas Mum hatte einen Reitunfall!«, berichtete Marina. »Mum und Dad haben gerade einen Anruf von Stephen Glass bekommen. Er fliegt sofort nach Buenos Aires, um bei ihr zu sein. Offenbar hat sie sich das Schlüsselbein und einige Rippen gebrochen. Die Ärzte sind sich nicht sicher, ob sie bis Weihnachten nach Hause darf.«

»O nein!«, sagte Flame. »Arme Zoe! Und arme Verena, sie ist bestimmt total traurig deswegen.«

»Sie wird ganz allein mit Glenda sein«, sagte Marina, als sie nach unten in die Halle gingen.

Flames Miene verdüsterte sich. »Ja«, erwiderte sie nachdenklich. »Hör zu, es gibt da etwas, was ich heute Nacht mit euch besprechen muss.«

»Was ist es denn? Jetzt sag schon!«

»Nein, ich erzähle es euch allen lieber nach dem Zubettgehen, wenn wir ungestört sind«, sagte Flame. »Wir kehren jetzt besser zu den anderen zurück.«

Und sie sprangen die letzten Stufen hinunter, um von Mum mehr über den Unfall in Erfahrung zu bringen.

Der Plan verändert sich

Während des Abendbrots waren die Neuigkeiten über die Glass-Familie Gesprächsthema Nummer eins. Stephen Glass hatte Dad im Laufe des Jahres einige Aufträge als Architekt vermittelt, und die beiden Familien waren inzwischen gut befreundet. Vor kurzem hatte Verena ihrem Vater erzählt, wie unglücklich es sie machte, allein mit ihrer Großmutter auf Eichenruh leben zu müssen. Er hatte daraufhin Colin und Ottalie gebeten, ein Auge auf seine Tochter zu haben, weil seine Arbeit es mit sich brachte, dass er viel im Ausland unterwegs war. Daher fühlten sich Mum und Dad nun in gewisser Weise für Verena verantwortlich.

Als sie dann erfuhren, dass Verenas Mutter Zoe nach Hause kommen wollte und Stephen seine Ehefrau mit offenen Armen empfangen würde, waren sie alle überglücklich gewesen. Deshalb enttäuschte es sie nun umso mehr, dass ihre Heimkehr sich verzögern würde. Insbesondere Mum machte sich Sorgen, welche Auswirkungen das auf Verena haben würde.

»Das arme Mädchen!«, sagte Mum zum tausendsten Mal. »Es ist eine Schande – so kurz vor Weihnachten, wo doch zwischen ihren Eltern wieder alles im Reinen zu sein schien.«

»Zoe wird ja trotzdem nach Hause kommen, Ottalie«, erinnerte sie Dad. »Es wird nur ein paar Tage länger dauern.«

»Ich weiß, ich weiß«, sagte Mum. »Aber es ist trotzdem schade, und ich befürchte, dass Verena deswegen sehr traurig ist.«

»Du hast recht«, warf Marina ein. »Sie hat mich eben angerufen.«

»Sie hat dich angerufen?«, sagte Flame aufhorchend.

»Ja«, erwiderte Marina mit einer Miene, die besagte: Warum auch nicht? Marina und Verena waren seit einiger Zeit miteinander befreundet.

»Es ist nur …« Flame verstummte. In Mum und Dads Gegenwart konnte sie nicht über die Sorgen reden, die sie sich um Verena machte.

Marina sah ihre ältere Schwester fragend an, aber Flame hielt den Blick gesenkt.

Als sie mit Essen fertig waren und den Tisch abräumten, fragte Marina Flame leise: »Was war eben los? Du hast besorgt ausgesehen. Ist irgendetwas mit Verena?«

Flame sah in Marinas mitfühlende blaue Augen und nickte. »Ich bin mir nicht sicher, aber ich fürchte schon.«

 

Sobald ihnen Mum an diesem Abend gute Nacht gesagt hatte und zurück nach unten gegangen war, schlichen Marina, Flora und Sky in ihren Nachthemden den Flur zu Flames Zimmer entlang und kuschelten sich auf ihrer leuchtend roten Bettdecke aneinander.

»Es ist so kalt hier drin«, sagte Sky bibbernd und schlüpfte unter die Decke. »Kannst du das Zimmer nicht ein bisschen aufheizen?«

Flame kniete gerade auf dem Teppich neben dem Bücherregal, um das Holzkästchen aus seinem Versteck zu holen.

»Ja, komm schon!«, bat auch Flora sie und lächelte. »Wärm das Zimmer etwas auf, bevor wir alle zu Eiszapfen werden!«

»Das ist nicht euer Ernst!«, protestierte Flame und stand auf.

»Doch!«, erwiderte Marina lachend. »Es ist furchtbar kalt! Benutz deine Magie!«

Flame schüttelte ungläubig den Kopf. »Also ehrlich«, murmelte sie, lächelte aber dabei und stellte das Kästchen ab. »Ich bin nicht sicher, ob es richtig ist, meine Kräfte dafür zu missbrauchen.«

»Stell dich nicht so an, Flame!«, sagte Marina lachend. »Es ist eine gute Idee.«

Flame stand grübelnd in der Mitte des Raumes. Schließlich sagte sie: »Es ist tatsächlich ziemlich kalt hier drin. In Ordnung, ich mache es.«

Marina, Flora und Sky sahen zu, wie Flame ihre Arme auf Schulterhöhe anhob und die Zeigefinger ausstreckte. Sie schloss die Augen und drehte sich langsam im Kreis.