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Auf Cantrip Towers steht das große Weihnachtsfest bevor! Flame, Flora, Marina und Sky gehen in den Wald, um Tannen- und Mistelzweige zu holen. Doch in einem hat sich ein kleiner grüner Kobold versteckt. Heimlich kommt er mit in das Herrenhaus der Familie. Und während alles festlich geschmückt wird, der Weihnachtsbesuch anreist und es auf den Fluren nach Leckereien duftet, richtet der Kobold jede Menge vorweihnachtliches Chaos an. Können die Schwestern den frechen Wicht aufhalten? Familientrubel, magische Missgeschicke und jede Menge festlicher Zauber – ein Weihnachtsabenteuer für alle Fans der Serie! Alle Bücher der Serie: Vier zauberhafte Schwestern – Wie alles begann: Flame und die Kraft des Feuers (Band 1) Vier zauberhafte Schwestern – Wie alles begann: Marina und die Kraft des Wassers (Band 2) Vier zauberhafte Schwestern – Wie alles begann: Flora und die Kraft der Erde (Band 3) Vier zauberhafte Schwestern und ein wundersames Fest (Jubiläumsband) Vier zauberhafte Schwestern (Band 1) Vier zauberhafte Schwestern und der magische Stein (Band 2) Vier zauberhafte Schwestern und das Geheimnis der Türme (Band 3) Vier zauberhafte Schwestern und ein Geist aus alten Zeiten (Band 4) Vier zauberhafte Schwestern und die große Versöhnung (Band 5) Vier zauberhafte Schwestern und die fremde Magie (Band 6) Vier zauberhafte Schwestern und die uralte Kraft (Band 7) Vier zauberhafte Schwestern und die geheimnisvollen Zwillinge (Band 8) Vier zauberhafte Schwestern und die Weisheit der Eulen (Band 9) Vier zauberhafte Schwestern und die unsichtbare Gefahr (Band 10) Serie bei Antolin gelistet.
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Seitenzahl: 178
Sheridan Winn
Vier zauberhafte Schwestern und ein wundersames Fest
Aus dem Englischen von Katrin Weingran
Mit Vignetten von Franziska Harvey
FISCHER E-Books
Für Georgie, in Liebe
Der kleine grüne Kobold schmiegte sich eng an den Stechpalmenzweig. Keiner konnte ihn sehen, weil die dunkelgrün schimmernden Blätter des Baums ihm die perfekte Tarnung boten. Und falls er beschloss, das Versteck zu wechseln, würde seine Hautfarbe sich der neuen Umgebung anpassen. Von Braun zu Grün, von Rot zu Gelb würde sich die lederne Haut des Kobolds verfärben und dafür sorgen, dass er beinahe unsichtbar wurde. Dem scharfen Blick einer Eule oder eines Habichts jedoch würde seine Anwesenheit nicht entgehen, daher blieb der Kobold auf der Hut.
Er hatte genug Stechpalmenbeeren für heute gegessen. Zufrieden verschränkte er seine dürren Ärmchen über dem kleinen dicken Bäuchlein und machte es sich in der Wintersonne gemütlich. An jeder Hand hatte er drei lange grüne Finger mit Saugnäpfen an den Spitzen. Seine Beine waren äußerst biegsam, und an den Zehenspitzen befanden sich ebenfalls Saugnäpfe. Mit ihrer Hilfe kletterte er mühelos überallhin. Seine schwarzen Augen sahen aus wie kleine Kohlestücke, die glühten, wenn er wütend wurde – was oft passierte. Er war ein sehr übellauniger Kobold.
In der großen Küche von Cantrip Towers lag der Duft von Braten und Kartoffeln in der Luft. Als die Familie sich zum Sonntagsessen um den runden Tisch versammelte, herrschte große Ausgelassenheit. Heute würden sie das Haus festlich schmücken. Die Kisten mit dem Weihnachtsschmuck hatten sie bereits vom Dachboden geholt, und am Morgen war eine fünf Meter hohe Nordmanntanne angeliefert worden. Sie hatte in einem Netz gesteckt, die Zweige dicht an den Stamm gepresst. Zwei Männer hatten den Baum zur Tür hereingeschleppt, ihn in den Ständer gestellt und von seinem Netz befreit. Jetzt stand er mit weit ausgebreiteten Ästen in der Eingangshalle, am Fuße der Treppe, und wartete darauf, mit Kugeln behängt zu werden.
»Mum, du hast uns versprochen, dass wir nach dem Essen los dürfen, um ein paar Stechpalmenzweige zu holen«, sagte Flame.
»Ja, das war der Plan«, bestätigte Ottalie.
»Ich möchte auch mit«, verkündete Sky. Sie strich sich die hellblonden Haare aus dem Gesicht.
»Im Gemüsegarten ist der Efeu an der Südmauer ganz lang geworden«, sagte Flora mit einem Blick zu ihrem Vater.
Er nickte. »Davon können wir auch etwas abschneiden.«
»Wunderbar, ich benötige nämlich lange Ranken, die ich um das Treppengeländer winden möchte«, sagte Ottalie, woraufhin Colin erneut nickte.
»An der Stechpalme im Geheimen Garten hängen dieses Jahr massenhaft Beeren«, warf Marina ein.
»Ich mag Stechpalmenbeeren«, sagte Sky verträumt.
Ottalie musste lächeln.
»Die Beeren sehen so fröhlich aus«, fuhr Sky fort. »Und mir gefällt, dass sie im Winter den Vögeln als Futter dienen.«
Die Cantrips, die an Skys Gedankenspielereien gewohnt waren, lächelten.
Alle redeten und lachten und genossen das gute Essen. Das Obst und Gemüse, das sie verzehrten, war im eigenen Garten gewachsen, der von Colin und Flora bestellt wurde. Zum Nachtisch gab es Pflaumenstreusel und Vanillesoße. Mit gut gefüllten Bäuchen und einem Lächeln im Gesicht räumten sie den Tisch ab. Anschließend gingen sie in die Stiefelkammer, um Jacken und Mützen, Winterstiefel und Handschuhe anzuziehen.
Die Luft war kalt und klar, als Colin und Flora zum Gemüsegarten liefen.
»Glaubst du, es wird vor Weihnachten schneien, Dad?«, fragte sie.
»Gut möglich«, erwiderte er. »Es ist kalt genug.«
»Weiße Weihnacht wäre so toll.«
Als Ottalie durch eine Öffnung in der hohen Buchenhecke trat, hatten Colin und Flora schon zwei Schubkarren, zwei Gartenscheren und eine Astschere aus dem Schuppen geholt. Sky hüpfte, vor sich hin plappernd, neben der Mutter her.
Flame und Marina folgten, ins Gespräch vertieft. Die beiden älteren Cantrip-Schwestern unterhielten sich gerade über ihre magischen Kräfte des Feuers und des Wassers, wobei sie tunlichst darauf achteten, weder von ihrer kleinen Schwester noch von ihrer Mutter gehört zu werden, die beide über ein fledermausartiges Gehör verfügten. Im Gegensatz zu Flora, die schon ihre magische Kraft der Erde besaß, würde Sky ihre Kraft der Luft erst im Juni erhalten, wenn sie neun Jahre alt wurde. Die magischen Kräfte der Cantrips vor ihr geheim zu halten war eine ständige Herausforderung, weil sie neben ihrem außergewöhnlichen Hörvermögen auch über einen wachen Verstand verfügte. Flame und Marina hatten sich daher etwas zurückfallen lassen, traten nun aber ebenfalls durch die Hecke.
Dann packten alle mit an und schnitten an der Südseite des Hauses lange Efeuranken von der Mauer. Die hohe Backsteinmauer verlief einmal um Cantrip Towers herum und schloss das große alte Haus in seiner eigenen Welt ein. Während Colin, Ottalie und Flame die Ranken mit den Scheren abschnitten, zogen Marina, Flora und Sky daran und trugen sie fort. Schnell war die erste Schubkarre voll, doch Ottalie sagte, sie bräuchten noch mehr, also machten sie weiter und füllten auch eine zweite.
Colin und Flame schoben die Schubkarren, in denen sich die Efeuranken türmten, über den breiten, hügeligen Rasen. Sie kippten sie neben der Haustür aus. Von dort aus würde der Efeu in die große Halle gebracht werden. Unterdessen spielten Marina, Flora und Sky rund um die Gemüsebeete Fangen, und Ottalie sah im Garten nach dem Rechten.
Kurz darauf gingen Ottalie und die jüngeren Mädchen zur Stechpalme im Geheimen Garten. Colin und Flame brachten die leeren Schubkarren herbei. Sky rannte springend und tanzend vor ihrer Mutter her, Flora und Marina dagegen blieben dicht bei ihr.
»Was für ein schöner Baum«, sagte Ottalie mit nach oben gerichtetem Blick. »Dieses Jahr ist er über und über mit Beeren behangen.«
»Wenn wir sie abschneiden, bleibt den Vögeln weniger zu essen«, sagte Sky besorgt.
»Ich bin sicher, es wird ihnen nichts ausmachen, wenn wir ein paar Zweige mitnehmen«, versprach Ottalie. »Außerdem gibt es im Haus vielleicht auch jemanden, der Bedarf an Beeren hat.«
»Wer könnte das schon sein?«, fragte Flame zweifelnd.
Ottalie lachte. »Keine Ahnung, Insekten oder so!«
Flame verzog ungläubig das Gesicht. »Mum …«
»Na gut, ein paar Zweige sind in Ordnung«, sagte Sky, ehe sie davonrannte.
»Wie lang sollen die Zweige sein?«, fragte Colin.
»Ungefähr so«, erwiderte Ottalie. Mit den Händen deutete sie eine Länge von einem halben Meter an.
»Okidoki«, sagte Colin und machte sich an die Arbeit.
Ein Zweig nach dem anderen landete in der Schubkarre.
Marina zeigte auf einen Ast weit oben im Baum. »An dem da hängen ein paar wunderschöne Beeren, Dad«, rief sie.
Colin runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht, ob ich da herankomme«, sagte er. »Es ist sehr weit oben, aber ich werde es versuchen.«
»Um Himmels willen, Colin, nicht dass du dir noch den Rücken verrenkst«, warnte Ottalie, aber er beachtete sie gar nicht.
Groß und schlank wie er war, streckte er die langen Arme mit der Astschere aus. Er reichte so gerade eben an den gewünschten Ast heran und schnitt ihn mit einem Klipp durch. Ottalie schnappte sich den Zweig und legte ihn in die Schubkarre. »Den hier werde ich über dem Kamin anbringen, wo alle ihn gut sehen können«, verkündete sie. »Ich habe noch nie so viele Beeren auf einmal gesehen.«
Noch etliche Schubkarren wurden über den Rasen hin und her geschoben, und als die Familie endlich fertig war, türmten sich hohe Haufen von Efeu und Stechpalmenzweigen vor der Haustür. Alle gingen ins Haus, wo sie sich Schuhe und Jacken auszogen. Dann war es an der Zeit, sich um die reiche Ernte zu kümmern.
Ottalie und Flame deckten das Parkett in der Eingangshalle mit großen Bettlaken ab. Zu ihrer Linken befand sich die breite Mahagonitreppe, die sich bis in die höchste Spitze von Cantrips Towers hinaufwand.
Immer wieder liefen die Mädchen ins Freie, um Efeuranken und Stechpalmenzweige ins Haus zu bringen. Colin ging unterdessen auf den Dachboden, um die Weihnachtsbeleuchtung zu holen. In der Küche kochte Ottalie Teewasser, buk ein paar Rosinenbrötchen auf und holte einen frisch gebackenen Schokoladenkuchen aus der Speisekammer. Sie stellte alles auf zwei Tabletts.
Der kleine grüne Kobold war mit vollem Bauch in der warmen Wintersonne eingeschlafen. Doch halt, was war das?
Der Ast, auf dem er hockte, rüttelte und schüttelte unter ihm. Hoch und runter, hin und her ging es. Der Kobold klammerte sich mit Hilfe seiner Saugnäpfe fest an den Ast, der von einer Seite zur anderen flog. Plötzlich ging es im freien Fall nach unten. Der Kobold überlegte, ob er den Absprung wagen sollte, umklammerte den zu Boden rauschenden Ast aber weiterhin fest. Auf dem Boden standen überall große Wesen, er hatte sie vorhin schon im Garten beobachtet. Eines von ihnen besaß scharfe Augen und hätte ihn womöglich entdeckt, wenn er abgesprungen wäre, daher blieb er lieber, wo er war. Er fand sich in einem Stapel aus Stechpalmenzweigen wieder, und los ging die holprige Reise. Rasch kroch er zum zuunterst liegenden Ast. Kurz darauf wurde er an einen großen, warmen Ort gebracht. Verborgen unter den Blättern blickte er sich um, seine schwarzen Augen funkelten überrascht. Was war das für ein Ort? Die fremden Wesen trugen Stechpalmenzweige hierhin und dorthin. Eins hielt einen Zweig in der Hand, der sich unter der Last der Beeren bog. Der Kobold guckte wütend. Auf dem Ast hatte er geschlafen! Er verschränkte seine langen Arme vor der flachen Brust und seufzte schwer.
Vielleicht ist es hier gar nicht so übel, dachte er. Schließlich gab es jede Menge Beeren, und ihm war schön warm.
Und von der Halle zog ein herrlicher, süßer Duft herein. Die lange Nase des Kobolds zuckte, und er fuhr sich mit der dunkelgrünen Zunge über die Lippen.
Hm, dachte er. Ich schätze, ich werde eine Weile bleiben …
Colin Cantrip legte ein Holzscheit im Kamin nach und schob es mit dem Schüreisen an die richtige Stelle. Zuckend und knisternd verbreiteten die Flammen Wärme in der großen Halle. Draußen war es dunkel und kalt. Im Innern des Hauses hatte Weihnachten Einzug gehalten.
Links neben der Treppe stand die gewaltige Tanne und wartete darauf, geschmückt zu werden. Das Treppengeländer hatten Ottalie und die Mädchen vom ersten Stock bis hinunter ins Erdgeschoss mit Efeuranken umwunden. In der nächsten Zeit würden die Schwestern darauf verzichten müssen, den unter dichtem Blattwerk verborgenen Handlauf hinunterzusausen.
Später wollte Ottalie die längsten Stechpalmenzweige über den Kaminen in der großen Halle und dem Wohnzimmer anbringen, aber nun trug sie erst einmal ein Tablett mit Tee ins Zimmer. Flame folgte mit einem zweiten. Sie stellten die Tabletts auf die Anrichte, die an der Wand neben dem Kamin stand, und schenkten allen Tee ein.
Die Familie machte es sich auf Stühlen um das Feuer gemütlich. Sie saßen nicht oft hier in der großen Halle – es war eine Besonderheit zur Weihnachtszeit, die ihnen ermöglichte, nahe beim Baum zu sein. Alle Blicke waren auf die tanzenden Flammen gerichtet, die ihre Gesichter in einen warmen Schein hüllten, während sie Tee tranken und warme, mit Butter bestrichene Rosinenbrötchen und Schokoladenkuchen aßen.
»Ich bin süchtig nach der weichen Buttercremefüllung«, schwärmte Sky.
»Ich finde den Kaminfeuergeruch einfach herrlich«, sagte Ottalie.
»Ich könnte den ganzen Tag Rosinenbrötchen mit geschmolzener Butter essen«, verkündete Flora.
»Es ist alles toll!«, sagte Colin lachend.
Die Cantrip Familie liebte Weihnachten über alles. Weihnachten auf Cantrip Towers war etwas ganz Besonderes. Sie sangen Weihnachtslieder beim Baum, besuchten am Weihnachtsabend die Christmette im Ort, aßen warme, mit Hackfleisch gefüllte Pastete, Gewürzkuchen und ein üppiges Mittagsmahl mit zahlreichen Beilagen. Und dann waren da natürlich noch der Weihnachtsmann und die Geschenke. Die Schwestern liebten die Vorfreude darauf.
In diesem Jahr würde es ein äußerst turbulentes Fest werden. Ihre Großmutter Marilyn wurde für den nächsten Tag erwartet. Sie reiste aus Südfrankreich an. Eine Woche darauf, am 23. Dezember, würde Colins Schwester Anne mit ihrem Mann Geoff und den drei Kindern aus Australien eintreffen. Die ganze Cantrip-Familie würde dann vereint sein. Weihnachten würden sie zu zwölft am Tisch sitzen – das kam nur alle paar Jahre vor. Und im Anschluss an die Feiertage würden sie in einem Ort namens Verbier in der Schweiz Ski fahren gehen. Die Cantrip-Schwestern konnten all das kaum noch erwarten.
»Ich finde, wir sollten ein Theaterstück aufführen«, sagte Flame, die tonangebende Schwester.
»Au ja!«, rief Sky begeistert.
»Gute Idee«, sagte Flora. »Wenn die anderen kommen, sind wir zu siebt.«
»Ich spiele für mein Leben gern Theater«, schwärmte Sky.
»Ich auch!«, meinte Marina, den Mund voller Kuchen.
»Ich schreibe das Stück«, verkündete Flame.
Marina verdrehte die Augen. »Klar machst du das …«
»Du darfst mir auch helfen«, erwiderte Flame gereizt.
Marina sah, dass Flora grinsen musste. Sie würden alle nach Kräften helfen, aber Theaterstücke zu schreiben war schon immer Flames Ding gewesen.
»Möchte noch jemand Kuchen?«, fragte Ottalie. Sie stand auf, um zur Anrichte hinüberzugehen.
»Ja, bitte«, sagten die Schwestern wie aus einem Mund.
Ottalie blickte erstaunt auf den Schokoladenkuchen. Sie war überzeugt, ihn in acht Stücke geschnitten zu haben, und sie hatten sechs davon gegessen. Also hatte sie erwartet, zwei Stücke auf der Kuchenplatte vorzufinden, die sie hätte teilen und den Mädchen geben können.
»Wie merkwürdig …«, murmelte sie.
»Was ist denn, Mum?«, fragte Flora. Auch sie stand von ihrem Platz auf.
»Ich bin mir sicher, dass noch zwei Stücke übrig waren, als ich mich vorhin gesetzt habe.«
»Sieht so aus, als hätte jemand ein halbes Stück gegessen«, meinte Flora nach einem Blick auf die Kuchenplatte.
»Also ich war das nicht«, sagte Sky kichernd. Sie rieb sich den Bauch.
»Na schön, ich teile den restlichen Kuchen unter euch auf«, sagte Ottalie. Sie achtete darauf, vier gleich große Stücke zu schneiden, und legte sie auf die Teller. Flora reichte die Teller an ihre Schwestern weiter.
»Lecker«, mampfte Sky glücklich.
Das bevorstehende Weihnachtsfest beschäftigte alle so sehr, dass sie sich keine großen Gedanken wegen des fehlenden Kuchens machten.
»Wir machen besser weiter«, meinte Colin. »Es gibt noch viel zu tun.«
»Stellt euer Geschirr auf die Tabletts«, sagte Ottalie. »Ich räume die Sachen nachher weg.«
Flame drehte sich zu ihrer Teetasse, um sie auszutrinken, und stellte überrascht fest, dass sie bereits leer war. Sie runzelte die Stirn. Ich muss den Tee doch schon ausgetrunken haben, dachte sie. Schnell stand sie auf, stellte ihr Geschirr auf das Tablett und kehrte zu ihrer Arbeit zurück.
Als Marina ihren Teller auf das Tablett stellte, fiel ihr auf, dass kein einziger Krümel darauf lag. Merkwürdig, dachte sie, so sauber war der Teller doch vorhin noch nicht. Aber auch sie schenkte dem Ganzen keine weitere Aufmerksamkeit.
Es gab viel zu tun, schon bald herrschte in der großen Halle wieder geschäftiges Treiben.
Colin stieg die hohe Stehleiter hinauf, die er neben den Baum gestellt hatte, und fing an, ihn, an der Spitze beginnend, mit einer Lichterkette zu schmücken. Ottalie stand auf der untersten Sprosse, um der Leiter Halt zu geben.
»Ein Stück nach links«, sagte sie, zu ihm hinaufschauend.
»Hierhin?«, fragte er.
»Nein, noch ein bisschen weiter«, erwiderte sie. Auf diese Weise fuhren sie fort, die Lichter rund um den riesigen Baum anzubringen.
Unterdessen schnitten Flame, Marina und Flora kleine Stücke von den Stechpalmenzweigen ab, die sie in den Efeu am Treppenpfosten steckten. Sie gaben sich viel Mühe, damit die Beeren auch gut zu sehen waren.
»Es sieht magisch aus«, sagte Marina. Sie trat einen Schritt zurück, um das Geländer und den untersten Treppenabsatz gebührend zu bewundern.
»Cantrip Towers hat sich in ein Märchenschloss verwandelt«, sagte Sky.
»Nein, in einen echten Wald!«, warf Flora ein.
»Ja, es sieht sehr lebendig aus«, gab Marina lächelnd zu.
In der Zwischenzeit hatte Sky damit begonnen, in einer Ecke der großen Halle Christbaumkugeln auszupacken. Sie machte drei Haufen: Lieblingskugeln, So-gut-wie-Lieblingskugeln und Ungeliebte Kugeln.
»Warum wählst du jedes Jahr die knallpinken, Sky?«, fragte Ottalie, als sie die Haufen bemerkte.
»Ich mag Pink.«
»Ich mag die roten«, sagte Flame vom anderen Ende der Halle aus.
»Nimm bitte auch Rot und Gold«, sagte Ottalie, die immer noch die Leiter hielt. »Nicht nur Pink.
»Und Silber …«, rief Marina.
Sky schnaubte. »Na toll, jetzt kann ich ganz von vorn anfangen.«
In der großen Halle summte es an diesem Abend wie in einem Bienenstock, so fleißig waren alle. Es dauerte allein eine Stunde, um die Lichter am Baum anzubringen.
»Geschafft, alle acht Lichterketten hängen«, sagte Colin endlich und stieg die Leiter hinunter. Die Familie trat ein paar Schritte zurück, um den strahlenden Baum zu bewundern.
»Perfekt«, sagte Ottalie.
»Ein seltenes Lob aus deinem Mund«, erwiderte Colin grinsend. Zufrieden legte er ihr den Arm um die Schultern.
»Es sieht wirklich toll aus, Dad«, versicherte auch Flora ihm und drückte seine Hand.
»Dürfen wir jetzt die Kugeln aufhängen, Mum?«, fragte Sky. »Ich habe für jede Farbe ein anderes Tablett genommen.«
»Das ist eine gute Idee«, meinte Ottalie. »Ich muss jetzt los, den Geschirrspüler einräumen und das Abendessen vorbereiten.« Und schon war sie Richtung Küche verschwunden.
»Was ist mit dem Stern, Dad?«, fragte Flame.
»Ach ja!«, rief er lächelnd.
»Ich hole ihn«, bot Marina an. Sie zog ihn aus einer der vielen Schachteln und reichte ihn ihrem Vater, der wieder auf die hohe Leiter stieg.
Dieses Mal hielt Flame sie fest, während Colin den Stern auf die Spitze setzte.
Von den Tabletts mit den Christbaumkugeln aus rief Sky ihnen zu: »Sollen wir die Kugeln eine Farbe nach der anderen aufhängen? Ich könnte die unterste Reihe mit den pinken übernehmen, da komme ich gut ran.«
»Ein Regenbogenbaum«, sagte Flora. »Spitzenidee. Wenn ich mit den Stechpalmenzweigen fertig bin, hänge ich eine Reihe silberner Kugeln auf.«
»Und ich mache mit Gold weiter«, schlug Marina vor.
»Sollten wir nicht lieber Mum fragen, was sie davon hält?«, gab Flame zu bedenken.
»Dann schmücken wir eben erst mal das Treppengeländer fertig«, sagte Flora.
»Geht klar«, meinte Marina.
Während Marina und Flora sich wieder den Zweigen zuwandten und Flame die Leiter festhielt, begann Sky, pinkfarbene Weihnachtskugeln an die unteren Ästen des Baums zu hängen. Die große Halle von Cantrip Towers war vom Zauber der weihnachtlichen Vorfreude erfüllt.
Der griesgrämige grüne Kobold rülpste. Er hatte ein großes Stück einer Sache gegessen, die er noch nie zuvor gekostet hatte, während die großen Wesen am Kamin saßen. Es hatte süß geschmeckt und war dunkelbraun gewesen. Der Kobold wusste dies, weil er Farben sehen konnte. Er wusste, dass Stechpalmenbeeren rot waren und Blätter grün. Jetzt beobachtete er die Wesen von einem Haufen Zweige aus, der neben der Treppe lag. Die größte Kreatur befand sich weit oben und brachte etwas am Baum an. Es gab noch eine zweite, ältere, aber sie war mit den Sachen, von denen er genascht hatte, in einen anderen Raum gegangen. Mann, er hoffte, es käme bald Nachschub von der Sorte! Der Leckerbissen war eine schöne Abwechslung zum Beerenmahl und es wert, an diesem Ort gelandet zu sein.
Nun beobachtete er die Kreaturen. Es gab eine mit langen roten Haaren, die allen sagte, was sie zu tun hatten. Eine andere sah etwas jünger aus, mit dunklen Locken. Sie lächelte ständig. Dann gab es eine noch jüngere mit kurzen braunen Haaren und braunen Augen. Der Kobold konnte sehen, wie sie den Haufen aus Stechpalmenzweigen und Efeu, in dem er sich verbarg, grübelnd musterte. Die Kleinste von allen hatte lockige blonde Haare und redete wie ein Wasserfall.
Der Kobold war mit Rülpsen beschäftigt, als die mit den kurzen braunen Haaren näherkam. Inzwischen war der Haufen ganz schön geschrumpft, und der Kobold kauerte dicht am Boden. Sie konnte ihn doch bestimmt nicht sehen, oder? Seine Hautfarbe hatte sich den Stechpalmenzweigen angepasst, und für die meisten Lebewesen wäre er unsichtbar gewesen.
Nachdem die Braunhaarige den Haufen eine Weile angestarrt hatte, rechnete er damit, dass sie wieder gehen würde, aber sie kam näher! Sie stand reglos da und fixierte die Zweige mit festem Blick. Verfügte sie über spezielle Sehkräfte, so wie Adler oder Eulen? Konnte sie ihn sehen? Oder spürte sie nur, dass er da war?
Der Kobold hielt den Atem an, er wagte nicht, sich zu rühren. Die Braunhaarige warf einen raschen Blick über die Schulter zu den anderen, die alle beschäftigt waren, dann streckte sie die Hand über dem Haufen aus. Der Kobold sah sie über sich schweben. Gleichzeitig fühlte er eine Welle aus warmer Energie über sich hinwegschwappen.
Oh, oh, dachte er. Gefahr! Dieses Wesen hatte irgendeine Art von Macht.
Dann rief von der anderen Seite der Halle aus jemand nach der Braunhaarigen, und sie ließ die Hand sinken und wandte sich ab.
Schnell! Weg hier! Verstecken! Aber wo? Hier kannte er sich nicht aus.
Eine Millisekunde bevor die Braunhaarige sich ihm wieder zuwandte, wagte der Kobold die Flucht. Sein Herz klopfte wild, als er hinter das hohe Ding hechtete, das ein Ticktack-Geräusch machte. Er beobachtete, wie das braunhaarige Wesen zurück zu den Stechpalmenzweigen kam, sich umsah und dann erneut die Hand ausstreckte, die Handfläche den frischen grünen Blättern zugewandt. Dieses Mal runzelte sie die Stirn, als sie den Arm wieder sinken ließ.
Das Wesen weiß, dass ich verschwunden bin, dachte der Kobold. Sie hat nach mir Ausschau gehalten …