Viermal Geisterschrecken! 4 Gruselkrimis - Alfred Bekker - E-Book

Viermal Geisterschrecken! 4 Gruselkrimis E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Geschichten: Schrecken aus der Tiefe (Alfred Bekker) Alternative 1453 (Alfred Bekker) Schwarzer Schatten (Alfred Bekker) Rubine der Verdammnis (John U. Giesy/Junius B. Smith) Wie ein verwaschener Fleck stand der Mond am Himmel. Aus den Niederungen des Elbufers stiegen Nebelschwaden empor, krochen wie vielarmige Ungeheuer über die Böschungen und Deiche. Sie bildeten bizarre Formen aus, die wie Tentakel wirkten. Professor Jörn Bender trat auf den Balkon, der direkt an der Elbe gelegenen Villa hinaus. Ein verschnörkelter, für Benders Geschmack etwas protzig wirkender Bau, der den Reichtum eines Hamburger Patrizier-Geschlechts hatte zur Schau stellen sollen. Bender hatte die Villa geerbt. Trotz seines nicht unbeträchtlichen Gehalts, das er als Inhaber eines Lehrstuhls für Archäologie an der Universität Hamburg verdiente, hätte er sich ein Anwesen in dieser Lage niemals leisten können. Bender hatte das Haus von einem reichen, aber kinderlos gebliebenen Onkel geerbt, der mit Überseegeschäften ein Vermögen gemacht hatte. Bender selbst hatte keinen ausgeprägten Erwerbssinn.

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Alfred Bekker, John U. Giesy, Junius B. Smith

Viermal Geisterschrecken! 4 Gruselkrimis

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Inhaltsverzeichnis

Viermal Geisterschrecken! 4 Gruselkrimis

Copyright

Schrecken aus der Tiefe

Alternative 1453: DER HERR DES SCHWARZEN TODES

SCHWARZER SCHATTEN

Rubine der Verdammnis

Viermal Geisterschrecken! 4 Gruselkrimis

Alfred Bekker, John U. Giesy, Junius B. Smith

Dieser Band enthält folgende Geschichten:

Schrecken aus der Tiefe (Alfred Bekker)

Alternative 1453 (Alfred Bekker)

Schwarzer Schatten (Alfred Bekker)

Rubine der Verdammnis (John U. Giesy/Junius B. Smith)

Wie ein verwaschener Fleck stand der Mond am Himmel. Aus den Niederungen des Elbufers stiegen Nebelschwaden empor, krochen wie vielarmige Ungeheuer über die Böschungen und Deiche. Sie bildeten bizarre Formen aus, die wie Tentakel wirkten.

Professor Jörn Bender trat auf den Balkon, der direkt an der Elbe gelegenen Villa hinaus. Ein verschnörkelter, für Benders Geschmack etwas protzig wirkender Bau, der den Reichtum eines Hamburger Patrizier-Geschlechts hatte zur Schau stellen sollen. Bender hatte die Villa geerbt. Trotz seines nicht unbeträchtlichen Gehalts, das er als Inhaber eines Lehrstuhls für Archäologie an der Universität Hamburg verdiente, hätte er sich ein Anwesen in dieser Lage niemals leisten können. Bender hatte das Haus von einem reichen, aber kinderlos gebliebenen Onkel geerbt, der mit Überseegeschäften ein Vermögen gemacht hatte. Bender selbst hatte keinen ausgeprägten Erwerbssinn.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

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Alles rund um Belletristik!

Schrecken aus der Tiefe

von Alfred Bekker

von Alfred Bekker (Henry Rohmer)

© 2004 Alfred Bekker

Wie ein verwaschener Fleck stand der Mond am Himmel. Aus den Niederungen des Elbufers stiegen Nebelschwaden empor, krochen wie vielarmige Ungeheuer über die Böschungen und Deiche. Sie bildeten bizarre Formen aus, die wie Tentakel wirkten.

Professor Jörn Bender trat auf den Balkon, der direkt an der Elbe gelegenen Villa hinaus. Ein verschnörkelter, für Benders Geschmack etwas protzig wirkender Bau, der den Reichtum eines Hamburger Patrizier-Geschlechts hatte zur Schau stellen sollen. Bender hatte die Villa geerbt. Trotz seines nicht unbeträchtlichen Gehalts, das er als Inhaber eines Lehrstuhls für Archäologie an der Universität Hamburg verdiente, hätte er sich ein Anwesen in dieser Lage niemals leisten können. Bender hatte das Haus von einem reichen, aber kinderlos gebliebenen Onkel geerbt, der mit Überseegeschäften ein Vermögen gemacht hatte. Bender selbst hatte keinen ausgeprägten Erwerbssinn. Er lebte ganz und gar für seine von so manchen Kollegen bisweilen als abseitig angesehenen Studien. Studien, die nicht selten in Bereiche führten, die an der Grenze dessen lagen, wofür die moderne Wissenschaft Erklärungen zu liefern vermochte. Seine Lehrverpflichtungen an der Uni waren für ihn mehr oder minder eine lästige Pflicht. Sein wahres Leben fand in den Mauern seiner Villa statt, die bis unter das Dach mit einer großen Bibliothek gefüllt war. Tausende von teilweise sehr seltenen und wertvollen Schriften hatte der Gelehrte im Laufe der Jahre gesammelt. Tibetanische Geheimschriften waren ebenso darunter wie altägyptische Papyri oder Dokumente aus dem geheimnisvollen nubischen Reich Meroe, dessen Geheimnisse die Archäologie erst in den letzten Jahren zumindest ansatzweise entschlüsselt hatte. Bender besaß darüber hinaus zahllose okkulte und esoterische Schriften aus mehr als tausend Jahren. Die Bücher des mittelalterlichen Magiers Simón de Cartagena gehörten ebenso dazu wie mehrere äußerst seltene Ausgaben eines legendären Buchs mit dem Titel ZEICHEN DER GEHEIMEN MACHT, das ein österreich-ungarischer Spiritist namens Franz von Borsody um die Jahrhundertwende verfasst hatte.

Bender fuhr sich durch das wirre, schüttere Haar, das immer so aussah, als wäre es elektrisch aufgeladen. Er starrte in die Nebelschwaden. Der Schlag schwarzer Schwingen war im nächsten Moment hinter der Nebelwand zu sehen. Ein Rabe krächzte, tauchte für einen kurzen Moment aus dieser grauen Masse hervor und verschwand wenige Augenblicke später schon wieder darin. Von der Elbe her schien ihm das Nebelhorn eines Schiffs zu antworten.

Normalerweise hatte man von Benders Balkon einen phantastischen Blick auf den Fluss, aber im Augenblick war dieser Strom nichts weiter als eine vage Ahnung. Wenn man sehr genau lauschte, so konnte man das Geräusch des fließenden Wassers hören.

Kann es wahr sein, dass es dunkle Gewalten gab, die die Welt aus dem Verborgenen heraus beeinflussten, ja, vielleicht sogar beherrschten?

Bender schluckte.

Konnte das sein, dass die wohlgeordnete Welt des frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts nichts weiter als eine Kulisse war, hinter der noch etwas gab, das sich dem Zugriff des menschlichen Verstandes bisher erfolgreich entzogen hatte?

Benders Augen schmerzten.

Durch Zufall war er bei der Begutachtung von magischen Schriften aus der Omajjaden-Bibliothek auf eine bislang unentdeckte Schriftrolle gestoßen, deren Verfasser vermutlich der legendäre Geisterseher und Magier Abdul von Cordoba war. Der Verfasser berichtete in seinem in formelhaftem Hocharabisch verfassten Text über ein Volk, das angeblich tief unter der Erde lebte. Einige Zeilen aus der Feder des Autors, der im Mittelalter am Hof der Omajjaden-Kalifen gelebt hatte, hallten immer wieder in Benders Bewusstsein wider.

Eines Tages wird das Volk der Tiefe zurückkehren aus der Welt jenseits des Bannkreises und dann wird es keine Macht unter dem Horizont geben, die in der Lage wäre, dem Grauen aus der Erde zu widerstehen…

Bender fuhr sich mit der flachen Hand über das Gesicht. Seit Tagen hatte er kaum geschlafen und stattdessen in anderen alten Schriften nach weiteren Hinweisen gesucht. Aber zu vieles war im Dunkeln und Nebulösen geblieben. Es gab einige spätere Erwähnungen dieses Volkes aus der Tiefe, das Abdul von Cordoba erwähnt hatte. Kastilische Mönche hatten sich nach der Rückeroberung Spaniens damit beschäftigt, bevor die meisten von ihnen exkommuniziert und als Ketzer verbrannt worden waren.

Aber tatsächlich enthielten ihre Schriften auch kam neue Aspekte.

Die meisten hatten lediglich die Erkenntnisse Abduls in leicht veränderter Form wiedergegeben. Die Hexenjäger der Inquisition wiederum hatten sich ebenfalls mit Abduls Schriften befasst und sahen in der Erwähnung des Volkes der Tiefe nichts anderes als eine verschlüsselte Beschreibung der Hölle. Ich komme einfach nicht weiter! , durchzuckte es Bender. Alles drehte sich im Kreis.

Aus dem Nebel schälte sich für einen Moment eine dunkle, nur als Schemen erkennbar Gestalt heraus. Ein Schatten inmitten grauer Schwaden, der rasch wieder verschwand. Etwas knackte. Vielleicht ein Ast, den der Sturm aus einer Baumkrone gerissen hatte.

Da ist jemand! , dachte Bender.

Er stand wie erstarrt da.

Einige Minuten lang suchte er mit zusammengekniffenen Augen nach dem Unbekannten. Aber da war nichts. Nichts außer grauem Dunst und dem Schrei eines Raben.

*

Ganze drei Zuhörer hatte die Vorlesung von Professor Bender an diese Morgen.

Svenja Hund war einer von ihnen.

Sie hatte sich in die letzte Reihe des Hörsaals gesetzt. Offenbar hat sich da jemand bei der Raumplanung ziemlich vertan! , ging es ihr leicht amüsiert durch den Kopf. Andererseits tat ihr der Professor auch ein wenig Leid. Eine Kapazität wie er hatte es zweifellos verdient, dass mehr Studenten seinen Ausführungen lauschten.

Svenja hatte gerade ihr Abitur hinter sich und beabsichtigte im nächsten Semester ihr Studium in Journalistik anzufangen. Im Augenblick besuchte sie bereits die eine oder andere Veranstaltung. Dabei ging sie allerdings vollkommen ihren spontanen Neigungen nach und scherte sich nicht darum, ob das angegebene Thema auch nur das leiseste mit dem Fachbereich zu tun hatte, in dem sie in Zukunft studieren würde. Sie war durch Zufall in eine von Professor Benders Veranstaltungen geraten. Genauer gesagt hatte sie sich in der Raumnummer geirrt und war so anstatt in einem Seminar über modernes publizistisches Projektmanagement in einer Vorlesung über okkulte Lehren und Ketzerbewegungen des Mittelalters geraten. Bender wirkte zwar mit seinen elektrostatisch aufgeladenen, nach allen Seiten herumstehenden Haaren und der kleinen, dicken Nickelbrille wie ein exzentrischer Wissenschaftler, dem man ohne weiteres zutraute, in seinem heimischen Keller irgendwelche Experimente im Stil eines Dr. Frankenstein durchzuführen. Andererseits verströmte er eine sehr warme, herzliche Art und vermochte es, seine Hörerschaft auf einzigartige Weise in seinen Bann zu ziehen. Seine Fachkenntnis war bestechend. Er beherrschte Alte Sprachen im Dutzend und vermochte jede nur irgendwie für das Thema bedeutsame Quelle auswendig zu zitieren.

Aber was Svenja am meisten faszinierte war, dass er den Mut hatte, die engen Grenzen zu überschreiten, die ihm die traditionelle Wissenschaft vorschrieb.

„Ich habe Ihnen beim letzten Mal von einer Legende berichtet, von der man glaubte, sie käme aus dem Alten Reich Ägyptens“, erklärte er. Seine Augen leuchteten dabei auf eine sehr charakteristische Weise. Jede Faser seines Körpers war erfüllt von einem geradezu inbrünstigen Erkenntnisdrang, für den es keine Hindernisse zu geben schien. Auch keinen Respekt, was etablierte Lehrmeinungen anging, die Bender schon einmal mit einem Achselzucken zur Seite schob. „Sie werden sich vielleicht erinnern“, fuhr er fort. „Die Rede ist von der Legende des Volks unter der Erde. Wie ich Ihnen ja nachwies, stammt diese Geschichte ursprünglich gar nicht aus Ägypten, sondern aus Nubien und wer weiß, wer sie ursprünglich dorthin getragen hat. Ich selbst habe nie daran gezweifelt, dass es sich bei diesem ominösen Volk aus der Erde um nichts anderes als eine Legende handelt, die vielleicht ihren Ursprung in einem Stamm von Höhlenbewohnern hatte. Sie kennen die Legenden über Trolle, Gnome und Zwerge, die bis heute vor allem in Skandinavien nach wie vor lebendig geblieben sind. Aber seit unser letzten Vorlesung ist eine Woche vergangen und in dieser Zeit ist viel passiert!“

Der Professor ließ den Blick umherschweifen. Er sah Svenja einen Augenblick lang sehr durchdringend an. Es war ein prüfender Blick, der ihr unangenehm war. Gewogen und zu leucht befunden – ist das vielleicht ihr vorschnelles Urteil? fragte sich die junge Frau. Sie strich sich eine Strähne ihres langen, dunklen Haars aus dem Gesicht. Eine Geste der Verlegenheit, wie sie selbst sehr wohl wusste.

Bender fuhr fort.

„In dieser Woche ist entscheidendes Geschehen“, sagte er.

„Erstens hat sich die ohnehin schon nicht sehr zahlreiche Zuhörerschar auf die Hälfte reduziert und es stellt sich nunmehr die Frage, ob diese Veranstaltung in Zukunft noch in einem derart großen Raum stattfinden sollte…“

Allgemeine Heiterkeit erfüllte plötzlich den Raum. Die beiden anderen Studenten - zwei junge Männer – lachten.

„…und zweitens stieß ich bei der Begutachtung eines ganzen Stapels von Manuskripten aus der Omajjaden-Zeit auf ein Fragment des berühmt-berüchtigten Geistersehers und Magiers Abdul von Cordoba, der für einige Jahre am Hof des Kalifen einen außerordentlich großen Einfluss gehabt haben muss. Was hat nun ein spanischer Maure aus dem Mittelalter mit den Priestern des alten Reiches Meroe im Norden Nubiens zu tun?

Ganz einfach! Abdul schildert eine Begegnung mit dem Volk aus der Erde. Leider macht er nur ein paar Andeutungen, aber der fluchartige Schlusssatz seines Textes entspricht nahezu wörtlich jenem, der sich auch Papyri des Alten Reiches und auf den steinernen Stelen von Meroe findet!“ Bender machte eine rhetorische Pause. Er vollführte eine ruckartige Bewegung und drehte den Kopf in Richtung des Fensters. Mit dem Zeigefinger der linken Hand schob er sich die Brille wieder an Ort und Stelle und atmete tief durch. In gedämpftem Tonfall sprach er weiter:

„E ines Tages wird das Volk der Tiefe zurückkehren aus der Welt jenseits des Bannkreises und dann wird es keine Macht unter dem Horizont geben, die in der Lage wäre, dem Grauen aus der Erde zu widerstehen…“

*

Die beiden jungen Männer, die der Vorlesung beigewohnt hatten, verließen nach deren Ende zügig den Raum. Ziemlich ungeniert konnte man sie auf dem Flur lachen hören. Sie machten sich über die Ausführungen des Professors lustig. Svenja Hund blieb zunächst auf ihren Platz sitzen. Bender stützte sich an seinem Pult ab. Sein Blick war nach innen gekehrt. Er wirkte abwesend. Svenja stand auf und trat auf ihn zu.

„Was Sie da eben berichtet haben…“

Sein Kopf vollführte eine ruckartige Bewegung. „Sie sind noch hier?“, wunderte er sich.

„Ja“, nickte Svenja.

„Es war ein Fehler, diese Sache mit dem Volk der Tiefe in die Vorlesung zu nehmen. Es war einfach ein dummes Missgeschick, das nicht hätte passieren dürfen. Ich bin schließlich hier engagiert, um über antike Rechtssätze zu philosophieren oder. Ach!“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wissen Sie, ich tue seit Tagen nichts anderes, als über den Quellen zu brüten, die ich soeben vor Ihnen ausgebreitet habe. Nur habe ich dabei nicht bedacht, dass das offensichtlich niemanden interessiert!“

„Mich interessiert es“, sagte Svenja. „Was Sie da vorgetragen haben ist faszinierend.“

„Erschreckend“, korrigierte Bender. „Ich hoffe, dass es nicht wahr ist, denn andernfalls kommen auf unsere Welt Bedrohungen zu, von denen kein heute lebender Mensch eine Vorstellung hat.“

Er atmete schwer. „Aber Abdul von Cordoba hatte eine Vorstellung davon. Er wusste offenbar sehr genau, über welches Grauen er schrieb.“ Er verengte ein wenig die Augen. „In welchem Semester sind Sie?“, fragte er dann.

„Um ehrlich zu sein, ich bin noch gar nicht eingeschrieben. Ab dem nächsten Semester studiere ich Journalistik.“

Der Professor hob die Augenbrauen.

„Hört sich nicht gerade an, als hätte das irgendetwas mit den Dingen zu tun, die ich in meinen Vorlesungen den Studenten nahe zu bringen versuche!“

„Ich weiß…“

„Und doch sind Sie seit einiger Zeit in jeder meiner Veranstaltungen gewesen!“

„Sie beschäftigen sich oft genug mit den Grenzbereichen menschlicher Erkenntnis“, sagte Svenja. „Und das fasziniert mich.“

„Leider teilt so gut wie keiner meiner Kollegen Ihre Faszination.“

Schritte waren vom Flur her zu hören Es musste eine Frau sein, die sich auf Schuhen mit hohen, harten Absätzen dem Hörsaal näherte. Wenig später trat eine Frau in den Dreißigern ein, deren graues Kostüm gleich klarmachte dass sie keine Studentin sein konnte.

Svenja kannte sie.

Die Frau im Kostüm arbeitete in der Verwaltung, wo Svenja ihre Unterlagen eingereicht und sich einen Gasthörerschein besorgt hatte.

„Professor Bender!“, rief sie.

„Ja, was gibt es denn?“

„Da ist ein Anruf für Sie!“

Sie hob die Hand, in der sie einen portablen Telefonhörer hielt.

„Ein gewisser Herr Heinrichsen will Sie sprechen!“

„Geben Sie her!“

Bender riss ihr förmlich den Hörer aus der Hand. „Herr Heinrichsen? Sie haben was für mich?“ Anschließend sagte er nach einer kurzen Pause: „Ja, ich komme sofort. In zwanzig Minuten bin ich bei Ihnen!“ Er beendete das Gespräch und gab der Verwaltungsangestellten den Hörer zurück. „Ich danke Ihnen.“

„Sie sollten sich ein Handy anschaffen, Herr Professor!“

„Ich habe ein Handy, aber während der Vorlesung hatte ich es ausgeschaltet.“

„Ich meine ja ur! Schließlich bin ich nicht Ihre Telefonistin.“

Sie stolzierte auf ihren hochhackigen Schuhen davon. Bender wandte such mit einem verlegenen Lächeln Svenja zu. „Tut mir Leid, es war zwar interessant, mit Ihnen zu plaudern, aber ich muss jetzt dringend weg…“

„Hat es etwas mit dem Volk der Tiefe zu tun?“, fragte Svenja und folgte damit einfach einem inneren Instinkt. Was sonst hätte einen Mann wie Bender derart elektrisieren können wie die Nachricht, dass es irgendwelche neuen Erkenntnisse zu einer Sache gab, mit der er sich nun schon nächtelang befasst hatte.

„Wie kommen Sie darauf?“, fragte er stirnrunzelnd.

„Geraten, um ehrlich zu sein.“

„Sie haben Recht. Ein Antiquar hat mir ein Manuskript angeboten, dass für meine weiteren Forschungen von entscheidender Bedeutung sein könnte… Der russische Okkultist und Parapsychologe Victor Sergejewitsch Kerimov hat sich intensiv mit dem Leben und Werk des Abdul von Cordoba befasst und war vermutlich im Besitz einiger Originalhandschriften des maurischen Magiers. Kerimov verfasste ein Kompendium des Übernatürlichen, das ohne Titel blieb und von dem nur obskure Privatdrucke existieren. Kerimov verschwand 1920 in den Revolutionswirren unter mysteriösen umständen. Seine Schriften ebenfalls. Im Zuge meiner Forschungen fand ich heraus, dass Kerimov offensichtlich auch ein Buch mit dem Titel VON DEN

KREATUREN DER TIEFE verfasste, dessen russische Originalausgabe in einem Wiener Exilverlag erschienen ein soll. Ich war mir bislang nicht sicher, ob dieses Buch überhaupt existiert…“

„Und jetzt wird Ihnen angeboten!“, schloss Svenja. Bender nickte. „Genau so ist es. Unglücklicherweise werde ich das Manuskript kaum selber prüfen können.“

„Warum nicht?“

„Russisch gehört leider zu den wenigen Sprachen, die ich nicht beherrsche!“

„Ich hatte Russisch als dritte Fremdsprache auf dem Gymnasium“, sagte Svenja.

Bender schien perplex.

„Kommen Sie aus den neuen Bundesländern?“, fragte er. Die junge Frau schüttelte den Kopf. “Nein, ich habe nur die Gelegenheit ergriffen, dem Lateinunterricht auszuweichen.“

In Benders Augen leuchtete es. „In jedem anderen Fall hätte ich als begeisterter Altsprachler natürlich gesagt, dass dies ein schwerer Fehler war, aber…“

„Darf ich Sie begleiten?“, fragte Svenja. „Natürlich kann ich über die Echtheit dieses Manuskripts keine Beurteilung abgeben, aber ich denke schon, dass ich in der Lage wäre, den Inhalt zu übersetzen.“

„Es geht mir ohnehin nur um ein paar Stellen, in denen nähere Informationen über diese Welt jenseits des Bannkreises zu finden sind.“ Bender machte eine kurze Pause und fuhr sich mit der Hand durch das aufgeladene und dadurch extrem widerspenstige Haar. „Kommen Sie mit mir!“, forderte er Svenja im nächsten Moment auf.

*

Sie brauchten länger als die versprochenen zwanzig Minuten, um das Antiquariat von Johann Heinrichsen zu erreichen. Svenja ließ sich von Professor Bender in dessen gediegenem, aber schon etwas angejahrten Mercedes mitnehmen und bekam ziemlich bald die Aufgabe, den im Handschuhfach enthaltenen Stadtplan zu entfalten und nach dem Weg zu suchen. Unglücklicherweise war dieser Stadtplan nicht mehr so ganz auf dem neuesten Stand. Offenbar hatten dem Professor seine intensiven Studien kaum Gelegenheit gelassen, in die Stadt zu fahren.

„Ich dachte, Sie waren schon einmal in diesem Laden“, wunderte sich Svenja.

„Leider offenbar nicht oft genug, um den Weg auch wieder zu finden. Ich habe ein ziemlich schlechtes Orientierungsvermögen, müssen Sie wissen.“

„Dann sollten Sie sich ein Navigationssystem anschaffen!“

Bender schüttelte den Kopf. „Ich kenne von Hamburg nur die Uni, die Mensa und den Weg von dort zu meinem Haus und das reicht normalerweise auch“, erklärte er scherzhaft. „Das ist natürlich etwas übertrieben, aber meine Kollegen haben diese Legende erfolgreich in Umlauf gesetzt. Und an den meisten Legenden ist ja auch ein Kern von Wahrheit vorhanden.“ Er berichtete anschließend darüber, dass er vor kurzem durch Empfehlung eines Kollegen auf das Antiquariat von Johann Heinrichsen aufmerksam geworden war und er nie zuvor eine vergleichbare Anhäufung von Schriften zu Gesicht bekommen habe, die sich mit okkulten und magischen Phänomenen aller Art beschäftigten. „Wissen Sie, wenn ich mal dort war, gingen da immer ein paar sehr eigenartige Typen in schwarzen Kleidern ein und aus, die sich die Gesichter weiß geschminkt hatten.“

„Grufties“, stellte Svenja fest.

„Nennen nicht normalerweise Studenten ihre Professoren so?“

Svenja lachte. „Keine Ahnung, ich fang ja erst nächstes Semester an“, wandte sie sich aus der Bedrouille.

„Wie auch immer – die sahen schon ziemlich merkwürdig aus.“

„Wahrscheinlich zieht ein Laden dieses Antiquariat alle diejenigen wie magisch an, die sich mit Schwarzen Messen, Friedhofsschändungen und dergleichen ihre Freizeit vertreiben.“

„Schon möglich.“ Bender zuckte die Achseln. „Der Mensch ist doch ein eigenartiges Geschöpf. Da gibt es Leute, die sich nichts mehr ersehnen, als Geschöpfe der Finsternis zu werden und ahnen nicht, dass es vielleicht tatsächlich im Verborgenen eine Macht gibt, die genau das im Sinn hat!“

Bender machte eine Pause.

Sie erreichten schließlich eine Nebenstraße im Hamburger Norden. Die meisten Häuser waren in einem schlechten Zustand. Es schien sich ganz offensichtlich um ein Sanierungsgebiet zu handeln. Ganze Häuserblocks standen leer, die Fenster waren mit Brettern vernagelt und an den Straßenseiten waren Autos abgestellt worden, die weder Zulassung noch Reifen oder Polster besaßen und eigentlich auf den Schrottplatz gehört hätten. Professor Bender stellte den Mercedes am Straßenrand ab.

„Hier muss es sein“, war er überzeugt. Er sah sie an und fragte dann ziemlich unvermittelt: „Sagen Sie mal, wie heißen Sie eigentlich?“

Er stellte diese Frag mit einer so kindlich wirkenden Beiläufigkeit, dass auch Svenja ihm seine Ignoranz nicht übel zu nehmen vermochte. Sie schmunzelte.

„Mein Name ist Svenja Hund“, stellte sie sich vor. „Bislang ein Name, von dem ich ohne weiteres zugeben muss, dass man ihn sich nicht unbedingt zu merken braucht!“

Benders Gesicht blieb ernst. Einen Augenblick lang hatte Svenja schon die Befürchtung, er hätte die Ironie ihrer Bemerkung vielleicht missverstanden.

„Seien Sie unbesorgt“, sagte er. „Ihren Namen werde ich mir für die Zukunft ganz bestimmt merken!“

Sie stiegen aus.

Nachdem sie ein paar Schritte die Straße entlang gelaufen waren, fanden sie Johann Heinrichs Antiquariat. Es lag im Souterrain eines Altbaus, dessen Fassade schon lange bröckelte. Über eine Treppe gelangten sie an die Ladentür. Bender öffnete. Es ertönte ein Klingelton, als er eintrat. Svenja folgte ihm.

Der Raum, in den sie getreten waren, glich einem Labyrinth aus hohen Bücherregalen. Auch die Wände waren voll davon. Staub kitzelte Svenja in der Nase. Ihr Blick glitt die Buchrücken entlang. Manche wirkten schon sehr abgewetzt. Obskure Titel waren darunter. TECHNIKEN DER NEKROMANTIE hieß eines der Werke, METAMAGISCHES KOMPENDIUM ein anderes. Sie umrundeten die Regalwände, gingen durch eine enge Gasse. Man musste dabei aufpassen, nicht aus Versehen, einen der etwas überstehenden Folianten mit Armen oder Schultern herunterzureißen.

Schließlich erreichten sie den Tresen.

Ein junger Mann stand dahinter. Er war hoch gewachsen und dunkelhaarig. Ein gewinnendes Lächeln spielte um seine Lippen.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte er.

„Wer sind Sie?“, fragte der Professor ziemlich barsch.

„Meine ist Frank Meyer. Ich arbeite hier, wenn’s Recht ist!“

„Ich möchte mit Herrn Heinrichsen sprechen.“

„Tut mir leid, aber der Chef möchte im Moment nicht gestört werden…“

„Herr Heinrichsen hat mich extra in der Uni ausrufen lassen, weil er wertvolle Manuskripte für mich hätte und Sie wagen es, zu behaupten, dass…!“

„Oh, Entschuldigung!“, unterbrach der junge Mann den Professor. „Dann müssen Sie Professor Bender sein. Tut mir leid, aber ich arbeite noch nicht lange hier. Wenn Sie mir bitte folgen wollen…“

Frank Meyer bedachte Svenja mit einem kurzen musternden Blick. Sie erwiderte sein Lächeln.

Er sieht sympathisch aus!, dachte Svenja.

„Sie gehören zum Professor?“, fragte er.

„Ja.“

„Dann kommen Sie doch bitte auch mit.“

Er sah sie auf eine ganz besondere Weise an. Svenja spürte ein Kribbeln in der Bauchgegend. Eine Empfindung, die irgendwo auf halbem Weg zwischen wohliger Erregung und Unbehagen lag. Irgend etwas stimmt mit dem Kerl nicht!, durchzuckte es sie. Sie konnte keinen vernünftigen Grund für diese Empfindung angeben. Es war einfach nur eine Ahnung. Für Bruchteil von Sekunden sah sie eine Szene vor ihrem inneren Auge. Frank Meyer spielte darin eine Rolle. Er ging auf ein Haus zu, das Svenja noch nie gesehen hatte. Es war Nacht. Das fahle Mondlicht beleuchtete Björns Gesicht und ließ es leblos erscheinen. Im Hintergrund war ein Flussufer zu sehen. Nebelschwaden krochen die Böschung empor. An einem der Fenster der Villa – denn nur so konnte man dieses Haus bezeichnen – tauchte eine nur als schattenhafter Umriss erkennbare Gestalt auf.

Im nächsten Moment war dieses Bild wieder weg. Svenja fühlte, wie ihr das Herz für Augenblicke bis zum Hals schlug.

Frank wandte sich zum Gehen. Der Professor folgte ihm durch einen Nebenausgang in einen schmalen Korridor. Auf der rechten Seite standen Pappkartons voller Bücher, die wohl erst vor kurzem angeliefert und noch nicht aussortiert worden waren. Aber in den Regalwänden des Antiquariats wäre wohl ohnehin kaum noch Platz für sie gewesen.

Am Ende des Korridors befand sich eine Tür.

„Herr Heinrichsen?“, fragte Frank Meyer.

„Was ist?“, krächzte eine ärgerliche Stimme.

„Professor Bender ist hier!“

„Soll hereinkommen!“

Der junge Mann öffnete die Tür. Svenja folgte dem Professor in ein ziemlich unaufgeräumt wirkendes Büro. Es herrschte spärliches, gelbliches Licht, das von einer einzelnen Glühbirne an der Decke stammte.

Ein alter Mann mit gebeugtem Rücken saß hinter dem Schreibtisch. Sein Gesicht war hager. Die Augen traten daraus etwas unnatürlich hervor. Ein grauweißer Knebelbart wuchs am Kinn. Der Blick war konzentriert auf einen Stapel zusammengehefteter, vergilbter Blätter geheftet.

„Ich hoffe, ich bin nicht umsonst gekommen, Herr Heinrichsen!“, sagte der Professor.

Der Alte hinter dem Schreibtisch betrachtete die enge Handschrift auf dem ersten Blatt des vor ihm liegenden Manuskripts durch eine Lupe und murmelte Wörter vor sich hin wie ein Erstklässler, der seine ersten Wörter zu erlesen versucht. Nur, das Johann Heinrichsen versuchte, Russisch zu lesen.

„Soon Schiet“, sagte der Antiquar, der im Ganzen einen recht wunderlichen Eindruck machte. Er trug die Prinz Heinrich-Mütze tief in den Nacken geschoben. Eine dicke Nickelbrille saß vorne auf der Nasenspitze. Heinrichsen blickte auf. „Ein überaus interessantes Manuskript, für das Sie sich da interessieren“, sagte er. „Leider reichen die paar Brocken Russisch, die man mir mal in einem Kurs an der Volkshochschule beigebracht hat, kaum aus, um es richtig lesen zu können!“

„Geben Sie her!“, forderte Professor Bender voller Ungeduld. Heinrichsen übergab Bender das Manuskript. Er behandelte es dabei mit äußerster Vorsicht. „Sehen Sie es sich in Ruhe an. Ich nehme an, Sie wollen erst eine Expertise machen lassen, ehe Sie den vollen Preis bezahlen!“

„Übersetzen Sie mir den Anfang des dritten Kapitels“, forderte er Svenja auf und reichte ihr das Manuskript weiter.

„Einfach so – aus dem Steifgreif?“, fragte die junge Frau erstaunt.

„Es kommt nicht auf die Feinheiten an. Übersetzen Sie einfach so, wie Ihnen der Schnabel gewachsen ist und Ihnen die Wörter auf die Schnelle einfallen.“

„Wie Sie wollen…“ Svenja blickte auf das Manuskript. Es war in einer gestochen scharfen Handschrift geschrieben worden. Das Papier war vergilbt. Svenja schlug das dritte Kapitel auf und begann zu lesen.

„In der Tiefe, da warten sie seit langer Zeit – die Kreaturen der Finsternis. So berichtet uns der weise Abdul aus Cordoba. Er verfasste einen geheimen Bericht, nachdem es ihm offenbar mit Hilfe magischer Praktiken gelang, die Grenze zum Reich jenseits des Bannkreises zu überschreiten und wohlbehalten zurückzukehren. Kurz danach verliert sich die Spur dieses einzigartigen Gelehrten.

Abdul berichtete von den Zeichen, an denen die bevorstehende Wiederkunft des Volkes der Tiefe zu erkennen ist. Es werden Zeichen am Himmel und auf der Erde zu sehen sein. Der Mond wird sich verfinstern und die Sonne zu einer schmale Sichel werden. Aber zuvor treten die Schergen der Tiefe auf. Ihre Augen sind vollkommen von Schwärze erfüllt. Außerdem…“ Svenja brach ab. „Dieses Wort kann ich leider nicht lesen!“

„Ganz ausgezeichnet!“, sagte der Professor. „Ihr Lehrer hat Ihnen auf jeden Fall etwas beigebracht.“

Bender nahm ihr das Manuskript aus der Hand.

„Sie wissen selbst, dass ein Kerimov-Manuskript so selten und wertvoll ist, dass ich es Ihnen unmöglich für ein paar Tage zur Prüfung überlassen kann, ohne eine gewisse Garantie zu haben, dass…“

„Das ist auch nicht nötig“, sagte Bender. „Ich kaufe Ihnen das Manuskript zu dem Preis, den wir vereinbart hatten ab.“

„Sie verzichten auf eine Papieranalyse und dergleichen?“

„Das Manuskript muss echt sein – oder es handelt sich zumindest um eine Abschrift, die dem Original sehr nahe kommt!

Das kann ich aus den inhaltlichen Bezügen schließen. Das dritte Kapitel wird bei anderen Autoren, die angeblich im Besitz der späteren Wiener Exilsausgabe gewesen sein wollen, besonders erwähnt!“ Bender atmete schwer. Er griff in die Innentasche seines ausgebeulten Jacketts und holte sein Scheckheft hervor. Hastig füllte er einen Scheck aus und gab ihn dem Antiquar. Heinrichsen lächelte auf eine Art, die Svenja nicht gefiel. Von einem Augenblick zum anderen war von der sympathischen, wenn auch etwas trottelige Art des Antiquars nichts mehr zu spüren. Ein harter, kalter Zug trat in sein Gesicht. Die Augen glitzerten auf eine Weise, die Svenja unwillkürlich schaudern ließ.

„Es ist schön, mit Ihnen Geschäfte zu machen, Herr Professor“, sagte Heinrichsen.

Seine Stimme klirrte wie Eis.

Der Professor bemerkte nichts davon. Zu sehr beherrschte ihn wohl der Gedanke an den bibliophilen Schatz, den er gerade erworben hatte.

„Kommen Sie!“, wandte sich Bender an Svenja Hund. „Wenn Sie nichts dagegen haben, sehen wir uns das Manuskript gleich mal etwas näher an!“

Frank brachte sie hinaus.

Die Augen des Antiquars veränderten sich, nachdem die Tür seines Büros ins Schloss gefallen war. Sie wurden vollkommen schwarz. Sein Mund verzog sich zu einer Grimasse.

„Viel Vergnügen bei Ihrer Lektüre, Professor!“, murmelte er vor sich hin.

*

Professor Bender konnte es nicht erwarten, zumindest im groben den Inhalt des Manuskripts kennen zu lernen.

„Ich schlage vor, wir fahren zu meiner Villa und Sie helfen mir, eine vorläufige Übersetzung zu erstellen“, schlug er Svenja vor. „Natürlich erwartete ich nicht, dass Sie das umsonst machen. Sie bekommen den normalen Stundensatz einer studentischen Hilfskraft. Sind Sie damit einverstanden?“

„Ja, sicher!“, antwortete Svenja ziemlich überrascht.

„Ich bin sicher, dass das Kerimov-Manuskript uns in dieser Sache erheblich weiter bringen wird!“

„Mich erstaunt etwas, dass Sie sofort bereit waren, den vollen Preis zu bezahlen“, bekannte die junge Frau. Bender lächelte mild, während er den Wagen an einer roten Ampel anhielt. „Manchmal folge ich einfach meiner Intuition. Kennen Sie das nicht auch?“

„Doch.“

„Na, sehen Sie!“

*

Eine halbe Stunde später erreichten sie die Villa des Professors. Svenja erstarrte förmlich. Nie zuvor war sie an diesem Ort gewesen, da war sich die junge Frau sicher. Und doch hatte sie die Villa schon einmal gesehen!

Im Hintergrund war das Elbufer zu sehen.

Ein Frachter quälte sich flussaufwärts.

Es war dasselbe Haus, das sie in jener blitzlichtartigen Vision vor ihrem inneren Auge gesehen hatte, als sie Frank Meyer, dem jungen Gehilfen des Antiquars begegnet war.

„Was ist los mit Ihnen?“, erkundigte sich Bender, der ebenfalls ausgestiegen war. „Sie sehen so blass aus!“

Svenja schluckte.

Was hätte sie jetzt sagen sollen? Dass sie eine Art deja vuErlebniss gehabt hatte? Gleichgültig, in welche Worte man es auch fasste, es klang immer gleich absurd.

„Es ist nichts“, behauptete sie.

Bender runzelte die Stirn.

Selbst dem weltabgewandten Eigenbrötler, den ganz gewiss alles andere als umfassende Menschenkenntnis auszeichnete, schien Svenjas Reaktion nicht sonderlich überzeugend vorzukommen.

Das Manuskript hatte er unter den Arm geklemmt.

„Kommen Sie! Ich bin gespannt, was wir beide erfahren werden!“

Svenja folgte ihm.

Hastig schloss Bender die Tür auf. Sie gingen durch eine hohe Eingangshalle. Eine dicke Staubschicht bedeckte die Möbel. Offenbar hatte sich schon seit längerem niemand mehr wirklich um die Pflege dieses Anwesens gekümmert.

Bender führte Svenja in einen großen Raum, der ihm offenkundig als Arbeitszimmer diente. Mehrere völlig überladene Schreibtische fanden sich hier. Die Stapel von Büchern und Manuskripten, die sich darauf auftürmten, drohten jeden Moment einzustürzen.

„Machen Sie sich einen der Sessel frei! Es tut mit leid, dass ich für Sie nicht aufräumen konnte, aber…“

„Ist schon in Ordnung“, sagte Svenja.

Der Professor kramte in einem Schrank herum und holte schließlich einen altmodischen Kassettenrecorder hervor.

„Oh“, entfuhr es ihr unwillkürlich.

„Irgend etwas nicht in Ordnung damit?“, fragte Bender, während er auf einem der Tische einen Bücherstapel vorsichtig zur Seite schob, um Platz für das Aufnahmegerät zu bekommen.

„Das Ding sieht aus wie aus dem Museum!“

„Ja, und funktioniert immer noch. Ganz im Gegensatz zu den Geräten, die man heute so kaufen kann! Es handelt sich um eine Spezialanfertigung, die Aufnahmen mit besonderer Empfindlichkeit ermöglicht! Vielleicht haben sie mal davon gehört, dass die Stimmen von Toten aus dem Bandrauschen herausgefiltert werden konnten… Ich habe eine Zeitlang ebenfalls derartige parapsychologische Experimente durchgeführt und wissenschaftlich auszuwerten versucht.“

Svenja hob erstaunt die Augenbrauen. „Und? Mit welchem Ergebnis?“

Der Professor zuckte die Achseln. „Wie soll ich sagen? Meine diesbezüglichen Studien sind noch nicht abgeschlossen. Aber einstweilen wird sich dieses Gerät ebenso gut dafür eignen, Ihre Übersetzung aufzuzeichnen. Unsere Fachbereichssekretärin kann das Band dann später in den Computer tippen!“

Bender holte ein Mikrofon und schloss es an. Svenja hatte sich inzwischen einen der Sessel frei geräumt. Sie setze sich. Bender gab ihr das Manuskript. „Fangen Sie an!“

*

Kerimovs Manuskript war voller Bezüge auf andere, ebenso obskure Autoren. Manche Wörter vermochte Svenja entweder nicht zu übersetzen oder nicht zu lesen. Zwar war Kerimovs Schrift gestochen scharf, doch ab und zu traf Svenja im Text auf Wörter, deren Buchstaben sehr viel undeutlicher wirkten. Zunächst schob die junge Frau es darauf, dass sie eben doch nicht sicher genug in der russischen Sprache war. Andererseits gab es sicher auch handschriftliche Varianten des deutschen, die ihr Schwierigkeiten bereitet hätten.

Stunden vergingen.

Immer wieder brachte der Text düstere, kryptische Andeutungen über die bevorstehende Rückkehr jenes geheimnisvollen Volkes der Tiefe zu Tage, das angeblich im Inneren der Erde existierte. Gleichzeitig wurden ein paar sehr vage Aussagen über die ominöse Welt jenseits des Bannkreises gemacht.

Professor Bender hörte sehr konzentriert zu. Er hatte dabei die Augen geschlossen. Eine tiefe Furche bildete sich auf seiner Stirn.

Svenja spürte durchaus, dass der Gelehrte bislang noch nicht auf Hinweise von der Qualität getroffen war, die er sich erhofft hatte.

Schließlich hörte Svenja mit der Übersetzung auf. Sie rieb sich die Augen.