Viermal Mord in Frankreich im Krimi Bundle Juni 2024 - Alfred Bekker - E-Book

Viermal Mord in Frankreich im Krimi Bundle Juni 2024 E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Krimis: (499) Commissaire Marquanteur schließt die Augen Commissaire Marquanteur und der Rothaarigen-Killer Commissaire Marquanteur und das Killernetz Commissaire Marquanteur und die Todesliste des Rächers Wer ermordet in Marseille Menschen, indem er die Software von Autos manipuliert? Nicht nur der Tod eines Polizisten ruft die Ermittler Leroc und Marquanteur auf den Plan, denn die Hinweise deuten in Richtung eines verurteilten Verbrechers. Aber der Täter macht auch vor den Mitarbeitern der FoPoCri nicht Halt, mit schrecklichen Folgen. Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Jack Raymond, Jonas Herlin, Dave Branford, Chris Heller, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

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Alfred Bekker

Viermal Mord in Frankreich im Krimi Bundle Juni 2024

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Inhaltsverzeichnis

Viermal Mord in Frankreich im Krimi Bundle Juni 2024

Copyright

​Commissaire Marquanteur schließt die Augen

​Commissaire Marquanteur und der Rothaarigen-Killer

​Commissaire Marquanteur und das Killernetz

​Commissaire Marquanteur und die Todesliste des Rächers

Viermal Mord in Frankreich im Krimi Bundle Juni 2024

von Alfred Bekker

Dieser Band enthält folgende Krimis:

Commissaire Marquanteur schließt die Augen

Commissaire Marquanteur und der Rothaarigen-Killer

Commissaire Marquanteur und das Killernetz

Commissaire Marquanteur und die Todesliste des Rächers

Wer ermordet in Marseille Menschen, indem er die Software von Autos manipuliert? Nicht nur der Tod eines Polizisten ruft die Ermittler Leroc und Marquanteur auf den Plan, denn die Hinweise deuten in Richtung eines verurteilten Verbrechers. Aber der Täter macht auch vor den Mitarbeitern der FoPoCri nicht Halt, mit schrecklichen Folgen.
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Jack Raymond, Jonas Herlin, Dave Branford, Chris Heller, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Bathranor Books, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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​Commissaire Marquanteur schließt die Augen

von Alfred Bekker

Commissaire Marquanteur schließt die Augen: Frankreich Krimi

von Alfred Bekker
Die Verhaftung eines Drogendealers zieht politische Kreise, als sich herausstellt, dass auf seiner Kundenliste wichtige Personen aus dem Sicherheitsbereich stehen. Als dann eine Drohne bei einem Manöver die Programmierung durchbricht, wird ein Schadvirus festgestellt. Hat jemand einen oder mehrere Programmierer der handelnden Firma mit dem Drogenkonsum erpresst?
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Jack Raymond, Robert Gruber, Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.
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1
Ich saß mal wieder an der Kaimauer im Marseiller Hafen und angelte. Manchmal brauche ich das zur Entspannung. Die großen Schiffe, die Rufe der Möwen, die hinter ihnen herziehen und das in der Sonne glitzernde Wasser – das alles hat in seiner unvergleichlichen Kombination eine Art hypnotische, kontemplative Wirkung auf mich.
Und ein bisschen Entspannung ab und zu muss in meinem Job schon sein.
Mein Name ist Pierre Marquanteur. Ich bin Commissaire in Marseille und gehöre zur Force spéciale de la police criminelle, kurz FoPoCri, wie sich unsere Sonderabteilung nennt. Zusammen mit meinem Kollegen François Leroc und all den anderen Angehörigen unserer Abteilung kümmere ich mich um die besonderen Fälle.
Besonders im Sinne von besonders schwierig, meine ich natürlich. Darunter fällt zum Beispiel alles, was mit organisierter Kriminalität zu tun hat.
François und ich sind da schon ziemlich ehrgeizig.
Mein Ehrgeiz im Hinblick auf das Fangen von Fischen hielt sich hingegen in ziemlich engen Grenzen.
Man könnte auch sagen: Er war eigentlich gar nicht vorhanden.
Es kam nicht darauf an, wirklich etwas zu fangen. Es ging darum, irgendwo einfach nur sitzen zu können und dabei mehr oder weniger gar nichts zu tun. Aber das Gar-Nichts-Tun ist in unserer Kultur irgendwie nicht so richtig gut angesehen. In der Leistungsgesellschaft von heute ist man immer irgendwie tätig.
Man macht irgendetwas.
Einfach nur Faulenzen, das ist irgendwie nicht so richtig im Plan drin.
Also braucht man eine Art Alibi-Beschäftigung, wenn man in Wahrheit in aller Ruhe gar nichts tun will.
Angeln ist ein ganz typisches Beispiel dafür.
Und Angeln hat immerhin den Vorteil, dass es weniger kompliziert ist, als andere Tätigkeiten, die auf die eine oder andere Weise ebenfalls in die Rubrik solcher Schein-Tätigkeiten fallen. Stricken zum Beispiel.
Das wäre nichts für mich.
Zu kompliziert.
Mit komplizierten Dingen habe ich ja schon beruflich genug zu tun.
Ich hing so meinen Gedanken nach, überlegte für einen Moment, was ich wohl machen würde, wenn tatsächlich ein Fisch so dumm war, anzubeißen und dann geschah plötzlich etwas völlig unerwartetes.
Etwas, das mich aus meiner erholsamen Kontemplation förmlich herausriss.
Es sah aus wie ein Flugzeug-Absturz.
Aber es sah nur so aus, denn das Flugzeug war viel zu klein, um wirklich ein Flugzeug sein zu können, auch wenn es Tragflächen hatte.
Die waren allerdings nicht länger als die Armspannweite eines durchschnittlich gewachsenen Mannes.
Das Ding stürzte direkt vor mir ins Wasser. Genau dorthin, wo ich meine Angel hielt.
Der ganze Vorgang dauerte nur Sekunden.
Dann war die Drohne verschwunden.
Das Meerwasser hatte sie zugedeckt, und es war nichts mehr von dem Ding zu sehen.
Ich bin nicht schreckhaft, aber das hatte mir dann doch einen ziemlich großen Schrecken eingejagt.
Ein junger Mann mit lockigen Haaren kam auf mich zu. Die Tatsache, dass er irgendein technisches Fernsteuerungsmodul in den Händen hielt, sprach wohl dafür, dass diese Drohne ihm gehörte.
»Bonjour«, sagte ich.
»Bonjour«, meinte er.
Er schien genauso geschockt zu sein wie ich – nur vermutlich aus einem anderen Grund. Ich stellte mir vor, die Drohne hätte mich treffen können. Er dachte vermutlich daran, dass sie teuer gewesen war. Zumindest für seine Verhältnisse. Ein Killer, der so ein Ding dafür benutzt, um Sprengstoff damit möglichst nahe an seinem Opfer zur Explosion zu bringen, denkt darüber vielleicht etwas anders.
»Merde«, meinte der junge Mann.
»Ich habe einen ganz schönen Schrecken gekriegt«, sagte ich.
»Tut mir Leid.«
»Na, dann …«
Als ich die Angel hochziehen wollte, merkte ich dann, dass da irgendetwas sehr Schweres dran war.
Schwerer als jeder Fisch, den man hier in Marseille überhaupt je an die Angel kriegen kann.
Die Rute bog sich bedenklich.
»Ganz vorsichtig!«, meinte der junge Mann. »Sie haben das Ding!«
»Ich hoffe, meine Angel geht nicht kaputt!«
»Ich dachte schon, die Drohne wäre verloren.«
»Haben Sie überhaupt eine Genehmigung, mit so etwas herumzufliegen?«
»Sind Sie Polizist?«
»Zufällig ja.«
»Oh …«
Es entstand eine Pause. Und es war wohl nicht zu gewagt, anzunehmen, dass er keine Genehmigung für die Drohne hatte.
Ich atmete tief durch. »Na, dann wollen wir mal sehen, ob wir das Ding wieder aus dem Wasser kriegen. Angelschnur ist ja ziemlich reißfest.«
»Danke.«
Wir schafften es schließlich.
Die Angel war allerdings hinterher hinüber.
Naja, mit solchen Drohnen kann noch weitaus Schlimmeres passieren!
*
Auf einem Truppenübungsplatz … zur selben Zeit!
»Monsieur Lafontaine, sehen Sie sich das an!«
»Einen Moment!«
Die beiden Männer in den Uniform starrten auf den Laptop. Es war ein Bild zu sehen, das die Perspektive einer Drohnenkamera zeigte. Häuser, Gefechtsstände, Panzer, grüne Wiesen, ein Waldstück. Daneben eine Kartenübersicht des Geländes mit Positionsanzeige.
»Verdammt, was ist mit dem Ding los?«, fragte Commissaire Lafontaine. Sein hageres, verkniffenes Gesicht wurde zu einer verzerrten Maske. »Stoppen Sie das!«
Finger hackten über die Tastatur.
»Negativ, Chef! Keine Reaktion!«
»Kurskorrektur! Sofort!«
»Es geht nicht, Chef!«
Lafontaine griff zum Funkgerät. »Hier Colonel Lafontaine. Sofort …«
Weiter kam er nicht. Das Detonationsgeräusch war selbst auf eine Entfernung von einer halben Meile so ohrenbetäubend, dass es nicht mehr möglich war, sich zu verständigen.
Lafontaine lief aus dem Zelt, in dem der Befehlsstand dieses Übungsmanövers untergebracht war. Der Himmel war diesig. Hinter den Hügeln stieg dunkler Rauch auf.
»Verdammt …«, murmelte er.
2
Ein Hinterhof in Pointe-Rouge.
Wir hatten das Gelände weiträumig umstellt. Insgesamt zwanzig Kollegen vom Polizeipräsidium Marseille und außerdem noch Kräfte der Bereitschaftspolizei waren an dieser Operation beteiligt.
Ich hatte die Dienstpistole in der Rechten und nickte François Leroc zu. Mein Dienstpartner hatte gerade seine Kevlar-Weste etwas zurechtgezogen. Die Dinger müssen richtig sitzen, sonst riskiert man, dass man bei einer Schießerei doch mehr abbekommt, als eigentlich nötig wäre.
Eine dunkle Limousine fuhr durch die Zufahrt in den Hinterhof, in dem sich ansonsten noch ein paar überquellende Müllcontainer und ein schrottreifer Ford befanden, dem man außer den Reifen nahezu jedes andere Teil abgenommen hatte, für das es noch irgendeinen Interessenten geben mochte.
Eine ganze Weile geschah gar nichts.
Wir waren angespannt.
Über mein Headset meldete sich der Kollege Fred Lacroix.
Ers sagte:
»Ein dunkler Van nähert sich.«
»Könnte das Chapitte sein?«, fragte ich.
Hervé Chapitte war ein Drogenhändler, hinter dem wir schon seit längerem her waren. Er dealte mit Kokain. Aber da er keineswegs eine der ganz großen Nummern in diesem üblen Geschäft war, wäre er eigentlich eher ein Fall für die Drogenabteilung des zuständigen Polizeireviers gewesen.
Trotzdem kümmerten wir uns darum.
Was Hervé Chapitte unter den anderen Drogendealern hervorhob, war sein exquisiter Kundenkreis. Über einen Mittelsmann war uns Chapittes Kundenliste in die Hände gefallen. Es waren auffällig viele Personen aus dem militärisch-industriellen Komplex darunter oder die sonst in sicherheitsrelevanten Bereichen wichtige Schlüsselfunktionen erfüllten. Computerspezialisten, Programmierer, Offiziere der Armee, die mit hochsensibler Waffentechnik zu tun hatten. Die Tatsache, dass Chapitte seine Drogen aus einer Quelle bezog, bei der es eine Verbindung zu einem iranischen Geschäftsmann gab, vervollständigte das Bild.
Es war gut möglich, dass das Kokain nur Mittel zum Zweck war, um an Personen heranzukommen, die in sicherheitsrelevanten Bereichen Schlüsselstellungen einnahmen.
Wenn so ein Netzwerk erst einmal gesponnen war, konnte man damit einiges anstellen. Zum Beispiel, indem man Chapittes Kunden erpresste, wenn man zu einem bestimmten Zeitpunkt vielleicht mal ihre Dienste brauchte. Das konnte der Download eines geheimen Programms oder vielleicht auch nur eine brisante persönliche Information sein.
Der Van, den unsere Kollegen ausgemacht hatten, traf jetzt ein.
»Wir haben die Nummer überprüft«, meldete sich Fred Lacroix noch einmal. »Das Nummernschild ist gefälscht. Wir können nicht sagen, ob sich Chapitte wirklich im Inneren befindet!«
»Werden wir sehen«, meinte ich.
Chapitte war für seine Vorsicht bekannt. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass er Ermittler, die ihm auf den Fersen waren, durch geschickte Täuschungsmanöver hereingelegt hatte.
Der Van hielt. Die Seitentür ging auf. Zwei Männer in dunklen Anzügen stiegen aus. Sie waren mit Maschinenpistolen vom Typ Uzi bewaffnet. Jetzt öffneten sich auch die Türen der Limousine. Mehrere Männer stiegen aus. Alle in schwarzen Rollkragenpullovern und Lederjacken. Auch sie waren gut bewaffnet. Pumpguns und automatische Pistolen befanden sich in ihren Händen.
Was gesprochen wurde, bekamen wir über unsere Headsets mit. Die Kollegen verfügten über Richtmikrofone.
Jetzt folgte Chapittes großer Auftritt. Er kam aus der Limousine. Ein Mann im dreiteiligen Anzug und hohem Haaransatz. Man hätte ihn für einen Banker oder Anwalt halten können. Das einzig Auffällige an ihm waren die Cowboystiefel mit den Messingkappen an den Spitzen. Die passten einfach nicht zu seinem Stil, aber sie waren gewissermaßen Chapittes Markenzeichen. Chapitte trug eine Brille mit flaschendicken Gläsern. Seine Bewegungen wirken ruckartig. Er blickte sich um und schien nervös.
Der Kofferraum der Limousine wurde geöffnet.
»Bester Stoff, wie Ihre Kunden ihn bevorzugen«, meinte einer der Kerle in Lederjacke. Er trug einen Vollbart, der ihm fast bis unter die Augen reichte. Dafür hatte er so gut wie kein Haar mehr auf dem Kopf.
»Das Geld!«, sagte Chapitte nur und schnippte mit den Fingern. Einer seiner Leute holte den Geldkoffer.
Augenblicke später kam das Signal für den Einsatz.
3
»Hier spricht die Polizei! Waffen weg!«, ertönte eine Megafonstimme. Der Rest des Textes ging im aufbrandenden Kugelhagel unter. Die Uzischützen zögerten keine Sekunde. Sie feuerten wild um sich. Chapitte warf sich zu Boden.
Wir feuerten ebenfalls.
Die Limousine, in deren Kofferraum noch das Kokain lagerte, wurde gestartet. Der Fahrer trat das Gas voll durch. Der Motor heulte auf. Alles ging ganz schnell. Schüsse trafen die Frontscheibe aus Panzerglas und fingen die Kugeln auf. Die Einschussstellen waren von spinnenartigen Splitterstrukturen umgeben. Beinahe ohne Sicht und mit offenem Kofferraum raste der Fahrer auf die Ausfahrt zu und prallte ungebremst gegen ein Fahrzeug der Polizei, das sich ihm dort im letzten Moment in den Weg gestellt hatte. Die Fahrt war damit zu Ende.
Von allen Seiten kamen jetzt die Einsatzkräfte aus der Deckung. François und ich ebenfalls.
Es gab eine Reihe von Verletzten und mehrere Tote. In der Ferne waren schon die Sirenen der Fahrzeuge der Notfallambulanz zu hören.
Chapitte war unverletzt geblieben.
Wie wir feststellten, trug er eine Kevlar-Weste unter seiner Kleidung.
»Ich will einen Anwalt!«, rief er.
»Den werden Sie auch bekommen«, versprach mein Kollege François Leroc, der ihm Handschellen anlegte.
Bündel mit Hundert-Euronoten lagen auf dem Boden verstreut herum. Viele waren blutbesudelt. Der Kofferraum der Limousine war mit Kokain gefüllt, sorgfältig in Plastiktüten verpackt, von denen jede schätzungsweise ein Pfund enthielt.
4
Zwei Stunden später waren François und ich zu unserem Polizeipräsidium zurückgekehrt.
Wir gingen in unser Dienstzimmer. Mir knurrte der Magen, aber um etwas zu essen, war zuerst keine Zeit gewesen. Und nach dem Verlauf des Einsatzes auf Pointe-Rouge hatte ich den Appetit verloren.
Chapitte war festgesetzt. Und das Beweismaterial, das dabei durch Video- und Audioaufzeichnungen gesichert worden war, würde ihn für sehr lange Zeit in den Knast bringen. Und das war das Wichtigste.
Aber davon abgesehen konnte man es nicht als Erfolg werten, wenn bei einem solchen Einsatz ein halbes Dutzend Schwerverletzter und drei Tote zurückblieben. Die Zahl der Toten konnte sich durchaus noch erhöhen, denn bei einigen der Verletzten war es ungewiss, ob sie überleben würden. Darunter auch Claus Grimma, ein Kollege der Polizei, der an dem Einsatz beteiligt gewesen war.
»Wir konnten das nicht verhindern«, sagte François, nachdem er uns beiden einen Kaffee geholt hatte.
»Ich weiß«, sagte ich.
»Die haben einfach drauflos geschossen! Was hätten wir tun sollen?«
»Das, was wir getan haben«, gab ich zurück. »Das, was unser Job ist: Das Recht durchsetzen. Trotzdem – Zufriedenheit fühlt sich anders an, François.«
»Wir wären schlechte Polizeibeamte, wenn wir uns nicht jedes Mal fragen würden, was hätte besser laufen können?«
»Richtig!«
»Aber diesmal hatten wir das nicht in der Hand, Pierre. Nicht einmal ein bisschen!«
Ich zuckte die Schultern. Ob ich François da wirklich zustimmen konnte, hatte ich noch nicht entschieden.
Unser Kollege Fred Lacroix kam herein. Fred sah auch ziemlich fertig aus.
»Ich komme gerade von Derek«, sagte er.
Derek Bajere war einer unserer Verhörspezialisten, und er hatte Chapitte in den letzten anderthalb Stunden vernommen – selbstverständlich in Anwesenheit seines Anwalts.
»Und? Ist irgendetwas dabei herausgekommen?«, fragte ich.
»Er schweigt wie ein Grab. Ich weiß nicht, ob er damit wirklich gut beraten ist«, sagte Fred.
»Was ist mit seiner Kundenliste? Ist die schon ins Spiel gebracht worden?«, fragte ich.
»Ja, Derek hat Chapitte gegenüber durchblicken lassen, dass er gute Chancen hätte, vergleichsweise glimpflich davonzukommen, wenn er seine Kontakte zu diesem iranischen Geschäftsmann auspackt. Es gibt nur Indizien dafür, dass hinter dem mehr steckt, als nur Rauschgifthandel, also brauchen wir Chapittes Aussagen.«
Ich trank meinen Kaffee aus.
»Dass so ein Kerl am Ende mit ein paar Jahren weniger davonkommt, gefällt mir ganz und gar nicht.«
»Du kennst doch das Spiel, Pierre«, meinte François.
Ich nickte. »Allerdings …«
»Dass Chapitte auf dieses Angebot nicht eingeht, kann eigentlich nur bedeuten, dass er ziemlich große Angst vor seinen Hintermännern hat«, meinte François.
Fred Lacroix zuckte mit den Schultern.
»Falls es diese Hintermänner auch wirklich gibt, könntest du recht haben. Aber es kann auch sein, dass er einfach nur einen schlechten Anwalt hat!«
Eine halbe Stunde später war eine Besprechung im Büro unseres Chefs angesetzt.
Monsieur Jean-Claude Marteau, Chef unserer Abteilung in Marseille, telefonierte gerade, als wir sein Büro betraten. Er winkte uns herein, während er zweimal »In Ordnung« sagte und dann das Telefongespräch beendete.
Außer uns waren noch Fred Lacroix sowie Josephe Kronbourg und Léo Morell im Raum. Außerdem unser Innendienstler Maxime Valois aus der Fahndungsabteilung, sowie ein Mann mit gelockten Haaren, den ich nicht kannte.
Monsieur Marteau stand einen Augenblick mit nachdenklichem Gesicht hinter seinem Schreibtisch und vergrub die Hände in den weiten Taschen seiner Flanellhose. Dann begab er sich zu uns, blieb aber als einziger im Raum stehen.
»Chapitte ist aus dem Verkehr gezogen. Was daraus jetzt wird, müssen wir abwarten. Aber es könnte ein Zusammenhang zu einem Fall bestehen, der die nationale Sicherheit betrifft und den unser Polizeipräsidium gerade übernommen hat. Ich habe soeben mit dem stellvertretenden Verteidigungsminister gesprochen, der sein volles Vertrauen in die Fähigkeiten der Polizei setzt.« Monsieur Marteau machte eine kurze Pause. Dann deutete er auf den Mann mit den Locken, der mir bisher unbekannt war. »Ich darf Ihnen Arthur Jospin vorstellen. Er ist Computerspezialist und neu beim Erkennungsdienst.«
Arthur Jospin nickte uns kurz zu.
»Ich war vorher im Verteidigungsministerium beschäftigt und habe deswegen noch ein paar gute Kontakte dorthin, die uns in unserem Fall nützlich sein können.«
Offenbar wusste Arthur Jospin bereits mehr über die Sache, um die es ging. Monsieur Marteau schien schon mit ihm darüber gesprochen zu haben.
»Ich nehme an, jeder hier im Raum weiß, was eine Drohne ist«, sagte Monsieur Marteau. »Einer dieser unbemannten Flugkörper hat vor wenigen Tagen eine Katastrophe auf einem Truppenübungsplatz verursacht. Diese Drohne ist aus zunächst unerfindlichen Gründen von ihrem programmierten Kurs abgekommen, war anschließend nicht mehr über die Fernsteuerung zu kontrollieren und ist in ein Munitionsdepot eingeschlagen. Der Schaden ist immens. Es gab mehrere Tote und Verletzte. Leider ist das nicht der einzige Vorfall dieser Art in der letzten Zeit gewesen.«
»Allerdings muss man sagen, dass die Folgen in keinem anderen Fall so schwerwiegend waren«, stellte Maxime Valois fest. »Ich habe das Datenmaterial dazu bereits durchforstet.«
»Diese Drohnen sind ferngelenkte Flugkörper, die mit Waffen oder Kameras ausgestattet sein können«, erklärte Monsieur Marteau. »Sie werden in Afghanistan und an anderen Orten auf der Welt eingesetzt – und es könnte Kriege auslösen und schwerste diplomatische Verwicklungen nach sich ziehen, wenn sich einer dieser Flugkörper plötzlich selbständig macht und ein anderes als das vorgesehene Ziel angreifen würde.«
»Wie kann so etwas passieren?«, wollte unser Kollege Josephe Kronbourg wissen.
»Wie üblich – ein Programmfehler«, erklärte Arthur Jospin. »Man hat inzwischen penibel nach der Ursache gesucht und sie auch gefunden. Es handelt sich um Schadsoftware, die in die Datenspeicher der Drohnen gelangt und die Steuerung gestört hat.«
»Ich habe immer gedacht, die Rechnersysteme des Militärs sind gut abgeschirmt«, warf François ein.
»Das sind sie auch«, bestätigte Jospin. »Allerdings gibt immer irgendwo undichte Stellen. In diesem Fall war es die Aktualisierung der Kartensoftware für das GPS-System der Drohnen. Genau wie beim Navigationssystem Ihres Wagens muss auch der Kartenspeicher einer Drohne regelmäßig aktualisiert werden, sonst könnte auch das verheerende Folgen haben. Die Aktualisierung der Karten übernahm eine Softwarefirma hier aus Marseille. Sie heißt SUJET SPÈCIAL SARL und hat ihre Büros in Saint Gabriel.«
Monsieur Marteau ergriff nun wieder das Wort.
»Inzwischen haben Spezialisten des Militärgeheimdienstes und des Verteidigungsministeriums dieses Schadprogramm auf den Rechnern von SUJET SPÈCIAL nachgewiesen. Die Frage ist allerdings, wie es dort hingekommen ist. Die Firma besitzt einen exzellenten Ruf, und Sie können sich denken, dass man SUJET SPÈCIAL auf Herz und Nieren untersucht hat, bevor man dieses Unternehmen mit einem derart sensiblen Auftrag betraut hat.«
»Es geht also darum, wer dahintersteckt«, stellte ich fest.
»Die Besitzer und Mitarbeiter von SUJET SPÈCIAL waren sehr kooperativ, und wir sollten deshalb auch weiterhin versuchen, die Mitarbeit dieser Firma zu gewinnen. Es gibt bisher keinen Anhaltspunkt dafür, dass man SUJET SPÈCIAL hätte misstrauen müssen oder dass man dort irgendwelche Sicherheitsvorschriften missachtet hat. Aber da werden noch weitere Ermittlungen nötig sein.«
»Ich leite die Untersuchungen der Rechner der SUJET SPÈCIAL SARL«, erklärte Arthur Jospin. »Daher bin ich über den neuesten Stand unterrichtet.«
»Fest steht also inzwischen, dass die Rechner der SUJET SPÈCIAL SARL die Quelle der Schadsoftware sind«, ergriff Monsieur Marteau wieder das Wort. »Unsere Aufgabe ist es, herauszufinden, wer eigentlich dahinter steckt. Das Problem tangiert die nationale Sicherheit, denn das, was mit diesen Drohnen passiert ist, kann jederzeit auch mit anderen elektronischen Steuersystemen geschehen.«
»Gibt es schon irgendeine Ermittlungsrichtung, die sich aufdrängt?«, fragte ich.
»Sie meinen, abgesehen von den üblichen Verdächtigen wie Terrororganisationen oder ausländische Geheimdienste?«, gab Monsieur Marteau zurück. Er schüttelte den Kopf. »Leider werden wir unsere Ermittlungen breit anlegen und dabei sehr vorsichtig vorgehen müssen. Sonst tauchen die Hintermänner unter, und wir werden erst wieder von ihnen hören, wenn sie das nächste Mal zuschlagen.«
»Möglicherweise ergeben sich noch Hinweise auf Grund unserer Untersuchungen an den Programmen der Firmenrechner und der Analyse der Schadsoftware selbst«, ergriff Arthur Jospin das Wort. »Aber das braucht etwas Zeit. In der Zwischenzeit laufen natürlich auch in den Streitkräften und überall sonst, wo Kartensoftware der Firma SUJET SPÈCIAL eingesetzt wurde, die Untersuchungen auf Hochtouren.«
»Es gibt einen interessanten Zusammenhang zu dem Fall Chapitte«, stellte Monsieur Marteau fest. Er ging zum Schreibtisch und nahm einen mehrseitigen Computerausdruck in die Hand. »Auf der exquisiten Kundenliste von Chapitte taucht der Name Didier Chaveau auf. Er war bis vor Kurzem Programmierer bei SUJET SPÈCIAL.«
»Dann werden wir ihm wohl ein paar Fragen stellen müssen«, sagte ich.
»Tun Sie das, Pierre! Und ansonsten werden wir jeden, der irgendwie in Zusammenhang mit SUJET SPÈCIAL steht, durchleuchten müssen.«
5
François und ich fuhren zu dem kastenförmigen Gebäude in Saint Gabriel, in dem SUJET SPÈCIAL untergebracht war. Das Firmengelände lag auf einer alten Industriebrache und gehörte ganz sicher nicht zu den Spitzenadressen in Marseille. Das fünfstöckige Bürogebäude war ein preiswert und schnell hochgezogener Plattenbau. Die Fassade hatte sichtlich gelitten: Man hatte offenbar die preiswerte Bausubstanz von Gebäuden übernommen, die zu einem in Insolvenz gegangenen Logistik-Unternehmen gehört hatten. Teilweise sah man noch die alten Firmenschilder. SUJET SPÈCIAL war offensichtlich so schnell gewachsen, dass man sich für solche Äußerlichkeiten keine Zeit genommen hatte.
Ich stellte den Wagen auf den Parkplatz. Wir stiegen aus.
Zehn Minuten später trafen wir uns mit den drei Besitzern von SUJET SPÈCIAL in einem Konferenzraum im fünften Stock. André Valmont war ein schweigsamer, dunkelhaariger Mann, schlaksig und Mitte dreißig. Norbert Bouman war ungefähr gleichaltrig, hatte aber außer einem Kranz in Ohrhöhe kaum noch Haare auf dem Kopf und war ziemlich groß. Er überragte mich fast um einen Kopf. Jean-Baptiste Bisson war der älteste Herr in diesem Trio. Er war Mitte vierzig, hatte grau durchwirktes Haar und einen Oberlippenbart.
Bisson schien von allen dreien der Kommunikativste zu sein. Er ergriff gleich das Wort.
»Sie können sich denken, dass hier im Moment alles rotiert, Monsieur Marquanteur. Und die Tatsache, dass unsere wichtigsten Auftraggeber – und dazu gehört natürlich auch das Militär – bis auf Weiteres alle Aufträge storniert haben, trägt natürlich nicht gerade dazu bei, dass wir hier gute Laune haben.«
»Als wir gerade auf Ihren Parkplatz gefahren sind …«, begann ich, aber Jean-Baptiste Bisson unterbrach mich sofort.
»Ich kann mir schon denken, was Sie sagen wollen!«
»So?«
»Sie haben wahrscheinlich mehr erwartet. Aber wissen Sie, dieses Gebäude war schon ein Fortschritt gegenüber der alten Fabrikhalle, in der wir davor waren. Von Norberts Garage, in der alles angefangen hat, mal ganz abgesehen.«
»Wir hatten ein Gebäude in Le Baumettes in Aussicht, das auch deutlich größer ist«, erklärte Bouman. »Wir haben außerdem Büroräume hier in Saint Gabriel angemietet, weil bei uns alles aus den Nähten platzt und wir eigentlich dringend mehr Raum bräuchten. Aber im Moment stehen uns wohl ganz andere Probleme bevor.«
»Das heißt, diese Pläne sind erst einmal auf Eis gelegt?«, fragte ich.
Jean-Baptiste Bisson nickte. »Wir werden Ihre Ermittlungen in jeder Form unterstützen, darauf können Sie sich verlassen. Schließlich hängt das Überleben unserer Firma davon ab. Das Vertrauen muss wieder hergestellt werden, sonst können wir dichtmachen. Da nützt es auch nichts, dass wir die besten sind.«
Ich spürte, dass zwischen den Inhabern von SUJET SPÈCIAL irgendeine Art von tiefer gehender Spannung in der Luft lag. Vielleicht lag es an dem leicht verächtlichen Zug, der sich bei Boumans letzten Worten um die Mundwinkel von André Valmont gebildet hatte. Es war übrigens überhaupt die erste Regung, die ich in seinen Zügen erkennen konnte.
Und Bouman und Bisson wandten sich immer wieder voneinander weg und drehten sich die Schulter auf eine Weise zu, die eigentlich ziemlich eindeutig war. Man musste kein Experte für Körpersprache sein, um zu sehen, was da los war.
Ob die Differenzen zwischen den dreien für unseren Fall relevant waren, musste sich erst noch zeigen. Ich vermutete, dass wir wohl kaum um die Notwendigkeit herum kamen, jeden der drei noch einmal ausführlich und vor allem ohne Beisein der anderen zu befragen.
»Wir brauchen Listen aller Mitarbeiter der letzten drei Jahre«, sagte François. »Und vor allem müssen wir wissen, wer Zugang zu den sicherheitsrelevanten Daten hatte.«
»Wieso in den letzten drei Jahren?«, fragte Bouman. »Die Schadsoftware ist auf unsere Rechner aufgespielt worden, das steht inzwischen fest. Aber es steht auch fest, dass das erst vor Kurzem geschehen sein kann. Maximal im letzten halben Jahr! Das werden Ihnen die Computerexperten bestätigen, die bei uns jedes Kilobyte einzeln unter die Lupe genommen haben.«
»Korrekt«, sagte Valmont plötzlich auf eine Weise, dass man unwillkürlich an den Charme eines Roboters erinnert war.
»Wir müssen trotzdem den Zeitraum etwas großzügiger ansetzen«, beharrte François. »Wir wissen ja nicht, ob nicht jemand von langer Hand in Ihre Firma eingeschleust wurde.«
»Aber vor drei Jahren waren wir noch nicht in der Liga, dass wir für ausländische Geheimdienste, Industriespione oder Terroristen, oder an wenn Sie da sonst noch denken mögen, interessant gewesen wären.«
»Wenn Ihre Kartensoftware so gut ist, wie Sie sagen, dann war es doch nur eine Frage der Zeit, wann auch das Militär auf Sie zukommen würde«, gab François zu bedenken.
»Ich gebe zu, dass gerade die erste Zeit bei uns sehr chaotisch war und wir vielleicht auch nicht immer so sorgfältig mit den Sicherheitsüberprüfungen waren«, gab Jean-Baptiste Bisson zu. »Seitdem wir die Großaufträge vom Militär bekommen, hat sich hier sowieso alles verändert.«
»Und nicht zum Besseren«, sagte Valmont. Seine Stimme klang schneidend.
»Wollen Sie genauer erläutern, was Sie damit gemeint haben?«, fragte ich.
Valmont machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Nicht so wichtig«, meinte er. Er grinste breit. »War nur ein Witz«, behauptete er. »Wir sind hier alle sehr glücklich und arbeiten in einem fantastischen, dynamischen Team mit super Workflow.« Valmont sagte das auf eine Weise, die fast ironisch klang. Er sah mich direkt an, nachdem er die ganze Zeit über meinem Blick mehr oder weniger ausgewichen war. »Ist noch irgendetwas? Ich hätte nämlich auch noch etwas anderes zu tun!«
»Es wäre nett, wenn Sie noch einen Moment Zeit für uns hätten«, sagte ich etwas irritiert. »Es geht um einen ehemaligen Mitarbeiter Ihrer Firma.«
»Um wen?«, fragte Bisson.
»Didier Chaveau.«
»Monsieur Chaveau hat unsere Firma vor geraumer Zeit verlassen.«
»Was war der Grund dafür?«, hakte ich nach.
Bisson suchte den Blickkontakt zu seinen Partnern. Valmont sah fast demonstrativ zur Seite. Norbert Bouman zuckte mit den Schultern und ergriff schließlich das Wort.
»Didier war ein genialer Programmierer«, sagte er. »Und seine Arbeit hat großen Anteil am Aufstieg von SUJET SPÈCIAL. Wir waren schon gut, bevor er dabei war, aber mit ihm hatten wir sozusagen das Tüpfelchen auf dem I, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Aber Sie haben ihn ersetzen können?«
Bouman zuckte erneut die Schultern. »Ging ja nicht anders. Abgesehen davon – ein so überragendes Genie war er jetzt auch nicht. Außerdem hatte er andere Defizite.«
»Welche?«
Bouman verengte die Augen und zögerte mit der Antwort.
»Ich weiß nicht, ob ich darüber sprechen sollte.«
»Meinen Sie Chaveaus Kokain-Konsum?«, mischte sich François ein.
Die drei Teilhaber von SUJET SPÈCIAL wirkten überrascht.
»Sie wissen es also«, stellte Bouman fest.
»Ich sagte doch, wir können offen reden«, fuhr Valmont ziemlich gereizt auf. Er tippte nervös mit den Fingerkuppen auf dem Tisch herum.
»Wir haben Chaveaus Name auf der Kundenliste eines Drogendealers namens Hervé Chapitte gefunden, der vor kurzem verhaftet wurde«, erklärte ich. »Da es sich bei den Kunden dieses Dealers um auffällig viele Personen aus dem sicherheitsrelevanten Bereich handelt, besteht der Anfangsverdacht, dass hier möglicherweise gezielt auf Leute Einfluss genommen werde sollte, die an wichtigen Schaltstellen sitzen.«
»Chaveau hat Kokain genommen«, gab Bouman zu. »Das hat hier auch jeder gewusst, und alle, die was anderes behaupten, die lügen.«
»Da war er auch nicht der Einzige«, warf Valmont ein und erntete dafür einen ziemlich ärgerlichen Blick von Bisson.
Bouman versuchte die Wogen etwas zu glätten.
»Wir sind in einer Branche tätig, wo man täglich Höchstleistungen erbringen muss. Wer nicht topp ist, der ist ganz schnell weg vom Fenster. So schnell wie SUJET SPÈCIAL entstanden ist, so schnell kann der Stern auch wieder sinken.«
»Wir sind auch in einem Job tätig, bei dem wir täglich bis an unsere Grenzen gehen müssen – und manchmal auch darüber hinaus«, warf François ein. »Aber deswegen sind wir noch lange nicht auf Kokain angewiesen.«
Bouman lächelte breit und geschäftsmäßig.
»So sind die Menschen eben verschieden, Monsieur Leroc.«
»Ich nehme an, die Kokain-Sucht war nicht der Grund dafür, dass Chaveau die Firma verlassen hat«, stellte ich fest. Ich hatte nämlich das Gefühl, dass man an diesem Tisch genau über diesen Punkt nicht so gerne reden wollte. Aber deshalb konnte das interessant für uns sein.
»Du kannst es ruhig offen sagen, Norbert«, wandte sich Valmont an Bouman. »Tiefer in der Scheiße als SUJET SPÈCIAL jetzt schon drinsteckt, geht es sowieso nicht mehr.«
»Es ging bei Didier Chaveau um Folgendes«, sagte schließlich Bisson, nachdem Bouman nur herumdruckste. »Er war ein genialer Programmierer, aber er hat sein Talent nicht immer so eingesetzt, wie wir uns das gewünscht hätten.«
Ich hob die Augenbrauen.
»Was meinen Sie genau damit?«
»Chaveau hat seine Position bei uns ausgenutzt, um Kundendaten zu sammeln, die er dann offenbar weiterverkauft hat.«
»Wir hatten keine andere Wahl, als ihn rauszuschmeißen«, ergänzte Bouman.
»Sie haben keine Anzeige erstattet«, stellte ich fest.
»Natürlich nicht«, sagte Bouman. »Wenn das an die Öffentlichkeit gekommen wäre, dann wären wir am Ende gewesen.«
»Und ich nehme an, das Verteidigungsministerium hätte Ihnen dann wohl kaum den Auftrag gegeben, die Kartensoftware von Drohnen zu liefern«, stellte François fest.
Bouman sah ihn mit einem durchdringenden Blick an.
»Nein, das ist wohl wahr«, gab er zu.
6
Wir führten noch eine Reihe Gespräche mit allen Abteilungsleitern von SUJET SPÈCIAL. Als wir zum Parkplatz zurückkehrten, hatte sich dort der Bestand an Pkws deutlich gelichtet. Inzwischen war der Großteil der Mitarbeiter nicht mehr im Büro.
Ich sah zurück. Es war ein diesiger Tag, an dem die Dämmerung früh einsetzte. In der obersten Etage des SUJET SPÈCIAL Building war das Licht an, und man konnte selbst aus der Entfernung Norbert Bouman sehen, wie er mit ausholenden Gesten mit jemandem sprach.
»Scheint, als hätte die Führungsetage der Firma heute Überstunden zu machen«, meinte François.
Ich nickte.
»Ich bin überzeugt davon, dass sie uns mehr verschwiegen als offenbart haben.«
»Dieser Valmont ist interessant, Pierre.«
»Weil er offensichtlich der Außenseiter in diesem Dreigestirn ist?«
François grinste.
»Ja, so könnte man es ausdrücken.«
»Ich wüsste auch zu gerne, was zwischen denen eigentlich los ist«, gestand ich.
7
Wir suchten am Abend noch die letzte Adresse auf, die wir von Didier Chaveau hatten. Er wohnte im westlichen Teil von Saint Gabriel. Das Apartmenthaus war ein für Marseille typisches Haus. Es gab eine Tiefgarage in der Nähe. Dort stellten wir den Wagen ab. Fast fünf Minuten mussten wir zu Fuß gehen, bis wir den Eingang des Apartmenthauses erreichten.
Didier Chaveau wohnte im sechsten Stock.
Das Haus hatte keinerlei besonderen Komfort oder gar gehobene Sicherheitstechnik, wie sie inzwischen in vielen Apartmenthäusern eingesetzt wird. Es gab eine Überwachungskamera im Eingangsbereich mit einem Hinweisschild, das behauptete, die Anlage sei direkt mit einem Security Service verbunden. Vielleicht stimmte das sogar. Aber wenn die in ihrer Einsatzzentrale saßen und mitbekamen, dass hier irgendetwas geschah, was ihr Eingreifen erforderte, kamen sie selbst dann zu spät, wenn sich die Zentrale der Security-Mitarbeiter nur ein paar Straßen weiter befand.
An der Verwaltung und Instandhaltung schien man ebenfalls zu sparen. Von den drei Aufzügen waren zwei defekt, und in der dritten Liftkabine waren die Wände mit Graffiti vollgeschmiert.
»Ein hoch bezahltes Genie wie Chaveau sollte sich eigentlich eine bessere Wohnung leisten können«, meinte François.
»Wer weiß, ob er nach dem Rauswurf bei SUJET SPÈCIAL überhaupt noch einen Job bekommen hat.«
»Aber die Führung von SUJET SPÈCIAL hat doch alles getan, um die Angelegenheit unter der Decke zu halten, Pierre«, gab François zu bedenken.
»Offiziell ja – aber du weißt doch auch, wie so etwas läuft.«
Wir standen vor Chaveaus Tür. Die Klingel war defekt. An Chaveaus Namen fehlten die letzten drei Buchstaben.
François klopfte. Keine Reaktion.
»Was erwartest du? Er hat schon nicht reagiert, als wir unten die Sprechanlage betätigen wollten«, sagte ich.
»Wer weiß, ob die nicht auch defekt ist – wie so vieles andere hier«, erwiderte François. Er klopfte noch einmal, diesmal heftiger. »Monsieur Chaveau, machen Sie auf, hier ist die Polizei!«
Eine Tür auf der anderen Seite des Flurs öffnete sich. Ein Mann mit Halbglatze und grauem Dreitagebart wankte in den Flur. Er trug ein Unterhemd und eine Jeans, aber keine Schuhe. Er lehnte sich gegen den Türrahmen. In der Linken hielt er eine Flasche. Sein Kopf war hochrot.
»Der Typ ist nicht gut drauf«, sagte er, nachdem François ein weiteres Mal geklingelt hatte.
Ich drehte mich zu ihm um.
»Pierre Marquanteur, FoPoCri! Wer sind Sie?«
»Ich heiße Germaine Effort.«
»Was haben Sie gerade mit Ihrer Bemerkung gemeint?«, hakte ich nach.
François hatte mir allerdings schon vorher einen kopfschüttelnden Blick zugeworfen, der nicht mehr, aber auch nicht weniger bedeutete als: Lass es!
Germaine Effort blinzelte mich an, dann verlor er den Halt an der Wand und stand anschließend so schwankend da, dass es nur eine Frage der Zeit schien, wann er einfach zu Boden fallen würde.
»Der Kerl, zu dem Sie wollen, ist auf Drogen«, sagte Effort. »Ist ein übler Typ. Spielt den ganzen Tag diese Ballerspiele.«
»Sie kennen ihn näher?«
Effort zuckte mit den Achseln, nahm einen Schluck aus seiner Flasche und wandte uns den Rücken zu.
»Sie müssen mir ja nicht glauben. Aber wenn er nicht aufmacht, dann hat das immer denselben Grund!«
In diesem Moment öffnete sich die Tür. Ein deutlich übergewichtiger Mann mit schulterlangen Haaren sah uns an.
»Hat Ihnen der Kerl von gegenüber schon ein paar nette Märchen über mich erzählt?«, fragte er.
François hielt ihm seinen Ausweis hin.
»François Leroc, FoPoCri, dies ist mein Kollege Pierre Marquanteur. Sind Sie Didier Chaveau?«
»Steht doch an der Tür! Na ja – größtenteils zumindest!«
»Wir müssen mit Ihnen sprechen, und ich glaube, es ist das Beste, wenn wir das nicht hier im Flur erledigen.«
Chaveau musterte uns skeptisch und unterdrückte dann ein Gähnen.
»Kommen Sie rein!«, sagte er. »Aber beschweren Sie sich nicht darüber, dass ich nicht auf Besuch eingestellt war!«
»Danke.«
Er führte uns in sein Apartment. Das sah aus wie ein Warenlager. Überall standen Kisten herum. »Ja, wundern Sie sich nicht darüber, wie es hier aussieht! Ich verdiene etwas Geld mit ein paar Geschäften im Internet.«
»Und was sind das für Geschäfte?«
»Sehen Sie doch. Das sind Restposten von Marken-T-Shirts oder so etwas. Ich habe auch Computerspiele und Espresso-Tassen im Angebot.«
»Ein sehr individuelles Angebot«, fand François.
»Was wollen Sie von mir? Habe ich falsch geparkt, oder sind Sie hier, um mir zu erzählen, dass ich Teil irgendeiner Verschwörung bin?« Er grinste. »Oder will mir irgend so ein Sack was anhängen?«
»Meinen Sie damit vielleicht Ihren Nachbarn Monsieur Effort?«, fragte ich.
Chaveau machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Dachte ich es mir doch! Dieser Blödmann! Hat sich das Hirn weggesoffen und verbringt seine Tage jetzt damit, andere Leute zu terrorisieren. Der lebt nach der Devise: Mir geht’s schlecht, und deswegen soll es auch niemand anderem gut gehen.«
»Was haben Sie denn mit Monsieur Effort für Schwierigkeiten?«
»Wenn ich nachts mal ein paar Kisten durch den Flur schleppe oder Besuch habe oder die Musik mal etwas lauter ist, ruft der gleich die Polizei und behauptet, ich würde randalieren, oder er hätte Kampfgeräusche und Schreie aus meiner Wohnung gehört. Das letzte Mal wollte mir die Feuerwehr schon die Tür eintreten, weil angeblich Brandgeruch auf dem Flur zu bemerken war.«
Wir hatten inzwischen den Raum betreten, den Chaveau vermutlich als sein Wohnzimmer ansah. Er war genauso vollgestellt wie der Rest der Wohnung. Auf dem niedrigen Glastisch lag eine angebissene Pizza neben einer Dose Energy Drink. Auf der Couch lagen noch eingeschweißte Flachbildschirme eines No-Name-Herstellers.
»Wenn’s länger dauert und Sie sitzen wollen, räume ich was frei«, bot er an.
»Lassen Sie nur, wir sitzen selber viel zu viel«, meinte François.
Mir fielen ein Computer und Laptop auf, die beide in Betrieb waren und auf einem Schreibtisch in der Ecke standen. Die Bildschirmschoner auf beiden Geräten hatten dasselbe, sehr ins Auge fallende Motiv. Ein Mann im dunklen Ledermantel und Maschinenpistole. Das Gesicht war grotesk verzerrt. In einer Sprechblase stand in Großbuchstaben MEIN IST DIE RACHE. Eine Animation sorgte dafür, dass der martialische Kerl die Zähne bleckte und aus seiner Waffe im Abstand von fünf bis sechs Sekunden Mündungsfeuer herausblitzte.
»Es geht um Ihre Zeit als Programmierer bei SUJET SPÈCIAL, Monsieur Chaveau«, sagte François.
»Wollen mir Bouman und Bisson wieder was anhängen? Ich habe die Firma durch meine Arbeit eine entscheidenden Schritt nach vorn gebracht, aber seit ich nicht mehr da bin, machen die mich für alles, was da nicht richtig läuft, verantwortlich. Nur weil diese Idioten ihren Laden nicht in den Griff bekommen, brauchen sie nicht dauernd einen ihrer Lakaien vorzuschicken, um bei mir nachzufragen, wie man dieses oder jenes richtig machen muss.«
Ich runzelte die Stirn.
»Die Firma hat nach Ihrer Entlassung noch Kontakt zu Ihnen aufgenommen?«, hakte ich nach.
»Nervensägen waren das. Ich habe die SUJET SPÈCIAL-Nummern inzwischen in meinem Handy blockiert.«
François und ich sahen uns überrascht an. Irgendetwas passte hier nicht zusammen.
»Die Geschäftsführung von SUJET SPÈCIAL hat uns das etwas anders dargestellt«, sagte ich.
»Ach, ja?«, gab Chaveau mit ätzendem Unterton zurück. »Warum wundert mich das nicht? Ist doch typisch für diese Kleingeister.«
»Sie hätten Kundendaten verkauft, und man hat nur deswegen auf eine Anzeige verzichtet, um das Image der Firma nicht zu beschädigen.«
»Ja, so sind die!«, nickte Chaveau. »Nur ja eine glatte Fassade, und was dahinter ist, interessiert niemanden. So sieht es auch in deren Programmdatenbanken aus. Sie kennen sich mit so etwas wahrscheinlich nicht gut genug aus, um das nachvollziehen zu können, aber die tun immer so, als wäre alles, was die machen, so supersicher und das Beste überhaupt. In Wahrheit können die froh sein, dass ich ihre Systeme von ein paar groben Mängeln befreit habe.«
»Und die Sache mit den Kundendaten?«
»Die wollten sich die Abfindung sparen. Das Ganze hatte persönliche Gründe. Leute wie Bouman und Bisson sind Alpha-Tiere, die vertragen es nicht, wenn in ihrer Nähe noch andere Sterne glänzen. Und abgesehen davon gab es Differenzen, weil SUJET SPÈCIAL meiner Ansicht nach die Sicherheit der Systeme vernachlässigt hat.«
»Und Sie haben sich das gefallen lassen?«, fragte ich. »Ich meine, das mit der Abfindung.«
Er grinste.
»Wer sagt denn, dass ich nichts gekriegt habe?«, fragte er. »Wir haben uns geeinigt, und damit war der Fall für mich abgeschlossen.«
»Ich hatte den Eindruck, dass dort niemand mehr mit Ihnen etwas zu tun haben wollte, und Sie sagen uns jetzt, die hätten bei Ihnen andauernd angerufen.«
Chaveau atmete tief durch.
»Offiziell stimmt das so, wie man es Ihnen gesagt hat. Aber wenn es dann Probleme gab, haben die Mathieu Beaulieu vorgeschickt. Der ist mein Nachfolger bei SUJET SPÈCIAL gewesen. Aber sagen Sie, warum fragen Sie das alles?«
»Schadsoftware, die bei der Aktualisierung der Navigationssysteme von Drohnen aufgespielt wurde, hat dafür gesorgt, dass einige dieser künstlichen Flugkörper außer Kontrolle gerieten«, stellte ich fest.
Chaveau schien nicht überrascht.
»Ich habe davon gelesen. Stand auf der Homepage des Marseiller Abendblattes. Böse Sache für SUJET SPÈCIAL.«
»Allerdings«, nickte ich.
»Und da kommen Sie zu mir?«
»Sie stehen auf einer uns zugespielten Kundenliste von Hervé Chapitte«, fuhr ich fort. »Er war Ihr Kokain-Dealer.«
»Ja, verdammt, wollen Sie hier jetzt eine Drogen-Razzia veranstalten? Wer will mich denn hier fertigmachen? Der blöde Typ von gegenüber oder SUJET SPÈCIAL?« Er lief dunkelrot an. »Okay, ich habe Kokain genommen, als ich bei SUJET SPÈCIAL war. Heute könnte ich mir das auch gar nicht mehr leisten. Und denken Sie ja nicht, ich wäre der einzige dort gewesen, der das gebraucht hätte, um bei gewissen Großaufträgen für ein paar Monate mit drei Stunden Schlaf täglich auszukommen! Sehen Sie sich doch mal Boumans Nase genauer an! Der hat keinen Schnupfen, die ist immer so gereizt und wird auch nie wieder gesund werden, weil er sich mit dem Stoff die Nasenschleimhäute ruiniert hat. Aber mich scheißen die jetzt an – oder was soll ich davon halten?« Er machte eine ausholende Handbewegung. »Sehen Sie sich gerne um, stellen Sie alles auf den Kopf und zerstören Sie die sensible Ordnung, die hier herrscht! Sie werden nicht ein Gramm Schnee finden. Nicht ein Gramm! Und wenn Sie es ganz genau wissen wollen. Ich habe eine Entgiftung gemacht und bin von dem Zeug los. Mir war nämlich irgendwann klar, dass ich als Junkie enden würde, wenn ich keinen anderen Kurs einschlage.« Er ging zu seinem Schreibtisch, riss eine Schublade auf, wühlte in einem Stapel von Papieren herum, von denen die meisten wie Rechnungsbelege aussahen. Er schien seine ganz persönliche Form der Buchführung gefunden zu haben. Dann kam er mit ein paar zerknickten Blättern auf mich zu und hielt sie mir hin.
»Hier!«, sagte er.
»Was ist das?«
»Meine Untersuchungsergebnisse. Blut, Urin und so weiter. Ich nehme an einem Drogenentzugsprogramm teil und werde regelmäßig überprüft, damit es keine Ausflüchte und keinen Selbstbetrug gibt.«
Ich nahm die Blätter, glättete sie etwas. Die Adresse einer Marseiller Suchtklinik stand oben rechts.
»Monsieur Chaveau, es geht uns nicht darum, Ihnen etwas anzuhängen und Ihren Weg in ein neues Leben zu behindern. Aber auf der Kundenliste von diesem Chapitte stehen weitere Personen aus sicherheitsrelevanten Bereichen. Wir nehmen an, dass Chapitte mit Leuten zusammengearbeitet hat, die gezielt Druck auf solche Personen ausüben sollten.«
»Sie denken, ich wäre vielleicht von irgendeinem Geheimdienst dazu erpresst worden, Schadsoftware auf die Rechner von SUJET SPÈCIAL aufzuspielen, damit diese Software dann irgendwann in den Drohnen der Armee landet?«
»So ähnlich«, bestätigte ich.
Er schüttelte entschieden den Kopf.
»In meiner Zeit hatten wir diesen Big Deal mit der Armee noch nicht. Und auf mich ist nie Druck ausgeübt worden – abgesehen von dem Druck, den ich mir selbst gemacht habe.«
»Eine Frage hätte ich noch«, mischte sich François wieder ein. »Wieso haben Sie bisher keinen Job mehr in Ihrer Branche gefunden? Sie waren doch ein Spitzenmann. Das gibt man sogar bei SUJET SPÈCIAL zu.«
»Ich wäre vor die Hunde gegangen«, sagte Chaveau. »Ich musste etwas ändern, nicht nur, was das Kokain betrifft. Das war doch nur ein Symptom.«
8
»Glaubst du ihm die Geschichte?«, fragte François, als wir Chaveaus Wohnung verlassen hatten und auf dem Weg zurück zu unserem Wagen waren. »Dass Chaveau nur deshalb keinen Job mehr in seiner Branche angenommen hat, weil er sein Leben ändern wollte, erscheint mir doch reichlich hergeholt.«
»Ich würde eher sagen, er hat nichts mehr gekriegt«, meinte ich. »Wenn jemand Kundendaten verkauft, verbreitet sich das doch. Ein paar Telefongespräche hier, ein paar Andeutungen dort. Selbst wenn der Verdacht nie gerichtlich überprüft wurde, bleibt da doch so viel hängen, dass sich jede Firma zweimal überlegen wird, ob sie so jemanden einstellt.«
»Warum erzählt er uns dann so etwas?«
»Verletzter Stolz. Vielleicht ist es einfach leichter zu sagen, ich fange ein neues Leben an, als zuzugeben, dass man das nur deswegen tut, weil man in dem Bereich, in dem man sich vorher getummelt hat, auf Jahre hinaus ohne Chance sein wird.«
»Möglich«, gab François zu.
»Wir können uns in der Klinik erkundigen, ob die Sache mit seiner Entgiftung stimmt«, schlug ich vor. »Und vielleicht macht Hervé Chapitte ja auch eine Aussage darüber, wann er Chaveau zuletzt beliefert hat.«
Wir gingen an einer Snack-Bar vorbei. Ich blieb stehen, François sah mich kurz, und wir waren uns einig. Unsere Mägen knurrten schon seit geraumer Zeit laut genug. Eigentlich hatten wir ohnehin längst Feierabend. Also genehmigten wir uns einen Hot Dog und Kaffee. Der Kaffee war ziemlich dünn und wirklich kein Vergleich mit Melanies Gebräu.
»Chaveau hat zwar einen Riesenhass auf seine alten Arbeitgeber, aber ich glaube nicht, dass er irgendetwas mit dieser Schadsoftware zu tun hat«, sagte François kauend.
»Es ist noch zu früh, irgendeine Ermittlungsrichtung auszuschließen«, meinte ich.
»Trotzdem. Irgendetwas ist in dieser Firma faul, und ich glaube, dass Chaveau uns noch lange nicht alles gesagt hat, was für uns interessant sein könnte.«
François trank seinen Kaffee leer.
»Vielleicht haben Arthur Jospin und seine Kollegen ja inzwischen etwas mehr herausgefunden.«
»Ist dir eigentlich aufgefallen, dass er überhaupt nicht über Valmont gesprochen hat?«, fragte ich.
»Darauf habe ich nicht so geachtet«, ab François zu.
»Er hat über Bouman und Bisson geschimpft wie ein Rohrspatz – aber nicht über Valmont.«
Wir fuhren nach dem Essen mit dem Wagen zurück nach Marseille-Mitte. Wir stellten fest, dass die Klinik, die Chaveau angegeben hatte, auf unserem Weg lag. François rief dort während der Fahrt an.
»Wir haben Glück«, sagte er wenig später. »Eine Ärztin, bei der Chaveau in Behandlung ist, wird mit uns sprechen.«
Wenig später erreichten wir die Klinik. Es handelte sich um die Sylvain-Klinik. Dort gab es eine große Abteilung, die auf Suchtkranke spezialisiert war.
Dr. Josephine Patés war eine schlanke, dunkelhaarige Enddreißigerin mit ernstem Gesicht und markanter Brille.
»Pierre Marquanteur, FoPoCri«, stellte ich mich vor. »Mein Kollege Leroc hat gerade mit jemandem aus der Klinik telefoniert.«
»Ja, und das klang für die Ohren meiner Mitarbeiterin ziemlich dramatisch. Aber wenn es um die Sicherheit Frankreichs geht, dann will man dem nicht im Wege stehen – ich muss Sie allerdings darauf hinweisen, dass die ärztliche Schweigepflicht auch in …«
»Wie kommen Sie jetzt auf die Sicherheit Frankreichs?«, fragte ich überrascht. Ich hatte das kurze Gespräch schließlich mitgehört, das François geführt hatte.
Dr. Patés lächelte auf eine Art, die etwas gezwungen wirkte, und strich sich eine Strähne aus ihrem Gesicht.
»Entschuldigen Sie, das hatte ich Ihnen ja noch nicht gesagt.«
»Was bitte?«
»Es geht doch um den Patienten Didier Chaveau, der früher bei einer Firma gearbeitet hat, die mit diesen fehlgeleiteten Drohnen zu tun hatte, über die jetzt in den Nachrichten immer mal wieder berichtet wurde.«
»Ja«, nickte ich.
Josephine Patés wandte sich François zu.
»Kurz bevor Sie hier angerufen haben, hat sich Monsieur Chaveau gemeldet und die Klinik mündlich ermächtigt, über seine Therapie Auskunft zu geben.«
»Sie haben selbst mit ihm gesprochen?«, wunderte ich mich.
»Ja, ich habe ihm zu erklären versucht, dass wir dazu eine schriftliche Erklärung brauchen – aber das hatte ihm auch schon meine Mitarbeiterin erklärt, die er dafür dann ziemlich übel beschimpft hat. Wissen Sie, psychische Veränderungen sind oft Spätfolgen einer Drogenabhängigkeit.«
»Wir wollen nur Folgendes wissen: Wann hat Monsieur Chaveau seine Therapie begonnen, war sie erfolgreich, und gibt es irgendwelche Hinweise darauf, dass er rückfällig wurde?«
»Die Antwort auf die erste Frage werde ich in den Unterlagen noch genau nachsehen, aber ich würde sagen, circa vor einem halben Jahr. Und was die Beantwortung Ihrer anderen Fragen betrifft: Er ist ein Musterpatient und keine der Kontrolluntersuchungen hat irgendein Anzeichen dafür ergeben, dass er rückfällig geworden ist.«
»Danke«, sagte ich.
»Mehr kann ich Ihnen allerdings nicht sagen, das würde …«
»… gegen Ihre Vorschriften verstoßen«, vollendete François ihren Satz. »Aber das ist auch nicht nötig, wir wollten das nur bestätigt haben.«
»Ehrlich gesagt, hoffe ich, dass Monsieur Chaveau nicht irgendwie in Schwierigkeiten kommt«, bekannte Dr. Patés.
Ich horchte auf.
»Das klingt fast so, als hätten Sie eine persönliche Beziehung.«
»Ich engagiere mich im Missionswerk Christen gegen Drogen der Martin-Lafitte-Stiftung. Dort arbeite ich ehrenamtlich in meiner Freizeit. Vor einem halben Jahr tauchte Chaveau in einem der Gesprächskreise auf, die ich dort leite. Damals war er ziemlich verzweifelt – körperlich am Ende, drogensüchtig, von seiner Firma gefeuert. Ich habe ihm geraten, sich in der Drogenabteilung dieser Klinik zu melden.«
9
André Valmont stellte seinen blauen Mercedes am Straßenrand ab und stieg aus. Der Parkplatz lag nicht weit entfernt vom Fischmarkt. Man war nah genug, um die Lichter von Marseille zu sehen. Zumindest, wenn kein Nebel aufzog. Valmont schlug die Kapuze seines Parkas über den Kopf und vergrub die Hände in den Taschen. Ihm war kalt. Die Nässe, die vom Meer herüberzog, ging einem durch und durch.
Ich muss verrückt gewesen sein, so spät noch hierherzukommen!, ging es ihm durch den Kopf. Er sah auf die Uhr.
Sein Handy klingelte. Er nahm das Gerät aus der Jackentasche.
Francine ruft an, stand im Display.
Jetzt nicht, dachte er und drückte sie weg.
Ein Wagen kam jetzt von der Schnellstraße herunter und fuhr heran. Die Lichter waren aufgeblendet. Valmont versuchte vergeblich, sich gegen den grellen Schein zu schützen und außerdem noch zu erkennen, was für ein Wagen das war und wer drin saß.
Eine Tür ging auf.
Eine Gestalt – nicht mehr als ein Schatten – kam auf ihn zu.
»Monsieur Valmont?«
»Ich kann Sie nicht sehen.«
»Ich Sie dafür umso besser.«
»Wer sind Sie?«
Das Geräusch, das nun folgte, erinnerte an einen Schlag mit einer Zeitung oder kräftiges Niesen. Mündungsfeuer blitzte am Ende eines Schalldämpfers auf. Die erste Kugel traf Valmont in der Herzgegend, ließ ihn zwei Meter zurücktaumeln und ziemlich ungläubig dreinblicken. Der zweite Treffer erwischte ihn im Bauch. Ein Ruck ging durch seinen Körper. Valmont krümmte sich. Blut quoll durch die Hände, die er sich gegen den Leib presste. Der letzte Schuss ging genau zwischen seine Augen. Er fiel der Länge nach hin und blieb rücklings liegen. Seine Augen starrten in den diesigen Himmel.
Die Gestalt kam näher.
Ein Schatten, der sich gegen das helle Licht der Scheinwerfer abhob, kniete kurz nieder. Behandschuhte Finger glitten über das starr gewordene Gesicht des Toten und schlossen ihm die Augen.
»Zeit, schlafen zu gehen«, sagte eine Stimme, die so kalt schneidend war wie die feuchte Luft in dieser Nacht.
10
Ich holte François am Morgen an der bekannten Ecke ab.
Wir waren kaum die Hälfte der Strecke bis zum Polizeipräsidium gefahren, da meldete sich bereits Monsieur Marteau per Telefon. François hörte die Stimme unseres Chefs über die Freisprechanlage.
»Guten Morgen. Unser Fall hat eine dramatische Wende bekommen. In der Nähe des Markts in Pointe-Rouge wurde André Valmont tot auf einem Parkplatz gefunden. Er hatte mehrere Kugeln im Körper. Die Einsatzkräfte der örtlichen Polizei sind vor Ort.«
»Dann fahren wir dort am besten als Nächstes hin«, schlug ich vor.
»Tun Sie das bitte«, bestätigte Monsieur Marteau. »Warten Sie, ich gebe Ihnen noch die genaue Lage des Parkplatzes durch.«
Als wir den Parkplatz erreichten, befanden sich dort bereits einige Dienstfahrzeuge der Polizei und des Gerichtsmediziners.
Es war ein diesiger kalter Tag. Nebel hatte sich am Ufer gebildet und verhinderte sogar, dass man das Wasser oder die Schiffe nur undeutlich sehen konnte. Normalerweise hätte man von dieser Position aus freie Sicht auf Marseille-Zentrum gehabt, aber von der Silhouette der Stadt waren jetzt nur ein paar graue Schatten zu sehen.
»Marquanteur, FoPoCri«, sagte ich und hielt einem uniformierten Kollegen der Polizei meinen Ausweis hin. »Dies ist mein Kollege François Leroc.«
»Commissaire Bonnet leitet den Einsatz hier. Er wartet schon auf Sie.« Der Beamte streckte die Hand aus. »Das ist der Mann mit dem grünen Schlips!«
»Danke.«
Wir gingen an ihm vorbei.
Commissaire Bonnet stand links von dem Toten, über den sich gerade jemand anderes gebeugt hatte – vermutlich der Gerichtsmediziner.
Wir stellten uns Bonnet kurz vor. Seine grüne Krawatte hing ihm wie ein Strick um den Hals. Er war Mitte vierzig, hatte grau durchwirktes Haar und trug einen buschigen Schnauzbart, der die Lippen fast vollständig verbarg. Er begrüßte uns erst, wurde dann durch ein Telefongespräch abgelenkt, bei dem er ziemlich angestrengt wirkte. Als er sein Handy wieder in die Tasche seines Mantels gesteckt hatte, meinte er: »Sie wurden mir gerade angekündigt!«
»Wissen Sie schon irgendetwas?«, fragte ich.
»Der Mann heißt André Valmont und wurde irgendwann in der Nacht von mehreren Kugeln getroffen. Das Opfer wurde nicht beraubt. In seinem Portemonnaie waren 500 Euro, aber für die schien sich der Täter genauso wenig zu interessieren, wie für die Rolex am Handgelenk.«
Der Gerichtsmediziner erhob sich jetzt. Er war ein kleiner, rundlicher Mann. Commissaire Bonnet stellte ihn uns als Dr. Georges Danglard vor.
Danglard nickte uns knapp zu und wandte sich dann an Bonnet.
»Hat irgendeiner Ihrer Leute dem Kerl eigentlich die Augen geschlossen?«
»Nicht, dass ich wüsste!«, sagte Bonnet. »Ist das so wichtig?«
»Das ist sehr wichtig«, sagte Danglard. »Dem Toten waren die Augen geschlossen worden.«
»Halten Sie es nicht für möglich, dass das Opfer sie selbst geschlossen hat?«
»Haben Sie schon einmal einen Horrorfilm gesehen, Monsieur Bonnet?«
»Für so etwas habe ich keine Zeit«, sagte Bonnet.
»Angesicht des ultimativen Schreckens reißt man die Augen auf und schließt sie nicht«, erklärte Danglard. »Der Mensch hat immer noch das genetische Programm eines Fluchttiers, das schaut, wohin es vor dem Raubtier wegrennen kann – und das läuft ziemlich automatisch ab. Die Augen zu schließen, wäre eine Willensanstrengung, zu der das Opfer nicht mehr in der Lage gewesen sein kann. Dass der Mann dem Täter relativ nahe gegenüberstand, legen doch schon die Fußabdrücke und Schmauchspuren nahe, wie Sie selbst mir gesagt haben.«
»Was für Fußabdrücke?«, fragte ich.
Bonnet deutete ungefähr fünf Meter weiter. Ich sah allerdings nur den Rücken einer Mitarbeiterin des Erkennungsdienstes der Polizei. Zumindest stand das auf ihrem weißen Overall.
»Dort hat er gestanden?«, fragte François.
Der Parkplatz war unbefestigt. Nur die Einfahrt war asphaltiert, die eigentlichen Parkflächen nicht. Es gab hier nur rote Asche, wie auf einem Tennisplatz. Man hatte einen Parkplatz geplant, ihn halb fertigstellen lassen und dann nicht mehr die Mittel gehabt, ihn auch zu beenden. Das war typisch, aber dieser Umstand kam uns natürlich zugute.
Frische Fußabdrücke hielten sich darin ganz gut. Zumindest bei feuchter Witterung, und die hatten wir ja. Wenn man allerdings eine Weile auf so einem Untergrund zu tun hat, sind die Schuhe ruiniert.
»Der Täter hatte zwei verschieden große Füße«, erklärte Commissaire Bonnet. »Rechts Größe zweiundvierzig, links mindestens vierundvierzig, vielleicht auch fünfundvierzig.«
»Kein Mensch ist völlig symmetrisch gewachsen«, mischte sich Dr. Danglard ein. »Eine Schuhgröße Unterschied zwischen rechtem und linkem Fuß ist keine Seltenheit. Es gibt Menschen, die sich grundsätzlich Schuhe verschiedener Größen anziehen.«
»Aber eine derart große Differenz müsste die Identifizierung des Täters erheblich erleichtern«, glaubte Commissaire Bonnet.
»Aber nochmal zu den Augen«, sagte François. »Ich schlage vor, auf den Augenlidern nach Fingerabdrücken zu suchen und außerdem noch mal alle am Einsatz beteiligten Beamten zu befragen, ob vielleicht nicht doch jemand von denen die Augen geschlossen hat.«
Danglard nickte.
»Unbedingt!«, gab er François recht.
Commissaire Bonnet seufzte. Er war nicht so begeistert von diesem zusätzlichen Aufwand und schien ihn auch für überflüssig zu halten. Aber er verkniff sich eine Bemerkung dazu.
»Ganz wie Sie wollen«, meinte er.
»Wer hat den Toten überhaupt entdeckt?«, fragte ich.
»Ein Ehepaar, das auf dem Rückweg aus dem Urlaub in Frankreich war und Tag und Nacht durchgefahren ist.« Er deutete mit der Hand auf einen Ford in grau-metallic ganz am Ende des Parkplatzes.
»Wir sollten die auch befragen«, schlug ich vor.
»Ja, fragt sich nur, ob Sie viel aus denen herausbekommen«, meinte Bonnet. »Die beiden stehen unter Schock. Ich habe einen Arzt gerufen. Weiß der Himmel, warum der noch nicht hier ist!«
»Das heißt, es hat sich noch keiner um die beiden gekümmert?«, vergewisserte ich mich.
»Ich habe auch nur zwei Hände und ein Telefon«, verteidigte sich Commissaire Bonnet.
»Wenn die Leiche fortgeschafft ist und Ihr Arzt dann noch nicht hier ist, sehe ich nach den beiden«, versprach Dr. Danglard. »Auch wenn ich weder Spezialist für Schockzustände oder psychische Probleme bin und seit meiner Zeit im Krankenhaus nur noch an Toten herumgeschnitten habe!«
11
Wir gingen zu dem metallicfarbenen Ford.
Der Mann saß hinter dem Steuer, seine Frau auf dem Beifahrersitz. Ich schätzte die beiden auf Anfang dreißig. Sie sahen beide fix und fertig aus. Dicke Augenringe unterstrichen das. Und das Erlebnis, einen Toten gefunden zu haben, hatte ihre Gesichter tief gezeichnet. Man brauchte kein Arzt zu sein, um sehen zu können, wie tief dieser Schock sitzen musste.
Und doch konnten wir sie jetzt nicht einfach in Frieden lassen. Möglicherweise hatten sie irgendeine Beobachtung gemacht, die für unsere Ermittlungen am Ende von zentraler Bedeutung war. In den Jahren, die ich nun schon bei der FoPoCri bin, habe ich das oft genug erlebt.
Ich hielt meinen Ausweis empor. Der Mann wurde auf mich aufmerksam. Die Frau sah weiterhin starr vor sich hin. Die Tür des Ford öffnete sich. Der Mann stieg aus.
»Marquanteur, FoPoCri. Die ist mein Kollege François Leroc«, stellte ich uns vor. »Es tut mir leid, wenn wir Sie jetzt noch mal ansprechen müssen, wo Sie vermutlich schon den Kollegen der Polizei Rede und Antwort stehen mussten.«
»Das ist schon in Ordnung«, sagte der Mann und fuhr sich mit der flachen Hand über das Gesicht, so als hoffte er darauf, dass ihn das etwas wacher machen würde. »Mein Name ist Pascal Malpasse, und im Wagen sitzt meine Frau Gabrielle. Wir waren auf der Rückreise vom Urlaub und wollen eigentlich nur ein oder zwei Stunden hier Pause machen.«
»Wohin müssen Sie denn?«
»Wir kommen aus Toulon.«
»Da haben Sie ja noch ein ganz schönes Stück vor sich.«
»Sie sagen es. Aber im Moment zittern mir so die Knie, dass ich nicht einmal das Gaspedal treten könnte. Glauben Sie’s mir!« Er atmete tief durch und verschränkte die Arme vor der Brust. »Aber für Sie ist so was ja wahrscheinlich Routine – ich meine der Anblick von jemanden, der von Kugeln zerfetzt wurde.«
»Nein, so etwas wird nie Routine«, versicherte ich ihm.
»Warum sind Sie eigentlich nicht geflogen?«, fragte François.
»Flugangst«, sagte Pascal Malpasse. »Also ich nicht, aber meine Frau. Wenn sie ein Flugzeug besteigt, kriegt sie Schweißausbrüche und Angstzustände.« Und in etwas gedämpfterem Tonfall fügte er hinzu. »Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie jetzt nicht mit ihr sprechen würden. Sie ist vollkommen neben der Spur.«
»Wann sind Sie hierhergekommen?«
»Ich habe nicht auf die Uhr geschaut, aber es war gerade richtig hell geworden. Meine Frau hatte die letzte Tour übernommen. Wir haben uns alle zweihundert Kilometer am Steuer abgewechselt. Aber es war klar, dass wir jetzt dringend eine Pause brauchten. Wir sind hier auf den Parkplatz abgebogen und haben ziemlich schnell gesehen, was los ist. Danach habe ich mit dem Handy die Polizei verständigt. Wann genau, müssten Ihre Kollegen registriert haben.«
»Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen? Oder irgendjemand?«, hakte ich nach. »Ganz gleich, wer oder was es auch sein könnte, uns kann am Ende vielleicht jede Kleinigkeit bei der Aufklärung des Falles helfen.«
Malpasses Blick wurde nachdenklich und nach innen gekehrt. Dann schüttelte er den Kopf. »Nein.«
»Und haben Sie irgendetwas verändert oder …«
»… dem armen Kerl die Augen geschlossen?«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Weil mir das seltsam vorkam, als ich ihn da so liegen sah. Er sah fast friedlich aus. In den Krimis im Fernsehen haben die immer die Augen weit aufgerissen. Ich dachte dann: Ist eben doch anscheinend in der Wirklichkeit etwas anders als in der Glotze. Aber …«
»Ja?«
»Eigenartig war es schon.«
»Das heißt, Sie beide haben ihm definitiv nicht die Augen geschlossen!«
»Nein.«
12
Inzwischen traf der Arzt ein, von dem Commissaire Bonnet gesprochen hatte. Er war ein groß gewachsener Mann mit Halbglatze und sehr spitzer Nase. Er trug Krawatte zu einer braunen Lederjacke, wobei die Krawatte sehr hastig und irgendwie nicht ganz richtig gebunden zu sein schien. Beiläufig hörte ich ihn gegenüber Commissaire Bonnet von einem Unfall mit entsprechendem Stau auf einer der Hauptverkehrsachsen durch Marseille reden. Das musste wohl der Grund für seine Verspätung sein.
Ich nahm mir vor, auf dem Rückweg nach Marseille daran zu denken und den Bereich zu umfahren, damit wir nicht auch in diese Blechfalle gerieten.
Wir überließen die Malpasses der Fürsorge des Arztes.
Inzwischen gab es neue Erkenntnisse.
»Also, es hat definitiv keiner meiner Leute dem Toten die Augen geschlossen«, berichtete Commissaire Bonnet. »Und wenn die beiden es nicht getan haben, die auf die Leiche gestoßen sind, dann muss es der Täter gewesen sein.«
»Es ist ganz sicher der Täter gewesen«, war jetzt eine weibliche Stimme zu hören. Sie gehörte der Erkennungsdienstlerin des örtlichen Polizeireviers, die mir zuvor schon aufgefallen war. Sie hatte offenbar unsere Unterhaltung mit Commissaire Bonnet gehört.
Ich wandte mich ihr zu. Sie hatte kinnlanges rotes Haar und Sommersprossen.
»Wie kommen Sie darauf?«, fragte ich.
»Ich habe auf den Augenlidern nach Fingerabdrücken gesucht. Die gerade dort zu finden, wäre schon ein extremer Glücksfall gewesen.«
»Sie haben nichts gefunden?«
»Nein. Aber stattdessen etwas anderes. Schmauchspuren. Ganz eindeutig. Und dafür gibt es eigentlich nur eine mögliche Erklärung.«
»Der Täter trug Handschuhe, hat zuerst geschossen und anschließend mit dieser Hand die Augen geschlossen«, reimte ich mir zusammen, worauf das alles hinauslief.
Sie nickte. »Exakt!«
»Könnte es sein, dass er das schon von Anfang an vorgehabt hatte?«, fragte François.
»Dem Opfer die Augen schließen?«, fragte Bonnet.
»Sicher!«, sagte François.
»Wir sollten auf jeden Fall mal sehen, ob wir über SIS jemanden ermitteln können, für den ein derartiges Vorgehen typisch ist«, schlug ich vor.
13
Auf der Rückfahrt nach Marseille-Mitte aktivierte François den TFT-Bildschirm in unserem Wagen und ließ den Bordrechner hochfahren.
Über das zentrale, landesweit allen Polizeibehörden zur Verfügung stehende Datenverbundsystem SIS fand er heraus, dass es tatsächlich einen professionellen Killer gab, zu dessen Besonderheiten es gehörte, seinen Opfern die Augen zu schließen. Es schien eine Art persönlicher Handschrift zu sein, mit der er sich wohl einen besonderen Nimbus hatte verschaffen wollen. Aber vielleicht hatte er auch banalere Beweggründe dafür. Menschen, die dem Tod beruflich besonders nahe sind, neigen entweder zum Zynismus oder zu besonderer Religiosität. Das galt für Ärzte und Bestatter genauso wie für Soldaten und Lohnkiller. Vielleicht war dieser Täter jemand, der tief in seinem Inneren doch Skrupel hatte und sie mit irgendeinem Ritual betäuben musste. Er wäre nicht der erste gewesen …
»Wir wissen noch nicht einmal sicher, ob es wirklich ein Profi war«, meinte François. »Und die Tatsache, dass dieses eine Tatmerkmal übereinstimmt, muss nicht ausschließen, dass André Valmonts Ermordung das Resultat irgendeiner persönlichen Tragödie ist.«
»Nein, ausschließen muss es das nicht«, gab ich zu.
»Ich schlage vor, wir warten den Bericht der Ballistiker ab. Vielleicht wurde dieselbe Waffe ja schon mal benutzt.«
»Patronen wurden jedenfalls am Tatort nicht gefunden«, stellte ich fest. Und auch das sprach für einen Profi. »Was ist mit den unterschiedlich großen Füßen? Wenn du dieses Merkmal zusätzlich eingibst, kriegst du vielleicht irgendein Ergebnis, mit dem sich etwas anfangen lässt.«
François versuchte es.
»Nichts«, sagte er schließlich. »Es gibt massenweise Täter mit unterschiedlich großen Füßen, aber keinen, der im Verdacht steht, seinen Opfern die Augen zu schließen.«
»Mit welchen Morden wird der Augenschließer denn in Verbindung gebracht?«, fragte ich.
»Morde im Drogenmilieu im gesamten Süden Frankreichs. Nie aufgeklärte Taten, alle unter der Rubrik Konkurrenzkampf unter Verbrechern. In der Wahl seiner Waffen scheint er allerdings variabel zu sein. Ich rufe mal Maxime an.«
Er stellte über die Freisprechanlage unseres Wagens eine Verbindung zu unserem Innendienst-Kollegen Maxime Valois her, damit der diese Sache etwas weiterverfolgen konnte. Vielleicht ergaben sich da ja noch irgendwelche anderen Bezüge, die uns weiterbrachten und bei einer SIS-Schnellrecherche nicht sofort offenbar wurden.
14
Unser Weg führte uns als Nächstes nach Les Lucs. André Valmont hatte sich dort vor Kurzem eine Eigentumswohnung in einem Gebäude gekauft. Der wachsende Erfolg von SUJET SPÈCIAL hatte das wohl möglich gemacht.
Als wir vor seiner Wohnungstür standen, machte uns eine junge Frau mit langen blonden Haaren auf. Sie trug Jeans und einen Kurzmantel. Es war offensichtlich, dass sie die Tür nicht unseretwegen geöffnet hatte, da wir uns noch gar nicht bemerkbar gemacht hatten, sondern gerade gehen wollte.
»Was machen Sie vor meiner Tür?«, fragte die junge Frau irritiert – vor allem, nachdem sie bemerkt hatte, dass François den Wohnungsschlüssel in der Hand hielt, der auf dem Parkplatz bei Valmonts Sachen gewesen war.
»Sie wollten einfach in die Wohnung?«
»Nein …«, begann François, kam aber nicht zu Wort.
»Woher haben Sie Andrés Schlüssel? Den Anhänger erkenne ich wieder!« Sie machte eine ruckartige Bewegung und griff dabei in ihre Handtasche.
»Pierre Marquanteur, FoPoCri«, stellte ich mich vor und hielt ihr meinen Ausweis hin. »Dies ist mein Kollege Leroc. Und was immer Sie da auch in ihrer Handtasche verbergen, sollten Sie da stecken lassen!«
Sie erstarrte mitten in der Bewegung und ließ sich widerstandslos die Handtasche abnehmen. In der Tasche steckte ein Elektroschocker.
»Was ist passiert?«, fragte sie schließlich, nachdem ein weiterer Blick auf François’ Ausweis sie davon überzeugt hatte, dass wir tatsächlich Commissaires waren – und keine Gangster.
»Darf ich zunächst erfahren, wer Sie sind?«, fragte ich.
»Ich heiße Mireille Asponge und wohne hier.«
»Zusammen mit Monsieur André Valmont?«
»Wir sind vor drei Wochen hier zusammen eingezogen.«
»Lassen Sie uns reingehen«, schlug ich vor.
Wir folgten ihr in ein großzügig und sehr modern eingerichtetes Wohnzimmer. An der Wand hing ein gewaltiger Multimedia-Flachbildschirm, der das beherrschende Einrichtungselement darstellte, um das sich alles andere gruppierte. Der Bildschirm zeigte im Ruhezustand ein Bild von Van Gogh. Über Geschmack kann man eben nicht streiten.
Mireille Asponge setzte sich in einen der aus einem bespannten Metallgestänge bestehenden Sessel. Sie war bleich wie die Wand geworden und ahnte wohl, dass wir ihr keine erfreuliche Nachricht überbringen konnten.
Ich wechselte einen kurzen Blick mit François.
Was ich gegenüber Pascal Malpasse darüber geäußert hatte, dass es für manche Dinge einfach keine Routine gibt, war keineswegs nur so dahergesagt gewesen.
»Monsieur André Valmont wurde heute Morgen auf einem Parkplatz in der Nähe des Fischmarkts ermordet aufgefunden«, sagte ich. »Es tut mir sehr leid, aber ich kann Ihnen versprechen, dass wir alles tun werden, um den oder die Täter zu finden.«