Vierzig werden à la parisienne - Pamela Druckerman - E-Book

Vierzig werden à la parisienne E-Book

Pamela Druckerman

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  • Herausgeber: Mosaik
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Wie fühlt es sich an, über vierzig zu sein? Was haben wir gelernt, wenn wir so alt sind? Sind wir jetzt endgültig erwachsen? Und warum hat uns niemand davor gewarnt, dass man auch an den Armen Cellulitis haben kann? In einer Mischung aus humorvoller Autobiografie und klugen Alltagsbetrachtungen widmet sich Pamela Druckerman dem entspannten Älterwerden. Die Autorin des internationalen Bestsellers »Warum französische Kinder keine Nervensägen sind« erforscht das Leben in den Vierzigern und fragt sich, ob ihr Kopf je mit ihrem Gesicht mithalten wird.

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Seitenzahl: 377

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Buch

Wie fühlt es sich an, über vierzig zu sein? Was haben wir gelernt, wenn wir so alt sind? Sind wir jetzt endgültig erwachsen? Und warum hat uns niemand davor gewarnt, dass man auch an den Armen Cellulitis haben kann? In einer Mischung aus humorvoller Autobiografie und klugen Alltagsbetrachtungen widmet sich Pamela Druckerman dem entspannten Älterwerden. Die Autorin des internationalen Bestsellers Warum französische Kinder keine Nervensägen sind erforscht das Leben in den Vierzigern und fragt sich, ob ihr Kopf je mit ihrem Gesicht Schritt halten wird.

Autorin

Pamela Druckerman ist Journalistin und Autorin, unter anderem des Bestsellers Warum französische Kinder keine Nervensägen sind, der in siebenundzwanzig Sprachen übersetzt wurde. Darüber hinaus schreibt sie für die New York Times. Pamela Druckerman lebt mit ihrem englischen Ehemann und ihren drei Kindern in Paris.

www.pameladruckerman.com

Außerdem von Pamela Druckerman im Programm

Warum französische Kinder keine Nervensägen sind ( auch als E-Book erhältlich)

Was französische Eltern besser machen ( auch als E-Book erhältlich)

Pamela Druckerman

VIERZIG WERDEN

à la parisienne

Hommage ans Erwachsensein

Aus dem Amerikanischenvon Christiane Burkhardt und Henriette Zeltner

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel »There Are No Grown-ups« bei Penguin Press, New York.Wir haben uns bemüht, alle Rechteinhaber ausfindig zu machen, verlagsüblich zu nennen und zu honorieren. Sollte uns dies im Einzelfall aufgrund der schlechten Quellenlage bedauerlicherweise einmal nicht möglich gewesen sein, werden wir begründete Ansprüche selbstverständlich erfüllen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

1. Auflage

Deutsche Erstausgabe April 2019

Mosaik Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © 2019 der deutschsprachigen Ausgabe: Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Copyright © 2018 der Originalausgabe: Pamela Druckerman

Umschlag: *zeichenpool, München

Covermotiv: Nathalie Jomard

Illustrationen/Umschlaginnenklappen: shutterstock

Redaktion: Birthe Vogelmann

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

KW ∙ Herstellung: IH

ISBN 978-3-641-16426-3V001www.mosaik-verlag.de

Inhalt

Einleitung

1. So finden Sie Ihre Berufung

2. So finden Sie einen Partner

3. So werden Sie vierzig

4. So ziehen Sie Ihre Kinder groß

5. So hören Sie

6. So haben Sie Sex

7. So planen Sie eine Ménage à trois

8. So lernen Sie, sterblich zu sein

9. So werden Sie zur Expertin

10. So bewältigen Sie die Midlife-Crisis

11. So lernen Sie, Jung zu sein

12. So kleiden Sie sich

13. So altern Sie anmutig

14. So lernen Sie die Regeln

15. So werden Sie weise

16. So geben Sie Ratschläge

17. So retten Sie, was noch zu retten ist

18. So finden Sie heraus, was eigentlich los ist

19. So denken Sie wie die Franzosen

20. So schließen Sie Freundschaften

21. So lernen Sie, Nein zu sagen

22. So behalten Sie Ihre Familie im Griff

23. So gehen Sie mit Angst um

24. So finden Sie heraus, woher Sie kommen

25. So bleiben Sie verheiratet

Fazit

Literaturverzeichnis

Sachregister

Vierzig ist ein gruseliges Alter. Denn dann werden wir die, die wir sind.

Charles Péguy

Einleitung

BONJOUR, MADAME

Wenn Sie wissen wollen, wie alt Sie aussehen, müssen Sie nur ein französisches Café betreten. Es ist eine Art Volksentscheid über Ihr Gesicht.

Als ich mit Anfang dreißig nach Paris zog, nannten mich die Kellner mademoiselle. »Bonjour, mademoiselle«, hieß es, sobald ich hereinkam und »Voilà, mademoiselle«, wenn man mir den Kaffee hinstellte. In den ersten Jahren habe ich viel Zeit in Cafés verbracht – ich hatte kein Büro, also habe ich dort geschrieben – und überall war ich mademoiselle (was streng genommen »unverheiratete Frau« bedeutet, aber inzwischen vor allem »junge Frau«).

Als ich vierzig werde, ändert sich das. Die Kellner fangen an, mich madame zu nennen, wenn auch übertrieben formell oder mit einem ironischen Augenzwinkern. Ganz so, als wäre das mit dem madame bloß ein Spiel. Ab und zu streuen sie immer noch ein mademoiselle ein.

Doch bald bleiben die scherzhaften mademoiselles aus, und die madames sind nicht mehr ironisch gemeint. Man könnte meinen, sämtliche Kellner von Paris (fast immer Männer) hätten einmütig beschlossen, dass ich die Schwelle von »junger Frau« zu »Frau mittleren Alters« überschritten habe.

Interessant! Verabreden sich die Kellner nach der Arbeit auf ein Glas Sancerre, um bei einer Diashow zu beschließen, welcher weibliche Gast abgewertet wird? (Gemeinerweise bleiben Männer für immer monsieurs.)

Natürlich bin ich mit dem Alterungsprozess vertraut. Ich habe miterlebt, wie Fältchen und Furchen auf den Gesichtern Gleichaltriger erschienen sind. Bei manchen Bekannten kann ich schon mit Anfang vierzig ungefähr erkennen, wie sie mit siebzig aussehen werden.

Ich habe bloß nicht damit gerechnet, dass das mit der »madame« auch mir passieren würde – zumindest nicht ohne meine vorherige Zustimmung. Obwohl ich nie schön war, entdeckte ich mit zwanzig meine geheime Superkraft: Ich wirkte jünger, besaß nach wie vor die Haut eines Teenagers. Die Leute konnten nicht sagen, ob ich sechzehn oder sechsundzwanzig war. Einmal wartete ich allein an einem Bahnsteig der New Yorker U-Bahn, als ein älterer Herr stehen blieb und freundlich sagte: »Sie haben immer noch Ihr Kindergesicht.«

Ich wusste, was er damit meinte, und war fest entschlossen, diesen kleinen Wettbewerbsvorteil beizubehalten. Lange bevor sich Gleichaltrige um Falten sorgten, benutzte ich jeden Morgen Cremes mit Lichtschutzfaktor und Augencremes, vor dem Schlafengehen trug ich weitere Mittelchen auf. Außerdem verschwendete ich kein Lächeln an Dinge, die nicht wirklich lustig waren.

Meine Anstrengungen zahlten sich aus. Mit Mitte dreißig gingen Fremde fest davon aus, dass ich noch studierte, Barmänner wollten meinen Ausweis sehen. Mein compliment age, also das Alter, das man nennt, um einem zu schmeicheln und zu dem man gut und gerne sechs, sieben Jahre hinzuaddieren muss – blieb zuverlässig bei sechsundzwanzig.

Mit Anfang vierzig gehe ich davon aus, endlich die Trumpfkarte der durchschnittlich aussehenden Frau ausspielen zu dürfen: Denn endlich habe ich die Bühne des Lebens betreten, auf der man nicht schön, sondern nur »gut erhalten« und nicht übergewichtig sein muss. Ich könnte beinahe als hübsch durchgehen!

Eine Zeitlang scheint diese Strategie zu funktionieren. Ganze Gesichtsregionen von Frauen, die immer besser ausgesehen haben als ich, werden von Minifältchen überzogen. Habe ich eine Frau mehrere Jahre nicht gesehen, stelle ich mich im Vorfeld bereits innerlich darauf ein … und trotzdem bleibt mir der Mund offen stehen, wenn ich sehe, wie sehr sie sich verändert hat. (Wenn man lange unverändert bleibt, um dann plötzlich zu altern, bezeichnen Franzosen das als »coup de vieux«, also »mit einem Schlag alt werden«.)

Mitfühlend, aber aus unbeteiligter Distanz, sehe ich mir die grauen Haaransätze und runzligen Stirnen vieler Gleichaltriger an. Ich bin der lebende Beweis für das Sprichwort, dass jeder irgendwann einmal das Gesicht hat, das er verdient. Und was ich verdiene, ist natürlich klar, nämlich ein fortwährend jugendliches Aussehen.

Aber im Laufe von gefühlt nicht mehr als wenigen Monaten bemerke ich auch bei mir Veränderungen.

Fremde machen mir nicht länger Komplimente zu meinem jugendlichen Erscheinungsbild. Sie sind auch nicht mehr geschockt, wenn ich ihnen verrate, drei Kinder zu haben. Leute, die ich länger nicht gesehen habe, mustern auch mein Gesicht eine Idee zu ausgiebig. Als ich mich mit einem jüngeren Freund im Café verabrede, starrt der zunächst an mir vorbei, ohne zu begreifen, dass ich die Frau mittleren Alters direkt vor ihm bin.

Nicht alle in meinem Alter leiden unter diesen Veränderungen, aber viele scheinen eine Art Midlife-Schock zu haben. Eine Freundin sagt, dass es keinen Cinderella-Moment mehr gibt, wenn sie auf eine Party kommt – mit anderen Worten, es drehen sich nicht mehr alle automatisch nach ihr um. Mir fällt auf, dass mich Männer auf der Straße nur noch wahrnehmen, wenn Frisur und Make-up perfekt sitzen. Und selbst dann lese ich eine verstörend neue Botschaft in ihren Augen: Ich würde durchaus mit ihr ins Bett gehen – aber wirklich nur, wenn ich mich kein bisschen dafür anstrengen muss.

Schon bald hageln die madames nur so auf mich ein. »Bonjour, madame«, heißt es, sobald ich ein Café betrete, »Merci, madame«, wenn ich meine Rechnung zahle und »Au revoir, madame«, wenn ich gehe. Manchmal rufen das sogar gleich mehrere Kellner im Chor.

Das Schlimmste daran ist, dass sie mich gar nicht beleidigen wollen. Hier in Frankreich, wo ich inzwischen seit über zehn Jahren lebe, ist madame nichts weiter als eine höfliche Anredeform. Ich selbst nenne andere Frauen ständig madame und bringe meinen Kindern bei, die ältere portugiesische Dame so anzusprechen, die sich um unser Haus kümmert.

Mit anderen Worten, ich falle jetzt eindeutig in die Madame-Kategorie, man geht davon aus, dass mich diese Anrede nicht mehr groß verletzen kann. Als ich an einer Frau vorbeikomme, die in meinem Viertel auf dem Bürgersteig bettelt, merke ich, dass sich etwas unwiderruflich verändert hat.

»Bonjour, mademoiselle«, ruft sie der jungen Frau im Minirock zu, die ein paar Schritte vor mir herläuft.

Und »Bonjour, madame« als ich wenige Sekunden später an ihr vorbeimarschiere.

All das ist viel zu schnell passiert, als dass ich Zeit gehabt hätte, es zu verarbeiten. Ich besitze im Großen und Ganzen noch dieselbe Garderobe, die ich als Mademoiselle getragen habe. Es stehen auch noch Konserven aus der Mademoiselle-Ära in meiner Vorratskammer. Die Gesetze der Mathematik scheinen aufgehoben zu sein, denn wie sonst ist es möglich, dass innerhalb weniger Jahre plötzlich alle zehn Jahre jünger sind als ich?

In den Vierzigern sein – was heißt das eigentlich? Ich gehöre zu den Leuten, die Sinn und Zweck eines Jahrzehnts erst begreifen, wenn es bereits vergangen ist und man seine Chancen verpasst hat. In meinen Zwanzigern habe ich mich vergeblich bemüht, einen Mann zu finden, während ich eigentlich meine Karriere als Journalistin hätte vorantreiben und an Krisenorte hätte reisen sollen, bevor ich Kinder kriege. Mit Anfang dreißig wurde ich dann prompt entlassen. Das gab mir ausreichend Zeit, den Rest dieses Jahrzehnts damit zu verbringen, verpassten Gelegenheiten hinterherzutrauern.

Diesmal will ich das Jahrzehnt begreifen, solange es noch währt. Auch wenn einem bei jedem neuen Geburtstag schwindelig wird – man ist schließlich noch nie so alt gewesen! –, sind die Vierziger heute ganz besonders verwirrend. Sie sind ein Jahrzehnt ohne genaue Gebrauchsanweisung. Es ist nicht nur die neue Zahl vor der Null, sondern es fühlt sich an, als würde man in eine ganz neue Sphäre eintreten. Als ich einem zweiundvierzigjährigen Unternehmer erzähle, dass ich mich mit den Vierzigern beschäftige, reißt er die Augen auf. Er ist erfolgreich und durchaus wortgewandt, aber sein Alter macht ihn sprachlos.

»Bitte«, fleht er mich an, »erklären Sie mir diese Lebensphase!«

Natürlich hängen die Vierziger vom jeweiligen Betrachter ab, von den Familienverhältnissen, vom Gesundheitszustand, von den Vermögensverhältnissen und von dem Land, in dem man lebt. Ich selbst erlebe sie als privilegierte weiße Amerikanerin – nicht gerade eine Bevölkerungsgruppe, die besonders problembehaftet wäre – und erfahre, dass eine Frau, die in Ruanda vierzig wird, nur noch »Oma« genannt wird.

Mit ihrer typischen Mischung aus Präzision und Pessimismus haben die Franzosen die Midlife-Crisis zur »Krise der Vierziger«, zur »Krise der Fünfziger« und zum »Mittagsdämon« ausgerufen. Ein Autor beschreibt sie als die Phase, »in der sich Männer um die fünfzig in die Babysitterin verlieben«. Gleichzeitig erzählen die Franzosen eine optimistische Geschichte übers Älterwerden, wonach das die Zeit ist, sich von vielem zu befreien. (Die Franzosen haben viele Fehler, aber ein paar gute Ideen kann man sich durchaus von ihnen abschauen.)

Egal, in welcher Altersstufe man sich gerade befindet – von unten aus betrachtet ist vierzig ganz schön alt. Ich höre, wie zwanzigjährige Amerikaner die Vierziger als sagenumwobenes, weit entferntes Jahrzehnt der verpassten Gelegenheiten beschreiben, als die Zeit, in der sie bereuen werden, was sie heute nicht getan haben. Als ich einem meiner Söhne erzähle, dass ich ein Buch über die Vierziger schreibe, sagt er, er würde gern ein kurzes darüber schreiben, wie es sich anfühlt, neun zu sein. »Darin soll stehen, ›Ich bin neun. Ich bin so froh. Ich bin noch jung.‹«

Andererseits sagen die meisten älteren Mitbürger, die ich treffe, dass sie am liebsten noch mal um die vierzig sein würden. »Wie konnte ich mich mit vierzig bloß alt finden?«, fragt Stanley Brandes, ein Anthropologe, der 1985 ein Buch übers Vierzigwerden geschrieben hat. »Ich schaue zurück und denke: Meine Güte, war ich damals glücklich! Ich betrachte das eher als Anfang meines Lebens und weniger als Anfang vom Ende.«

Außerdem ist vierzig streng genommen gar nicht mehr die Lebensmitte: Wer heute vierzig ist, wird mit fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit fünfundneunzig, so der Wirtschaftswissenschaftler Andrew Scott, Mitautor von Morgen werden wir hundert. Wie unser langes Leben gelingt.

Trotzdem hat die Zahl vierzig nach wie vor ein besonderes Gewicht, eine gewisse Symbolkraft. Jesus hat vierzig Tage gefastet. Mohammed war vierzig, als ihm der Erzengel Gabriel erschien. Die biblische Sintflut hat vierzig Tage und Nächte gedauert, und Moses war vierzig, als er das Volk Israel aus Ägypten geführt hat, woraufhin sie bekanntlich vierzig Jahre durch die Wüste gewandert sind. Brandes schreibt, dass vierzig in manchen Sprachen »viel« bedeutet.

Vierzig werden hat durchaus etwas von einem wichtigen Schritt: Bis dahin war man noch offiziell jung, und nun tritt man von einer Bühne ab, ohne die nächste bereits erobert zu haben.

Der Franzose Victor Hugo soll vierzig das »Alter der Jugend« genannt haben.

Während ich mein Gesicht in einem gut beleuchteten Lift mustere, beschreibt meine Tochter diesen Schritt deutlich weniger schmeichelhaft: »Mommy, du bist nicht alt, aber jung bist du eindeutig auch nicht mehr.«

So langsam dämmert mir, dass ich als Madame – wenn auch erst seit kurzem – ganz neuen Regeln unterworfen bin. Verhalte ich mich jetzt gespielt naiv, finden die Leute das nicht mehr charmant, sondern reagieren nur noch befremdet. Ahnungslosigkeit steht mir nicht mehr gut zu Gesicht. Man erwartet auch, dass ich mich korrekt in die Warteschlange am Flughafen einreihe und pünktlich zu meinen Verabredungen komme.

Offen gestanden fühle ich mich auch innerlich mehr wie eine Madame: Namen und Fakten fallen mir nicht mehr so problemlos ein wie früher, manchmal muss ich sie mühsam aus der Tiefe hervorholen wie Wasser aus einem Brunnen. Ich schaffe es auch nicht mehr, den Tag mit nur sieben Stunden Schlaf und viel Kaffee zu wuppen.

Gleichaltrige beklagen Ähnliches. Wenn ich mit Freunden meines Alters essen gehe, fällt auf, dass jeder von uns einer Sportart nachgeht, die uns die Ärzte verboten haben. Hysterisches Gelächter erschallt, als jemand darauf hinweist, dass wir nach amerikanischem Recht alt genug sind, andere wegen Altersdiskriminierung zu verklagen.

Neuere Erkenntnisse der Hirnforschung belegen die negativen Entwicklungen in den Vierzigern: Im Durchschnitt lassen wir uns leichter ablenken als Jüngere, brauchen deutlich länger, um Informationen zu verarbeiten, und können uns auch nicht mehr so gut an konkrete Fakten erinnern. (Das Namensgedächtnis lässt in der Regel bereits mit Anfang zwanzig nach.)

Gleichzeitig führt die Wissenschaft auch viele positive Entwicklungen an: Was wir bei der Informationsverarbeitung einbüßen, machen wir an Reife, Wissen und Erfahrung wieder wett. Wir erfassen leichter den Kern eines Problems als junge Leute, sind gut darin, unsere Gefühle zu kontrollieren, Konflikte zu lösen und uns in andere hineinzuversetzen. Wir können besser mit Geld umgehen und die Ursachen bestimmter Ereignisse besser erklären. Wir sind rücksichtsvoller als die Jungen und nicht so neurotisch, was für unser Lebensglück nicht unwichtig ist.

Tatsächlich bestätigen die moderne Hirnforschung sowie die Psychologie, was Aristoteles schon vor etwa zweitausend Jahren gesagt hat, als er Männer »in den besten Jahren« als Wesen beschrieb, »die das Übermaß auf beiden Seiten abtun, indem sie also weder in der Zuversicht gar weit gehen, was Keckheit wäre, noch allzu weit in der Furcht, sondern auf beiden Seiten das Rechte treffen. So auch trauen und misstrauen sie nicht jedem, sondern urteilen mehr nach der Wahrheit.«

Das kann ich nur bestätigen. Wir haben es tatsächlich geschafft, dazuzulernen und etwas reifer zu werden. Nachdem wir uns ein Leben lang wie Außenseiter gefühlt haben, merken wir, dass das meiste an uns eher gang und gäbe ist. (Meine unwissenschaftliche Einschätzung ist die, dass wir zu 95 Prozent genau wie alle anderen sind und nur zu fünf Prozent einzigartig.) Und genau wie wir sind die meisten Menschen ziemlich egozentrisch. Die eigene Einschätzung der Vierziger reicht von »jeder hasst mich« bis hin zu »ich bin allen egal«.

Noch zehn Jahre, und wir werden die Erkenntnisse aus unseren Vierzigern reichlich naiv finden. Im Moment wirkt dieses Jahrzehnt auf jeden Fall ziemlich paradox: Wir sind zwar endlich in der Lage, Beziehungsdynamiken zu durchschauen, schaffen es aber nicht, uns eine zweistellige Zahl zu merken. Wir befinden uns auf dem Höhepunkt unserer finanziellen Möglichkeiten (oder sind auf dem besten Wege dazu), halten aber Botox für eine vernünftige Investition. Wir erreichen gerade den Gipfel unserer Karriere, sehen aber auch schon voraus, wie sie vermutlich enden wird.

Wenn die Vierziger heute so verwirrend sind, dann auch, weil wir ein Alter erreicht haben, in dem es seltsam wenig Meilensteine gibt. Kindheit und Jugend sind eine einzige Abfolge von Meilensteinen: Wir werden größer, lernen unaufhörlich dazu, gehen in immer höhere Klassen, bekommen unsere Tage, machen den Führerschein und den Schulabschluss. In den Zwanzigern und Dreißigern flirten wir mit potenziellen Partnern, finden Jobs und lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. In der Regel warten Beförderungen, Kinder und Hochzeiten auf uns. Die damit verbundenen Adrenalinschübe treiben einen auch weiterhin an und geben einem das Gefühl, so langsam erwachsen zu werden.

Auch in den Vierzigern kann man sich noch weiterbilden, neue Jobs, Wohnungen und Partner finden, nur dass es längst nicht mehr so viel Bewunderung einbringt. Die Mentoren, älteren Bekannten und Eltern, die bisher jeden Erfolg jubelnd begleitet haben, sind inzwischen mit ihren eigenen Zipperlein beschäftigt. Und wenn man Kinder hat, wird erwartet, dass man deren Meilensteine bejubelt. Ein mir bekannter Journalist hat sich einmal darüber beklagt, dass er auf keinem Gebiet mehr Überflieger-Status haben kann. (Jemand, der jünger war als wir, war gerade an den US Supreme Court berufen worden.)

»Es ist noch keine fünf Jahre her, dass Leute zu mir gesagt haben, ›Wow, und Sie sind der Boss?‹, erzählt mir der vierundvierzigjährige Leiter einer Fernsehproduktionsfirma. Jetzt ist seine Position ganz normal. »Ich habe das Wunderkind-Alter hinter mir gelassen«, bedauert er.

Was ist aus uns geworden? Wir sind immer noch ziemlich handlungs- und verwandlungsfähig, können auch noch Zehnkilometerläufe bewältigen. Trotzdem haben die Vierziger etwas, das es so vorher noch nicht gegeben hat, und das schließt auch das Bewusstwerden der eigenen Sterblichkeit mit ein. Unsere Möglichkeiten sind deutlich begrenzter. Wenn wir uns jetzt für etwas entscheiden, scheinen wir uns gleichzeitig gegen etwas anderes entscheiden zu müssen. Auf einmal heißt es: Jetzt oder nie! Wenn wir uns etwas »für später« vorgenommen haben – einen Berufswechsel, Dostojewski lesen oder lernen, wie man Chicorée zubereitet, sollten wir uns ranhalten.

Diese neue Phase zwingt uns zu einem manchmal durchaus schmerzhaften Abgleich zwischen unseren Plänen und der Realität. Lügen, die wir uns schon ein Leben lang erzählen, klingen auf einmal hohl. Es bringt nichts mehr, sich als jemand auszugeben, der man nicht ist. Mit vierzig bereiten wir uns nicht mehr auf eine imaginäre Zukunft vor und sammeln auch nicht mehr irgendwelche Stationen für den Lebenslauf. Unser wahres Leben spielt sich eindeutig im Hier und Jetzt ab. Wir haben das erreicht, was der Philosoph Immanuel Kant als »das Ding an sich« bezeichnete.

Das Seltsamste an den Vierzigern ist tatsächlich, dass wir jetzt diejenigen sind, die die Bücher schreiben und auf Elternabende gehen. Leute in unserem Alter tragen Titel wie »Technikvorstand« und »Geschäftsführer«. Wir sind diejenigen, die die Weihnachtsgans zubereiten. Wenn ich mich heute bei dem Gedanken ertappe, »Da müsste mal jemand aktiv werden«, merke ich alarmiert, dass dieser »jemand« ich bin.

Das ist kein leichter Schritt. Ich fand die Vorstellung, dass es Erwachsene gibt, immer sehr beruhigend. Ich stellte mir vor, dass sie da draußen damit beschäftigt sind, Krebs zu heilen und Zeugen vorzuladen. Erwachsene fliegen Flugzeuge, lassen Aerosol in Flaschen abfüllen und sorgen dafür, dass wie durch ein Wunder Fernsehsignale übertragen werden. Sie wissen, ob ein Roman lesenswert ist und welche Nachricht auf die Titelseite gehört. Ich habe mich stets darauf verlassen, dass im Notfall schon irgendwelche klugen Erwachsenen mit erstaunlichen Fähigkeiten auftauchen und mich retten werden.

Obwohl ich nicht an Verschwörungstheorien glaube, kann ich verstehen, warum die Leute so was attraktiv finden. Es ist verführerisch zu glauben, dass eine kleine Gruppe Erwachsener alles kontrolliert. Ich verstehe auch den Reiz von Religion: Erwachsener als Gott kann man gar nicht sein.

Ich finde es nicht toll, älter auszusehen. Doch was mich am Madame-Sein am meisten verstört, ist die Unterstellung, dass ich jetzt selbst zu den Erwachsenen gehöre. Ich fühle mich, als wäre ich auf einen Posten befördert worden, der meine Kompetenzen übersteigt.

Was sind Erwachsene überhaupt? Gibt es sie tatsächlich? Und wenn ja, was genau wissen sie? Wie genau schaffe ich den Anschluss? Wird mein Verstand je mit meinem Gesicht Schritt halten können?

Sie wissen, dass Sie Anfang vierzig sind, wenn …

… Sie Ihr Alter lieber für sich behalten.

… das Runterscrollen bis zu Ihrem Geburtsjahr so lange dauert, dass Sie ungeduldig werden.

… Sie die Verkäuferin erstaunt anschauen, während sie Ihnen eine Anti-Aging-Creme empfiehlt.

… es Sie überrascht, dass eine Freundin ein Kind hat, das schon studiert.

… die Leute sich noch darüber wundern, dass Sie drei Kinder haben.

1So finden Sie Ihre Berufung

Als ich noch ein Kind war, wurde in meiner Familie nicht über schlechte Nachrichten gesprochen. Meine Oma mütterlicherseits reagierte auf alles – von Familienzwist bis zum Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern – mit der fröhlichen Behauptung: »Ich bin mir sicher, die kriegen das hin!«

Für ein Kind gibt es natürlich Schlimmeres als unerschütterlichen Optimismus. Meine Situation war auch gar nichts Besonderes: Viele Amerikaner der Mittelschicht wachsen in wohlig-unselbstkritischen Familien auf. Aber ich habe den Verdacht, dass meine die meisten anderen in ihrem unerschütterlichen Optimismus sogar übertraf. Um unerfreulichen Themen aus dem Weg zu gehen, sahen wir in keinem Bereich allzu genau hin. Das galt auch für unsere eigenen Vorfahren. Ich war schon fast ein Teenager, bis ich dahinterkam, dass zwei meiner Großeltern und all meine Urgroßeltern als Immigranten nach Amerika gekommen waren, hauptsächlich aus Russland. Da niemand je etwas anderes erzählt hatte, war ich bis dahin davon ausgegangen, dass wir immer schon Amerikaner gewesen waren.

Aber selbst die Geschichte unserer Einwanderung blieb vage. Meine Großmutter sagte, ihre Eltern stammten aus einem Ort namens »Minski Giberniya«. Wo genau der sich befand, wusste sie nicht, und als sie einmal in den Akten von Ellis Island recherchiert hatte, fand sich darin keine Spur von den beiden. Nachdem sie sich in South Carolina angesiedelt hatten, wurden sie auf der Stelle Einheimische. Meine Großmutter entwickelte sich zu einer Südstaaten-Schönheit und einem Mitglied in einer Sorority, einer Studentinnenvereinigung, und hielt sich an das hiesige Motto: Wenn du nichts Nettes zu sagen hast, sag gar nichts.

Niemand in meiner Familie erwähnte jemals, dass wir noch enge Verwandte hatten, die in »Minski Giberniya« zurückgeblieben waren. Als ich irgendwann meine Großmutter danach fragte, ließ sich mich wissen, dass ihre Mutter immer wieder Care-Pakete mit getrockneten Bohnen und Kleidung an Geschwister, Cousins und Cousinen in Russland geschickt hatte. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg schickte sie nichts mehr.

»Wir haben den Kontakt verloren«, sagte meine Großmutter.

Auf diese Weise erklärte meine Familie das Schicksal von Verwandten, die wahrscheinlich im Holocaust zusammengetrieben und ermordet worden waren: Wir haben den Kontakt verloren.

Dieser extreme Euphemismus schien für die mütterliche Seite meiner Familie ganz typisch zu sein, da jede Generation die nächste gegen schlechte Neuigkeiten abschirmte. Das fiel mir zum ersten Mal auf der Party zum Vierzigsten meines Vaters auf. Damals war ich sechs. Wir feierten zu Hause in Miami, wo ich aufgewachsen bin. Die Gäste schlürften ihre Drinks auf der Terrasse und rund um unseren Pool. Ich war gerade im Haus, als ich es platschen hörte und sah, wie alle aufgeregt umherliefen.

»Was ist passiert?«, fragte ich meine Mutter.

»Nichts ist passiert«, versicherte sie mir.

Nur um das klarzustellen: Meine Mutter war liebevoll, herzlich und wohlmeinend. Sie versuchte einfach, mich zu beschützen. Aber für meine Auffassung von der Welt wäre es vermutlich förderlich gewesen, wenn sie einfach gesagt hätte: »Larry Goodman ist betrunken in den Pool gefallen.« Dann hätten wir uns darüber verständigen können, dass manchmal einfach schlimme Dinge passieren.

Stattdessen bekam ich das Gefühl, jegliches Unglück würde sich in einer verschwommenen fernen Dimension, aber mindestens eine Terrassenbreite entfernt, ereignen. Und wenn man es nicht zu genau betrachtet, dann ist es, als wäre nie etwas geschehen.

Diese Lebenseinstellung konnte man in Miami leicht beibehalten, schon allein, weil in der Stadt fast immer die Sonne scheint. Leute staunen oft darüber, dass ich meine Kindheit dort verbracht habe. Ist das nicht eine Stadt für Rentner? Tatsächlich trifft das nur auf Miami Beach zu, die schmale Insel vor der Ostküste der Stadt. Es gibt eine weniger schicke Gegend auf dem Festland, wo die meisten Einwohner der Stadt leben.

Meine Eltern kauften ihr erstes Haus auf einem Grundstück, das ursprünglich ein Mangowald gewesen war. Es gab da immer noch Mangobäume – die reifen Früchte fielen auf unser Auto und beschädigten den Lack. Wie alle anderen Häuser in der Nachbarschaft war auch unseres aus Beton, dafür gebaut, um Salamander, Einbrecher und Hitze abzuhalten. Gelegentlich kroch eine schwarze Halsbandnatter durch die Belüftungsöffnungen herein. An den Strand gingen wir fast nie.

Praktisch alle in Miami lebten »im Exil«. Unsere kubanischen Nachbarn waren davon überzeugt, dass sie bald nach Havanna zurückkehren würden. Die meisten Freunde meiner Eltern sprachen mit Brooklyn-Akzent oder dem der Tristates, also New York, New Jersey und Connecticut. Wir taten zwar so, als herrschten in Südflorida dieselben Jahreszeiten wie in New York, doch auf den Fotos von mir und Santa Claus im Kaufhaus bin ich immer braungebrannt und trage Shorts.

Miamis fehlender Kontext und die Aura von Wunschdenken passten perfekt zu uns. Wenn meine Mutter mir eine unerfreuliche Neuigkeit mitteilen musste – etwa, dass jemand, den wir kannten, an Krebs erkrankt war –, dann packte sie diese Information zwischen Pläne fürs Abendessen und Infos zum Cheerleader-Training. Dann blitzte die schlechte Nachricht quasi so schnell auf, dass ich mich hinterher fragte, ob ich sie überhaupt gehört hatte.

Es waren die Achtzigerjahre und der Höhepunkt des Scheidungsbooms in den USA. Daher erfuhr ich oft, dass Erwachsene, die ich kannte, sich trennen würden, aber nie die Gründe dafür. Meine Eltern redeten nicht viel über Leute in ihrem Bekanntenkreis und ließen sich auch nicht über Beziehungen in der Verwandtschaft aus. Einmal bekam ich mit, wie über eine alkoholabhängige Tante getuschelt wurde, doch als ich nach Einzelheiten fragte, verstummten sie. (Später erfuhr ich, dass diese Tante bereits nach ihrer ersten Bloody Mary zu antisemitischen Ausfällen neigte.)

Solche Dinge waren in den Augen meiner Eltern nichts für Kinder. Im Grunde genommen war fast nichts etwas für uns. Wir beschrieben weltgeschichtliche Ereignisse, neue Klamotten und Sommerferien mit so vagen Floskeln wie »das ist schrecklich«, »das sieht toll aus« und »wir hatten eine wunderbare Zeit«. Leute, die wir gut fanden, waren »fabelhaft« (eine Freundin meiner Mutter nannte Pretty Woman gern »pikant«). Wen wir nicht mochten, der war »unangenehm«. Jemand, der zu lange bei einem Thema verweilte, war »langweilig« oder »nicht normal«. (Erst später sollte ich begreifen, dass diese »langweiligen« Menschen die Halbintellektuellen unserer Kreise waren.)

Meine Eltern waren natürlich nicht die einzige Informationsquelle. Ich wusste von AIDS, politischen Gefangenen und davon, dass kolumbianische Drogenkartelle in Miami Leute ermordeten. Ich las Bücher, in denen die Figuren eine schwierige Vergangenheit, widersprüchliche Charaktereigenschaften und ein kompliziertes Innenleben hatten. Aber als braves ältestes Kind glaubte ich auch, dass alles, was zu Hause passierte, das wahre Leben sei. Bei uns wurden keine Fakten zusammengetragen. Wir analysierten weder unsere eigenen Erfahrungen, noch spekulierten wir über die anderer Leute. Genauso wenig diskutierten wir über unsere eigene Geschichte, ethnische Zugehörigkeit oder Gesellschaftsschicht. Wenn komplizierte Wahrheiten artikuliert wurden, war das allen nur unangenehm. Das war so, als spräche man laut aus, dass Larry Goodman in den Pool gefallen war.

Als ich älter wurde, kam ich zu dem Schluss, dass Erwachsene nur dann über das Leben sprachen, wenn ich nicht dabei war, oder dass all der Smalltalk nur das Vorspiel für den Tag war, an dem wir uns endlich hinsetzen und über alles reden würden. Ich war erleichtert, als meine Mutter irgendwann nach und nach die Bände einer preislich reduzierten Enzyklopädie im Supermarkt kaufte. Da hatten wir endlich einmal Fakten im Haus. (Auf besonders beliebte Bände, etwa den Buchstaben »S«, mussten wir eine Weile warten, bis sie wieder vorrätig waren.)

Das Ironische an meiner Kindheit ist, dass dort getarnt wurde, wo es gar nichts zu tarnen gab. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Larry Goodman unverletzt wieder aus dem Swimmingpool geklettert ist. Und wahrscheinlich hatte er nicht mal ein Alkoholproblem. Meistens passierte hinter dem künstlichen Nebel aus netten Worten und guten Neuigkeiten überhaupt nichts Schlimmes!

Allerdings hüteten meine Eltern ein dunkles Geheimnis: Wir waren nicht reich. Im Unterschied zu vielen ihrer Freunde hatten sie permanent Geldsorgen. Nach realistischen Maßstäben waren wir auch nicht arm. Aber es fühlte sich so an, weil wir uns ans untere Ende der oberen Mittelklasse klammerten.

Geld war in Miami extrem wichtig. Reichtum verschaffte dir Status und Glanz. (Florida hat schon immer Leute angezogen, die »das übermäßige Verlangen hatten, schnell und mit einem Minimum körperlicher Anstrengung reich zu werden«, hat der Wirtschaftswissenschaftler John Kenneth Galbraith einmal gesagt.)

Und in den Achtzigern war Miami auf dem besten Weg, eine Stadt größter Ungleichheit zu werden. Einige Nachbarn verkauften ihren Besitz und bauten sich größere Häuser, näher an der Bucht, mit Bar und eigenem Tennisplatz. Bald machten sie sich für Wohltätigkeitsgalas chic, fuhren einen Mercedes und verbrachten die Sommer in Colorado, um der Hitze Miamis zu entfliehen.

Meine Familie blieb im Mangowald zurück, und wir staunten: Wo kam all das Geld her? Wie genau stellte man es an, eine Bank zu besitzen, wie die Eltern einiger meiner Freunde?

Mein Vater war aus der Alten Welt. Er wurde in Brooklyn unmittelbar vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs als Kind von Immigranten aus der Arbeiterklasse geboren. Nebenan wohnten Verwandte, die Gussie, Bessie oder Yetta hießen. Sein eigener Vater, Harry, hatte mit zwölf Jahren die Schule abgebrochen, um Zeitungen auszufahren. Zuerst mit einem Pferdewagen, später mit einem kleinen Lastwagen, und meist mit einer Zigarette im Mund. Als mein Vater selbst ein Teenager war, ging er eines Tages wie so oft nach der Schule zu dem Laster, um Harry zu helfen. Er fand ihn auf einem Stapel Zeitungen zusammengesunken, gestorben an einem Herzinfarkt.

Mein Vater ging ein paar Jahre lang aufs College und hatte danach mehrere Jobs bei einer TV-Produktionsfirma. Als meine Mutter ihn bei einem Blind Date in New York City kennenlernte, sah sie in ihm einen attraktiven, schon etwas älteren Mann, der im Anzug zur Arbeit ging und der – im Unterschied zu mehreren Freunden, die sie bis dahin gehabt hatte – tatsächlich nett war.

Das stimmte auch alles, doch was sie in ihrem Optimismus nicht sah, war der riesige Unterschied zwischen ihnen. Der Zweig der Familie meiner Mutter war fröhlich aus dem Schtetl in den Sonnenschein aufgebrochen. Ihre bereits in Amerika geborenen Eltern waren etabliert, erfahren und erfolgreich.

Mein Vater war patriotisch, nostalgisch, verträumt und loyal. Und obwohl die gewandte Art meiner Mutter, sich in der Gesellschaft zu bewegen, und ihre noblere Familie ihm imponierten, würde er sich immer nach seiner alten Gegend und den Nachbarn dort sehnen.

Sie zogen nach Miami, wo meine Mutter aufgewachsen war. Dort gab es nicht viele Jobs in der Fernsehbranche, und so gründete mein Vater eine kleine Werbeagentur, die Werbespots für Flohmärkte und die lokale Pferderennbahn machte.

Sein Nettsein schmolz in der Sonne und verwandelte sich in eine Depression. Was das Kreative anging, war er gut, aber um besser ins Geschäft zu kommen, musste er sich potenziellen Kunden verkaufen. Und um im Verkauf gut zu sein, musste man entweder Einfühlungsvermögen besitzen, um zu wissen, was die Leute wollten. Oder man musste ein solches Charisma haben, dass sie haben wollten, was immer man zu verkaufen hatte.

Mein Vater hatte weder das eine noch das andere. Er ging gern früh zu Bett, hatte Spaß an Wortspielen und machte jede Menge witzige Bemerkungen. (Einer seiner Lieblingsscherze bis heute ist: »Selbst eine stehengebliebene Uhr zeigt zweimal täglich die richtige Zeit an.«) Es kam zu unzähligen Streitereien zwischen meinen Eltern. Zum Beispiel, weil mein Vater zu langsam Auto fuhr oder weil er wieder einmal bei einer Dinnerparty eingeschlafen war. »Ich habe doch nur meine Augen ausgeruht«, pflegte er dann zu sagen.

Irgendwann blieb seiner Agentur nur noch ein einziger Kunde übrig. Und die Schuld daran gab er sich selbst. So führten wir beide täglich einen total absurden Dialog, wenn ich ihn fragte, wie sein Tag gewesen war, und er verlegen antwortete, es sei »viel los« gewesen. Schon damals begriff ich, dass das nicht stimmte und die Auseinandersetzungen meiner Eltern nicht wirklich mit seinem langsamen Fahrstil zu tun hatten, sondern damit, dass sein Leben nicht auf der Überholspur stattfand.

Meine Mutter war das absolute Gegenteil: extrovertiert, charismatisch, selbstbewusst und ein Verkaufsgenie. Sie war hübsch und an der High School so beliebt, dass sie zum bestangezogenen Mädchen gekürt wurde. Dann hatte sie am Ohio State College einen Abschluss in Einzelhandel gemacht. Sie interessierte sich für alles, was neu war: die neueste Mode, die angesagtesten Restaurants. Aus unserem Wohnzimmer machte sie eine Galerie und veranstaltete dort Ausstellungen für aufstrebende Künstler. Gemeinsam mit einer Geschäftspartnerin eröffnete sie eine erfolgreiche Boutique für Damenmode, die ein angesagter Treffpunkt war. Frauen kamen dort ebenso gern hin, um sich zu unterhalten, wie um etwas zu kaufen. Das Klima in Miami ist eigentlich »tropisch monsunartig«. Aber da es im Geschäft wegen der Klimaanlage immer eiskalt war, kauften die Kundinnen massenhaft Kaschmirpullis.

Ich wuchs in der Welt meiner Mutter auf. Wenn ich nicht in ihrer Boutique war, dann tapste ich hinter ihr her durch Kaufhäuser, um zu sehen, was die Konkurrenz im Angebot hatte. Während andere Kinder sich beim Sport verletzten, zog ich mir mit acht eine Verletzung beim Einkaufen zu: Mein Bruder und ich alberten in der Sportabteilung herum, als der Wagen, auf dem die Kasse stand, umkippte und mir das Handgelenk brach.

Einkaufen war ein Thema, das wir in aller Ausführlichkeit diskutierten. Es diente sogar als Quelle der Weisheit. »Wenn du es nicht liebst, kauf es nicht«, pflegte meine Großmutter zu sagen. Unser Äquivalent eines buddhistischen Koans lautete: »Warum sieht ein Outfit, sobald man es zu Hause hat, nie mehr so gut aus wie im Laden?«

Als es an der Zeit war, ein Motto für meine Bat-Mitzwa-Party festzulegen, entschied ich mich gegen die damaligen Standardthemen – Tennis, Raumfahrt, Hawaiianisches Luau – und für »Shopping«. Es war das Einzige, womit ich mich richtig gut auskannte. Meine Mutter und ich bastelten Tischkarten, die wie Kredikarten aussahen, und engagierten eine Partyplanerin, die Dekorationen aus Einkaufstüten von Bloomingdale’s und Neiman Marcus kreierte. Die Planerin wirkte etwas überrascht, als wir das Motto mit ihr besprachen, aber in meiner Familie fand es niemand seltsam, damit meinen Übergang in die Welt der Erwachsenen zu symbolisieren.

Es kam allerdings zur Sprache, dass wir uns diese Party eigentlich nicht leisten konnten. Zu einer seltenen Verkündung schlechter Nachrichten rief meine Mutter mich eines Tages in ihr Schlafzimmer und sagte, dass wir die Feier aus Kostengründen vielleicht absagen müssten. (Stattdessen verlegten wir sie nur an eine günstigere Location.)

Unser Lebensstil wurde vom Vater meiner Mutter ermöglicht, der den Großteil der Party bezahlte und auch das neue Dach unseres Hauses. Obwohl mein Großvater wie mein Vater der Sohn armer Einwanderer war, besaß er Geschick im Umgang mit Menschen, machte gute Geschäfte und verdiente Geld.

Er übernahm auch die Kosten der Privatschulen, wo ich mich unter den Nachwuchs von Miamis Superreichen mischte. Einige meiner Klassenkameraden lebten in Villen direkt am Meer, die sie als Drehorte für Kinofilme oder Fernsehserien vermieteten. Einige bekamen Porsches, als sie sechzehn wurden. Als meine Mutter mich einmal mit ihrem Toyota von der Schule abholte, spottete ein Junge: »Ist das der Wagen eures Hausmädchens?«

Ich stellte diesen Kosmos nie in Frage. Aber ich überlegte mir, dass es für mich optimal wäre, einen Schönheitschirurgen zu heiraten. (Eine weitere Lebensweisheit meiner Großmutter lautete: »Es ist genauso leicht, sich in einen reichen Mann zu verlieben wie in einen armen.«)

Obwohl es mir damals noch nicht bewusst war, veränderte sich mein Leben, als ich The Official Preppy Handbook in die Finger bekam, einen satirischen Ratgeber für die Gewohnheiten der reichen Weißen an der Ostküste der USA. Darin wurde eine Welt beschrieben, in der Leute Irische Setter besaßen, zum Skiurlaub nach Gstaad reisten und Gürtel mit Entenmotiv trugen. (»Je weniger ein Gegenstand mit Enten zu tun hat, desto stärker schreit er nach Entenmotiven.«)

Bevor ich das Buch las, hatte ich kaum eine Vorstellung davon, dass es Amerikaner gab, die weder Latinos noch jüdisch, noch schwarz waren. Auch das ästhetische Empfinden der WASPs war mir fremd: Wer hätte gedacht, dass jemand auf gebrauchte Möbel stehen könnte?

Ich wusste, dass ich kein Preppy war. Ich kannte auch niemanden mit dem Spitznamen Skip oder Bink (obwohl ich eine kubanische Freundin hatte, die wir »Juanky« nannten). Ich konnte ein bisschen segeln, aber bei mir zu Hause standen nicht überall Zigarettendosen herum, die mein Vater bei Regattas gewonnen hatte.

Doch das Buch bestätigte meinen Verdacht, dass es tatsächlich eine Menge Dinge gab, die meine Familie nicht ansprach. Der Alltag – sogar meiner – ließ sich decodieren und in seiner Bedeutung analysieren. Die Kleidung, der Teppichboden, die Wortwahl und die im Haus verteilten Gegenstände gaben insgesamt Aufschluss über die Stammeszugehörigkeit.

Wir besprachen nie, zu welchem Stamm wir gehörten, und die Einhaltung religiöser Vorschriften hatten wir auf ein Minimum reduziert. (Bei meiner Bat Mitzwa wurde Krabbencocktail serviert.) Doch wenn ich mit meinen Eltern ein Restaurant betrat, konnte ich sofort sagen, welche Frauen meine Mutter kannten, auch wenn ich sie noch nie zuvor gesehen hatte. Sie besaßen die gleichen Gesichter, Frisuren und Kleider wie wir. Ihre Eltern und Großeltern waren meist aus der gleichen Gegend Europas und ungefähr zur selben Zeit nach Amerika gekommen wie meine. Es schien, als wären ganze Dörfer aus Weißrussland in den Süden Floridas umgesiedelt, wo deren Nachkommen jetzt in denselben italienischen Lokalen zu Abend aßen.

Damals war mir das noch nicht so bewusst, aber eigentlich sehnte ich mich nach einer Entsprechung des Preppy Handbook für mein eigenes Leben. Nach etwas, das unsere ritualisierten Objekte, unsere Kleidung und unsere Sitten erklärte. Ich wünschte mir, die unsichtbare Bedeutung von allem – angefangen bei der Kleidung über unseren New Yorker Akzent bis hin zur genauen Herkunft – zu kennen. Aber wie sollte ich Anthropologie am Beispiel meines eigenen Lebens betreiben? Wo ich nicht mal zuverlässig bezeugen konnte, wer damals in den Pool gefallen war?

Mit zunehmendem Alter verließ ich mich mehr auf mein eigenes Urteil. Einmal traf ich an einem Flughafen vor der Heimkehr von einer Klassenreise – die mein Großvater bezahlt hatte – zufällig den Ehemann einer älteren Cousine. Nur war er nicht mit meiner Cousine und den beiden gemeinsamen Söhnen unterwegs, sondern mit einer hübschen Blondine und einem ebenso blonden Kleinkind. Als er mich erblickte, bekam sein Gesicht einen panischen Ausdruck.

»Mein Cousin Neil hat eine zweite Familie«, erzählte ich meiner Mutter, als ich wieder in Miami ankam.

»Ausgeschlossen«, sagte sie. (Ohne mein weiteres Zutun wurden meine Cousine und ihr Mann bald danach geschieden.)

Nachdem ich dieses Geheimnis aufgedeckt hatte, wollte ich mehr davon. Ich begann, die Spionageromane meiner Mutter zu lesen, die im Kalten Krieg spielten. Dann stellte ich mir vor, wie ich mit messerscharfem Verstand Codes knacken und Verbrechen aufklären würde.

Es war mir egal, dass ich nicht mal der Handlung von Agentenfilmen folgen, mir keine Telefonnummer merken und kein Geheimnis für mich behalten konnte. Ich malte mir eine Zukunft aus, in der ich mir die Nummernschilder vorbeirasender Fahrzeuge einprägte und kein Geheimdienst an mir vorbeikam. Ganz bestimmt würde die CIA auf meine Talente aufmerksam werden und mich rekrutieren.

Als ich dann aufs College ging, wäre Englisch im Hauptfach naheliegend gewesen (denn was meine Lust an den Spionagethrillern tatsächlich bewirkte, war, dass ich auf einmal viel mehr las). Aber Englische Literatur erschien mir irgendwie zu bequem. Deshalb wählte ich Philosophie, um meine analytischen Fähigkeiten zu schärfen. Ich blieb dabei, obwohl ich kein Talent dafür hatte und mir die Kurse keinen Spaß machten. Als ich einmal eine Professorin um eine Empfehlung bat, schrieb sie: Pamela wird wahrscheinlich einmal in irgendwas gut sein, aber nicht in Philosophie.

Als ich ein Semester in Mexiko studierte, gewann ich etwas Abstand zu Miami. Teil eines Programms namens »La Realidad« war, dass ich zeitweise bei einer siebenköpfigen Familie in einem Haus aus Betonblöcken an einer unbefestigten Straße lebte. Aus dem einzigen Wasserhahn kam nur kaltes Wasser, sodass ich zum Baden Wasser in einem Kübel erhitzte. Als es eines Abends zum Nachtisch einen exotischen Mammiapfel gab, schlang ich ihn runter. Als ich danach aufblickte, schaute ich in sieben bedrückte Gesichter, denn die eine Frucht war das Dessert für uns alle gewesen.

»Wir sind nicht arm!«, erklärte ich meinem Vater aufgeregt nach meiner Rückkehr. Für mexikanische Verhältnisse war unser Toyota ein Luxusding. Aber mein neuer Blickwinkel tröstete ihn nicht. Er wollte die Spielchen in Miami nicht enttarnen, sondern sie einfach nicht weiter verlieren. Als wir eines Tages in unserer Einfahrt unter den Mangobäumen in dem erwähnten Toyota saßen, gestand er mir etwas.

»Ich bin nicht gut im Geschäftemachen«, sagte er.

Ich auch nicht. Nach dem College hatte ich kurz für ein israelisches Internet-Start-up gejobbt, dessen ganzes Geschäftsmodell, soweit ich das verstanden hatte, das Posten von Informationen über jüdische Feiertage sein sollte. Ich darf mir zugutehalten, dass ich mich immerhin fragte, warum es so viele Angestellte gab, die meisten davon junge Männer. Was ich nicht bemerkte war, dass hinter einer verschlossenen Tür, wenige Meter von dort, wo ich saß, ein Team aus Programmierern das eigentliche Geschäft abwickelte: Online-Pornos. (Das verriet mir eine ehemalige Kollegin, Jahre nachdem wir beide nicht mehr dort arbeiteten.)

Als Erwachsene mangelte es mir also immer noch an laserscharfer Auffassungsgabe. Ich wünschte mir ein Gehirn wie ein Messer, doch meines war eher ein Löffel. Zwar konnte ich mich durch Datenberge wühlen, aber es dauerte eben seine Zeit. Ich war nicht gerade dumm, aber definitiv auch kein schlauer Fuchs. Manchmal fiel der Groschen bei mir erst Jahre, nachdem etwas Bestimmtes passiert war. Und wenn etwas Schlimmes oder auch nur Unvorhergesehenes geschah, dann war mein erster Impuls, es zu ignorieren.

So beschloss ich, Journalistin zu werden. Manche Leute werden Reporter, weil sie eine so gute Beobachtungsgabe besitzen oder weil sie Missstände aufdecken wollen. Mein Grund war ein anderer: Ich wollte endlich kapieren, was zum Teufel eigentlich los war.

Sie wissen, dass Sie über vierzig sind, wenn …

… Sie ganz sachlich über Härchen am Kinn sprechen.

… Sie Cellulite an Ihren Armen entdecken.

… Ihnen jeder, den Sie treffen, irgendwie bekannt vorkommt.

… Sie manchmal verkatert aufwachen, obwohl Sie gar nichts getrunken hatten.

… Ihnen ältere Freunde nicht mehr das Gefühl geben, jünger zu sein.

2So finden Sie einen Partner

Irgendwann traf ich eine wichtige Entscheidung in Bezug auf mein Leben: Wenn ich selbst es nicht schaffe, erwachsen zu sein, dann schlafe ich eben mit jemandem, der das besser hinkriegt als ich.

Symmetrisch wirkende Filmstars aus Hollywood erzeugten bei mir kein Herzklopfen. Ich stand eher auf leicht abgerockte, aber geniale Männer. Während der High School klebte ich mir ein Porträt von Barney Frank – einem intelligenten, liberalen Kongressabgeordneten aus Massachusetts – an die Wand meines Zimmers. (Weil er relativ prominent war, störte mich auch nicht, dass er schwul war.)

Im wahren Leben ging ich mit Männern aus, die vielleicht nicht unbedingt weiser, aber zumindest ein bisschen älter waren als ich. Vor allem fühlte ich mich zu Männern anderer Nationen hingezogen, die Zeitungen in für mich exotischen Sprachen lasen. Im Rahmen meiner romantischen Weltreise hatte ich eine Beziehung zu einem deutschsprachigen Genie in New York, der niemandem in die Augen sehen konnte, und zu einem ungarischen Psychiater, der mir als Trennungsgrund sagte, ich sei für ihn einfach nicht ausreichend emotional verwundet.

Meine Auswahl geeigneter Nicht-US-Amerikaner wuchs, als eine Zeitung mich als Korrespondentin für Lateinamerika einstellte. Während eines Aufenthalts in Brasilien nahm ich die jüdischen Männer Sāo Paulos unter die Lupe und landete schließlich bei einem DJ, der noch bei seiner Mutter lebte und erst kürzlich eine Affäre mit dem Dienstmädchen gehabt hatte, wie ich aus den fiesen Blicken schloss, die sie mir beim Frühstück zuwarf.

Weltgewandtheit blendete mich sofort. Ein russischer Verehrer von mir sprach vier Sprachen fließend, aber ich brauchte fast ein Jahr, um dahinterzukommen, dass er in keiner davon witzig war.

Ich wusste schon, dass es ein schlechtes Zeichen war, als ein Ex, ein mexikanischer Banker, als Lektüre für unseren Strandurlaub nur ein Handbuch für Aktienhandel mitbrachte. Aber ich beendete die Sache erst, nachdem ich ihm zum Geburtstag ein in Leder gebundenes Tagebuch geschenkt hatte und er mich fragte, was er denn mit einem leeren Buch anfangen solle.

Als ich mich schließlich den Amerikanern zuwandte und mit dem Sohn eines Anwalts aus einem Vorort von Chicago ausging, kam er zu dem Schluss, dass ich ihm nicht exotisch genug war. »Manchmal denke ich, du bist einfach ein jüdisches Mädchen aus Miami«, gestand er mir. Das war auch meine Befürchtung.