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Du kannst mit Geld fast alles kaufen – ihr Herz jedoch nicht
Charlene liebt das Leben, aber immer wieder macht sie die Erfahrung, dass Menschen mit Geld sie nicht gut behandeln. Nach der ernüchternden Erfahrung mit Dermot McBride, einem Banker, dessen Familie viel Wert auf ihren Status in der Gesellschaft legt, schwört Charlene, künftig um alle reichen Männer einen großen Bogen zu machen.
In dem Chauffeur Fred findet sie genau den Typ Mann, den sie sich erhofft hat. Die beiden kommen aus ähnlichen Verhältnissen, schwimmen auf einer Wellenlänge und haben viel Spaß miteinander. Doch das Blatt wendet sich, als Fred in der »Vine & Coffee Lounge« Jules begegnet. Plötzlich steht die Welt von Charlene und Fred auf dem Kopf und sie müssen herausfinden, ob sie wirklich wie füreinander geschaffen sind.
Eine neue Romance-Geschichte aus der »Story to go Reihe«, die unabhängig von Band 1 gelesen werden kann.
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Vine & Coffee Lounge
Charlene und ihr Chauffeur
Von Mareile Raphael
Inhaltsverzeichnis
Titel
Nachweis
Vorwort
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25 – Frederic
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Nachwort
Bisher erschienen
Danksagung
Leseprobe
Impressum
Nachweis
1. Auflage Mai 2022
Copyright © Mareile Raphael
Covergestaltung: pro_designx
Bild: Laifalight / Shutterstock
Lektorat + Korrektorat: Schreibservice More
Alle Rechte vorbehalten.
Unbefugte Nutzung, wie Vervielfältigung, Verbreitung, Übertragung oder Nachdruck – auch auszugsweise – nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.
Personen und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Vorwort
Vielen Dank, dass Du Dich für eines meiner Bücher entschieden hast.
Bei der Story-to-go-Reihe handelt es sich um Einzelromane, die in sich abgeschlossen sind und unabhängig voneinander gelesen werden können. Es gibt jedoch wiederkehrende Charaktere, die alle etwas mit der Vine & Coffee Lounge zu tun haben.
Im zweiten Teil geht es um die Angestellte Charlene. Sie begegnet einem Mann, der ganz neue Aspekte in ihr Leben bringt. Bis zu dem Tag, an dem ein Geheimnis auffliegt.
Ich hoffe, dass Dir die Geschichte gefällt.
Deine Mareile
Prolog
›Das passiert mir kein weiteres Mal. So ein elendiger Lügner, dieses verdammte Muttersöhnchen – wie konnte er nur?‹, frage ich mich immer wieder, während die Wohnungstür scheppernd hinter mir ins Schloss fällt. Meine Handtasche fliegt in einem hohen Bogen Richtung Couch, verfehlt ihr Ziel nur knapp, indem sie auf der Kante der Rückenlehne landet. Mit zusammengekniffenen Augen warne ich sie, das jetzt ja nicht zu tun. Aber genau wie alles andere an diesem Tag hört sie nicht auf mich, sondern kippt zur Wandseite, verliert das Gleichgewicht und rutscht einen Augenblick später in den kleinen Spalt hinter dem Sofa.
»Mistding«, tituliere ich die Designertasche, welche ich erst Tage zuvor ehrfurchtsvoll aus der Verpackung genommen habe. Aus einer Geschenkverpackung, die Dermot mir mit liebevollem Blick überreicht hatte. Verdammt, nur nicht an ihn denken! »Verrotte doch!«, brülle ich in der Absicht, weder die Tasche noch den Mann, der sie mir geschenkt hat, jemals wiedersehen zu wollen.
Eine Dusche – viel heißes Wasser, das alles wegwischt, was mir heute widerfahren ist – genau das brauche ich jetzt. Meine Schuhe landen klappernd auf dem Laminat des Flurs, das Kleid folgt ihnen kurz danach, nur BH und Slip schaffen es bis ins Badezimmer, wo sie vor der Duschkabine ebenfalls den Weg zum Boden finden. Wenig später prasselt hoch temperiertes Wasser auf meine Haut und lässt sie brennen. Der Schmerz ist mir willkommen, übertüncht er doch ein kleines bisschen die Schmach, die mich an diesem Tag ereilt hat. Nein, ich will nicht daran zurückdenken! Tränen steigen mir in die Augen. Ich rede mir ein, dass es von der heißen Dusche kommt. Doch auch als ich die Temperatur auf ein Normalmaß herunterdrehe, versiegen sie nicht.
»Ich hasse ihn«, brülle ich, während ich mit den Fäusten gegen die Fliesen hämmere.
›Nein, du liebst ihn‹, widerspricht meine innere Stimme.
»Das stimmt nicht«, protestiere ich, »so jemanden kann man nicht lieben.«
›Doch, denk an die vielen schönen Stunden mit ihm.‹
»Nein«, behalte ich das letzte Wort, »er verdient meine Liebe nicht. Ihn mag ich vielleicht noch nicht hassen, aber auf seine Mutter trifft das auf jeden Fall zu. Mrs. McBride, ich hasse Sie – nur damit Sie es wissen!«, werfe ich der Frau zu, in deren Gegenwart ich diese Worte niemals über die Lippen gebracht hätte.
Ein letztes Mal halte ich mein Gesicht in den Strahl der Dusche, damit das Wasser meine Tränenspuren wegwischt. Mit einer energischen Bewegung stelle ich danach die Wasserzufuhr ab, was meinen Kampfgeist weckt. Ja, die Demütigung hat wehgetan und Dermot hat mich mehr verletzt, als das je ein Mann zuvor geschafft hat, aber ich lasse mich davon nicht unterkriegen! Mit diesem Vorsatz im Hinterkopf trete ich aus der Dusche, rubble mich trocken und schlüpfe in bequeme Sachen.
Dermot McBride und seine matriarchalische Mutter sind Vergangenheit, einem Mann aus bescheidenen Verhältnissen ohne autoritäre Verwandtschaft wird die Zukunft gehören. Ich muss ihn nur finden! Eines schwöre ich mir für die Suche: Sollte ein Kandidat über Geld wie Heu verfügen, zeige ich ihm die kalte Schulter!
Meine Haare erweisen sich als widerspenstig. Trotzdem fasse ich sie nach dem Föhnen nicht zu einem strammen Dutt zusammen. Dermots Mutter würde angesichts der Locken, die mir ins Gesicht fallen, die Nase rümpfen.
›Lass das!‹, tadele ich mich selbst. ›Diese Frau hat nichts mehr in deinen Gedanken zu suchen.‹
Um mich in diesem Vorsatz zu bestärken, wusel ich mir kräftig mit den Fingern durch die Haare, um sie wilder erscheinen zu lassen. Alte Jeans, Schlabbershirt und Löwenmähne – noch nie zuvor habe ich mich in diesem Look wohler gefühlt. Zum Abschluss strecke ich meinem Spiegelbild die Zunge raus, bevor ich das Bad verlasse.
Barfuß – auch etwas, das bei Dermot verpönt war – tapse ich ins Wohnzimmer. Die Abenddämmerung zieht bereits über die Stadt herein. Der Himmel ist in orangefarbene Töne getaucht, die meine Stimmung aufhellen. Ich merke, wie ich ruhiger werde.
Um den Anblick des Farbenspiels noch besser genießen zu können, öffne ich die Tür zum Balkon und trete hinaus. An meinem Lieblingsplatz zwischen den Blumenkästen, die mit üppig blühenden Pflanzen gefüllt sind, die ich liebevoll pflege, lehne ich mich mit den Unterarmen auf die Brüstung. Ein tiefer Atemzug füllt meine Lungen mit der angenehm warmen Luft des Spätsommers.
Aus der Wohnung unter mir dringen leise die harmonischen Klänge eines Klavierspiels ins Freie. Joyce scheint einen guten Tag zu haben, denn das Stück, welches sie ausgewählt hat, ist stimmungsvoll. Kein Vergleich zu den traurigen Sonaten, die sie nach der Trennung von Jeffrey immer gespielt hat. Obwohl die Musik so gar nicht zu meiner inneren Verfassung passt, höre ich ihr zu und lasse dabei den Blick über die Umgebung schweifen. Als er an der Stelle hängen bleibt, an der ich den Wagen geparkt habe, schnappe ich nach Luft.
Kann das wirklich sein? Natürlich! Ich sehe es ja direkt vor mir. Kopfschüttelnd beiße ich mir auf die Unterlippe. Dagegen muss ich sofort etwas unternehmen. Ansonsten ereilt mich über kurz oder lang der Tadel von Mrs. Cransbury.
In der Hoffnung, dass der Wachhund des Mietkomplexes noch nicht entdeckt hat, dass ich meinen Wagen schräg über zwei Parkbuchten abgestellt habe, gehe ich in die Wohnung zurück. Am Schlüsselbrett will ich mir den Autoschlüssel schnappen, aber der hängt dort nicht. Die Finger greifen ins Leere, woraufhin sich meine Stirn krauszieht. Wo zum Teufel ist er? Ich hänge ihn doch immer direkt an den mittleren Haken, sobald ich die Wohnungstür geöffnet habe. Merkwürdigerweise ist nicht einmal das Bund mit Haus- und Wohnungsschlüssel an seinem Platz. Was zum Teufel habe ich mit meinen Schlüsseln gemacht, nachdem ich hereingekommen bin?
Die Tasche – ich muss alles in die Handtasche gestopft haben. Prompt kehrt die Mischung aus Enttäuschung und Wut zurück, die ich Minuten zuvor so schön in den Hintergrund geschoben habe. Genervt stampfe ich mit dem Fuß auf, ehe ich einen Moment später aufseufze. Es nützt nichts, ich brauche die Schlüssel, bevor noch mehr Unheil – dieses Mal in Form von Mrs. Cransbury – über mich hereinbricht.
Das alte, schwere Sofa, welches ich von meiner Grandma geerbt habe, bewegt sich nur zentimeterweise von der Wand weg, als ich daran zerre. Warum musste die Handtasche ausgerechnet im mittleren Bereich des Möbelstücks herunterfallen?
Beim dritten Versuch gelingt es mir endlich, einen der Henkel der Tasche zu erreichen. Wären meine wichtigsten Utensilien nicht darin, hätte ich sie wohl hinter Grannys Biedermeiersofa verrotten lassen.
Die Schlüssel befinden sich in der Tat darin, stelle ich erleichtert fest. Neben den beiden Schlüsselringen nehme ich auch das Handy und die Geldbörse heraus, bevor ich die Tasche in den Tiefen meines Kleiderschranks versenke. Telefon sowie Portemonnaie wandern im Flur auf die Kommode.
Einen Augenblick später laufe ich im Treppenhaus die Stufen hinunter. Im Erdgeschoß werden meine Schritte langsamer. Besonders leise versuche ich zu sein, als ich die Wohnungstür von unserem Hausdrachen passiere.
Klickend fällt die Haustür hinter mir ins Schloss, während ich schon zu meinem Wagen eile. Zum Glück ist der Parkplatz noch relativ leer. Bestimmt hat bisher niemand gemerkt, wie platzverschwendend ich das Auto abgestellt habe. Zwei Züge später steht er ordnungsgemäß in einer Parkbucht, genau zwischen den eingezeichneten Linien.
Zufrieden gehe ich zum Hauseingang zurück, wo mich schon jemand erwartet. Ein Augenpaar mustert mich streng, als ich die Person anlächele und ihr zunicke.
»Guten Abend, Mrs. Cransbury«, begrüße ich sie in der Hoffnung, einfach so an ihr vorbeischlüpfen zu können.
»Miss Mendeville, das ist hier keine Rennstrecke«, erwidert sie ohne Gegengruß. Ihre anklagenden Worte erinnern mich an Dermots Mutter, selbst die Tonlage der beiden stimmt überein.
»Ja, Mrs. Cransbury.«
»Ich musste vorhin eine Herztablette nehmen, so sehr haben mich die quietschenden Reifen erschreckt. Wie kann man nur so rücksichtslos sein?«, fährt der Hausdrachen fort.
»Entschuldigung, Mrs. Cransbury«, antworte ich matt. Für eine Auseinandersetzung mit ihr habe ich momentan nicht die Nerven. Ich will nur noch zurück in meine Wohnung, um mich auf dem Sofa in eine Decke zu kuscheln. Oder besser: Ich gehe direkt ins Bett. »Es kommt nicht wieder vor«, füge ich als Versprechen hinzu.
»Das hoffe ich, Miss Mendeville, das hoffe ich wirklich«, erklärt sie mit steil nach oben gezogener Augenbraue. Danach tritt sie einen Schritt zur Seite und lässt mich vorbei. Vor Erleichterung werfe ich ihr ein strahlendes Lächeln entgegen, ehe ich den Flur entlangeile.
Bei der Rückkehr in die Wohnung fällt mir das Blinken der blauen Leuchtdiode am Handy auf, welches den Eingang neuer Nachrichten signalisiert. Ich ahne bereits, wer sich gemeldet haben könnte. Tatsächlich, mehrere Anrufe in Abwesenheit von Dermot werden mir angezeigt, außerdem hat er im Stundentakt drei Textnachrichten gesendet.
Wo bist Du? Wie geht es Dir? Melde Dich bitte bei mir.
Wir sollten darüber reden und die Sache aus der Welt schaffen. Ich vermisse Dich.
Sei doch nicht so kindisch, Sweetheart. Melde Dich endlich bei mir, ich mache mir Sorgen.
Ich sehe beim Lesen der drei Nachrichten regelrecht vor mir, wie sein Teint immer mehr ins Rötliche wechselt. Vermutlich tobt er inzwischen durchs Zimmer und verlangt, dass ich wie eine Erwachsene reagieren soll.
So war es immer. Wenn ihm an meinem Verhalten etwas nicht gepasst hat, wurde mir ein nicht altersgerechtes Auftreten unterstellt. Bisher konnte ich darüber lachen und die Vorwürfe mit einer Handbewegung wegwischen, aber dieses Mal ist es anders. Seine letzte Nachricht verletzt mich. Fast genauso wie mich die abwertenden Worte seiner Mutter getroffen haben.
Kindisch? Ich? Wer hat sich denn wie ein Muttersöhnchen erster Güte aufgeführt? Nein, Dermot McBride, du bist zu weit gegangen. Diese Verfehlung schaffst du nicht wieder aus der Welt. Noch einmal lasse ich mich nicht von dir einwickeln, deine wertvollen Geschenke kannst du dir ebenso sparen, wie jedes weitere Wort. Es ist aus – aus und vorbei!
Kapitel 1
Nach einer schlaflosen Nacht schleppe ich mich am Morgen ins Bad. Dunkle Ringe umrahmen meine Augen, die restliche Gesichtsfarbe ist fahl.
›Du siehst aus, wie ich mich fühle‹, werfe ich meinem Spiegelbild gedanklich entgegen. Mit einem Seufzer drehe ich den Wasserhahn auf, lasse kaltes Wasser in meine Hände laufen, um es mir ins Gesicht zu schütten. Nach drei Wiederholungen gebe ich den Versuch auf, weniger angeschlagen auszusehen.
Den Montag muss ich irgendwie hinter mich bringen. Eigentlich sollte ich jetzt in Dermots Armen liegen, von ihm mit einem Kuss geweckt und in seine geheimen Pläne für den Tag eingeweiht werden. Stattdessen starte ich den Morgen in meiner Wohnung, in der ich gestern vergessen habe, den Timer für die Heizung wieder anzustellen. Ein Frösteln erinnert mich auf unangenehme Weise daran.
Nachdem ich den Knopf an der Heizungstherme gedrückt habe, kuschel ich mich auf dem Sofa in eine Decke und starre die Wand an. Zum ersten Mal bedauere ich, dass die Vine & Coffee Lounge, in der ich angestellt bin, montags Ruhetag hat. Zu arbeiten wäre jetzt genau das Richtige, um mich abzulenken. Einen Moment lang ziehe ich in Erwägung, den Laden einfach selbstständig für ein paar Stunden zu öffnen und nur Coffee to go anzubieten. Doch ich verwerfe den Gedanken schnell wieder. Lance, der Inhaber der Lounge, bringt mir viel Vertrauen entgegen, das will ich auf keinen Fall aufs Spiel setzen. Schließlich hat mein Herz noch vor gar nicht langer Zeit für ihn geschlagen, auch wenn er die tiefen Gefühle, die ich für ihn hegte, nie erwidert hat. Inzwischen sind wir Freunde und ich komme sogar mit seiner Partnerin Jules sehr gut klar.
Wehmut überkommt mich, als ich daran denke, wie harmonisch die Beziehung zwischen meinem Chef und seiner Freundin verläuft. Eine Harmonie, die ich auch bei Dermot und mir empfunden habe. So lange, bis seine Mutter ins Spiel eingriff …
›Denk nicht schon wieder daran‹, rüge ich mich selbst. ›Du musst darüber hinwegkommen!‹
Leichter gesagt als getan, denn kaum versuche ich an etwas anderes zu denken, drängt sich unsere erste Begegnung in den Vordergrund und schon laufen die Bilder vor meinem geistigen Auge ab.
~ ***** ~
Es war einer dieser Sommertage, an denen die Sonne früh vom Himmel strahlte. Gut gelaunt hatte ich den Morgenbetrieb in der Vine & Coffee Lounge aufgenommen, als einer der typischen Anzugträger das Restaurant betrat. Doch irgendetwas an ihm zog mich in den Bann. Waren es die wachen Augen, die wir eher selten zu so früher Morgenstunde zu sehen bekamen? Oder lag es an den Grübchen, die seine Wangen zierten, als er freundlich lächelnd auf mich zukam? Seine Augen richteten sich auf die Tafel mit den Angeboten der verschiedenen Coffee-to-go-Variationen. Als sich sein Kopf dabei leicht hob, blieb mein Blick an seinem Kinn hängen. Seitlich, leicht unterhalb des Knochens prangte ein weißer Fleck, der wie das Überbleibsel von Rasierschaum aussah.
Wie konnte er das übersehen haben? Eine Frage, die mich sekundenlang beschäftigte. Die Krawatte war zu einem strammen und sehr exakt sitzenden Knoten gebunden. So was schaffte man doch nicht, ohne in den Spiegel zu schauen. ›Nein‹, zuckte ich innerlich zusammen, als mir ein Gedanke kam. Wo war die versteckte Kamera?
Das konnte doch nur eine Probe sein, wie ich darauf reagierte. Wahrscheinlich hatten sich meine Kollegen diesen Scherz ausgedacht, um mich zu testen. Was sollte ich denn jetzt machen? Mitspielen, mich besonders witzig verhalten oder einfach alles ignorieren?
Während ich noch darüber nachdachte und dabei das markante Kinn des Gastes anstarrte, richteten sich seine grün-braunen Augen auf mich. Schlagartig war mein Hirn wie leer gefegt.
»Sie haben da was«, rutschte es mir unbedachterweise heraus, bevor er auch nur ein Wort sagen konnte. Mit dem Finger deutete ich auf die Stelle.
»Oh«, erwiderte er überrascht. Als er anfing, etwas in seiner Tasche zu suchen, reichte ich ihm eine Serviette. »Sie sind sehr aufmerksam, danke«, fügte er hinzu, nachdem er das Tuch entgegengenommen hatte.
Fasziniert beobachtete ich, wie er das Überbleibsel der Morgenrasur entfernte. Danach hob er das Kinn leicht an und drehte den Kopf hin und her. Auf seine Frage, ob ich ansonsten noch einen Makel entdecken konnte, den er beseitigen sollte, bestätigte ich ihm, dass nun alles perfekt war.
Wieder zeigten sich diese faszinierenden Grübchen auf seinen Wangen. Meine Knie wurden angesichts seines Lächelns weich. Was zum Teufel war denn nur mit mir los?
›Reiß dich zusammen‹, rief ich mich selber zur Raison und kniff mir dabei in den Oberschenkel, um meine Gedanken auf etwas anderes zu lenken. Autsch, ein bisschen schwächer hätte es diesen Zweck auch erfüllt!
»Was darf es sein?«, erkundigte ich mich und ergänzte die Frage gedanklich um die Bemerkung, dass ein Kaffee aus Robusta Bohnen sehr gut zu seinem perfekten Erscheinen passen würde.
»Zweimal den Standardkaffee im großen Becher zum Mitnehmen. Einmal mit aufgeschäumter Halbfettmilch, bitte, den anderen schwarz.«
Zwei Becher? Erst jetzt fiel mir die Frau auf, die vor der Lounge auf dem Gehweg stand und eine Zigarette rauchte. War sie etwa seine Freundin? Die beiden passten optisch gut zusammen, das musste ich zugeben.
»Sehr gerne«, erwiderte ich, während ich spürte, wie sich das Lächeln aus meinem Gesicht zurückzog.
Routiniert kümmerte ich mich um die Bestellung. Zeit genug, um mich wieder zu fangen und das Interesse an diesem Mann abzuhaken. Dachte ich zumindest. Kaum trafen sich unsere Blicke, als ich die Becher auf die Ablage stellte, konnte ich meine Augen nicht von ihm abwenden.
»Der mit dem weißen Deckel ist mit Milchschaum«, erklärte ich mit einem zaghaften Lächeln. Na bitte, wenigstens das funktionierte noch.
»Perfekt!«, bedankte er sich mit einem Augenzwinkern. »Dann kann der Arbeitstag ja kommen.«
»Viel Erfolg«, wünschte ich ihm, nachdem ich das Geld entgegengenommen hatte.
Mit einem letzten strahlenden Lächeln nickte er, griff nach den Bechern und verließ den Laden. Fasziniert sah ich ihm nach, beobachtete, wie er eines der Getränke an seine Begleiterin weiterleitete. Zu meiner Überraschung behielt er den Kaffee mit der aufgeschäumten Milch für sich.
»Guter Kaffeegeschmack, interessanter Mann – leider vergeben«, zog ich vor mich hin murmelnd Bilanz, als die beiden sich entfernten.
Erstaunlicherweise betrat er auch an den kommenden Tagen die Lounge, um stets dieselbe Bestellung aufzugeben: einen Kaffee mit Milchschaum für sich selbst, einen schwarzen für seine Begleiterin. Da er immer nahezu zur selben Zeit in den Laden kam, ertappte ich mich am Freitag dabei, gebannt auf die Tür zu starren. Er enttäuschte mich nicht und kam Sekunden später in Sichtweite. Schnell schluckte ich den Bissen eines Schokoladenmuffins hinunter, der ausnahmsweise als Ersatz fürs Frühstück herhalten musste, ehe Mr. Perfekt mit dem üblichen freundlichen Lächeln auf mich zukam. An diesem Tag jedoch verzogen sich seine Mundwinkel zu einem breiten Grinsen, als er mich erblickte.
»Eine tolle Idee, ich mag Frauen mit Humor«, begrüßte er mich.
Verwundert schaute ich ihm entgegen. Meine Mimik musste Bände gesprochen haben, denn seine Belustigung ebbte ein wenig ab. Mit gerunzelter Stirn deutete er auf meine Unterlippe.
»Sie haben da was«, informierte er mich mit denselben Worten, die ich bei unserer ersten Begegnung ebenfalls benutzt hatte. Doch noch immer war ich viel zu sehr von dem Strahlen in seinen Augen abgelenkt, um zu verstehen, was er meinte.
»Moment«, sagte er, als ich mich nicht rührte. Kurzerhand langte er über den Tresen und wischte mir sanft mit dem Zeigefinger einen Krümel von der Lippe. »Jetzt sind Sie wieder perfekt«, fügte er danach augenzwinkernd hinzu.
»Danke«, krächzte ich, noch vollkommen gefangen von der kurzen Berührung. »Das Übliche?«, fragte ich, nachdem ich mich aus meiner Lethargie befreit hatte.
»Ja bitte«, bestätigte er, doch dann hielt er kurz inne, »und etwas von dem Schokoladengebäck.«
»Welches genau?«, hakte ich nach, obwohl ich ahnte, worauf sich seine Bestellung bezog. Erneut erschien dieser gut gelaunte Ausdruck auf seinem Gesicht, mit dem er mich schon begrüßt hatte.
»Das, von dem ein Krümel an Ihrer Lippe ausreicht, um mir den Start in den Tag zu versüßen«, erklärte er grinsend.
Bähm! Ich spürte direkt, wie die Röte auf meine Wangen zog. Wieso reagierte ich so auf ihn? Vor allem aber: Warum musste es schon wieder ein Kerl sein, der offensichtlich vergeben war? Konnte ich mich nicht einmal in einen süßen Typen vergucken, der Interesse zeigte und frei war?
Als ich nach einem der Muffins griff, atmete ich tief durch, damit meine Hand nicht zitterte. Er war nur ein Gast, der heute zu seiner üblichen Kaffeebestellung zusätzlich ein Gebäck mitnehmen wollte. Alles andere war unwichtig, auch wenn mir die Berührung – konnte man das überhaupt so bezeichnen? – gefallen hatte. Noch immer kribbelte meine Haut an der Stelle, an der er mir den Krümel entfernt hatte.
Mit einem Lächeln legte ich die Papiertüte mit dem Muffin auf die Ablage, gleich darauf folgten die obligatorischen Kaffeebecher mit den verschiedenfarbigen Deckeln. Er reichte mir das Geld, griff nach seiner Bestellung und verließ – viel zu schnell für meinen Geschmack – die Lounge. Verträumt sah ich ihm nach. Als er seiner Begleiterin ihren Kaffee gab, fragte ich mich, warum er ihr nicht auch etwas Süßes mitgenommen hatte. Eine Überlegung, die ein Bild in meinem Kopf entstehen ließ, das mir gar nicht gefiel: Die beiden einträchtig an einem gemütlichen Platz, völlig unter sich, an dem sie sich den Muffin teilten. Natürlich fütterte Mr. Perfekt seine Freundin und schaute ihr dabei verliebt in die Augen.
Herrgott, jetzt geht deine Fantasie aber endgültig mit dir durch, regte ich mich innerlich auf.
Zum Glück kam im selben Moment ein neuer Gast in den Laden, sodass ich von meinen Träumereien abgelenkt wurde.
Am Samstag musste ich mit Enttäuschung feststellen, dass es kein Coffee-to-go-Tag für Mr. Perfekt war. Meine Gefühlslage schwankte die gesamte Schicht über zwischen ›ist besser so‹ und ›schade‹. Selbst Alice, die an dem Morgen Dienst mit mir hatte, bemerkte meine häufigen Blicke zur Tür, als es auf 8 Uhr zuging.
»Erwarten wir heute eine Lieferung?«, fragte sie irgendwann, »oder hat Christian Bale seinen Besuch angekündigt?«, fügte sie mit einem Kichern hinzu.
Meine Schwärmerei für den Batman-Darsteller war in der Lounge ein offenes Geheimnis. Es kam öfter vor, dass mich die Kollegen – zumeist liebevoll – damit aufzogen. Daher grinste ich Alice verschmitzt entgegen. Die Ursache für meine Unruhe wollte ich ihr allerdings nicht anvertrauen. Im Grunde gab es ja auch gar nichts zu erzählen, außer, dass wir einen neuen Stammgast hatten, der aber offensichtlich samstags nicht den Weg in die Lounge fand.
Da der Laden von Lance montags seinen Ruhetag hatte, setzte sich das Wartespiel erst am Dienstag fort. Dieses Mal wurde ich nicht enttäuscht. Kaum ging es auf 8 Uhr zu, öffnete sich die Tür und Mr. Perfekt kam herein. Besonders perfekt sah er an diesem Morgen allerdings nicht aus. Das Gesicht war blass, dunkle Ringe umrahmten seine Augen, die dadurch ungewöhnlich klein und glanzlos erschienen. Besorgt schaute ich ihm entgegen, als er die übliche Bestellung aufgab.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte ich, »Sie sehen erschöpft aus.«
»Es war gestern ein langer Tag im Büro«, erwiderte er müde. »Sieht man mir das so deutlich an?«
»Ein wenig«, versuchte ich ihn mit der Untertreibung des Jahres zu beruhigen. »Der Kaffee wird Ihnen beim Munterwerden helfen. Soll ich ihn stärker als gewöhnlich machen?«, bot ich an. Ein Vorschlag, den er mit einem Nicken annahm. Dabei zeigte sich sogar so etwas wie ein zaghaftes Lächeln, das seine ermattete Erscheinung zumindest ein Fünkchen weit aufhellte.
»Ich wünsche Ihnen einen entspannten Tag und hoffe, dass Sie Ihre Arbeit heute pünktlich beenden können«, sagte ich zu ihm, nachdem ich die beiden Coffee-to-go-Becher auf die Ablage gestellt hatte. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob meine Worte bei ihm angekommen waren. Abwesend reichte er mir das Geld, bedankte sich kurz und ging dann zum Ausgang. Obwohl: schlurfen traf es eher. Was zum Teufel machte er nur beruflich, dass ihn ein einziger Tag so ausgelaugt zurücklassen konnte?
Oder war es gar nicht die Arbeit alleine und sie hatte …, ging es mir durch den Kopf, als ich beobachtete, wie er seiner Begleiterin einen der Becher reichte. Mit einem Lächeln nahm sie ihn entgegen. Im Gegensatz zu ihm machte sie dabei einen sehr munteren Eindruck. Erleichtert darüber, dass ich mit meinem Gedanken wahrscheinlich danebenlag, schaute ich den beiden nach, bis sie aus meinem Blickfeld verschwanden.
In den kommenden Tagen war Mr. Perfekt wieder redseliger, was wohl vor allem daran lag, dass er genug geschlafen hatte. Unsere Konversation weitete sich über die Bestellungen hinaus aus, wodurch ich ein paar Details über ihn erfuhr.
»Ich war am Dienstagnachmittag noch einmal hier, um Ihnen zu beweisen, dass ich pünktlich aus dem Büro gekommen bin«, erzählte er am Donnerstagmorgen.
Völlig perplex hielt ich in der Bewegung inne und schaute ihn an. »Wie bitte? … Oh, das ist einer Ihrer Scherze, oder?«, ging ich mit einem breiten Grinsen auf die Bemerkung ein.
»Durchaus nicht«, versicherte er mit hochgezogener Braue. »Ich war hier, aber Sie hatten schon Feierabend. Einer der Mitarbeiter – ich glaube, sein Name ist Lance – sagte, dass sie nicht mehr da seien.«
»Ich arbeite in der Woche immer nur bis 14 Uhr«, erklärte ich ihm daraufhin.
»Das ist nicht sehr lang. Da haben Sie noch viel vom Tag«, kommentierte er.
Nicht sehr lang? Ein Hauch von Entrüstung zeigte sich auf meiner Mimik, als ich über seine Bemerkung nachdachte. Wollte er mich beleidigen?
»Dafür beginne ich auch schon um 6.30 Uhr«, erwiderte ich, »schließlich stehen um 7 Uhr die ersten Leute vor der Tür, die sich ihren Coffee to go besorgen, um in den Arbeitstag zu starten.« Als ich seinen überraschten Gesichtsausdruck sah, konnte ich nicht widerstehen und setzte noch einen drauf. »Nicht jeder hat das Glück, nach 8 Uhr mit der Arbeit beginnen zu können.« Mein Augenzwinkern, welches die letzten Worte begleitete, ließ seine Mundwinkel zucken.
»Touché«, zollte er meiner Argumentation Respekt.
»Sie waren am Dienstag wirklich noch mal hier?«, brachte ich uns zum eigentlichen Thema zurück. Mein Herz klopfte gleich ein bisschen schneller angesichts dieser Erkenntnis. »Warum?«
»Ein spontaner Gedanke«, wiegelte er lächelnd ab, »vermutlich wollte ich nicht, dass Sie sich Sorgen machen.«
»Das war ein netter Zug von Ihnen«, bedankte ich mich. »Dann sind Sie also pünktlich aus dem Büro gekommen und konnten sich ein wenig vom Vortag erholen. Das freut mich.«
»Ja, gleich nachdem das Bankhaus für die Besucher geschlossen wurde, habe ich mich aus dem Büro geschlichen.«
Er arbeitete also in einer Bank, nahm ich die Information interessiert auf. In Gedanken ging ich die Kreditinstitute durch, die sich in der Nähe der Lounge befanden. Das waren nicht gerade wenige.
»Ich hoffe, Ihr Boss hat Sie nicht dabei erwischt«, antwortete ich mit einem Lächeln. »Aber bestimmt weiß er Ihren Einsatz zu schätzen und hat daher nichts dagegen, wenn Sie mal früher gehen.«
»Die Gefahr bestand nicht«, entgegnete er grinsend. »Die Bank gehört seit Generationen meiner Familie und ich bin zufällig der Chef.«
»Oh«, verschlug es mir die Sprache. Heute gab es viele, vor allem aber unerwartete Informationen über ihn – eine interessanter als die andere. Jetzt zog mich nicht nur sein Auftreten magisch an, seine Berufswahl tat es auch. Ein Banker, noch dazu ein Bankhauseigentümer, das klang aufregend. Den Gedanken, dass vor der Lounge seine Freundin auf ihn wartete, verdrängte ich dabei vollkommen.
Zum Glück merkte er mir meine Grübeleien nicht an, denn nebenher erledigte ich routiniert die Zubereitung des Kaffees. Als ich ihn auf der Ablage bereitstellte, reichte er mir zusätzlich zum Geld eine Visitenkarte.
»Falls Sie mal einen Anlagetipp brauchen, rufen Sie mich an«, erklärte er.
Überrascht nickte ich ihm zu, obwohl ich jetzt schon wusste, dass der Tag so schnell nicht kommen würde. Mit meinem Einkommen kam ich gerade so über die Runden, an Geldanlegen war da nicht zu denken. Trotzdem klopfte mir mein Herz bis zum Hals, denn ich hielt seine Karte in den Händen – ein kleines Stück Pappe mit seinem Namen und der Telefonnummer darauf. Momentan gab es nichts Wertvolleres für mich.
Nachdem sich die Ladentür hinter ihm geschlossen hatte, studierte ich neugierig seine Daten: Dermot McBride vom Bankhaus McBride in der 4th Street. Sobald ich zu Hause war, musste ich unbedingt nach ihm googeln. Vielleicht erfuhr ich dann auch etwas über die mysteriöse Begleitung, die immer rauchend vor der Lounge wartete, während er den Kaffee besorgte.
Am Abend, als ich mit dem Tablet auf dem Balkon saß und im Internet nach Informationen über ihn suchte, weiteten sich meine Augen vor Erstaunen. Wow, so wie es aussah, stammte die Familie aus einem alten schottischen Adelsgeschlecht, dessen Stammbaum bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgt werden konnte.
Es ergab sich aber auch Trauriges bei den Recherchen. Dermots Bruder Alister war vor ein paar Jahren beim Freeclimbing tödlich verunglückt und der Vater nur wenige Wochen später an Herzversagen gestorben. Die Berichte waren voll von Spekulationen, dass er den Tod seines ältesten Sohnes nicht überwunden hatte.
Eine Träne lief mir beim Lesen die Wange hinunter, die ich verstohlen wegwischte.
Doch obwohl mich die Tragödie, welche sich vor Jahren in der Familie McBride ereignet hatte, traurig machte, suchte ich weiter. Noch hatte ich nicht genug über Mr. Perfekt herausgefunden.
Ich durchforstete also weiter das Internet nach ihm und fand tatsächlich ein paar Bilder, die ihn in weiblicher Begleitung zeigten. In stetig wechselnder weiblicher Begleitung, wie ich feststellte. Blondinen, rassige Rothaarige und gut aussehende Frauen mit tiefschwarzen Haaren – nur Brünette waren nicht darunter. Mein Magen krampfte sich bei der Erkenntnis zusammen. Ich war überhaupt nicht sein Typ. Schon allein deshalb nicht, weil die Frauen auf den Fotos allesamt gut – und vor allem teuer – gekleidet waren. Der Schmuck, den sie trugen, war bestimmt echt. Außerdem konnte ich bei einigen Designertaschen entdecken.
Das sind nicht deine Kreise, führte ich mir vor Augen, um das Thema abzuschließen. Meine Gedankenwelt schien das jedoch anders zu sehen. Immer wieder schweiften die Überlegungen zu Alltagsthemen in eine bestimmte Richtung ab und landeten zielsicher bei einem Mitglied eines alten schottischen Adelsgeschlechts.
So geht das nicht, beschloss ich schließlich und sprang auf. Ich brauchte Abwechslung – sofort! Ansonsten würden mich die Träumereien von diesem Mann noch wahnsinnig machen.
Kurzerhand griff ich zum Telefon und rief meine Freundin Levina an. Im Gegensatz zu mir lebte sie weiterhin in unserer Heimatstadt. Dort hatte sie sich einen Namen als Konditorin gemacht, die einzigartige Kuchen und Torten, vor allem auf Bestellung, fertigte. Ich beneidete sie um dieses Talent, aber vor allem bewunderte ich sie für ihre stets fröhliche Art. Genau die bewirkte, dass ich nach ein paar Minuten des Gesprächs keinen Gedanken mehr an meine aktuelle Situation verschwendete, sondern zusammen mit Levina über unsere Kindheitserlebnisse lachte.
Als wir das Telefonat nach über zwei Stunden beendet hatten, ging es mir um Meilen besser. Statt über einen bestimmten Mann nachzudenken, drehten sich meine Überlegungen um Levina und den neuesten Klatsch, den sie mir erzählt hatte. Offenbar war in der Kleinstadt Smithville im Süden von Texas inzwischen so einiges los.
Vielleicht hätte ich doch dortbleiben sollen, ging es mir durch den Kopf. Dann wäre ich jetzt vielleicht verheiratet und glücklich, so wie Levina.
»Nein!«, mit einem energischen Kopfschütteln schob ich den Gedanken beiseite. »Nach Moms Tod war es nicht mehr der Ort, den ich geliebt habe«, fügte ich murmelnd hinzu.
Das Bild meiner todkranken Mutter rückte in den Vordergrund. Am Ende war sie nur noch Haut und Knochen, nachdem sich der Krebs durch ihren Körper gefressen hatte. Trotzdem kämpfte sie bis zum Schluss und schärfte mir immer wieder ein, dasselbe zu tun.
›Gib niemals auf, Leenie! Egal was passiert, du musst weitermachen und auf den nächsten positiven Punkt in deinem Leben warten. Er wird kommen, das verspreche ich dir. Vor allem dann, wenn du dir deinen Stolz bewahrst. Alles im Leben ist zu etwas gut, auch wenn du es im ersten Moment nicht so sehen wirst.‹
Diese Worte trug ich im Herzen, seitdem Mom sie mir kurz vor ihrem letzten Atemzug zugeflüstert hatte. Sie waren zu einer Art Mantra geworden, das ich in all den Jahren nach ihrem Tod verinnerlichte. Anders wäre es mir wohl nicht möglich gewesen, eine Enttäuschung nach der anderen zu verdauen.
»Es wird besser sein, wenn ich mit der unsinnigen Schwärmerei für Dermot McBride aufhöre«, nahm ich mir vor. »Er wird sicher nicht der nächste positive Punkt in meinem Leben werden.«
~ ***** ~
»Doch genau das war er für eine Zeit lang«, seufze ich, nachdem ich aus den Erinnerungen hochschrecke und die Decke enger um meinen Körper ziehe. Ich weiß zwar noch nicht, für was diese Erfahrung gut war, aber wenn die Prophezeiung meiner Mom zutrifft, wird mein Leben eine neue positive Wendung nehmen.
›Bewahre dir deinen Stolz, Leenie.‹
Diesen Ratschlag von ihr habe ich jedenfalls verfolgt, als ich Dermot und seiner hochmütigen Mutter den Rücken zukehrte, um mich nicht weiter demütigen zu lassen.
So schnell werde ich keinen Kerl mehr in mein Leben lassen, der Geld wie Heu hat, und dessen Familie sich alleine deswegen oder wegen ihrer Herkunft für etwas Besseres hält. So ein verdammter Standesdünkel! Schrecklich!
»Schuster, bleib bei deinen Leisten«, wiederhole ich einen von Grandmas Lieblingssprüchen. Wie recht sie doch damit hatte. Ich hätte es besser wissen müssen. Aber als sich vor einigen Wochen die Tür in Richtung einer Beziehung mit Dermot McBride öffnete, konnte ich einfach nicht widerstehen. Trotz all der negativen Erfahrungen, die ich schon in meiner Jugend gesammelt hatte …
Kapitel 2
Am Dienstagmorgen auf dem Weg in die Lounge kann ich mich kaum noch daran erinnern, wie ich es geschaffte habe, den Vortag hinter mich zu bringen. Stundenlang habe ich die Wand angestarrt und mich gefragt, warum mich das Glück verlassen hat. Ich war so glücklich in der Beziehung mit Dermot. Solange es nur uns beide gab, hat alles gepasst. Doch dann kam der Zeitpunkt, an dem ich seine Familie kennenlernen sollte.
Du musst damit aufhören, schimpfe ich mit mir selbst. Die Situation verbessert sich nicht, wenn ich etwas nachtrauere, das keine Zukunft hat. Mr. Perfekt hat seinen Namen nicht mehr verdient. Künftig werde ich ihn nur noch Mr. Mollycoddle nennen, denn genau das ist er – nicht perfekt, sondern ein Muttersöhnchen.
Als ich an dem kleinen Zeitungsstand in der Nähe der Lounge vorbeikomme, vernehme ich ein Husten. Oje, das klingt gar nicht gut. Besorgt schaue ich zu dem Lädchen. In dem zugigen Holzverschlag kauert der Betreiber Mike in der Ecke und keucht sich die Lunge aus dem Leib. Auf dem Kopf trägt er die übliche Baseballkappe. Unter dem Schirm glitzern Schweißperlen auf seiner Stirn. Herrgott, er gehört ins Bett.
»Mike, warum kurierst du dich nicht aus? Du holst dir noch eine Lungenentzündung«, frage ich, nachdem ich ihn begrüßt habe.
Matt hebt er die Hand zum Gegengruß und schüttelt – weiter hustend – den Kopf.
»Das kann ich mir nicht leisten, Engelchen«, erklärt er zwischen zwei Anfällen.
Ich sehe ihn mitleidig an und erinnere mich daran, dass er mir vor ein paar Monaten erzählt hat, wie schlecht es mit den Einnahmen aussieht. Eigentlich kann er es sich nicht einmal leisten, am Sonntag geschlossen zu haben. Trotzdem gönnt er sich den einen freien Tag in der Woche.
Siehst du, ihm geht es auch nicht rosig und dennoch lässt er sich nicht unterkriegen, führe ich mir die Situation vor Augen.
»Ich bringe dir gleich eine Kanne mit Kräutertee«, sage ich zu, woraufhin er die Nase rümpft.
»Kräutertee?«, fragt er skeptisch.
»Ja! Den wirst du dann schön in kleinen Schlucken über den Tag verteilt trinken. Wenn du deinem Körper schon keine Ruhe gönnst, dann tu wenigstens das für ihn.«
»Okay«, willigt Mike ein.
Ich lächle, zwinkere ihm zu und mache mich auf den Weg in die Lounge.
Zum Glück bin ich immer früh im Laden, um nicht sofort öffnen zu müssen. Auch heute bleibt genügend Zeit, in aller Ruhe den Kräutertee aufzubrühen. Zudem fällt mir ein altes Hausrezept meiner Grandma gegen Husten ein. Aus dem Keller hole ich eine Flasche Ananassaft, die ich zusätzlich zu der Thermoskanne mit dem Tee einpacke.
»Der Kräutertee wird dich warmhalten und der Saft den Husten bekämpfen. Heute Nachmittag schaue ich noch einmal nach dir«, erläutere ich, nachdem ich Mike die Getränke gereicht habe.
»Danke, Engelchen«, wispert er, bevor ihm der nächste Hustenanfall die Luft zum Sprechen nimmt.
Stirnrunzelnd frage ich mich, ob sich bei dem Gekeuche überhaupt jemand an den Stand trauen wird. Mike gehört wirklich ins Bett! Aber ich weiß, dass ich ihn davon nicht überzeugen werde, egal wie gut meine Argumente auch sind. Also winke ich ihm mit einem mitleidigen Blick kurz zu, bevor ich mich umdrehe. Dabei stoße ich unsanft mit einer Blondine zusammen.
»Passen Sie doch auf!«, keift sie mich an. Demonstrativ reibt sie sich mehrmals über die Stelle an ihrer Jacke, an der wir uns berührt haben.
Was soll das denn? Ich bin doch keine Dreckschleuder, die ihre Kleidung durch eine kleine Berührung ruiniert.
Ihr affektiertes Getue, gepaart mit dem vorwurfsvollen, leicht angewiderten Blick erinnert mich an eine andere Blondine, mit der ich so meine schlechten Erfahrungen gemacht habe.
Auf dem Rückweg zur Lounge kommen die Erinnerungen an unsere erste und einzige Begegnung wieder in mir hoch.
~ ***** ~
Der Freitagmorgen ging schleppend langsam voran. Die Zeiger auf der Uhr schienen umso seltener vorwärtszukriechen, je mehr es auf 8 Uhr zuging. Allen guten Vorsätzen zum Trotz wartete ich natürlich auf ihn. Ich konnte mir noch so oft sagen, dass er vergeben war, ich nicht sein Typ sei und letztlich sowieso nicht in seine Kreise passte – der positiv gestimmte Engel auf meiner Schulter sah das anders. Er verströmte Vorfreude und machte mich dadurch gleichzeitig unruhig.
Es ist schon nach acht, wo zum Teufel bleibt er?, fragte ich mich, nachdem der große Zeiger der Uhr eine neue Runde begonnen hatte. Wieder ging mein Blick zur Tür, aber weit und breit war nichts von meinem Lieblingsbanker zu entdecken. Mist!
Es dauerte weitere fünf Minuten, bis sich die Tür öffnete und mir beim Anblick der Person, die hereinkam, der Unterkiefer herunterklappte. Mit energischen Schritten, die lautstark auf dem Boden der Lounge widerhallten, kam die Blondine auf mich zu – ohne ihn.
Ein Schwall Zigarettenrauch zog mir in die Nase, als sie vor dem Tresen stehen blieb. Unwillkürlich atmete ich flacher. Igitt, wie ekelig, wenn sich alter Rauch aus den Klamotten mit dem Dunst der letzten Züge vermischte. Wie hielt Dermot McBride es nur in ihrer Gegenwart aus? Oder musste sie deshalb immer vor dem Laden auf ihn warten, damit er mal durchatmen konnte?
»Was darf es sein?«, fragte ich mit einem aufgesetzten Lächeln, während ich mir am liebsten frische Luft zugefächelt hätte. Diese Art von Rauchfleisch sagte mir eindeutig nicht zu.
»Kaffee, stark, schwarz, zum Mitnehmen«, entgegnete die Blondine. Nachdem sie einen Blick auf die Größe der Becher geworfen hatte, die wir anboten, fügte sie »einen mittleren Becher« hinzu.
»Möchten Sie eine bestimmte Sorte?«
»Nein, aber es schadet nicht, wenn es schnell geht«, trug sie mir auf. »Ich habe es eilig.« Demonstrativ schob sie den Ärmel ihres Wollmantels hoch und schaute auf die goldene Uhr an ihrem Handgelenk.
Immer noch völlig perplex wegen ihrer unverschämten Bemerkung beobachtete ich den Vorgang regungslos.
›Es schadet nicht, wenn es schnell geht!‹ So einen Satz würde ich niemals aussprechen! Hatte sie denn gar keine Manieren? Was fand Dermot McBride bloß an ihr und wo war er überhaupt? Wie konnte er zulassen, dass diese Frau mir den Morgen verdarb?
Jetzt reiß dich mal zusammen, schalt ich mich selbst. Dafür ist er nun wirklich nicht verantwortlich.
»Was starren Sie mich denn so an?«, giftete die Blondine indes los und riss mich damit aus meiner Untätigkeit. »Haben Sie nicht verstanden, dass ich es eilig habe? Wie lange dauert das denn hier, bis man bedient wird?«
»Entschuldigung«, murmelte ich zerknirscht. Auch wenn sie unfreundlich war, hatte sie recht, ich hätte längst mit der Zubereitung anfangen können. So zügig wie möglich, bediente ich den Vollautomaten, sodass keine zwei Minuten später der Kaffeebecher auf der Ablage zwischen uns stand.
»Bitte sehr«, sagte ich freundlich und nannte dazu den Preis.
»Hier«, entgegnete sie. Das Geld – passend abgezählt – landete auf der Ablage. Im nächsten Moment ergriffen ihre manikürten Finger den Becher. Wieder klapperten ihre Schuhe aufgrund ihres energischen Stechschrittes laut auf dem Boden, dann fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.
Erleichtert atmete ich auf. Schnepfe! Gleichzeitig fragte ich mich, warum ein netter, aufmerksamer Mann wie Dermot McBride so eine Frau als Freundin wählen konnte. Ihre Gegenwart war ja kaum auszuhalten, noch dazu die Rauchschwaden aus Zigarettenqualm, die sie mit sich zog. Kopfschüttelnd stellte ich den Geschmack des Bankers infrage.
~ ***** ~
Scheint so, als hätte ich in der Situation schon tief in meinem Inneren geahnt, dass er nicht der Richtige für mich ist. Ich sollte vielmehr auf meine kluge Bauchstimme hören, wird mir klar, als ich die Hintertür der Lounge das zweite Mal an diesem Morgen aufschließe.
Mit routinierten Abläufen versuche ich auf andere Gedanken zu kommen. Habe ich mich nicht genau danach am gestrigen Tag gesehnt? Zu arbeiten, um dem Hamsterrad zu entfliehen. Die Erinnerungen an eine glückliche Zeit mit Mr. Perfekt verwischen, damit ich in mein altes Leben zurückkehren kann. Zugegeben, es ist ein eintöniges Leben gewesen, aber es war selbstbestimmt. Etwas, das Mrs. McBride unbedingt ändern wollte, kaum dass sie mich erblickt hatte.
›Meine Mutter wird dich in mein Herz schließen.‹ Die Erinnerung an Dermots Worte lässt mich den Kopf schütteln. Jetzt, im Nachhinein, frage ich mich, ob er das wirklich geglaubt hat oder es nur ein Wunschgedanke war.
Ich habe keine Antwort darauf. Nur eines weiß ich ganz genau: Ich habe es mir gewünscht und bin innerhalb eines Tages knallhart in der Realität aufgeschlagen. Keine freundliche, mich ins Herz schließende Mrs. McBride, stattdessen ein mir in den Rücken fallender Mr. Mollycoddle.
Muttersöhnchen, Muttersöhnchen, Muttersöhnchen! Mit der Bezeichnung will ich die Tränen aufhalten, die in mir aufsteigen, aber es hilft nichts. Die Enttäuschung tut immer noch so weh.
Die Kaffeebohnen, die ich in den Vollautomaten fülle, verschwimmen vor meinen Augen, als hinter mir eine Stimme erklingt.
»Hey, du bist ja schon da. Wie war das richtungsweisende Wochenende mit deinem Banker?« Die Stimme von Alice klingt erstaunlich fröhlich für diese Uhrzeit. Wie macht sie das bloß, dass ihre Laune immer so gut ist?
Nachdem ich mir einmal kurz mit dem Ärmel durchs Gesicht gewischt habe, drehe ich mich mit einem verkrampften Lächeln zu ihr um.
»Richtungsweisend?«, schniefe ich. Verdammt, es soll doch niemand so schnell erfahren, dass ich mich von Dermot getrennt habe, und schon gar nicht, warum.
»Damn, was ist passiert? Du siehst alles andere als glücklich aus.« Ohne meine Antwort abzuwarten, nimmt sie mich in den Arm und hält mich einfach nur fest. Ihre linke Hand liegt fest um meine Taille, während die rechte beruhigend über den Rücken streicht.
Das ist zu viel, ich kann die Tränen nicht mehr zurückhalten und fange hemmungslos an zu weinen. Seitdem ich das Anwesen der McBrides verlassen habe, hing der Kloß bleischwer in meinem Magen. Dennoch habe ich der Tränenflut immer wieder Einhalt geboten, wollte unbedingt stark sein, mich nicht von der Trauer überwältigen lassen. Doch jetzt, hier, eingehüllt in die Arme von Alice, bricht der Damm. Eine Lawine aus Enttäuschung und Schmerz ergießt sich mit den Tränen aus mir, sodass ich mich an meiner Kollegin festklammere, um Halt zu finden.
»Komm, wir setzen uns und dann erzählst du mir, was los ist«, raunt Alice mir ins Ohr, nachdem ich mich etwas beruhigt habe.
»Das geht doch nicht, wir müssen den Laden aufmachen«, protestiere ich halbherzig.
»Unwichtig«, kommentiert sie meinen Einwand. »Die Gäste können auch einen Moment warten.« Sie reicht mir eine Serviette und bugsiert mich zu einem der Tische. Geduldig wartet sie ab, bis ich mir die Nase geputzt und die Tränenspuren weggewischt habe. Als ich stockend anfange, von meinem Besuch bei Dermots Familie zu berichten, ergreift sie meine Hand, die sie während der gesamten Erzählung nicht mehr loslässt.
»Als sie dann auch noch anfing, einen Plan zu entwickeln, wie ich ein Studium nachholen könne – deren Ausrichtung sie natürlich bestimmen würde – habe ich es nicht mehr ausgehalten«, beende ich den Abriss der Ereignisse.
»Hat er denn gar nicht versucht, die ungeheuerlichen Einmischungen seiner Mutter aufzuhalten?«, empört Alice sich.
Die Frage öffnet den Tränen erneut die Tür, sodass ich lediglich mit einem Kopfschütteln antworte. Die Erkenntnis, es könnte Dermot mehr als recht gewesen sein, dass seine Mutter mich in die Spur bringen wollte, lässt mich erzittern. Sicher war ihm während unserer gesamten Beziehung bewusst, dass ich in den Augen seiner Familie nicht gut genug bin. Aber warum hat er sich dann überhaupt erst mit mir eingelassen?
Ein Klopfen an der Eingangstür ist zu hören, das mich zusammenzucken lässt.
»Alice, wir bekommen Ärger, wenn wir jetzt nicht öffnen«, gebe ich zu bedenken. »Lass uns anfangen, bevor noch jemand sauer wird, weil wir hier herumsitzen und ihn ignorieren.«
»Wirst du es schaffen?«, fragt sie besorgt. Als ich vage nicke, streicht sie mir übers Haar. »Okay. Geh du zum Waschraum und mach dich frisch, ich schließe die Tür auf. Aber wenn es nicht mehr geht, sagst du mir sofort Bescheid.«
»Ja«, willige ich ein, obwohl ich fest entschlossen bin, es nicht so weit kommen zu lassen. Ich bin doch hier, um mich abzulenken. Verdammt noch mal, verschwinde aus meinem Kopf, Dermot McBride!
Als es auf 8 Uhr zugeht, werde ich nervös. Was ist, wenn er in die Lounge kommt, um sich seinen üblichen Kaffee zu holen? Schaffe ich das? Kann ich ihm in die Augen sehen, ohne vom Schmerz zerfressen zu werden? Meine Hände fangen bei dem Gedanken daran, an zu zittern.
Alice, der meine aufkommende Unruhe nicht entgangen ist, legt von hinten die Hände an meine Schultern.
»Wenn er es wagt, hierherzukommen, gehst du einfach nach hinten. Ich werde dem Herzensbrecher schon klarmachen, dass er in deinem Leben und damit auch hier in der Lounge eine Persona non grata ist. Der kann sich seinen Kaffee künftig woanders holen.«
Meinen Protest erstickt sie schon im Ansatz mit einer Handbewegung. Erstaunt blicke ich auf das kampfeslustige Glitzern in ihren Augen. Ich glaube, sie freut sich regelrecht auf die Konfrontation. Da mir die Energie fehlt, sie davon abzuhalten, nicke ich nur.
Ein paar Minuten später tritt der Worst Case tatsächlich ein. Dermot betritt die Lounge und kommt mit energischen Schritten auf mich zu. Seine Miene strahlt Missbilligung aus. Ist er etwa wütend auf mich? Sein Blick ist so intensiv, dass ich mich nicht davon losreißen kann.
Kurz bevor er den Tresen erreicht, schiebt Alice mich in Richtung der Tür zum hinteren Bereich.
»Geh!«, zischt sie mir zu, ehe sie die Hände in die Hüften stemmt. Ich kann ihre Feindseligkeit regelrecht spüren. Fast tut mir Dermot ein wenig leid, weil er gleich die volle Breitseite abbekommen wird. Alice ist eine von den Personen, die kein Blatt vor den Mund nehmen. Zum ersten Mal bin ich unendlich dankbar dafür, sie auf meiner Seite zu wissen. Nach einem letzten Blick auf meinen Ex trete ich den Rückzug in die privaten Räume des Ladens an.
»Charlene, bleib verdammt noch mal hier!«, ruft er mir hinterher.
Einen Moment lang bin ich gewillt, mich doch mit ihm auseinanderzusetzen, aber das aufgebrachte Schnauben meiner Kollegin hält mich davon ab. Als ich die Tür vom Flur hinter mir schließe, dringt nur noch ein gedämpftes Stimmengewirr an mein Ohr. Erleichtert atme ich auf. Alice wird das schon schaffen!
Kurz lege ich mein Ohr an die Tür, um zu lauschen.