Vom Glauben abgefallen - Hannah Bethke - E-Book

Vom Glauben abgefallen E-Book

Hannah Bethke

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Beschreibung

Für eine mutige evangelische Kirche

»Hannah Bethkes kluges Plädoyer geht nicht nur Protestanten etwas an: Unsere Demokratie braucht eine Kirche, die sich selbst ernst nimmt.« Robin Alexander

»Predigten, die mit Jesus am Frühstückstisch enden oder beginnen, weil man sich bürger- und lebensnah geben will, haben mit ernsthafter Religiosität nichts zu tun. Sie sind eine Verballhornung jener so notwendigen Transzendenz, an der es der entkirchlichten Gesellschaft mangelt.«

Die evangelische Kirche in Deutschland befindet sich in einer tiefen Krise – und kaum jemanden scheint es zu kümmern. Dabei ist der Zustand der Kirche ein Spiegel der Gesellschaft. Anstatt zu zeigen, was der christliche Glaube in einer stark säkularisierten Gesellschaft heute noch bedeuten kann, politisiert die Kirche sich und läuft einem Zeitgeist hinterher, der Andersdenkende ausschließt. Gleichzeitig trägt sie durch eine Banalisierung ihrer Theologie selbst dazu bei, als Institution nicht mehr ernst genommen zu werden. Das ist umso dramatischer, als der eklatante Bedeutungsverlust der Kirche in eine Zeit tiefer Umbrüche fällt. Gerade jetzt müsste die Kirche beweisen, wie sie den Menschen Halt und Orientierung geben kann und wo sie als ethisches Korrektiv der Gesellschaft unentbehrlich ist. Dieses Buch ist ein Plädoyer für eine mutige evangelische Kirche, die ihren Glauben lebt – und für modernen Konservatismus in einer offenen Gesellschaft.

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Seitenzahl: 234

Veröffentlichungsjahr: 2025

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»Predigten, die mit Jesus am Frühstückstisch enden oder beginnen, weil man sich bürger- und lebensnah geben will, haben mit ernsthafter Religiosität nichts zu tun. Sie sind eine Verballhornung jener so notwendigen Transzendenz, an der es der entkirchlichten Gesellschaft mangelt.«

Die evangelische Kirche in Deutschland befindet sich in einer tiefen Krise – und kaum jemanden scheint es zu kümmern. Dabei ist der Zustand der Kirche ein Spiegel der Gesellschaft. Anstatt zu zeigen, was der christliche Glaube in einer stark säkularisierten Gesellschaft heute noch bedeuten kann, politisiert die Kirche sich und läuft einem Zeitgeist hinterher, der Andersdenkende ausschließt. Gleichzeitig trägt sie durch eine Banalisierung ihrer Theologie selbst dazu bei, als Institution nicht mehr ernst genommen zu werden. Das ist umso dramatischer, als der eklatante Bedeutungsverlust der Kirche in eine Zeit tiefer Umbrüche fällt. Gerade jetzt müsste die Kirche beweisen, wie sie den Menschen Halt und Orientierung geben kann und wo sie als ethisches Korrektiv der Gesellschaft unentbehrlich ist. Dieses Buch ist ein Plädoyer für eine mutige evangelische Kirche, die ihren Glauben lebt – und für modernen Konservatismus in einer offenen Gesellschaft.

HANNAH BETHKE

Vom Glauben abgefallen

Eine Antwort auf die Krise der evangelischen Kirche

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in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

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(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)

Umschlaggestaltung: zero-media.net, München

Umschlagmotiv: © FinePic®, München

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN978-3-641-32227-4V002

www.koesel.de

Inhalt

Einleitung

I. DASENDEDERKIRCHE

Die Lage – Mitgliederschwund, Bedeutungsverlust, Entkirchlichung

Kirchenaustritte und finanzielle Situation

Was die Mitglieder denken – und wie die Kirche darauf reagiert

Sexueller Missbrauch in der evangelischen Kirche

Kirche im Mainstream – Politisierung, Diversifizierung, Moralisierung

Was Kirche und Politik trennt

Die eindimensionale Kirche

Evangelischer Aktivismus

Die Banalisierung der Theologie

Glaube in einer religionslosen Zeit

Kirche ohne Sonntagsgottesdienst

Kirche im Radio

II. SÄKULAREENTGRENZUNG –DIEFLUIDEGESELLSCHAFT

Flexibilität statt Stabilität: Wie herkömmliche Strukturen sich auflösen

Die Entwertung der Gemeinschaft

Protestantische Arbeitsethik im Wandel

Das Erbe der Religionskritik

Die neuen Götzen der atheistischen Gesellschaft

Klima-Religion und Ökologisierung der Theologie

Kirche und Rechtsextremismus

Ideologie der Gleichheit

Warum Institutionen entlasten

Die Rehabilitierung der Moral

Das Prinzip der Entlastung

In der Glaubenskrise offenbart sich eine Bildungskrise

III. GLAUBEUNDDIEVERACHTUNGDESKONSERVATISMUS

Im Zangengriff zwischen links und rechts

Konservative Werte – eine Erinnerung

Kirchliche Grenzgänge: Schwangerschaftsabbruch, Organspenden, Sterbehilfe

Ignoranz ist keine christliche Tugend

Die andere Kirche: Das Aufbegehren der Wenigen

Die Zerstörung der Transzendenz

Protestanten in der Krise – Kritik und Neuanfang

Sinnstiftung in Zeiten der Not

Die Omnipotenz des Ichs und die falsch verstandene Freiheit

Narzissmus als Ersatzreligion

Der evangelische Schuldkomplex

Glaube in Freiheit

Schluss: Wege zu einer starken Kirche

Dank

Anmerkungen

Einleitung

Die Kirche in Deutschland ist am Ende. Auf die unzähligen Missbrauchsskandale folgten Kirchenaustritte in dramatischer Höhe, im säkularen Zeitalter spielt der Glaube keine übergeordnete Rolle mehr, das Bedürfnis nach einem gemeinsamen religiösen Bekenntnis schwindet. Es gibt kaum noch ein Interesse an Religion, geschweige denn an kirchlicher Praxis, solange sie nicht mit einem Skandal oder einer politischen Debatte verknüpft ist. Die Kritik an den Verfehlungen der katholischen Kirche reißt nicht ab und richtet doch nur wenig aus. Bei der evangelischen Kirche, um die es in diesem Buch geht, liegen die Dinge etwas anders – obwohl es auch hier sehr viele Missbrauchsfälle gab, deren systematische Aufarbeitung gerade erst begonnen hat. Im gesellschaftlichen Bewusstsein aber ist die evangelische Kirche vor allem eines: bedeutungslos. Dabei hat sie selbst zu ihrer Bedeutungslosigkeit beigetragen.

Man kann sogar sagen: Die evangelische Kirche macht in ihrer gegenwärtigen Verfasstheit so ziemlich alles falsch, was man falsch machen kann. Sie setzt auf weichgespülte Alltagspredigten, wo theologische Tiefe angebracht wäre. Sie politisiert und diversifiziert sich, anstatt ihr christliches Profil zu schärfen. Sie wirbt in den Gemeinden nicht aktiv um neue Mitglieder, sondern begnügt sich mit den wenigen Schäfchen, die ihr die Treue halten. Der Reformbedarf ist groß, und die seichten Ansprachen der Kirchenamtsträger überschreiten in vielen Fällen die Grenze des Erträglichen.

Das alles ändert aber nichts an ihrer gesellschaftlichen Relevanz. Die Kirche ist eine Institution, die Schutz bietet. Sie stiftet Gemeinschaft unter den Gläubigen und ist der vielleicht letzte Ort, an dem eine gemeinsame Einkehr, Besinnung und Unterbrechung des schnelllebigen Alltags möglich sind. Der Glaube steht heute unter Verdacht. Dabei kann er Menschen in Not Halt und ihrem Leben Sinn geben.

Kirche kann im säkularen Zeitalter immer nur ein Möglichkeitsraum sein. Sie verpflichtet niemanden, sie bietet einen Ort, an dem man bleiben und den man wieder verlassen kann. Im besten Sinne lässt die Kirche niemanden allein. Sie ist eine Institution, die erhalten werden muss, selbst wenn sie das Alltagsleben der meisten Menschen nicht mehr unmittelbar prägt und strukturiert.

Institutionen haben eine entlastende Funktion. Sie stabilisieren das Regelsystem einer Gesellschaft und bieten Orientierung. Die gegenwärtige Krisenlage hat eine wachsende Feindschaft gegen Institutionen hervorgebracht. Staat, Kirche, Bildung, all das, was als »Establishment« firmiert, steht unter Verdacht. Dazu gehören Hetze gegen die Presse, Leugnung von Fakten, Infragestellung der Wissenschaft. Das sind Angriffe gegen die Grundwerte der Demokratie. Gerade deswegen ist die Demokratie auf starke Institutionen angewiesen. Für die Kirche bedeutet das, ihren Mut zur Eigenart wiederzufinden, den Unterschied zu leben, den sie in einer Gesellschaft zwangsläufig markiert, die mit Glauben und Kirche immer weniger anfangen kann.

Die Kirche muss sich unterscheiden und abheben wollen – also gerade nicht das praktizieren, was vor allem in offiziellen Verlautbarungen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zu vernehmen ist: eine Anpassung an den gesellschaftspolitischen Zeitgeist. Das betrifft etwa den Klimaaktivismus, linke Identitätspolitik und eine Selbstsäkularisierung, die das christliche Profil verwässert. Notwendig ist nicht eine weitere Politisierung der Kirche, sondern eine Theologisierung, die sich wieder stärker auf ihre Kernaufgabe konzentriert. Sie liegt in der Vermittlung der christlichen Botschaft und nicht in der Banalisierung der Theologie.

Bestes Beispiel für eine solche Banalisierung sind gewollt »alltagsnahe« Predigten. Sie beginnen mit privaten Anekdoten aus der Familie, beliebigen Alltagserlebnissen und spontanen Assoziationen, um daraus ein vermeintlich anschauliches Beispiel für Nächstenliebe und Dankbarkeit abzuleiten oder am besten gleich den Weg zu Jesus zu ebnen, obwohl seine Botschaft sich gar nicht auf solche Belanglosigkeiten bezieht. Mit der Tiefe der biblischen Geschichte jedenfalls haben all die Bemühungen, die christliche Lehre grob zu vereinfachen und sie inhaltlich auszuhöhlen, sehr wenig zu tun. Interessanterweise führt die ängstliche Anpassung an den Zeitgeist auch nicht zum gewünschten Erfolg. Denn gesellschaftlich werden solche Predigten und kirchlichen Ansprachen jenseits der noch aktiven Kirchenmitglieder nicht ernst genommen. Auf diese Weise ist die evangelische Kirche auf dem besten Weg, sich selbst überflüssig zu machen.

Das vorliegende Buch ist eine Kritik an der Entfremdung zwischen Kirche und Gesellschaft. Wo die Kirche in Auflösung begriffen und als Institution gefährdet ist, bricht in der Gesellschaft eine weitere Instanz weg, die den Menschen eine Werteorientierung bietet und in Krisenzeiten für Stabilität und Verlässlichkeit sorgt. Das wiegt umso schwerer, als wir in einer Zeit tiefgreifender Umbrüche leben und die Demokratie in Deutschland mitunter scharfen Anfeindungen ausgesetzt ist, während immer mehr Bürger das Vertrauen in die Verlässlichkeit demokratischer Institutionen verlieren.

Gerade jetzt braucht die Gesellschaft starke Institutionen – und eine starke, selbstbewusste Kirche. Aus dieser Überzeugung, aus meinem eigenen Glauben und meinen inneren Konflikten mit den Fehlern der Kirche speist sich das Erkenntnisinteresse, das dieses Buch leitet.

Glaubensfragen sind subjektiv. Deshalb beschreibe ich das Wirken der evangelischen Kirche aus meinem subjektiven Erleben. Ich bin keine Theologin und nehme keine Ämter in der Kirche wahr. Doch ich bin gläubige Protestantin und habe wie viele andere evangelische Christen Erwartungen an die Kirche, die ich in deren jetziger Ausprägung nur selten erfüllt sehe. Ich bin selbst in einem theologischen Umfeld aufgewachsen. Mein Vater war Pastor, meine Mutter Religionslehrerin. Diese Sozialisation beeinflusst meinen Blick auf die Kirche natürlich und macht ihn vielleicht strenger, als das bei anderen Außenstehenden der Fall wäre. Und doch steht für mich außer Frage, Mitglied der evangelischen Kirche zu bleiben, weil ich die Kirche für eine unersetzbare Institution halte, die, wie der Philosoph Hermann Lübbe einmal über die Religion gesagt hat, »Funktionen von fortschrittsindifferenter Nötigkeit« erfüllt.1 Das heißt: Unabhängig von allem materiellen Fortschritt und den Segnungen der Modernisierung ist der Mensch bedürftig. Es braucht nach meiner festen Überzeugung einen Ort des Glaubens, den das Individuum allein nicht erschaffen kann.

Mein eigener Glaube ist säkularisiert. Das bedeutet für mich zunächst einmal: Ich stehe in der Tradition der Aufklärung und erschließe mir von hier aus Räume der Transzendenz. Sie sind gefüllt durch den Glauben an Jesus Christus, den ich so übersetzen könnte: Es gibt etwas, das höher ist als wir selbst. Der Mensch ist endlich, gebrochen, fehlbar und doch von Gott geborgen. Von einer so verstandenen Demut gehe ich aus, wenn ich als Christin spreche. Ich gebe mein Leben in Gottes Hand und vertraue auf seine Wege. Das bedeutet nicht, sich der individuellen Verantwortung zu entziehen. Es geht darum, das Leben wie den Tod in seiner Gegebenheit zu akzeptieren und mit Gottvertrauen nach dem Guten zu streben.

Gläubig zu sein setzt nicht notwendig voraus, im wörtlichen Sinne an Wunder wie die »leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel« zu glauben, wie eines der Dogmen der katholischen Kirche lautet. Es ist in seiner Ignoranz gegenüber der Realität einer modernen, säkularisierten Gesellschaft symptomatisch für die katholische Antiquiertheit. Die evangelische Kirche dagegen hat ihre Modernisierung so weit getrieben, dass von ihrer Dogmatik unvermittelt kaum noch etwas zu erkennen ist. Beides weist in die falsche Richtung. Meine Kritik an einer fehlenden Sichtbarkeit des Glaubens in der Kirche zielt also nicht ins andere Extrem, wo die Beharrungskräfte eines antimodernen, katholischen Dogmatismus wirken. Die evangelische Kirche steht für gesellschaftlichen Fortschritt, Gleichberechtigung der Geschlechter, Demokratie. Hinter diese Entwicklung darf sie nicht zurückfallen. Das entbindet sie gleichwohl nicht von der Pflicht, ihren Glauben zu zeigen, zu praktizieren und am Leben zu erhalten. Die Kirche muss transzendentale Erfahrung ermöglichen und ihre eigene Religion ernst nehmen. Predigten, die mit Jesus am Frühstückstisch enden oder beginnen, weil man sich bürger- und lebensnah geben will, haben mit ernsthafter Religiosität nichts zu tun. Sie sind eine Verballhornung jener so notwendigen Transzendenz, an der es der entkirchlichten Gesellschaft mangelt. Der Glaube braucht Tiefe. Nur so können die Menschen aus ihm Hoffnung schöpfen. Der Glaube kann uns Orientierung geben und klare Werte vermitteln. Er schafft ein Bewusstsein sowohl über ethische Grenzen als auch über die Begrenztheit unseres Lebens und Wirkens. Die Kirche ist ihrem Wesen nach Hüterin und Vermittlerin des Glaubens. Als eine Institution der Gemeinschaft entlastet die Kirche den Einzelnen von der Notwendigkeit, alle Fragen des Glaubens, seine Sorgen, Zweifel, Ängste und Hoffnungen mit sich allein auszumachen. Wo das gelingt, vermittelt Kirche die positive Kraft der Religion.

Dieses Buch versteht sich als kritische Analyse der Gesellschaft und ist keine theologische oder kirchengeschichtliche Abhandlung. Es erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und verfolgt nicht den Zweck, innerkirchliche Diskurse aufzuarbeiten. Ich beschreibe vielmehr das, was sich mir als theologisch interessiertem Mitglied der Kirche zeigt. Das Bild der Kirche, das sich mir vermittelt, kontrastiere ich mit ausgewählter Literatur aus Theologie, Philosophie und Psychologie. Was ich auf den folgenden Seiten beschreibe, sind also Ausschnitte, Szenen und Schlaglichter auf die Kirche. Sie weisen in ihrer Unterschiedlichkeit jedoch eine gemeinsame Symptomatik auf, die zugleich Ursache und Folge der tiefen Krise ist, in der sich die Kirche gerade befindet. Um das zu erkennen, bedarf es nicht nur theologischer Expertise und Einblicke in die inneren Strukturen der Kirche. Die Kirche ist ebenso auf ihre Mitglieder angewiesen und muss ein Interesse daran haben, zu erfahren, wie sie auf die Kirche schauen und woraus ihre Unzufriedenheit resultiert.

Das Buch richtet sich deshalb nicht in erster Linie an Experten, sondern an alle, denen die Kirche noch etwas sagt oder die nach ihrer Bedeutung fragen – an die aktiven Kirchenbesucher, die sich über ihre Kirche ärgern oder freuen; an die vielen, die noch Mitglieder sind, dem Gemeindeleben und Gottesdiensten aber schon lange fernbleiben; an jene, die schon ausgetreten sind; und an solche, die die Kirche für überflüssig halten.

So fern die Kirche den Menschen heute ist, so verbunden bleibt sie der Gesellschaft als eine ihrer wichtigsten Ausdrucksformen. Wo die Kirche nicht mehr am Leben teilhat, sagt das etwas aus über das Ausmaß der Säkularisierung und veränderte gesellschaftliche Bedürfnisse. Desgleichen spiegelt sich darin eine Bedeutungsverlagerung in Form von Ersatzreligionen, Ideologien und der Moralisierung von Lebensweisen. Wenn die Kirche jedoch fehlgeht, grenzt sich die Gesellschaft von ihr ab und fordert von ihr Rechenschaft ein. So fortgeschritten die Gotteskrise der säkularisierten Gesellschaft ist, die Kirche weckt noch immer Erwartungen und mitunter Empörung, wenn sie von der ihr zugeschriebenen Verhaltensnorm abweicht. Die Kirche ist kein Gefüge, das autonom existiert. Sie ist ein Schlüssel zum Selbstverständnis der Gesellschaft, in deren Entwicklung sie eingeflochten ist.

Der große protestantische Theologe Karl Barth fragte in einer Predigt von 1935: »[…] ist es nicht so, dass die Kirche der Ort ist, wo gleichsam ein Spiegel aufgestellt ist, in dem die Welt sich selber erkennt?«2 In der Interdependenz zwischen Kirche und Welt sehen sich die Überlegungen dieses Buches. Die Kirche als Spiegel der Welt ist das Leitmotiv der folgenden Kapitel, und alle nähern sich dem Thema in unterschiedlichen Konfigurationen. Das bedeutet, die Kirche nicht nur dort in den Blick zu nehmen, wo es um offizielle Verlautbarungen und oftmals negative Schlagzeilen in den Medien geht. Die Kirche wirkt und lebt durch ihre Gemeinden, durch persönliche Begegnungen und Gottesdienste. Und sie vermittelt ihre Botschaften ebenso in digitaler Form. Um die Verfasstheit der Kirche in der konkreten Begegnung abzubilden, schildere ich Szenen aus Gottesdiensten, Gesprächen und digitaler Kommunikation, die mir im Laufe meiner Recherchen besonders aufgefallen sind.

Der erste Teil liefert eine Bestandsaufnahme zur Lage der Kirche. Die empirischen Daten deuten darauf hin, dass die Kirche an ein Ende gelangen wird, wenn sie den anhaltenden Mitgliederschwund und das stark nachlassende Interesse an ihrer Institution nicht stoppen kann. Die Ursachen für ihren Bedeutungsverlust sind nicht nur in der fortschreitenden Säkularisierung zu sehen, sondern auch in ihrem politischen Opportunismus, der sie konturenlos macht. Mit ihrer radikalen Politisierung und Moralisierung etwa auf dem Feld des Klimaschutzes und der Migrationspolitik läuft die Kirche einem Zeitgeist hinterher, der sie als Glaubensort immer unkenntlicher macht. Umso mehr stellt sich die Frage, welche Bedeutung der Glaube heute noch haben kann und was die Kirche hier anbietet.

Im zweiten Teil geht es um die Lage der Gesellschaft. Der Prozess der Entkirchlichung trifft auf eine gesellschaftliche Entgrenzung, die in positivem Sinne für mehr Beweglichkeit und Vielfalt sorgt, doch in der negativen Umkehr die Menschen auf sich selbst zurückwirft und sie allein lässt. Die fluide Gesellschaft löst herkömmliche Strukturen auf, indem sie Flexibilität an die Stelle von Stabilität setzt. Diese Transformation erfährt heute durch die Digitalisierung eine zusätzliche Beschleunigung. Die sozialen Medien bieten eine Bühne, auf welcher der neuzeitliche Narzissmus als Ersatzreligion gedeihen kann. Inmitten der extremen Individualisierung haben es traditionelle Institutionen wie die Kirche immer schwerer, sich gesellschaftlich zu verankern.

Die Entfremdung von der Kirche hinterlässt ferner eine moralische Leerstelle, die nun anderweitig gefüllt wird. Da gibt es auf der einen Seite die grüne Moralisierung, die den Klima- und Umweltschutz als eine Art Erziehungsanstalt begreift – und viele Bürger damit gegen sich aufbringt. Und auf der anderen Seite geht die Verachtung der Moralisierung so weit, dass der Sinn von Moral grundsätzlich infrage gestellt wird. Wenn man heutzutage sagt, jemand sei moralisch oder vertrete eine Moral, ist das in den seltensten Fällen positiv gemeint. Es ist kein Zufall, dass der Argwohn in einer Zeit entsteht, in der die Kirche für die meisten keine moralische Autorität mehr darstellt.

Eine Folge der säkularen Entgrenzung ist darüber hinaus, dass Religion ortlos wird. Wenn sie nur noch Sache des Einzelnen ist, erhält sie einen anderen Charakter – sie wird unsichtbar. Wer die Kirche für überflüssig erklärt, degradiert den Glauben zu einer Angelegenheit, die man mit sich allein ausmachen muss. Das blendet die notwendige Gemeinschaftsbezogenheit der Gläubigen aus. Überforderung, Fragmentierung und Vereinzelung gehören zu den Wesenszügen einer Gesellschaft, deren Institutionen gefährdet sind. Die Kirche als Möglichkeitsraum könnte hier Abhilfe schaffen. Gleichzeitig ist die Glaubenskrise eine Folge der tiefen Bildungskrise, die weite Teile der Gesellschaft erfasst hat. Die Gleichgültigkeit gegenüber der Kirche resultiert auch aus dem eklatanten Unwissen über Religion. Mit einem Ausblick auf die wechselseitige Verschränkung dieser beiden Krisenphänomene endet der zweite Teil des Buches.

Als alte Institution der bürgerlichen Gesellschaft gerät die Kirche sowohl von rechter als auch von linker Seite unter Beschuss. Skandieren die einen die bedingungslose Freiheit des Einzelnen und den Rückbau von Institutionen, fordern die anderen zwar einen starken Staat, aber die Auflösung jeder Tradition. Die Kirche hat zwischen den Extremen keinen sicheren Platz mehr. In akute Bedrängnis gerät dadurch der Konservatismus, dessen Werte verloren gehen. Sie stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit ethischen Grenzfragen, die ich im dritten Teil des Buches untersuche. Die drohende Selbstaufgabe der Kirche ruft durchaus Gegenreaktionen hervor. Manche Protestanten begehren auf und suchen nach Wegen, den Glauben in ihrer Kirche wieder sichtbarer zu machen. Auch ihnen soll in diesem Buch Raum gegeben werden.

Je weniger die Kirche das gesellschaftliche Bewusstsein prägt, desto leichter haben es Positionen, die an die Stelle einer höheren Instanz das eigene Ich setzen. Das hat unmittelbare Auswirkungen auf das Verständnis von Freiheit, die in erster Linie die eigenen Bedürfnisse verwirklichen und nicht vor allem die der anderen berücksichtigen soll. Die Verkehrung eines radikal auf das Ich bezogenen Freiheitsverständnisses prägte über Monate die Debatten über die Coronapandemie. Schonungsloser Egoismus wurde auf diese Weise salonfähig. Ganz ähnlich ist die Debatte über den Klimaschutz gelagert, der staatliche Eingriffe in die Gewohnheiten des Einzelnen nach sich zieht, was bereits empörte Gegenreflexe in Gestalt moralinsaurer Tugendlehren hervorgerufen hat.

Die Kirche kann solche gesellschaftlichen Konflikte nicht lösen. Dennoch lässt sich an ihr zeigen, was der Gesellschaft fehlt und wo sie gefährdet ist, wenn ihre Institutionen schwach sind.

Wie die Wege zu einer starken Kirche aussehen könnten, erörtere ich im Schlussteil des Buches. Dabei geht es vor allem um das grundlegende Selbstverständnis, mit dem die evangelische Kirche nach außen auftritt. Sie kann die Säkularisierung natürlich nicht rückgängig machen. Ihre Zeit als Volkskirche ist vorbei. Es wäre naiv anzunehmen, die Kirche müsste sich nur stärker ihrem Glauben zuwenden, und schon würden die Leute ihr wieder scharenweise beitreten. Sehr wohl aber hat sie die Pflicht, für jene Menschen, die ihr noch angehören, ein Refugium des Glaubens zu bleiben. Den Wandel der Zeit anzuerkennen bedeutet nicht, sich selbst so stark zu wandeln, dass die eigene Identität nicht mehr erkennbar ist. Die Kirche muss in einer religionslosen Gesellschaft stören, unpassend bleiben, in gutem Sinne eigenartig sein. Nur so kann sie mit klarer Haltung durch die Krise kommen.

Wenn die Kirche sich dagegen weiterhin so stark politisiert, anstatt ihre Glaubensinhalte zu stärken und ihre theologische Ausrichtung zu schärfen, wird sie vollends in Vergessenheit geraten. Denn Orte der Politisierung gibt es in unserer Gesellschaft genug. Die Kirche muss als etwas anderes erkennbar bleiben und ihre institutionelle Notwendigkeit herausstellen. Erst dann hat sie eine Chance, zu überleben.

Das Ende der Kirche

Die Lage – Mitgliederschwund, Bedeutungsverlust, Entkirchlichung

Die Kirche hat sich von der Gesellschaft entfremdet. Mitten in der tiefsten Glaubenskrise wirken die Worte aus dem ersten Brief des Johannes wie aus der Zeit gefallen, und doch erinnern sie daran, was Kirche als Institution und Ort der Gemeinschaft vermitteln könnte: »Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.« Darüber ist viel geschrieben und gepredigt worden, deswegen sei hier nur angedeutet, welchen Stellenwert diese Aussage gerade in einer stark säkularisierten Welt haben kann. Da geht es um die Kraft des Glaubens, mit der man etwas hinter sich lässt und abgibt. »Wer also glaubt, kann nicht verzweifeln«, schreibt Martin Luther in seiner Vorlesung über den ersten Johannesbrief. »Unter ›Welt‹ versteh alles: Sünde, Teufel und Tod. Der Sieg über die ›Welt‹ ist aber unser Glaube.« Die Christen sollten die Welt »nicht durch ihre eigenen Anstrengungen überwinden, und keiner soll sich selbst einen Glauben vormachen«.3

Man kann also sagen: Der Glaube macht den Unterschied. Ähnlich beschreibt es Karl Barth in einer Predigt von 1947: »Und so werden wir gut tun, die Gefühle unseres Herzens – und wenn sie noch so tief wären – und die Überzeugungen unseres Kopfes – und wenn sie noch so wohl überlegt wären – nicht mit unserem Glauben zu verwechseln.« Wenn es in dem hier verstandenen Sinne um die Überwindung der Welt geht, ist damit nicht ein Kampf gemeint, sondern es zeigt sich darin vielmehr ein Weg zur Kirche, eine Vermittlung zum Glauben. Barth betont: »Jesus hat über die Welt gesiegt, nicht gegen sie, sondern für sie.«4

Das Zitat aus dem ersten Johannesbrief ist heute dagegen eher als Kontrast zwischen dem Glauben und der Welt zu verstehen, den die Kirche nicht mehr zu überwinden vermag. Wo sie gegen ihre eigene Bedeutungslosigkeit kämpft, kann sie in einer ungläubig gewordenen Welt kaum als Vermittlerin des Glaubens fungieren. Ein Blick auf die aktuellen Zahlen verwirkt tatsächlich jeden Optimismus, die Kirche könnte durch die Kraft des Glaubens überhaupt noch irgendeinen Sieg erringen.

Kirchenaustritte und finanzielle Situation

Die evangelische Kirche in Deutschland hatte im Berechnungsjahr 2023 rund 18,6 Millionen Mitglieder, die katholische Kirche 20,3 Millionen. Somit sind etwa 21,9 Prozent der Bevölkerung evangelisch, 24 Prozent katholisch. 43 Prozent der deutschen Bevölkerung sind konfessionslos, neun Prozent gehören anderen Religionsgemeinschaften an. Im Jahr 2023 hat die Zahl an Kirchenaustritten bei den Protestanten einen neuen Rekordwert erreicht, und es wird wohl nicht der letzte gewesen sein. Die evangelische Kirche hat über eine halbe Million Mitglieder verloren, aus der katholischen Kirche sind mehr als 400000 Menschen ausgetreten. Nach Angaben der EKD übertraf die Zahl der Kirchenaustritte im Jahr 2022 erstmals die Zahl der Sterbefälle. Der Trend setzt sich verschärft fort. Der Rückgang hat also nicht nur etwas mit der demografischen Entwicklung zu tun. Die EKD schätzt, dass der Anteil an Konfessionslosen im Jahr 2027 50 Prozent überschreiten und dann die absolute Bevölkerungsmehrheit ausmachen wird.

Zu den Spitzenreitern der Kirchenaustritte gehört in der evangelischen Kirche Berlin, deren Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz in den Jahren 2022 und 2023 je knapp 30000 Mitglieder verloren hat. Den Berliner Tagesspiegel verleitet das zu der Erwägung, ob es sich überhaupt noch lohnt, Kirchenmitglied zu sein. In Zeiten knapper Kassen könne ein kritischer Blick auf laufende Abonnements helfen – und dazu zählt der Tagesspiegel auch die Kirche: »Ein Abo, das viele schon im sehr jungen Alter und oft unfreiwillig abschließen, ist die Mitgliedschaft in einer Kirche.«5 Der spielerische Ton des hier zitierten Newsletters ist natürlich Absicht, und doch drückt sich darin die verheerende Lage der Kirche aus. Sie gilt vielen nur noch als »Abo«, ein Abonnement aus Gewohnheit.

Dadurch verschlechtert sich auch die finanzielle Situation der Kirche. Laut aktuellen Kirchenstatistiken und Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft sind die Kirchensteuereinnahmen 2023 im Vergleich zum Vorjahr zwar nominal leicht gestiegen, doch aufgrund der Inflation bleibt von den Mehreinnahmen nichts übrig. So ist das Aufkommen der Kirchensteuer kaufkraftbereinigt um mehr als fünf Prozent gefallen. Die evangelische und die katholische Kirche haben netto insgesamt knapp 12,5 Milliarden Euro eingenommen. Davon entfallen rund 6,5 Milliarden Euro auf die katholische und knapp sechs Milliarden Euro auf die evangelische Kirche. Da mit den anhaltenden Kirchenaustritten die Steuereinnahmen sinken, ist keine Besserung in Sicht. 

Erschwert wird die Lage durch die Demografie. Sie habe Auswirkungen auf die Einnahmen der Kirche, erläutert das Wirtschaftsinstitut, weil immer mehr Kirchenmitglieder in Rente gingen und dadurch weniger Steuern zahlten. Die Finanzexperten rechnen nicht mehr mit »rosigen Zeiten« für die Kirchenfinanzen. Der »wirkliche Einbruch bei den Einnahmen« stehe erst noch bevor.6

Trotz ihrer desaströsen Lage ebbt die grundsätzliche Kritik am System der Kirchensteuer in Deutschland nicht ab. Bemängelt wird zumeist die fehlende Trennung zwischen Staat und Kirche, die nicht mehr zeitgemäß sei.7 Richtig ist, dass der Staat die Steuern der Kirche zwar weiter verwaltet, die Einnahmen aber nur an sie gehen. Anders als bei sonstigen Steuern steht es jedem frei, Mitglied der Kirche zu sein und sich dadurch steuerlich zu verpflichten. Von einer Vorrangstellung des Staates kann hier also nicht die Rede sein.

Die Kirchensteuer ist im Grundgesetz geregelt. So gelten im Artikel 140 weiterhin die Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung: »Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, sind berechtigt, […] Steuern zu erheben.« Die Kirchensteuer beträgt neun Prozent der Lohn- und Einkommenssteuer, in Bayern und Baden-Württemberg sind es acht Prozent. Die EKD betont, die Kirchensteuer sei »die wichtigste Ertragsquelle und das Fundament aller kirchlichen Arbeit«.8 Würde man der Kirche diese Mittel entziehen, hätte sie wahrscheinlich keine Zukunft mehr. Die Forderung, gesonderte Kirchensteuerämter zu errichten und die Verwaltung der Steuer nicht mehr an staatliche Behörden zu delegieren, würde ebenfalls unnötigen Aufwand verursachen. In ihrer größten Krise sollte man der Kirche daher nicht noch das finanzielle Fundament nehmen.

Aktuellen Erhebungen zufolge würde dennoch eine Mehrheit der Befragten vom Kirchenaustritt absehen, wenn die Kirchensteuer abgeschafft wird. Fraglich ist allerdings, wie realistisch diese Selbsteinschätzung ist. Denn die Mitglieder treten nicht bloß aus ökonomischen Gründen aus der Kirche aus. Dass die Kirchensteuer überhaupt so negativ ins Gewicht fällt, ist vielmehr bereits eine Folge des eklatanten Bedeutungsverlusts der Kirche. Wenn man mit ihr ohnehin nichts mehr anfangen kann oder sie sogar ablehnt, sinkt erwartungsgemäß die Bereitschaft, für eine solche Institution auch noch Steuern zu entrichten. Fiele die Steuer nicht an, würde es die Kirche in ihrem beschädigten Ansehen mutmaßlich nicht retten, ganz abgesehen davon, dass sie ohne diese Finanzierung ökonomisch nicht überleben könnte. Der Schrumpfungsprozess der Kirche aber scheint unausweichlich zu sein.

Was die Mitglieder denken – und wie die Kirche darauf reagiert

Unter schlechteren Vorzeichen hätte die sechste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) der EKD, die 2023 veröffentlicht wurde, also kaum stehen können.9 Alle zehn Jahre führt die evangelische Kirche die Erhebung durch, im Jahr 2023 erstmals unter Beteiligung der Deutschen Bischofskonferenz, die Vergleiche mit Mitgliedern der katholischen Kirche ermöglicht.10 Die wichtigsten Erkenntnisse der KMU lassen sich so zusammenfassen:

Die empirischen Daten widerlegen die Annahme, man brauche keine Kirche für den Glauben. Zwar gebe es Formen individualisierter Religiosität, weitaus wahrscheinlicher sei jedoch, dass diese an Kirchlichkeit gebunden ist. Die Kirche bleibt für die Überlebensfähigkeit des Glaubens somit essenziell.Religiosität ist kein Naturgesetz. Über alle Krisen hinweg wurde das religiöse Bedürfnis des Menschen oftmals als anthropologische Grundkonstante beschrieben. Der Wunsch nach Transzendenz schien sogar im säkularen Zeitalter nie ganz auszusterben. Von dieser Vorstellung weicht die KMU nun interessanterweise ab: Man müsse davon ausgehen, dass Religiosität auch zurückgehen kann. Es gebe kein »anthropologisches Auffangnetz für kirchliches Handeln«: »Wenn Religion aus dem Leben von Einzelnen verschwinden kann, dann kann sie sogar aus Gesellschaften verschwinden.«Die Gesellschaft befindet sich in einer tiefen Glaubenskrise. Für eine Trendwende sieht die Studie keine Anhaltspunkte. Die Bilanz fällt ernüchternd aus: »Zu konstatieren ist eine Krise des religiösen Glaubens, der religiösen Praxis, des religiösen Erfahrens und der religiösen Kommunikation, sicherlich mit wechselseitigen Verstärkungseffekten.«Nach Einschätzung der Autoren mangelt es der Kirche an einer Sache aber gerade nicht: Religiosität. Unter den Mitgliedern sowohl der evangelischen als auch der katholischen Kirche verneinen etwa Zwei Drittel der Befragten die Frage, ob die Kirche sich »auf die Beschäftigung mit religiösen Fragen beschränken« sollte. Die KMU zieht daraus den Schluss: »Eine Steigerung ihrer Attraktivität kann die Kirche in der aktuellen Lage nicht über rein religiöse Aktivitäten gewinnen.« Das ist eine der wichtigsten Ableitungen der EKD, die in ihrer Einseitigkeit allerdings kritikwürdig ist, wie noch zu zeigen sein wird. Das gesellschaftspolitische Engagement der Kirche stößt der Erhebung zufolge dagegen auf hohe Akzeptanz und sollte aus Sicht der Autoren ausgeweitet werden. Auch dies gehört zu den problematischen Inneneinsichten der Kirche, auf die ich noch zurückkommen werde.Die Kirche könnte vor einem »organisationalen Kipppunkt« stehen: Zwei Drittel der evangelischen und drei Viertel der katholischen Mitglieder schließen einen Kirchenaustritt laut Studie nicht aus. Darüber hinaus rechnet die EKD bis 2030 mit dem Austritt von über drei Millionen evangelischen Kirchenmitgliedern. Die Halbierung der Mitgliederzahl könnte schon in den 2040er Jahren erreicht sein. Schon in den kommenden Jahren könne das »erhebliche Instabilitäten und disruptive Abbrüche« zur Folge haben.