Vom Ich zum Du - Anselm Grün - E-Book

Vom Ich zum Du E-Book

Anselm Grün

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Beschreibung

„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, Sorge tragen für die Flüchtenden, die zu uns kommen. Ebenso wie für die alten Eltern, die Kollegen, die Mitbrüder. Hat das etwas mit Hingabe zu tun? Was sind die Quellen dieser Nächsten-Liebe? Hat sie Grenzen oder kann sie grenzenlos sein? Verwandelt uns die Sorge um jemanden? Gibt uns Jesus dafür ein Beispiel? In München hat die Caritas einen wirklich guten Slogan: "Nah am Nächsten". Aber manchmal ist der Nächste vielleicht auch am anderen Ende der Welt. Sorge kann erdrücken. Und auch die Sorge um sich selbst ist eine Sorge. Sich um den anderen sorgen ohne von sich abzusehen – wie macht man das?

In diesem Buch möchte Anselm Grün vor allem die positive Bedeutung der Sorge bedenken. Aber natürlich hat er auch die Gefahren im Blick, wenn sich jemand zuviel Sorgen macht. Ihm geht es darum, sorgfältig mit diesem Begriff "Sorge" umzugehen und zu betrachten, welche Rolle sie in unserem Zusammenleben mit anderen, aber auch in unserem Umgang mit dem Augenblick und mit der Zukunft spielen kann.

Anselm Grün gibt in diesem Buch spirituelle und praktische Antworten auf die o.g. Fragen.

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Seitenzahl: 164

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Das Buch

Der bekannte und beliebte Seelsorger Anselm Grün beschreibt in diesem Buch die Sorge als ein Geschenk: für das Zusammenleben in Familie und Gesellschaft, für uns selbst und im Verhältnis zu Gott. Eine gelungene Verbindung aus praktischer Lebenshilfe und Spiritualität. Und eine Anleitung für das gute Leben, gerade in unserer Zeit.

Sorge ist Liebe – davon geht Pater Anselm in diesem Buch aus. Und gibt durch Geschichten, Erfahrungen und Rituale aus seiner seelsorgerischen Praxis ein großartiges Beispiel, wie gute Sorge gelingt. Und was sie für unser Leben bedeuten kann. »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst«, was heißt das für unser Leben? Sorge tragen für die Kinder, die alten Eltern, die Kollegen; für die Kranken, die Verunsicherten, die Flüchtenden, die zu uns kommen. Was sind die Quellen dieser Nächsten-Liebe? Hat sie Grenzen oder kann sie grenzenlos sein? Sich um den anderen sorgen, ohne von sich selbst abzusehen – wie macht man das? Und wie sorgt Gott für den Menschen?

Der Autor

Pater Anselm Grün, geboren 1945, ist Benediktinermönch der Abtei Münsterschwarzach, deren Cellerar er 36 Jahre lang war. Als Kursleiter und geistlicher Begleiter ist er viel unterwegs. Mit zahlreichen Büchern und Vorträgen erreicht er Millionen von Menschen.

www.anselm-gruen.de

Anselm Grün

Vom Ich zum Du

Für sich und andere sorgen

Kösel

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Copyright © 2017 Kösel-Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München Umschlag: Weiss Werkstatt, München Umschlagfotografie: © Markus Hauck, POW E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN: 978-3-641-21364-0V002

Inhalt

Einleitung: Vom Ich zum Du

Sorge in konkreter Not

Sorge für die Kinder

Sorge für die Eltern

Sorge für die Familie

Sorge für die Gäste

Sorge für sich selbst

Sorge für die Schöpfung

Seelsorge

Sorge und Gebet

Gott sorgt für den Menschen

Sorge ist Liebe – Schlussgedanken

Literatur

Einleitung: Vom Ich zum Du

Als mir jemand sagte, er würde gerne einmal etwas von mir zum Thema Sorge und Sorgen lesen, da fielen mir zunächst alle möglichen Zitate ein, die man zunächst einmal negativ verstehen kann. Wir sagen zum Beispiel einander: »Mach dir nicht so viele Sorgen.« Und meinen es gut. Doch klingt die Sorge dabei nach etwas Belastendem, Beschwerendem. Deswegen wünscht man ja oft, der andere möge sich eben keine Sorgen machen. Oder mir kam das Buch von Dale Carnegie in den Sinn: »Sorge dich nicht – lebe! Die Kunst, zu einem von Ängsten und Aufregungen befreiten Leben zu finden«. Hier wird die Sorge als etwas verstanden, wovon wir uns unbedingt befreien sollten. Denn die Sorge hindert uns am guten Leben. Sie quält uns und lässt uns nicht zur Ruhe kommen. In dem Lied »Wer nur den lieben Gott lässt walten« singen wir in der zweiten Strophe: »Was helfen uns die schweren Sorgen, was hilft uns unser Weh und Ach? Was hilft es, dass wir alle Morgen beseufzen unser Ungemach? Wir machen unser Kreuz und Leid nur größer durch die Traurigkeit.« Hier wird die Sorge mit Weh und Ach und mit Traurigkeit verbunden. Davon sollten wir uns befreien und unser Vertrauen auf Gott setzen.

Bei der Beschäftigung mit dem Thema Sorge kamen mir die Worte Jesu in den Kopf: »Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, dass ihr etwas zu essen habt« (Mt 6,25) oder der Schluss seiner Rede über die Sorglosigkeit: »Sorgt euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen.« (Mt 6,34) Die Sorge, das Sorgen ist also etwas, das wir nicht wollen, das wir von unserem Leben möglichst fernhalten sollten? Jesus möchte, dass wir uns keine Sorgen machen.

Doch dann dachte ich an die vielen Mitbrüder, die im Haus arbeiten und liebevoll für die Gemeinschaft sorgen. Oder die Krankenpfleger, die für unsere alten Mitbrüder sorgen. Und ich dachte an meine Mutter, die für ihre sieben Kinder immer sorgte. Ihr machte das Sorgen Spaß. Noch im Alter sorgte sie gerne für andere Menschen. Als sie von einer jungen Frau hörte, die keine gute Beziehung zu ihrer Familie hatte, schickte sie ihr Weihnachten ihre selbst gebackenen Plätzchen. Die sorgende Mutter spürte sofort, wo sich jemand über ein Geschenk freuen konnte. Und viele andere Mütter kamen mir in den Sinn, die Tag für Tag für ihre Familie sorgen. Wenn ich an die vielen Menschen denke, die für andere sorgen, weiß ich, dass die gute Sorge für andere zum Wesen des Menschen gehört.

Und beim Nachdenken über das Phänomen der Sorge kam mir die Definition des Menschen durch den Philosophen Martin Heidegger in den Sinn: Der Mensch ist immer einer, der sich sorgt. Bevor ich also all die Erfahrungen mit der Sorge in unserem Alltag beschreibe, möchte ich einen Blick in die Vergangenheit werfen. Ich möchte den philosophischen Begriff der Sorge bei Heidegger in den Blick nehmen und seine Sicht vergleichen mit der Sicht des Philosophen unter den biblischen Schriftstellern: mit der Sicht des Predigers Kohelet. Die Sorge gehört für Heidegger nämlich wesentlich zum Menschen. Allerdings meint er damit immer nur die Sorge um sich selbst. Dabei spielt das Du kaum eine Rolle. Die wahre Sorge, die ich bei meinen Mitbrüdern, die dafür sorgen, dass wir alle ein sauberes Haus haben, die ich bei meiner Mutter und vielen anderen Müttern und Vätern wahrnahm, ist immer eine Sorge für den anderen. Der sorgende Mensch kreist nicht um sich selbst, sondern er sorgt aus Liebe für andere. In der Sorge geht es darum, vom Ich zum Du zu kommen, vom Kreisen um mich selbst zu den Bedürfnissen und Nöten des Du zu gelangen. Sorge ist Ausdruck der Liebe. Ohne Sorge bleibt die Liebe nur im Gefühl.

Heidegger hat in seinem Buch »Sein und Zeit«, das 1927 erschienen ist und eine enorme Wirkung hatte, versucht, das Dasein des Menschen zu beschreiben. Er wollte damit eigentlich nicht Eigenschaften des Menschen beschreiben, sondern sein Wesen. Es ging ihm um eine ontologische Beschreibung des Menschen. Das Dasein des Menschen ist dadurch geprägt, dass der Mensch in die Welt geworfen ist. Das Dasein ist aber von seinem Wesen her immer schon über sich hinaus. Das heißt, es geht der Existenz des Menschen voraus, das Dasein ist also nie voraussetzungslos. Daher definiert Heidegger Dasein als »Sich-vorweg-Sein«. Und diese Verfassung des Daseins versteht er als Sorge. Sorge ist also keine Eigenschaft des Menschen, die er haben oder nicht haben kann. Der Mensch als »In-der-Welt-Sein« ist vielmehr wesenhaft Sorge.

Als Veranschaulichung seiner oft nicht leicht verständlichen philosophischen These zitiert Heidegger eine alte römische Fabel des Hyginus:

Als einst die »Sorge« über einen Fluss ging, sah sie tonhaltiges Erdreich: Sinnend nahm sie davon ein Stück und begann es zu formen. Während sie bei sich darüber nachdachte, was sie geschaffen hatte, trat Jupiter hinzu. Ihn bat die »Sorge«, dass er dem geformten Stück Ton Geist verleihe. Das gewährte ihr Jupiter gern. Als sie aber ihrem Gebilde nun ihren Namen beilegen wollte, verbot das Jupiter und verlangte, dass ihm sein Name gegeben werden müsse. Während »Sorge« und Jupiter über den Namen stritten, erhob sich auch die Erde (Tellus) und begehrte, dass dem Gebilde ihr Name beigelegt werde, da sie doch ihm ein Stück ihres Leibes dargeboten habe. Die Streitenden nahmen Saturn zum Richter. Und ihnen erteilte Saturn folgende anscheinend gerechte Entscheidung: »Du, Jupiter, weil du den Geist gegeben hast, sollst bei seinem Tode den Geist, du, Erde, weil du den Körper geschenkt hast, sollst den Körper empfangen. Weil aber die »Sorge« dieses Wesen zuerst gebildet, so möge, solange es lebt, die »Sorge« es besitzen. Weil aber über den Namen Streit besteht, so möge es »homo« heißen, da es aus humus (Erde) gemacht ist.« (Heidegger 198)

Solange der Mensch in der Zeit ist, wird er von der Sorge bestimmt. Das will uns Heidegger mit dieser Fabel veranschaulichen. Der Mensch ist Sorge, wenn er auf der Welt ist. Er sorgt sich um sich. Er ist sich immer schon voraus und immer in Sorge um sich. Dasein ist Sorge um sich. Die Sorge prägt sein Sein. Jeder Mensch sorgt für sich, für sein Leben. Es geht ihm um sich selbst, und deshalb ist er eben immer auf etwas aus und müht sich um etwas.

Was Heidegger als Philosoph im letzten Jahrhundert über das Wesen des Menschen als Sorge beschrieben hat, das hat der Philosoph unter den biblischen Autoren, Kohelet, in ähnlicher Weise gesehen. Auch wenn der Mensch noch so viel besitzt, so ist das Wesen seines Daseins nur Sorge: »Alle Tage besteht sein Geschäft nur aus Sorge und Ärger, und selbst in der Nacht kommt sein Geist nicht zur Ruhe. Auch das ist Windhauch.« (Koh 2,23) Selbst das Wissen und die Fähigkeiten, die der Mensch erwirbt, befreien ihn nicht von der Sorge. Vielmehr gilt: »Viel Wissen, viel Ärger, wer das Können mehrt, der mehrt die Sorge.« (Koh 1,18) Der Mensch kann also der Sorge nicht entgehen, weder durch Bildung, noch durch Besitz, noch durch Erfolg in seinen Geschäften. Die Sorge begleitet ihn, wo immer er auch ist und in welcher Verfassung er sich auch befindet. Die Sorge gehört zu seinem Wesen. Und es ist eine Sorge, die mit Kummer und Ärger verbunden ist. Über sie gilt das Urteil des Kohelet, dass sie nur Windhauch ist.

Wenn wir diese Analyse Heideggers und Kohelets ernst nehmen, dann würde der sorglose Mensch gegen sein eigenes Wesen als Mensch verstoßen. Er würde sich dagegen wehren, wahrhaft Mensch zu sein. Er würde – um mit Heidegger zu sprechen – im Uneigentlichen leben, im Seinsmodus des »Man«. Aber er würde sich als Mensch nicht richtig sehen. Und wer sich nicht richtig sieht, der lebt auch nicht angemessen. Sowohl Heidegger als auch Kohelet würden also das Buch von Dale Carnegie »Sorge dich nicht – lebe!« als zwar einladende, aber letztlich falsche Spur für unser Menschsein beurteilen. Denn da wird uns ein Menschenbild vor Augen geführt, das dem Wesen des Menschen widerspricht. Es ist das des Menschen, das zwar für viele Menschen anziehend ist, aber sie letztlich in eine Illusion hinein führt, die sich dann in wachsender Depressivität ausdrückt. Falsche Verheißungen tun dem Menschen nicht gut. Da halte ich mich lieber an die Botschaft der Bibel. Wenn Jesus von Sorglosigkeit spricht, meint er etwas anderes als Dale Carnegie. Und wenn die Bibel von der Sorge für andere Menschen spricht, dann weist sie uns einen Weg, wie wir vom eigenen Ego frei werden und den Weg zum Du finden. Davon erzählen uns viele biblische Geschichten.

Anders als die philosophische Analyse von Martin Heidegger verstehen wir nämlich Sorge oft als Fürsorge. Das Wesen der Sorge besteht darin, dass man das Kreisen um sich selbst aufgibt und sich für und um den anderen sorgt. Mit dieser Haltung gebe ich auf, immer nur für mein eigenes Wohlergehen zu sorgen. Ich gehe vom Ich zum Du. Zu dieser Abkehr vom Ich und von der Hinkehr zum Du erzählt uns schon das erste Buch der Bibel in der berühmten Geschichte von Kain und Abel. Kain kreist nur um sich und seine Anerkennung. Er ist neidisch auf seinen Bruder Abel, weil er meint, er würde von Gott bevorzugt. Dieses Kreisen um das eigene gekränkte Gefühl führt dazu, dass er seinen Bruder erschlägt. Er kann es nicht aushalten, dass da ein anderer neben ihm ist, der vielleicht mehr gesehen wird, der mehr Erfolg hat, der mehr die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zieht und eher im Mittelpunkt steht als er selbst. Doch Gott reagiert auf den Brudermord mit der Frage an Kain: »Wo ist dein Bruder Abel?« (Gen 4,9) Kain antwortet Gott voller Trotz: »Ich weiß es nicht. Bin ich der Hüter meines Bruders?« (Gen 4,9) Gott lässt nicht zu, dass Kain nur um sich und seine Gefühle kreist. Er hat Verantwortung für seinen Bruder Abel. Die Frage, die Gott dem Kain stellt, stellt er auch uns: »Wo ist dein Bruder, dessen Blut zum Himmel schreit? Wo ist deine Schwester, die im tiefen Loch der Depression steckt?« Wir dürfen nicht einfach wegschauen. Gott hat uns auf den anderen hin geschaffen. Und wir haben für den anderen zu sorgen.

Genauso wie die Sorge wesentlich ist für den Menschen, gehört es auch zum Wesen des Menschen, dass er gefragt wird, dass er in Frage gestellt wird. Gott ist es, der den Menschen fragt. Und dieser Frage hat der Mensch zu antworten. Das deutsche Wort »fragen« hängt zusammen mit »Furche«. Die Frage, die Gott uns stellt, gräbt eine Furche in den Acker unserer Seele. Das gilt aber auch für unsere Fragen. Wenn ich einem Menschen eine Frage stelle, dann will ich ihn nicht ausfragen oder befragen, ich grabe vielmehr eine Furche in seine Seele, damit die Seele aufgebrochen wird für einen fruchtbaren Samen und damit dieser Same aufblühen kann. Die Fragen, die Gott oder andere Menschen uns stellen, verlangen nach einer Antwort. Wenn wir angemessen auf die Fragen antworten, die uns gestellt werden, dann bringt das unsere Seele zum Blühen.

Sorge für den Bruder, Sorge für die Schwester, das heißt Verantwortung. Und Verantwortung gehört wesentlich zum Menschen. Hans Jonas hat das Hauptwerk seiner Philosophie »Verantwortung« betitelt. Wir sind nicht nur verantwortlich für die Folgen unseres Handelns. Vielmehr müssen wir schon vorausschauend Verantwortung für unsere Welt übernehmen. Wir müssen überlegen, welche Folgen unser Handeln für die Menschen der Zukunft hat und für die Grundlage ihres Lebens, für die Zukunft der Erde und des Kosmos. Jonas nimmt die Verantwortung der Eltern für ihre Kinder als Paradigma für die Verantwortung, die wir heute für die ganze Welt haben. Die elterliche Verantwortung ist gleichsam der Archetyp von Verantwortung für jeden Bürger und vor allem auch für den Staatsmann. Verantwortung für das Kind heißt: Verantwortung für sein Werden, für seinen Leib, für seine Seele, für seinen Charakter, für sein Wissen, für sein Verhalten, für seine Zukunft, für die Bedingungen, in denen es in Zukunft leben kann.

Verantwortung ist eine Verstärkung von Antwort. Und Antwort heißt ursprünglich: ein Wort sagen im Angesicht (anti) des anderen. In der Verantwortung habe ich also immer den anderen im Blick. Es gibt keine abstrakte Verantwortung, sondern immer eine Verantwortung für Personen. Das gilt auch für die Verantwortung für die Folgen meines Handelns im Blick auf die Umwelt. Denn da geht es auch um die Antwort, die ich den Menschen gebe, die in Zukunft auf dieser Erde leben. Ich habe also in meiner Verantwortung immer schon konkrete Menschen im Blick. Ich antworte, indem ich sie anschaue. Ich spreche meine Worte in ihr Antlitz hinein. Und da werde ich sehr achtsam mit meinen Worten umgehen. Sorge als Verantwortung meint ähnlich, dass ich für konkrete Menschen sorge, dass ich es wage, in ihr Gesicht zu schauen und diesem fragenden Gesicht mit meiner Sorge eine Antwort gebe, die seinem tiefsten Bedürfnis entspricht.

In vielen Seelsorgegesprächen höre ich von den Sorgen der Eltern um ihre Kinder, von der Sorge für die alten und kranken Eltern. Und in dieser Sorge für andere Menschen spüre ich die Liebe, die mit der Sorge verbunden ist. Aus Liebe sorgen wir für andere, deren Not wir erkennen. Vom Ich zum Du. Und wenn jemand für mich sorgt, tut mir das gut. Ich spüre, dass ich nicht allein gelassen bin mit meinen Bedürfnissen, dass da jemand einen Blick hat für das, was ich brauche oder gerne hätte. Und ich bin dankbar, wenn andere für mich sorgen. Gerade im Kloster darf ich es genießen, dass ich nicht für alles selber sorgen muss. Für das Essen sorgen andere. Ich darf mich jeden Tag an einen gedeckten Tisch setzen. Ich brauche mich nicht zu kümmern, dass es Strom im Haus gibt oder der Wasserhahn funktioniert. Weil andere für mich sorgen, finde ich Zeit für das, was mir wirklich wichtig ist und Freude macht, für das Schreiben, für Vorträge und Kurse.

Während es Dale Carnegie nur um das Wohlbefinden des Ego geht in seiner Entwertung der Sorge, führt uns die echte Sorge, die jede Mutter und jeder Vater für seine Kinder hat, die viele Lehrer und Erzieher für ihre Schüler und Schülerinnen haben, vom Ich zum Du. Ich kreise nicht um mich und mein Wohlbefinden. Ich frage mich nicht ständig, wie ich mich fühle, ob ich auch gerade positive Gefühle habe. In der Sorge bin ich immer schon beim anderen. In der Sorge schaue ich von mir selbst weg. Es ist nicht so wichtig, wie es mir geht. Die Sorge für den anderen berührt mich. Es kümmert mich, wie es ihm geht. Ich schaue nach ihm, ich sorge für ihn, dass es ihm gut geht. Und diese Sorge für den anderen kann mich durchaus erfüllen und glücklich machen. Wenn der Mensch, für den ich sorge, dankbar diese Sorge annehmen kann, fühle ich mich selbst beschenkt. Aber ich sorge nicht, damit ich etwas davon habe, damit ich ein gutes Gefühl bekomme. Vielmehr sorge ich für den anderen, weil er mir wichtig ist, weil ich einen Blick für ihn habe, weil ich ihn liebe.

Die Ambivalenz der Bedeutung von Sorge finde ich auch im Duden, der uns von der Entwicklung des Wortes berichtet. Das Wort leitet sich vom althochdeutschen sorga ab und bedeutet ursprünglich »Kummer, Gram«. In den baltischen Sprachen hat es sogar den Beigeschmack von Krankheit. So bedeutet es im Deutschen entweder: »Unruhe, Angst, quälende Gedanken«, oder aber: »Bemühung um Abhilfe, Fürsorge, Sorge für die Zukunft, tätige Bemühung um jemanden«. Der Begriff hat aber immer mehr hinzugewonnen, so wie der Mensch durch Sorge um und für den Anderen hinzugewinnt. Die positive Bedeutung von Sorge führte zu Worten wie Fürsorge, Vorsorge, Sorgfalt oder zu versorgen und besorgen. Fürsorge und Sorgfalt haben einen guten Klang. Wenn eine Ärztin oder ein Kellner fürsorglich mit uns umgeht, tut es uns gut. Und wir finden es gut, wenn die Eltern ihre Fürsorge für ihre Kinder in guter Weise wahrnehmen. Andernfalls muss das Jugendamt die Fürsorge übernehmen. Eine Arbeit, die sorgfältig ausgeführt ist, erfreut uns. Das gilt nicht nur für den Handwerker, sondern auch für den Autor. Ein sorgfältig gedachtes und geschriebenes Buch wollen wir gerne lesen, dann erreicht es uns und bewirkt etwas. Das Gegenteil von sorgfältig ist schlampig. Wenn jemand seinen Vortrag nicht sorgfältig vorbereitet hat, ärgern wir uns. Wir haben den Eindruck, dass wir Hörer dem Redner nicht wichtig sind. Er interessiert sich nur für sich und seine eigene Bequemlichkeit. Auch das Besorgen und Versorgen sehen wir positiv. Wir freuen uns, wenn jemand uns mit den nötigsten Dingen versorgt oder uns etwas besorgt, was wir gerne hätten.

Die Griechen haben zwei Worte für Sorge merimna und meletao. In diesen zwei Worten ist jeweils der positive oder der negative Aspekt der Sorge betont. Das Wort merimna meint Sorge als das Sich-Kümmern um etwas, das Auf-etwas-aus-Sein, die bange Erwartung an etwas, als Angst vor etwas, als Leid, als mühselige Arbeit, als Last. Es kann gleichbedeutend mit lype (Trauer, Leid) gebraucht werden. Und es kann ein Grübeln bedeuten. Man macht sich Sorgen, man ist in Angst um jemanden. Es sind plagende und quälende und ängstliche Sorgen. Die Sorge hat immer mit Angst zu tun. Sie ist Handeln aus Angst, »praktizierte Angst ums Dasein« (Ulrich Lutz).Diese Sorgen hat Jesus im Blick, wenn er uns mahnt, wir sollten uns keine Sorgen machen. Das Wort meletao dagegen heißt: für jemanden sorgen, etwas besorgen, sich um jemanden kümmern. So sorgt der Samariter für den verwundeten Mann und bittet den Wirt, er solle weiterhin auch für ihn sorgen. Die Worte, die mit meletao zusammen gesetzt sind, können auch bedeuten: ein Herz haben für jemanden. In diesem Sinn ist die Sorge der Liebe nahe. Sorgen ist ein Ausdruck, den anderen Menschen zu lieben, für ihn ein Herz zu haben.