Von Bessarabien nach Belzig - Artur Weiß - E-Book

Von Bessarabien nach Belzig E-Book

Artur Weiß

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Beschreibung

Erst als ich meine Memoiren zu Papier gebracht hatte, reifte der Gedanke, ein Buch daraus zu machen. Der Grund war, dass ich die schrecklichsten Geschehnisse detailliert aufschrieb, um verständlich zu machen, was täglich vor meinen Augen, während der Flucht und später im Gefängnis geschehen war. Alles, was ich in meinem Buch niedergeschrieben habe, sind Ereignisse, hervorgerufen durch Diktaturen, die auf Grund ihrer politischen Interessen, den Menschen unermessliches Leid zufügen. Der Inhalt des Buches behandelt den Zeitraum von 1813 bis 2013.

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Von Bessarabien nach Belzig

Artur Weiß

Von Bessarabien nach Belzig

Meine Memoiren

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2012

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

Copyright (2012) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhalt

Vorwort

Das Land Bessarabien

Klöstitz entsteht

Familie Messinger

Gründung der Familie Weiß

Abendliches Treffen der Familien und Freunde

Abschluss der Ernte

Meine Einschulung in Klöstitz

Wochenendbesuch bei meinem Großvater

Kuh- und Schafhirten

Beginn des Hausbaues und mein 8. Geburtstag

Beginn der Umsiedlung nach Deutschland

Die Umsiedlung nach Deutschland

Donauschifffahrt über Semlin nach Deutschland

Ansiedlung in Polen (Warthegau)

Allgemeine Ereignisse auf unserem Bauernhof

Verbesserung der Lebensverhältnisse in der Familie

Das NS-Reich und die Kirche

Vater wird zur Wehrmacht einberufen

Mein HJ-Dienst

Erntefest und Sonstiges

Der letzte Urlaub unseres Vaters

Die letzten Wochen vor der Flucht

Die Flucht nach Deutschland

Neuanfang der Bessarabien Deutschen im Nachkriegsdeutschland

Berufliche Entwicklung und Familiengründung

Mein Familienleben sowie Berufliches

Mein beruflicher Aufstieg

Der Beginn meines beruflichen Untergangs

Das Ende meiner beruflichen Laufbahn

Meine Verhaftung und Erlebnisse in der U-Haft

Gerichtsverfahren und Urteilsspruch

Einzug in den DDR-Strafvollzug

Wieder zu Hause im Kreis meiner Familie

Schlusswort zum Bessarabien Film und Buch

Vorwort

Erst als ich meine Memoiren zu Papier gebracht hatte, reifte der Gedanke, ein Buch daraus zu machen. Der Grund war, dass ich die schrecklichsten Geschehnisse detailliert aufschrieb, um verständlich zu machen, was täglich vor meinen Augen, während der Flucht und später im Gefängnis geschehen war. Alles, was ich in meinem Buch niedergeschrieben habe, sind Ereignisse, hervorgerufen durch Diktaturen, die aufgrund ihrer politischen Interessen, den Menschen unermessliches Leid zufügten. Ich denke, dass es mir gelungen ist, mit Worten zu sagen, welch schmerzliches und seelisches Leid mir und meiner Familie zugefügt wurde. Den traumatisierten Eltern und ihren Kindern wurde keine psychiatrische Hilfe zuteil, die noch Lebenden leiden heute noch unter den damaligen Ereignissen. Durch die schriftlich tiefgründige Aufarbeitung der von mir als Kind, Jugendlicher und Erwachsener erlebten Gewalt, konnte ich mir alles von der Seele schreiben.

Der Inhalt des Buches behandelt den Zeitraum von 1813 bis 2013.

Der Aufruf des Zaren am 22. November 1813 ermunterte viele, aus dem Land Baden Württemberg als Kolonisten in das Steppenland Bessarabien zu ziehen.

Aus dieser KolonistenGruppe stammen meine Vorfahren, die in Freudenstadt um 1796 geboren wurden.

Sie ließen sich im Schagatal nieder und schufen sich bei harter Arbeit eine Heimat, die wir als ihre Nachkommen 1940 verlassen mussten.

Das Land Bessarabien

Die dünn besiedelte Steppenlandschaft Bessarabiens, begrenzt durch die Flüsse Dnejstr und Bruth sowie dem Schwarzen Meer, diente den Nomaden, unter anderem den Tartaren, als Weideland für ihre Viehherden.

Schafherde der Nomaden

Zeitgleich herrschte im deutschen Reich und europaweit eine witterungsbedingte Missernte, die flächendeckend Hungersnot zur Folge hatte. Auch litten die Menschen unter der Verbreitung gefährlicher Krankheiten und Seuchen. Das veranlasste den Zaren Alexander I. zu dem wirtschaftlichen Plan, der umsiedlungswilligen Bevölkerung Europas mit dem fruchtbaren bassarabischen Steppenland eine neue Heimat zu bieten.

So erging am 22. November 1813 ein Aufruf des Zaren an die deutschen Bauern, das Steppenland Bessarabiens mit tüchtigem Volk zu besiedeln, denn auch Russland hat durch die einstige Besiedlung des Schwarzmeergebietes und der Wolgarepublik gute Erfahrungen mit den deutschen Bauern gemacht. Dem Aufruf folgten tausende europäische Bauern, indem sie sich mit Ochsenkarren, Handwagen und auch zu Fuß auf den langen beschwerlichen Weg ins neue Siedlungsgebiet begaben.

Die Kolonisten schlugen mehrere verschiedene Wege ein, um hierher zu gelangen. Einerseits trug die Donau schiffsähnliche Gebilde, die sogenannten „Ulmer Schachteln“, mit denen sich cirka 2.500 Menschen auf den Weg machten. Während der fast einjährigen Reise durch Winter und Sommer wurden sie oftmals von den zu Hause herrschenden Krankheiten eingeholt, sodass von ihnen nur etwa 800 Menschen die neue Heimat erreichten.

Andererseits dienten verschiedene Landwege der Völkerbewegung. Der eine Wanderweg führte von Radzivil über Tiraspol, der andere begann schon bei Württemberg und führte über Lemberg nach Radzivil, knüpfte hier an und führte über Tiraspol in die Häfen von Galatz oder Ismail/Rumänien. Aus einer hier angereisten Kolonistengruppe kamen meine Vorfahren, die Familie Dieterle, deren Vater 1796 in Freudenstadt/ Baden Württemberg geboren wurde.

Mit den Ochsengespannen erreichten sie das Siedlungsgebiet*

In den langen Monaten der Entbehrung, bangend und hoffend auf das, was der Zar den Siedlern versprochen hat auch eingehalten wurde, sind nach und nach Hunderte in den rumänischen Häfen Galatz und Ismail angekommen. Erleichtert und zufrieden haben sie das Siedlungsgebiet erreicht, wo sie von den zaristischen Siedlungsbeamten empfangen wurden. Im Schagatal schlugen sie ihre Lager auf, in welchen sie längere Zeit leben sollten und gewillt waren, sich hier nicht nur eine Bleibe, sondern eine Heimat zu schaffen.

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* Foto aus der Sammlung von Akira Takiguchi

Klöstitz entsteht

Dann knieten sich die streng gläubigen Kolonisten auf den Steppenboden im Tschagatal nieder, wo ein Prediger Gott und dem Zaren für die neue Heimat dankte. Auch gedachten sie den vielen Toten, die auf dem langen schwierigen Weg in die neue Heimat ihr Leben ließen. Wie bei ihnen üblich, sangen sie die bekannten Kirchenlieder, unter anderem das Lied „Jesu geh’ voran auf der Lebensbahn“. Abschließend beteten sie gemeinsam das Vaterunser. Müde von der Wanderung versorgten sie sich und ihr Vieh, konzentrierten sich dann auf das, was auf sie zukommen würde. Die Kolonisten wurden von dem russischen Ansiedlungskomitee über ihre Privilegien informiert, die ihnen weitgehende Freiheiten einräumten, so durften sie die deutsche Sprache behalten und lehren. Neben vielen Vergünstigungen und Zahlungen war es ihnen freigestellt, ihrer Religion gemäß Kirchen zu bauen, Geistliche zu halten und ihre Religionsgebräuche nach ihrer Weise auszuüben. Auch waren sie für die kommenden zehn Jahre von allen Steuern und Abgaben befreit, danach musste die Schuld in Raten an das russische Reich zurückgezahlt werden. Desweiteren ging das Komitee daran, die Kolonisten zu erfassen und zu registrieren, um sie mit den notwendigen Ausweispapieren auszustatten, weil sie von nun an russische Staatsbürger deutscher Abstammung waren.

Nun war es an der Zeit, Unterkünfte für Mensch und Tier zu bauen, um den nahenden strengen bessarabischen Winter zu überstehen. Es blieb den Siedlern nicht viel Zeit, sodass sie improvisieren mussten, das bedeutete Lehmbuden oder Erdhäuser zu bauen.

Die Lehmbuden wurden aus Batzen gebaut, welche aus einem LehmStrohGemisch mittels einer Form hergestellte Lehmsteine waren, die in der Sonne getrocknet wurden. Der benötigte Mörtel zum vermauern wurde ebenfalls aus Lehm hergestellt. Einfacher war es, ein Erdhaus zu bauen, indem eine Grube ausgehoben wurde, die man mit Baumstämmen abdeckte, sie mit Steppengras und Erdreich beschichtete. Somit war die Gemeinde Klöstitz am Tschagatal am Fluss Tschag 1815 gegründet, dies wurde im neu gebauten Gebetshaus gebührend gefeiert und protokolliert.

Insgesamt waren es 494 Familien mit 2.578 Seelen, die sich 7.997 Desjatinen Steppenland teilten. Die Wirtschaft jeder Familie war somit 60 Desjatinen – etwa 65,55 Hektar groß und wurde mit Pferden und Ochsengespannen urbar gemacht. Dabei wurde den Klöstitzer Bauern alles abverlangt. In der Regel begann ihre Arbeit am frühen Morgen und endete spät in der Nacht.

Nun sollten viele Jahre mit harter Arbeit und Entbehrungen vergehen, bis Klöstitz eine eigenständige Gemeinde mit einer frei gewählten Gemeindevertretung wurde. Diese beschloss, Schulen, Gemeindehäuser und nicht zuletzt eine Kirche und ein Pfarrhaus zu bauen, die den Klöstitzern Klein und Groß zur Verfügung gestellt wurden.

Für die Aufrechterhaltung von Zucht und Ordnung war der Dorfschulze verantwortlich, dieser konnte auch Kurzhaftstrafen verhängen. In den Schulen und Ämtern dominierte Hochdeutsch, in den Familien und untereinander würde schwäbisch gesprochen. Die aus Deutschland mitgebrachten Sitten und Bräuche und auch die Sprache wurden in den Familien an die Nachkommen weitergegeben. Bei der Gestaltung des öffentlichen Lebens war es notwendig geworden, das kulturelle Treiben in Gang zu bringen. So wurden die verschiedensten Vereine gegründet, es begann mit Sport-, Gesang-, Musik-, Tanz- und Jagdvereinen, die alle eigenständig ihre Tätigkeiten – hauptsächlich in den Wintermonaten – ausübten.

Die Klöstitzer Behörden schafften es, das Dorf durch ihre Arbeit zu einer der größten Mutterkolonien Bessarabiens zu machen, woran die Kirche maßgeblich beteiligt war. In den Jahren um 1900 schafften es die Nachkommen der ehemaligen Kolonisten ihre Gemeinde zu einem Vorbild für andere Kolonien zu machen. Durch Fleiß und äußerste Sparsamkeit brachten es die Klöstitzer zu bescheidenem Wohlstand, aus welchen verschiedene Persönlichkeiten hervorgingen. Aus einigen Kleinbauern wurden über Generationen Gutsbesitzer, die in der Lage waren, Vorratswirtschaft zu betreiben, um bei Missernten die Ernährung der Gemeinde abzusichern. Die bekanntesten von ihnen waren Gottlieb Bodamar, Hoffmann und Gerstenberger, die ihre Ländereien schon um 1900 mit motorisierter Technik bestellen konnten. Ein fester Bestandteil der Klöstitzer war mittlerweile die Versorgung mit Dienstleistungen jeglicher Art. Die Landwirtschaft war in allen Dörfern der wichtigste Erwerbszweig, mussten die Bauern doch nicht nur sich selbst versorgen, sondern auch die Märkte, um auch finanziell abgesichert zu sein.

Die Bauernhöfe wurden meist von Großfamilien bewirtschaftet, auf dem oft bis zu zwölf Kinder heranwuchsen und deren Eltern und Großeltern lebten. Die Kinder wurden damals schon mit zehn bis zwölf Jahren zur Feldarbeit herangezogen.

Familie Messinger

So war es auch auf dem Hof des Großbauern Gottlieb Messinger, wo meine Mutter als viertes Kind von zwölf Geschwistern das Licht der Welt erblickte. Die Kinder wurden von den Eltern zur gegenseitigen Hilfe angeleitet, sodass die Älteren den Jüngeren bei der Toilette oder beim Anziehen halfen. Auch war es selbstverständlich, dass die Jüngeren die Sachen der Älteren auftrugen.

Dieses Bild zeigt vier Generationen Urgroßvater, Vater, Enkel und Urenkel

Die Schulbildung war zu dieser Zeit allen zugänglich, sodass aus Klöstitzer Studierenden gut ausgebildete Beamte hervorgingen, unteranderen ein General, der in der zaristischen Armee seinen Dienst ausübte. Nicht alle Kinder hatten das Glück die Schule bis zur 8. Klasse zu besuchen, sie wurden von ihren Eltern mit zehn oder zwölf Jahren aus der Schule genommen, weil sie im Haushalt und bei der Feldarbeit helfen mussten. So erging es auch meiner Mutter und den meisten ihrer Geschwister, sodass sie gerade soviel gelernt hatten, dass sie etwas lesen, rechnen und ihren Namen schreiben konnten. Dass die Kinder bei der Haus-, Hof-, und Feldarbeit helfen mussten, war eigentlich normal, weil kein Hehl daraus gemacht wurde, dass sie damit ihr tägliches Brot verdienten. Mit dieser Normalität lernten Kinder frühzeitig, dass nur durch Hände Arbeit das Leben finanziert werden kann. Unter diesen vorgegebenen Bedingungen wuchs die Generation meiner Eltern heran, die auch durch das Evangelium geformt und erzogen wurde. Die ihnen verbliebene Freizeit verbrachten sie in verschiedenen Vereinen, wie: Volkloregruppen, Stick-, Spinn- und Schneiderlehrgängen, wo die jungen Frauen an ihrer Aussteuer arbeiteten. Dies motivierte die Frauen, in ihrem späteren Leben selbst die Kleidung für ihre Familie herzustellen, was ohnehin Gang und Gebe war.

Spinn- u Stickgruppe

Das Jahr 1928 brachte der Familie Messinger einschneidende Veränderungen. Unerwartet verstarb die Mutter meiner Mutter, sodass sie ihre Stelle einnehmen musste, um die Großfamilie zu versorgen. Hier bewährte sich die von klein auf anerzogene Bereitschaft zu helfen und füreinander da zu sein. Von ihren Geschwistern unterstützt, nun schon als junge Frau, den Haushalt der Familie Messinger zu leiten, diese Tätigkeit verlangte ihr alles ab.

So verging die Zeit, bis der Vater meiner Mutter bemerkte, dass seine Tochter Anna hoffnungslos überfordert war. Das suchte er schleunigst abzustellen. Da bekanntlich die Zeit alle Wunden heilt, hat der Vater meiner Mutter seinen Schicksalsschlag in den letzten Jahren überstanden, sodass er sich wieder nach einer Partnerin sehnte. Wenn er tagsüber seine Kinder um sich hatte und seiner Arbeit nachging, so war er abends, wenn sich alle zurückgezogen hatten, allein. Das belastete ihn zunehmend. Im Frühjahr 1930 bei dem traditionellen Pferdemarkt im Nachbarort Tarutino, lernte er die Witwe Juliana Weiß kennen, die sich für ihn interessierte, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Es sollte nicht viel Zeit vergehen, bis Juliana Weiß zu Familie Messinger nach Klöstitz zog, wohin sie ihren jüngsten Sohn, den 23-jährigen Alfred mitbrachte.

Zu dieser Zeit waren ihre anderen acht Kinder schon aus dem Haus. Dass wieder eine erfahrene Hausfrau auf den Bauernhof zog, war für alle eine Bereicherung, zumal sie einen stattlichen jungen Mann mitbrachte, der ordentlich zupacken konnte. Nun trat wieder eine Art Normalität im Haushalt ein und Anna wurde spürbar entlastet. Nun konnte sie doch wieder am öffentlichen Leben teilhaben. Es kam nicht selten vor, dass der Stiefbruder Alfred die Anna zu ihrem Jungfrauentreffen begleitete und sie sich dadurch näherkamen, was zunächst Aufsehen erregte, weil fälschlicherweise behauptet wurde, dass sie Geschwister seien. Doch dies entbehrte jeder Grundlage. Vielmehr kam es dazu, dass Verlobung gefeiert wurde, wo Alfred um die Hand von Anna anhielt, welche freudig einwilligte. Es ist nicht immer so, dass sich junge Leute kennen und lieben lernten, wie Alfred und Anna, die meine Eltern wurden. Hier hat wohl das Schicksal die Hand im Spiel gehabt.

Alfred Weiß, 20 Jahre

Verlobtes Paar, Anna und Alfred

Gründung der Familie Weiß

Im Frühjahr 1931 überraschte Alfred seine Mutter sowie seinen Schwiegervater Gottlieb Messinger dahingehend, dass er Anna im Spätherbst ehelichen wolle. Das bedeutete für das junge Paar, Arbeiten für den Bau einer Lehmbude, so nannte man die Übergangshütte, um eine Unterkunft zu haben, bis zur Fertigstellung eines Massivhauses. Den ganzen Sommer über wurden einige Tausend Batzen aus dem Lehmstrohgemisch mittels einer Form hergestellt, die in der Sonne getrocknet wurden, dies wurde alles per Handarbeit erledigt. Die Baustelle, auf der sich das junge Paar ein Heim schaffen wollte, war ein Teil des Erbes von Anna. Diese befand sich in der Klöstitzer Bergstraße. Um den Bau finanzieren zu können, arbeitete Alfred bei einem Bauunternehmen, da war er in seinem Element, weil er gelernter Maurer war. Bei der Verwirklichung seines Bauvorhabens halfen ihm seine Freunde aus Tarutino sowie die Geschwister von Anna, denn gegenseitige und unentgeltliche Hilfe unter den jungen Leuten war Ehrensache. Die Freude war groß, als die dreiräumige Lehmbude am 1. September 1931 bezugsfertig war. Danach wurde mit Hochdruck die Hochzeit vorbereitet. Gottlieb Messinger, der Vater von Anna, ließ es sich nicht nehmen die Hochzeit zu finanzieren, wobei ein Teil des Erbes von Alfred für die Einrichtung verwendet wurde. Am 24. September 1931 war am Vormittag die standesamtliche, am Nachmittag desselben Tages, in der Kirche zu Klöstitz, die kirchliche Trauung vollzogen. Gefeiert wurde auf dem Bauernhof von Gottlieb Messinger, der es an nichts fehlen ließ, wo auch seine edlen Weine verkostet wurden. Dies ging bis zum Morgengrauen, bis dann die letzten den Hof verließen. Worauf sich Alfred ganz besonders freute, war, dass er mit Anna in sein eigenes selbstgebautes Heim einziehen würde, was am 1. Oktober 1931 geschah.

Nun sind sie das geworden, was der Welt Lauf ist: auf eigenen Beinen stehen, eine Familie haben sowie das umsetzen, was ihnen ihre Eltern anerzogen und gelehrt haben. Sicherlich wird es einige Zeit dauern, bis sie ihren festen Weg gefunden haben, der für sie eigentlich schon vorprogrammiert ist. Wie es bei Selbstversorgern ist, muss zunächst für Vorräte gesorgt werden, um den langen und harten Winter in Bessarabien zu überstehen. Die Zeit verging wie im Fluge, Alfred und Anna hatten sich in ihrem Heim gut eingerichtet und fühlten sich wohl, wobei noch viel Arbeit verrichtet werden musste, dass sie ihr Ziel zu erreichten. Der Dezember 1931 war sicherlich für die jungen Leute zu einem besonderen Monat geworden, hatten sie doch allen Grund zur Freude. In den Morgenstunden des 11. Dezember schenkte Anna ihrem Alfred einen Sohn. Das war Grund genug, dass sich eine allgemeine Freude in ihrem Hause breit machte, waren sie doch nun eine Familie geworden. Nun gab es mich, was ich meinen Eltern zu verdanken habe, sie gaben mir den Namen Artur. Dies wurde in der Kirche zu Klöstitz durch eine Taufe von Pastor Emanuel Baumann, am 21. Dezember besiegelt.

So hielt Großvater Gottlieb Messinger seinen 14. Enkel Artur auf dem Arm

Gottlieb Messinger, der mehrmalige Großvater, der nun auch der meine war, kam zu der kleinen Feier, um seinen vierzehnten Enkel auf den Arm zu nehmen, wobei er seiner Tochter Anna und Schwiegersohn Alfred gratulierte. Zu dieser Zeit lag Klöstitz tiefverschneit, sodass alle Gäste mit ihren Pferdeschlitten auf den Hof fuhren, um meine Taufe zu feiern. Die Taufe war in Bessarabien eine wichtige kirchliche Maßnahme, um dem Evangelium gerecht zu werden, denn das war zugleich die Aufnahme des Neugeborenen in die kirchliche Gemeinde.

Nun erlebte ich als Baby den ersten Winter mit meinen Eltern auf ihrem Hof, der einer der härtesten und schneereichste seit langem wurde. Der Schnee deckte draußen alle Arbeiten zu, sodass man im Haus das bevorstehende Weihnachtsfest vorbereiten konnte. Meine Mutter hatte es jetzt leichter, musste sie doch nicht mehr eine Großfamilie versorgen. Für die Bessarabier, somit auch für die Klöstitzer, war Weihnachten das Fest des Jahres, nicht des Schenkens willens, sondern um die Geburt Jesu Christi zu feiern, ist ihnen das Wichtigste. Unter dem geschmückten Weihnachtsbaum sangen sie wie eh und je die Lieder, die ihre Vorfahren aus Deutschland mitgebracht hatten.

Abendliches Treffen der Familien und Freunde

Weil es nicht nur in Klöstitz, sondern Landesweit üblich war die langen Winterabende gemeinsam mit Nachbarn und Freunden zu verbringen, luden meine Eltern diese in den Wochen nach dem Fest zu Sanges- und Bibelstunden ein. Diese Begegnungen festigten die Zusammengehörigkeit, bei Spielen, Nadelarbeit, Stickarbeiten und Schafwolle spinnen. Ganz wichtig war der Austausch von Neuigkeiten, weil es Medien, wie wir sie heute kennen, nicht gab. Auf diese Weise vergingen die Wintermonate, bis die wärmende Sonne den meterhohen Schnee schmelzen ließ und die Vogelschar mit ihrem Gesang den Frühling einläutete.

Junge bessarabische Familie

Das veranlasste meinen Vater gewisse Pläne für die Frühjahrsbestellung der Ländereien und Weinberge zu machen, welche das Erbe meiner Mutter waren, welche sie in Zukunft gemeinsam bewirtschaften würden. Daher kündigte Vater seine Arbeit im Bauunternehmen und nahm eine Stelle im Gutshof Gerstenberger an, um sich als Landwirt und Weinbauer zu profilieren. Ein Teil seines Lohnes war die Nutzung von Pferdegespannen sowie Landtechnik, um seine Ländereien zu bearbeiten, wobei ihn meine Mutter tatkräftig unterstützte. Die Hauptarbeit von Mutter war die Bestellung des Gartens (Krautgarten) in dem Obst, Gemüse und auch Paprika (Pfeffer) angebaut wurde. Das Heranziehen von Federvieh war auch ihre Aufgabe. Meine Eltern wussten aus Erfahrung, dass sie als Selbstversorger nur das haben würden, was sie sich selbst erarbeiten. Im Laufe des Frühjahrs und des Sommers wuchs eine zufriedenstellende Ernte heran, die Vater und Mutter im Schweiße ihres Angesichtes einbrachten. Auch die Fleischversorgung in Form von Schwein, Schaf und Federvieh war gesichert. Als Letztes wurde der Mais im Spätherbst geerntet, der ein wichtiges Nahrungsmittel darstellte. Auch Raps und Sonnenblumen, aus denen Speiseöle gepresst wurden, wurden eingebracht. Der wie bisher beschriebene Arbeitsablauf auf dem Bauernhof meiner Eltern war wie ein Programm, welches sich Jahr für Jahr wiederholen würde, wobei erwirtschaftete Überschüsse vermarktet wurden. Bislang kannten meine Eltern nur Arbeit, konnten sich dadurch verschiedene Anschaffungen machen, die in ihrem jungen Haushalt wichtig waren, sodass man sagen konnte, sie hatten es geschafft. Die Zeit blieb nicht stehen, dies merkten sie auch an ihrem Sohn Artur, der schon lägst durch die Lehmbude krabbelte und Mama und Papa (Date) sagen konnte. Wie im Fluge vergingen die letzten Wochen des Jahres 1932, es wurde wie üblich Weihnachten gefeiert bei hohem Schnee und klirrender Kälte. Der Januar 1933 wurde zu einem wichtigen Monat des Jahres, weil am 25. Januar meine Schwester Irma geboren wurde, somit kam noch mehr Leben ins Haus. So vergingen die nächsten Jahre bei gewohnter Arbeit, bei abendlichem Gesang und Bibelstunden, mit nun schon liebgewonnenen Nachbarn und Freunden.

Ab dem Frühjahr 1935 verbrachte ich die meiste Zeit bei meiner Großmutter, denn sie war krank. Ich machte ihr dann als vierjähriger Handreichungen. Wenn am Morgen mein Großvater mit seinen erwachsenen Kindern und Tagelöhnern auf die Steppe fuhr, um seine Ländereien zu bestellen, war Großmutter mit mir allein im Haus. Tagsüber wurde ich nach Erledigung der üblichen Hilfeleistungen von ihr verwöhnt. Sie las mir aus der Bibel vor und erzählte mir Märchen oder Geschichten, bis ich neben ihr einschlief. Mittlerweile war der Tagesablauf für mich Normalität geworden, auch das allabendliche Essen mit der Großfamilie.

Hier in der Wohnküche fanden Spinn- und Stickstunden statt

Großmutter mit KleinArtur auf dem Arm

Mein Großvater bemerkte, dass es seiner Frau immer schlechter ging, worauf er eine Betreuerin einstellte, die für sie sorgte und ihre Wunden an den Beinen (offene Beine) fachgerecht behandelte. Es war im Herbst 1935, die Maisernte hatte gerade begonnen, als ich wie so oft neben meiner Großmutter schlief. Ich wurde von der Betreuerin aus dem Schlaf geholt, weil meine Großmutter gestorben war. Es dauerte eine gewisse Zeit bis ich als Vierjähriger begreifen konnte, was geschehen war. Großvater versuchte mich zu beruhigen, was ihm aber nicht gelang, bis mich meine Eltern auf den Arm nahmen und mich trösteten. In den späten Abendstunden des gleichen Tages sind meine Eltern mit Irma und mir nach Hause gegangen, wobei mich der Verlust meiner Großmutter noch lange quälte. Ich hatte doch eine innige Beziehung zu ihr. In unserer Familie, insbesondere bei meinem Großvater und seinen noch im Hause lebenden Kindern, machte sich eine tiefe Trauer breit, hatte er doch nun die zweite Frau und die Kinder ihre Mutter verloren. Bei allem Respekt und aller Trauer, das waren die Worte meines Vaters, die er an meine Mutter richtete, muss die Maisernte weitergehen, zumal das Wetter nicht besser sein kann. Das bejahte Mutter mit einem Kopfnicken. Nun sollte eine neue Aufgabe auf mich zukommen, in dem ich als Babysitter für meine Schwester im Hause blieb, wenn Vater mit Muttern und Erntehelfern in die Steppe fuhr, um den Mais zu ernten, den sie auf dem Dreschplatz auf den Hof abluden. Die bergeweise angefahrenen Maiskolben wurden allabendlich auf dem Dreschplatz mit Nachbarfamilien sowie Helfern abgeblattet. Dabei wurde gesungen, Neuigkeiten ausgetauscht und der Weinkrug machte des Öfteren die Runde. Wir Kinder hielten uns an Melonen (Arbusen) und Weintrauben, die auf dem Tisch standen, bis wir übermüdet in dem Maisblätterhaufen einschliefen und wir morgens verwundert in unseren Betten aufwachten.

In unserer gefestigten und gläubigen Familie wuchsen wir beide heran. Es gehörte zum normalen täglichen Ablauf, dass zu jeder Mahlzeit ein Tischgebet gesprochen wurde. Der sonntägliche Kirchgang war ein Bedürfnis unserer Eltern, die uns beide danach in die Kinderkirche schickten, wo sie uns nachschauten, wie wir Hand in Hand hineingingen.

Beim Meisabblatten auf dem Dreschplatz, waren Jung und Alt dabei

Die Großeltern durften sich auf dem Bänkle ausruhen

Inzwischen bereitete Mutter das gute Mittagessen vor, worauf wir uns beide schon freuten, weil es sonntags immer etwas Besonderes gab. Wenn auch meine Eltern tagein, tagaus Schwerstarbeit leisten mussten, reichte es oft nur zum Notwendigsten. Weil manchmal nicht genug zu essen da war, wenn durch Dürre die Ernte schlecht ausfiel. Es kam nicht selten vor, dass ich des Nachts aufwachte und großen Hunger verspürte, weil ich beim Abendbrot nicht satt wurde. Der Rat meiner Mutter war dann: Trinke Wasser, dann bist du satt. Schon als Fünfjähriger verspürte ich die allgegenwärtige Armut unserer Familie, was mir meine Eltern so erklärten, dass man diese in Demut ertragen müsse, weil das die einzige Möglichkeit ist. Was meinen Eltern anerzogen wurde, haben sie an uns Kindern weitergegeben, das war: Ehrlichkeit, Gehorsam und Fleiß. Mir wurde es zur Aufgabe gemacht, Gänse, Enten und Puten zu hüten, solange sie noch Küken waren. Wenn wir Kinder unsere Aufgaben sorgsam erledigt hatten, gab es ein Lob und zum Abendessen einen Leckerbissen. Natürlich kam es vor, dass wir beim Spielen unsere Aufgaben vergaßen, was von Vater streng geahndet wurde und ich als Ältester zu spüren bekam.

Abschluss der Ernte

Die Bauern von Klöstitz, somit auch meine Eltern, hatten ihre Ernte unter Dach und Fach gebracht, was Anlass zur Freude gab, weil die Ernährung für Mensch und Vieh für den kommenden Winter gesichert war. Es war auch gut so, weil es wieder einmal Dezember wurde und der Winter wieder mit viel Schnee seinen Einzug hielt, was den Dorfbewohnern oft große Schwierigkeiten bereitete, den Kindern aber Freude. Mit ganz viel Freude bauten wir einen Schneemann, wobei uns Vater half, meistens endete es mit einer Schneeballschlacht. Meinen fünften Geburtstag haben wir am 11. Dezember 1936 hinter uns gebracht. Wie üblich begannen auch wieder die abendlichen Zusammenkünfte, wo bekannte Kirchenlieder gesungen wurden und die Spinnräder wieder surrten. In der Woche des 3. Advents brachte Mutter uns Kinder früher als sonst ins Bett, weil sie mit Vater zur Bibelstunde gehen wollte. Sie gingen mit den Worten: „Seid schön artig, wir kommen in zwei Stunden wieder.“ Mutter löschte die Petroleumlampe im Zimmer und verließ dann mit einer Stalllaterne die Hütte. Im stockdunklen Zimmer schliefen wir dann bald ein, bis ich durch ein Geräusch aufschreckte. Das Geräusch war wie ein Kratzen an der Außentür und dann am Fenster, unter dem unser Bett stand. Wir krochen unter die Decke, waren vor Angstschweiß gebadet, abwechselnd wiederholte sich das kratzende Geräusch, bis es dann still wurde. Am Morgen erzählte ich den Eltern, was sich während ihrer Abwesenheit zugetragen hatte. Vater überprüfte dieses und stellte Kratzer an Tür und Fenster fest, auch waren Wolfspuren zu sehen.

Erschrocken rief Mutter: „Um Gotteswillen Alfred, nicht auszudenken, wenn den Kindern etwas passiert wäre.“ Durch den Kälteeinbruch Ende des Jahres 1936 waren die Grenzflüsse Dnjester und Pruth zugefroren. Wenn das geschah, kamen die Wölfe von der Ukraine über den Dnjester und aus den Karpaten über den Pruth nach Bessarabien. Die Wolfsrudel richteten großen Schaden unter den Schafsherden an, sodass der Jagdverein eine Treibjagd anberaumte, woran auch Vater teilnahm. In den drei Tagen der Jagd, wurden zahlreiche Wölfe erlegt, das beruhigte die Klöstitzer.

Bauern bereiten ihre Pflüge für die Getreideernte vor – die Frauen waren immer mit dabei.

Nach Erinnerung nachgestelltes Bild: Das Anfertigen einer Gabel aus einem Weidenstämmchen

Vorsichtshalber verhängte der Dorfschulze eine nächtliche Ausgangssperre. Kurzfristig war das pulsierende Leben der Dorfbewohner gestört, kam aber zum Neujahrsbeginn 1937 wieder voll in Schwung. Der Winter 1937 hatte Bessarabien, somit auch Klöstitz fest im Griff, durch meterhohen Schnee sowie Verwehungen kam die Versorgung der Einwohner ins stocken, was bis Ende März andauerte. Durch Schneeverwehungen war unsere Lehmbude bis zum Dach zugeweht, sodass Vater alle Mühe hatte, die Tür nach draußen frei zu bekommen, um in den Stall zu den Haustieren zu gelangen. Die vergangenen Jahre bei den härtesten Wintern in der Lehmbude zu wohnen, war eine Zumutung für die Familie geworden. Da war es für Vater zu einer Dringlichkeit geworden, dies abzuändern, zumal seine Familie immer größer wurde. Es gehörte schon im Winter zur Normalität, dass trotz Ofenheizung Minusgrade in der Wohnküche waren und das Trinkwasser in den Eimer gefror. An einem Winterabend, als die ganze Familie um den warmen Ofen saß, hörte ich, dass meine Eltern das jahrelang Ersparte zum Bau eines Massivhauses verstärkt einsetzen wollten.

Den Winter 1937 nutzte Vater mittels einer Arbeit in einer Dachsteinfabrik. Der Lohn dafür waren die Steine für sein geplantes Haus, was von nun an sein Hauptziel war. So vergingen die Wochen und es wurde März, er brachte Tauwetter mit sich, das die Schneemassen schmelzen ließ. Die Bauern bereiteten sich zur Frühjahrsbestellung vor.

Zu einem besonderen Tag wurde der 14. Juli 1937, mein Bruder Helmuth wurde geboren. Nun hatte ich in Zukunft eine Aufgabe mehr - auf ihn aufpassen zu müssen. Außergewöhnliches geschah in diesem Jahr nicht mehr, nur das Übliche wie in den Jahren zuvor. So endete es auch mit meinem sechsten Geburtstag und dem Weihnachtsfest. Der Winter zur Jahreswende 1937/38 zeigte sich von einer besseren Seite, wodurch die Klöstitzer spürbar entlastet wurden.

Meine Einschulung in Klöstitz