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Martin Luthers berühmte Schrift allgemeinverständlich erklärt Martin Luthers Freiheitsschrift stellt einen Glücksfall im reichen Schrifttum des Reformators dar. Kaum noch einmal ist ihm auf so engem Raum eine so dichte und klare Beschreibung der Situation des Menschen vor Gott und mit seinen Mitmenschen gelungen. Darum ist die Schrift auch immer wieder als eine elementare Einführung in Luthers Werk verwendet worden. Allerdings bedarf es sachkundiger Erläuterungen, um die Grundbestimmungen Luthers in ihrem für das heutige Bewusstsein provokanten Sinn mit Gewinn zu erfassen. Diese werden hier so gegeben, dass sie ohne theologische Vorbildung verständlich sind. Daher eignet sich das Buch ebenso für den Unterricht in der Oberstufe der Gymnasien wie für das Selbststudium. Der Text folgt der Deutsch-Deutschen Lutherausgabe und ermöglicht daher eine zügige Lektüre in modernem Deutsch, erlaubt aber auch, die frühneuhochdeutsche Sprache Luthers im Original wahrzunehmen. In diesem Format werden weitere Texte folgen – von Augustin bis Karl Barth. Martin Luther's Treatise on Liberty is a stroke of luck among the vast richness of the reformer's writings. Rarely again he achieved to present the situation of man before God and with his neighbours in such a concise way. Therefore this writing has been frequently used as an elementary introduction to the work of Luther. There is however need for a commentary to understand the basic concepts of Luther which indeed are a challenge for the modern mind. The commentary given here is readily understandable without a theological background. Therefore the book is suitable both for secondary school teaching and for private study. The text is based on the German-German edition of Luther's works and thus permits a fast reading as well as a study of the original text in Early New High German.
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Seitenzahl: 228
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Große Texte der Christenheit
1
Herausgegeben von Dietrich Korsch und Johannes Schilling
Martin Luther
Von der Freiheit eines Christenmenschen
Herausgegeben und kommentiert von Dietrich Korsch
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.dnb.de> abrufbar.
2., verb. Aufl. 2018
© 2016 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH, Leipzig
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Cover: Makena Plangrafik, Leipzig
Satz: Evangelische Verlagsanstalt GmbH
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2018
ISBN 978-3-374-04444-3
www.eva-leipzig.de
Von der Freiheit eines Christenmenschen – das ist die gegenwärtig wohl meistgelesene Schrift Martin Luthers. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens führt sie das Schlüsselwort der Moderne, die Freiheit, im Namen. Daher erwartet man von ihr eine Klärung, wenn nicht sogar eine Stärkung des unabschließbaren Freiheitsimpulses, der die Gegenwart bestimmt. Zweitens verspricht sie Auskunft zu geben über die Bedeutung der Freiheit für das persönliche Christsein. Das ist eine Frage, die sich insbesondere dem christlichen Glauben heute stellt.
Kann eine Schrift vom Anfang des 16. Jahrhunderts diese Erwartungen erfüllen? Die klare, von Fachbegriffen freie Sprache und die unpolemische Argumentation sprechen dafür. Jedoch gilt es, die historische Distanz wahrzunehmen und anzuerkennen, die eine unmittelbare Aneignung ausschließt. Die religiöse Situation Luthers ist nicht die unsere, und die Freiheitsvorstellungen seiner Zeit haben mit den modernen Ansichten wenig gemein. Darum muss eine interessierte Lektüre von Luthers Schrift beim genauen Verständnis des Textes in seinem geschichtlichen Horizont ansetzen, um auf dessen Grundlage die systematische Bedeutung ermitteln zu können. Einen solchen Weg möglich zu machen, ist die Absicht dieser Ausgabe, die eine authentische Fassung des Textes vorlegt und einen interpretierenden Kommentar anschließt. Die Pointe der Interpretation lautet: Das christliche Verständnis der Freiheit eröffnet eine eigene, freie Sicht auf moderne Freiheitsbegriffe, weil sich Christsein als Vollzug von Freiheit darstellt. Beide, Freisein und Christsein, haben dieselbe Wurzel: Jesus Christus in Person.
Der hier vorgelegte Text ist die deutsche Fassung der Freiheitsschrift. Sie erscheint in der aus der Erstausgabe Wittenberg 1520 erhobenen frühneuhochdeutschen Fassung in einer uns geläufigen Drucktype und wird von meiner am gegenwärtigen Deutsch orientierten Übersetzung begleitet. Damit wird es möglich, auf den linken Seiten der Ausgabe Luthers eigene Sprache im originalen Wortlaut zu studieren. Das ist insbesondere darum von Bedeutung, weil sich nur so die für Luthers Stil eigentümliche Rhetorik erschließt. Eine mehrfache Lektüre jedes einzelnen Abschnitts lässt den Text auch für ein heutiges Sprachverständnis zugänglich werden. Gleichwohl sind die sprachlichen Verschiebungen im Deutschen seit Luthers Zeit so auffällig, dass eine rasche Lektüre im größeren Zusammenhang kaum ohne Übung möglich wird. Zudem geht für uns ein wesentliches Merkmal von Luthers Schriften verloren: ihre Nähe zur alltäglich gesprochenen Sprache. Diese Nähe erneut ahnen zu lassen, ist die Absicht der Übersetzung auf der jeweils rechten Seite. Der Textteil dieser Ausgabe lässt sich mithin auf zweifache Weise erschließen. Die beste Art ist zweifellos, den frühneuhochdeutschen Text langsam, womöglich laut und mehrfach, zu lesen – und in Zweifelsfällen auf die Übersetzung zu schauen. Die andere Art besteht darin, den Zusammenhang des Textes im Überblick durch die Übersetzung wahrzunehmen – und dann zur Verdichtung und Vertiefung, gegebenenfalls auch zur Verbesserung der Übersetzung, den Originaltext zu Rate zu ziehen. Wer sich mit dem Fluss des Textes vertraut gemacht hat, dem sei geraten, auch einmal auf die elektronische Ressource des Originals zuzugreifen: Es ist erstaunlich, in wie kurzer Zeit nach der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern die Drucker sehr gut lesbare Schriften und Formate gefunden haben. Die wenigen Abkürzungen lassen sich leicht auflösen.
Der Kommentar setzt die Schrift Luthers als einen historischen Text voraus, der gleichwohl systematisch zu beurteilende Argumente enthält. Der historische Abstand ist keine sachliche Abständigkeit – es wird ja auch niemand Texte Platons deswegen für antiquiert erachten, weil sie der griechischen Antike entstammen. Der Kommentar folgt dem Text, tut das aber stets so, dass er auf die dort vorhandenen und auch im heutigen Kontext diskutablen Gründe verweist. Die Verbindung von authentischem Text und erläuterndem Kommentar will dem Zweck dienen, diesen großen Text der Christenheit als einen Beitrag zum gegenwärtigen Christsein verstehen und würdigen zu können. Meinem Freund Johannes Schilling danke ich für seine sorgfältige Durchsicht des Kommentars, die ihn maßgeblich gebessert hat.
Es handelt sich hier um den ersten Band der von Johannes Schilling und mir verantworteten Reihe „Große Texte der Christenheit“, die weitere Dokumente der christlichen Literatur durch Textausgabe und Erläuterung für die Gegenwart erschließen möchte. In diese Reihe aufgenommen werden Texte, die die gedankliche Klarheit des Glaubens für interessierte Christenmenschen fördern wollen, sowie Texte, die alle diejenigen kennen sollten, die sich heute über das Christentum äußern.
Dietrich Korsch
März 2016
Martin Luther nach Lucas Cranach d. Ä.
Übersetzung der Bildunterschrift: Die ewigen Gottesbilder seines Geistes drückt Luther selber aus, jedoch das Wachs des Lucas seine vergänglichen Gesichtszüge – 1520.
Cover
Titel
Impressum
A Der Text
B Erläuterungen
1. Zum Text
2. Zur Geschichte
3. Zur Erklärung
I Christsein ist Freisein durch Christus § 1–2
1. Freiheit und Dienstbarkeit und ihr Grund in Christus
2. Die Doppelnatur des Menschen und die Notwendigkeit ihrer Verwandlung
II Der innere Mensch: Freiheit im Glauben § 3–18
1. Der Weg in die Freiheit des Glaubens
2. Die Gestalt der Freiheit
2.1 Gott anerkennen – mit Christus eins sein
2.2 Das Erste Gebot erfüllen, König und Priester sein
III Der äußere Mensch: Handeln aus Freiheit § 19–30
1. Der eigene Leib als inneres Gegenüber
2. Der andere Mensch als äußeres Gegenüber
C Anhang
Gliederung von Luthers Freiheitsschrift
Literatur
Zeittafel
Der hier abgedruckte Text ist der von Johannes Schilling mit Albrecht Beutel, Dietrich Korsch, Notger Slenczka und Helmut Zschoch hrsg. Deutsch-Deutschen Studienausgabe (DDStA) entnommen, Bd. 1: Glaube und Leben, hrsg. von Dietrich Korsch, Leipzig 2012, 277–315.
Dem fursichtigen vnd weyszen hern Hieronymo Mlphordt Staduogt zu Zwyckaw meynem besondern gnstigen freund vnd Patron Em piete ich genantt Doktor Martinus Luther Augustiner meyne willige dienst vnnd allis guttis.
Fursichtiger weyszer Herr / vnd Gnstiger freund / der wirdig Magister Iohan Egran / ewr lblichen stat Prediger / hat mir hoch gepreysset ewr lieb vnd lust / szo yhr zu der heyligen schrifft traget / wilch yhr auch emszlich bekennen vnd fur den menschen zu preyszen nit nachlasset. Derhalben er begeret / mich mit euch bekennet zu machen / byn ich gar leychtlich willig vnd frlich des beredt / denn es mir eyn sondere freudt ist / tzu hren / wo die gottlich warheyt geliebt wirt / der leyder szo vill / vnd die am meysten / die sich yhres titels auffwerffen / mit aller gewalt vnd list widderstreben / wie wol es alszo seyn musz / das an Christum/ zu eynem ergernis vnd tzeychen gesetzt / dem widdersprochen werden musz / vill sich stossen / fallen / vnd aufferstahen mussen. Darumb hab ich an zu heben vnszer kundschafft vnd freuntschafft / disz tractatell vnnd Sermon euch wollen zuschreyben / ym deutschen / wilchs ich latinisch dem Bapst hab zu geschrieben / damit fur yderman / meyner lere vnd schreyben / von dem Bapstum / nit eyn vorweyszlich / als ich hoff / vrsach angetzeygt. Befill mich hie mit / euch / vnd allsampt / gottlichen gnaden. AMEN. Zu Wittembergk. 1520.
Ihesus.
Zum ersten. Das wir grundlich mgen erkennen / was eyn Christen mensch sey / vnd wie es gethan sey / vmb die freyheyt / die yhm Christus erworben vnd geben hatt / dauon S. Paulus viel schreybt / will ich setzen / dysze zween beschlusz.
Dem umsichtigen und weisen Herrn Hieronymus Mühlpfordt, Stadtvogt zu Zwickau, meinem besonderen, wohlgesonnenen Freund und Patron, entbiete ich, Doktor Martin Luther, Augustiner, meinen willigen Dienst und alles Gute.
Umsichtiger weiser Herr und wohlgesonnener Freund, der ehrwürdige Magister Johannes Egranus, Prediger eurer löblichen Stadt, hat mir Eure Liebe und Lust gepriesen, die Ihr zu der Heiligen Schrift habt, welche Ihr auch eifrig bekennt und nicht aufhört, sie vor den Menschen zu preisen. Da er mich mit Euch bekannt machen möchte, bin ich zu solcher Bekanntschaft gern bereit und fröhlich dafür gewonnen; denn es ist mir eine besondere Freude zu hören, wo die göttliche Wahrheit geliebt wird, der leider so viele – und am meisten die, die sich ihres Titels brüsten – mit aller Gewalt und List widerstreben. Aber es muss so sein, dass sich an Christus, der als ein Zeichen und zum Ärgernis gesetzt ist, viele stoßen, fallen und auferstehen. Darum habe ich, um den Anfang unserer Bekanntschaft und Freundschaft zu machen, Euch diesen Traktat, diese Predigt, auf Deutsch widmen wollen, welche ich auf Lateinisch dem Papst gewidmet habe. Damit habe ich jedermann den Grund meiner Lehre und meines Schreibens vom Papsttum angezeigt, der, wie ich hoffe, untadelig ist. Hiermit befehle ich mich mit Euch und allen Menschen der göttlichen Gnade an. Amen. Zu Wittenberg. 1520.
Jesus.
Zum Ersten. Damit wir gründlich erkennen, was ein Christenmensch ist und wie es mit der Freiheit steht, die ihm Christus erworben und gegeben hat, wovon Paulus viel schreibt, will ich diese zwei Sätze aufstellen:
Eyn Christen mensch ist eyn freyer herr / ber alle ding / vnd niemandt vnterthan.
Eyn Christen mensch ist eyn dienstpar knecht aller ding1 vnd yderman vnterthan.
Disze zween beschlsz seynd klerlich sanct Paulus. 1. Cor. 9. Ich byn frey yn allen dingen / vnd hab mich eynsz yderman knecht gemacht.2 Item Ro. 13. Ihr solt niemand ettwaz vorpflichtet seyn / den daz yr euch vn ternander liebet.3 Lieb aber / die ist / dienstpar / vnd vnterthan dem das sie lieb hatt. Alszo auch von Christo Gal. 4. Gott hatt seynen szon auszgesandt / von eynem weyb geporen vnd dem gesetz vnterthan gemacht.4
Czum andern / Disze zwo widderstendige rede / der freyheyt vnd dienstparkeyt zuuornehmen / sollen wir gedencken / das eyn yglich Christen mensch ist zweyerley natur / geystlicher vnd leyplicher. Nach der seelen wirt er eyn geystlich / new / ynnerlich mensch genennet / nach dem fleysch vnd blut wirt er eyn leyplich allt vnd euszerlich mensch genennet. Vnd vmb diszes vnterschiedisz willen / werden von yhm gesagt yn der schrifft / die do stracks widdernander seyn / wie ich itzt gesagt / von der freyheyt vnd dienstparkeit.
Czum dritten / So nhemen wir fur vns den ynwendigen geystlichen menschen / zusehen was datzu gehre / daz er eyn frum frey / Christen mensch sey vnd heysse. So ists offenbar / das keyn euszerlich ding mag yhn frey / noch frum machen / wie es mag ymmer genennet werden / denn seyn frumkeyt vnd freyheyt / widerumb seyn bszheyt vnd gefencknisz / seyn nit leyplich noch euszerlich. Was hilffts die seelen / das der leyp / vngefangen / frisch vnd gesund ist / ysszet / trinckt / lebt / wie er will? Widderumb was schadet das der seelen / das der leyp / gefangen krang vnd matt ist / hungert / drstet vnd leydet / wie er nit gerne wolt? Diszer ding reychet keynisz / bisz an die seelen/sie zu befreyhen oder fahen/frum oder bsze zu machen.
Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.
Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.
Diese zwei Sätze liegen klar bei Paulus vor. 1Kor 9: Ich bin frei in allen Dingen und habe mich zu jedermanns Knecht gemacht. Ebenso Röm 13: Ihr sollt niemandem etwas schuldig sein, außer dass ihr einander liebt. Liebe aber, die ist dienstbar und untertan dem, was sie liebt. Ebenso heißt es von Christus Gal 4: Gott hat seinen Sohn gesandt, von einem Weib geboren und dem Gesetz untertan gemacht.
Zum Zweiten. Um diese beiden widersprüchlichen Redeweisen von der Freiheit und der Dienstbarkeit zu verstehen, müssen wir daran denken, dass ein jeder Christenmensch von zweierlei Natur ist, von geistlicher und leiblicher. Nach der Seele wird er ein geistlicher, neuer, innerer Mensch genannt, nach Fleisch und Blut wird er ein leiblicher, alter und äußerer Mensch genannt. Wegen dieses Unterschiedes werden in der Schrift Sätze gesagt, die sich strikt widersprechen, so wie ich jetzt von Freiheit und Dienstbarkeit gesprochen habe.
Zum Dritten. Zuerst nehmen wir uns den inwendigen, geistlichen Menschen vor, um zu sehen, was dazu gehört, dass er ein rechter, freier Christenmensch sei und heiße. Hier ist es offensichtlich, dass kein äußerliches Ding ihn frei und recht machen kann, welches man auch immer vorbringen könnte. Denn sein Rechtsein und seine Freiheit, wie umgekehrt auch seine Bosheit und seine Gebundenheit, sind weder leiblich noch äußerlich. Was hilft es der Seele, dass der Leib ungebunden, frisch und gesund ist, dass er isst, trinkt, lebt, wie er will? Umgekehrt, was schadet es der Seele, dass der Leib gebunden, krank und matt ist, dass er hungert, dürstet und leidet, wie er nicht gerne will? Nichts davon reicht an die Seele heran, um sie zu befreien oder zu binden, recht oder schlecht zu machen.
Czum vierden / Alszo hilffet5 es die seele nichts / ob der leyp heylige kleyder anlegt / wie die priester vnd geystlichen thun / auch nit ob er ynn den kirchen vnd heyligen stetten sey. Auch nit ob er mit heyligen dingen vmbgah. Auch nit ob er leyplich bette / faste / walle / vnd alle gute werck thue / die durch vnd ynn dem leybe geschehen mochten ewiglich. Es musz noch allis etwas anders seyn / das der seelen bringe vnd gebe frumkeyt vnd freyheyt. Denn alle disze obgenanten stuck / werck vnd weyszen / mag auch an sich haben vnd ben / eyn bszer mensch / eyn gleyszner vnd heuchler. Auch durch solch weszen keyn ander volck / denn eyttell gleyszner werden. Widderumb / schadet es der seelen nichts / ob der leyp vnheylige kleyder tregt / an vnheyligen rten ist / yszt / trinckt / wallet / bettet nit / vnd lessit alle die werck onstehen / die die bgenanten gleyszner thun.
Czum funfften / Hatt die seele keyn ander dinck / widder yn hymel noch auff erden / darynnen6 sie lebe / frum / frey / vnd Christen sey / den das heylig Euangelij / das wort gottis von Christo geprediget. Wie er selb sagt. Ioh. 11. Ich byn daz leben vnd aufferstehung / wer do glaubt yn mich / der lebet ewiglich.7 Item. 14. Ich byn der weg / die warheyt / vnd das leben.8 Item Matt. 4. Der mensch lebet nit alleyn von dem brot/ sondern von allen worten die do gehen von dem mund gottis.9 So mussen wir nu gewisz seyn / das die seele kan allis dings emperen on des worts gottis / vnd on das wort gottis / ist yhr mit keynem ding beholffen. Wo sie aber das wort hatt / szo darff sie auch keynesz andern dings mehr /sondern / sie hat in dem wort / gnugde / speisz freud / frid / licht / kunst / gerechtickeyt / warheyt / weyszheyt / freyheit vnd allis gutt berschwenglich. Alszo leszen wir ym Psalter sonderlich ym .118. psalm10 / das der prophet nit mehr schreyet den nach dem gottis wort. Vnd yn der schrifft die aller hochste plag vnd gottis zorn gehalten wirt / szo er seyn wort von den menschen nympt11 / Widderumb keyn grsser gnade / wo er seyn wort hyn sendet / wie psalmus .106. stet. Er hat seyn wort ausz gesandt / damit er yhn hatt geholffen.12 Vnd Christus vmb keyns andern ampts willen13 / den zu predigen das wort gottis kummen ist. Auch alle Apostell / Bischoff / priester vnd gantzer geystlicher stand / alleyn vmb des worts willen ist beruffen vnd eyngesetzt / wie woll es nu leyder anders gaht.
Zum Vierten. Dementsprechend hilft es der Seele nicht, wenn der Leib heilige Kleider anlegt, wie es die Priester und Geistlichen tun, auch nicht, wenn er sich in Kirchen und an heiligen Orten aufhält – ebenso wenig, wenn er mit heiligen Dingen umgeht. Und es hilft auch nicht, wenn er bloß mit Worten betet, fastet, pilgert und alle guten Werke tut, die durch den Leib und in ihm überhaupt nur geschehen könnten. Es muss noch etwas ganz anderes sein, das der Seele Rechtsein und Freiheit bringt und gibt. Denn all die genannten Dinge, Tätigkeiten und Handlungsweisen kann auch ein böser Mensch an sich haben und ausüben, ein Blender und Heuchler. So entsteht durch solch ein Wesen ein Volk von lauter Heuchlern. Umgekehrt schadet es der Seele nicht, wenn der Leib unheilige Kleider trägt, an unheiligen Orten ist, nicht fastet, pilgert und betet und all die Werke nicht vollbringt, die die genannten Heuchler tun.
Zum Fünften. Es hat die Seele nichts anderes, weder im Himmel noch auf Erden, worin sie leben kann, recht, frei und Christ sein, als das heilige Evangelium, das Wort Gottes von Christus gepredigt. Wie er selbst Joh 11 sagt: Ich bin das Leben und die Auferstehung. Wer an mich glaubt, der lebt ewiglich. Ebenso Joh 14: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Ebenso Mt 4: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von allen Worten, die aus dem Mund Gottes gehen. Daher müssen wir nun gewiss sein, dass die Seele alle Dinge entbehren kann bis auf das Wort Gottes, und ohne Gottes Wort ist ihr durch gar nichts geholfen. Wenn sie aber das Wort hat, so braucht sie sonst nichts mehr, sondern sie hat an dem Wort Genüge, hat Speise, Freude, Frieden, Licht, Erkenntnis, Gerechtigkeit, Wahrheit, Weisheit, Freiheit und alles Gute im Überschwang. Entsprechend lesen wir im Psalter, besonders im Ps 119, dass der Prophet nach nichts sonst schreit als nach Gottes Wort. Und in der Schrift wird es für die allerhöchste Plage und Gottes Zorn gehalten, wenn er sein Wort den Menschen entzieht. Um gekehrt gibt es keine größere Gnade, als wenn er sein Wort hinsendet, wie in Ps 107 steht: Er hat sein Wort ausgesandt, damit hat er ihnen geholfen. Und Christus ist um keines anderen Amtes willen gekommen, als um das Wort Gottes zu predigen. Auch alle Apostel, Bischöfe, Priester und der ganze geistliche Stand sind allein um des Wortes Gottes willen berufen und eingesetzt – obwohl es nun leider anders zugeht.
Czum sechsten / Fragistu aber / wilchs ist denn das wort das solch grosse gnad gibt. Vnd wie sol ichs gebrauchen? Antwort. Es ist nit anders / denn die predigt von Christo geschehen wie das Euangelium ynnehelt. Wilche soll seyn / vnd ist alszo gethan / das du hrist deynen gott zu dir reden / Wie alle deyn leben vnd werck / nichts seyn fur gott / sondern mszsist / mit allen dem das ynn dir ist ewiglich vorterben. Wilchs szo du recht glaubst / wie du schuldig bist / so mustu an dir selber vortzweyffelnn / vnd bekennen / das war sey der spruch Osee. O Israel yn dir ist nichts / denn deyn vorterben / alleyn aber yn mir steht deyn hulff.14 Das du aber ausz dir vnd von dir / das ist ausz deynem vorterbenn kommen mgist / szo setzt er dir fur / seynen lieben szon Ihesum Christum / vnd leszsit dir durch seyn lebendigs trostlichs wort sagen. Du solt ynn den selben mit festem glauben dich ergeben / vnd frisch ynn yhn vortrawen. So sollen dir vmb desselben glaubens willen/ alle deyne sund vorgeben / alle deyn vorterben vberwunden seyn / vnd du gerecht / warhafftig / befridet / frum / vnd alle gebott erfullet seyn / von allen dingen frey sein. Wie S. Paulus sagt. Ro. 1. Ein rechtfertiger Christen / lebt nur von seynem glauben.15 Vnd Ro. x. Christus ist das ende vnd flle aller gebot / denen / die ynn yhn glauben.16
Zum Sechsten. Fragst du aber: Was ist denn das Wort Gottes, das eine so große Gnade gibt? Und wie soll ich es gebrauchen?, dann lautet die Antwort: Es ist nichts anderes als die Predigt von Christus, die so geschehen ist, wie sie das Evangelium enthält. Die soll so beschaffen sein und sie geschieht auch so, dass du deinen Gott zu dir reden hörst, wie sehr all dein Leben und alle deine Taten nichts vor Gott gelten, sondern dass du mit all dem, was in dir ist, in Ewigkeit zugrunde gehen musst. Wenn du das recht glaubst, wozu du verpflichtet bist, dann wirst du an dir selbst verzweifeln und du wirst bekennen, dass das Wort Hoseas wahr ist: O Israel, in dir ist nichts als dein Verderben, allein in mir aber besteht deine Hilfe. Damit du aber aus dir und von dir, das heißt: aus deinem Verderben, herauskommen kannst, stellt er seinen lieben Sohn Jesus Christus vor dich hin und lässt dir durch sein lebendiges, tröstliches Wort sagen: Du sollst dich ihm mit festem Glauben überlassen und frisch auf ihn vertrauen. So sollen dir um dieses Glaubens willen alle deine Sünden vergeben und soll all dein Verderben überwunden sein, und du sollst ge recht, wahrhaftig, befriedet, recht sein; alle Gebote sollen erfüllt und du sollst von allen Dingen frei sein, wie Paulus Röm 1 sagt: Ein gerechtfertigter Christ lebt nur von seinem Glauben. Und Röm 10: Christus ist das Ende und die Vollendung aller Gebote für die, die an ihn glauben.
Czum siebenden. Drumb solt das billich aller Christen eynigs werck vnd bung seyn / das sie das wort vnd Christum wol ynn sich bildeten/ solchen glauben stetig vbeten vnd sterckten. Denn keyn ander werck / mag eynen Christen machen. Wie Christus Ioh. 6. zu den Iuden sagt / da sie yhn fragten / was sie fur werck thun solten / daz sie gottlich vnd Christlich werck thetten. Sprach er. Das ist das eynige gotliche werck / das yhr glaubt yn denen / den gott gesandt hatt.17 Wilchen gott der vatter allein auch dartzu vorordnet hatt. Darumb ists gar ein vberschwencklich reychtumb / ein rechter glaub yn Christo / denn er mit sich bringt alle seligkeit / vnd abnympt alle vnseligkeyt. Wie Mar. vlt. Wer do glaubt vnd taufft ist / der wirt selig. Wer nit glaubt / der wirt vordampt.18 Darumb der prophet Isa. x. Den reychtumb des selben glaubens ansach vnd sprach. Gott wirt eyn kurtz summa machen auff erden / vnd die kurtz summa wirt / wie ein syndflut eynfliessen die gerechtickeit19 / das ist / der glaub / darynn kurtzlich aller gebot erfullung steht/ wirt vberflussig rechtfertigen alle die yhn haben / das sie nichts mehr bedurffen / das sie gerecht vnd frum seyn. Alszo sagt S. Pauel Ro. x. Das man von hertzen glaubt / das macht eynen gerecht vnd frum.20
Czum achten / Wie gaht es aber zu / das der glaub allein mag frum machen / vnd on alle werck szo berschwencklich reychtumb geben / szo doch souill gesetz / gebot / werck / stend vnd weysze vns furgeschrieben seyn / ynn der schrifft. Hie ist fleyszsig zu mercken / vnd yhe mit ernst zubehalten / daz allein der glaub on alle werck frum / frey / vnd selig machet / wie wir hernach mehr hren werden Vnd ist zu wissen / das die gantze heylige schrifft / wirt yn zweyerley wort geteyllet / wilche seyn. Gebot oder gesetz gottis / vnd vorheyschen oder zusagunge. Die gebott / leren vnd schreyben vns fur / mancherley gutte werck aber damit seyn sie noch nit geschehen. Sie weyszen wol / sie helffen aber nit/ leren was man thun soll / geben aber keyn sterck dartzu. Darumb seyn sie nur datzu geordnet / das der mensch drynnen sehe sein vnuormgen zu dem gutten / vnd lerne an yhm selbs vortzweyffeln. Vnd darumb heyssen sie auch das alte testament / vnd gehren alle ynsz alte testament. Als / das gebott / Du solt nit bsz begird haben21 / beweysset das wir allesampt sunder seyn / vnd kein mensch vormag / zu sein on bsze begirde / er thue was er will / Darausz er lernet an yhm selbs vortzagen vnd anderszwo zu suchen hulff / das er on bsze begird sey/ vnnd alszo das gebott erfulle / durcheynen andern / das er ausz yhm selb nit vormag / alszo sein auch alle andere gebott / vns unmuglich.
Zum Siebten. Darum soll von Rechts wegen das einzige Werk und die einzige Übung aller Christen sein, dass sie sich das Wort und Christus recht einprägen, solchen Glauben stetig üben und stärken. Denn nichts anderes kann einen Christen machen. Dementsprechend antwortete Christus den Juden Joh 6 auf ihre Frage, was sie tun sollten, um gottgefällig und christlich zu handeln: Das ist das einzige Werk, das Gott gefällt, dass ihr an den glaubt, den Gott gesandt hat, den Gott, der Vater allein dazu bestimmt hat. Darum ist ein rechter Glaube an Christus ein ganz überschwänglicher Reichtum, denn er bringt alle Seligkeit mit sich und nimmt alle Unseligkeit weg, wie es Mk 16 heißt: Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig. Wer nicht glaubt, der wird verdammt. Darum sah der Prophet Jesaja den Reichtum des Glaubens an und sprach Jes 10: Gott wird ein rasches Ende machen auf Erden, und an diesem raschen Ende wird wie eine Sintflut die Gerechtigkeit einfließen. Das heißt: Der Glaube, in dem kurz und knapp die Erfüllung aller Gebote besteht, wird alle diejenigen, die ihn haben, im Überfluss rechtfertigen, so dass sie nichts mehr brauchen, um gerecht und gut zu sein. Ebenso sagt Paulus Röm 10: Dass man von Herzen glaubt, das macht einen Menschen gerecht und gut.
Zum Achten. Wie geht es aber zu, dass der Glaube allein gerecht machen und ohne alle Werke so überschwänglichen Reichtum geben kann, da uns doch in der Schrift so viele Gesetze, Gebote und Werke, Ordnungen und Handlungsweisen vorgeschrieben sind? Hier ist sorgfältig zu beachten und mit Ernst festzuhalten, dass allein der Glaube ohne alle Werke gerecht, frei und selig macht, wie wir später ausführlicher hören werden. Es gilt nämlich zu wissen, dass die ganze Heilige Schrift in zweierlei Worte aufgeteilt wird: Gebot oder Gesetz Gottes und Verheißung oder Zusage. Die Gebote lehren und schreiben uns mancherlei gute Werke vor, aber damit sind diese noch nicht geschehen. Sie weisen zwar an, aber sie helfen nicht; sie lehren, was man tun soll, geben aber keine Kraft dazu. Daher sind sie nur darum angeordnet, dass der Mensch in ihnen sein Unvermögen zum Guten erkenne und lerne, an sich selbst zu verzweifeln. Darum heißen sie auch Altes Testament und gehören alle ins Alte Testament. So beweist etwa das Gebot: Du sollst keine böse Begierde haben, dass wir allesamt Sünder sind und dass kein Mensch ohne böse Begierde zu sein vermag, er tue, was er wolle. Daraus lernt er, an sich selbst zu verzagen und anderswo Hilfe zu suchen, um ohne böse Begierde zu sein und so das Gebot auf eine andere Weise zu erfüllen, als er aus sich selbst vermag. Und ebenso ist es für uns unmöglich, auch alle anderen Gebote zu erfüllen.
Czum neunden / Wen nu der mensch ausz den gebotten sein vnuormgen gelernet vnd empfunden hatt / das yhm nu angst wirt / wie er dem gebott gnug thue. Seyntemal das gebot musz erfullet seyn / oder er musz vordampt seyn. So ist er recht gedemtigt vnd zu nicht worden / ynn seynen augen / findet nichts yn yhm damit er mg frum werden. Dan szo kumpt das ander wort. Die gottlich vorheyschung vnd zusagung / vnd spricht / wiltu alle gepott erfullen / deyner bszen begirde vnd sund losz werden / wie die gebott zwyngen vnd foddern. Sihe da / glaub in Christum / yn wilchem ich dir zusag / alle gnad / gerechtickeyt/ frid vnd freyheyt / glaubstu so hastu / glaubstu nit / so hastu nit. Den das dir vnmuglich ist / mit allen wercken der gebott / der vill vnd doch keyn nutz seyn mussen / das wirt dir leycht vnd kurtz / durch den glauben. Den ich hab kurtzlich / yn den glauben gestellet alle ding / das/ wer yhn hat / sol alle ding haben vnd selig seyn / wer yhn nit hatt/ soll nichts haben. Alszo geben die zusagung gottis / was die gepott erfoddern / vnd volnbringen / was die gepott heyssen / auff das es allis gottis eygen sey. Gepot vnd erfullung / er heysset allein / er erfullet auch alleyn. Darumb seyn die zusagung gottis / wort des newen testaments vnd gehoren auch yns newe testament.