Von der Liebe zur Kunst - Günther Oberhollenzer - E-Book

Von der Liebe zur Kunst E-Book

Günther Oberhollenzer

4,8

Beschreibung

Kann man Kunst verstehen? Was ist überhaupt Kunst? Wie kann man sie vermitteln? Und was macht eigentlich ein Kurator? Günther Oberhollenzer stellt sich grundlegende Fragen der Kunst und geht der weit verbreiteten Meinung auf den Grund, nach der die zeitgenössische Kunst als schwierig, abgehoben und elitär wahrgenommen wird. Oberhollenzer erzählt von seiner persönlichen Leidenschaft für die Gegenwartskunst, aber auch von seinen Vorurteilen, die er ihr anfangs entgegengebracht hat, er untersucht das Spannungsverhältnis von Zensur, Politik und Religion und stellt sich die Frage nach dem eigentlichen Wert von Kunst jenseits monetärer Maßstäbe. Der Essay ist ein Plädoyer für mehr Subjektivität, Leidenschaft und Emotion im Umgang mit zeitgenössischer Kunst, aber auch für das Wiederentdecken der Neugierde und für den Mut, neue Erkenntnisse in unser Leben zu lassen.

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Günther Oberhollenzer

Von der Liebe zur Kunst

Warum es unser Leben so bereichert, sich auf sie einzulassen

Essay

Für meine Eltern

Im eigenen Gedanken suche die Wahrheit,

und nicht in morschen Büchern.

Willst du den Mond sehen,

schaue zum Himmel und nicht in die Pfütze.

(aus Asien)

Warum Kunst?

Ich war schockiert: In Österreich, so der Vortragende, habe es nach 1918 keine über die Landesgrenzen hinausreichende künstlerische Bewegung von internationaler Bedeutung mehr gegeben – er hielt kurz inne –, mit einer Ausnahme: der Wiener Aktionismus der 1960er Jahre. Aus diesem Grund wolle er uns, sozusagen als Einstimmung auf den folgenden Lerninhalt, eine Dokumentation über die wesentlichen Protagonisten und Aktionen jener Zeit vorführen. Der Film dauerte eine gute Stunde – vielleicht spielt mir aber meine Erinnerung einen Streich und er war wesentlich kürzer – und zeigte Hermann Nitsch, Rudolf Schwarzkogler, Günter Brus und Otto Muehl bei der Arbeit. Ich sah Blut und Gedärme, nackte Leiber und Tierkadaver, Gewalt und gequälte Körper. Das sollte das Bedeutendste an Kunst sein, das Österreich nach der Zeit der Wiener Sezession hervorgebracht hat?

Es war im Oktober des Jahres 1995: Ich hatte gerade mit dem Studium der Geschichte und Kunstgeschichte an der Universität Innsbruck begonnen. Die betreffende Vorlesung hieß Österreichische Kunst nach 1918, und Professor Christoph Bertsch wollte mit der Vorführung des Aktionisten-Films wohl gleich in der ersten Stunde die Spreu vom Weizen trennen. Als Frischling und Erstsemester war ich auf so etwas nicht vorbereitet. Natürlich hatte ich schon das ein oder andere vom Wiener Aktionismus gesehen, seine Radikalität und erschreckende Bildsprache trafen mich nun aber mit voller Wucht. Ich würde an dieser Stelle gerne berichten, dass ich die Vorlesung weiterhin besucht habe und sich mit der Zeit meine Sichtweise geändert hat oder ich mich zumindest den provokanten Fragen und Themen der Aktionisten gestellt habe. Doch dem war nicht so. Recht bald, und das war für mich eher ungewöhnlich, brach ich die Vorlesung ab. Mit solcher Kunst konnte ich damals einfach nichts anfangen.

Zeitsprung ins Jahr 2014: Fast zwanzig Jahre sind vergangen, ich befinde mich mit Hermann Nitsch im Essl Museum in Klosterneuburg bei Wien, und wir diskutieren leidenschaftlich, wie seine zahlreichen Relikte von Aktionen, Fotos und Videos im Ausstellungsraum positioniert werden sollen. Ob wir nicht doch das etwas blutigere Hemd nehmen sollten? Und dort, wie könnten wir die Menstruationsbilder am besten gruppieren? Nitsch wiegt den Kopf, wir lachen, plaudern angeregt. Was mein früheres Ich wohl dazu sagen würde? Es hätte vermutlich irritiert den Kopf geschüttelt.

Ich habe nicht schon immer gewusst, dass das Arbeiten mit zeitgenössischer Kunst meine große Leidenschaft werden würde. So versuche ich mich als entrüsteten Kunstgeschichtestudenten vor mir zu sehen, wenn ich heute mit Menschen über Gegenwartskunst spreche und dabei immer wieder auf Unverständnis, Verstörung und Kritik stoße. Auch ich stand einmal vielem ablehnend gegenüber. Warum sollte ich das nicht auch anderen Menschen zugestehen? Wenn ich an diese Episode zu Beginn meines Studiums zurückdenke, ist sie mir etwas unangenehm, zumal ich nun schon seit Jahren als Kurator mit zeitgenössischer Kunst arbeite, gleichzeitig blicke ich aber auch mit viel Verständnis auf mein früheres Ich, denn vielleicht ist gerade die anfängliche Ablehnung und die darauf folgende langsame, mit Irritationen und Kämpfen einhergehende Annäherung an die Gegenwartskunst und an herausfordernde Positionen wie jene von Nitsch und anderer Aktionisten ein guter Weg, um einen authentischen und tiefgehenden Zugang zu ihr zu finden.

Wieso schon wieder ein Buch über (zeitgenössische) Kunst? Der Buchmarkt wurde in den letzten Jahren von Kunst-Ratgebern geradezu überschwemmt: über das Sammeln von zeitgenössischer Kunst, über die Gesetze des Kunstmarktes, ein Knigge zum Verständnis von zeitgenössischer Kunst, und jüngst erschien sogar eine Anleitung zum Kunst hassen. Vielen dieser Bücher ist gemein, dass sie den Anschein erwecken wollen, objektiv zu sein. Sachlich, bisweilen nüchtern nähern sie sich dem Untersuchungsfeld, analysieren es so kritisch wie unterhaltsam, so fundiert wie ironisch und fördern durchaus spannende Erkenntnisse zu Tage. Aber etwas hat mir – von wenigen Ausnahmen abgesehen – oft gefehlt oder kam aus meiner Sicht zu kurz: der persönliche, der dezidiert subjektive Blick des Autors auf die Kunst und das Kunstgeschehen, gepaart mit dem nötigen Einfühlungsvermögen und Verständnis für jene Menschen, die sich erst mit der zeitgenössischen Kunst anfreunden müssen. Das Anliegen dieses schmalen Bandes ist es also nicht, eine analytische Forschungsarbeit über die zeitgenössische Kunst zu sein, er erhebt auch nicht den Anspruch, einen ausgewogenen oder gar umfassenden Blick auf die so vielfältigen Aspekte des aktuellen Kunstgeschehens zu werfen. Vielmehr ist der vorliegende Essay ein Plädoyer für Subjektivität, Emotion und Leidenschaft im Umgang mit zeitgenössischer Kunst: in der Rolle des Betrachters, des Kurators, des Kunstkritikers. Aber der Essay ist auch ein Plädoyer für das Wiederentdecken der Neugier und für den Mut, neue Erkenntnisse in unser Leben zu lassen. Ich möchte mich mit Hingabe und persönlichem Blick dem Thema Kunst in unserer heutigen Welt nähern, in der Überzeugung, dass gerade das subjektive Gefühl im gegenwärtigen Kunstdiskurs häufig zu kurz kommt. Denn auch wenn die Emotion eine, wenn nicht sogar die wesentliche Konstante im Erschaffen und Betrachten von Kunstwerken war und ist, wird sie in Texten oder Reden über die Kunst allzu häufig sträflich vernachlässigt. Schließlich werde ich versuchen, mich einer möglichst einfachen Sprache zu bedienen, die weder ein Fremdsprachenlexikon noch detaillierte kunsttheoretische Vorkenntnisse erfordert.

Der Essay besteht aus zwei Teilen: Im ersten Teil versuche ich, grundsätzlichen Fragen rund um die Gegenwartskunst auf den Grund zu gehen: Kann man Kunst verstehen? Wie kann man sie vermitteln? Was ist überhaupt Kunst? Und was macht eigentlich ein Kurator? – oder anders gefragt: Was sollte er meiner Meinung nach machen? Ich möchte davon erzählen, wie ich mich an die Gegenwartskunst angenähert habe, möchte gängigen Vorurteilen rund um die zeitgenössische Kunst nachspüren, über meine berufliche Praxis als Kurator berichten und darlegen, warum ich mir ein Leben ohne Kunst nicht mehr vorstellen kann.

Im zweiten Teil befasse ich mich anhand von konkreten Beispielen aus meinem persönlichen Umfeld mit der Kunst im Spannungsverhältnis von Zensur, Politik, Religion und öffentlichem Raum. Den Abschluss bilden einige Überlegungen zur Sammelleidenschaft und zum eigentlichen Wert von Kunst – einem Wert, der nicht anhand von monetären Maßstäben oder anderen wirtschaftlichen Kriterien gemessen werden kann.

Warum gestalte ich eine Ausstellung und für wen? Diese Fragen sind für einen Kurator entbehrlich. Das Warum dieses Essays habe ich bereits versucht zu beantworten. Wen aber möchte ich mit diesem Buch erreichen? Während des Schreibens hatte ich zuallererst jene Menschen im Blick, die noch nicht viel mit zeitgenössischer Kunst anfangen können, aber doch neugierig sind, diese ihnen unbekannte Welt zu entdecken. Immer wieder dachte ich aber auch an die vielen Kunstinteressierten, in deren Begeisterung sich manchmal Skepsis und Unmut mischen, wenn sie sich zum Beispiel in einer Ausstellung überfordert oder auch alleingelassen fühlen. Als imaginäre Gesprächspartner dienten schließlich die Kolleginnen und Kollegen im Kunstbetrieb, die, so wie ich, das Glück haben, in diesem besonderen Feld tätig sein zu dürfen, und dazu beitragen, Kunst in all ihren Facetten zu ermöglichen – eine, wie ich finde, wundervolle Aufgabe.

Wie die zeitgenössische Kunst in mein Leben trat

Ich glaubte, das Meer riechen zu können, den warmen Schein der Kerze zu spüren. Das mag pathetisch klingen, aber ich empfand es wirklich so. Es war das erste Mal, dass ich Werke von Gerhard Richter im Original sah, 1997 im Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Bozen (Museion). Eine einsame Kerze mit Totenkopf, ein verwaschenes Gesicht, eine Meerlandschaft: Viele der Malereien, die ich damals sah, sind mir heute noch eindrucksvoll im Gedächtnis, und obwohl ich das eine oder andere Bild inzwischen in einer anderen Ausstellung, auch in Katalogen oder im Internet wieder gesehen habe, bleibt doch dieses erste Sehen unvergessen. Das also konnte zeitgenössische Kunst auch sein!

Für diese Erfahrung bin ich Richter bis heute dankbar. Lange Zeit war ich der Gegenwartskunst mit einer gehörigen Portion Skepsis gegenübergetreten. Das hatte auch damit zu tun, dass ich einfach viel zu wenig darüber wusste und mich bequemerweise von Vorurteilen leiten ließ: zu verkopft (Konzeptkunst), grauslich (Aktionismus), ästhetisch wenig ansprechend (Minimal Art). Es war zugegeben die technische Perfektion von Richters Arbeiten, die mich im ersten Moment für ihn einnahm. Sein fotorealistischer Malstil. Seine Unmittelbarkeit. Seine leicht verständlich erscheinende Bildsprache. Durch all das gelang mir ein Einstieg in die malerische Welt dieses außergewöhnlichen Künstlers und so auch in ein Stück zeitgenössischer Kunst. Bald lernte ich aber zu erkennen, dass hinter der handwerklich meisterhaft gestalteten Oberfläche ein ganzer Kosmos von Ideen und Gedanken lauerte, denen auf den Grund zu gehen sich lohnte. Ich erfuhr, dass Richter in den 1960er Jahren begonnen hatte, Bilder nach bewusst ausgewählten Fotografien aus Zeitungen (später auch nach eigenen Aufnahmen, etwa von seiner Frau) zu malen. Ich entdeckte, dass die fotorealistisch wirkenden Bilder im Abmalen nicht mit dem Dokumentarischen des Fotos zu konkurrieren versuchten, sondern durch Verwischung der Konturen und Unschärfe das Eigenleben der Malerei betonten. Und mich faszinierte, dass die Gemälde in ihrer Perfektion zwar abbildeten – oft auch gesellschaftspolitisch aufgeladene Inhalte –, den ursprünglichen Bildgegenstand aber eher verfremdeten als nur darstellten und so eine beinahe alternative Wirklichkeit wiedergaben. Eine ungemein spannende und bereichernde Erfahrung!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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