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Als einer der berühmtesten Nürnberger Landschaftsmaler seiner Zeit fehlte Johann Franciscus Ermels ehemals mit seiner Kunst in keiner wichtigen Sammlung. Heute sind der Künstler und sein Werk nahezu vergessen. Dabei bietet seine Kunst vielfache Anknüpfungspunkte an unsere Zeit: Sehnsuchtsorte und Idyllen, südliches Licht und wohltuende Wärme suchen auch viele von uns in bewegter Zeit. Ähnlich erging es den Menschen, die durch die Erfahrung des Dreißigjährigen Krieges geprägt waren. Zuflucht bot heute wie damals die Kunst - und Johann Franciscus Ermels war mit seinen Motiven ein stark nachgefragter Künstler.
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Seitenzahl: 249
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Kataloge der Sammlungen der Universität Trier; 4
Herausgegeben von
Stephan Berke
Stephan Brakensiek
Torsten Mattern
Trier 2017
Katarina Barley
Geleitwort
Jürgen Hardeck
Geleitwort
Michael Jäckel
Geleitwort
Matthias Hermes
Geleitwort
Eleonore Roth
Johann Franciscus Ermels – Eine biographische Skizze
Rosemarie Müller-Huesgen
Auf dem Weg nach Köln – Der Weinhandel an der Mosel als Motor des Kulturtransfers um 1650
Ruben Brück
In Utrecht leben und lernen: Der holländische Einfluss auf die deutsche Graphik im 17. Jahrhundert
Alexandra Majorov
Nürnberg – Eine Stadt der Künstler?
Tomé Pinto Abrantes
Ermels und Italien – Eine Beziehung aus zweiter Hand
Anna Lisa Schwartz
Ermels und der ›Sandrart-Kreis‹ – Überlegungen zu einem Maler im Umfeld der frühen
Nürnberger Academie
Stephan Brakensiek
Im Wettstreit: Johann Franciscus Ermels und Johann Oswald Harms radieren
Elisabeth Minarski
Sehnsucht nach Arkadien – Ein Motiv und seine Verwendung im Umfeld von Johann Franciscus Ermels
Raymond Keller
» … und der Zukunft zugewandt« – Das Ruinencapriccio im 17. Jahrhundert
Nina Reichel
Das Capriccio und die barocke Bühne – Pfade der Inspiration für Malerei und Druckgraphik
Stephan Brakensiek
A Swiss-Connection – Johann Franciscus Ermels und die Nachwelt
Literaturverzeichnis
Abkürzungen
Abbildungsverzeichnis
Unterstützer
Mit dieser Ausstellung kehrt ein Künstler in die Erinnerung seines Geburtsortes zurück: Johann Franciscus Ermels wurde 1641 als Sohn eines Winzers in Reil an der Mosel geboren. Dies war eine schwere Zeit. Der Dreißigjährige Krieg brachte viel Leid über die Bevölkerung. Die Menschen, die zu der Zeit in Europa lebten, waren Gewalt, Unsicherheit und Willkür ausgesetzt. Europa glich einem großen Schlachtfeld.
So war es auch die Not, die Ermels dazu brachte, Reil zu verlassen. Im Alter von 14 Jahren zog es ihn alleine nach Köln, Utrecht und später nach Nürnberg. Dort erlernte Ermels die Kunst der Historien- und Porträtmalerei. Ermels fand seinen Weg trotz oder gerade wegen aller Widrigkeiten. Er fand in dem Maler Willem van Bemmel aus Holland einen Weggefährten und wurde zu einem angesehenen Maler für Portraits und Landschaften.
Auch heute sind weltweit über 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Sie fliehen vor gewaltsamen Konflikten, Armut und Perspektivlosigkeit. Es liegt in unserer Verantwortung, Ihnen Hoffnung zu geben, damit sie ihre Talente entfalten und ihre Zukunft sichern können. Diejenigen, die Schutz und Hoffnung bei uns suchen, sollten wir dabei unterstützen – auch heute sind darunter viele Minderjährige.
Kunst spiegelt die Geschichte der Zeit und die Seele des Künstlers. Ich bin mir sicher, dass die Werke von Johann Franciscus Ermels den Besucherinnen und Besuchern spannende Einblicke geben werden.
Mein Dank gilt den Studierenden unter der Leitung von Dr. Stephan Brakensiek, die für diese Ausstellung vorbildliche Arbeit geleistet haben.
Dr. Katarina Barley
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Die Ausstellung »Von der Mosel nach Arkadien – Johann Franciscus Ermels (1641-1693) als Künstler in seiner Zeit« findet im Rahmen eines Landeskultursommers statt, der das Motto »Epochen und Episoden« hat.
70 Jahre jung ist unser Bundesland 2017. Aber seine Geschichte reicht weit zurück bis in vorrömische Zeit. Aus allen Epochen finden sich wertvolle Zeugnisse und interessante Persönlichkeiten, die es noch – oder neu! – zu entdecken gilt. Gerade die Epoche des Barock war eine kulturell besonders fruchtbare an Rhein und Mosel. Zahlreiche Schlösser und Gärten, Kirchen und Klöster, Häuser und Festungsanlagen zeugen noch heute davon. Skulpturen, Malereien und Kunsthandwerk aus der Zeit nach dem verheerenden Dreißigjährigen Krieg, der Lebenszeit Ermels, ist heute noch vielerorts zu entdecken.
Die Ausstellung begibt sich auf die Spuren Ermels‘, von seiner Heimat an der Mosel bis in die damals bedeutende Kunstmetropole Nürnberg. Ich danke ganz herzlich den Ausstellungsmachern, den Mitwirkenden und allen, die neben dem Kultursommer Rheinland-Pfalz dieses schönen Projekt unterstützen – stellvertretend Frau Eleonore Roth aus Reil und Herr Dr. Stephan Brakensiek vom Fach Kunstgeschichte der Universität Trier.
Kultursommer findet eben in ganz Rheinland-Pfalz statt, nicht nur in den großen Städten – wenn es nur aktive und kreative Menschen gibt, die dafür sorgen!
Viel Erfolg – und viel Freude bei der Ausstellung!
Prof. Dr. Jürgen Hardeck
Referatsgruppenleiter im Ministerium für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur und Geschäftsführer des Kultursommer Rheinland-Pfalz
Seit vielen Jahren verdankt die Universität Trier der Graphischen Sammlung am Fach Kunstgeschichte eine äußerst rege Ausstellungstätigkeit. In mittlerweile mehr als achtzehn Ausstellungen hatten Studierende die Möglichkeit, die akademische Lehre mit den Anforderungen der Praxis zu verbinden.
Die vorliegende Ausstellung stellt unter zwei Gesichtspunkten eine Neuerung dar. Zum einen ist sie quasi generationenübergreifend forschend am Objekt erarbeitet worden, d.h. hier haben erstmals an einem konkreten Projekt Studierende des Seniorenstudiums und ordentliche Studierende zusammen im Team gearbeitet – und das mit einem äußerst positiven Ergebnis. Zum anderen ist diese Ausstellung die erste, die nicht in einem musealen Zusammenhang entstand, sondern die in einer Gemeinde, in Reil an der Mosel, gezeigt wird, die eigentlich keine eigene Infrastruktur für solche Projekte besitzt. Dass auch dies kein Hindernis blieb verdankt sich der Arbeit vieler und könnte/sollte Schule machen. Denn die Universität Trier und die Region, in der sie beheimatet ist, gehören zusammen. Und die Zusammengehörigkeit wird durch Projekte wie dieses belebt und sichtbar befördert.
Mein Dank gebührt daher allen am Projekt beteiligten. Zuerst der Arbeitsgruppe um den Kustos der Graphischen Sammlung, Dr. Stephan Brakensiek, die sich über alle curricularen Vorgaben hinaus für das Projekt engagiert haben: Tomé Pinto Abrantes, Ruben Brück, Klaus Désor, Nina Dusartz de Vigneulle, Senta Gosh, Anna Hilbert, Raymond Keller, Alexandra Majorov, Elisabeth Minarski, Rosemarie Müller-Huesgen, Wolfgang Raab, Eleonore Roth, Nina Reichel, Anna Lisa Schwartz und Elvira Weißschnur. Weiterhin gebührt der Ortsgemeinde Reil und im Besonderen dort Frau Rosemarie Müller-Huesgen und Eleonore Roth Dank für die gute Zusammenarbeit und ein herausragendes Engagement sowie dem Ortsbürgermeister, Herrn Artur Greis, und Pfarrer Matthias Hermes für die Unterstützung des Vorhabens in Reil selbst.
Dem Kultursommer Rheinland-Pfalz, der Sparkasse Mittelmosel sowie allen Spendern und Unterstützern, die namentlich im Impressum dieses Kataloges aufgelistet sind, sei für ihre finanzielle Unterstützung gedankt, ohne die das Projekt so nicht hätte stattfinden können.
Ich wünsche der Ausstellung viele Besucher und den Erfolg, der ihr gebührt.
Prof. Dr. Michael Jäckel
Präsident der Universität Trier
Die katholische Pfarrgemeinde Maria Heimsuchung Reil und auch die »Pfarreiengemeinschaft Mittlere Mosel« freuen sich über die Ausstellung von Radierungen und Exponaten des Künstlers Johann Franciscus Ermels aus Reilkirch. Heute findet die Ausstellung natürlich in Reil statt. Wie wunderbar wäre es, wenn die Kirche und das Dörflein Reilkirch noch heute bestehen würde. Es wäre bestimmt ein besonderes Highlight an der Mosel.
Die Ausstellung trägt den Titel »Von der Mosel nach Arkadien« – Johann Franciscus Ermels als Künstler in seiner Zeit. Das hört sich nach großer Sehnsucht an. Können wir auf Erden überhaupt ein Arkadien finden? Ist die Landschaft der Mosel nicht auch schon so etwas wie Arkadien?
Wenn man auf das Lebensjahrhundert des Künstlers schaut, so waren seine moselländische Heimat und auch der Lebensraum, in dem er später lebte, keinesfalls Arkadien. Es wütete der Dreißigjährige Krieg in Deutschland und wenn das Land nicht durch kriegerische Einwirkungen zerstört war, so mussten die Menschen vor Plünderungen und sonstigen Verwüstungen in permanenter Angst leben. Außerdem wurde unser Raum auch von den spanischen- und französischen Erbfolgekriegen heimgesucht. Die Menschen waren sehr arm. Erkennbar ist es auch heute noch daran, dass es aus der Zeit der Renaissance im linksrheinischen Raum nur wenig bedeutende Gebäude, wie z.B. in Italien, gibt.
Johann Ermels gab in seinen Kunstwerken, trotz oder gerade wegen der widrigen Umstände, seine Sehnsucht nach Arkadien nicht auf. Sicherlich geprägt durch seine schöne moselländische Heimat malte er Ideallandschaften von übernatürlicher Schönheit. Man könnte sagen Paradieslandschaften. Täler von einem Fluss durchzogen, aber auch mit einer Ruine dabei. Man hat den Eindruck, er möchte für den Betrachter eine Landschaft darstellen, in der die Menschen unbelastet von beschwerlicher Arbeit und gesellschaftlichem Anpassungsdruck in idyllischer Natur zufrieden leben. Hirten, die froh ihrer Arbeit nachgehen: Das ist Arkadien. Vielleicht wollte der Künstler den Menschen, die seine Bilder anschauten, Hoffnung machen, dass es trotz Kriegen, Plünderungen und Verwüstungen, trotz der nun zwei christlichen Konfessionen im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, immer wieder auch Anlass zur Hoffnung gibt. Ja, dass es möglich sein wird, ein Leben jenseits gesellschaftlicher Zwänge zu führen. Bestimmt war das Leben von Johann Franciscus Ermels vom Glauben an Gott geprägt. In der Zeit seines relativ kurzen Lebens von 1641-1693 hat er in sehr entbehrungsreichen und schwierigen Zeiten gelebt. Der christliche Glaube gab ihm sicher Halt und Ermels wollte in seinen Bildern sicherlich nicht nur einem Mythos von Arkadien anhängen, sondern zum Ausdruck bringen, dass Gott auch in Situationen äußerster Hoffnungslosigkeit den Menschen Trost und Kraft geben kann. Selbst eine Landschaft nach einem Gewitter strahlt bei Ermels große Ruhe aus. In einem anderen Bild malt er eine Felsenlandschaft, die es auch an der Mosel geben könnte. Trotz der zerklüfteten Felsen strahlt die Landschaft, die er im Abendlicht schildert, etwas trostreiches, ruhiges, ja Göttliches aus.
Auch heute leben wir in einer nicht angstfreien, von vielen Zukunftssorgen geplagten Zeit. Wir sollten aber trotz allem mit einer Portion Optimismus in die Zukunft schauen. Lassen wir uns von Gott in eine hoffentlich gute Zukunft führen. Aus den Kunstwerken von Ermels strahlt dieser Optimismus heraus. Ich wünsche allen, die diese Ausstellung besuchen eine gute Inspiration.
Pfarrer Matthias Hermes
Katholische Pfarrgemeinde Maria Heimsuchung Reil,
»Pfarreiengemeinschaft Mittlere Mosel«
Abb. 1: Valentin Daniel Preißler nach Johann Daniel Preißler: Porträt Johann Franciscus Ermels, Mezzotinto, nach 1760.
Das ist er, der Radierer und Landschaftsmaler aus Reilkirch an der Mosel: etwa zwanzig Jahre alt und mit langer, natürlicher Lockenpracht, blickt er mit großen Augen selbstsicher auf den Betrachter (Abb. 1). Das Schabkunstblatt, das den Nürnberger Neu-Meister zeigt, stammt von der Hand des versierten, in der Stadt an der Pegnitz ansässigen Mezzotintostechers Valentin Daniel Preißler (1735-1765), das dieser nach einem Bildnis des Mitbegründers der Nürnberger Malerakademie gleichen Familiennamens, Daniel Preißler (1627-1665) (Abb. 2), fertigte.1
Als das Schabkunstblatt entstand, war Ermels allerdings bereits mehr als ein halbes Jahrhundert tot. Ob Preißler das Bildnis technisch aufwendig reproduzierte, weil er ein Projekt zu den bedeutendsten Malern seiner Heimatstadt Nürnberg plante, so wie er kurz zuvor ein anderes zu den von dem aus Böhmen stammenden Porträtmaler Johann Kupetzky (wahrscheinlich 1667-1740) in Öl verewigten Professoren der nahegelegenen Universität Altdorf realisiert hatte,2 bleibt unklar. Als Quelle zum Leben des ansonsten kaum quellenmäßig fassbaren Johann Franciscus Ermels ist Preißlers Arbeit von außerordentlicher Bedeutung, enthält die Subskription des Bildnisses doch zwei wichtige biographische Aspekte: Als Geburtsjahr findet sich dort die Angabe »1641« und als Geburtsort wird »Colonia Agrippina« – also Köln – genannt.
Während das Geburtsjahr bis heute letztendlich nicht wirklich verifiziert werden konnte – wobei die zweite, in der Literatur zu findende Variante (1621) nach unseren Recherchen als sicher falsch bezeichnet werden kann3 –, ist zumindest sein Geburtsort heute mit Sicherheit zu benennen. Es ist nicht Köln am Rhein, wie es auf Preißlers Schwarzkunstblatt vermerkt ist, sondern eine kleine, heute nicht mehr existierende Siedlung namens Reilkirch oder Reilkirchen, ehemals gegenüber der heutigen Ortsgemeinde Reil am Ufer der Mosel gelegen und seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Ortschaft aufgegeben.
1660 kam Ermels aus Utrecht in den Niederlanden nach Nürnberg und ließ sich dort als Maler nieder. Nachdem er laut seinem frühen Biographen Doppelmayr4 im Haus und in der Werkstatt des bereits 1648 verstorbenen Malers Christoph Halter (1592-1648) (Abb. XX) untergekommen war, dessen Atelier seine Witwe Agatha zuerst gemeinsam mit ihrem Sohn Tobias (1628-1652), dann nach dessen Tod alleine weiterführte. 1656 heiratete ihre Tochter Rosina Eva den Flachmaler Melchior Balthasar Krieger (1625-1693), der die Werkstatt übernahm und bei dem Ermels vermutlich »anfangs einige Zeit lang einen Gesellen soll abgegeben haben«, wie Doppelmayr berichtet.5
Abb. 2: Johann Georg Pintz nach Johann Martin Schuster: Porträt Johann Daniel Preißler, Kupferstich, o.D.
Ermels erwarb am 08. Oktober 1661 in Nürnberg den Meistertitel6 durch Ablieferung eines vom Magistrat geforderten »Probestücks«: Die Samariterin mit Christo bey dem Brunnen. Nach dort geltendem Recht konnte er dies als auswärtiger Künstler nur, wenn es ihm gelang, die Tochter oder die Witwe eines ortsansässigen Kollegen zu heirateten. So dokumentiert der Eintrag im Kirchenbuch der lutherischen Gemeinde von St. Sebald in Nürnberg für den 25. August 1661 die Verkündung der anstehenden Eheschließung mit Johanna Halter, der jüngsten Tochter des Malers Christoph Halter. Sie war gleichzeitig die Schwägerin seines Nürnberger Lehrmeisters Melchior Balthasar Krieger. Am 16. September 1661 wurde die Trauung in der Nürnberger Vorstadt Wörth, wo Ermels zu dieser Zeit wohnte, vollzogen:
»A[nn]o 1661 den 16. Septembr[is] copulirt zu Wöhrd. Haben allhir ein schlechte Hochzeit[7] bezahlet. Der Ehrs[ame] und kunstreich[e] Johann Ermlein, ein Mahler, des Ehrs[samen Conrad Ermlein], geweß[enen] Weingärtners zu Reilkirchen in dem Chur Trierischen Gebieth See[lig] nachgel[assener] Sohn [und] die Tugendsame J[ung]f[e]r Susanna, des Erb- und kunstreichen Christof Halters, Mahlers und Conterfeyhers See[lig] nachgelassene Tochter.«8
In diesem Dokument wird Ermels als Sohn des »Conrad Ermelein, geweßenen Weingärtners zu Reilkirchen in dem Chur Trierischen Gebieth« bezeichnet, sein Vater als bereits verstorben (»see[lig]«) genannt.9 (Abb. 3) Als zugezogener Geselle galt er nicht als »Vollbürger« und konnte nur in der Vorstadt Wöhrd wohnen. Eine Zustimmung seiner Eltern für die Heirat 1661 zu erlangen erschien ihm wohl als nicht machbar. Er gibt nämlich an, sein Vater Conrad sei verstorben, aber das stimmt nicht, er starb erst 1676.10 Wahrscheinlich war dies eine Notlüge, denn wie und von wem hätte er ein Dokument aus Kurtrier erhalten können, noch dazu bei dem noch währenden »Religionskrieg« im »Kröver Reich«.
Bereits am 20. August 1661 war Ermels zudem in die Bürgerschaft aufgenommen worden,11 er somit Nürnberger Vollbürger geworden, mit allen Rechten und Pflichten. Er sollte den Nürnberger Raum bis an sein Lebensende nicht wieder verlassen.
Die Pfarrbücher der Pfarrgemeinde Reil/Reilkirch, die heute im Bistumsarchiv Trier verwahrt werden,12 schweigen zur Kindheit Johann Franciscus Ermels. Zwar wurde das Pfarrbuch vom damaligen Pastor, Quirinius Fritzen (†1659), sehr ordentlich von 1632 bis zu seinem Tode 1659 geführt, doch weder die Taufe eines Johann Franciscus noch die Hochzeit eines Conrad Ermels oder Ermelein findet sich dort verzeichnet.13
Abb. 3: Hochzeitseintrag im Kirchbuch der Gemeinde St. Sebald, LAELKB, PfA Nürnberg-St. Sebald KB 9.5.0001-601-25, Tr 1661/93, Bl. 391r.
Zwei Gegebenheiten mögen dies erklären: zum einen könnte Ermels doch in einem anderen Ort geboren und getauft worden sein; zum anderen wäre es auch möglich, dass er nicht römisch-katholisch, sondern lutherischen Bekenntnisses gewesen sein könnte – worauf auch seine schnelle und komplikationslose Eheschließung und Einbürgerung Jahre später im protestantischen Nürnberg hindeutet. Eine Stützung findet diese These durch das von Adelheid Caspari-Wiechler erstellte Familienbuch der Reil direkt benachbarten Gemeinde Enkirch,14 wo sich in den Kirchenbüchern ein »Conrad Ermel von Reyhl, Tagelöhner, jetziger Zeit Führger zu Kebenich« vermerkt findet, der vor 1652 eine Catharina ungenannten Familiennamens geheiratet hatte. Die Hochzeit fand allerdings nicht in Enkirch statt, so dass die Zusammenstellerin des Familienbuchs aufgrund fehlender archivalischer Nachweise die Hochzeit nur auf »vor 1652« datieren konnte, das Jahr der Geburt und Taufe einer ersten Tochter des Paares in Enkirch.
Besagter Conrad – aller Wahrscheinlichkeit nach der Vater unseres Künstlers – hatte mit Catharina außer Johannes Franciscus, der nach Quellenlage offensichtlich der älteste war, noch fünf weitere Kinder, die alle in Enkirch lutherisch getauft wurden: Anna Catharina (1652-1690), Barbara Margarethe (*1654), Georg Ludwig (*1655), Johannes Gerhard (1659-1662) sowie Maria Johannata (*1661).
Die Eltern Catharina und Conrad hatten den frühen Tod einiger ihrer Kinder zu beklagen. Barbara und Georg verließen vermutlich ihren Geburtsort, ihre Heimat, wie auch Johann Franciscus zuvor, denn ihre Sterbedaten sind in den Enkirchner Kirchbüchern nicht verzeichnet. Die daheim gebliebene Maria heiratet mit 24 Jahren einen Hans Peter Klemm, und Johannes Gerhard stirbt im Alter von drei Jahren. Möglicherweise hat man ihm bei seiner Geburt 1659 den ersten Vornamen ›Johannes‹ in Erinnerung an seinen älteren Bruder gegeben, der schon längst die Heimat auf der Suche nach einer eigenen Zukunft verlassen hatte.
Abb. 4: Soldaten flüchten aus einem Gasthaus, das sie zuvor überfallen haben, aus der Serie: Les misères et les malheurs de la guerre, Radierung, um 1633
Ein Johannes Ermelen heiratet am 25. August 1642 nach katholischem Ritus eine Catharina Ilgen, Ihre Kinder sind: Anna Catharina (getauft 29. November 1644), Johannes Jacobus (getauft 14. Juli 1648), Johannes (getauft 02. Februar 1650), Maria (29. März 1651) und Mathias (09. Oktober 1659). Ein weiterer Johannes Ermelen hat mit seiner Frau Margaretha den Sohn Heinrich, getauft am 21.4.1641.15 Es könnte sein, dass der Vater dieser Kinder, Johannes Ermelen, ein Bruder des Vaters von Johannes Franciscus, Conrad Ermelen gewesen ist; vielleicht sogar der Namensgeber seines Neffen? Doch genaue Angaben fehlen auch dazu.
Im Reilkirchner Pfarrbuch verzeichnet zu Lebzeiten der Ermels zahlreiche weitere »Irmelen«, die Familie muss also schon lange in Reil und Umgebung ansässig und – wie eine erste Steuerliste aus dem Jahre 1544 und noch weitere aus späteren Jahren belegen16 – größtenteils durchaus wohlhabend gewesen sein. Doch mag der Dreißigjährige Krieg – und das Moseltal war ein vielfrequentierter Auf- und Durchmarschraum der unterschiedlichsten Akteure – schon früh dazu beigetragen haben, dass sich für viele die Besitzverhältnisse und der individuelle Wohlstand änderte. Plünderungen und die Raubzüge durch vagabundierende Soldaten dauerten auch nach dem 1648 geschlossenen Westfälischen Frieden von Münster und Osnabrück noch an (Abb. 10) und ließen kaum ein geordnetes Verwaltungshandeln, wie es etwa das Eintreiben von Steuern voraussetzt, zu. Die Menschen an der Mosel hatten Mühe, sich selbst ihren Lebensunterhalt zu sichern. So konnte in solch heftig bewegten Zeiten aus wohlhabenden Familien schon einmal auch ein Tagelöhner hervorgehen.17
Abb. 5: Die alte Kirche zu Reilkirch, anonyme Zeichnung, vor 1840.
Im Vergleich mit den meisten anderen Dörfern zeichnete Ermels Heimatort Reilkirch eine für den Moselraum ganz besondere politische Struktur auf.
Das Hofgut Kurpfälzischer Hof18 – auch Ravengiersburger genannt – in Reilkirch gehörte zur Herrschaft Pfalz-Birkenfeld, die der pfälzische Kurfürst, Karl I. Ludwig (1617-1680), ein Calvinisten, innehatte. Die Reilkirche mit samt den Häusern von Küster und Pfarrer hingegen war zu Zeiten von Johann Franciscus Ermels im Besitz des Domkapitels zu Trier. Insgesamt gehörte das Gebiet zum sog. Kröver Reich, einem Kondominium, einer Gemein- oder Samtherrschaft von Kurtrier und der Kurpfalz als Rechtsnachfolger der Grafen von Sponheim. Zum »Reich« gehörten neben Kröv und Reil noch die Dörfer Bengel, Erden, Kinderbeuern, Kinheim und Kövenig.
Abb. 6: Karte des Ukreises von Reil an der Mosel, Detail aus: Jan van Schilde, Trevirensis Episcopatus Exactissimo Descriptio, Antwerpen 1578.
»Diese Bezeichnung hat ihren Ursprung darin, dass es sich um einen alten Reichsgutkomplex handelt, der bis in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts im Besitz der Könige und Kaiser blieb – länger als die meisten anderen Besitzungen des Reiches an der Mosel. Als König Rudolf von Habsburg im November 1274 das um Kröv gelegene Reichsgut an den Grafen Heinrich von Sponheim-Starkenburg verpfändete, legte er damit auch den Grundstein für einen Interessengegensatz zwischen den Grafen von Sponheim und den Erzbischöfen von Trier […] Nach Jahrhunderten erbitterter Auseinandersetzungen kam es (erst) 1784 zu einem Vertrag, in dem Kurtrier ein Drittel der Landeshoheit im Kröver Reich zugestanden wurde.«19
In diesen Streitereien ging es u.a. um die Religionszugehörigkeit sowie um Steuerpflichten oder die Gerichtsbarkeit. Davon war auch der Kurpfälzische Hof auf Reilkirch betroffen und damit auch die dort tätigen Dienstleute, wie der »geweßene Weingärtner«20 Conrad Ermelein (oder Ermels oder Ermel).
Reilkirch liegt auf der gegenüberliegenden Moselseite der Gemeinde von Reil (Reyhl), dessen katholische Pfarrkirche Mariä Heimsuchung hier ehemals stand (Abb. 5). 1962 beschreibt Schiffhauer21 »die untergegangene Wallfahrtskirche Mariä Heimsuchung in Reilkirch« als zweischiffige gotische Kirche des 12. Jahrhunderts.21 Glesius dokumentiert für die 1280/90er Jahre einen Neubau unter Pleban Wirich von Enkirch, bei dem der Turm des romanischen Vorgängerbaus erhalten blieb.22 Es dürfte sich hierbei um den bei Schiffhauer benannten Bau handeln. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wird dir Kirche sodann erweitert, das bestehende Schiff neu eingewölbt, wobei – so Schiffhauer – zu diesem Zeitpunkt vermutlich bereits das quadratische Schiff mit Wölbung über einem runden Mittelpfeiler entstand. Diese Kirche, in einem Dokument des Reiler Pfarrarchivs als »Ecclesia Beate Marie Virginias in Rile«23 bezeichnet, gilt heute als ältester gotischer Einstützenbau im Eifel-Mosel-Raum mit erheblicher Vorbildfunktion für weitere, nachfolgende dort ausgeführte Kirchbauten.24
Abb. 7 u. 8: Turmmonstranz mit der Stifterfigur Heinrichs II. aus dem 13. Jahrhundert, Kath. Pfarrkirche Mariä Heimsuchung, Reil (Detail).
Der Hof Reilkirch war bis zum Beginn des 11. Jahrhunderts in kaiserlichem Besitz. Heinrich II. (1002-1024) übertrug ihn 1008 in einem beurkundeten Tausch an das Stephansstift in Mainz. Von dort kam der Hof 1103 in die Verfügung des Klosters Ravengiersburg, wo er bis zur Aufhebung dieses Klosters im 16. Jahrhundert verblieb. Eine kleine figürliche Silberplastik an der sogenannten Reiler Monstranz aus dem späten 13. Jahrhundert legt nahe, dass tatsächlich Heinrich II. die Kirche des Fiskalgutes neu erbauen ließ. Diese kleine Königsfigur (Abb. 7 u. 8) trägt auf dem Arm ein Kirchenmodell, das der äußeren Bauform der gotischen Reilkirche auf quadratischem Grundriss sehr nahekommt, und den römischdeutschen Kaiser als ihren vermutlichen Stifter ausweist.25
Auf dem Gelände von Reilkirch standen neben den Hofgebäuden noch das Pfarrhaus sowie das Küsterhaus mit einigen angrenzenden Wirtschaftsgebäuden, wie das um 1830 angelegte preußische Urkataster dokumentiert (Abb. 22).26 Ebenso befand sich dort ein Friedhof, der noch bis 1928 für die gesamte Gemeinde Reil genutzt wurde.
Im Jahre 1389 wird die Kirche von Papst Bonifatius IX. als Patrozinium in den Rang einer Wallfahrtskirche zum Feste Mariä Heimsuchung erhoben. An diesem Festtag, dem 02. Juli, war in den folgenden Jahrhunderten sodann Markttag wie auch am Donnerstag vor Pfingsten. Letzterer findet heute noch immer in Reil als Märtche statt.
Zur Rylkirch wird die Kirche im 15. Jahrhundert und erhält eine amtliche Bezeichnung als Pfarrei von Reil und Burg. 1842 schließlich wird die Kirche wegen Baufälligkeit abgerissen.27 Die drei Glocken der Reilkirche läuten heute mit einer vierten Glocke aus der Johanneskapelle vom Turm der heutigen Pfarrkirche zu Reil.28
»Zwischen 1561 und 1567 wurde das Kröver Reich zum konfessionellen Kriegsschauplatz zwischen den Sponheimer ›Gemeindsherren‹ und dem Trierer Erzbischof, zwischen dem Trarbacher Oberamtmann und dem kurtrierischen Vogt in Kröv, zwischen katholischen Pfarrern und evangelischen Predigern, zwischen katholischen und evangelischen Christen.«29
So gab es sog. Bekehrungsvisitationen, in deren Berichten es z.B. zu Reilkirch heißt:
»[...] so möchte anzuordnen sein, dass zu Kröv und Reihelkirchen [!] zu Zeiten an Sonntagnachmittagen Predigt und Kinderlehre, zu Zeiten eine Wochenpredigt gehalten werde, und zwar durch Kröv und Reil nahegessenen Pfarrer.«30
Dem Prediger wurde jedoch die Reilkirche verschlossen. Vier Jahre später hatte man mit der Bekehrung in Reil mehr Erfolg. Zeitweise war ein Drittel der Reiler Bevölkerung lutherisch, die jedoch sehr unter der katholisch verbliebenen zu leiden hatte. Dies beklagten sie mehrmals schriftlich gegenüber dem Oberamtmann zu Trarbach.
Es ging zwischen Sponheim und Trier hin und her. Im Jahre 1567 erklärten sich 39 Reiler Bürger als Bekenner der neuen Lehre:
»nur möge der Oberamtmann ihnen um Gotteswillen behölflich [!] sein, dass sie geschützt und in Sonderheit, was die Schatzung [Steuer] belange, nicht zum Härtsten beschwert würden« und weiter ging es mit der Klage: »dass man sich des Evangeliums annimmt, das Kreuz und Verfolgung nicht ausbleiben, von unseren Nachbarn und anderen Papisten viel […] leiden müssen.«31
Schließlich kamen die beiden Obrigkeiten überein, dass es den Einwohnern des Kröver Reiches frei gestellt sein solle, welcher Religion sie sich zuwenden wollten. Das konfessionelle ›Kriegsgebiet‹ wandelte sich also weitgehend in ein Gebiet der friedlichen Koexistenz. Die Protestanten sollten jedoch Gottesdienste außerhalb dieses Gebietes besuchen. Sponheim war protestantisch, Kurtrier katholisch.
»Das Ende der evangelischen Gemeinde in Reil kam unaufhaltsam. Den evangelischen Christen war die Existenzgrundlage entzogen [...] Um in Frieden leben zu können, blieb ihnen die Möglichkeit, entweder zum katholischen Glauben zurückzukehren oder aber vom Dorf wegzuziehen […].«32
Im Jahre 1569 wurden in Reil nur noch fünf evangelische Familien und vier weitere Männer lutherischen Glaubens registriert. Genannt werden: »Jakob Goetz, seine Ehefrau ist katholisch, Simon Ackers mit Ehefrau und Simon Conrats, Ryl, Anne Wey, Jonas Filtz, Adam Bender mit ihren Familien sind Sektenanhänger, ebenso Thiss Metzen Leyendecker, Thiss Bartz, Peter Stumpf, aber die Ehefrau ist katholisch«.33 Eine Familie Ermels ist in der Auflistung nicht dabei, obwohl die vermuteten Vorfahren von Johannes Ermels, also etwa hundert Jahre vor seiner Geburt, im Jahre 1544 in den Steuerlisten des Kröver Reichs aufgeführt waren, nämlich: Johann Irmelen zahlte 16 Batzen, Conrait [!] Irmelen zahlt einen Gulden und This Irmelen nur drei Batzen.34
Der »Glaubensriss«35 ging also durch ganze Familien. Spätestens 1652 gehörten die Eltern von Johannes zur lutherischen Gemeinde von Enkirch (Sponheim) – sie werden wohl zu den lokalen Glaubensflüchtlingen zu zählen sein.
Abb. 9: Madonnenfigur aus der ehemaligen Kirche Unsere Liebe Frau von Reilkirch, heute Pfarrkirche Mariä Heimsuchung, Reil.
Die Landschaft um Reil ist geprägt durch steile Weinberge, Äcker und Obstwiesen, kleine Dörfer, Kirchen und Klosterhöfe. Die Mosel mäandert durch das Tal, Schiffer und Fischer bevölkern den Fluss. Reilkirch besaß eine Anlegestelle, Pilger und Händler legten an, zwei Mal im Jahr war Markt. Alles dies bot Anregung für den noch jungen Johann Franciscus, der wohl bereits früh eine besondere ästhetische Wahrnehmung gehabt haben dürfte – aber auch die Reilkirche selbst. Die beiden Fenster der Reilkirche nach Süden und Norden waren bunt verglast. Der Süd Chor war um 1390 mit der Darstellung der Leiden Christi ausgemalt worden.36
Abb. 10: Jonas Suyderhoff nach Gerard ter Borch: Der Friedensschwur von Münster, Kupferstich, 1648.
1632 verwüsteten schwedische Söldner das Innere der Kirche und zerschlugen die vier Altäre.37 Wiederhergestellt wurden drei Altäre: der Marienaltar mit dem Gnadenbild Unserer lieben Frau von Reilkirch war der Hauptaltar und stand links vom Kreuzaltar. Diese Madonna mit dem Kinde ist in überarbeiteter Form erhalten, das Jesuskind wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt ausgetauscht und ist in der heutigen Reiler Pfarrkirche zu sehen (Abb. 9). Kostbarkeiten wie das erhaltene Kronenziborium, ein Kelch aus den Anfängen des 17. Jahrhunderts oder ein gotischer Kelch, der um 1500 zu datieren ist, mögen sein kindliches Sehen beeinflusst haben. Die Künstler sind unbekannt. Die Turmmonstranz mit der Stifterfigur Heinrichs II. aus dem 13. Jahrhundert mag er selbst als Kind protestantischer Eltern bei Hochfesten gesehen haben oder auch, wenn Pfarrer Fritzen ihm erlaubte, die katholische Kirche zu betreten.
Im 17. Jahrhundert war die Kindheit allgemein mit etwa zwölf Jahren zu Ende. Doch wurden in dieser Zeit Kinder auch schon früher zur Arbeit in Feld und Flur herangezogen, Johann Franciscus vielleicht als Hütejunge schon mit vier oder fünf Jahren – möglicherweise zusammen mit seinen Altersgenossen und Nachbarn Quirinus, Maria, Johann und Peter, den Kindern des Küster-Ehepaares Heinrich und Gertrud Fritzen, die in seinem Alter waren und ebenfalls in Reilkirch wohnten.38
In dieser Zeit wurde man in eine Hausgemeinschaft hineingeboren, die notwendig war für das Überleben des Einzelnen in Zeiten von Kriegen, Seuchen und obrigkeitlicher Willkür. Wir wissen nicht, ob und wo Johann Franciscus eine Schule besucht hat. Die erste Erwähnung einer Reiler Schule stammt aus dem Jahre 1620. In einem im Pfarrarchiv erhaltenen Dokument wird über eine Visitation der Reiler Kirche (das war die Kirche auf »Reilkirch«) berichtet und über eine im Dorf bestehende Schule. Es heißt dort: »diese hatte aber keine Einkünfte und der Lehrer musste sich mit dem freiwillig Betrag der Kinder begnügen. Der Zustand der Schule war ein sehr befriedigender«.39 Der Schulbesuch – wenn er denn bezahlt werden konnte – dauerte in der Regel zwei, maximal jedoch vier Jahre.40
Abb. 11: Modell eines Dreibords mit Pendelruder und Segel, Modellbauer: Dieter Eyhoff, 2000.
Abb. 12: Modell einer Kaine, Modellbauer: Dieter Eyhoff, 2013/14.
Möglich wäre es, dass Johann im Dorf Enkirch, das mehrheitlich evangelischen Bekenntnisses war und zur Grafschaft Sponheim gehörte, zur Schule ging. Doch auch darüber schweigen die Quellen.
Kurz vor dem Westfälischen Frieden war das Land an der Mosel weitestgehend ausgelaugt. Im Geburtsjahr von Johann Franciscus war das Moseltal allerdings noch alles andere als befriedet. Es waren noch die unter den Zeitgenossen als besonders verroht geltenden und daher gefürchteten Lothringer Söldner im Land.41 Reil war, wie alle Dörfer, 1642 so ausgeplündert, dass zur Versorgung der Truppen Lebensmittel und Tierfutter aus den Niederlanden herbeigeschafft werden musste.42 Dementsprechend schwierig muss unter diesen Umständen für Johann Franciscus‘ Eltern die Versorgung ihrer Familie gewesen sein. Die Reiler Chronik berichtet, dass Reil 1646 nur noch knapp dreihundert Einwohner zählte:
»Die an Einwohnern geschrumpften Gemeinden konnten längst die ihnen auferlegten Kriegslasten [aus dem Dreißigjährigen Krieg, Anm. der Verfasserin] nicht mehr aus eigenen Mitteln bestreiten. Sie mussten laufend Geld leihen, so dass ihre Schulden in erschreckendem Maße anstiegen. […] 1646 klagten die Zender des Kröver Reiches: ›Die geistlichen Prälaten, Äbte als Echternach, Himmerode, Springiersbach, Abtissinnen, Jesuiten, Mönche, Nonnen und Konventuales, item die Edelleute reißen und gereißen allenthalben im Kröver Reich mit Aufkaufung der weltlichen und Untertanen Güter ein‹.«43
Wie mag es den Ermels unter diesen Umständen ergangen sein? Hatten sie möglichen Landbesitz verkaufen müssen und war Conrad deshalb ›nur‹ noch in den Weinbergen als Tagelöhner und später als Fährmann zu Enkirch tätig?
Mit zwölf – spätestens mit 14 Jahren – wurden die Knaben zu einem Lehrmeister gegeben, dem Lehrgeld für die Ausbildung bezahlt werden musste. Das war keine unerhebliche Auslage.44 So heißt es in einem Nürnberger Dokument von 1618, dass einem Meister dort 60 Gulden Lehrgeld für vier Jahre bezahlt werden musste. Da stellt sich die Frage, wie es dem Weingärtner oder auch Tagelöhner Conrad und seiner Frau möglich gewesen ist, ihren sicherlich von seiner künstlerischen Begabung her erkannten ältesten Sohn in eine entsprechende Lehre gegeben zu haben. Wahrscheinlich ist, dass dies nicht stattfand. Johann Franciscus dürfte nicht von seinen Eltern als Maler gefördert worden sein. Viel wahrscheinlicher ist es, dass er mit knapp zwölf Jahren als Schiffsjunge auf einem der Weinfrachter oder Pilgerschiffe, die in Reilkirchen oder Reil anlegten, anheuern musste. Sein Vater, spätestens seit 1652 Fährmann, kannte die Schiffer auf der Mosel vermutlich schon viel früher und wusste sicher