Von der verwandelnden Kraft negativer Gefühle - Anselm Grün - E-Book

Von der verwandelnden Kraft negativer Gefühle E-Book

Anselm Grün

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Beschreibung

Der Ausdruck "Sieben Todsünden" ist irreführend. Nach der katholischen Theologie ist eine Todsünde eine bewusste und absolut freie und eine schwerwiegende Sünde gegenüber Gott. Doch was unter den sieben Todsünden seit dem Mittelalter verstanden wurde, sind Gefährdungen des menschlichen Lebens. Und als Gefährdungen des gelingenden Lebens sind sie auch heute noch modern. Daher haben Bernd Deininger als Psychoanalytiker und Anselm Grün als Mönch sich gemeinsam auf den Weg gemacht, von der psychologischen Seite und von der spirituellen Seite aus einen Blick auf die sieben Todsünden zu werfen. Beide verstehen die sieben Todsünden als Leidenschaften, die den Menschen beherrschen wollen. Doch in ihnen steckt zugleich eine Kraft, die man nicht abschneiden darf. Wir sollen uns - so sagen die frühen Mönche - mit den Leidenschaften vertraut machen, uns ihnen aussetzen, dann werden sie uns bewährter machen. Zunächst beschreibt Bernd Deininger von der Psychoanalyse her die einzelne Gefährdung. Dabei führt er Fallbeispiele an, um konkret aufzuzeigen, wie ein Mensch mit der jeweiligen Gefährdung umgehen kann und wie er die negative Kraft in eine lebensspendende Kraft verwandeln kann. Im Anschluss daran sucht P. Anselm Grün eine spirituelle Antwort auf die jeweilige Gefährdung.

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Seitenzahl: 246

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Anselm Grün, Bernd Deininger

Von der verwandelnden Kraft negativer Gefühle

Vier-Türme-Verlag

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2018

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Marlene Fritsch

Umschlaggestaltung: Dr. Matthias E. Gahr

Umschlagfoto: © Andrey Kuzmin / Fotolia

ISBN 978-3-7365-0134-8 (print)

ISBN 978-3-7365-0103-4 (epub)

www.vier-tuerme-verlag.de

Inhalt
Einleitung
Neid (Invidia)
Bernd Deininger
Anselm Grün
Hochmut (Superbia)
Bernd Deininger
Anselm Grün
Zorn (Ira)
Bernd Deininger
Anselm Grün
Geiz (Avaritia)
Bernd Deininger
Anselm Grün
Wollust (Luxuria)
Bernd Deininger
Anselm Grün
Maßlosigkeit (Gula)
Bernd Deininger
Anselm Grün
Trägheit (Acedia)
Bernd Deininger
Anselm Grün
Schluss
Zitierte und weiterführende Literatur

Einleitung

In diesem Buch soll es um die sogenannten »Sieben Todsünden« gehen, wie die katholische Kirche sie lange genannt und gelehrt hat. Doch der Ausdruck ist irreführend. Nach der katholischen Theologie ist eine Todsünde eine bewusste, absolut freie und schwerwiegende Sünde gegenüber Gott. Doch was unter den Sieben Todsünden seit dem Mittelalter verstanden wurde, sind Gefährdungen des menschlichen Lebens. Und als Gefährdungen des gelingenden Lebens sind sie auch heute noch modern.

Daher haben Bernd Deininger als Psychoanalytiker und ich als Mönch uns gemeinsam auf den Weg gemacht, von der psychologischen Seite und von der spirituellen Seite aus einen Blick auf diese Gefährdungen zu werfen. Der Psychoanalytiker begegnet ihnen oft als Deformationen menschlichen Seins und als Mangel an menschlicher Reife. Aber er bewertet die Todsünden nicht moralisch. Er beschreibt nur, wie sie unser Menschsein gefährden und wo sie uns krank machen können.

Als Mönch gehe ich von der Tradition der frühen Mönche aus. Dort begegnen wir beim Wüstenvater Evagrius Ponticus in einem seiner Bücher den sogenannten Neun Logismoi. Gemeint sind gefühlsbetonte Gedanken, Leidenschaften, die uns begegnen und mit denen wir kämpfen müssen. Evagrius Ponticus bewertet diese Logismoi nicht. Und er weiß, dass in ihnen positive Kräfte stecken, die der Mönch aus ihnen herausziehen soll. Aber sie können ihn auch beherrschen. Dann werden sie gleichsam zu Dämonen, die den Mönch anfallen, um ihn in seine Macht zu bringen. Der Dämonenkampf ist ein wesentlicher Teil der Spiritualität der frühen Mönche. Dabei verstehen sie unter »Dämonen« keine fremden Wesen, wie wir sie in fiktionalen Filmen und Büchern häufig finden. Die Mönche benennen die Leidenschaften nur häufig als Dämonen, um mit ihnen kämpfen zu können. Sie geben ihre Verantwortung für ihre Probleme nicht an die Dämonen ab, so wie es heute manche tun, die von einem Exorzisten zum anderen pilgern, um sich von ihnen befreien zu lassen. Stattdessen übernehmen die Mönche die Verantwortung für ihre Gedanken und Leidenschaften, indem sie den Kampf aufnehmen. Um mit jemandem zu kämpfen, muss ich ihn benennen. Daher haben die Mönche die Logismoi als Dämonen bezeichnet. Sie sprachen jedoch nicht von Besessenheit, wie es heute Menschen tun, die die Verantwortung für ihren psychischen Zustand anderen Wesen zuschieben.

Bekannter als die Lehre von den Neun Logismoi, die nur in einem einzigen Buch von Evagrius so beschrieben werden, ist die Acht-Laster-Lehre. Sie geht auf das Buch »Praktikos« von Evagrius zurück. Er selbst spricht auch in diesem Buch von Logismoi, von Leidenschaften und Emotionen und nicht von Lastern.

Das Wort »Laster« bezeichnet im Deutschen ursprünglich »Kränkung, Schande, Tadel, Fehler, Makel«. Im 16. Jahrhundert änderte sich seine Bedeutung in »Gewohnheitssünde, tadelnswerte schändliche Angewohnheit«. Die Bedeutung von »Laster« hat nichts zu tun mit dem, was Evagrius in seinem Buch »Praktikos« beschreibt. Evagrius geht es nicht darum, dass der Mensch die Logismoi aus sich herausreißt, sondern dass er so mit ihnen umgehen lernt, dass sie ihn nicht beherrschen. In den Logismoi, in den Leidenschaften, steckt eine Kraft. Diese Kraft soll sich der Mönch zunutze machen. Das Ziel dieses Ringens ist das Freisein vom pathologischen Verhaftetsein an die »pathe«, die »Leidenschaften«. Es geht also um eine innere Ordnung und Reinigung von Emotionen, die das klare Denken trüben.

Später wurde die asketische Lehre des Evagrius dann zur Lehre von den Sieben Todsünden umgedeutet. Das klingt wesentlich moralischer als die eher psychologische Beschreibung der Logismoi. Evagrius beobachtet genau die Gedanken und Emotionen, die in der Seele auftauchen. Er schreibt: »Sollte ein Mensch aus eigener Erfahrung die schlimmen Dämonen kennenlernen und sich mit ihrer Kunst vertraut machen wollen, rate ich ihm gut, seine Gedanken zu beobachten. Achten sollte er auf ihre Intensität, auch darauf, wann sie nachlassen, wann sie entstehen und wieder vergehen. Er sollte die Vielfalt seiner Gedanken beobachten, die Regelmäßigkeit, mit der sie immer wieder auftauchen, die Dämonen, die dafür verantwortlich sind, welcher die jeweils vorausgegangenen ablöst und welcher nicht. Dann sollte er Christus bitten, ihm all das zu erklären, was er beobachtet hat« (Praktikos 50). John Eudes Bamberger, Trappistenabt und selbst Psychoanalytiker, interpretiert diese Gedanken so: »Der oben zitierte Abschnitt, mit Ausnahme des Hinweises auf die Dämonen, könnte genauso gut als praktischer Hinweis für jemanden gelten, der sich mit klinischer Psychologie befasst. Es ist der Ansatz der dynamischen Psychoanalyse, die die sorgfältige Beobachtung der geheimsten und spontansten Gedanken betont, wie sie entstehen und wieder vergehen, was sie miteinander verbindet und wie sie sich zueinander verhalten« (Bamberger, Praktikos 32f).

Wir verstehen in dem vorliegenden Buch die Sieben Todsünden im Sinn des Evagrius als Gefährdungen des Menschen. Es sind Leidenschaften, die den Menschen beherrschen wollen. Doch in ihnen steckt zugleich eine Kraft, die man nicht abschneiden darf. Wir sollen uns – so sagen die frühen Mönche – mit den Leidenschaften vertraut machen. Wir sollen »von ihnen nehmen und ihnen geben, dann werden sie uns bewährter machen«, sagt ein alter Väterspruch. In diesem Sinn möchten wir die Sieben Todsünden anschauen.

Zunächst wird Bernd Deininger von der Psychoanalyse her die jeweilige Gefährdung beschreiben. Dabei wird er immer auch Fallbeispiele anführen, um konkret aufzuzeigen, wie ein Mensch damit umgehen kann, wie er die negative Kraft in eine lebenspendende Kraft verwandeln kann.

Dann werde ich von der Spiritualität her eine Antwort versuchen. Spannend ist, dass das Thema der Sieben Todsünden auch in der Kunst eine große Rolle spielt. Es gibt die Folge von acht Lithografien von Alfred Kubin (1914), eine Folge von 16 Blättern von Marc Chagall (1925) und das Werk von Otto Dix (1933) zu diesem Thema. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war es in der Kunst offensichtlich höchst aktuell. Die Künstler spürten, dass diese Sieben Todsünden das Leben in der Gesellschaft gefährdeten. In den letzten Jahren gab es einige Ausstellungen dazu mit Werken von Dürer bis Naumann.

Ich möchte mich vor allem auf die Darstellung der Sieben Todsünden von Hieronymus Bosch beziehen, der im Jahr 1505 ein Bild dazu gemalt hat, und zwar als Tischplatte. Bosch hat für jede Sünde Symbole und Assoziationen genutzt, die nicht nur er, sondern die gesamte Darstellungstradition seit dem Mittelalter immer wieder mit den einzelnen Todsünden verbunden hat.

Anselm Grün Bernd Deininger

Neid (Invidia)

Bernd Deininger

Zweifellos spielt der Neid in unserem Leben eine wichtige Rolle und zeigt sich in unterschiedlichen Formen im Alltag, manchmal stärker und manchmal schwächer. Gerade in engeren Beziehungen, zum Beispiel in Kontakten mit Freunden, Familienmitgliedern, Nachbarn und Arbeitskollegen, steigt das Neidgefühl in unserem Inneren auf und lässt sich, selbst wenn wir es wollen, häufig nicht zurückdrängen.

Besonders dann, wenn wir uns in unserer eigenen Individualität und Gefühlswelt vom anderen nicht geachtet und gesehen fühlen in dem, was unsere Individualität ausmacht, kann ein Schamgefühl entstehen, das uns existenziell bedroht und zu vernichten scheint. Diese Scham kann unerträgliche innere Schmerzen verursachen, aus denen dann Neid, Eifersucht und Missgunst entstehen. Das Gefühl, ungeliebt und unbeachtet zu sein, kann sich zu einer Demütigung entwickeln, die so überwältigend ist, dass sich der Einzelne daraus nicht mehr befreien kann. Wenn die Demütigung und die Beschämung sich ganz tief in unsere Seele eingraben, entwickelt sich daraus Rachsucht sowie ein Vernichtungswunsch dem anderen und den Dingen gegenüber, die er besitzt.

Wenn während der psychischen Entwicklung, manchmal auch unter Einwirkung einer Religion, in der alle Freude, Lust und Sexualität verpönt ist, ein ständiges Gefühl der Versagung, des Zu-Kurz-Gekommen-Seins, des Mangels erzeugt wird, ist der Boden für die Entwicklung von Neidgefühlen bereitet.

Das Gefühl des Neids lässt sich vielleicht so umschreiben, dass im eigenen Inneren der Eindruck entsteht, der andere habe mehr als man selbst, er sei besser und werde mehr geachtet, er bekomme mehr Anerkennung und würde mehr geliebt. Im Vergleich dazu fühlt man sich dann minderwertig, unnütz und gedemütigt.

Melanie Klein hat 1957 in ihrem Buch »Neid und Dankbarkeit« (S. 183) folgende Formulierung gebraucht: »Neid ist ein wütendes (ärgerliches) Gefühl, dass eine andere Person etwas besitzt und genießt, was in den Augen des Neiders ersehnt wird. Der neidische Impuls ist es, diesen Besitz wegzunehmen, an sich zu bringen oder zu verderben. Darüber hinaus beschreibt Neid – im Gegensatz zur Eifersucht – eine Zweierbeziehung.« Wenn nun dem Einzelnen dieses Gefühl deutlich wird, steht hinter dem Neid häufig die Scham über diesen wahrgenommenen Unterschied. Es entsteht ein Impuls, diese Differenz dadurch zu korrigieren, dass man sich ohne Rücksicht das nimmt, worin man sich geschmälert und zu kurz gekommen fühlt, auch auf die Gefahr hin, dass es zur Herabsetzung des anderen führt.

Neid kann aber auch die Möglichkeit schaffen und den Antrieb dafür geben, so sein zu wollen wie der Beneidete selbst. Neid und Gier können sich dann hinter einer Maske der Unschuld verstecken und so zur Täuschung und Lüge werden, nicht nur nach außen, sondern auch nach innen, sich selbst gegenüber. Das Gefühl des Neides kann dazu führen, den Wunsch zu mobilisieren, etwas, das am anderen bewunderungswürdig ist (oder das was bewundert wird), selbst zu haben, und dann zu einem Motor werden, diese Eigenschaften selbst zu erwerben. Wenn das gelingt, schafft die Neidreaktion ein erhöhtes Selbstwertgefühl und einen narzisstischen Gewinn.

Innerhalb der Psychoanalyse wiesen Sigmund Freud und Karl Abraham als Erste auf die Bedeutung des Neides hin. Freud benutzte das Konzept von Neid in seiner Theorie des Penisneides. Karl Abraham hat in seinen gesammelten Schriften (Bd. 2, S. 15, 1923) Folgendes konzipiert: »Der Neidische aber zeigt nicht nur ein Begehren nach dem Besitz anderer, sondern er verbindet mit diesem Begehren gehässige Regungen gegen den Bevorzugten. (...) Ich meine den so häufigen Neid des Patienten auf den analysierenden Arzt. Er neidet ihm die Rolle des Überlegenen und vergleicht sich beständig mit ihm. Ein Patient äußerte einmal, in der Psychoanalyse sei die Verteilung der Rollen allzu ungerecht. Er selbst müsse alleine alle Opfer bringen: Er suche den Arzt auf, liefere seine Assoziationen ab und müsse obendrein noch Geld zahlen. Derselbe Patient hatte übrigens die Gepflogenheit, jedem Menschen, den er kannte, sein Einkommen nachzurechnen.«

Weiterhin verband er in seinem Konzept den Neid mit der Aggression. Er stellte an mehreren Beispielen heraus, dass der Neid eine Feindseligkeit gegenüber der Person, die ein begehrtes Objekt besitzt, entwickelt. Klein (1957, S. 176) sieht im Neid, auch in Anlehnung an Freud, eine instinkthafte innere destruktive Macht, die als Furcht vor Vernichtung erlebt wird.

In einer anderen psychoanalytischen Tradition, der Ich-Psychologie, wird der Neid als eine komplexe Einstellung betrachtet, die Teil der normalen Entwicklung ist. Statt als ein primärer Trieb wird Neid hier als eine sekundäre motivierende Kraft gesehen, die durchaus positive Aspekte beinhaltet, die innerhalb der Entwicklung des Kindes sinnvoll sind. Insbesondere wird von dieser Forschergruppe um Kohout die Verbindung zu Narzissmus und Selbstwertgefühl hervorgehoben. Um ein Neidgefühl entwickeln zu können, muss die Fähigkeit bestehen, zwischen Selbst und Objekt unterscheiden zu können. Dies sei bei Kindern erst etwa ab eineinhalb Lebensjahren möglich.

In psychoanalytischen Behandlungen tritt Neid meist erst dann auf, wenn der Patient seine Abhängigkeit von einem guten Objekt, zum Beispiel dem Therapeuten, spürt. Es geht dann darum, die unabhängige Existenz des anderen, seine guten und schlechten Eigenschaften und dessen Beziehungen auch zu anderen Menschen zu akzeptieren. Das bedeutet, dass die Getrenntheit von diesem Objekt besonders wahrgenommen wird. In den Therapien zeigt sich der Neid dadurch, dass der Patient eine Unfähigkeit entwickelt, Hilfe anzunehmen und dankbar sein zu können. In therapeutischen Prozessen entsteht dann häufig beim Patienten ein Schuldgefühl, wenn er seinen Neid bewusst erlebt.

Die Bewältigung von Neid ist mit der Fähigkeit verknüpft, Schuld zu empfinden und Scham zu spüren. Dies ist dann oft mit Trauer verbunden, dass in der eigenen Lebensgeschichte manchmal kein gutes Objekt als Gegenüber zur Verfügung stand. Wenn es dann gelingt, Unterschiede zwischen mir und den anderen anzuerkennen, wenn eine Einfühlung in den anderen möglich wird, dann kann der Neid bewältigt werden und sich die Fähigkeit zur Dankbarkeit als Gegengewicht zum Neid entwickeln.

Mit der Erkenntnis von Schuld und Scham ist häufig auch der Wunsch nach Liebe und die Angst vor der Liebe verbunden. Die Angst vor der Liebe ist eine mächtige Strömung, die sich im Einzelnen breitmacht und das Streben nach Macht und Besitz, nach Haben statt Sein, nach Materialisierung statt Beziehung befördert. In der heutigen Zeit kann man, auf den Einzelnen und die Gesellschaft bezogen, Folgendes feststellen: Die Angst vor der Liebe und damit vor einer tiefen innigen Beziehung scheint häufig über die Liebe und die Anerkennung des anderen zu siegen. Die Angst vor der Liebe ist eine Urgewalt, die in einem hohen Maß das gesellschaftliche Leben prägt. Insofern wäre es besonders wichtig, wenn die Liebe angstfrei erlebt werden könnte und damit echte Ich-Du-Beziehungen geschaffen würden. Dies wäre eine Möglichkeit, den Neid zu überwinden. Diese Liebe kann dann als etwas Göttliches in uns gesehen werden, was uns zu einem reiferen Lebenssinn führt.

An einem psychoanalytischen Behandlungsfall möchte ich nun die theoretischen Überlegungen praxisnah darstellen: Frau A. kam in psychosomatische Behandlung, da sie seit langen Jahren unter Depressionen und Schlafstörungen litt, die sich in den letzten zwei Jahren vor Beginn der Behandlung deutlich verschlimmert hatten. Symptomatisch standen dabei emotionaler Rückzug, Panikattacken, Antriebsstörungen und Affektdurchbrüche im Vordergrund. Die Beschwerden seien phasenweise aufgetreten, manchmal so stark, dass sie an ihr Zimmer gefesselt war und das Haus nicht mehr verlassen konnte.

Stark belastet habe sie, und dies war dann letztlich der Grund für eine therapeutische Behandlung, eine Geruchsstörung. Hierbei konnte sie in Anwesenheit von anderen Menschen eine unerträgliche Übelkeit entwickeln, die so stark war, dass sie den Raum sofort verlassen musste, um sich zu übergeben. Besonders bei Frauen, die sie bewundert habe und die sie für attraktiv hielt, sei ihr das aufgefallen.

Sie berichtete, dass sie in vordergründig geordneten Familienverhältnissen aufgewachsen sei. Der Vater sei ein zurückhaltender, warmherziger und sich der Mutter unterordnender Mann gewesen. Zu ihm habe sie eine gute emotionale Beziehung gehabt. In Konfliktsituationen, insbesondere mit der Mutter, habe er sich aber nie offen auf ihre Seite gestellt, sondern habe eher versteckt und verborgen im Hintergrund geholfen, wenn die Mutter sie bestraft habe. Die Mutter sei eine sehr dominante, durchsetzungsfähige und bestimmende Frau gewesen. Der Vater habe alle Wünsche der Mutter erfüllt und nie eine eigene Position ihr gegenüber bezogen.

Etwa ein Jahr vor ihrer Geburt war der um vier Jahre ältere Bruder ums Leben gekommen. Die Großeltern mütterlicherseits waren mit dem Bruder spazieren gewesen, er auf einem Kinderfahrrad gefahren. Am Ende eines Parks war eine Straße, und obwohl die Großeltern riefen, er solle warten, war er weitergefahren und dann von einem Auto, das mit überhöhter Geschwindigkeit herankam, erfasst worden und zu Tode gekommen. Der Tod des Bruders war für die Großeltern so belastend, dass beide die Situation nicht mehr aushalten konnten. Vermutlich habe wohl auch die Mutter die Eltern für den Tod ihres Sohnes verantwortlich gemacht. Aus Erzählungen hatte sie erfahren, dass es zwischen der Mutter und ihren Eltern dann massive Spannungen gab. Kurz danach begingen die Großeltern Selbstmord. Anschließend entwickelte die Mutter so viele Schuldgefühle, dass sie einen Selbstmordversuch mit Schlaftabletten unternommen hatte, als sie mit ihr schwanger war. Der Vater hatte sie bewusstlos gefunden und ins Krankenhaus gebracht.

In ihrer Kinderzeit war sie regelmäßig mit der Mutter auf den Friedhof gegangen, sowohl zum Grab des Bruders als auch zum Grab der Großeltern. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, dass die Mutter auf dem Friedhof viel geweint hatte. Sie hatte sich aber nie getraut zu fragen, was denn eigentlich passiert war. Erst im Schulalter hatte sie von dem Unfall und dem Tod der Großeltern erfahren, wobei der Selbstmord der Großeltern erst im Erwachsenenalter thematisiert wurde.

Sie bewohnten in einem vornehmen Stadtteil mit vielen Villen eine kleine zweieinhalb Zimmer-Wohnung im Souterrain eines großen Hauses. In der Schule fühlte sie sich oft ausgeschlossen, da sie auf Geburtstagsfeiern von Klassenkameradinnen als »einfaches Arbeiterkind« nicht eingeladen wurde. Sie erinnerte sich, dass sie sich wegen ihrer abgetragenen Kleidung oft geschämt hatte. Dieses Schamgefühl begleitete sie die ganze Schulzeit über.

Die Eltern waren kirchlich engagiert, sie war deshalb schon früh mit dem Vater zur Kirche gegangen und hatte dann in den kirchlichen Jugendgruppen Kontakte geknüpft. In der Schule versuchte sie durch gute Leistungen den Makel des Arbeiterkindes auszulöschen, was dazu führte, dass sie noch mehr zum Außenseiter wurde. Am Gymnasium trug sie immer den Stempel der »angepassten Streberin«. Nach dem Abitur studierte sie Deutsch und Religion und war Gymnasiallehrerin geworden.

Am Anfang ihrer Studentenzeit hatte sie mehrere kurzzeitige Beziehungen, da es aber nie zu einem intimen Kontakt kam, hatten die Männer sie immer nach einigen Monaten wieder verlassen. Wegen ihrer religiösen Einstellung hatte sie sich Sexualität nur in der Ehe vorstellen können. Nachdem sie aber nie einen Mann kennenlernte, den sie als langfristigen Partner hätte akzeptieren können, war sie dann alleine geblieben.

In der Kirchengemeinde war sie weiter aktiv. Die Männer, die sie dort kennenlernte, waren aber durchweg nichts mehr als Kameraden. Mit Frauen blieb es schwierig, insbesondere, wenn Frauen in Partnerschaften lebten oder eine Familie gründeten und Kinder hatten, habe sie dies als für sie völlig unerträglich erlebt. Am Beginn der Therapie war sie knapp 40 Jahre alt, also in einem Alter, wo eine Familiengründung kaum mehr möglich war.

Frau A. wuchs in einer Familie auf, in der der Tod des Bruders und der Suizid der Großeltern emotional sehr prägend waren. Ihre Mutter signalisierte ihr schon früh, dass sie nur als »Ersatz für den Bruder auf die Welt gekommen war und eigentlich als eigenständige Person keine Rolle spielte. Sie hatte auch das Gefühl, dass nach ihrer Geburt zwischen den Eltern keinerlei körperlicher Kontakt mehr stattgefunden hat, da, soweit sie dies erinnere, der Vater im Schlafzimmer und sie mit der Mutter auf einer Ausziehcouch im Wohnzimmer schlief. Zur Mutter hatte sie eine ambivalente Beziehung. Zum einen habe sie der Mutter immer beweisen wollen, dass es doch schön sei, dass es sie gebe. Sie habe deshalb alle Wünsche, die die Mutter an sie hatte, erfüllt, habe sich immer für die Mutter angestrengt und auch den Beruf ergriffen, den sich die Mutter von ihr gewünscht habe. Die Mutter sagte ihr stets, dass sie selbst gern studiert hätte, wenn es nach dem Krieg für sie möglich gewesen wäre, und auch gerne Lehrerin geworden sei. Gleichzeitig hasste sie die Mutter, wünschte sich oft in ihren Träumen in der Kinder- und Jugendzeit, dass die Mutter stirbt und sie dann mit dem Vater alleine bliebe. Sie hatte schon sehr früh das Gefühl, dass sie für den Vater die bessere Frau als die Mutter wäre und dass sie mit dem Vater ein angenehmes Leben führen würde. Er stand aber nie offen zu ihr. Bei familiären Konflikten erlebte sie sich immer als die ausgeschlossene Dritte. In ihren Fantasien und Träumen schloss sie jedoch die Mutter aus. Schon sehr früh beneidete sie die anderen gleichaltrigen Kinder auf unterschiedlichen Ebenen. Sie hatte das Gefühl, alles, was die anderen haben, ist besser und wertvoller als das, was sie hat. Anfangs war dies die Kleidung, später dann die sozialen Kontakte und das Gefühl, dazuzugehören. Sie konnte sich erinnern, dass der Neid nicht auf Gegenstände gerichtet war, sondern eher darauf, dass andere in Beziehungen waren, die sie erfüllten. Sie selbst hatte dies durch ihre Beziehungsmängel und das Ausgeschlossensein nie erfahren können.

Auch hatte sie schon als Kind, insbesondere bei den Gängen auf den Friedhof, einen Neid auf den toten Bruder entwickelt, der von der Mutter so viel Zuwendung und Aufmerksamkeit erfahren hatte, obwohl er tot war. Dies führte dazu, dass sie sich häufig selbst verletzte und Unfälle vortäuschte (zum Beispiel dass sie vom Fahrrad gefallen sei und Ähnliches), um so von der Mutter Zuwendung zu erhalten. Sie erinnerte sich auch daran, dass sie Angst hatte, die Mutter könnte sie beneiden, wenn sie in der Schule gute Ergebnisse erreicht hatte. Später beneidete sie dann besonders im Studium alle Frauen, die sie, von außen betrachtet, als glücklich empfand.

Das Gefühl des Neids hat eine dominante Rolle in ihrem Leben gespielt, weshalb sie sich sehr schämte und aus ihrer religiösen Einstellung heraus auch viele Schuldgefühle entwickelte. Die Schuld bezog sich auf das Neidgefühl, das sie an sich selbst verurteilte, was aber aus ihrem Inneren nicht zu vertreiben war. Wenn sie in ihrer Kirchengemeinde mit Menschen in Kontakt kam, die sie als schwächer erlebte oder die gar Behinderungen hatten, so beneidete sie auch diese um die Zuwendung, die sie wegen ihrer Schwachheit erfuhren. Häufig träumte sie, dass sie auf gewaltsame Weise ums Leben kam und sie dann die Mutter an ihrem Grab stehen sah, die um sie weinte, wobei sie das Gefühl hatte, dass sie im Tod mit dem Bruder gleichzog.

Entwicklungspsychologisch sind auf der Konfliktebene drei Aspekte zu benennen: Zum einen der Selbstwertkonflikt, wobei sie ihre Existenz und ihr In-der-Welt-Sein dem toten Bruder zu verdanken hat und sie sich so um ihrer selbst willen nicht angenommen und gemocht fühlte. Daraus entwickelte sich ein starkes Schamgefühl, dass sie den Platz eines anderen einnimmt. Daher entwertete sie andere Menschen, indem sie sich emotional zurückzog und keinen anderen für würdig genug hielt, eine Beziehung zu ihr einzugehen.

Zum Zweiten konnte sie nie herausfinden, was sie selbst will, da sie sich in Abhängigkeit insbesondere zur Mutter begab und nur deren Wünsche zu erfüllen suchte. Zum Dritten entwickelte sie ein hohes Kontrollbedürfnis anderen Menschen gegenüber und versuchte herauszufinden, was andere über sie dachten, was sich dann in Zwängen äußerte und später zu Wutausbrüchen führte, indem sie Gegenstände in ihrer Wohnung zerstörte, was dann wiederum Schuldgefühle zur Folge hatte. Das Gefühl, alles kontrollieren zu müssen, erwuchs letztendlich aus dem Neid auf die anderen und deren Beziehungen.

Der aktuelle Konflikt und die Verschärfung der Symptome beruhten darauf, dass sie am Arbeitsplatz eine neue Fachgruppenleiterin bekam, die jünger als sie war und der sie sich unterwerfen musste. Das Gefühl, sich auch den Eltern, insbesondere der Mutter unterwerfen zu müssen, um anerkannt zu werden, wurde dann wieder aktiviert. Der Neid auf die neue Vorgesetzte, dass es diese im Leben vermeintlich besser als sie hatte, führte wieder zu Scham- und Schuldgefühlen, die sich in den depressiven Symptomen festmachten.

An dieser Vignette wird deutlich, dass das Neidgefühl kein angeborenes Geschehen ist, wie es Melanie Klein formuliert, sondern voraussetzt, dass zwischen Individuum und Außenwelt unterschieden werden kann. Das Gefühl, dass der tote Bruder bevorzugt wird und dass dieser aufgrund seines Schicksals etwas hat, was ihm Zuwendung bringt, hat sich schon sehr früh in ihrem Inneren entwickelt.

Die Vorstellung, dass andere glücklicher sind, was Kummer und Schmerz bereitet, wird schon bei Theologen im frühen Mittelalter vermutet. Diese Gedanken tauchen sowohl bei dem Kirchenvater Basilius als auch bei Chrysostomos auf, wobei Letzterer beschreibt, dass der Neid vor allem zwischen nahestehenden Menschen auftritt. Basilius meint, dass nur dort, wo Vertrautheit herrscht, Neid entsteht. Er betrachtet den Neid als ein unheilbares Übel und glaubt, er könne nur unterbunden werden, wenn auf die Selbstliebe verzichtet wird. Das war aber in unserem Fall nicht möglich, da Frau A. einen erheblichen Mangel an narzisstischer Zuwendung erfahren hatte und ihr so die Möglichkeit des Sich-Selbst-Liebens nicht gegeben war. Frau A. hatte immer massive Ängste, dass jemand von außen ihr Neidgefühl spüren könnte, was ein fast unüberwindliches Schamgefühl auslöste. Deshalb konnte sie nie mit jemandem darüber reden, was wohl auch dazu geführt hat, dass sie sich jeder lebendigen Beziehung entzog. Für sie war es immer unerträglich und schmerzhaft, wenn sie spürte, dass andere im Leben ein Gefühl von Glück hatten. Klein hat, ähnlich wie Francis Bacon, den Neid als eine unerfreuliche Grundgegebenheit menschlichen Zusammenlebens beschrieben. In unserer Darstellung wird aber deutlich, dass es sich nicht um eine Grundausstattung des Menschen handelt, sondern dass Neid auf einem narzisstischen Defizit gründet, der über ein Schamgefühl, anderen nichts zu gönnen und das Glück anderer nicht auszuhalten, wächst.

Im Rahmen des therapeutischen Prozesses konnte sich Frau A. mit diesem tiefliegenden Schamgefühl und dem Neid auf den toten Bruder auseinandersetzen, worüber ihr es dann gelang, sich selbst gegenüber liebevoller zu werden und herauszufinden, was sie sich selbst vom Leben wünscht, um ein Gefühl von Glück zu spüren. Die Lösung von der Mutter, die während des analytischen Prozesses verstorben war, zeigte sich darin, dass sie ihren Beruf aufgab und ihre eigentlichen Interessen, die auf Natur und Tiere gerichtet waren, leben konnte. Mit einem kleinen Erbe konnte sie sich in einer wenig bewohnten Gegend einen Bauernhof kaufen. Dort lebte sie dann mit und von den Tieren und schrieb erfolgreich Kinderbücher. Zwei Jahre nach Ende des analytischen Prozesses lernte sie einen zehn Jahre älteren Mann kennen, mit dem sie jetzt zusammenlebt.

Anselm Grün

Hieronymus Bosch hat den Neid auf seinem oben schon erwähnten Bild so dargestellt: Da sehen wir eine Straßenszene. Im Vordergrund giert ein Hund trotz zweier Knochen, die er vor sich liegen hat, nach dem Knochen, den ein Bürger in seiner Hand hält. Der Bürger wiederum schaut voller Neid auf den Adligen, dessen Diener einen Sack voller Geld wegträgt. Weder der Hund ist bei sich, noch der Bürger. Alle schielen auf das, was die anderen haben. So kann der Hund seine beiden Knochen nicht genießen. Der Bürger kann die Liebe zu seiner Frau nicht genießen, die neben ihm steht. Er schielt auf den Adligen, der mehr Geld hat. Der Adlige ist jedoch auch nicht glücklich. Er ist neidisch auf den Bürger, der eine Frau hat, während er allein durchs Leben gehen muss, nur von einem Diener begleitet, der ihm aber keine Geborgenheit schenkt, sondern sein Geld wegträgt.

Eine andere interessante Darstellung des Neides stammt von Caspar Meglinger aus seinem Zyklus »Der Lauf der Welt«. Er hat das Bild im Auftrag des Propstes von Beromünster im Jahr 1606 geschaffen und stellt den Triumphzug des Neides dar: Der Neid ist als eine ausgemergelte, hässliche Frau mit Schlangenhaaren dargestellt. Sie isst ihr eigenes Herz, ist also herzlos. Um sie herum sind die Folgen des Neids zu sehen: Ihr Kind ist eine Kriegsgöttin – der Neid ist die Ursache vieler Kriege. Der »Groll« ist ein grimmiger Mann, der das Pferdegespann lenkt. Die Pferde sind mit einem Behang aus Zungen ausgestattet. Die Zungen stehen für die üble Nachrede, die für den Neid typisch ist. Ein Pferd heißt »Raub«, das andere »Verleumdung«. Die Pferde werden begleitet von einer Frau mit einem Blasebalg. Sie wird als »Verwirrung« (lateinisch: perturbatio) bezeichnet. Neben ihr steht die »Unrast« mit einem Uhrwerk in der Hand. Im Vordergrund des Bildes ist eine Frau zu sehen, die ihre Rute erhebt. Sie heißt »Böswilligkeit«. Im Hintergrund werden Neidszenen aus der Bibel dargestellt: Kain und Abel; Josef, der von seinen Brüdern aus Neid in den Brunnen geworfen wird; Salome, die das Haupt Johannes des Täufers trägt; Saul, der neidisch ist auf David, weil er mehr Erfolg hat und bei den Menschen besser ankommt.

Wenn wir die Bilder betrachten, so entdecken wir darin wesentliche Aussagen über den Neid beziehungsweise beschreiben sie den gegenwärtigen Zustand des neidischen Menschen. Sie suchen nicht wie die Psychoanalyse in der Vergangenheit nach den Ursachen. Diese Sicht ist auch typisch für die frühen Mönche, denn Evagrius beschreibt einfach die Leidenschaften und zeigt Wege auf, wie wir mit den Leidenschaften umgehen sollen. Aber er fragt nicht nach den Ursachen in der frühen Kindheit. Wir wissen heute, dass der Blick in die Kindheit uns erklären kann, warum ein Mensch neidisch geworden ist. Der Blick in die Vergangenheit hilft uns, uns selbst nicht zu verurteilen, wenn wir vom Neid bedrängt sind. Er will uns verstehen lassen, warum wir so sind, wie wir sind. Wenn wir uns selbst verstehen, können wir auch zu uns stehen. Und das ist die Bedingung, uns selbst und unsere Emotionen zu verwandeln.

Manchmal kann der Blick in die Kindheit uns aber auch davon abhalten, uns jetzt mit der Leidenschaft zu beschäftigen und angemessen darauf zu reagieren. Daher sind beide Blickweisen legitim: der Blick in die Vergangenheit, um zu verstehen, warum und wie wir geworden sind, und der Blick in die Gegenwart, um zu verstehen, wie der Neid wirkt und wie wir damit umgehen können.

Das Bild von Caspar Meglinger sagt uns etwas Wesentliches über die Natur des Neides: Der neidische Mensch frisst sein eigenes Herz auf. Er hat die Verbindung zu seinem Herzen verloren und wird so herzlos. Er schadet sich selbst. Der neidische Mensch wird oft als hässlich dargestellt, denn letztlich hasst er sich selbst. Er ist nicht bei sich, sondern muss sich ständig mit anderen vergleichen. Er kann das Leben nicht genießen. Vom neidischen Menschen gilt, was Joseph Epstein einmal so formuliert hat: »Der Neid ist die einzige Todsünde, die überhaupt keinen Spaß macht.« Der neidische Mensch zehrt sich selbst auf mit seinem Neid. Im Deutschen sagen wir: Jemand wird gelb vor Neid. Er ist ausgemergelt, ohne Leben, vom Neid verzehrt und verunstaltet.