Von Gott träumen - Anselm Grün - E-Book

Von Gott träumen E-Book

Anselm Grün

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Beschreibung

Träume sind ein Tor zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen. Was sehen wir, wenn wir dieses Tor öffnen? Die Denker der Antike erkannten die Bedeutung der Träume genau wie die Psychoanalytiker des 19. Jahrhunderts. Sie sind eine Brücke in das Unbewusste und in das Göttliche. Der deutsche Dichter Jean Paul beschäftigte sich wie kein zweiter mit dieser Verbindung. Pater Anselm Grün und Psychoanalytiker Dr. Bernd Deininger zeigen mit Jean Pauls Texten, wie wir diese Traumwelt betreten können und was wir in ihr finden können. »Erst wenn wir die Augen schließen, geben wir der Seele die Möglichkeit zu sehen.«

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Seitenzahl: 83

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Anselm Grün, Bernd Deininger:Von Gott träumen

Alle Rechte vorbehalten

© 2025 edition a, Wien

www.edition-a.at

Cover: Bastian Welzer

Satz: Bastian Welzer

Gesetzt in der PremieraGedruckt in Deutschland

12345—28272625

ISBN: 978-3-99001-802-6

eISBN: 978-3-99001-803-3

Anselm Grün

Bernd Deininger

VON GOTTTRÄUMEN

Um die Ewigkeit zu sehen,müssen wir die Augen schließen

INHALT

Der Dichter der Träume

1.Wer war Jean Paul?

2.Die spirituelle Dimension des Traums

3.Die Bedeutung des Traums für die Psychoanalyse

4.Erster TraumRede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei

5.Zweiter TraumDer Traum vom Apfelbaum

6.Dritter TraumDie Ich-Vision

7.Vierter TraumDer Traum über das All

8.Fünfter TraumDie Todesvision in der »Konjekturalbiografie«

9.Sechster TraumWutzens letzter Traum

10.Siebenter TraumDer Traum von der Mittagsstimmung

11.Achter TraumDer Traum von der Seligkeit

12.Neunter TraumDer Traum, dass alle Seelen eine Wonne vernichte

13.Zehnter TraumDer größte Gedanke des Menschen

14.Mit Musik träumen

Der Dichter der Träume

Jean Paul war zu seiner Zeit, also das ausgehende 18. und beginnende 19. Jahrhundert, der Lieblingsdichter der Deutschen, teilweise beliebter als Goethe und Schiller. Heute wird er kaum noch gelesen. Für viele gilt er als zu langatmig, zu chaotisch, unverständlich. Dabei hat er uns viel zu sagen. Besonders seine Träume sind es wert, aufs Neue entdeckt zu werden. Doch bevor wir uns diesen Träumen zuwenden, die wir in diesem Buch von der spirituellen und psychoanalytischen Seite betrachten wollen, tut es gut, sich darüber Rechenschaft abzulegen, was uns Jean Paul heute, zweihundert Jahre nach seinem Tod, zu sagen hat.

Da ist einmal seine große Liebe zur Natur. Seit seiner Kindheit liebte Jean Paul die Natur, er hat, wie es in dem vom deutschen Literaturwissenschaftler Friedhelm Kemp herausgegebenen Band über den Dichter heißt, »in seinen frühen Jahren oft halbe Tage im Freien zugebracht, Wolken und Luft, Land und Wasser, ja jede Blattwindung und Halmstellung liebevoll beobachtet«. Er sieht die Natur nicht objektiv, sondern immer von innen her. Im Gespräch mit dem romantischen Publizisten Varnhagen von Ense sagt Jean Paul selbst über seine Naturbeschreibungen: »Um eine Gegend dichterisch aufzufassen, dürfe der Dichter nicht bei ihr anfangen, sondern er müsse die Brust eines Menschen zur camera obscura machen und in dieser die Gegend anschauen, dann werde sie gewiss von lebendiger Wirkung sein; nichts aber sei toter, als wenn der sich neugierig umsehende Reisende nur den sinnlichen Stoff als solchen erzähle und beschreibe.« Etwas Ähnliches taten die impressionistischen Maler rund fünfzig Jahre später und verwandelten damit die Kunst für immer.

Ein anderer Gedanke, der viele Menschen heute bewegt, ist die Frage nach der eigenen Identität. In seiner Kindheit machte Jean Paul eine Erfahrung, die in seinen Romanen noch lange nachwirkt. Es ist die Erfahrung des »Ich bin Ich«, die wir in seiner Ich-Vision eigens betrachten wollen. Zu dieser Erfahrung des »Ich bin Ich«, der eigenen Identität, gehört aber noch eine andere Erfahrung, die des Doppelgängers, die die andere Seite des eigenen Ichs repräsentiert. Jean Paul liebt die Gestalt des Doppelgängers und seine Symbolik. Manche seiner Romanfiguren haben einen Doppelgänger, der die andere Seite, die Schattenseite der Hauptfigur, darstellt. Eine Figur, wie sie der Albtraum hervorzubringen vermag.

Das Motiv des Doppelgängers ist psychoanalytisch breit untersucht. Nach dem österreichischen Psychoanalytiker Carl Gustav Jung trägt jeder Mensch zwei Pole in sich. Und die Menschwerdung wird uns nur gelingen, wenn wir die entgegengesetzten Pole in uns miteinander verbinden, wenn wir sie gleichsam umarmen, damit sie nicht mehr gegeneinander kämpfen, sondern versöhnt miteinander unser Leben bereichern.

Was uns heute ebenso bedeutsam an der Dichtung von Jean Paul erscheint: Er setzt sich mit den philosophischen Strömungen seiner Zeit auseinander, mit Spinoza, Fichte, Schelling und Hegel. Er kennt die Versuchung des Atheismus, die Versuchung, alles Religiöse und Spirituelle nur als Einbildung abzutun. Er stellt sich dieser Versuchung und kämpft darum, sie in seinen Büchern immer wieder zu überwinden. So ist er letztlich ein moderner Schriftsteller, der hin- und hergerissen wird von der Spannung zwischen dem Glauben und dem Unglauben, zwischen der objektiven Welt, wie sie uns die Wissenschaft darstellt, und der übersinnlichen Welt, wie sie in seinen Fantasiebildern und vor allem seinen Träumen beschrieben wird. Jean Paul schreibt gegen die Versuchung des Atheismus und des reinen Rationalismus an. Aber zugleich wehrt er sich auch gegen eine vertrocknete Theologie, die meint, sie wisse über Gott genau Bescheid.

Der Traum wird hier zum Vermittler,zum Raum für eine höchst persönlicheSpiritualität.

Jean Paul schrieb auch gegen den Tod an. Seine Romane finden nie ein Ende. Sie werden immer fortgesetzt. In seinen Werken geht es oft um den Tod und seine Überwindung, auch um die Frage, was im Tod und nach dem Tod mit uns geschieht. Er ringt dichterisch um diese Frage und verzichtet auf theologische Argumente. Zu diesem poetischen Beschreiben der Welt gehören die Fantasien und die Träume. Sie ermöglichen es Jean Paul, die Gegensätze der menschlichen Seele zur Sprache zu bringen, ohne sich auf eine dogmatische Linie festlegen zu müssen.

Jean Paul lebte in der Traumwelt. Er erzählt von sich, dass er Fantasien und Träume immer fortschreiben könne, wie Kemp schildert: »Die Stimmung dazu, wenn er nur gesund sei, habe er ganz in seiner Gewalt, er setze sich ans Klavier, fantasiere da auf das Wildeste, überlasse sich ganz dem augenblicklichen Gefühl und schreibe dabei seine Bilder hin, freilich wohl nach einer gewissen vorbedachten Richtung, aber doch so frei, dass diese selbst oft verändert würden.« Die Träume mit ihren fantasievollen Bildern sagen etwas Wesentliches aus über die Weltsicht von Jean Paul. Manchmal sind es Nachtträume, die wir alle kennen. Oft sind es aber Träume, die unmittelbar aufsteigen, wenn Jean Paul die Natur oder eine Situation beobachtet, also Tagträume.

Es sind Träume, die uns dasHintergründige der Welt aufzeigen und diefür Jean Paul immer auch die Welt öffnen fürdas Geheimnis Gottes, für das Übersinnliche,das in allem verborgen ist.

Psychologisch ist zu hinterfragen, wie Jean Paul die Träume genutzt hat, um seine eigene belastete Kindheit zu bewältigen. Das Hineingehen in die Traumwelt ermöglichte ihm seine dichterische Kraft. Über die Träume fand er Antworten auf seine metaphysischen Fragen, die ihm Halt für sein ganzes Leben gaben. Der Traum war für ihn der Weg zum eigenen Unbewussten und damit zum besseren Verstehen seines eigenen »Ichs«, sodass er in vielerlei Hinsicht als ein Vorgänger der modernen Psychoanalyse zu gelten hat.

Wir können also die Träume in den Schriften von Jean Paul von verschiedenen Seiten aus betrachten. In diesem Buch geht es uns vor allem darum, was uns die Träume von Jean Paul heute zu sagen haben, welche Botschaft sie für unsere zerrissene Welt künden. Und was wir daraus über Träume im Allgemeinen lernen können.

Wenn wir mit einem theologischen Ansatz auf die Träume schauen, dann sollten wir uns daran erinnern, dass Jean Paul ja ursprünglich Theologie studiert hat. Doch er hat sich abgewandt von der Theologie, weil sie ihm zu abstrakt und zu steril war. Wir können seine Traumbilder als eine bildhafte Theologie verstehen. So wie Lukas ein narrativer Theologe war und durch seine Erzählungen das Geheimnis Jesu ausgedrückt hat, so drückt Jean Paul durch seine Traumbilder aus, wie er das Leben des Menschen vor Gott versteht, wie er den Tod und das, was uns im Tod erwartet, versteht. Eine bildhafte Theologie legt nicht fest, sie ist immer offen. Die Theologie der griechischen Kirchenväter war so eine bildhafte Theologie. Sie bleibt immer aktuell, weil Bilder wie Fenster sind, die uns den Blick in das Geheimnis Gottes und des Menschen ermöglichen, aber weder Gott noch den Menschen festlegen auf Begriffe, die alles genau erklären wollen.

Prophet unserer Gegenwart

Was die Herausgeber von Jean Pauls Texten zu seinem 200. Geburtstag im Jahr 1963 geschrieben haben, gilt auch heute, wenn wir den 200. Todestag des Dichters feiern: »Das Überwältigende bei Jean Paul ist, zweihundert Jahre nach seiner Geburt, die Tatsache, dass sein Wesen direkter, persönlicher, maßgeblicher zu uns Heutigen zu sprechen vermag als manche unumstrittene und darum nie ›modisch‹ oder ›altmodisch‹ gewesene Literaturgröße.«

Heute wie damals hört man oft die Klage, die Romane von Jean Paul seien zu weitschweifig, hätten keine klare Form, es sei schwierig, sie zu lesen. Das geben die Herausgeber von Beiträgen des Bayerischen Rundfunks, die damals eine große Zustimmung erfuhren, auch unumwunden zu. Daher braucht es ein achtsames und manchmal auch wiederholtes Lesen. Dann, so meinen die Autoren, »merken wir bald, wie sie [die Texte Jean Pauls, Anm.] uns tragen; sehr hoch hinauf manchmal, bis ins Überwirkliche und Ungeheure«.

Heute muss alles schnell gehen. Wir nehmen uns kaum einmal Zeit, ein Buch zur Hand zu nehmen und es in Ruhe zu lesen. Aber gerade diese Ruhe täte uns gut. Wir können die Romane von Jean Paul nicht danach beurteilen, welche Informationen wir daraus ziehen, was wir daraus lernen können. Es geht darum, sich in die Bücher zu vertiefen und beim Lesen in eine andere Welt einzutauchen. Die Welt, in die uns Jean Paul entführt, ist eine Welt der Liebe und Milde, eine Welt der Fantasie und eine Welt, die voller Geheimnisse ist, die offen ist für das unbegreifliche Geheimnis Gottes.

Die aktuelle Biografie über den Dichter, die der Germanist Helmut Pfotenhauer im Jahr 2023 verfasst hat, versteht Jean Paul als einen, der in seinen Romanen das Leben nicht beschreibt, sondern erschreibt. Für Jean Paul zählt nur das Leben, »das zur Schrift wird«. Es gilt die Devise: »Das Werk ist alles, das Ich ist nichts … Warum? Nur im Schreiben ist Dauer, nur in ihm verewigt man sich.«

So führen alle Romane Jean Pauls in das Geheimnis des menschlichen Lebens ein. Indem wir in seinen Romanen das Schicksal von Menschen in ihrem Werden mit allen Höhen und Tiefen erkennen, lernen wir, das eigene Leben besser zu verstehen. Und wir erahnen, welches Geheimnis das Leben des Menschen ist. Die Bücher von Jean Paul dienen also immer der Selbsterkenntnis. Und die tut uns heute bitter not, da die Menschen ihre Schattenseiten auf andere projizieren, anstatt ehrlich und mutig nach innen zu blicken.