Von nackten Rotkehlchen und furzenden Wölfen - Matthias Zimmermann - E-Book

Von nackten Rotkehlchen und furzenden Wölfen E-Book

Matthias Zimmermann

4,7

Beschreibung

Wer wird denn dem Imker Honig verkaufen wollen? Und wer zählt seine Hühner, bevor er sie gefangen hat? Die europäischen Sprachen sind voller unterschiedlicher Sprachbilder, die zunächst skurril erscheinen, aber bei genauer Betrachtung viel über das jeweilige Land und seine Kultur verraten. Dieses Buch schickt den Leser nicht ins Boot, sondern erklärt unterhaltsam und fundiert, warum unsere Nachbarn manchmal komische Dinge sagen - und trotzdem alle Würfel im Kopf haben. Die witzigsten Redensarten aus Frankreich, Spanien, England, Italien, Russland u.v.a. Ländern. Mit Redensarten wie Nackt wie ein Rotkehlchen, Nicht den Fluch des Schmiedes wert, Den Kabeljau schneiden, Den Bock auf die Haferkiste setzen, Den Wolf furzen hören, Eine Nuss mit dem Vorschlaghammer knacken, Schlösser in Spanien bauen, Den Trinkbecher abhängen, u.v.m.

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Matthias Zimmermann

Von nackten Rotkehlchen und furzenden Wölfen

Die witzigsten Redensarten unserer europäischen Nachbarn

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten.

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung auf DVDs, CD-ROMs, CDs, Videos, in weiteren elektronischen Systemen sowie für Internet-Plattformen.

ebook im be.bra verlag, 2012

© der Originalausgabe:edition q im be.bra verlag GmbHBerlin-Brandenburg, 2009KulturBrauerei Haus 2Schönhauser Allee 37, 10435 [email protected]: Robert Zagolla, BerlinUmschlag: Ansichtssache, BerlinISBN 978-3-8393-2100-3 (epub)ISBN 978-3-8393-2101-0 (pdf)ISBN 978-3-86124-637-4 (print)

www.bebraverlag.de

Inhalt

Zum Geleit

An der hellen Tanne, wo Judas seine Stiefel verlor

Auf dem Backblech tanzen

Balken nach Norwegen bringen

Beim grünen Teufel

Beinchen stricken

Bekannt wie der weiße Wolf

Das Bistum wechseln

Den Becher ergattern

Den Hund waschen und ein Ei kochen

Den Stiel der Axt nachwerfen

Den Weinstock mit Würsten binden

Den Wolf furzen hören

Der Katze die Sahne anvertrauen

Die Engländer sind gelandet

Ein deutscher Streit

Ein französischer Brief

Ein kleines Fahrrad im Kopf

Eine Pik-Zwei bekommen

Eine umgebaute Laus

Einen Affen haben

Einen Finger in der Pastete haben

Einen Schmetterling auf dem Rad brechen

Es steht auf nichts

Etwas in den Schnurrbart wickeln

Fett wie ein spanischer Anker

Französisch sprechen wie eine spanische Kuh

Fulano, Jacques und Harry

Großmutter das Eierausblasen beibringen

Grüne Hunde, lustige Zebras und schwule Fische

Herz in der Ferse

Hinterbacken, die Trommeln spielen

Hühner umzingeln

Im schönen Laken

In den Walfischarsch!

In der Schweiz trinken

Italienische Streiks und römische Ferien

Jemandem die vierzig singen

Jemandem ein Ohr annähen

Jemandem ein Weidenseil zu essen geben

Jemanden auf die Rosen furzen schicken

Kontrabass spielen

Korkenlutscher

Locken ringeln

Mach nicht den Deutschen

Makakenäffchen auf den Kopf setzen

Mit der Hand in der Pasta

Mit verdrehten Höschen in die Flasche kriechen

Nackt wie ein Rotkehlchen

Neben dem Butterteller

Nicht den Fluch eines Kesselflickers wert

Radicchio schubsen

Regnen wie eine Kuh, die pisst

Saft aus einer Mücke pressen

Sankt Glinglin, wenn der Krebs auf dem Berg pfeift

Schlösser in Spanien

Selber Schnurrbärte haben

Über das Geschlecht der Engel diskutieren

Unterwegs mit dem Steinkauz

Von französischen Knüppeln, Nasen und dem Abschied

Von Maravedis und leeren Eiern

Voraus die Baracke

Wenden wie ein Crêpe

Wenn die Kneipensäule den Ellenbogen hebt

Wenn es Pfeifenstiele regnet

Wenn Esel fliegen

Wenn Fröschen Haare wachsen

Wer den Kabeljau schneidet

Wind auf dem Feld suchen

Ziegenbocksuppe essen

Zum Türken werden

Redewendungen

Literatur

Autor

Zum Geleit

»Europa ist eine Reise wert«, sagen US-Amerikaner immer. Und meinen damit das deutsche Bier, die Stierhatz in Pamplona, den Eiffelturm von Paris und insgesamt das komische Gequatsche in der Alten Welt, das sie nicht verstehen. Dabei muss man keineswegs von Übersee kommen, um sich in unseren Breiten höchst amüsant zu unterhalten. Vor allem, wenn wir unsere europäischen Nachbarn beim Wort nehmen. Wer möchte nicht gern einmal »Beinchen stricken«, wie es die Franzosen tun, anstatt die Beine immer nur »in die Hand zu nehmen«? Und wäre es nicht aufregend, im nächsten Spanienurlaub, den Ort zu finden, »wo Jesus den Hausschuh verlor«? Wie gern ließe man sich einmal in Portugal betrunken als »Korkenlutscher« titulieren oder säße mit einem Italiener »im Wacholdergebüsch« statt »in der Tinte«! Aber längst nicht alles ist vorbehaltlos zu empfehlen. In Frankreich für einen »Engländer gehalten« zu werden ist ebenso unschön, wie »mit einem Samowar ins russische Tula zu reisen« nutzlos und in Finnland »das Bistum zu wechseln« lebensgefährlich.

Europa wächst zusammen. Aber der Weg zu einem – politisch, wirtschaftlich und kulturell – vereinten Europa, in dem sich alle verstehen, ist lang und steinig. Nur langweilig wird er sicher nicht. Denn am Wegesrand warten »rauchende Schlangen«, »pfeifende Krebse«, »furzende Wölfe« und viele andere erstaunliche Phänomene, die unser Interesse für die Nachbarn wecken und am Leben halten. All jenen, die befürchten, der Vollzug der Europäischen Union würde die kulturelle Vielfalt auslöschen, die unseren Kontinent zur selbst ernannten Wiege der Zivilisation gemacht hat, sei dieses Buch mit auf den Weg gegeben. Denn eines kann uns das europäische Babel lehren: Wir sind weit davon entfernt, eine kulturelle Gemüsesuppe zu werden, in der zu viele Köche so lange rühren, bis sie sich in einen farblosen Einheits-Brei auflöst. Wenn es etwas gibt, das uns beweisen kann, wie bunt Europa war, ist und wohl auch noch lange sein wird, dann sind es unsere Sprachen – und allem voran die Redewendungen, die über Jahrhunderte das kulturelle Treibgut aufgenommen und bewahrt haben. In ihnen erkennen wir, was uns trennt und was uns verbindet, welche Geschichte(n) alle Europäer teilen und wo religiöse, nationale oder sprachliche Grenzen sich unsichtbar über den Kontinent ziehen. Sie zeigen aber auch, dass es die Unterschiede sind, die uns für einander interessant, neu und – ganz bestimmt – komisch machen. Und dass es manchmal an ein Wunder grenzt, dass wir uns überhaupt verstehen.

Nicht zuletzt offenbaren uns die Redewendungen der Sprachen Europas auch, wie sehr wir uns im Laufe der Jahrhunderte aneinander gewöhnt haben, ja dass wir sogar unverzichtbar füreinander geworden sind. Was wir voneinander halten und übereinander sagen – ob ernst oder im Spaß –, ist ebenso vielseitig wie die Geschichte, die über den Kontinent hinweggegangen ist. Während Französinnen einmal im Monat behaupten, »die Engländer seien gelandet«, schleicht sich ein unehrlicher Engländer mit »einem französischen Abgang« hinten raus. Will ein Grieche seine Schuld leugnen, »macht er den Deutschen« und Franzosen bauen ihre Schnapsideen als »Schlösser in Spanien«. Die Bilder, die wir voneinander haben, sind nicht immer schmeichelhaft, aber sie geben uns die Gelegenheit, über uns selbst zu lachen.

Dieses Buch versammelt eine kleine Auswahl der witzigsten Redewendungen unserer europäischen Nachbarn. Dabei kann und soll es nicht darum gehen, Vollständigkeit in irgendeiner Form zu erreichen oder den schwierigen Regeln der Übersetzerzunft vollends gerecht zu werden. Die Texte wollen unterhalten, zum Lachen bringen und die Augen dafür öffnen, in welcher Farbigkeit die Sprachen nebeneinander ihre Blüten tragen.

Europa wächst zusammen. Aber mit vielen Armen, vielen Beinen – und vielen Mündern. Zum Glück! Schreiben Sie sich das hinter die Ohren, oder, wie die Russen sagen: »Wickeln Sie sich das in den Schnurrbart!«

Potsdam, August 2009

Matthias Zimmermann

An der hellen Tanne, wo Judas seine Stiefel verlor

Es gibt Orte auf der Welt, an denen führt kein Weg vorbei. Man muss sie einfach gesehen haben. Welch Attraktion muss zum Beispiel der Platz in Spanien sein, »wo Gott die Weste verlor« (estar donde Dios perdió el chaleco), »Jesus sein Feuerzeug« liegen ließ (estar donde Cristo perdió su mechero), dem »Teufel sein Poncho« abhanden kam (estar donde el diablo perdió su poncho) und der »Heilige Pankratius seine Baskenmütze« nicht mehr wiederfand (estar donde San Pancracio perdió su boina). Und das ist längst nicht alles. Vor allem Jesus hatte offenbar ein Riesenloch in der Tasche, denn wahlweise soll er – unter anderem – die Nägel (clavos), den Lendenschurz (taparrabos), den Schlappen (chancleta), seinen Namen (nombre), die Mütze (gorro), den Hausschuh (zapatilla) und den Esel (burro) verloren haben. Kein Wunder also, dass er schließlich ohne alles in den Himmel zurückkehrte. Wie ruhig mag es dagegen an jenem Ort in Portugal zugehen, wo lediglich »Judas seine Stiefel verlor« (estar onde Judas perdeu as botas)? Mit dem englischen Plätzchen »in der Mitte der Stöcke« (be in the middle of the sticks) oder am gemütlichen »Nebengewässer« (be in the backwater) haben die genannten Orte gemeinsam, dass an ihnen – angeblich – nichts los ist. Sie liegen nämlich, italienisch gesagt, am capo al mondo – dem »Ende der Welt« – oder etwas vulgärer auf Portugiesisch: no cu do mundo – »im Arsch der Welt«.

Das Hinterhältige an diesem sagenhaften Fleckchen ist, dass es so schwer zu finden ist. Finnen etwa meinen, das Weltenende sei bei der »hellen Fichte« (helvetin kuusessa), in Spanien dagegen treffen sich die Enthusiasten der Abgeschiedenheit »an der fünften Kiefer« (estar en el quinto pino). Wer damit in Kastilien nicht auf offene Ohren trifft, sollte es mit der frivolen Variante versuchen und nach dem Ort »an der fünften Möse« fragen (estar en el quinto coño). Warum ausgerechnet das die treffende Bezeichnung für eine Gegend sein soll, in der nichts passiert, ist allerdings schwer begreiflich. Selbst der englische Tipp, sie liege »auf der Rückseite von jenseits« (be at the back of beyond) führt einen nicht weiter, sondern letztlich an die Stelle zurück, an der man steht.

Immerhin versprechen die Australier (der Abstecher sei erlaubt), am absoluten Langweilerplätzchen im Nirgendwo würden »die Krähen rückwärts fliegen« (be where the crows fly backwards) und für Spanier wird dort »Gott bedient« (estar donde Dios es servido). Was hier so viel versprechend klingt, gerät anderswo zur Horrorphantasie – jedenfalls für deutsche Ohren. Steht doch der einschläferndste Stuhl der Welt für Portugiesen und Italiener gleichermaßen »im Haus des Teufels« (estar em casa do diabo/essere a casa del diavolo). Aus der alemannischen Furcht vor dem Gehörnten scheinen sich auch unsere Nachbarn im Osten einen Scherz zu machen, denn wo bei uns am Abend »Fuchs und Hase« auseinander gehen, wünscht in Polen »der Teufel eine gute Nacht« (tam, gdzie diabet mówi dobranoc). In Kuba, das natürlich auch nicht in Europa liegt, hier aber durchaus etwas beizusteuern hat, soll man sich zuraunen, dass an dem besagten Ort »der Teufel singt und niemand hört ihm zu« (estar donde el diablo cantó y nadie lo escuchó). Damit er dort aber nicht gänzlich allein ist, schicken ihm die Spanier wieder Jesus in die öde Wüste hinterher, dorthin, wo »Christus die drei Stimmen gibt« (estar donde Cristo dió las tres voces).

Übrigens trifft man auch in Frankreich am »Arsch der Welt« Luzifer an. Allerdings ist er dort – wie konnte das passieren? – »grün« (être au diable vert). Schuld an dieser Verfärbung könnte der französische König Ludwig der Fromme gewesen sein. Er residierte nämlich im 11. Jahrhundert vor den Toren der Stadt Paris an einem Ort, der Vauvert (von val vert, frz. »grünes Tal«) genannt wurde. Nachdem er starb, verfielen die königlichen Gebäude und dank der Bettler, Wegelagerer und Banditen, die sich darin einnisteten, machten bald Spukgeschichten über die Gegend die Runde. Der im 15. Jahrhundert aufkommende Ausdruck diable Vauvert, der das Unheimliche und das Abgelegene in sich vereinte, verkürzte sich mit den Jahren zum »grünen Teufel« – und zur Ödnis, die inzwischen mitten in Paris liegt.

Am Ende des Wegs gibt sich das Geheimnis der Abgeschiedenheit, das natürlich keines ist, auf viel einfachere Weise preis. Ob »Arsch der Welt« oder Oase der Einsamkeit ist letztlich eine Frage der Perspektive. Während das portugiesische Landei viel lieber nach den blinkenden Lichtern Portos haschen würde, sitzt der gehetzte Großstädter hin und wieder ganz gern »in Korkschalen« (estar em cascos de rolha).

Auf dem Backblech tanzen

Eine kleine Geschichte über die Liebe: Ein bisschen kitschig war es schon, als sie sich in Rom trafen. Peter, ein Engländer – wenn auch ohne Schirm, Melone und schlechten Humor – und Valérie, eine Französin mit Schmollmund, treuen Augen und geheimen Gedanken. Sie spazierten am Ufer des Tiber entlang, saßen endlose Stunden plaudernd im Café – und nach kaum zwei Tagen hatte Valérie ihn »aufgewickelt« (embobiner quelqu’un) oder »bespielt«, wie ihre Amsterdamer Freundin sagen würde (iemand bespelen). Sogar der Exil-Finne, der sie zum Colosseum kutschierte, sah, dass sie ihn längst »um ihren Finger gewickelt« hatte (kietoa pikkusormen ympärillle). Und als der römische Hotelportier, der die beiden abends begrüßte, augenzwinkernd sagte, sie könne bestimmt »mit ihm machen, was sie wolle« (si può far di lui quello che si vuole), war Peter das eigentlich nur recht. Es gab ganz sicher schlimmere Foltermethoden. Noch am nächsten Tag erzählte er seinem russischen Freund aus Studententagen begeistert von Valérie. Der hörte geduldig zu und gab verschmitzt zurück, sie hätte wohl inzwischen »Seile aus ihm gewunden« (вumъ вepeвku u3 koгo-лuбo – witj werjówki iß kowó-libo).

Einige Wochen gingen ins Land. Schon recht früh hatte Peters tschechische Großmutter ihm prophezeit, er werde sicher bald »nach ihren Noten tanzen« (tancovat podle něčí noty), so verliebt wie er sei. Und sie behielt Recht. Er kündigte seinen Job, löste seine Wohnung auf und zog zu ihr nach Madrid. Valéries italienische Mitbewohnerin staunte nicht schlecht, dass Peter so widerspruchslos ihrem »Stab folgte« (farsi comandare a bacchetta da qualcuno) oder, wie der Postbote feixte, Valérie »den Aufwind brachte« (llevar alguien la corriente). Peter selbst glaubte nicht so recht an die Warnung seines neuen französischen Arbeitskollegen, der meinte, er »mache ihre vier Wünsche« (faire les quatre volontés de quelqu’un), statt seinen eigenen zu folgen. Als aber sogar sein ältester Freund aus Griechenland sagte, sie lasse ihn ja wohl »auf dem Backblech tanzen« (χορεύω κάποιον στο ταψί – choréwo kápion sto tapsí), fing er an, sich Sorgen zu machen.

Doch da war es schon zu spät. Sogar der madrilenischen Milchmann konnte sehen, dass sie ihn »in der Faust« hatte (tener a alguien en un puño). Schlimmer noch: Auf gut Italienisch »führte sie ihn an der Nase« in der Gegend herum (menare qualcuno per il naso). Seine Londoner Freunde hatten ja von Anfang an gemeint, diese Französin würde ihn früher oder später »unter dem Daumen halten« (keep somebody under one’s thumb), aber er hatte es nicht wahr haben wollen. Als jedoch Valéries Mutter ihn bei einem Kurzbesuch beiseite nahm und besorgt zu ihm meinte, er solle sich doch von seiner Freundin nicht so »am Baguette führen« lassen (mener quelqu’un à la baguette), war es Zeit zu handeln. Zurück in Madrid machte er seiner Liebsten eine saftige Szene. Er polterte, man sei hier in Spanien, wo sich ein Mann nicht von einer Frau »in der Truppe haben« lässt (tener a alguien a escuadra), und wenn sie nicht bereit sei das einzusehen, sei es aus. Valérie hatte jedoch längst Wind von Peters Aufstand bekommen und mit ihrer holländischen Freundin Jantine Pläne geschmiedet, wie sie ihn beruhigen und doch weiter »auf ihm fahren« könne (iemand oprijden). Bei einem Kurzurlaub in Barcelona umschmeichelte sie ihn ein wenig, versprach ihm das Blaue vom Himmel und hatte schon bald ihren willigen »Stehaufmann« wieder (traer a alguien como a un dominguillo).

Balken nach Norwegen bringen → Wind auf dem Feld suchen

Beim grünen Teufel → An der hellen Tanne, wo Judas seine Stiefel verlor

Beinchen stricken

Im Angesicht der Gefahr – zum Beispiel in Form eines gefräßigen Riesenkaninchens, wie man es spätestens seit »Wallace und Grommit« oder den »Rittern der Kokosnuss« auf den britischen Inseln offensichtlich öfter antrifft – neigt der Engländer dazu, »zu seinen Hacken zu flüchten« (take to one’s heels) oder schlicht »es zu beinen« (leg it). Wem diese englische Sitte nicht einleuchtet, dem helfen unsere anderen Nachbarn auf die Sprünge. Während Russen schon ihre »Beine davontragen« (уносumь ногu – unoßítj nógi), wenn es brenzlig wird, haben Italiener noch die Ruhe weg und eilen nur »mit gehobenen Beinen« davon (correre a gambe levate). Haben sie das haarige Monster aber erst einmal entdeckt, rufen auch sie sich Gambe in spalla! zu und machen sich auf die Socken – mit ihren »Beinen auf den Schultern«! Auf die gleiche Weise verknotet man sich auf der Flucht in Tschechien (brát nohy na ramena) und in Frankreich legt man die Beine gar »um den Hals« (prendre ses jambes à son cou). Wer sich ob dieser Vorstellung nun vor Lachen den Bauch hält, sollte sich erinnern, dass wir – die »Beine in der Hand« – es nicht viel anders machen. Aus der Reihe tanzen dagegen die Polen, denn sie stecken ihre Extremitäten »hinter den Gürtel« (brać nogi za pas). Viel schneller dürften aber auch sie nicht sein. Heil davonkommen könnten freilich die Portugiesen, die schlicht ihre »Beine geben« (dar às pernas).

All jene, die es noch phantasievoller mögen, kommen anderswo auf ihre Kosten. Schon der spanische Ausdruck »die Füße ins Staubige stellen« (poner los pies en polvorosa) verspricht einigen Wirbel. Leider ist er inzwischen selbst ein wenig angestaubt. Wirkungsvoller kann man sich in Spanien davonmachen, indem man »das Straßenpflaster aufbricht« (desempedrar la calle), was freilich eine recht brachiale Methode ist. Wie leichtfüßig kommt im Vergleich dazu doch ein Holländer daher, wenn er den spanischen Bulldozer links liegen lässt und einfach »seine leichten Schuhe anzieht« (hij doet zijn lichte schoenen aan).

In Sachen Eleganz und Witz können aber auch die Holländer es nicht mit den Franzosen aufnehmen. Kann man sich in Frankreich doch absetzen, indem man »Flöten spielt« (jouer des flûtes), ohne gleich zu offenbaren, dass man »rennt wie einer, dem die Milz fehlt« (courir comme un dératé). Tatsächlich dachte man noch bis zum 16. Jahrhundert, dass die beim Flüchten so hinderlichen Seitenstiche von der Milz herrührten. Daraus ergab sich ein einfacher Gedanke: Eine Entfernung des störenden Organs würde den Schmerz für immer bannen und freien Auslauf garantieren. Leider zeigte sich bei Versuchen mit Hunden, dass die milzlosen Tiere nicht lange genug lebten, um ihre neue Ausdauer wirklich genießen zu können. Wie dem auch sei, der Ausdruck hat überdauert. Alternativ besteht in Frankreich immer noch die Möglichkeit, statt ein Körperteil zu entfernen, sich für die Flucht ein kleines Extra zuzulegen und »Beinchen zu stricken« (tricoter des gambettes).

Schnelle griechische Beine haben sogar einen Namen. Wenn sich ein Hellene auf und davon macht, dann heißt es, »er werde Louis« (γίνομαι Λούης – jínome Loúis). Spyridon Louis, geboren 1873, war Sieger des ersten neuzeitlichen olympischen Marathonlaufs von 1896 und unzweifelhaft eine südeuropäische Seele. Gemeinsam mit zwölf anderen griechischen Läufern machte er sich daran, die Ehre seines bis dahin sieglosen Vaterlandes in der ureigensten Disziplin zu retten – im Wettstreit gegen ganze vier Läufer anderer Nationen. Und er gewann, aber wie! Im offiziellen Bericht ist zu lesen: »Als Spyros Louis aus Maroussi bei einem Wirtshaus in Pikermi vorbeikommt, trinkt er ein Glas Wein, erkundigt sich nach den vordersten Läufern und versichert mit Bestimmtheit, dass er sie erreichen und überholen werde.« Als der sportliche Wasserträger ins Ziel einlief, wurde er von 70 000 berauschten Griechen empfangen, die ihm nicht zuletzt ein sprichwörtliches Denkmal setzten. Ein offizielles Rennen ist Louis danach nie mehr gelaufen.

Bekannt wie der weiße Wolf

In Frankreich ist der Wolf – zumal der weiße – ein gern gesehener Gast. Oder wenigstens einer, den jeder kennt. Denn der Hansdampf in allen Gassen, der sprichwörtliche bunte Hund, ist auf Französisch »bekannt wie der weiße Wolf« (être connu comme le loup blanc). Dabei war das Bild vom blassen Isegrim ursprünglich alles andere als positiv. Als Räuber, Viehdieb und Gefahr für Kinder und Alte galt der Wolf als potenzielle Bedrohung und bekam kurzerhand vielerlei Ängste aufgebürdet. Wurde unweit von Ortschaften ein Wolf gesehen, sprach sich das schnell herum. Mitunter so schnell, dass aus dem Jäger ein weißer – oder grauer (un loup gris) – Wolf wurde. Den zwar niemand gesehen, von dem aber jeder gehört hatte.

So bekannt er in Frankreich auch sein mag, anderswo bekäme der weiße Wolf keinesfalls die gleiche Aufmerksamkeit; wenn man der Sprache glauben darf. In Tschechien etwa spricht man, wenn jemand in aller Munde ist, von der »weißen Krähe« (bila vrana) und in Russland vom »weißen Raben« (белая ворона – bélaja woróna