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Franziska Gräfin zu Reventlow

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Beschreibung

Dieses eBook: "Von Paul zu Pedro" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Fanny Gräfin zu Reventlow (1871-1918) war eine deutsche Schriftstellerin, Übersetzerin und Malerin. Sie wurde berühmt als "Skandalgräfin" oder "Schwabinger Gräfin" der Münchner Bohème und als Autorin des Schlüsselromans Herrn Dames Aufzeichnungen. In den "Amouresken" Von Paul zu Pedro (1912) stellte sie in Form eines Briefromans à la Liaisons Dangereuses eine Art Typenlehre erotischer Begegnungen in der Bohème auf. Aus dem Buch: "Ich hab's ja gleich gewußt, o Freund meiner Seele, als Ihr Brief kam. Gleich gewußt, daß Sie Ihr Steckenpferd - man könnte es allmählich wohl eher als Streitroß bezeichnen - wieder gehörig tummeln würden. Kann man Sie denn immer noch nicht davon kurieren? Sind wieder einmal alle Teegespräche und alle Demonstrationen am lebenden Objekt umsonst gewesen? Ich fürchte: ja - Sie werden stets von neuem beklagen, daß gerade die Frauen, die man am meisten schätzt, so "furchtbar wahllos" sind. - Und ich habe gar keine Lust, Ihnen immer wieder etwas vorzuleben, damit Sie zur Einsicht kommen. Ich müßte mich denn zur Abwechselung einmal nach Ihrem Geschmack richten, und das - nein, das ist zu viel verlangt."

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Franziska Gräfin zu Reventlow

Von Paul zu Pedro

e-artnow, 2015
ISBN 978-80-268-4509-6

Inhaltsverzeichnis

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Inhaltsverzeichnis

Ja, nun sind Sie wieder fort, lieber Freund, – Sie fehlen mir sehr, und ich denke mit einiger Wehmut an unser Beisammensein, vor allem an unsere »Teegespräche«, zurück.

Es war doch recht hübsch, wenn wir uns aus Regen und Wind in das Tea-room flüchteten und jedesmal Angst hatten, ob unser Kaminplatz auch frei sein würde.

Wenn wir anderswo sitzen mußten, waren wir eigentlich immer melancholisch. Man wurde auf einmal gewahr, daß die Welt recht ungemütlich sein kann, und wurde selbst ungemütlich. – Sie, lieber Doktor, in erster Linie – o, Sie konnten sehr ungemütlich sein, wenn Sie anfingen, »es« ernsthaft zu nehmen und mir die Seele aus dem Leibe herauszufragen.

Ich weiß schon – gescheite Männer können das manchmal nicht lassen, aber es ist eine üble Angewohnheit, und ich glaube, sie ist schuld daran, daß man so oft die Dummen vorzieht. Und das könnt Ihr dann wieder nicht begreifen.

Lieber Gott, ich denke ja auch manchmal nach, aber es ist immer ungemütlich. Und nun erst zu zweien – davon bekommt man regelmäßig eine Art moralischen Kater. – Sie dürfen mir jetzt auch brieflich nicht zu seriös werden und mich nicht wieder als »Problem« behandeln – ich bin keines –, sonst prophezeie ich unserer Korrespondenz einen frühen Tod.

Einstweilen bin ich noch recht schreibselig aufgelegt, es ist gar so fad, allein in einer fremden Stadt zu sitzen, wenn es regnet, ununterbrochen regnet.

Das vielbesprochene Abenteuer, dem ich mein Hiersein verdanke, ist zu Ende. Es lag ja schon in den letzten Zügen, als Sie herkamen. – Sie waren wohl etwas mit schuld daran – er wurde mir so langweilig, er war auch wirklich und wahrhaftig langweilig, aber im Anfang habe ich es nicht so gemerkt.

Mit Ihnen konnte ich mich jedenfalls viel besser unterhalten. Wenn ich mit »ihm« drei Stunden hier am Kamin sitzen sollte – du liebe Zeit – ich wäre einfach zersprungen. Ich habe ihn auch nie mit hergenommen, aus Pietät für Sie – in solchen Dingen bin ich sehr pietätvoll, Sie können ganz zufrieden sein.

Also, er ist fort – zu seiner Frau und seinen Kindern. Lächeln Sie nicht so niederträchtig, ich kann doch nichts dafür, daß alle möglichen Leute Frau und Kinder haben. Man darf schon froh sein, wenn sie sich nicht scheiden lassen wollen, um einem »fürs Leben anzugehören«.

Davor habe ich schon in frühen Jugendjahren einen nachhaltigen Schrecken bekommen. Da wollte einer mit mir durchgehen, der sechs Kinder hatte und natürlich auch eine Frau. Er sagte mir, ich sei eine Sphinx und er selbst ein Schurke – und das machte mir tiefen Eindruck – ich war noch so ganz dumm.

Die große Szene spielte sich in einem Bureau ab, und ich hatte das Gefühl, man könne doch eigentlich nicht nein sagen, wenn es so dramatisch herginge. Die Sphinx wirkte wie eine Verpflichtung zu irgend etwas Ungeheuerlichem. – Aber schließlich löste ich mich in Tränen auf und sagte doch nein.

Wir sind uns nachher noch oft auf der Straße begegnet, haben aber nie wieder miteinander gesprochen. Er hat mich nur stumm und leidenschaftlich angesehen. Das war eigentlich recht guter Stil, er bekam dadurch eine Art Nimbus für mich, und ich verzieh ihm die sechs Kinder, die mich erst so entsetzt hatten.

Aber denken Sie nur, wenn ich damals Romantik und schauervolle Wirklichkeit verwechselt hätte, wie es mir leider späterhin noch manchmal passiert ist – –

Nein, ich war meinem Abenteurer hier in der Regenstadt von Herzen dankbar, daß er nicht zum Schurken werden wollte und ruhig heimfuhr. Er hoffte allerdings auf Fortsetzung, aber ich bin nicht dafür. Fortsetzung mit verheirateten Männern ist überhaupt nichts Rechtes, ich hab' das Ausleihen niemals gerne gehabt. Es ist gerade so, wie wenn man sich von Freundinnen einen Mantel oder Pelz leiht – dann gefällt er mir, kleidet mich besonders gut, und ich ärgere mich, wenn ich ihn zurückgeben soll. Man kann es auch vergessen oder etwas daran ruinieren, und dann ärgert sich die Freundin. Es gibt immer leicht Unannehmlichkeiten für beide Teile.

Übrigens habe ich gar nicht erst versucht, ihm das zu erklären, es ist unpraktisch, sich mit dem objet aimé über diese Fragen zu unterhalten. Ich finde es viel hübscher, wenn er sich bei der Heimreise auf ein Wiedersehen freut.

Und Sie? – Sie können es sicher immer noch nicht begreifen, daß ich mich in ein objet verlieben kann, aus dem ich mir im Grunde gar nichts mache, mit dem man sich nach zwei, drei Stunden zu Tode langweilt und nie im Leben ein richtiges Teegespräch führen könnte. Aber Sie dürfen eigentlich ganz damit einverstanden sein, ich meine, es hat sich doch immer alles aufs schönste ergänzt. Mir schien auch, daß Sie sich in Ihrer diesmaligen Rolle als »Konversationsliebe« ganz wohl fühlten. Zu Ihnen flüchtete ich mich immer wieder, wenn er gar zu stumpfsinnig wurde. Nur, wenn wir einmal unseren richtigen Platz nicht bekamen und Sie, fern vom Kamin, zu tiefgründig waren – dann bekam ich wieder Sehnsucht nach ihm und stahl mich ans Telephon. – Zum Beispiel, als Sie verlangten, ich sollte Hölderlins Hyperion lesen – oder wollen Sie immer noch nicht zugeben, daß Ihr Ansinnen deplaciert war? Im Süden und wenn man gerade romantisch aufgelegt ist – mit Vergnügen. Aber bei dem Regen und unter diesen Umständen – ich hab's ja versucht, aber das einzige, was mir Eindruck machte, war die Stelle: »Guter Junge! es regnet.« Und das gab meine Empfindungen so erschöpfend wieder, daß ich ganz glücklich war. Aber ich glaube, das haben weder Sie noch er begriffen.

Denken Sie darüber nach, lieber Freund, und leben Sie für heute recht wohl.

2

Inhaltsverzeichnis

Ich fürchte, ich werde mich nie daran gewöhnen, meine Briefe zu datieren. Tue ich es einmal, weil ich denke, es müßte sein – so ist das Datum gewöhnlich falsch. Man weiß es gerade nicht, hat keine Lust, erst nachzusehen, und schreibt irgendein beliebiges hin, – weil es doch ganz gleichgültig ist, ob mein Brief am dritten oder am zehnten November geschrieben wurde. Ich datiere eigentlich nur, wenn ich einen Brief verbummelt habe und meine Nachlässigkeit beschönigen will. Und dann schreibt man natürlich absichtlich ein falsches Datum. Ich halte das, wie so viele kleine Lügen, für eine liebenswürdige Rücksicht, durch die man anderen ein ärgerliches Gefühl erspart.

Bei den ersten Jugendlieben schrieb ich immer ein pathetisches Datum: sieben Uhr morgens – die Vögel zwitschern schon vor meinem Fenster; – ob sie wirklich zwitscherten, weiß ich heute nicht mehr zu sagen, aber es machte sich so hübsch. Oder: Mitternacht – meine Tante ist schon schlafen gegangen – –

Soll ich das bei Ihnen auch so machen? Etwa: zwei Uhr früh – eben geht er die Treppe hinunter – die Stufen knarren, und es wäre mir sehr peinlich, wenn man ihn hörte.

Sie würden natürlich gleich alles mögliche wissen wollen: wer denn? – und wieso? – und was gefällt Ihnen nun schon wieder an diesem Menschen?

Ich hab's ja gleich gewußt, o Freund meiner Seele, als Ihr Brief kam. Gleich gewußt, daß Sie Ihr Steckenpferd – man könnte es allmählich wohl eher als Streitroß bezeichnen – wieder gehörig tummeln würden. Kann man Sie denn immer noch nicht davon kurieren? Sind wieder einmal alle Teegespräche und alle Demonstrationen am lebenden Objekt umsonst gewesen? Ich fürchte: ja – Sie werden stets von neuem beklagen, daß gerade die Frauen, die man am meisten schätzt, so »furchtbar wahllos« sind. – Und ich habe gar keine Lust, Ihnen immer wieder etwas vorzuleben, damit Sie zur Einsicht kommen. Ich müßte mich denn zur Abwechselung einmal nach Ihrem Geschmack richten, und das – nein, das ist zu viel verlangt.

Übrigens behauptet fast jeder Mann, man sei wahllos. Der eine begreift nicht, daß man sich in einen Friseurtypus oder Tenor verlieben kann, und würde Naturburschen verzeihlicher finden. Der andere hat keine Auffassung dafür, daß exotischer Typ und gebrochenes Deutsch zu den unwiderstehlichen Attraktionen gehören.

Nun – das wenigstens haben Sie mir ja manchmal nachfühlen können. Aber für »Paul« hatten Sie kein Verständnis – gar keines. Sie fanden es nicht recht der Mühe wert, daß ich seinetwegen hierher fuhr, daß Sie Ihr eigenes Reiseprogramm umstürzen und wir beide vierzehn Tage im Regen herumlaufen mußten. Es tut mir leid, aber ich muß bei dem Gedanken so lachen, daß meine Teenachbarn mich eben ganz erstaunt ansehen.

Ja, Paul – Paul war in diesem Fall nur ein Sammelname. Er hieß gar nicht Paul – er war es nur. Es gibt eine bestimmte Art von Erlebnis, das ich Paul nenne, aus dankbarer Erinnerung an seinen ersten Vertreter. Ich meinte auch, ich hätte Ihnen das schon einmal erklärt, aber Sie haben es anscheinend nicht ganz begriffen.

Paul ist eine Begebenheit, die immer von Zeit zu Zeit wiederkehrt. Nicht etwa, weil sie besonders tiefen Eindruck gemacht hätte – im Gegenteil, Paul ist immer etwas Lustiges, Belangloses, ohne Bedenken und ohne Konsequenzen. Aber er kommt immer wieder, wenn auch jedesmal in etwas veränderter Form und Gestalt.

Paul kann alles mögliche sein, verheiratet oder Junggeselle, Leutnant, Ingenieur, junger Arzt, Afrikareisender, – es kommt auch vor, daß er gar keinen Beruf hat. Manchmal ist er auch »drüben« geboren, dann nennt er sich Pablo und rollt das R – vorausgesetzt, daß der Vorname stimmt, was merkwürdigerweise oft, aber natürlich nicht immer der Fall ist.

Man lernt ihn in Sommerfrischen, in Hotels und auf Reisen kennen; an einem festen Wohnort – nein, ich glaube kaum, höchstens wenn er sich vorübergehend dort aufhält. Zu Paul gehören immer Koffer und Kellner, irgendeine momentane und geräuschvolle Umgebung. Man erkennt ihn auf den ersten Blick, wenn er einem im Coupé gegenübersitzt oder in ein Hotel hereinkommt, weiß sofort: das ist Paul. Es dauert auch nie sehr lange, bis man sich kennt, duzt (mit Paul muß man sich duzen, es geht nicht anders) und ganz genau weiß, wie sich nun alles entwickeln wird. Ich habe mir auch angewöhnt, ihn immer so zu nennen. Wenn ich das erstemal sage: du – Paul, – so ist er sehr erstaunt und fragt, mit wem ich ihn jetzt verwechselt habe. – Nun, mit Paul natürlich – und dann bleibt es dabei. Ich hüte mich wohl, ihn aufzuklären, daß es in Wirklichkeit gar keine Verwechselung ist. Er würde es nicht verstehen.

Paul ist auch selten eifersüchtig, wahrscheinlich, weil er sich seiner wechselvollen Vergänglichkeit dunkel bewußt ist. Er wird mir auch sicher niemals Vorwürfe über meine Wahllosigkeit machen.

Und Sie denken jetzt wohl: Gott sei Dank, daß ich nicht Paul bin. Sie haben nicht ganz unrecht – Paul wird in der Regel bald langweilig, und man entflieht ins Tea-room.