Von Wahrheit und Wahrhaftigkeit - Anselm Grün - E-Book

Von Wahrheit und Wahrhaftigkeit E-Book

Anselm Grün

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Beschreibung

Was ist wahr? In Zeiten von sozialen Medien und Fake News werden immer mehr Menschen misstrauisch. Dabei sind Wahrheit und Wahrhaftigkeit Grundlagen des menschlichen Miteinanders und wichtige christliche Werte. Anselm Grün möchte, dass wir diese Tugenden für unser modernes Leben wiederentdecken und dadurch vertrauensvoll miteinander leben.

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Seitenzahl: 106

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Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Printausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2017

ISBN 978-3-7365-9004-5

Neuausgabe des 2009 im Gütersloher Verlagshaus erschienenen gleichnamigen Titels

E-Book-Ausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2024

ISBN 978-3-7365-0592-6

Alle Rechte vorbehalten

E-Book-Erstellung: Sarah Östreicher

Covergestaltung wunderlichundweigand

Portraitfoto Pater Anselm Grün: © Hsin-Ju-Wu

www.vier-tuerme-verlag.de

Anselm Grün

Von Wahrheit und Wahrhaftigkeit

Befreiende Tugenden für heute

Vier-Türme-Verlag

Inhalt
Einleitung
Teil I Annäherungen an die Wahrheit
1 Das philosophische Verständnis von Wahrheit
2 Das biblische Verständnis von Wahrheit
3 Die Wahrheit und die Sprache
4 Die Wahrheit der Dogmen
5 Die Tugend der Wahrhaftigkeit
6 Die Tugend der Verlässlichkeit
Teil II Wahrheit und Wahrhaftigkeit in den Feldern des Lebens
1 Wahrheit und Wahrhaftigkeit im Umgang mit mir selbst
2 Wahrheit und Wahrhaftigkeit im Umgang miteinander
3 Wahrheit und Wahrhaftigkeit in der Politik
4 Wahrheit und Wahrhaftigkeit in der Wirtschaft
5 Wahrheit und Wahrhaftigkeit am Krankenbett
Gelingende Kommunikation
Wahrheit und Mitmenschlichkeit
6 Wahrheit zwischen Wissenschaft und Glauben
7 Die Wahrheit, die befreit und heilt
Schluss
Zitierte Literatur

Einleitung

In einer Welt, in der die Wahrheit immer mehr verdreht wird, sehnen wir uns nach Menschen, die für die Wahrheit Zeugnis ablegen und deren Worte mit ihrer eigenen Wirklichkeit übereinstimmen. Wir erleben in unserer Welt, dass die Wahrheit manipuliert wird. Da werden von der Politik und vom Gericht Gutachten angefordert. Aber je nachdem, wer dieses Gutachten und in welchem Auftrag er es erstellt, so fällt es aus. Die Wahrheit scheint nur eine Frage der Auslegung zu sein und der Interessen.

Wer Interesse an dieser oder jener Wahrheit hat, der setzt alle Hebel in Bewegung, die Wahrheit in seinem Sinn zurechtzubiegen. Wenn wir die Medien aufschlagen, so wissen wir nicht, ob die Zeitung objektiv berichtet oder ob sie nur eine Sensationsgeschichte braucht, um mehr Leser auf sich aufmerksam zu machen und so die Auflage der Zeitung zu steigern. So ist das Vertrauen in die Wahrheit fundamental verloren gegangen. Die skeptische Frage des Pilatus drängt sich auch uns auf:

Was ist Wahrheit?

Johannes 18,38

Wem sollen wir trauen: den Politikern, den Medien, den Leuten am Stammtisch? Biegt nicht jeder die Wahrheit für sich zurecht? Meint nicht jeder, er sei im Besitz der Wahrheit, er sehe die Dinge richtig?

Gerade weil wir die Beliebigkeit der Wahrheit schmerzlich erleben, sehnen wir uns nach Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Wir sehnen uns danach, dass das, was die Medien berichten, wahr ist, dass es mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Und wir sehnen uns danach, dass Menschen wahrhaftig sind, dass sie ihre Lügen nicht erst dann zugeben, wenn sie vom Gericht der Lüge überführt werden. Wir sehnen uns danach, dass die Wahrheit ohne Absicht offenbar wird. Und wir sehnen uns nach Verlässlichkeit in unseren Beziehungen. Wir leiden darunter, dass uns in einer Beziehung oder einer Freundschaft Liebe vorgetäuscht wird. Wie sollen wir unterscheiden zwischen echter und wahrhaftiger Liebe und der Liebe, die nur etwas will, die uns benutzt und missbraucht? Menschen lächeln uns freundlich an. Aber wir wissen oft nicht, ob wir dieser Freundlichkeit trauen dürfen oder ob sie nur eingesetzt wird, um uns für ihre Absichten einzuspannen. In einer Welt unsicherer Beziehungen und freundlicher Fassaden sehnen wir uns nach Wahrheit und Wahrhaftigkeit.

Wir regen uns darüber auf, dass in vielen Ländern Korruption herrscht. Die Wahrheit wird verdreht. Nach außen täuscht man saubere Geschäfte vor. In Wirklichkeit wird hintenherum mit viel Geld geschmiert. Inzwischen erleben wir, dass auch in unserem Land die Korruption ihre Blüten treibt. Wir sind misstrauisch geworden, ob es in der Wirtschaft überhaupt immer mit rechten Dingen zugeht oder ob hinter den Kulissen nicht doch unehrliche Geschäfte getrieben werden. Auf wen können wir uns noch verlassen? Welchen Aussagen, welchen Menschen können wir noch trauen? Wir sehnen uns nach verlässlichen Menschen, nach authentischen Vorbildern, von denen wir nicht irgendwann in der Zeitung lesen, dass sie doppelgleisig gelebt haben.

Als ich mich durch die verschiedenen Wahrheitstheorien, wie sie in der Philosophie und Theologie verkündet werden, durchgearbeitet habe, war ich ratlos. Solch komplizierte Gedankengänge kann ich meinen Lesern kaum zumuten. Und manchmal verstehe ich sie selbst nicht. So verzichte ich darauf, die Wahrheitsbegriffe darzulegen, wie sie die verschiedenen Philosophen beschrieben haben, angefangen von Platon über Aristoteles, Augustinus, Anselm von Canterbury und Thomas von Aquin und schließlich zu Kant, Hegel, Nietzsche und Karl Marx.

Aber beim Lesen der philosophischen Gedankengänge wurde mir auch bewusst, dass hinter jeder Darlegung ja eine Erfahrung steckt. Ich fragte mich, welche Erfahrungen die Philosophen mit der Wahrheit gemacht haben. Wenn ich mit der Frage nach der Erfahrung an die philosophischen Schriften herangehe, dann werden diese durchaus interessant. Dann berühren sie mich.

In diesem Sinn möchte ich daher doch einige Einsichten der Philosophie und der Theologie ansprechen. Mich leitet dabei immer die Frage, wie sie uns helfen können, heute Wahrheit und Wahrhaftigkeit zu verstehen und zu leben. Nach den philosophischen und theologischen Reflexionen über das Thema möchte ich die verschiedenen Felder menschlichen Lebens abschreiten, in denen Wahrheit und Wahrhaftigkeit gefragt sind und unser Miteinander menschlicher machen.

Teil IAnnäherungen an dieWahrheit

1Das philosophische Verständnis von Wahrheit

Die griechische Philosophie hat das abendländische Wahrheitsverständnis geprägt. Das griechische Wort für Wahrheit »aletheia« meint: »Unverborgenheit«. »Lethe« heißt »das Vergessen«. Wenn das Wesen der Dinge dem Vergessen entrissen wird, wenn das Eigentliche offenbar wird, dann geschieht Wahrheit. Die Erfahrung, die hinter diesem Wort steckt, ist wohl: Wir leben zwar in dieser Welt. Aber was die Welt ist, das ist uns nicht bewusst. Wir sehen die Dinge dieser Welt, die Bäume, die Blumen, die Tiere, die Menschen. Aber das, was hinter allem liegt, das bleibt uns fremd. Das Wesen der Dinge ist uns verborgen. Wahrheit meint nun, dass sich die Dinge uns offenbaren, dass wir erkennen, was mit allem, was uns in der Welt begegnet, gemeint ist.

Für Heraklit, einen der frühesten Philosophen der Griechen, besteht die Weisheit darin, dass wir im Hören auf die Natur das Wahre sagen. Die Wahrheit erkennen wir nur, wenn wir auf die Dinge hören, wenn wir ihnen gerecht werden. Die Dinge sind wahr. Sie sind einfach da. Aber wir sehen die Dinge oft nicht so, wie sie sind. Wir verdrehen sie durch unsere Vorurteile oder durch unsere Absichten, die wir mit den Dingen haben. Wahrheit wäre, wenn die Dinge wieder zu uns sprächen, anstatt dass wir über die Dinge reden und sie uns mit unseren Worten zurechtrücken.

Heraklit hat offensichtlich erfahren, dass viele Menschen über die Welt etwas sagen, was mehr in ihrem eigenen Verstand entstanden ist. Sie reden über ihre Meinungen zu den Dingen. Aber sie haben nicht auf die Dinge gehört. Daher ist die erste Bedingung, um die Wahrheit zu erkennen, auf die Welt zu hören. Ich höre auf den Menschen, mit dem ich spreche. Ich höre zu. Ich horche in ihn hinein, um zu erkennen, was ihn wirklich bewegt. Ich höre auf die Natur, auf die Berge und Flüsse. Sie alle haben mir etwas zu sagen. Wahrheit braucht also das demütige Hinhorchen, um den Dingen gerecht zu werden.

Platon versteht die Wahrheit so, dass sich das Sein lichtet, dass es in seinem klaren Wesen aufleuchtet. Das geschieht dann, wenn das Sein mit der Idee Gottes übereinstimmt und wenn der Mensch teilhat an den ewigen Ideen, die ihm von Gott geschenkt wurden. Platon unterscheidet zwischen Schein und Wirklichkeit. In der Wahrheit offenbart sich die Wirklichkeit so, wie sie ist. Wir schauen nicht nur auf den Schein, und wir haben nicht nur eine Meinung (doxa) über die Dinge, sondern wir erkennen die Dinge so, wie sie in Wahrheit sind. Und unsere Worte drücken dieses Wesen der Dinge aus. Wahrheit ist die Unverborgenheit des Seins. Doch der Mensch – so sagt Platon in seinem Höhlengleichnis – sieht oft nur die Schatten des Lichtes. Wir stehen gleichsam mit dem Rücken zur Wand und sehen nur die Schatten, die das Licht von uns auf die gegenüberliegende Wand wirft. Um die Wahrheit zu erkennen, müssen wir uns umdrehen und uns dem Licht zuwenden. Licht, das sind die Ideen Gottes. Wenn wir mit unserem Verstand die Ideen Gottes erkennen, dann erkennen wir auch die Wirklichkeit so, wie sie eigentlich ist. Denn die Dinge sind Gestalt gewordene Ideen Gottes. Wenn wir die Ideen in allen Dingen dieser Welt erkennen, dann lichtet sich das Sein. Wir durchschauen den trügerischen Schein und erkennen die Wahrheit der Dinge. Die Wahrheit leuchtet auf, und sie leuchtet uns ein.

Der Theologe Augustinus hat die Philosophie Platons und seine neuplatonische Deutung durch Plotin in die christliche Theologie hineinübersetzt. Für ihn ist der Glaube die Bedingung, dass wir die Wahrheit erkennen. Gott hat die Wahrheit in Jesus Christus geoffenbart. Daher ist die Erkenntnis der Wahrheit mit der Offenbarung Gottes verbunden.

Wenn ihr nicht glaubt, werdet ihr nicht erkennen.

Jesaja 7,9

So zitiert Augustinus nach der Übersetzung der Vulgata die Stelle aus dem Propheten Jesaja (Jesaja 7,9).

Die eigentliche Wahrheit ist für Augustinus Gott selbst. Gott spricht sich in der Welt aus. Doch wir erkennen Gott nicht. Gott bleibt uns fremd. In Jesus Christus hat er sich auf neue Weise geoffenbart. Da hat Gott sein Wort, das alle Dinge prägt, Fleisch werden lassen. Der Glaube ist der Weg, die Wahrheit Gottes zu erkennen und durch Gott auch die Wahrheit der Dinge, in denen Gott sich uns offenbart. Der Intellekt allein kann Gott nicht erkennen. Denn er ist durch die Sünde verdunkelt worden. Nur wenn der Mensch umkehrt und sich im Glauben Gott zuwendet, bekommt er Anteil an seinem Licht, wird sein Verstand erleuchtet und vermag so die Wahrheit zu erkennen. Gott hat die Welt durch sein Wort geschaffen.

Bei Augustinus sind die Gedanken Gottes die eigentliche Ursache der Schöpfung. Gott hat sich die Dinge ausgedacht und sie dann nach seinen Gedanken geformt. Die platonischen Ideen werden bei Augustinus zu den Gedanken Gottes. Und es gilt, im Glauben Gottes Gedanken zu erkennen. Gottes Wahrheit ist zugleich Licht. Gott hat sein Licht in die Dinge hineingelegt. Der Mensch erkennt die Wahrheit der Dinge, indem er teilhat am Licht Gottes. Wenn Gott ihn im Glauben erleuchtet, dann kann er die Wahrheit erkennen. Sonst verfällt er dem Schein und der Lüge. Das Licht Gottes erleuchtet unsere Finsternis. Aber – so sagt uns der Johannesprolog, den Augustinus in Bezug auf unsere Wahrheitserkenntnis meditiert –

die Finsternis hat es nicht erfasst.

Johannes 1,5

Da sandte Gott seinen Sohn:

Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt.

Johannes 1,9

Wenn wir Christus erkennen, haben wir teil an seinem Licht. Und im Licht Jesu können wir die Dinge so erkennen, wie sie wirklich sind. Auf diese Weise verbindet Augustinus die Glaubenswahrheit mit der Vernunftwahrheit.

Der Glaube ist die Bedingung, mit dem Verstand die Wahrheit zu erkennen. So versteht Augustinus das Wort Jesu:

Ich bin das Licht, das in die Welt gekommen ist, damit jeder, der an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibt.

Johannes 12,46

Das christliche Wahrheitsverständnis wurde im Mittelalter vor allem durch die beiden großen Theologen Anselm von Canterbury und Thomas von Aquin entfaltet. Anselm spricht von der Wahrheit als »rectitudo«, als Richtigkeit. Richtig ist nicht nur das, was wir sagen, sondern auch was wir tun. Anselm verbindet daher die wahre Erkenntnis immer schon mit dem richtigen Tun. Unser Tun soll auf die Wahrheit, und letztlich auf Gott, der die eigentliche Wahrheit ist, hinweisen. Diese Einsicht Anselms hat auch heute noch ihre Bedeutung. Es genügt nicht nur, die Wahrheit zu erkennen. Wir sollen sie auch tun. Wir sollen sie in unserem ganzen Verhalten zum Ausdruck bringen. Wir sollen so handeln, dass es dem Wesen der Dinge und auch unserem eigenen Wesen entspricht. Wahr sind nicht die Sätze, die ein Mensch von sich gibt, sondern wahr ist sein Leben, wenn er in seinem Leben die Wahrheit verwirklicht und sie in der Liebe auch tut.

Thomas von Aquin definiert die Wahrheit als »adaequatio rei et intellectus«, als Angleichung von Sache und Intellekt. Wenn der Verstand die Dinge so schaut, wie sie in Wirklichkeit sind, dann entsteht Wahrheit. Diese Definition des hl. Thomas hat sich im Laufe der Zeit immer mehr von der ursprünglichen Bedeutung entfernt, die sie noch bei Thomas hatte. Sie wurde immer mehr so verstanden, dass unsere Sätze mit der Realität übereinstimmen müssen. Es sind also vor allem Aussagen, die wahr sind. Thomas war noch dem hl. Augustinus verpflichtet, der sich nicht auf die Sätze über die Wahrheit konzentrierte, sondern auf das Sein. Das Sein ist wahr. Oder wie Augustinus sagt:

Wahr ist das, was ist.

Es kommt darauf an, dass der Mensch das Sein des Seienden schaut. Dann erkennt er die Wahrheit.