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Zu Beginn des 21. Jahrhunderts treten wir in eine Phase ein, in der die Umweltrisiken mehr und mehr zu Tage treten, d. h. die Umweltschäden werden für jeden unmittelbar erfahrbar. Die ökologische Krise liegt also nicht mehr in unbestimmter zeitlicher Entfernung, sie entfaltet sich vielmehr in der Gegenwart, direkt vor unseren Augen. Daneben werden strukturelle Umbrüche erkennbar, die unsere gegenwärtige Gesellschaft verändern. Betrachten wir die Zukunft durch die Brille unserer bisherigen Erfahrung mit der Industriegesellschaft, so erkennen wir zwar den strukturellen Umbruch, der gegenwärtig stattfindet, aber wir sehen vor allem Bedrohung, Auflösung und Untergang. Das bereits vor vier Jahrzehnten mit der Publikation "Die Grenzen des Wachstums" aufgeworfene Problem der Vereinbarkeit von Umwelt- und Ressourcenschutz einerseits mit Wirtschaftswachstum andererseits ist nach wie vor ebenso aktuell wie ungelöst. Die aktuelle, postindustrielle Gesellschaft wird als Übergangsgesellschaft eingestuft, deren Woher in der Industriegesellschaft und deren Wohin aus heutiger Sicht in der sich anbahnenden Wissensgesellschaft liegt. Außerdem werden die Chancen der Übergangsphase ausgelotet und Erneuerungsimpulse für den Wandel aufgezeigt. Im Zentrum dieses Buches stehen die Umweltbelastungen und gesundheitlichen Risiken, die aus der aktuell relevanten Lebensmittelproduktion resultieren, denen wir in der sich auflösenden Industriegesellschaft ausgesetzt sind. Die Land- und Ernährungswirtschaft ist ein sehr prägnantes Beispiel dafür, welch tiefe Spuren die technischen Veränderungen in den letzten 50 Jahren in diesem Sektor hinterlassen haben. Neben all den gesellschaftlichen Umbrüchen gibt es eine Reihe von Impulsen für einen Wandel der Gesellschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit und Humanität, diese werden ebenfalls im Buch vorgestellt, gemeint sind Erneuerungsimpulse für eine zukunftsfähige gesellschaftliche Entwicklung. Schließlich müssen nicht nur die Politiker, Entscheidungsträger und Eliten der Gesellschaft ihr Verhalten verändern und umlernen. Jeder von uns ist aufgefordert, aus seinem "Zuschauersessel" aufzustehen und seinen Lebensstil aktiv nachhaltiger zu gestalten.
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Seitenzahl: 582
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Jörgen Beckmann, geboren 1950 in Hannover, ist promovierter Biologe.
Seit mehr als 30 Jahren führt er Forschungsarbeiten durch zu den Themen Saatgut, Pflanzenzüchtung, insbesondere für den ökologischen Landbau, sowie zur Agrobiodiversität und aktuell zur nachhaltigen Entwicklung in der Landwirtschaft.
Seit der Gründung der Regionalwert AG Freiburg im Jahr 2006 ist er in dem Unternehmen engagiert. Seit 2014 arbeitet er im Vorstand der Forschungsgesellschaft Die Agronauten.
Als Autor hat Jörgen Beckmann Argumente für das Verständnis von Pflanzenzüchtung aus einer erweiterten Sicht der Natur zusammengetragen, denn seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit dem Paradigmenwandel in der Biologie.
Adorno hat in einem Gespräch mit Bloch (1964) davon gesprochen, dass bei der Realisierung von Zukunftsvisionen den Menschen das Wichtigste verloren gegangen sei, nämlich die Fähigkeit, sich etwas ganz Anderes vorstellen zu können. Dieser Gedanke motivierte mich nach Ansätzen zu suchen, wie eine Welt jenseits der Industrialisierung und des permanenten technischen Fortschritts aussehen könnte. Wir sind derart beherrscht von der Verherrlichung der Technik und von der Idee, mit Hilfe neuartiger Technologien ließe sich auch die gegenwärtige ökologische Krise bewältigen. Wir denken immer in den alten Vorstellungen und deshalb fällt es uns immens schwer, eine vertrauenswürdige Zukunftsvision zu entwerfen.
Wenn ich persönlich zurück blicke auf die 1960er Jahre, da war der Glaube an die Errungenschaften neuer chemischer Verbindungen ungebrochen. So erinnere ich mich an den arglosen Umgang mit dem Gift E 605, einem Insektizid, das damals fast in jedem Gartenhaus lagerte und gern zur Bekämpfung von Ratten und Wühlmäusen eingesetzt wurde. Mit dem gleichen Mittel hätte man aufgrund der hohen Toxizität von E 605 problemlos etliche Menschen umbringen können. Ich kann mich auch sehr gut an eine Einführungsveranstaltung mit einem Professor der Zoologie Anfang der 1970er Jahre erinnern, der in höchsten Tönen von den besonderen Eigenschaften des DDT schwärmte. DDT war in der Zeit das am häufigsten eingesetzte Insektizid. Doch das Wundermittel wurde bald zum Teufelszeug, weil dessen schädliche Wirkung lange unterschätzt wurde. Das hochwirksame Insektengift wurde in den siebziger Jahren nach und nach in den meisten Ländern verboten. Bis es jedoch soweit war, tobte ein langer, erbitterter Kampf zwischen Industrie, Agrarverbänden und Naturschützern. Statt von DDT sprechen wir heute von Glyphosat, über dessen krebserregende Wirkung derzeit heftig gestritten wird.
Auch 50 Jahre später werden immer noch Pflanzenschutzmittel im großen Umfang eingesetzt und es bedarf schon verheerender Folgen wie beim massiven Bienensterben nach der Anwendung von Neonikotinoiden, bis solche Mittel vom Markt genommen werden. Allerdings hält die Erleichterung über das Verbot nicht lange an, denn schon bald werden „effektiver und gezielter wirkende Pestizide“ wieder zugelassen. Die Verantwortlichen in unserer Gesellschaft halten stets am Alten fest ohne zu erkennen, dass wir damit auf dem Weg in eine Sackgasse sind. Die Landwirtschaft ist ein eindrückliches Beispiel für den grundsätzlichen Umgang mit dem Ökosystem Erde. Die heutige Landwirtschaft belastet die Umwelt enorm, sie fördert das Artensterben und trägt massiv zur Klimaerwärmung bei. Eigentlich ausreichend Gründe, um diese Form der Landwirtschaft vollkommen infrage zu stellen. Doch die in unserer Gesellschaft bestehenden Institutionen zur Landwirtschaft und ebenso die Forschungen auf diesem Gebiet sehen die Zukunft immer noch in der alten Technologie. Wir stecken in einer schier unendlichen Gegenwart fest.
Nach wie vor werden wir von dem Denken beherrscht, wir müssen zur Steigerung der Produktivität im Ackerbau die Natur vergiften und die Pflanzen massiv mit synthetischem Stickstoff versorgen, dafür nehmen wir Umweltfolgeschäden halt in Kauf. Die heutige Lebensmittelproduktion sagt ganz viel darüber aus, wie wir tatsächlich mit der Natur umgehen und wie dringend hier eine ökologische Wende vollzogen werden muss. Ein Weiter so wie bisher ist keine Option für die Zukunft. Die Frage ist, warum eine ökologische Wende bis heute nicht gelingt. Für einen anderen Umgang mit der Natur gab es bereits in den 1970er und 1980er Jahren einige Ansätze, hierzu zählte die Nutzung der Wind- und Sonnenenergie. Auch begann der ökologische Landbau sich damals als echte Alternative zu entwickeln. Doch bis heute liegen seine Marktanteile immer noch unter 10 Prozent, somit ist ihm der Schritt aus der Nische bislang nicht gelungen.
Als junger Student der Biologie habe ich mich in der damaligen Zeit sehr hingezogen gefühlt zur sog. Alternativen Bewegung. Damit verbunden war das Ausprobieren von neuen Wohnformen in Wohngemeinschaften, eine andere Ernährungsweise mit Vollwertkost und Müsli. Wir engagierten uns in Bürgerinitiativen für mehr Umweltschutz, beteiligten uns an Demos gegen den Bau neuer AKWs. Darüber hinaus waren die Schriften von E. F. Schuhmacher und auch von Erich Fromm für viele aus der alternativen Szene wegweisend. Was hatten diese Autoren uns zu geben: Sie zeigten Ansätze auf, wie eine andere Welt aussehen könnte, die einen humaneren Anstrich besitzen würde, in der weniger bedrohliche Technologien wie die der Atomkraft zum Einsatz kämen und wo mehr Rücksichtnahme gegenüber der Umwelt vorläge. Schumacher beschrieb in „Small is beautiful“ seine Vorstellungen von einer humanen Technologie, die einen geringeren ökologischen Fußabdruck hinterlässt und den Menschen ein Höchstmaß an selbstbestimmten Tätigkeiten erlaubt. Von Erich Fromm erfuhren wir viel über die unfreie Rolle der Menschen im Kapitalismus und welche Wege es zur Befreiung des Individuums geben könnte, dies beschrieb er es in seinem berühmten Werk „Haben und Sein“.
Zu den Ideengebern der Ökobewegung gehörte noch Ivan Illich. Illich war ein radikaler Denker und großer Humanist, ihm ging es um die Selbstbestimmung des Menschen in allen Lebensbereichen und es ist die Industriegesellschaft, die genau dies verhindert. Illich setzte sich für eine lebensgerechte, wie er es nannte, konviviale Technik ein.
Seit den 1970er Jahren hat sich diese Kritik am technischen Fortschritt beträchtlich gesteigert, als man erkannte, dass ein Teil der Technik in bedenklicher Form die natürliche Umwelt beeinträchtigte und die menschliche Gesundheit gefährdete. Die Impulsgeber der Ökobewegung sind nach wie vor von Bedeutung, wenn es darum geht, Wandlungsimpulse für eine nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung zusammenzutragen. Dazu haben die drei Autoren immer noch sehr viel zu sagen und ihre Botschaften sind aktueller denn je. Soviel zu den Motiven aus der persönlichen Rückschau Anregungen für den Blick nach vorne zu finden. Gleichzeitig habe ich mich aber auch auf die Suche nach solchen Impulsgebern für eine nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung in der Gegenwart gemacht. Aus dem Studium der aktuellen Literatur zu diesem Thema wurde mir immer klarer, wir durchlaufen gegenwärtig einen tiefen gesellschaftlichen Umbruchprozess und vieles deutet darauf hin, dass es sich um einen Epochenbruch handelt, denn das Zeitalter der Industriegesellschaften geht zu Ende.
Der italienische Philosoph Antonio Gramsci schrieb 1930: Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren: es ist die Zeit der Monster. Auffällige Anzeichen für den Umbruch in unserer Gesellschaft sind die Umweltkrise, Klimawandel, hoher Ressourcenverbrauch, atomare Bedrohung, soziale Ungleichheit, Finanzkrise, Terrorakte, Flüchtlingsströme, Rechtspopulismus - eine andere Welt sollte nicht nur möglich sein, sondern sie ist überfällig. Es bedarf einer Ökonomie, die statt auf endloses Wachstum, auf eine gerechte Verteilung der Einkünfte setzt und dies ist umso dringender, als das gegenwärtige System einen winzigen Teil der Weltbevölkerung zu absurden Reichtümern verhilft, während 800 Millionen Menschen hungern. Betrachten wir Zukunft durch die Brille unserer bisherigen Erfahrung mit der Industriegesellschaft, so erkennen wir zwar den strukturellen Umbruch, der gegenwärtig stattfindet, aber wir sehen vor allem Bedrohung, Auflösung und Untergang. Was fehlt, ist eine erlebbare Alternative zu unserem gegenwärtigen Gesellschaftsmodell.
Zur Lösung unserer gegenwärtigen Probleme bedarf es einer Neuausrichtung unseres Denkens und Handelns in Bezug auf den Umgang mit Natur, den Ressourcen, Lebewesen und Ökosystemen. Die Folge wird wahrscheinlich sein, dass sich unser gesamtes Wirtschaftssystem vollständig umwandeln wird, denn ein verantwortungsvoller Umgang mit den ökologischen Grundlagen und stetes Wirtschaftswachstum schließen sich wechselseitig aus.
Über den Autor
Die Idee zu diesem Buch
Einleitung
Teil 1: Die Ökobewegung der 1970er Jahre und deren Vordenker fordern einen neuen Umgang mit der Natur und humane gesellschaftliche Bedingungen
1 Die Ökobewegung kommt in Gang
2 Namhafte Vordenker der Ökobewegung
2.1 Ernst Friedrich Schumacher: Small is Beautiful - Die Rückkehr zum menschlichen Maß
2.2 Erich Fromm – Haben und Sein
2.3 Ivan Illich - Einführung einer konvivialen Technik
3 Der Ökologische Landbau in den 1980er Jahren
4 Ein Fazit zur Ökobewegung
5 Steigender Umweltverbrauch und die Grenzen unseres Planeten
5.1 Auto und Umwelt: Die Zunahme des Verkehrs steigert den Energie- und Ressourcenverbrauch
5.2 Das Phänomen SUV
5.3 Was würden Fromm, Illich und Schumacher wohl zu einem SUV sagen?
5.4 Der ökologische Fußabdruck
5.4.1 Eine Methode zur Messung des Umweltverbrauchs
5.4.2 Bereich Ernährung
5.4.3 Bereich Mobilität
5.4.4 Bereich Wohnen
5.4.5 Bereich Konsum
5.5 Ökologische Belastungsgrenzen des Planeten
Teil 2: Landwirtschaft und Ernährung heute - ein Überblick
6 Die ökologischen Auswirkungen der heutigen Landwirtschaft
6.1 Landwirtschaft belastet die Funktionsfähigkeit unserer Lebensgrundlagen
6.2 Biodiversität
6.2.1 Das Artensterben
6.2.2 Verlust der biologischen Vielfalt bei Kulturpflanzen
6.2.3 Verlust der genetischen Vielfalt bei den Nutztieren
6.3 Das Bienensterben führt zum Verlust der Bestäubung bei Nahrungspflanzen
6.4 Landwirtschaft löst Klimawandel aus
6.5 Folgen des Einsatzes von Stickstoff und Phosphor in der Landwirtschaft
6.5.1 Stickstoff
6.5.2 Phosphor
6.5.3 Überdüngung der Meere durch Stickstoff und Phosphat (am Beispiel der Ostsee)
7 Ökologische und gesundheitliche Folgen der intensiven Tiermast
7.1 Die Dimensionen der intensiven Massentierhaltung
7.2 Die Folgen der Industrialisierung in der Tierhaltung
7.3 Subventionen führen zur Verzerrung der Fleischpreise
7.4 Massentierhaltung mit Folgen für die Gesundheit der Tiere und der Menschen
7.5 Wir müssen wieder zurück zum Sonntagsbraten
8 Industrielle Landwirtschaft und deren Folgen für Umwelt und Gesundheit
8.1 Grundlagen der industriellen Landwirtschaft
8.2 Industrielle Landwirtschaft basiert auf dem massiven Einsatz von Pestiziden
9 Die gesundheitlichen Folgen von Pestiziden und chemischen Zusatzstoffen in Lebensmitteln
9.1 Beispiel Roundup – ein Herbizid
9.2 Beispiel Aspartam - ein Süßstoff
9.3 Beispiel Bisphenol A – Kunststoff in Lebensmittelverpackungen
10 Immer mehr Lebensmittel werden industriell produziert – mit Folgen für die Gesundheit
10.1 Nahrungsmittel können uns krank und süchtig machen
10.2 Zutaten wie Zucker, Fett, Salz verführen uns dazu mehr zu essen als wir wollen
10.3 Brotteiglinge sind der Tod des Bäckerhandwerks
10.4 Funktionelle Lebensmittel enthalten Zutaten, die unsere Gesundheit fördern sollen
10.5 Von Lebensmittelimitaten zu Fleisch aus Zellkulturen
10.6 Die Macht der Lebensmittelkonzerne
10.7 Die Lebensmittel-Ampel soll über den Nährstoffgehalt aufklären
10.8 Lückenhafte Kennzeichnung bei Gentechnik in Lebensmitteln
11 Die Grundlagen unserer Ernährung - es dominiert die Einfalt statt die Vielfalt
12 Die Qual der Wahl hat der Verbraucher – wie sich unsere Essensgewohnheiten verändern
12.1 Unser Essen verliert an Geschmack und seinen kulturellen Wert
12.2 Kulturelle Prägung von Essen
12.3 Die Rolle des Verbrauchers: Der Konsument kann nur reagieren, aber nicht gestalten
12.4 Die Preise für Lebensmittel sprechen nicht die Wahrheit
13 Ernährung und Umwelt: Ökologische und klimarelevante Aspekte der Ernährung
13.1 Der ökologische Blick auf die Ernährung
13.2 Nachhaltige Ernährung
13.2.1 Bevorzugung pflanzlicher Lebensmittel
13.2.2 Ökologisch erzeugte Lebensmittel
13.2.3 Regionale und saisonale Erzeugnisse
13.2.4 Bevorzugung gering verarbeiteter Lebensmittel
13.2.5 Fair gehandelte Lebensmittel
13.2.6 Umweltverträglich verpackte Produkte
13.2.7 Genussvolle und bekömmliche Speisen
14 Die heutige Situation im Agrar-und Ernährungsbereich – Zusammenfassung und Fazit
Teil 3: Gesellschaftliche Strukturumbrüche und Wandlungsimpulse zu Beginn des 21. Jahrhunderts
15 Einführung
16 Vom Zerfall demokratischer Gesellschaften
16.1 Postdemokratie – über die Veränderung der Herrschaftsverhältnisse im demokratischen System
16.2 Die stille Rückkehr zum Kalten Krieg
16.3 Das Schweigen der Lämmer
16.4 Finanzkrise: Resultat des maßlosen spekulativen Gewinnstrebens der Banken
16.5 Wachsender Abstand zwischen Arm und Reich in den Industrienationen
16.6 Der Werteverfall im Verhalten der Eliten
16.7 Der flexible Kapitalismus fordert flexible Menschen
16.8 Die Herausbildung der Zivilgesellschaft
16.9 Zur Rolle des Staates im Neoliberalismus
16.10 Attac und Occupy – eine globale Bewegung breitet sich aus
16.11 Unser Wohlstand basiert auf der Ausbeutung Afrikas
16.12 Grundlagen der Gesellschaftskritik: Die Kritische Theorie der Frankfurter Schule
16.12.1 Zur Kritik der politischen Ökonomie von Marx
16.12.2 Die Vertreter der „Frankfurter Schule"
17 Der weltweite Hunger wird unter dem Einfluss neoliberaler Politik verstärkt
17.1 „Hunger heute ist ein organisiertes Verbrechen“
17.2 Unsere Staaten, unsere Regierungen und das international agierende Finanzkapital machen sich schuldig
18 Das konvivialistische Manifest – für eine neue Kunst des Zusammenlebens
19 Der Weg aus der expansiven Moderne: Wir müssen uns aus der Komfortzone bewegen
19.1 Ökologie und stetes Wirtschaftswachstum schließen sich aus
19.2 Kritik an der Ökobewegung und am „grünen“ Wachstum
19.3 Die Folgen der Konsumgesellschaft und ihre Grenzen
19.4 Ein Lösungsweg: Das expansive Kulturmodell beenden und die mentalen Infrastrukturen verändern
19.5 Szenarien für die Welt von Morgen - Pioniere des Wandels
20 Konturen der Zukunftsgesellschaft
20.1 Gesellschaft im Umbruch – die Auflösung der Industriegesellschaft
20.2 Postindustrielle Gesellschaft – die Gegenwart
20.3 Wissensgesellschaft – unsere Zukunft
21 Der„Kondratieff-Zyklus“ als evolutionärer Prozess der Wirtschaft
21.1 Kondratieff´s Theorie der „Langen Wellen in der Konjunktur“
21.2 Die bisherigen Kondratieff-Zyklen 1 bis 5
21.3 Die Basisinnovation für den sechsten Kondratieff-Zyklus
22 Der sich ankündigende naturwissenschaftliche Paradigmenwandel
22.1 Etabliertes naturwissenschaftliches Wissen versus Komplementärwissen
22.2 Beispiele für den naturwissenschaftlichen Paradigmenwandel
22.2.1 Grundlagen der biologisch-dynamischen Landwirtschaft
22.2.2 Das Phänomen der Lichtnahrung
23 Der Ausblick in die nachhaltige Moderne
23.1 Fazit zum Ende der Industriegesellschaft
23.2 Strategien zur nachhaltigen Entwicklung
23.3 Wandlungsimpulse für eine humane und nachhaltige Gesellschaft
23.3.1 Das Erstarken der Zivilgesellschaft
23.3.2 Das Aufbrechen von festgefahrenen mentalen Strukturen
23.3.3 Vom »Haben« zum »Sein«
23.3.4 Eine neue Kunst des Zusammenlebens entwickeln
23.3.5 Eine lebensgerechte Technik für eine konviviale Gesellschaft
23.3.6 Ein neuartiger Umgang mit Wissen - die Wissensgesellschaft
23.3.7 Paradigmenwandel in den Naturwissenschaften - eine nachmaterialistische Naturwissenschaft
23.4 Kommentar
Teil 4: Zur Zukunft der Landwirtschaft im 21. Jahrhundert
24 Herausforderungen und Zukunftsoptionen für die Landwirtschaft
24.1 Vorbemerkung
24.2 Die Krise in der Landwirtschaft
24.3 Landwirtschaft muss die planetaren Grenzen einhalten
24.4 Umweltrisiken aus der Landwirtschaft beginnen sich zu verwirklichen
25 Die Versorgung mit Lebensmitteln unter dem Aspekt von Nachhaltigkeit und Klimaschutz
25.1 Das Agrar- und Ernährungssystem ist von überregionalen Abhängigkeiten gekennzeichnet
25.2 Relevanz des individuellen Essverhaltens für Klimaschutz und Nachhaltigkeit
25.3 Der Klimawandel verändert die Landwirtschaft
25.4 Etablierung eines regionalen Ernährungssystems
26 Regionale und städtische Initiativen für eine nachhaltige Lebensmittelversorgung
26.1 Solidarische Landwirtschaft
26.2 Regionalwert Bürgeraktiengesellschaft
26.3 Transition Towns - Zukunft im Selbstversuch
26.4 Neuartige Formen des urbanen Gärtnerns
26.5 Städtische Landwirtschaft auf Dächern oder im Hochhaus
27 Zur Zukunft des Ökologischen Landbaus
28 Fazit zur Zukunft der Landwirtschaft
29 Technischer Fortschritt und dessen gesellschaftlicher Umgang
Literaturverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Dank
Über den Herausgeber: DIE AGRONAUTEN
Der wissenschaftlich-technische Fortschritt hat das Gesicht des 20. Jahrhunderts entscheidend geprägt. Er hat die Lebensbedingungen vieler Menschen positiv verändert und zugleich auch bedrohliche Potentiale hervorgebracht, wie z. B. den Umgang mit der Atomkraft - sowohl für die zivile als auch für die kriegerische Nutzung. Die von dem technischen Fortschritt verursachten Veränderungen vollzogen und vollziehen sich noch heute in einem hohen Tempo, sodass sich die Welt, die ein Mensch in seiner Jugend kennenlernt, in technologischer Hinsicht fundamental von dem technischen Umfeld unterscheidet, das ihn im Alter umgibt. Wer zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebte und noch weitere 70 Jahre erlebte, der hat erfahren können, wie das elektrische Licht in die Haushalte kam, wie Telefon und Radio einzogen und ebenso der Kühlschrank. Auf den Straßen verschwanden die Pferdefuhrwerke und wurden durch Autos und Busse ersetzt und es kamen die elektrische Straßenbahn und auch die Dampflokomotiven wurden nach und nach durch elektrifizierte Eisenbahnen ersetzt; dann kamen die Flugzeuge auf und und und .... Zum Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts gab es den ersten Flug auf den Mond und zum ersten Mal konnte man unseren blauen Planeten aus diesem Blickwinkel über das Fernsehen betrachten.
Auf die Mondlandung von Apollo 11 im Jahr 1969 folgten weitere Mondflüge, ja selbst Siedlungen im Weltall schienen auf einmal real werden zu können. Es waren die Errungenschaften der Technik, die immer neue Perspektiven eröffneten. Die Automatisierung der Produktion in den Fabriken, durch Roboter technisierte Haushalte, billige und umfassende Energieversorgung durch Atomkraftwerke, ebenso wie atomgetriebene Schiffe und Flugzeuge – all dies erschien möglich. Eine beliebige Steigerung der Agrarproduktion sowie eine nachrichtentechnisch vernetzte Informationsgesellschaft zeichneten sich zu Beginn der 1970er Jahre als realistische Möglichkeit ab.
Der wissenschaftlich-technische Fortschritt trieb und treibt noch heute die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft voran, indem er kontinuierlich neue Formen der Produktion, der Kommunikation und der Gestaltung des Lebens eröffnet. Das technologische Zukunftspotenzial der Industriegesellschaft wurde in den 1970er und 1980er Jahren von den meisten Menschen als positiv und hoffnungsvoll angesehen. Unsere Gesellschaft war geprägt als Industriegesellschaft, deren wesentliche Merkmale die Produktion in Fabriken und ein hoher Grad der Arbeitsteilung sind. Meist ist dies mit einer zunehmenden räumlichen Trennung von Arbeits- und Wohnstätten verbunden. Charakteristisch für die Industriegesellschaft sind ferner der Trend zur Verstädterung, eine Zunahme der Bürokratisierung, die Erhöhung des materiellen Lebensstandards und eine Konzentration des Produktivkapitals.1
John Kenneth Galbraith (1908 – 2006) war ein kanadischer und US-amerikanischer Ökonom, der als einer der einflussreichsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts galt. Mitte der 1960er Jahre veröffentlichte Galbraith das Buch „Die moderne Industriegesellschaft“ und beschrieb diese als eine von der Technik dominierte Gesellschaft. Galbraith schrieb darin: „Das Industriesystem identifiziert sich mit den Zielen der Gesellschaft. Es paßt diese Ziele den eigenen Erfordernissen an. Die Adaption wäre nicht so erfolgreich, wenn die Mitglieder der Gesellschaft sich ihrer bewußt würden - wenn sie tatsächlich merkten, wie sie gelenkt werden.“2
Galbraith zeigte weiter auf, dass das Industriesystem auf die Kooperation des Staates angewiesen ist und alles tut, um diese auch herbei zu führen. Vor diesem Hintergrund prognostiziert Galbraith eine zunehmend enger werdende Liaison des Industriesystems mit dem Staat. Außerdem drückt das Industriesystem auch dem gesamten gesellschaftlichen Leben seinen Stempel auf. „Wenn wir auch weiterhin daran glauben, dass die Ziele des Industriesystems - Ausweitung der Produktion, entsprechende Steigerung des Konsums, technologischer Fortschritt und das ihm zu Grunde liegende Image in der Öffentlichkeit - gleichbedeutend mit unserem Leben seien, dann wird unser ganzes Leben im Dienste dieser Ziele stehen. Was damit im Einklang steht, werden wir besitzen oder tun dürfen; alles andere wird uns verboten sein. Unsere Wünsche werden entsprechend den Bedürfnissen des Industriesystems manipuliert werden; die staatliche Politik wird ähnlichen Einflüssen unterliegen; das Bildungssystem wird sich nach den Erfordernissen der Industrie richten; die der Industrie gemäßen menschlichen Haltungen werden geltende moralische Grundregeln für alle sein. Alle anderen Ziele wird man als abwegig, unwichtig und asozial hinstellen. Wir werden vor den Wagen des Industriesystems gespannt werden.“3Vieles von dem, was Galbraith in den 1960er Jahren prognostizierte, ist heute zur Realität geworden in den westlichen Industriegesellschaften. Schon lange befriedigen die Menschen in den modernen Industriegesellschaften primär nicht mehr ihre eigenen Bedürfnisse, sondern jene, die Produktentwickler und Werbeagenturen ihnen immer aufs Neue präsentieren. Dieser Hyperkonsum ist verbunden mit einem enormen Ressourcenverbrauch an Material und Energie.
Bis Anfang der 1970er Jahre hat man sich wenig Gedanken gemacht über die Folgen der Wirtschaft auf die Umwelt. Diese Haltung änderte sich allerdings schlagartig mit dem Erscheinen der Club-of-Rome-Studie „Die Grenzen des Wachstums“4 im Jahr 1972. Im Club of Rome fanden sich Entscheidungsträger aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zusammen, um mit damals modernsten wissenschaftlichen Instrumenten, wie systematischer Datenanalyse und Computersimulationen, ein Bild der zu erwartenden Zukunft zu zeichnen. Die damals vorherrschende Sicht besagte: Mit Hilfe des technischen Fortschritts wird die Zukunft für alle Menschen immer besser und besser. Die damals neue Sicht der Studie „Die Grenzen des Wachstums“ hielt dem entgegen, dass der technische Fortschritt so viel Folgeprobleme auslöst, dass er nicht nur sich selbst erstickt, sondern mittel- oder langfristig die Lebensbedingungen auf der ganzen Erde drastisch verschlechtern wird.
Die 1970er Jahre schufen infolge der Ölpreiskrise ein neues Bewusstsein für die Endlichkeit von Rohstoffen und mit ihr wurde schlagartig der Begriff „Umwelt“ populär. Die 70er Jahre waren buchstäblich die Geburtsjahre der Umweltbewegung, deren Kernthema die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen war. Der Umweltbewegung ging es darum zu zeigen, dass die gegenwärtig lebenden Generationen ihre ökonomischen und ökologischen Bedürfnisse auf eine solche Art befriedigen, dass sie künftigen Generationen die Voraussetzungen zur Befriedigung von deren Bedürfnissen einschränken. Damals wurde ein Umweltbewußtsein eingefordert, gemeint war die Einsicht in die Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen durch diesen selbst.
Bis heute - fast 50 Jahre später - gilt: Die heutigen Industriegesellschaften produzieren Umweltzerstörung und übernutzen die natürlichen Ressourcen, die sie für ihre Art der Produktion und für ihre Reproduktion benötigen. Nach wie vor gedeiht die Wirtschaft in vielfältiger Hinsicht auf Kosten der Zukunft, weil sie Raubbau an den Ressourcen der Erde betreibt. Die gesamte Kohle-, Öl- und Gaswirtschaft lebt vom Aufbrauchen von Rohstoffen, die anschließend nicht mehr wiederverwertet werden können. Und die Endprodukte der Verbrennung bewirken eine auf lange Zeit irreversible Klimaveränderung und vor allem Kosten. Die Grenzen des bisherigen wirtschaftlichen Wachstumsmodells, das auf der Ausnutzung fossiler Ressourcen gestützt war, sind zu Beginn des 21. Jahrhunderts deutlich näher gerückt - ein weiter so wie bisher ist keine Option mehr. Die ökologische Krise hat nichts bloß Vorhersagendes mehr, nichts, das in unbestimmter, zeitlicher Entfernung läge, sondern sie entfaltet sich in der Gegenwart, vor unseren Augen. Außerdem wird sie nicht mehr nur von uns verursacht und betrifft andere, spätere Generationen, sie betrifft schon uns heute, hier und jetzt. Es spricht vieles dafür, dass die Umwelt- und Ressourcenkrise das Ende der Industriegesellschaft der vergangenen zwei Jahrhunderte ist und sein wird. Das bereits vor vier Jahrzehnten mit der Publikation „Die Grenzen des Wachstums“ aufgeworfene Problem der Vereinbarkeit von Umwelt- und Ressourcenschutz einerseits mit Wirtschaftswachstum andererseits ist nach wie vor ebenso aktuell wie ungelöst.
Die Leitkultur des Verbrauchs und der Verschwendung muss deshalb auf ein lebensverträgliches und nachhaltiges Maß zurückgeführt werden; dies ist die Voraussetzung für die Rückgewinnung von Zukunftsfähigkeit. Damit einhergehen muss eine Begrenzung der produzierten Waren, denn nur so ließe sich der Ressourcenverbrauch wirklich reduzieren. Und deshalb muss man zeigen, worin das gute Leben jenseits des Konsumismus besteht. Der damit verbundene Verzicht auf Wohlstand muss nicht mit einem erheblichen Verlust an Lebensqualität einhergehen. Die zentrale Frage lautet: Was kann jeder zur ökologischen Transformation beitragen? Für eine nachhaltige Lebensführung zurückgehen muss der hohe Konsum und dies nicht nur von Billigkleidung, immer neuen Handys oder zu großen Autos. Ganz besonders reduziert werden muss das Fliegen und der hohe Fleischverzehr sowie das Wegwerfen von Lebensmitteln, die einen Großteil des ökologischen Fußabdrucks verursachen. Laut einer Studie des WWF landen 33 % der produzierten Nahrungsmitteln auf dem Müll5 - eine ungeheure Menge, die zeigt wie wenig Achtung wir vor diesem wertvollen Gut noch haben.
Die Land- und Ernährungswirtschaft ist ein sehr prägnantes Beispiel dafür, welch tiefe Spuren die technischen Veränderungen in den letzten 50 Jahren in diesem Sektor hinterlassen haben. Die Landwirtschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist durch einen gewaltigen technischen Fortschritt gekennzeichnet, der gleichermaßen die Produktivität des Bodens und die der Nutzpflanzen und -tiere sowie die Produktivität der Arbeit steigerte. Landwirtschaft ist zuallererst und in ihrem Kern eine Produktionstechnologie. Sie kann als Beispiel für den grundsätzlichen Umgang mit dem Ökosystem Erde dienen und hier zeigt sich, wie sehr die Landwirtschaft in ihrer heutigen Form die Ökosysteme belastet. Nach wie vor unterschätzt wird allerdings die massive Freisetzung von Treibhausgasen durch die Landwirtschaft, wobei die meisten klimarelevanten Emissionen dabei aus der Fleischproduktion stammen, d. h. durch die Futtermittelproduktion und die Tierhaltung. Ein anderer Aspekt betrifft den weit verbreiteten Mangel an Wissen in der Gesellschaft über die Wertigkeit der landwirtschaftlichen Arbeit zur Erhaltung unserer Lebensgrundlagen.
Mit dem ökologischen Landbau steht eine Landbaumethode zur Verfügung, die wesentlich nachhaltiger ist und schonender mit den natürlichen Ressourcen umgeht als die konventionelle Landwirtschaft. Impulsiert durch die Umweltbewegung hat sich der ökologische Landbau als alternative Landbaumethode seit den 1980er Jahren in unserer Gesellschaft etabliert. Warum nach mehr als 40 Jahren der Anteil des ökologischen Landbaus in Deutschland, trotz aller Sympathie und Zukunftsfähigkeit, immer noch unter 10 % liegt, hat auch mit der gesellschaftlich noch vorherrschenden Vorstellung von der Struktur und dem Inhalt des wissenschaftlich-technischen Fortschritts zu tun. Von Seiten der etablierten Naturwissenschaft wird der Kern dieser Entwicklungslinie beim ökologischen Landbau nach wie vor infrage gestellt.
Im Rahmen dieser Schrift wird intensiv auf die Landwirtschaft eingegangen und aufgezeigt, welche tiefgreifenden Umwandlungsprozesse im Bereich der Landwirtschaft seit den 1980er Jahren stattgefunden haben. Neben den ökologischen Schäden führten diese Veränderungen auch zu strukturellen und sozialen Umwälzungen, wie die folgenden Zahlen belegen: Während in Deutschland im Jahr 1970 noch 1.146.900 landwirtschaftliche Betriebe eine durchschnittliche Fläche von 11.1 ha bewirtschafteten, waren es 2016 nur noch 275.400 Betriebe mit einer Fläche von durchschnittlich 60,4 ha.6 Diese Transformationen in der Land- und Lebensmittelwirtschaft haben unter anderem dazu geführt, dass die regional erzeugten Nahrungsmittel mit den Preisen auf dem globalen Agrarmarkt konkurrieren müssen. Die Akteure des Ernährungssystems arbeiten in einem nationalen bis globalen Maßstab. In deren Folge ist ein direkter Bezug zwischen Produzenten und Konsumenten weitgehend verloren gegangen. Wir werden derzeit zunehmend von Strukturen mit global organisierten Liefer-und Absatzketten mit Lebensmitteln versorgt und es ist folglich dem Konsumenten oft nicht möglich, die Produktionsweise und den Produktionsort der gekauften Lebensmittel zu erkennen. Dabei wächst bei den Konsumenten der Wunsch zu wissen, wo ihre Lebensmittel herkommen und wie sie hergestellt werden. Auf Grund der ökologischen Belastungen und der Klimakrise ist eine nachhaltige Lebensmittelversorgung anzustreben, die nicht länger von überregionalen Abhängigkeiten gekennzeichnet ist.
Angesichts der bestehenden Herausforderungen wird im vorliegenden Buch der Versuch unternommen, Wege und Impulse zu einer nachhaltigen Entwicklung aufzuzeigen - dies sowohl für die Gesellschaft als Ganzes als auch im Bereich des Landwirtschafts- und Ernährungssystems.
Das Buch hat folgenden Aufbau: Den Ausgangspunkt bildet die Ökobewegung zu Beginn der 1970er Jahre als erstmals die Endlichkeit der Ressourcen und die Bedrohung der Lebensgrundlagen in breiten Schichten thematisiert wurden. Welche Errungenschaften und auch Versäumnisse diese Bewegung hervorbrachte werden ebenfalls skizziert. In dieser Zeit gab es bereits einige kritische Denker, die die Folgen der Konsum- und Wachstumsgesellschaft hinterfragten und erkannten, wie diese Wirtschaftsweise in sich den Keim der Zerstörung trägt. Zu den namhaften Vordenkern der Ökobewegung zählen Ernst Friedrich Schumacher, Erich Fromm und Ivan Illisch. Alle drei beklagten den Mangel an Menschlichkeit im Kapitalismus und glaubten an dessen Überwindbarkeit und an eine Ökonomie, deren Grundlagen die Würde des Menschen berücksichtigen. Sie erkannten früh, welche Gefahren von der Industriegesellschaft ausgehen und welch Bedrohungspotential die eingesetzten Technologien in sich tragen. Ihre Aussagen haben bis heute nichts an Aktualität verloren, sie treffen mehr denn je auf unsere Gesellschaftsform zu.
Die Veränderungen in der Landwirtschaft in den letzten 50 Jahren werden im 2. Teil aufgeführt, sie zeigen, wie der industriellen Anbau immer mehr die Umwelt belastet und vergiftet mit mittlerweile dramatischen Folgen für das Artensterben. Die industrielle Landwirtschaft wird mehrfach als Hauptverursacher der verschiedenen planetaren Belastungsgrenzen der Erde benannt. Wir erleben in den letzten 50 Jahren die Umkehrung der Agrikultur, von der Schöpferin unserer reich gegliederten Kulturlandschaft mit hoher Artenvielfalt hin zur Zerstörerin von Natur und hin zu monotonen Kulturlandschaften – als Folge der industriellen Produktionsverhältnisse in der Landwirtschaft. Typische Kennzeichen einer industriellen Produktion: eine industrielle Fertigung meint Arbeitsteilung mittels Technik, verstärkte Mechanisierung und Automatisierung, sie schafft zudem die Abhängigkeit von der permanenten Erhöhung der Produktivität. Es sind genau diese Abhängigkeiten, die die meisten Bauern heute zu spüren bekommen.
In Teil 2 werden die vielschichtigen Bedrohungen und Belastungen aufgezeigt, die nicht nur von der industriellen Landwirtschaft ausgehen, sondern auch von den industriell zubereiteten Lebensmitteln. So unternimmt die Nahrungsmittelindustrie nach wie vor alles, um den Konsum von stark zuckerhaltigen Getränken weiter zu steigern, wohl wissend, dass die Folgen des Zuckerkonsums erhebliche gesundheitliche Probleme in Form von Fettleibigkeit und Diabetes verursachen können.
Unsere Gesellschaft befindet sich gegenwärtig in einer echten Krise - und mit dieser Krise setzen wir uns im 3. Teil auseinander. Anzeichen dieser Krisis sind der Klimawandel, hoher Ressourcenverbrauch, Zerstörung von Ökosystemen, soziale Ungleichheit, hohe Staatsverschuldung, Terrorakte und immer neue Flüchtlingsströme. Unsere Gesellschaft durchläuft einen tiefgreifenden Umwandlungsprozess und wir erleben derzeit eine Politik die scheinbar hilflos vor den Herausforderungen unserer Zeit steht. In Deutschland steigen die Emissionen weiter an statt zu sinken, vor allem durch den ungebremst boomenden Auto-, Lkw- und Luftverkehr. Eine ernsthafte Diskussion über das dramatische Versagen der Politik, das lebensbedrohliche Konsequenzen für uns alle, vor allem für unsere Kinder und Enkel hat, findet nicht statt. Politiker gaukeln uns gerne etwas von der Alternativlosigkeit ihrer Politik vor, was in Wirklichkeit ein Mangel an Fantasie und vor allem an Mut ist, um Veränderungen auch gegen machtvolle Interessen der Wirtschaft durchzusetzen. In einer Zeit des Umbruchs versuchen die Besitzenden alles, um ihre Reichtümer zu sichern. Und solange die Mächtigen dieser Welt massiv an der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen verdienen, solange werden sie alles versuchen, um diesen Raubbau weiterhin durchzuführen. In ihrem Streben nach Machterhalt und Wahrung ihrer Privilegien werden sie bestens von den Medien unterstützt, die mehr die Masse ablenken wollen, statt sie über die wahren Hintergründe der aktuellen Verwerfungen aufzuklären.
Den Verantwortlichen in unserer Gesellschaft gelingt es nicht, angemessen auf die Herausforderungen der Zeit zu reagieren und rechtzeitig Lösungswege zu präsentieren. Die Folge ist ein Zerfall demokratischer Gesellschaften und ein Verfall an politischer Stabilität. Der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler, spricht von einer kannibalischen Weltordnung und verweist auf die vielen Länder in Afrika in denen Klimaopfern sowohl direkte Hilfe als auch das Recht zu migrieren verweigert wird, d. h. wir lassen sie verhungern.7
Neben all den gesellschaftlichen Umbrüchen gibt es eine Reihe von Impulsen für den Wandel der Gesellschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit und Humanität, diese werden ebenfalls in Teil 3 vorgestellt - wo Erneuerungsimpulse für eine zukunftsfähige gesellschaftliche Entwicklung zu erkennen sind. Schließlich müssen nicht nur die Politiker, Entscheidungsträger und Eliten der Gesellschaft ihr Verhalten verändern, sondern jeder von uns ist aufgefordert seinen Lebensstil nachhaltiger zu gestalten. Es betrifft sowohl die individuelle Ebene als auch das soziale Miteinander und ebenso von Bedeutung ist das Verhältnis der Menschen zur Technik und zur Natur.
Es gilt neue Formen des guten Zusammenlebens, des Miteinanders und der Solidarität zu entwickeln, wie es „Das konvivialistische Manifest“
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fordert.
Wollen wir zukunftsfähig werden, so geht es nach Harald Welzer auch um das Aufbrechen von erstarrten mentalen Strukturen, weil wir auch hinsichtlich der individuellen Existenz stets um Vergrößerung und Wachstum streben -
„Das eigene Leben wird als Wachstumsprojekt gestaltet.“
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Wenn wir versuchen, die Konturen der Zukunftsgesellschaft zu zeichnen, so spricht vieles dafür, dass der Umgang mit Wissen eine wichtige Rolle einnehmen wird - schon heute spielt die Datenverarbeitung und -vernetzung eine große Rolle. Dazu vollzieht sich ein technologischer Wandel: Neben den noch dominanten Technologien der Industriegesellschaft (wie z. B. dem Automobilbau oder der Herstellung chemischer Produkte) drängen sich neue Technologien gesellschaftlich in den Vordergrund und beginnen die wirtschaftliche Entwicklung zu dominieren, wie z. B. die IT-Technologien.
Am Ende von Teil 3 gehe ich der Frage nach, wie die zukünftigen technologischen Innovationen aussehen könnten, wobei die Entwicklung hin zu einer sowohl menschengemäßen als auch naturgemäßen Technik im Vordergrund zu stehen hat. In der ausgehenden Industriegesellschaft hat die technische Entwicklung ein zu hohes Risikopotential erreicht. Als Beispiele für solche mit Risiken behafteten Technologien sind neben der Nutzung der Atomenergie, der hohe Ausstoß von Klimagasen, die Gentechnologie und auch die industrielle Landwirtschaft mit ihren massiven Umweltbelastungen zu nennen.
Im letzten Teil geht es dann wiederum um die Landwirtschaft: Hier werden einerseits die derzeitigen Herausforderungen benannt, denen sich die Landwirtschaft stellen muss und andererseits Optionen für die Zukunft skizziert. Es wird hervorgehoben, welch hohes Gefahrenpotential in der heute dominanten Landwirtschaft steckt und welche alternativen Ansätze zur Lebensmittelproduktion vorhanden sind, die einen nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen anstreben.
Emmendingen, im Juni 2019
Jörgen Beckmann
1 vgl. Wikipedia zu Industriegesellschaft. Online: https://de.wikipedia.org/wiki/Industriegesellschaft
2 Galbraith, J. (1967): Die moderne Industriegesellschaft; S. 233.
3 ebd.; S. 439.
4 vgl. Meadows, D. (1972): Die Grenzen des Wachstums - Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit.
5 Noleppa, S., Cartsburg, M. (2015): Das große Wegschmeißen. Vom Acker bis zum Verbraucher: Ausmaß und Umwelteffekte der Lebensmittelverschwendung in Deutschland. Hrsg. WWF Deutschland. Online: http://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/WWF_Studie_Das_grosse_Wegschmeissen.pdf
6 Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2016): Landwirtschaft verstehen. Fakten und Hintergründe. Online: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Broschueren/Landwirtschaft-verstehen.pdf?__blob=publicationFile
7 vgl. Ziegler, J. (2012): Wir lassen sie verhungern: Die Massenvernichtung in der Dritten Welt.
8 Adloff, F., Leggewie, C. (Hrsg.) (2014): Das konvivialistische Manifest. Für eine neue Kultur des Zusammenlebens.
9 Welzer, H. (2014): Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand; S. 61.
Die Ökobewegung als Teil der Umweltbewegung in Deutschland entstand in den 1970er Jahren. In dieser Zeit wurde vielen, insbesondere jungen Menschen mehr und mehr bewusst, dass die nunmehr voll entfaltete Industriegesellschaft ein erhebliches, zu Katastrophen fähiges Risiko- und Vernichtungspotenzial geschaffen hatte. Dies wurde an den Gefahren der Nutzung von Atomenergie, der Folgewirkungen der Chemieindustrie (deren Produktion und Produkte), den Folgen der Ressourcenübernutzung, den Problemen des Kraftfahrzeug- und Flugzeugverkehrs (Smog), der Chemisierung der Landwirtschaft (Dünger und Pflanzenschutz), dem Waldsterben, der Gefährdung der Erdatmosphäre (Ozonloch) unübersehbar deutlich.
Zu Beginn der 1970er Jahre bildeten sich immer mehr Organisationen und Bürgerinitiativen, die sich für einen nachhaltigen Umgang mit der Umwelt einsetzten. In Deutschland wurden sehr viele lokale und regionale Bürgerinitiativen gegründet sowie überregional 1972 der „Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz" (BBU), 1975 der „Bund für Umwelt und Naturschutz" (BUND) und 1980 Greenpeace Deutschland. Die Ölkrise von 1973 demonstrierte die Abhängigkeit der Industriestaaten von fossilen Treibstoffen. Anlässlich des Jom-Kippur-Krieges drosselte die arabisch dominierte Organisation der Erdöl exportierenden Länder (OPEC) die Fördermengen drastisch. In der Bundesrepublik Deutschland wurde als direkte Reaktion auf die Krise an vier autofreien Sonntagen im Herbst 1973 ein allgemeines Fahrverbot verhängt sowie für sechs Monate generelle Geschwindigkeitsbegrenzungen (100 km/h auf Autobahnen, 80 km/h auf Landstraßen) eingeführt. Speziell die leeren Straßen führten die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen deutlich vor Augen. Außerdem erhöhte die Ölkrise das Umwelt-Problembewusstsein in der Öffentlichkeit merklich und initiierte aktive Energiesparmaßnahmen in Deutschland.10
Die Ölkrise im Jahr 1973 gab den Umweltinitiativen zusätzliche Schubkraft, denn aus dieser Krise resultierten auch die Regierungspläne, die Atomkraft zur wesentlichen Energieversorgungsquelle auszubauen. Gegen den weiteren Bau von Atomkraftwerken leisteten die Bürgerinitiativen erbitterten Widerstand. Dieser Widerstand gipfelte in den Kämpfen um den Bau der Atomkraftwerke in Wyhl (1975), Brokdorf (1976) oder Grohnde (1977), um die atomare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf und um das Endlager in Gorleben (1980).11 Die Protestanten waren überrascht, mit welcher Härte der Staat die Atomenergie durchzusetzen beabsichtigte. Die Folgen waren heftige Straßenschlachten mit der Polizei. In den 1980er Jahren waren Atomanlagen einerseits durch die Debatte um die Gefahren beim Betrieb der Anlagen und andererseits durch die Reaktorunglücke von Harrisburg (USA) 1979 und Tschernobyl 1986 (Sowjetunion) sehr stark umstritten.
In der öffentlichen Wahrnehmung war die Anti-Atomkraft-Bewegung in den 1970er und 1980er Jahren ein wesentlicher Teil der Ökobewegung - sie war eine Protestbewegung, die geprägt wurde von den Kämpfen um Whyl, Brokdorf und Gorleben. Der Widerstand gegen Kernenergie war identitätsstiftend für die Ökobewegung. Die Nutzung der Atomkraft war neben der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen ein zentrales Thema der Ökobewegung, die Umweltschützer forderten vor allem einen „humaneren“ Fortschritt in der Industriegesellschaft. Um diesen zu realisieren, strebten sie an, die vorhandenen Technologien ökologisch optimiert zu nutzen oder bislang unbewältigte Probleme der Naturnutzung (Wasserentsorgung, Luftreinhaltung usw.) durch den Einsatz neuer und aus ökologischer Sicht effizienterer Technologien zu lösen.12 Gefordert wurden der Ausstieg aus der Atomenergie-Nutzung und die Förderung der Entwicklung erneuerbarer Energien wie die Sonnen- und Windenergie. Überall dort, wo der technische Fortschritt besondere Risiken produzierte, propagierte die Ökobewegung die Entwicklung von alternativen Technologien.
Ähnlich wie der Atomreaktorunfall in Tschernobyl 1986 die Gefahren der zivilen Nutzung der Atomenergie der Öffentlichkeit vor Augen führte, so zeigte die Dioxin-Katastrophe von Seveso im Jahr 1976 überdeutlich, welche Gefahren von chemischen Großanlagen ausgehen können. In einem Chemiewerk im oberitalienischen Seveso kam es 1976 zu einer Explosion, bei der eine große Menge des hochgiftigen Dioxins freigesetzt wurde. Tagelang schwebte die tödliche Wolke mit dem “Seveso-Gift“ über dem Ort, ohne dass die Öffentlichkeit über die von dem Giftgas ausgehenden Gefahren informiert wurde. Die Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung liefen dadurch viel zu spät an. Hunderte von Menschen kamen mit Verätzungen und akuten Vergiftungserscheinungen ins Krankenhaus. Bei ungeborenen Kindern waren schwere Missbildungen zu erwarten, so dass viele schwangere Frauen Abtreibungen vornahmen. Ein Gebiet von mehr als 320 Hektar, in dem rund 5000 Menschen lebten, wurde verseucht. Tiere starben auf den vergifteten Weiden. 3.000 Haustiere verendeten und 70.000 wurden notgeschlachtet. Für lange Zeit sind Ackerbau und Viehzucht in dieser Region nicht mehr möglich. Der Bestseller „Seveso ist überall – Die tödlichen Risiken der Chemie“ von Egmont Koch und Fritz Vahrenholt erhob das Ereignis Seveso zu einem symbolischen Mahnmal für die öffentliche Gefährdung durch multinationale Chemiekonzerne. Das Buch beschäftigte sich explizit mit Unfällen, mangelnden Zulassungskontrollen, Risiken und Entsorgungsproblemen der europäischen Chemieindustrie.13
Weitere Themenbereiche der Ökologiebewegung waren Kampagnen zur Müllvermeidung, zum Klimaschutz und zum Verbraucherschutz, in dessen Zusammenhang wurde die Verwendung chemischer Zusatzstoffe in den Lebensmitteln kritisiert. Die Umweltschützer wollten insbesondere aufmerksam machen auf die Wirkungen, die von giftigen Chemikalien und von der Atomenergie ausgehen können, die die Menschen und die Natur gefährden. Sie wollten, dass der technische Fortschritt noch beherrschbar bleibt und sie wollten vor allem einen „humanen“ Fortschritt. Im Kern ging es der Umweltbewegung darum, dass die gegenwärtig lebenden Generationen ihre ökonomischen und ökologischen Bedürfnisse auf eine solche Art befriedigen, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Eingefordert wurde ein Umweltbewusstsein, gemeint war die Einsicht in die Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen durch diesen selbst. „Im Mainstream entwickelte die Ökobewegung nie ein politisches Programm über die Negation von zu viel Zerstörung hinaus. Mit der Zerstörung der Naturressourcen kann es so nicht weitergehen... Es fehlt eine politische Vorstellung darüber, wie eine Gesellschaft aussehen könnte, die nicht dem Prinzip des Wirtschaftswachstums und der grenzenlosen Steigerungslogik folgt - dies kennzeichnet die Ökobewegung heute mehr denn je aus. Die Ökobewegung war nie utopisch.“14
Die Umweltverbände analysierten die Umweltprobleme, klagten die Wirtschaft an und sorgten durch öffentlichkeitswirksame Aktionen wie Massendemonstrationen oder Schornsteinbesetzungen für Medienwirksamkeit. Der Schwerpunkt der Kritik lag jedoch meist auf den Symptomen der Umwelt- und Naturkrise und nur ansatzweise auch auf den dahinterliegenden Ursachen. Konkrete Pläne und Vorschläge, wie die Wirtschaft umgebaut und mehr für den Umweltschutz leisten könnte, gab es in der Umweltbewegung kaum; dieses Feld überließ sie weitgehend der Politik. „Auffällig an der Ökobewegung war, dass sie sich sehr schnell und sehr pragmatisch mit der Industriegesellschaft arrangierte, indem sie bereits früh anstrebte, diese ökologisch, ökonomisch und sozial machbar umzubauen.“15
Anhänger der Umweltbewegung - oft auch „Ökos“ genannt - verfolgten über den Umweltschutz hinausgehende reformerische Ziele, die sich in einem alternativen Lebensstil niederschlugen. Die „Ökos“ waren in den Anfangsjahren zumeist Teil einer links geprägten Jugendkultur, der sog. „alternativen Szene“, die sich auf ein neues politisch-soziales Bewusstsein und eine neue kulturelle Identität begründete. Die meisten von ihnen schlossen sich Bürgerinitiativen an und protestierten gegen die Nutzung der Atomkraft. Wer in dieser Zeit gelebt hat, erinnert sich wie die „Ökos“ schon an ihrem Äußeren, besonders an ihrer Kleidung zu erkennen waren: die Haare waren lang, die „Klamotten“ eher nachlässig. Die meist jungen Leute lebten in einer WG, ernährten sich vollwertig mit Müsli - gesunde Lebensmittel und Selbstgebackenes standen im Mittelpunkt. Sie kauften ihre Lebensmittel in Bioläden ein und benutzten natürlich Jutebeutel.
„Selbstverwirklichung“ war ein zentraler Begriff, der zum typischen Vokabular des linksalternativen Milieus in der Bundesrepublik der 1970er und frühen 1980er Jahre gehörte. Man wollte aus der Welt der Eltern ausbrechen und damit verbunden war damals die Kritik an der Massenkonsumgesellschaft und der Entfremdung in der Industriemoderne, an Arbeitsspezialisierung sowie an den Rollenbildern der Eltern. Für die Alternativen ging es eben nicht länger um mehr Autos, mehr Konsum, sondern um die Aufforderung, sich selbst zu finden. Das Credo „verändere dich selbst, dann veränderst du die Gesellschaft“ war ein Projekt der Alternativkultur, denn es ging um Selbstbestimmung, Selbsterfahrung, Selbstentfaltung, Selbstverwirklichung – man wollte befreit und anders leben können.16 Damit verbunden war der Versuch andere Arbeitsformen auszuprobieren, in flachen Hierarchien im Teamwork Entscheidungen zu treffen, ohne die ordnende Hand eines Chefs. Bevorzugt wurde eine Arbeit in einem selbstverwalteten Alternativprojekt oder in einem Kollektiv. Im Kollektiv zu arbeiten hieß, keine Hierarchie, gleicher Lohn für alle oder sogar der sog. Bedürfnislohn, bei dem jeder so viel kriegt, wie er braucht. Das Arbeiten in einem Kollektiv bedeutete Integration und Geborgenheit, allerdings forderte das Projekt den ganzen Menschen, wobei die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwammen. „Es war vor allem die Sehnsucht nach der kollektiven Identität, nach dem Aufgehen im Gemeinsamen, das nicht nur die politischen Gruppen, sondern auch die Experimente der Alternativbewegung geprägt hatte.“17
Durch die Ökobewegung mit ihrem bewussten Umgang mit der Natur wurde auch der ökologische Landbau wesentlich vorangetrieben und konnte sich mehr und mehr in der Gesellschaft etablieren. Weil viele Anhänger auf eine gesunde Ernährung möglichst frei von chemischen Stoffen (Pestiziden) achteten, stieg die Nachfrage nach Waren aus ökologischer Erzeugung.18 Die Umweltbewegung war letztlich sehr wirkungsvoll, denn mit dem Erstarken der Ökobewegung rückten immer stärker Fragen nachhaltigen Wirtschaftens insbesondere im Energiesektor ins öffentliche Bewusstsein. In der BRD entstanden in den 1970er Jahren die ersten unabhängigen, (alternativen) wissenschaftlichen Institute wie das Öko-Institut in Freiburg (Gründung im Jahr 1977). Diese Institute lieferten der Umweltbewegung den wissenschaftlichen Unterbau für ihren Protest. Sie setzten sich durch ihre kritische Haltung von der klassischen universitären Wissenschaft ab, die zu diesem Zeitpunkt stark technologiefreundlich und industrienah war.19 Die Ökobewegung fand in Deutschland ihren institutionellen Niederschlag u. a. in der Einrichtung des Umweltbundesamtes (1978) sowie in der Gründung der Bundespartei „Die Grünen“ (1980). „Die Grünen“ haben wesentlich zur Verankerung des Umweltgedankens in der deutschen Politik beigetragen. Als Reaktion auf eine der schlimmsten Umweltkatastrophen aller Zeiten, dem Atomreaktorunglück im ukrainischen Tschernobyl, ernannte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl 1986 den ersten Umweltminister der BRD und schuf damit das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.20
Anfang der 1990er Jahre geriet die Umweltbewegung in Deutschland in eine Krise. Inzwischen hatten sich die Umweltorganisationen von einer reinen Protestbewegung hin zu teilweise sehr kompetenten Interessensvertretungen von Umwelt- und Naturschutzbelangen gegenüber Öffentlichkeit, Politik und Verwaltung entwickelt. Daneben begannen die Feindbilder der Umweltbewegung unscharf zu werden. Das lag zum Teil an den Erfolgen der Umweltpolitik, so konnte die Luft- und Wasserverschmutzung in vielen Bereichen merklich gesenkt werden. Zum anderen lag es auch daran, dass die Industrie sich des Themas Umweltschutz nun annahm. Mit großen Werbe- und Öffentlichkeitskampagnen versuchten Unternehmen ihr schlechtes Umwelt-Image aufzubessern. Im „Öko-Marketing“ sahen die Marketingexperten neue Chancen in der Platzierung von „grünen“ und „Öko“-Produkten. Infolgedessen wurde es für Umweltverbände wie Greenpeace immer schwieriger, durch spektakuläre Aktionen auf Umweltprobleme hinzuweisen.21
Weiterhin macht die Umweltbewegung durch die Verbände und Bürgerinitiativen auf Missstände beim Umweltschutz aufmerksam. Zunehmend an Bedeutung gewinnt aber die Aufgabe aufzuzeigen, wie eine Gesellschaft die ökologische Wende herbeiführen und dann mit ihr leben kann. Die Umweltbewegung musste deshalb Zukunftsentwürfe schaffen. Solche Entwürfe wurden bereits in den 1970er Jahren verfasst, zu den wichtigsten Impulsgebern aus dieser Zeit zählten Ernst Friedrich Schumacher, Erich Fromm und Ivan Illich.
10 DIE ZEIT - Autofreier Sonntag: Am Sonntag zum „Ölsparwandertag" (Ausg. 25.11.2013) .Online: http://www.zeit.de/mobilitaet/2013-11/oelkrise-autofrei-1973
11ECOreporter.de - Die Umweltschutzbewegung. Online: http://www.ecoreporter.de/artikel/die-umweltschutzbewegung-25-04-2013.html
12 Degrowth: Umweltbewegung. Online: https://www.degrowth.info/de/dib/degrowth-in-bewegungen/umweltbewegung/
13 Umwelt und Erinnerung - Ökologische Erinnerungsorte - Seveso ist überall. Online: http://www.umweltunderinnerung.de/index.php/kapitelseiten/verschmutzte-natur/50-seveso-ist-ueberall
14 Welzer, H. (2014): Selbst Denken. Eine Anleitung zum Widerstand; S. 101.
15 Bechmann, A., Steitz, M. (2016/1): Die Konventionalisierung der Nachhaltigkeitspolitik; S.98.
16 vgl. Reichardt, S. (2014): Authentizität und Gemeinschaft. Linksalternatives Leben in den siebziger und frühen achtziger Jahren.
17 Horx, M. (1985): Das Ende der Alternativen; S. 13.
18 vgl. Vogt, G. (2000): Entstehung und Entwicklung des ökologischen Landbaus.
19 vgl. Bechmann, A., Steitz, M. (2016/1): Die Konventionalisierung der Nachhaltigkeitspolitik.
20 Konrad Adenauer Stiftung - Die Umweltbewegungen. Online: http://www.kas.de/wf/de/71.7706/
21ECOreporter.de - Die Umweltschutzbewegung. Online: http://www.ecoreporter.de/artikel/die-umweltschutzbewegung-25-04-2013.html
Ernst Friedrich Schumacher (1911 - 1977) war ein britischer Ökonom deutscher Herkunft. Er wurde bekannt durch seinen Einsatz für humane Wirtschafts- und Technikstrukturen. Schumacher glaubte an die Überwindbarkeit des Kapitalismus und an eine Ökonomie, deren Grundlagen die Würde des Menschen berücksichtigen. Der Technikgläubigkeit seiner Zeit setzte er eine Wirtschaftsweise entgegen, in der Ethik und Moral ihren Platz haben und in der die Ökonomie wieder ins Soziale eingebettet ist. In seinem bekannten Werk "Small is beautiful" entwarf er die Idee einer Rückkehr zum menschlichen Maß. Mehr als 40 Jahre später ist diese Idee zukunftsweisend und moderner denn je: Wir müssen zurückfinden zu einer auf Permanenz ausgerichteten Lebensweise, also dem, was wir heute unter dem Begriff "Nachhaltigkeit" verstehen, so lautete Schumachers Vision bereits im Jahr 1973.
Ein Grundfehler in der westlichen Denk- und Lebensweise liegt laut Schumacher in der Haltung des Menschen gegenüber der Natur: „Der moderne Mensch erfährt sich selbst nicht als Teil der Natur, sondern als eine von außen kommende Kraft, die dazu bestimmt ist die Natur zu beherrschen und zu überwinden.“22 Aus dem Blickwinkel der Ökonomie wird das „natürliche Kapital“ als etwas angenommen, das uns unbegrenzt zur Verfügung steht und wir folglich verbrauchen können - so wie wir es bereits seit mehr als zwei Jahrhunderten mit den fossilen Brennstoffen Kohle und Erdöl tun. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat ein rasanter Anstieg in der industriellen Produktion stattgefunden und seitdem wurden die fossilen Brennstoffe und Bodenschätze in einem noch nie da gewesen Tempo verbraucht. „Das kam aber so plötzlich, dass wir kaum bemerkten, wie schnell wir den unersetzlichen Habenposten des Kapitals aufzehrten, nämlich die Toleranzen, die die gütige Natur stets zur Verfügung stellt.“ (S. 16) Schumacher warnt vor dem Glauben, wir hätten die Probleme der Produktion gelöst: „diese Täuschung geht hauptsächlich auf unsere Unfähigkeit zurück zu erkennen, dass das moderne Industriesystem mit all seiner intellektuellen Verfeinerung die Basis aufbraucht, auf der es errichtet wurde.“ (S. 17)
Schumachers Kritik an den Wirtschaftswissenschaften bezieht sich auf die Annahme, den Rahmen, innerhalb dessen wirtschaftliches Handeln stattfindet, als gegeben zu setzen, d. h. als stetig und unzerstörbar zu behandeln. „Da jetzt aber zunehmende Anzeichen von Umweltzerstörung vorliegen, insbesondere in der lebenden Natur, werden die gesamte Sehweise und das System der Wirtschaftswissenschaft infrage gestellt.“ (S. 46) Ökonomisches Wachstum wird mithin zu erheblichen Teilen auf Kosten von Gemeingütern erzeugt. Zu seiner These, die heutige Wirtschaft basiere auf dem Verbrauch des „natürlichen Kapitals“, führt Schumacher in „Die Rückkehr zum menschlichen Maß“ aus: „...dass nämlich Wirtschaftswachstum, das vom Standpunkt der Wirtschaftswissenschaft, Physik, Chemie und Technik keine erkennbaren Grenzen hat, vom Standpunkt der Umweltforschung zwangsläufig an Grenzen stößt. Eine Haltung dem Leben gegenüber, die Erfüllung ausschließlich im Streben nach Reichtum – kurz gesagt im Materialismus – sucht, passt nicht in diese Welt, weil sie kein begrenzendes Prinzip anerkennt.“ (S. 26) Und weiter heißt es bei Schumacher: „Die moderne Wirtschaft wird von einem Rausch der Habsucht vorwärts getrieben und schwelgt in einer Orgie des Neides. Das aber sind keine zufälligen Züge, sondern die eigentlichen Ursachen ihres auf Ausdehnung gerichteten Erfolges. Die Frage ist, ob solche Ursachen auf lange Zeit hin Erfolg haben können oder ob sie in sich den Keim der Zerstörung tragen.“ (S. 27)
E. F. Schumacher hatte bereits 1973 erkannt, wie groß der Einfluss der ökonomischen Modelle auf unser Denken und Handeln in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft war und sein wird und er sah, dass der Mensch mit seinen individuellen Fähigkeiten, Bedürfnissen und Wertepräferenzen im strukturellen Modell der Wirtschaft ungenügend und in den Formeln, Orientierungsgrößen und Kennzahlen zur Unternehmensführung (Wachstumsrate, Kapitalkoeffizient, Kosten-Nutzen-Analyse) nicht berücksichtigt wird.
Ein paar Lebensdaten zu E. F. Schumacher sind hilfreich, um sein Lebenswerk besser verstehen zu können:23 Schumacher wurde 1911 in Bonn geboren, sein Vater war ein angesehener Nationalökonom. Sein Studium der Volkswirtschaftslehre absolvierte er an verschiedenen Universitäten in Berlin, New York und Oxford - hier wurde er ein Freund von John Maynard Keynes, dem berühmten Nachkriegsökonomen. Schumacher floh vor den Nazis und emigrierte 1937 mit seiner Familie nach England. Nach dem Krieg war Schumacher ein sehr gefragter Wirtschaftsberater, u. a. ein Experte für den Kohlebergbau in England. 1950 machte ihn die britische Kohlebehörde mit ihren über 800.000 Angestellten zum Chefberater für die anstehende Verstaatlichung. 1965 gründete Schumacher mit Freunden das „Institut of Intermediate Technology Development“. „Mittlere Technologie“ wurde zu einem Schlüsselbegriff für ihn. Nebenbei schrieb er für den „Observer“ und er schrieb Bücher: „Small is beautiful – die Rückkehr zum menschlichen Maß“ wurde in den 1970er Jahren zu einem Kultbuch. Es folgten „Das Ende der Epoche“ und „Rat für die Ratlosen“. Bis zu seinem Tod war Schumacher außerdem Präsident der „Soil Association“, die den ökologischen Landbau propagierte. 1977 starb er während einer Zugfahrt von Lausanne nach St. Moritz an einem Herzanfall.
Schumacher spannte den Bogen vom Tradierten zum Zukunftsfähigen und er verband dies stets mit der Leitfrage nach dem menschlichen Maß. Ein menschliches Maß im geistigen und materiellen Streben zu finden, war sein Ziel. Die philosophische Basis seines Wirtschaftsentwurfs bildet dabei die "Buddhistische Ökonomie". Sie lehnt die übertriebene Bindung an materielle Güter ab. Es geht schlicht darum, mit einem Minimum an Konsum ein Maximum an Glück zu erreichen. Das ausschließlich auf Wachstum ausgerichtete Wirtschaften moderner Industrienationen ist mit diesem Denken nicht vereinbar. Nach dem buddhistischen Denken wird die Wahrheit auf den Kopf gestellt, wenn „Güter für wichtiger als Menschen und Konsum für wichtiger als schöpferisches Tun gehalten wird.“ (S. 51)
„Vom buddhistischen Standpunkt aus gesehen, erfüllt Arbeit mindestens drei Aufgaben: sie gibt dem Menschen die Möglichkeit, seine Fähigkeiten zu nutzen und zu entwickeln. Sie hilft ihm, aus seiner Ichbezogenheit herauszutreten, indem sie ihn mit anderen Menschen in einer gemeinsamen Aufgabe verbindet, und sie erzeugt die Güter und Dienstleistungen, die für ein menschenwürdiges Dasein erforderlich sind. […] Arbeit so zu organisieren, dass sie für den Arbeiter sinnlos, langweilig, verdummend oder nervenaufreibend ist, wäre ein Verbrechen. Aus einer solchen Haltung ginge hervor, Güter seien wichtiger als Menschen. Das aber entspräche einem erschreckenden Mangel an Mitgefühl und der wesen-zerstörenden Hinnahme eines Lebens auf der primitivsten Stufe der Existenz.“ (S. 49)
Ein menschliches Maß für ein gutes Leben in tragbarer Verantwortung, das wollte E. F. Schumacher vor allem als Anspruch in der Arbeitswelt zurückgewinnen. In „Die Rückkehr zum menschlichen Maß“ schreibt er: „Das menschliche Wesen wird vor allem durch seine Arbeit gestaltet. Bei einer sinnvollen, durch Menschenwürde und Freiheit getanen Arbeit ruht Segen auf denen, die sie tun, und auf ihren Erzeugnissen.“ (S. 50)
Mit Begriffen wie Würde, Segen, Mitgefühl versucht Schumacher humanistische Werte in die Ökonomie zu integrieren und setzte sich damit der Gefahr aus, als unmodern und rückständig gebrandmarkt zu werden. Sein Anliegen steht damit in einem bemerkenswerten Kontrast zu der ausschließlich auf Wachstum ausgerichteten Ökonomie moderner Industrienationen. Es ist kein Naturgesetz, dass Organisationen, Technologien und Firmen immer wachsen müssen. Mit dem Motto „immer größer, immer weiter, immer schneller“ haben wir die Umweltzerstörung in den letzten Jahrzehnten dramatisch voranschreiten lassen. Heute leidet die Weltwirtschaft unter Ressourcenknappheit und drohenden Verteilungskonflikten. Schumacher war gegen Wirtschaftswachstum als Zweck an sich. Er war gegen die Gigantomanie von Unternehmen, gegen die Abhängigkeit von Öl und Atomkraft. Er führte den Begriff der „mittleren Technologie“ ein und meinte damit eine, die klug und raffiniert ist, aber geringe Investitionen braucht, die reparaturfreundlich ist, den Menschen lokal hilft und zu ihren Gegebenheiten passt. Er war für Dezentralisierung und Überschaubarkeit, weil Verantwortung nur in überschaubaren Strukturen wirklich tragbar ist. Aus demselben Grund war er für das kleine Privateigentum und gegen das große. Die Ökonomie der Stetigkeit verlangt eine gründliche Umorientierung von Wissenschaft und Technik.
„Es geht um die bewusste Anwendung unserer ungeheuren technischen und wissenschaftlichen Möglichkeiten für den Kampf gegen die Erniedrigung des Menschen. Was heißt denn Demokratie, Freiheit, Menschenwürde, Lebensstandard, Selbstverwirklichung, Erfüllung? Geht es dabei um Güter oder um Menschen? Selbstverständlich geht es um Menschen. Doch Menschen können nur in kleinen, überschaubaren Gruppen sie selbst sein. Wir müssen daher lernen, uns gegliederte Strukturen vorzustellen, innerhalb derer eine Vielzahl kleiner Einheiten ihren Platz behaupten kann. Wenn unser wirtschaftswissenschaftliches Denken das nicht erfasst, dann taugt es nichts […].
[…] Gute Technik, gutes Werkzeug ist etwas Herrliches, es steckt wirkliche Intelligenz darin. Gute Technik ist nicht einfach von Menschen entwickelt, sie entwickelt die Menschen. Gewalttätig hingegen ist eine Technik, wenn sie mit Gewalt Schneisen durch natürliche Systeme schlägt, immer im Glauben, unbeabsichtigter Schaden und unvorhergesehene Nebenwirkungen ließen sich durch weitere gewaltsame Eingriffe beseitigen.“ (S. 67)
Schumachers ganzes Streben galt dem Einsatz für humane Wirtschafts- und Technikstrukturen. Sein Institut für mittlere Technologien (Institut of Intermediate Technology Development) stellte praktische und intelligente Technikanwendungen für die Dritte Welt bereit. Bereits Anfang der 1970er Jahre setzte er sich als Präsident der „Soil Association“ mit dem ökologischen Landbau auseinander. Mit seinem erweiterten Blick auf die Lebens- und Produktionsverhältnisse hebt Schumacher die besondere Rolle der Landwirtschaft hervor, wenn er sagt: „Der Boden trägt die Ackerkrume, und diese eine ungeheure Vielfalt lebender Wesen, zu denen auch der Mensch gehört. Zwischen Zivilisation und Ackerkrume gab es in allen Kulturen einen Zusammenhang. Die Landwirtschaft ist keine Industrie, sondern etwas wesentlich anderes.“ (S. 97)
Solidarische Landwirtschaft, urbanes Gärtnern, Transition Towns und all die anderen neuen Bewegungen für eine selbstbestimmte Bürgergesellschaft und regionales Wirtschaften wären ganz in seinem Sinn gewesen. Mit seiner Vision einer humanen Technologie, die einen geringeren ökologischen Fußabdruck hinterlässt und den Menschen ein Höchstmaß an selbstbestimmten Tätigkeiten erlaubt, hat er viel von dem vorweggenommen, was wir heute unter nachhaltiger Entwicklung verstehen. „Small is beautiful“ ist daher aktueller denn je, ein perfekter Wegweiser in eine Welt, in der die Wirtschaft dem Menschen dient und nicht umgekehrt. E. F. Schumachers Werk „Die Rückkehr zum menschlichen Maß“ gilt heute als ein Klassiker für eine alternative wirtschaftliche Denkweise und er selber als einer der bedeutendsten Kritiker der technischen Zivilisation.
Erich Fromm (1900 - 1980) ist als Psychoanalytiker und Sozialpsychologe ebenso bekannt wie als Autor und bedeutender Humanist des 20. Jahrhunderts. Fromm setzte sich für das Bewusstsein von der qualitativen Einzigartigkeit des menschlichen Lebens ein. Eine Aussage von Erich Fromm aus dem Jahr 1980 belegt seine Grundhaltung: „Solange es Leben gibt, solange glaube ich an die Hoffnung, dass das Potential, das in uns angelegt ist, wieder durchbrechen wird, sich wieder äußern wird. Solcher Glaube hängt davon ab, wie viel jeder bei sich selbst von dieser Hoffnung spürt und miterlebt und sie damit anderen in gewisser Weise mitteilen kann.“24
Erich Fromm wurde 1900 in Frankfurt am Main geboren, er stammte aus einer streng religiösen jüdischen Familie. Fromm bezeichnete sich selbst gern als vormodernen Menschen, da er zunächst nur den Talmud und die Bibel studierte, darüber hinaus zehrte er von den Geschichten, die ihm über seine Vorfahren erzählt wurden. Ursprünglich wollte Erich Fromm Rabbiner werden, er studierte dann jedoch Psychologie, Philosophie und Soziologie an den Universitäten in Heidelberg (bei Alfred Weber) und in München sowie am Institut für Psychoanalyse in Berlin. 1922 schloss er sein Studium mit der Promotion ab (über das jüdische Gesetz) und begann seine Laufbahn als Psychotherapeut. In den späten 1920er Jahren folgte Fromm einem Ruf Max Horkheimers an das Frankfurter Institut für Sozialforschung. Dort ergab sich eine Zusammenarbeit mit Theodor W. Adorno und Herbert Marcuse.25 Fromm verband in seinen Werken soziologisches und psychologisches Denken.
Ein Jahr nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten siedelte Fromm nach New York über, wohin auch das Institut für Sozialforschung emigrierte. In New York betrieb Fromm eine Praxis für Psychoanalyse und lehrte an der Columbia Universität. Ende 1939 kam es zum Bruch mit dem Frankfurter Institut für Sozialforschung. 1940 nahm Fromm die amerikanische Staatsbürgerschaft an und wurde Professor für Psychologie in Vermont (1941-1949). Fromm verließ 1949 die USA und zog nach Mexiko. Dort gründete er in Mexico City eine Praxis und wurde Professor für Psychoanalyse an der dortigen Universität. 1952 starb seine Frau Henny Gurland. Im Jahr darauf heiratete er die US-Amerikanerin Annis Freemann. Ab 1957 war er in der amerikanischen Friedensbewegung aktiv. Die ganze Zeit über praktizierte Fromm auch als Analytiker und schrieb eine Reihe von Büchern zur Psychoanalyse und zur Gesellschaft. 1974 verließ Fromm Mexiko und siedelte wieder nach Europa über. Dort ließ er sich in Muralto im Schweizer Tessin nieder, wo er 1980 starb.
Zu seinen bedeutendsten Werken zählt „Die Furcht vor der Freiheit“ von 1941, hierin bezog Fromm deutlich Position gegen den Nationalsozialismus. Weitere bemerkenswerte Bücher sind „Die Kunst des Liebens“ (1956), „Anatomie der menschlichen Destruktivität“ aus dem Jahr 1973 sowie „Haben oder Sein“ (1976). In diesem Werk zeigt Fromm, wie sehr unsere Gesellschaft vom Haben und Habenwollen bestimmt ist – der Mensch ist der Diener des Wirtschaftssystems, und er will immer mehr haben, weil das System es so vorsieht. Der Psychoanalytiker, Kulturphilosoph und Sozialpsychologe Erich Fromm beleuchtete kritisch die Psychoanalyse Siegmund Freuds und erweiterte sie. Im Grunde genommen ist Fromms Theorie eine einzigartige Verbindung von Freud und Marx: Freuds Erkenntnis betont die Bedingtheit des Menschen durch das Unbewusste, während Marx die sozioökonomische Bedingtheit in den Vordergrund stellt. Fromm als Humanist baute zwischen diesen beiden Extremen eine Brücke – den Gedanken der Freiheit. Durch die Willensfreiheit des Menschen wird es möglich, die Determinismen von Freud und Marx zu transzendieren.26 Fromm macht die Freiheit zum zentralen Merkmal der menschlichen Natur. „Ich versuche zu zeigen, dass die Triebe, die gesellschaftliche Handlungen motivieren, nicht, wie Freud annimmt, Sublimierungen der sexuellen Instinkte sind, sondern Produkte des gesellschaftlichen Prozesses, oder genauer gesagt, Reaktionen auf bestimmte Konstellationen, unter denen der Mensch seine Instinkte befriedigen muss.“27
In kritischer Abwandlung von Freud entwickelt Fromm die Theorie des autoritären Charakters. Mit seinen Untersuchungen zum „autoritären Charakter" wollte Fromm - wie auch Adorno und Horkheimer vom Frankfurter Institut für Sozialforschung - erklären, wie es möglich war, dass die politischen Machthaber, insbesondere Hitler, bei all ihren Aktivitäten auf ein gefügiges Volk bauen konnten. Bereits Wilhelm Reich behauptete in seinem Werk „Massenpsychologie des Faschismus“ einen fundamentalen Zusammenhang zwischen autoritärer Triebunterdrückung und faschistischer Ideologie. Die autoritär geformte Familie sei die Keimzelle des autoritären Staates. Aus psychoanalytischer Sicht bildet sich der autoritäre Charakter aus, wenn aggressivtriebhafte und andere Bedürfnisse des Kindes durch elterliche Gehorsamkeitsforderungen zu stark unterdrückt und schließlich auf andere Menschen, sozial Schwächere oder Minderheiten gerichtet werden.
Fromm beschreibt zwei Formen des autoritären Charakters: Die eine Form ist, sich der Macht anderer zu unterwerfen, passiv und ergeben zu werden. Die andere Form ist, selbst eine Autorität zu werden, ein Mensch, der versucht andere Menschen zu kontrollieren. Auf beiden Wegen entzieht man sich selbst der eigenen individuellen Identität. Zur Form des autoritären Charakters passt das Verhalten: man macht sich klein, um - als Teil des Großen - groß zu sein. „Man will Befehle erhalten, damit man nicht in die Notwendigkeit kommt, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen.“28 Es ist dieser Typ Mensch, auf dem die autoritären Systeme wie Nationalsozialismus und Stalinismus beruhen. Ein solcher passiv-autoritärer Mensch hat - nicht selten nur unbewusst - ein Gefühl der Minderwertigkeit, der Ohnmacht, der Verlassenheit. Weil er tief einsam und von einer tiefen Angst ergriffen ist, sucht er die Verbundenheit und er findet sie in der symbiotischen Beziehung, in dem Sich-eins-Fühlen mit anderen. „Der passive-autoritäre, oder wie wir auch sagen können, der masochistische, zur Unterwerfung neigende Charakter, hat das Ziel - wenn auch unbewusst - sich zum Teil einer größeren Einheit zu machen.“ Fromm stellt dem passiven Typ den aktivautoritären, sadistischen Charakter gegenüber. „Er erscheint seinen Anhängern selbstsicher und mächtig und doch ist er ängstlich und einsam wie der masochistische Charakter. Während der Masochist sich stark fühlt, weil er ein kleines Teilchen eines Großen ist, fühlt sich der Sadist stark, weil er andere, und wenn möglich viele andere, in sich hineingenommen, sozusagen aufgefressen hat.“ Sadismus definiert Fromm als Wunsch einer Person physische oder psychische Schmerzen zuzufügen. Im sadistischen Charakter dominiert der Trieb andere zu kontrollieren.
„Was das Wesen der autoritären Persönlichkeit ausmacht, ist eine Unfähigkeit: die Unfähigkeit, auf sich selbst zu stehen, unabhängig zu sein oder, um es anders auszudrücken, die Freiheit zu ertragen.“ Dem autoritären Charakter stellt Fromm den reifen Menschen gegenüber - jener Mensch, der sich nicht anklammern muss, weil er die Welt, Menschen und Dinge in aktiver Weise ergreift und begreift.