Vor Sonnenaufgang - Gerhart Hauptmann - E-Book

Vor Sonnenaufgang E-Book

Gerhart Hauptmann

0,0

Beschreibung

Das soziale Drama "Vor Sonnenaufgang" von Gerhart Hauptmann wurde 1889 in Berlin uraufgeführt und begründet den Durchbruch des Naturalismus im deutschen Theater.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 147

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Erster Akt

Zweiter Akt

Dritter Akt

Vierter Akt

Fünfter Akt

Dramatis Personae

Krause, Bauerngutsbesitzer

Frau Krause, seine zweite Frau

Helene, Martha, Krauses Töchter erster Ehe

Hoffmann, Ingenieur, verheiratet mit Martha

Wilhelm Kahl, Neffe der Frau Krause

Frau Spiller, Gesellschafterin bei Frau Krause

Alfred Loth

Dr. Schimmelpfennig

Beibst, Arbeitsmann auf Krauses Gut

Guste, Liese, Marie, Mägde auf Krauses Gut

Baer, genannt Hopslabaer

Eduard, Hoffmanns Diener

Miele, Hausmädchen bei Frau Krause

Die Kutschenfrau

Golisch, genannt Gosch, Kuhjunge

Ein Paketträger

Erster Akt

Das Zimmer ist niedrig; der Fußboden mit guten Teppichen belegt. Moderner Luxus auf bäuerische Dürftigkeit gepfropft. An der Wand hinter dem Eßtisch ein Gemälde, darstellend einen vierspännigen Frachtwagen, von einem Fuhrknecht in blauer Bluse geleitet.

Miele, eine robuste Bauernmagd mit rotem, etwas stumpfsinnigen Gesicht; sie öffnet die Mitteltür und läßt Alfred Loth eintreten. Loth ist mittelgroß, breitschultrig, untersetzt, in seinen Bewegungen bestimmt, doch ein wenig ungelenk; er hat blondes Haar, blaue Augen und ein dünnes, lichtblondes Schnurrbärtchen, sein ganzes Gesicht ist knochig und hat einen gleichmäßig ernsten Ausdruck. Er ist ordentlich, jedoch nichts weniger als modern gekleidet. Sommerpaletot, Umhängetäschchen, Stock.

Miele. Bitte! Ich werde den Herrn Inschinnär glei ruffen. Wolln Sie nich Platz nehmen?!

Die Glastür zum Wintergarten wird heftig aufgestoßen; ein Bauernweib, im Gesicht blaurot vor Wut, stürzt herein. Sie ist nicht viel besser als eine Waschfrau gekleidet. Nackte rote Arme, blauer Kattunrock und Mieder, rotes punktiertes Brusttuch. Alter: Anfang Vierzig – Gesicht hart, sinnlich, bösartig. Die ganze Gestalt sonst gut konserviert.

Frau Krause schreit. Ihr Madel!! ... Richtig! ... Doas Loster vu Froovulk! ... Naus! mir gahn nischt! ... Halb zu Miele, halb zu Loth. A koan orbeita, a hoot Oarme. Naus! hier gibbt's nischt!

Loth. Aber Frau ... Sie werden doch ... ich ... ich heiße Loth, bin ... wünsche zu ... habe auch nicht die Ab ...

Miele. A wull ock a Herr Inschinnär sprechen.

Frau Krause. Beim Schwiegersuhne batteln: doas kenn mer schunn. – A hoot au nischt, a hoot's au ock vu ins, nischt iis seine!

Die Tür rechts wird aufgemacht. Hoffmann steckt den Kopf heraus.

Hoffmann. Schwiegermama! – Ich muß doch bitten ... Er tritt heraus, wendet sich an Loth. Was steht zu ... Alfred! Kerl! Wahrhaftig'n Gott, du!? Das ist aber mal ... nein das is doch mal'n Gedanke!

Hoffmann ist etwa dreiunddreißig Jahre alt, schlank, groß, hager. Er kleidet sich nach der neuesten Mode, ist elegant frisiert, trägt kostbare Ringe, Brillantknöpfe im Vorhemd und Berloques an der Uhrkette. Kopfhaar und Schnurrbart schwarz, der letztere sehr üppig, äußerst sorgfältig gepflegt. Gesicht spitz, vogelartig. Ausdruck verschwommen, Augen schwarz, lebhaft, zuweilen unruhig.

Loth. Ich bin nämlich ganz zufällig ...

Hoffmann, aufgeregt. Etwas Lieberes ... nun aber zunächst leg ab! Er versucht ihm das Umhängetäschchen abzunehmen. Etwas Lieberes und so Unerwartetes hätte mir jetzt, – er hat ihm Hut und Stock abgenommen und legt beides auf einen Stuhl neben der Tür – hätte mir jetzt entschieden nicht passieren können, – indem er zurückkommt – entschieden nicht.

Loth, sich selbst das Täschchen abnehmend. Ich bin nämlich – nur so per Zufall auf dich ... Er legt das Täschchen auf den Tisch im Vordergrund.

Hoffmann. Setz dich! Du mußt müde sein, setz dich – bitte. Weißt de noch? wenn du mich besuchtest, da hatt'st du so 'ne Manier, dich lang auf das Sofa hinfallen zu lassen, daß die Federn krachten; mitunter sprangen sie nämlich auch. Also du, höre! mach's wie damals.

Frau Krause hat ein sehr erstauntes Gesicht gemacht und sich dann zurückgezogen. Loth läßt sich auf einen der Sessel nieder, die rings um den Tisch im Vordergrunde stehen.

Hoffmann. Trinkst du was? Sag! – Bier? Wein? Kognak? Kaffee? Tee? Es ist alles im Hause.

Helene kommt lesend aus dem Wintergarten; ihre große, ein wenig zu starke Gestalt; die Frisur ihres blonden, ganz ungewöhnlich reichen

Haares, ihr Gesichtsausdruck, ihre moderne Kleidung, ihre Bewegungen, ihre ganze Erscheinung überhaupt verleugnen das Bauernmädchen nicht ganz.

Helene. Schwager, du könntest ... Sie entdeckt Loth und zieht sich schnell zurück. Ach! ich bitte um Verzeihung. Ab.

Hoffmann. Bleib doch, bleib!

Loth. Deine Frau?

Hoffmann. Nein, ihre Schwester. Hörtest du nicht, wie sie mich betitelte?

Loth. Nein.

Hoffmann. Hübsch! Wie? – Nu aber erklär dich: Kaffee? Tee? Grog?

Loth. Danke, danke für alles.

Hoffmann präsentiert ihm Zigarren. Aber das ist was für dich – nicht?! ... Auch nicht?!

Loth. Nein, danke.

Hoffmann. Beneidenswerte Bedürfnislosigkeit! Er raucht sich selbst eine Zigarre an und spricht dabei. Die A... Asche, wollte sagen, der ... der Tabak ... ä! Rauch natürlich ... der Rauch belästigt dich doch wohl nicht?

Loth. Nein.

Hoffmann. Wenn ich das nicht noch hätte ... ach Gott ja, das bißchen Leben! – Nu aber tu mir den Gefallen, erzähle was. – Zehn Jahre – bist übrigens kaum sehr verändert – zehn Jahre, 'n ekliger Fetzen Zeit – was macht Schn... Schnurz nannten wir ihn ja wohl? Fips – die ganze heitere Blase von damals? Hast du den einen oder anderen im Auge behalten?

Loth. Sach mal, solltest du das nicht wissen?

Hoffmann. Was?

Loth. Daß er sich erschossen hat.

Hoffmann. Wer – hat sich wieder mal erschossen?

Loth. Fips! Friedrich Hildebrandt.

Hoffmann. I warum nich gar!

Loth. Ja! er hat sich erschossen – im Grunewald, an einer sehr schönen Stelle der Havelseeufer. Ich war dort, man hat den Blick auf Spandau.

Hoffmann. Hm! – Hätt' ihm das nicht zugetraut, war doch sonst keine Heldennatur.

Loth. Deswegen hat er sich eben erschossen. – Gewissenhaft war er, sehr gewissenhaft.

Hoffmann. Gewissenhaft? Woso?

Loth. Nun, darum eben ... sonst hätte er sich wohl nicht erschossen.

Hoffmann. Versteh' nicht recht.

Loth. Na, die Farbe seiner politischen Anschauungen kennst du doch?

Hoffmann. Ja, grün.

Loth. Du kannst sie gern so nennen. Er war, dies wirst du ihm wohl lassen müssen, ein talentvoller Jung. – Fünf Jahre hat er als Stukkateur arbeiten müssen, andere fünf Jahre dann, sozusagen, auf eigene Faust durchgehungert und dazu kleine Statuetten modelliert.

Hoffmann. Abstoßendes Zeug. Ich will von der Kunst erheitert sein ... Nee! diese Sorte Kunst war durchaus nicht mein Geschmack.

Loth. Meiner war es auch nicht, aber er hatte sich nun doch einmal drauf versteift. Voriges Frühjahr schrieben sie da ein Denkmal aus; irgendein Duodezfürstchen, glaub' ich, sollte verewigt werden. Fips hatte sich beteiligt und gewonnen; kurz darauf schoß er sich tot.

Hoffmann. Wo da die Gewissenhaftigkeit stecken soll, ist mir völlig schleierhaft. – Für so was habe ich nur eine Benennung: Span – auch Wurm – Spleen – so was.

Loth. Das ist ja das allgemeine Urteil.

Hoffmann. Tut mir leid, kann aber nicht umhin, mich ihm anzuschließen.

Loth. Es ist ja für ihn auch ganz gleichgültig, was ...

Hoffmann. Ach überhaupt, lassen wir das. Ich bedauere ihn im Grunde ganz ebensosehr wie du, aber – nun ist er doch einmal tot, der gute Kerl; – erzähle mir lieber was von dir, was du getrieben hast, wie's dir ergangen ist.

Loth. Es ist mir so ergangen, wie ich's erwarten mußte. – Hast du gar nichts von mir gehört? – durch die Zeitungen, mein' ich.

Hoffmann, ein wenig befangen. Wüßte nicht.

Loth. Nichts von der Leipziger Geschichte?

Hoffmann. Ach so, das! – Ja! – Ich glaube ... nichts Genaues.

Loth. Also, die Sache war folgende ...

Hoffmann, seine Hand auf Loths Arm legend. Ehe du anfängst – willst du denn gar nichts zu dir nehmen?

Loth. Später vielleicht.

Hoffmann. Auch nicht ein Gläschen Kognak?

Loth. Nein. Das am allerwenigsten.

Hoffmann. Nun, dann werde ich ein Gläschen ... Nichts besser für den Magen. Holt Flasche und zwei Gläschen vom Büfett, setzt alles auf den Tisch vor Loth. Grand Champagne, feinste Nummer; ich kann ihn empfehlen. – Möchtest du nicht ...?

Loth. Danke.

Hoffmann kippt das Gläschen in den Mund. Oah! – na, nu bin ich ganz Ohr.

Loth. Kurz und gut: da bin ich eben sehr stark hineingefallen.

Hoffmann. Mit zwei Jahren, glaub' ich?!

Loth. Ganz recht! Du scheinst es ja doch also zu wissen. Zwei Jahre Gefängnis bekam ich, und nach dem haben sie mich noch von der Universität relegiert. Damals war ich – einundzwanzig. – Nun! in diesen zwei Gefängnisjahren habe ich mein erstes volkswirtschaftliches Buch geschrieben. Daß es gerade ein Vergnügen gewesen, zu brummen, müßte ich allerdings lügen.

Hoffmann. Wie man doch einmal so sein konnte! Merkwürdig! So was hat man sich nun allen Ernstes in den Kopf gesetzt. Bare Kindereien sind es gewesen, kann mir nicht helfen, du! – nach Amerika auswandern, 'n Dutzend Gelbschnäbel wie wir! – wir und Musterstaat gründen! Köstliche Vorstellung!

Loth. Kindereien?! – tjaa! In gewisser Beziehung sind es auch wirklich Kindereien gewesen; wir unterschätzten die Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens.

Hoffmann. Und daß du nun wirk-lich hinausgingst – nach Amerika – al-len Ernstes mit leeren Händen ... Denk doch mal an, was es heißt, Grund und Boden für einen Musterstaat mit leeren Händen erwerben zu wollen: das ist ja beinah ver... jedenfalls ist es einzig naiv.

Loth. Ach, gerade mit dem Ergebnis meiner Amerikafahrt bin ich ganz zufrieden.

Hoffmann, laut auflachend. Kaltwasserkur, vorzügliche Resultate, wenn du es so meinst ...

Loth. Kann sein, ich bin etwas abgekühlt worden; damit ist mir aber gar nichts Besonderes geschehen. Jeder Mensch macht seinen Abkühlungsprozeß durch. Ich bin jedoch weit davon entfernt, den Wert der ... nun, sagen wir hitzigen Zeit zu verkennen. Sie war auch gar nicht so furchtbar naiv, wie du sie hinstellst.

Hoffmann. Na, ich weiß nicht?!

Loth. Du brauchst nur an die Durchschnittskindereien unserer Tage denken: das Couleurwesen auf den Universitäten, das Saufen, das Pauken. Warum all der Lärm? Wie Fips zu sagen pflegte: um Hekuba! – – Um Hekuba drehte es sich bei uns doch wohl nicht; wir hatten die allerhöchsten menschheitlichen Ziele im Auge. Und abgesehen davon, diese naive Zeit hat bei mir gründlich mit Vorurteilen aufgeräumt. Ich bin mit der Scheinreligion und Scheinmoral und mit noch manchem anderen ...

Hoffmann. Das kann ich dir ja auch ohne weiteres zugeben. Wenn ich jetzt doch immerhin ein vorurteilsloser, aufgeklärter Mensch bin, dann verdanke ich das, wie ich gar nicht leugne, den Tagen unseres Umgangs. – Natürlicherweise! – Ich bin der letzte, das zu leugnen. – Ich bin überhaupt in keiner Beziehung Unmensch. Nur muß man nicht mit dem Kopfe durch die Wand rennen wollen. – Man muß nicht die Übel, an denen die gegenwärtige Generation leider Gottes krankt, durch noch größere verdrängen wollen; man muß – alles ruhig seinen natürlichen Gang gehen lassen. Was kommen soll, kommt! Praktisch, praktisch muß man verfahren! Erinnere dich! Ich habe das früher gerade so betont, und dieser Grundsatz hat sich bezahlt gemacht. – Das ist es ja eben. Ihr alle – du mit eingerechnet! –, ihr verfahrt höchst unpraktisch.

Loth. Erklär mir eben mal, wie du das meinst.

Hoffmann. Einfach! Ihr nützt eure Fähigkeiten nicht aus. Zum Beispiel du: 'n Kerl wie du, mit Kenntnissen, Energie et cetera, was hätte dir nicht offengestanden! Statt dessen, was machst du? Kompro-mit-tierst dich von vornherein der-art ... na, Hand aufs Herz! hast du das nicht manchmal bereut?

Loth. Ich konnte nicht gut bereuen, weil ich ohne Schuld verurteilt worden bin.

Hoffmann. Kann ich ja nicht beurteilen, weißt du.

Loth. Du wirst das gleich können, wenn ich dir sage: die Anklageschrift führte aus, ich hätte unseren Verein Vancouver-Island nur zum Zwecke parteilicher Agitation ins Leben gerufen; dann sollte ich auch Geld zu Parteizwecken gesammelt haben. Du weißt ja nun, daß es uns mit unseren kolonialen Bestrebungen ernst war, und was das Geldsammeln anlangt, so hast du ja selbst gesagt, daß wir alle miteinander leere Hände hatten. Die Anklage enthält also kein wahres Wort, und als Mitglied solltest du das doch ...

Hoffmann. Na – Mitglied war ich doch wohl eigentlich nicht so recht. – Übrigens glaube ich dir selbstredend. – Die Richter sind halt immer nur Menschen, muß man nehmen. – Jedenfalls hättest du, um praktisch zu handeln, auch den Schein meiden müssen. Überhaupt: ich habe mich in der Folge manchmal baß gewundert über dich: Redakteur der Arbeiterkanzel, des obskursten aller Käseblättchen – Reichstagskandidat des süßen Pöbels! Und was hast du nu davon? – versteh mich nicht falsch! Ich bin der letzte, der es an Mitleid mit dem armen Volke fehlen läßt, aber wenn etwas geschieht, dann mag es von oben her ab geschehen! Es muß sogar von oben herab geschehen, das Volk weiß nun mal nicht, was ihm not tut – das Vonunten- herauf, siehst du, das eben nenne ich das Mit-dem-Kopfdurch-die-Wand-Rennen.

Loth. Ich bin aus dem, was du eben gesagt hast, nicht klug geworden.

Hoffmann. Na, ich meine eben: sieh mich an! Ich habe die Hände frei: ich könnte nu schon anfangen, was für die Ideale zu tun. – Ich kann wohl sagen, mein praktisches Programm ist nahezu durchgeführt. Aber ihr ... immer mit leeren Händen, was wollt denn ihr machen?

Loth. Ja, wie man so hört: du segelst stark auf Bleichröder zu.

Hoffmann, geschmeichelt. Zu viel Ehre – vorläufig noch. Wer sagt das? – Man arbeitet eben seinen soliden Stiefel fort: das belohnt sich naturgemäß – wer sagt das übrigens?

Loth. Ich hörte drüben in Jauer zwei Herren am Nebentisch davon reden.

Hoffmann. Ä! du! – Ich habe Feinde! – Was sagten die denn übrigens?

Loth. Nichts Besonderes. Durch sie erfuhr ich, daß du dich zur Zeit eben hier auf das Gut deiner Schwiegereltern zurückgezogen hast.

Hoffmann. Was die Menschen nicht alles ausschnüffeln! Lieber Freund! Du glaubst nicht, wie ein Mann in meiner Stellung auf Schritt und Tritt beobachtet wird. Das ist auch so'n Übelstand des Reich ... – Die Sache ist nämlich die: ich erwarte der größeren Ruhe und gesünderen Luft wegen die Niederkunft meiner Frau hier.

Loth. Wie paßt denn das aber mit dem Arzt? Ein guter Arzt ist doch in solchen Fällen von allergrößter Wichtigkeit. Und hier auf dem Dorfe ...

Hoffmann. Das ist es eben, der Arzt hier ist ganz besonders tüchtig; und, weißt du, so viel habe ich bereits weg: Gewissenhaftigkeit geht beim Arzt über Genie.

Loth. Vielleicht ist sie eine Begleiterscheinung des Genies im Arzt.

Hoffmann. Meintwegen, jedenfalls hat unser Arzt Gewissen. Er ist nämlich auch so'n Stück Ideologe, halb und halb unser Schlag – reüssiert schauderhaft unter Bergleuten und auch unter dem Bauernvolk. Man vergöttert ihn geradezu. Zuzeiten übrigens 'n recht unverdaulicher Patron, 'n Mischmasch von Härte und Sentimentalität. Aber, wie gesagt, Gewissenhaftigkeit weiß ich zu schätzen! – Unbedingt! – Eh ich's vergesse ... es ist mir nämlich darum zu tun ... man muß immer wissen, wessen man sich zu versehen hat ... Höre! ... sage mir doch ... ich seh' dir's an, die Herren am Nebentische haben nichts Gutes über mich gesprochen. – Sag mir doch, bitte, was sie gesprochen haben.

Loth. Das sollte ich wohl nicht tun, denn ich will dich nachher um zweihundert Mark bitten, geradezu bitten, denn ich werde sie dir wohl kaum je wiedergeben können.

Hoffmann zieht ein Scheckbuch aus der Brusttasche, füllt Scheck aus, übergibt ihn Loth. Bei irgendeiner Reichsbankfiliale ... Es ist mir'n Vergnügen ...

Loth. Deine Fixigkeit übertrifft alle meine Erwartungen. – Na! – ich nehm' es dankbar an, und du weißt ja: übel angewandt ist es auch nicht.

Hoffmann, mit Anflug von Pathos. Ein Arbeiter ist seines Lohnes wert! – Doch jetzt, Loth, sei so gut, sag mir, was die Herren am Nebentische ...

Loth. Sie haben wohl Unsinn gesprochen.

Hoffmann. Sag mir's trotzdem, bitte! – Es ist mir lediglich interessant, ledig-lich interessant –

Loth. Es war davon die Rede, daß du hier einen anderen aus der Position verdrängt hättest – einen Bauunternehmer Müller.

Hoffmann. Na-tür-lich! diese Geschichte!

Loth. Ich glaube, der Mann sollte mit deiner jetzigen Frau verlobt gewesen sein.

Hoffmann. War er auch. – Und was weiter?

Loth. Ich erzähle dir alles, wie ich es hörte, weil ich annehme: es kommt dir darauf an, die Verleumdung möglichst getreu kennenzulernen.

Hoffmann. Ganz recht! Also?

Loth. Soviel ich heraushörte, soll dieser Müller den Bau einer Strecke der hiesigen Gebirgsbahn übernommen haben.

Hoffmann. Ja! Mit lumpigen zehntausend Talern Vermögen. Als er einsah, daß dieses Geld nicht zureichte, wollte er schnell eine Witzdorfer Bauerntochter fischen; meine jetzige Frau sollte diejenige sein, welche.

Loth. Er hätte es, sagten sie, mit der Tochter, du mit dem Alten gemacht. – Dann hat er sich ja wohl erschossen?! – Auch seine Strecke hättest du zu Ende gebaut und noch sehr viel Geld dabei verdient.

Hoffmann. Darin ist einiges Wahre enthalten, doch – ich könnte dir eine Verknüpfung der Tatsachen geben ... Wußten sie am Ende noch mehr dergleichen erbaulichen Dinge?

Loth. Ganz besonders – muß ich dir sagen – regten sie sich über etwas auf: sie rechneten sich vor, welch ein enormes Geschäft in Kohlen du jetzt machtest, und nannten dich einen ... na, schmeichelhaft war es eben nicht für dich. Kurz gesagt, sie erzählten, du hättest die hiesigen dummen Bauern beim Champagner überredet, einen Vertrag zu unterzeichnen, in welchem dir der alleinige Verschleiß aller in ihren Gruben geförderter Kohle übertragen worden ist gegen eine Pachtsumme, die fabelhaft gering sein sollte.

Hoffmann, sichtlich peinlich berührt, steht auf. Ich will dir was sagen, Loth ... Ach, warum auch noch darin rühren? Ich schlage vor, wir denken ans Abendbrot, mein Hunger ist mörderisch. – Mörderischen Hunger habe ich. Er drückt auf den Knopf einer elektrischen Leitung, deren Draht in Form einer grünen Schnur auf das Sofa herunterhängt; man hört das Läuten einer elektrischen Klingel.

Loth. Nun, wenn du mich hierbehalten willst – dann sei so gut ... ich möchte mich eben 'n bißchen säubern.

Hoffmann. Gleich sollst du alles Nötige ... Eduard tritt ein, Diener in Livree. Eduard! führen Sie den Herrn ins Gastzimmer.

Eduard. Sehr wohl, gnädiger Herr.

Hoffmann, Loth die Hand drückend. In spätestens fünfzehn Minuten möchte ich dich bitten zum Essen herunterzukommen.

Loth. Übrig Zeit. Also Wiedersehen!

Hoffmann. Wiedersehen!