Vorurteile, Stereotype und soziale Diskriminierung - Susann Schlömilch - E-Book

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Susann Schlömilch

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Beschreibung

Studienarbeit aus dem Jahr 2012 im Fachbereich Didaktik - Theologie, Religionspädagogik, Humboldt-Universität zu Berlin (Praktische Theologie), Sprache: Deutsch, Abstract: Vorurteile spielen - bewusst oder unbewusst - in unserem täglichen Leben, insbesondere in der zwischenmenschlichen Interaktion eine große Rolle. Wie im aufgeführten Zitat angedeutet wird, scheint sich die Bedeutung des Vorurteils allein auf eine ausschließlich negative zu beschränken. Inwiefern dies gerechtfertigt ist, soll Gegenstand dieser Arbeit sein. So beschäftigt sich diese Darstellung mit den verschiedenen Formen der sozialen Einstellungen: dem Vorurteil, dem Stereotyp und der sozialen Diskriminierung. Anhand verschiedener Theorien soll der Frage ihrer Entstehung und ihrer Änderungsresistenz nachgegangen werden aber auch der ihrer verschiedenen Funktionen. Das Wissen um diese Phänomene menschlichen Zusammenlebens ist auch für den schulischen Kontext von großer Bedeutung. So führen Vorurteile nicht selten zu Konflikten zwischen und zu Mobbing von Schülerinnen und Schülern. Doch dürfen Lehrkräfte nicht vergessen, dass sie auch selbst in Bezug auf die Wahrnehmung ihrer SuS nicht frei von Vorurteilen sind. Daher ist es wichtig, das eigene Verhalten in dieser Hinsicht kritisch zu reflektieren. Ferner ist es notwendig, verschiedene Möglichkeiten des Intervenierens zu kennen. Daher sollen in dieser Arbeit verschiedene allgemeine Ansätze zum Abbau und zur Prävention von Vorurteilen und Stereotypen vorgestellt und diese in einem zweiten Schritt auf den schulischen Kontext angewendet werden.

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Inhaltsverzeichnis

 

1. Einleitung

2. Soziale Einstellungen und ihre Funktionen - ein Überblick

2.1. Das Vorurteil

2.2. Das Stereotyp

2.2.1. Funktionen von Vorurteilen und Stereotypen

2.2.2. Fehlerhafte Urteilsprozesse bei Vorurteilen und Stereotypen

2.3. Die Soziale Diskriminierung

2.3.1. Funktionen der sozialen Diskriminierung

3. Ansätze zur Entstehung von Vorurteilen und Stereotypen

3.1. Die Theorie der autoritären Persönlichkeit nach Adorno

3.2. Die Theorie des realistischen Gruppenkonflikts nach Sherif

3.3. Die Theorie der sozialen Identität nach Tajfel

4. Prävention und Abbau von Vorurteilen

4.1. Die Kontakthypothese

4.2. Die Hypothese der Informations- und Wissensvermittlung

4.3. Konsequenzen für Schule und Unterricht

4.3.1. Die Realisierung der Kontakthypothese im schulischen Kontext

4.3.2. Die Vermittlung von Information und Wissen im schulischen Kontext

5. Fazit

Bibliografie

 

1. Einleitung

 

 In Bruchteilen von Sekunden entscheiden wir, ob jemand vertrauenswürdig, intelligent oder kriminell aussieht. Manchmal ordnen wir einen Menschen gar nach seinem Namen ein. Unser Leben wird von Vorurteilen geleitet. Dabei sind diese nicht harmlos – und fast unmöglich aus dem Bewusstsein zu löschen.[1]

 

Vorurteile spielen - bewusst oder unbewusst - in unserem täglichen Leben, insbesondere in der zwischenmenschlichen Interaktion eine große Rolle. Wie im aufgeführten Zitat angedeutet wird, scheint sich die Bedeutung des Vorurteils allein auf eine ausschließlich negative zu beschränken. Inwiefern dies gerechtfertigt ist, soll Gegenstand dieser Arbeit sein. So beschäftigt sich diese Darstellung mit den verschiedenen Formen der sozialen Einstellungen: dem Vorurteil, dem Stereotyp und der sozialen Diskriminierung. Anhand verschiedener Theorien soll der Frage ihrer Entstehung und ihrer Änderungsresistenz nachgegangen werden aber auch der ihrer verschiedenen Funktionen.

 

Das Wissen um diese Phänomene menschlichen Zusammenlebens ist auch für den schulischen Kontext von großer Bedeutung. So führen Vorurteile nicht selten zu Konflikten zwischen und zu Mobbing von Schülerinnen und Schülern[2]. Doch dürfen Lehrkräfte nicht vergessen, dass sie auch selbst in Bezug auf die Wahrnehmung ihrer SuS nicht frei von Vorurteilen sind. Daher ist es wichtig, das eigene Verhalten in dieser Hinsicht kritisch zu reflektieren. Ferner ist es notwendig, verschiedene Möglichkeiten des Intervenierens zu kennen. Daher sollen in dieser Arbeit verschiedene allgemeine Ansätze zum Abbau und zur Prävention von Vorurteilen und Stereotypen vorgestellt und diese in einem zweiten Schritt auf den schulischen Kontext angewendet werden.

 

2. Soziale Einstellungen und ihre Funktionen - ein Überblick

 

Jedes menschliche Verhalten ist auf Einstellungen und soziale Determinationen zurückzuführen.[3] Dabei werden Einstellungen definiert[4] als „subjektive[...]Theorien[Hervorhebung im Original] eines Menschen bezüglich eines Einstellungsobjektes.“[5] Diese „können auch als Schemata, in denen das gesamte Wissen und die Gefühle über Einstellungsobjekte abgespeichert und verfügbar sind [...]“[6] verstanden werden. Somit sind Einstellungen „relativ beständige Bezugssysteme“[7], anhand derer es zur Messung und Beurteilung von Ereignissen und Sachverhalten kommt und die zur Orientierung dienen. Wesentliche Merkmale dieser Bezugssysteme sind eine relative Stabilität von Zeit und Situation. Weiterhin werden soziale Einstellungen als „hypothetische Konstrukte“[8] bezeichnet, da sie nicht direkt beobachtbar sind, sondern lediglich das daraus resultierende Verhalten bzw. Handeln. Peter O. Güttler weist jedoch darauf hin, dass sich Einstellung und Verhalten auch durchaus widersprechen können. Dies ist darauf zurückzuführen, dass das Verhalten nicht nur von individuellen Einstellungen bestimmt ist, sondern auch von gesellschaftlichen Normen oder einem sogenanntenpeer pressurebeeinflusst wird. Andere Erklärungsmuster sind situative Zwänge oder die Relevanz mehrerer Einstellungen für ein Verhalten.[9]

 

DerDreikomponenten Ansatz der Einstellungvon Rosenberg & Hovland (1960), der auch alsStrukturmodell der Einstellungbezeichnet wird, unterscheidet drei Einstellungskomponenten, durch die jede Einstellung eingeordnet werden kann. DiekognitiveKomponente fasst Wahrnehmungsreaktionen sowie verbale Überzeugungen, Meinungen, Glauben, Wissen, Urteile und das subjektive Wissen über ein Einstellungsobjekt. Zuraffektivenzählen verbale Äußerungen über Gefühle, Bewertung und Evaluation sowie das „sich wohl bzw. unwohl fühlen bei Urteilen über soziale Kategorien oder Einstellungsobjekte [...]“[10]. DiekonativeKomponente, die auch als verhaltensorientierte oder aktionale beschrieben wird, beinhaltet eine Verhaltenstendenz bzw -absicht sowie die Bereitschaft zum Handeln, aber auch die Mitteilungen einer Person über das eigene Verhalten.[11]

 

2.1. Das Vorurteil[12]

 

 Vorurteile sind Urteile bzw. Aussageformen über Personen und Personengruppen, die falsch, voreilig, verallgemeinernd und klischeehaft sind, nicht an der Realität überprüft wurden, meist eine extrem negative Bewertung beinhalten und stark änderungsresistent[13], d.h. durch neue Informationen nur schwer oder kaum zu modifizieren sind und sich somit durch eine bemerkenswerte Stabilität auszeichnen.[14]

 

Die psychologische Vorurteilsforschung ist in den letzten Jahren dazu übergegangen, Vorurteile als eine bestimmte Unterkategorie bzw. Teilklasse sozialer Einstellungen aufzufassen.[15] Da sie „eine gefühlsmäßige Tönung stereotyper Urteile“[16] darstellen, werden sie nach dem im vorherigen Abschnitt ausgeführten Dreikomponenten-Modell der Einstellung vor allem der affektiven Komponente zugeordnet.[17]

 

Vorurteile werden als „Pseudo-Urteile“ bezeichnet, da sie nicht die Kriterien eines Urteils erfüllen (z.B. Empirie). So muss die eigene Verbindlichkeit eines persönlichen Urteils „keineswegs überindividuell verbindlich sein, d.h. die individuelle Begrenztheit eines Urteils erlaubt keine Verallgemeinerung.“[18] Umso problematischer ist es, dass Vorurteile - wie in der oberen Definition beschrieben - so änderungsresistent sind. Güttler hebt besonders hervor, „daß [sic!] ein Vorurteil neben dem kommunikativenInhaltsaspektauch immer eine Aussage über den (gestörten)Beziehungsaspekt[Hervorhebung im Original] sozialer Gruppen bzw. deren Mitglieder beinhaltet.“[19] Daher sind Vorurteile über Fremdgruppen immer relational zu verstehen. Der (gestörte) Beziehungsaspekt steht dabei über dem Inhaltsaspekt und bestimmt, wie dieser zu verstehen ist.[20]

 

In der Auseinandersetzung mit Vorurteilen[21] gilt aber auch zu bedenken, dass dieser Begriff zumeist nur sehr einseitig - überwiegend negativ - und auf bestimmte Aspekte beschränkt[22], gebraucht wird. Zwar gebe es auch positive Einstellungen[23], die durch die typischen Merkmale eines Vorurteils charakterisiert sind, doch werden diese „nur ganz selten in die Kategorie Vorurteil subsumiert.“[24]

 

2.2. Das Stereotyp

 

Die kognitive Komponente des Vorurteils wird als Stereotyp[25] bezeichnet.[26] Diese sind vereinfachte Repräsentationen der sozialen Umwelt bzw. kognitive Schemata, die der effektiven Verarbeitung von Informationen sowie der schnellen Orientierung in der Umwelt dienen.[27] Walter Lippmann[28] hat dies wie folgt ausgedrückt:

 

 [D]ie reale Umgebung ist insgesamt zu groß, zu komplex und auch zu fließend, um direkt erfasst zu werden. Wir sind nicht so ausgerüstet, dass wir es mit so viel Subtilität, mit so großer Vielfalt, mit so vielen Verwandlungen und Kombinationen aufnehmen könnten. Obgleich wir in dieser Umwelt handeln müssen, müssen wir sie in einfacherem Modell rekonstruieren, ehe wir damit umgehen können. Um die Welt zu durchwandern, müssen die Menschen Karten von dieser Welt haben.[29]

 

Allerdings beruhen diese „Karten“ auf „fehlerhaften und formelhaften Denkprozessen [...]“[30]. Problematisch ist daran, dass neue Erfahrungen aufgrund solcher Schemata nicht bzw. kaum objektiv und eher „pseudorational“[31] verarbeitet werden.

 

Als kulturelles Stereotyp werden Meinungen über soziale Gruppen, Nationen oder fremde Völker bezeichnet, die von vielen Menschen geteilt werden.[32] DasAutostereotypbezeichnet das Selbstbild oder die Vorstellungen, die eine Gruppe von sich selbst hat. EinHeterostereotypbeschreibt das Fremdbild, die Vorstellungen und Meinungen einerIngroupgegenüber einerOutgroup[33].[34]

 

2.2.1. Funktionen von Vorurteilen und Stereotypen

 

Verschiedene sozialpsychologische Forschungsarbeiten beschreiben im Wesentlichen sechs zentrale Funktionen von Vorurteilen. In meiner Darstellung beziehe ich mich - wenn nicht anders erwähnt - auf die Ausführungen von Alexander Thomas[35].

 

Dieser benennt zuerst dieOrientierungsfunktion. Vorurteile ermöglichen, sich in einer äußerst komplexen Welt zu orientieren, indem Personen und Objekte leicht eingeordnet und bewertet werden können. Dies gewährleistet, dass das menschliche Bedürfnis nach Handlungsfähigkeit sowie Kontrolle über sich und seine Umwelt erfüllt werden kann und dass eine „gesicherte Orientierung aufrecht [...] erhalten [wird]“[36], was vor allem bei Erstbegegnungen und in plötzlich auftretenden Handlungssituationen sehr hilfreich ist.

 

Vorurteile dienen auch der schnellenAnpassungan die „jeweiligen (sozialen) Lebensbedingungen, z.B. die vorherrschende Meinung, Wert- und Normvorstellungen und Handlungsregeln.“[37] Eine Folge dessen ist der Erhalt sozialer Belohnungen und Zuwendungen sowie eine Reduzierung von Bestrafungen, wie z.B. kritischen Äußerungen oder gar Kategorisierung als Außenseiter.

 

Als dritte Funktion von Vorurteilen nennt Thomas die derAbwehr. Sie ermöglichen zum einen, Schuldgefühle, psychische Konflikte und Selbstkritik abzuwehren und führen so zu einem positiven Selbstbild. Zum anderen dienen Vorurteile der „Abwehr, Abwertung, und Diskriminierung von Personen und Gruppen[38] mit der Folge positiver Selbsteinschätzung.“[39] Durch soziale Vergleichsprozesse zu einem positiven Selbstbild zu gelangen, befriedigt dabei ein zentrales menschliches Bedürfnis.

 

Mithilfe von Vorurteilen kann man sich vor Anderen als wissend, gebildet und kompetent im (Be-)Urteilen präsentieren. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass diese Einstellungen von den Kommunikationspartnern „geteilt, übernommen oder zumindest widerspruchslos [...]“[40] hingenommen werden. Daher dienen Vorurteile derSelbstdarstellunggegenüber der sozialen Umwelt.

 

Vorurteile ermöglichen auchAbgrenzungundIdentität. So fördern Vorurteile, die man mit Anderen teilt, das Gefühl der Zusammengehörigkeit. Gleichzeitig erlauben sie eine deutliche Abgrenzung von negativ beurteilten Außengruppen und ermöglichen gleichzeitig ein positiveres Autostereotyp.

 

DieSteuerungs-undRechtfertigungsfunktionwird zum einen genutzt, um das eigene Verhalten gegenüber Einstellungsobjekten zu steuern. Zu anderen, um Verhaltensweisen nachträglich zu rechtfertigen, indem man „seine vorurteilsbehafteten sozialen Einstellungen dem ausgeführten Verhalten anpasst.“[41]

 

2.2.2. Fehlerhafte Urteilsprozesse bei Vorurteilen und Stereotypen

 

An dieser Stelle sollen die typischen, fehlerhaften Urteilsprozesse, die bei Stereotypen und Vorurteilen auftreten, skizziert werden.[42] Hierbei handelt es sich umKategorisierungsprozesse[43], d.h., Klassifikationsschemata zur Strukturierung und Ordnung der komplexen Umwelt, die im Laufe der Sozialisation erworben wurden und sich im Alltag bewährt haben. Daher werden Menschen in sogenannte „Schubladen“ eingeordnet. Es kommt zur Typisierung statt zur Charakterisierung des Individuums. Dieses wird als Mitglied einer sozialen Gruppe betrachtet und behandelt, welche bestimmte (negative) Merkmale aufweist.

 

Ein anderer Urteilsprozess ist der derÜbergeneralisierung, d.h. es kommt zur vorschnellen, fehlerhaften Verallgemeinerung von Einzelerfahrungen und damit zur Vernachlässigung spezifischer Merkmale und Bedingungen.[44]

 

Akzentuierungsprozessewerden von Güttler als „Formeln von hoher Prägnanz [...]“[45] beschrieben, wie sie typologische Übertreibungen („Spagettifresser“) aufweisen. Akzentuierung beinhaltet sowohl die Annahme von Homogenität innerhalb einer sozialen Kategorie als auch die der Heterogenität zwischen Objekten verschiedener sozialer Kategorien.

 

Evaluationbeschreibt die Bewertung der kategorisierten Objekte nach Sympathie oder Antipathie. So führt eine negative Bewertung zur Verstärkung der wahrgenommenen Kontraste. Die Evaluation selbst kann auch die Funktion einer Klassifikation übernehmen.

 

Durch diese beschriebenen Prozesse sowie durch Wahrnehmungsverzerrungen, selektive Aufmerksamkeit, Vermeidungstendenzen etc. kommt es zur subjektiven Bestätigung der Vorurteile und Stereotypen. Kommt dann noch hinzu, dass das Verhalten der vom Vorurteil betroffenen Gruppe den „stereotypen Vorstellungen der superioren Gruppe [...]“[46] entspricht, bewahrheitet sich auf zweifache Weise ein „sozial konstruiertes Vorurteil“[47] - man spricht hierbei von„self-fulfilling prophecy“.[48]

 

2.3. Die Soziale Diskriminierung

 

Der konative bzw. behaviorale Aspekt des Vorurteils wird alssoziale Diskriminierungbezeichnet. Darunter versteht man, dass Menschen unterschiedlich behandelt und deren individuelle Eigenschaften und Vorzüge missachtet werden. Güttler führt hier beispielhaft die Verneinung gleicher Rechte, Beschäftigung oder Bezahlung; das Vermeiden von persönlichem Kontakt sowie das Verweigern der Kommunikation mit Mitgliedern von Minoritätengruppen

 

an.[49] Daher ist soziale Diskriminierung „eine Form der sozialen Aktion“[50], die einen Akteur und eine Zielperson bzw. -gruppe impliziert.

 

2.3.1. Funktionen der sozialen Diskriminierung

 

Güttler führt fünf Funktionen bzw. Aspekte der sozialen Diskriminierung an, „durch die eine Person einer Fremdgruppe von Mitgliedern einer Ingroup zunehmend ‚deindividuiert‘ wird.“[51] Diese Diskriminierungen werden durch verschiedene sprachliche Mitteilungen - auch relativ geläufige Sprachbilder - realisiert.[52]

 

Die erste Funktion beschreibt Güttler alsSeparation, worunter allgemein eine kognitive Trennung durch Klassifizierung und Kategorisierung von Menschen verstanden wird. Als sprachliches Beispiel führt er „,wir‘ versus ‚die‘ oder ‚sie‘“[53] an.

 

Ist solch eine Separation kognitiv vollzogen, besteht der nächste Schritt darin, dass dies auch äußerlich erkennbar wird. Dies erfolgt auf Grundlage derDistanzierung, die sowohl räumlich als auch ideell realisiert werden kann. Das sprachliche Spektrum reicht hierbei von abstrakten Wörtern oder bürokratischen Ausdrücken wie „Beamtenapparat“ bis hin zu menschenverachtenden Sprachkonstruktionen wie „Asylantenflut“ und „Rentner-schwemme“.[54]

 

Die dritte Funktion, die auf den ersten beiden aufbaut, beschreibt Diskriminierung alsAkzentuierung, d.h. „die Andersartigkeit der Menschen, die zuvor separiert und distanziert wurden, [wird nun] hervorgehoben, auffällig gemacht und unterstrichen.“[55] Dabei werden hauptsächlich die Unterschiede fokussiert, was zur weiteren Überbetonung der Differenzen zwischen den Kategorien bzw. Gruppierungen führt und „die konstruierte Dichotomisierung noch weiter polarisiert wird.“[56] Sprachlich realisiert wird dies in Kontrastbildungen und verbalen Polarisierungen wie „,Weiße‘ versus ‚Schwarze‘ oder ‚Normale‘ versus ‚Behinderte‘“.[57]

 

Durch die darauf basierendeEvaluierungdes entworfenen sozialen Kategoriensystems kommt es auch zur Formulierung affektiver Reaktionen gegenüber diesen Kategorien. Dabei wird die Außengruppe ab- und zumindest implizit die eigene Gruppe aufgewertet. Güttler weist darauf hin, dass in derartigen verunglimpfenden Äußerungen vor allem der „emotionale Aspekt des Vorurteils“[58] zum Tragen kommt. Verbale Beispiele hierfür sind „Schlitzaugen“, „Pfaffen“ etc.

 

Die bisher genannten und aufeinander aufbauenden Funktionen bzw. Aspekte der sozialen Diskriminierung münden in dieStereotypisierungbzw.Fixierung. So wird „[d]urch eine sozial-kommunikative Zuschreibung von spezifischen Eigenschaften oder durch Typisierungen [...] dieser kognitiv-emotionale soziale Diskriminierungsprozeß [sic!] abgerundet und fixiert.“[59] Der Diskriminierte wird nun nicht mehr als individuelle Person, sondern als ein beispielhaftes Exemplar einer sozialen Kategorie oder als typisches Mitglied einer Außen- bzw. Fremdgruppe behandelt. Der Betroffene wird zum einen deindividuiert und zum anderen werden ihm typische, zumeist negative Eigenschaften zugeschrieben, wodurch die Unterschiede zwischen den sozialen Kategorien fixiert werden. Güttler spricht hier von „Labeling“.[60] Ein Beispiel hierfür wäre: „Alle Arbeitslosen sind faul.“ Bei Wörtern wie „Krimineller“, „Penner“ etc. wird eine Person einem Stereotyp zugeordnet.

 

Konsequenz der Stereotypisierung ist, dass der Diskriminator vom Diskriminierten ein typisches Verhalten erwartet und sich anmaßt, zu wissen, wie er mit diesem umzugehen habe und dies auf alle Vertreter einer sozialen Kategorie generalisiert.[61]

 

Güttler führt des Weiteren die so genannteVermeidungshypothesean, die besagt, dass soziale Diskriminierung zumeist nicht in einer face to face Situation erfolgt, sondern in einem Reden über den Anderen. Es wird also vermieden, mit dem Diskriminierten direkt zu sprechen.[62]

 

3. Ansätze zur Entstehung von Vorurteilen und Stereotypen

 

Es gibt eine Vielzahl verschiedener theoretischer Ansätze, die die Entstehung und Entwicklung von Vorurteilen und Stereotypen erklären. Da diese Arbeit keine umfangreiche Darstellung der verschiedenen Ansätze leisten kann und soll, beschränke ich mich in meiner Darstellung auf eine Auswahl individuumsorientierter sowie sozialpsychologischer Ansätze.

 

3.1. Die Theorie der autoritären Persönlichkeit nach Adorno[63]

 

Ein individuumsorientierter Ansatz zur Entstehung von Vorurteilen und Stereotypen ist die Theorie der autoritären Persönlichkeit von Theodor W. Adorno. Dieser geht davon aus, „dass ethnische Vorurteile nicht Ergebnis von Motiv- oder Symptomprozessen sind, sondern sich mit bestimmten Charaktertypen, einer bestimmten Persönlichkeitsstruktur verbinden [...].“[64] Die Rekonstruktion solcher „verborgener“ Charakterstrukturen, die minoritätenfeindliche Ideologien und Vorurteile fördern, stehen daher im Zentrum des Interesses. Dabei dient die sogenannte „Faschismus-Skala“ zur Messung einer autoritären Persönlichkeit[65] aber auch der generellen Vorurteilsbereitschaft. Diese Skala besteht aus neun Variablen[66] bzw. Unterkonzepten, die zusammen ein Syndrom bilden, „d.h. ein mehr oder weniger stabiles Gefüge innerhalb der Struktur des Charakters, wodurch das Individuum für antidemokratische Propaganda anfällig wird.“[67] Güttler charakterisiert diese autoritäre Persönlichkeit als „sadomasochistisch, analfixiert, destruktiv, rigide, aggressiv, ängstlich, wenig anpassungsfähig und zwanghaft [...]“[68] und versteht das daraus resultierende vorurteilshafte Verhalten als Ausdruck des oben beschriebenen Syndroms. Des Weiteren kann davon ausgegangen werden, dass die autoritäre Persönlichkeit mit einem spezifischen Sozialisationsmilieu, das durch einen autoritären Erziehungsstil (z.B. Kontrolle, Macht, Gewalt, starke Normenorientierung) geprägt ist, in Verbindung gebracht werden kann. Anhand dieser Theorie ist zu schlussfolgern, dass Vorurteile stark mit Strukturen und Aspekten der Persönlichkeit verknüpft sind.[69] Obwohl die Theorie Adornos vielfach kritisiert[70] wurde, hat sie bis heute einen erheblichen Einfluss auf die psychologische und soziologische Forschung.

 

So modifizierte Detlef Oesterreich[71] das Konzept der autoritären Persönlichkeit und interpretierte diese in eine „autoritäre Reaktion“ um. Er versteht Autoritarismus nicht als Persönlichkeitsmerkmal, sondern als Reaktionsvariable, die unabhängig von der autoritären Persönlichkeit ist. Als Kern der autoritären Reaktion stellt er die Flucht in die (vermeintliche) Sicherheit von Autoritäten heraus, die Folge einer „emotionalen Verunsicherung“[72] ist. Daher definiert er „dieautoritäre Persönlichkeit[Hervorhebung im Original] [als] eine durch Lernprozesse verfestigte Bereitschaft zur Fluchtreaktion in die Sicherheit von Autoritäten, die zur Entwicklung positiver emotionaler Bindungen und zur Identifikation mit diesen führt.“[73] Die daraus resultierende Konsequenz ist die rigide Aneignung der Werte, Normen sowie Weltbilder und Deutungsmuster der Autoritätspersonen. Das führt dazu, dass der Angepasste große Schwierigkeiten in der Konfliktbewältigung besitzt und darin passiv, inflexibel und unselbständig erscheint.[74]

 

Von besonderem Interesse für die thematische Ausrichtung dieser Arbeit ist, dass Oesterreich „freie, demokratische und moderne Industriegesellschaften [...] für besonders geeignet [erachtet] autoritäre Persönlichkeiten hervorzubringen.“[75] Gründe hierfür sind größere Möglichkeiten hinsichtlich der eigenen Lebensgestaltung und damit einhergehende vielfältige komplexe Entscheidungsspielräume sowie hohe An- und Überforderungen, die zur Verunsicherung des Einzelnen führen können.[76] In diesem Kontext gilt es auch Oesterreichs Untersuchungen zu fremdenfeindlichen Einstellungen und Gewalthandlungen Jugendlicher gegenüber Migranten zu erwähnen. So korreliert das Autoritarismusmaß „hoch signifikant mit rechtsextremen Einstellungen[77], [...] Ausländerfeindlichkeit und mit der Befürwortung rechtsextremer Politiker und Gruppen.“[78]

 

3.2. Die Theorie des realistischen Gruppenkonflikts nach Sherif[79]

 

Zu den sozialpsychologischen Ansätzen zählt die klassische Gruppenforschung, die einen zentralen Stellenwert bezüglich der Erklärung von Vorurteilen besitzt. Die Theorie des „realistischen Gruppenkonflikts“, die ihren Namen Donald T. Campbell verdankt, gründet sich auf die sogenannten „Ferienlagerexperimente“ Muzafer Sherifs. Dieser fand heraus, dass Vorurteile zwischen Gruppen im Wettbewerb um Macht, Werte, Staus und andere knappe Ressourcen entstehen.[80] Somit hängen Konflikte zwischen Gruppen und negative Vorurteile und Stereotype zusammen bzw. verschärfen Vorurteile bestehende Konflikte noch weiter. Beachtenswert ist auch, dass sich Vorurteile in derartigen Konkurrenzsituationen nicht nur gegenüber fremden, sondern auch gegenüber bereits bekannten bzw. befreundeten Personen entwickeln. Durch die Wettbewerbs- bzw. Konkurrenzsituation entsteht eine „Gewinner-Verlierer-Orientierung“ und somit ein „realistischer Interessenkonflikt“[81], sodass die jeweils andere Gruppe als große Bedrohung wahrgenommen wird. So sollen die eigenen bedrohten Interessen und Ansprüche verteidigt bzw. durchgesetzt werden. Dies geschieht durch Abwertungen und Feindseligkeiten gegenüber der jeweiligen Fremdgruppe und führt gleichzeitig zur Aufwertung der eigenen Gruppe sowie zur Stärkung der Solidarität und Gruppenidentität.[82] Ist es zu solch einer Etablierung von „Feindschaft“ gekommen, „dann werden sogar äußerst angenehme Kontaktsituationen [...], die eher spannungsreduzierend und beziehungsfördernd sind, von den rivalisierenden Gruppen als eine günstige Gelegenheit zu Zank und Streit wahrgenommen und umfunktionalisiert.“[83] Kontakt und positive Informationen[84] über die andere Gruppe trugen an dieser Stelle nicht zur Auflösung intergruppaler Konflikte bei, sondern erst die gemeinsame „Abwehr“ einer anderen Fremdgruppe und das Zusammenarbeiten in verschiedenen Notsituationen.[85]

 

3.3. Die Theorie der sozialen Identität nach Tajfel[86]

 

Henri TajfelsSocial Identity Theoryist ebenfalls für die Erklärung von Vorurteilen von großer Bedeutung. Seine Untersuchungen, die auf der Grundlage des „Minimal-Group-Paradigmas“ basieren, führen zu dem Ergebnis, „dass eine Identifikation mit und Favorisierung der Eigengruppe schon unter minimalen Bedingungen erfolgt.“[87]

 

Wesentlich verantwortlich für diese Diskriminierung zwischen den Gruppen ist die bereits unter 2.2.2 beschriebene soziale Kategorisierung. Das heißt, dass „[n]icht nur die individuelle Beziehung [...] die soziale Interaktion [beeinflusst], sondern auch die Spezifität der Beziehung zwischen den Gruppen [...] von Bedeutung ist.“[88] Diese kommt durch die aus sozialen Vergleichsprozessen folgende Einteilung in Fremd- und Eigengruppe zustande. Um zu einer positiven Bewertung der eigenen Gruppe zu gelangen, bedarf es einer deutlichen Unterscheidung von der Fremdgruppe bzw. der Betonung der Unterschiede. Daher wird das Verhalten von Fremdgruppenmitgliedern eher dem (fremd)-gruppentypischen Verhaltenspol zugeordnet. Dadurch wird das individuelle „Verhalten als gruppentypisch klassifiziert und damit ‚depersonalisiert‘“.[89] Da das Mitglied der Fremdgruppe nur noch als Repräsentant der abgelehnten Merkmale der Fremdgruppe betrachtet wird[90], kommt es zur stabilen Stereotypisierung und Vorurteilsbildung gegenüber dieser. Mit dieser Theorie widersprach Tajfel der Hypothese Sherifs und Campbells[91], dass es einen realen Konflikt bzw. Wettbewerb um beispielsweise knappe Ressourcen bedarf, damit es zur Diskriminierung der Außen- bzw. Fremdgruppe und zur Bevorzugung derIngroupkommt.[92]

 

4. Prävention und Abbau von Vorurteilen

 

Es gibt eine Vielzahl verschiedener Ansätze[93] zum Abbau und Prävention von Vorurteilen. Zentrale Möglichkeiten stellen hierbei „Kontakt“ und „Information“ (als einstellungstheoretischer Ansatz) dar.[94] Diese werden im Folgenden näher ausgeführt.

 

4.1. Die Kontakthypothese

 

Die Kontakthypothese (contact approach) gilt als einer der wichtigsten Ansätze zur Reduktion von negativen Stereotypen. Diese geht auf Gordon W. Allport (1954) zurück. Seiner Theorie zufolge führt der Kontakt zwischen Gruppen dazu, Vorurteile abzubauen. Er unterscheidet hierbei zwischen quantitativen (Häufigkeit sowie Dauer der Kontakte, Anzahl der beteiligten Personen, Vielfalt möglicher Kontaktsituationen) und qualitativen Aspekten der Gruppenkontakte (Status der Personen, Rollenaspekte, soziale Atmosphäre, Persönlichkeitseigenschaften, Möglichkeiten der Begegnung).[95] Dass derartige Aspekte unbedingt notwendig sind und Kontakt allein nicht genügt, um Vorurteile abzubauen, haben Hewstone & Brown, Slavin, Aronson & Osherow sowie Tajfel dargestellt. So zeigten verschiedene Untersuchungen, dass nur Kontakt unter bestimmten günstigen Bedingungen zur Reduktion von Vorurteilen führt. Nach Ben-Ari & Amir sollte der Kontakt zwischen Mitgliedern des gleichen sozialen Status erfolgen. Des Weiteren sollte ein allgemeines soziales Klima bestehen, „das den Intergruppen-Kontakt unterstützt [...]“[96], und durch Autoritäten und soziale Institutionen hergestellt und betreut wird. Auch sollte der Kontakt einen „intimen Charakter“ haben und über ein oberflächliches Kennenlernen hinausgehen. In diesem Zusammenhang stehen auch personale Eigenschaften wie Offenheit und Aufgeschlossenheit für neue Kontakte, Erfahrungen und Perspektive. Weiterhin sollte die Kontaktaufnahme von den Betroffenen als „angenehm und belohnend empfunden werden [sowie] unter einer gemeinsamen Zielsetzung stehen [...]“[97], die zu Kooperation und nicht zu Wettbewerb führt.[98]

 

Es gilt aber zu beachten, dass sich bei „stark interpersonal gefärbten Kontakten [...]“[99] die Einstellungsänderung lediglich auf die spezielle Kontaktsituation und das konkret involvierte Individuum bezieht, sodass die Vorurteile gegenüber der Gruppe der Kontaktperson nicht abgebaut werden. Um dem entgegenzuwirken, sollte ein Kontakt zwischen prototypischen Vertretern von Gruppen angestrebt werden. Güttler weist allerdings darauf hin, dass „die jeweils gezeigten charakteristischen Verhaltensweisen zum bestehenden Stereotyp positiv deviant sein [müssen], sodaß [sic!] infolge einer wahrgenommenen Diskrepanz und Widersprüchlichkeit durch die konkrete Erfahrung eine Umstrukturierung und Korrektur des stereotypen Schemas und seiner Inhalte erfolgen kann.“[100]

 

4.2. Die Hypothese der Informations- und Wissensvermittlung

 

Die Forschungsrichtung der so genannteninformation approachgeht davon aus, dass „die Entwicklung negativer Stereotype[101] hauptsächlich das Resultat mangelhafter Kenntnisse, fehlerhafter Wissensbestände und allgemeiner Intoleranz ist.“[102]

 

Aus diesem Grund wurden zahlreiche Programme entwickelt, die durch gezielte Informations- und Wissensvermittlung Vorurteile aufbrechen und Möglichkeiten zum Umlernen- und -denken eröffnen sollen. Der Fokus liegt hierbei auf der „Modifikation und Revision der kognitiven Schemastruktur des jeweiligen Stereotyps, auf gründliche[r] Aufklärung über historisch-kulturelle Eigenarten, gesellschaftsspezifische Leistungen und Verdienste[n] der Fremdgruppe und [...] besonders [...] auf [der] Betonung der Ähnlichkeit zwischen den Gruppen bzw. sozialen Kategorien [...]“[103]. Das Herausstellen dieses letzten Punktes wird damit begründet, dass das Wahrnehmen von Ähnlichkeiten im Verhalten, Denken und Fühlen ein hohes Potenzial hat, um negative Einstellungen gegenüber der Fremd- bzw- Außengruppe zu revidieren und in positivere umzuwandeln.[104] In diesem Kontext sind auch Forschungsergebnisse von Tajfel zu nennen, die bestätigen, dass „vorurteilsbedingte Fremdgruppendiskriminierung abgeschwächt werden kann [...]“[105], wenn den Beteiligten eine „größere Auswahl von Kategorisierungsmöglichkeiten[106] zur Verfügung steht.“[107]

 

Teilweise stellt der Ansatz der Informations- und Wissensvermittlung eine gewisse Gratwanderung dar. So gilt es bei diesem Ansatz darauf zu achten, nicht überdeutlich die Unterschiede der Fremdgruppen zu betonen und dadurch möglicherweise die Intoleranz aber auch bestimme Ängste[108] gegenüber dieser zu verstärken. Im Umkehrschluss bedeutet das aber nicht, Homogenisierungen vorzunehmen oder unleugbare Differenzen zu verschweigen.[109] Güttler empfiehlt daher: „soziale und ethnische Disparitäten und Heterogenitäten objektiv und wirklichkeitsnah klarzustellen, unvoreingenommen begreiflich und akzeptabel zu machen und gegebenenfalls als legitime gruppenspezifische Differenzen zu deklarieren.“[110]

 

Wie diese beiden Ansätze in schulischen Kontexten angewendet werden können, wird im nächsten Abschnitt erläutert.

 

4.3. Konsequenzen für Schule und Unterricht

 

Wie im vorherigen Abschnitt ausgeführt, stellen „Kontakt“ und „Information“ zentrale Möglichkeiten zur Reduktion und Prävention von Vorurteilen und Stereotypen dar. Die Realisierung dieser beiden Aspekte ist in der Schule nicht nur möglich, sondern kann auch als entscheidender Auftrag dieser Institution verstanden werden.

 

4.3.1. Die Realisierung der Kontakthypothese im schulischen Kontext

 

Zwar sind SuS im Unterricht miteinander konfrontiert, doch genügt diese Tatsache nicht, um das Entstehen von Vorurteilen zu verhindern oder diese zu verringern bzw. abzubauen. Daher bedarf es (wie in 4.1 dargestellt) bestimmter günstiger Bedingungen. So ist die Qualität des Klassenklimas von entscheidender Bedeutung, denn nur in einer als angenehm empfundenen Atmosphäre, die von Offenheit und gegenseitigem Respekt geprägt ist, kann ein Raum für intensiveres Kennenlernen entstehen. Die Gestaltung eines solchen Raumes liegt wesentlich in der Verantwortung der Lehrkraft, die als Autorität diese Kontakte unterstützt. So sollte diese durch ihr eigenes Verhalten eine gewisse Vorbildfunktion erfüllen und sensibel sein für eventuell vorhandene bzw. auftretende Spannungen und Konflikte. Sie sollte in der Lage sein, diese zu artikulieren und Möglichkeiten des Intervenierens kennen und nutzen.[111] Ein entscheidender Punkt ist hierbei auch die Gestaltung der Lern- und Leistungskultur im Unterricht. Ist dieser permanent als Wettbewerbssituation durch eine soziale Bezugsnormorientierung[112] angelegt, verhindert er, dass der Kontakt zwischen den SuS als angenehm und belohnend empfunden wird und es stattdessen zu ständiger Konkurrenz, Neid aber auch Versagensängsten[113] kommt.[114] Um dem entgegenzuwirken, sollten Schülerleistungen vielmehr nach der kriterialen und individuellen Bezugsnorm bewertet werden, [115] da die SuS sich dadurch nach für alle gleichermaßen geltenden, transparenten Kriterien behandelt wissen, sich aber auch als Individuum wahrgenommen fühlen. Ein anderer entscheidender Aspekt der Unterrichtsgestaltung, der ebenfalls der Vermeidung von Wettbewerbssituationen dient, ist die Gestaltung des Unterrichts als kooperatives Lernen, besonders in heterogenen Gruppen. So sind die SuS, die in einer Gruppe zusammen arbeiten, voneinander abhängig, da sie nur gemeinsam das Ziel erreichen können (Interdependenz). Des Weiteren setzt diese Sozialform viele Interaktionsmöglichkeiten zwischen den SuS voraus, wodurch der Schüler-Schüler-Kontakt stark ansteigt. Auch gewährleisten die eingesetzten Lernmethoden den SuS einen gleichen Status in der Klasse. Durch die Initiierung und Betreuung des Unterrichts durch die Lehrkraft erfahren die SuS institutionelle Unterstützung.[116]

 

Kooperatives Lernen hat eine Vielzahl von positiven Effekten auf die SuS. Durch die Erfahrung der Interdependenz wird das Selbstkonzept und die Selbstwirksamkeit jedes Schülers bzw. jeder Schülerin gestärkt, wodurch der Entstehung von Vorurteilen präventiv begegnet wird. Auch werden Altruismus, Hilfsbereitschaft und Teambewusstsein gefördert. Dies trägt auch zur Persönlichkeitsentwicklung der SuS bei.

 

4.3.2. Die Vermittlung von Information und Wissen im schulischen Kontext

 

Wie im oberen Abschnitt dargestellt, kann die Vermittlung von Wissen und Informationen dazu beitragen, Vorurteilen und Stereotypen vorzubeugen bzw. diese abzubauen. Dies kann auf verschiedene Weise geschehen. So ist es wichtig, mit den SuS zu thematisieren, dass jeder Mensch bestimmte Stereotype und Vorurteile besitzt und diese Bestandteile des menschlichen Zusammenlebens sind. Es sollte eine offene Gesprächskultur darüber entstehen und jegliche Tabuisierung dieser Aspekte verhindert bzw. aufgebrochen werden. Sinnvoll wäre ebenfalls, menschliche Wahrnehmungs- und Bewertungsprozesse und damit verbundene Vorurteile, Stereotype und soziale Diskriminierung zum Unterrichtsgegenstand[117] zu machen, sodass die SuS diese in ihren vielfältigen Funktionen verstehen. In Anbetracht der Komplexität dieser Aspekte würde sich an dieser Stelle fächerübergreifender Unterricht (z.B. Deutsch, Religion, Ethik, Politik bzw. Sozialkunde, Geschichte, Biologie) anbieten. Ziel einer solchen Auseinandersetzung sollte sein, dass die SuS nicht nur um die vielfältigen Formen und Funktionen menschlicher Einstellung wissen und diese reflektieren können, sondern, dass sie diese auch wahrnehmen können sowie Möglichkeiten des Intervenierens und der Prävention kennen.

 

Bezogen auf den schulischen Religionsunterricht impliziert die Anwendung desinformation approacheine Vermittlung fundierten Wissens über andere Religionen, um eventuell vorhandene falsche Urteile oder sogar Ängste zu revidieren.[118] In Bezug auf die Frage nach den Unterschieden in den verschiedenen Religionen ist es zum einen wichtig, dass die SuS lernen, Spannungen auszuhalten (z.b. hinsichtlich des Wahrheitsanspruches), zum anderen aber auch bereit sind, neue Perspektiven einzunehmen und Empathie zu entwickeln. Gelungene Anknüpfungspunkte können aber auch die Gemeinsamkeiten der Religionen, gerade im Hinblick auf Normen und Werte (Nächstenliebe, Frieden, Toleranz, Solidarität), sein. [119]

 

Die unter Kapitel 4.2 thematisierten überlappenden Kategorien bieten auch große Chancen im Kontext multireligiöser und multinationaler Lerngruppen, denn wenn solche Kategorien gefunden und thematisiert werden können (hier eignen sich Themen wie Schule, Beziehung zu Eltern, Freunden oder der Frage nach Zukunft und dem, was einem wichtig ist), erscheint so manche(r) „fremde(r)“ und „komische(r)“ Schüler bzw. Schülerin gar nicht mehr so anders als man selbst. Hier gilt es für die Lehrkraft solche Situationen zu schaffen bzw. zuzulassen.

 

5. Fazit

 

In dieser Arbeit wurde auf Grundlage differenzierter Begriffs- und Funktionsbetrachtungen dargestellt, dass ein einseitiges negatives Verständnis der verschiedenen sozialen Einstellungen zu kurz greift. Dennoch darf dies nicht über die potentiellen Gefahren dieser hinwegtäuschen, denn gerade in Zeiten einer globalisierten, immer heterogener und damit noch komplexer werdenden Welt erscheinen derartige Vereinfachungen und Homogenisierungen ungemein verlockend.[120]

 

Dies gilt auch für die SuS zu bedenken, die durch immer heterogenere Klassenstrukturen komplexen Anforderungen ausgesetzt sind. Diese Herausforderungen gilt es im schulischen Alltag anzugehen und konstruktiv zu nutzen. So kann die Begegnung zwischen SuS verschiedener Herkunft und Religion auf verschiedene Weise im Unterricht gestaltet werden. So kann positiver Kontakt, der maßgeblich durch Kooperation und Interdependenz realisiert und durch eine kompetente Lehrkraft betreut wird, zum Abbau von vorhandenen Stereotypen und Vorurteilen beitragen. Dies sollte in Verbindung mit Wissens- und Informationsvermittlung einhergehen, denn nur dadurch sind Lehrkräfte und SuS in der Lage, Stereotype und Vorurteile im eigenen Verhalten und dem der Anderen wahrzunehmen und auch angemessen darauf zu reagieren. Sind Konflikte und soziale Diskriminierung wahrzunehmen, so muss dies immer thematisiert und eingegriffen werden und darf keineswegs „totgeschwiegen“ werden.

 

Erweisen sich Schulen und vielmehr die Lehrkräfte[121] als kompetent im Umgang mit diesen Phänomenen menschlichen Zusammenlebens, dann kann diese Institution zu einem Raum werden, in dem unterschiedliche Menschen zusammen kooperativ arbeiten und leben, Empathie, Multiperspektivität und Toleranz entwickeln und religiöse und kulturelle Vielfalt als großen Wert und Bereicherung und in gewisser Weise als selbstverständlich empfinden.

 

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Internet