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DIE MATT DRAKE ABENTEUER Weltumspannende Abenteuer, atemlose Action und die größten Rätsel der Menschheit – vom Gewinner des AMAZON Storyteller Awards 2017 David Leadbeater. In Amerika werden scheinbar unbescholtene Bürger in gnadenlose Attentäter verwandelt. Während Hayden und ihr Team versuchen, dieses tödliche Rätsel zu lösen, nimmt Mai im Alleingang eine Insel ein, und Drake legt auf seinem Weg nach Nordkorea einem Menschenhändlerring das Handwerk. Als all diese Puzzleteile schließlich ineinandergreifen, findet sich das Team in einem wortwörtlichen Wettrennen gegen die Zeit wieder, in einer tödlichen Fahrzeugschlacht, die nur die hartgesottensten Teilnehmer überleben … Mit irrem Tempo, rasanten Actionszenen und einer gehörigen Portion Humor eroberten David Leadbeaters Schatzjäger-Romane rund um Matt Drake und dessen verschworenem Team die Amazon-Bestsellerlisten im Sturm, und sorgten dafür, dass Leadbeater mit seiner Serie 2017 sogar den Amazon Kindle Storyteller Award gewinnen konnte.
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Dieses Buch ist für all die Leser, die E-Mails geschickt und mich über die sozialen Medien kontaktiert haben. In der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Diejenigen, die in Kontakt bleiben und mir den Tag versüßen, durch ihre netten Worte und Begeisterung.
Deutsche Erstausgabe Originaltitel: BROTHERS IN ARMS Copyright Gesamtausgabe © 2023 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Cover: Michael Schubert Übersetzung: Philipp Seedorf
Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2023) lektoriert.
ISBN E-Book: 978-3-95835-824-9
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Der alte Mann starrte durch das dreckige Fenster, eine leberfleckige Hand hielt den Hals einer leeren Weinflasche in einem zittrigen Würgegriff. Seine Augen waren weit aufgerissen, die Finger der linken Hand wanderten langsam über die Scheibe, als folgten sie einem mysteriösen Muster.
Draußen streiften Dämonen durch die Nacht.
Er kannte diese Dämonen. Er hatte sie schon viele Male gesehen. Er war sicher. Sie würden sich nicht die Mühe machen, jemanden wie ihn zu holen. Wie Höllenhunde tobten sie durch sein Zuhause, das nicht wirklich Sicherheit bot. Sie suchten sich diejenigen aus, die fitter und jünger waren als er, die niemand vermisste und die für irgendeinen finsteren, diabolischen Zweck gebraucht wurden.
Das hatte man ihm zumindest erzählt.
Von seiner erhöhten Position aus sah er voller Angst und Ekel zu, abgestumpft, weil er jahrelang auf der Straße gelebt hatte. Ein hochgewachsener Dämon, Dolch in der einen, Pistole in der anderen Hand, schritt zwischen den fragilen Behausungen der Menschen hindurch, die auf der Straße lebten. Er schlug um sich, zerstörte den wertvollen Besitz der Leute oder warf ihn durch die Gegend, um sich den Weg freizumachen. Seine Helfershelfer folgten ihm grinsend und plaudernd, ihre winzigen Augen leuchteten. Sie reflektierten das Feuer, das sich langsam ausbreitete.
Die Obdachlosen – die Verletzlichen und Verlorenen – kauerten sich zusammen, hofften, dass der Sturm an ihnen vorbeiziehen würde. Der alte Mann hob den Flaschenhals an den Mund und trank den letzten Schluck. Er machte ein saugendes Geräusch, als er den letzten Tropfen der Flüssigkeit aus der Literflasche saugte. Sein Blick wanderte einen Moment über die Dächer in Richtung des spanischen Strandes, der glitzernd unter dem Mondlicht lag und von der Brandung umspielt wurde. Bald würde er sorgfältig mit Rechen gesäubert sein, mit Strandliegen und Sonnenschirmen bedeckt. Die Ressourcen, die für die Touristen reserviert waren und nicht für die geknechteten Einheimischen.
Unterdessen wurde in der Hölle die Beute auseinandergetrieben. Der alte Mann sah zu, wie der große Dämon einen Mann nach dem anderen betrachtete, die meisten wie Lumpenpuppen zur Seite warf und nicht darauf achtete, wo sie landeten. Der alte Mann schätzte sich glücklich, dass er sich heute Abend einen anderen Platz zum Schlafen, und um seinen Wein zu trinken, gesucht hatte. Einen Ort, an dem ihn niemand störte oder ausraubte, während er schlief. Die bösen Männer unter ihm kümmerten sich nicht darum, welchen Schaden sie anrichteten. Verletzungen, Schmerz und gar Tod bedeuteten ihnen nichts. Wenn man es ihnen befahl und sie gut genug dafür bezahlte, würden sie dieselbe Arbeit auch im hellen Tageslicht verrichten.
Der alte Mann bekreuzigte sich und wünschte, die Flasche sei noch nicht leer. Er hatte dieses Mal Glück gehabt, aber es war nicht immer so gewesen – und es würde nicht immer so sein. Die Dämonen kamen mindestens zweimal im Jahr und suchten sich ihre Kandidaten aus, bevor sie wieder abzogen. Sie nahmen die Fittesten mit, die strampelten und schrien. Er wusste nicht, wohin sie in den anderen Nächten gingen. Besuchten sie verschiedene Orte wie diesen? Er vermutete es, aber es brachte nichts, darüber zu spekulieren. Das Leben hatte seine Hoffnungen und Träume vor langer Zeit in der Luft zerrissen. Er hatte keine Lust, die Stellung, die er für sich in der Gesellschaft akzeptiert hatte, in Gefahr zu bringen, weil er etwas infrage stellte, was seine Gefährten für normal hielten.
Vor Monaten war er einmal mitten in eine solche Razzia geraten. Er erinnerte sich noch an die Angst, die ihm bis in die Knochen gedrungen war, an den metallischen Geschmack der Verzweiflung im Mund. Der große Dämon hatte ihn gepackt und geschüttelt, sodass all seine Glieder gezappelt hatten wie eine besessene Marionette. Der Gestank des Bösen hatte an diesem Mann gehaftet. Aus der Nähe war er Satan – die Inkarnation des Teufels.
Sekunden später war der alte Mann auf den Boden geworfen worden, aussortiert, weil er zu verbraucht war. Zum Glück hatte er sich nichts gebrochen, höchstens ein paar blaue Flecken, sonst wäre er vielleicht an seinen Verletzungen gestorben. Der Dämon schlenderte weiter, seine Stiefelabsätze scharrten durch Dreck und Staub und verursachten ein metallisches Knirschen. Und dann war er stehen geblieben. Eine grausige Ankündigung durchschnitt die Luft, als der Dämon einen der Gefährten des alten Mannes vom Boden zerrte.
»Der hier ist okay.« Ein deutlicher, gutturaler Akzent. Die anderen sprachen Spanisch, aber dieser Dämon klang wie ein Russe.
Die nächsten Worte des Dämons ließen das Mark in seinen alten Knochen gefrieren.
»Keine Sorge, kleines Laborexperiment. Du hast nicht mehr viel Zeit übrig. Wir müssen noch mehr als ein Land durchqueren, bevor du stirbst.« Es kam ihm vor, als würde das raue Gelächter noch lange, nachdem die Helfer der Hölle den Unterschlupf der Obdachlosen verlassen hatten, durch die Luft hallen. Sie hatten Chaos und Verzweiflung hinterlassen.
Und nun beobachtete der alte Mann schweigend, wie sich die Geschichte wiederholte. Seine Augen würden es nicht sehen, sein Mund würde nichts sagen. Aber sein Herz würde brechen.
In den heutigen Zeiten war die Erde ein herzloser, selbstsüchtiger Ort. Für die Bedürftigen und Abhängigen gab es keine Sicherheit. Wer da draußen würde sich so weit herablassen, ihnen zu helfen?
Das Hauptquartier von Homeland Security liegt in einem Komplex in der Nebraska Avenue in Washington D.C. Auch wenn es nicht unbedingt der wichtigste Knotenpunkt für alarmierende Geheimdienstinformationen war, beschäftigte sich die Behörde doch ausgiebig mit terroristischen Bedrohungen, aus dem Inland und dem Ausland. Am 14. Januar 2013 erhielt sie eine Nachricht, die vielleicht überraschend war, aber nicht dafür sorgte, dass Menschen entsetzt aufschrien oder nach dem Panikknopf suchten.
Ganz anders als nur etwas über eine Woche später.
Die Nachricht stammte aus Asien, von irgendwo vor der Küste Nordkoreas. Es gab Spekulationen, dass sie von einer verlassenen Insel dort kam. Die Nachricht war kurz, aber beunruhigend.
»Unser Kriegsschiff ist zu der merkwürdigen Insel zurückgekehrt, von der ich bereits berichtet habe. Dieses Mal durfte ich das Schiff verlassen und an Land gehen. Ich sah Dinge, die ich nicht erwartet hatte. Ein riesiges, gut ausgestattetes Labor. Leichen von Europäern. Und noch schlimmer waren die … Experimente. Viele Waffen – aus Amerika, das Beste vom Besten. Manche futuristisch. Und noch etwas – es wurde ein mögliches Ziel erwähnt. Der US-Senator James Turner.«
Die Nachricht stammte von einem japanischen Agenten namens Dai Hibiki, der seit vielen Jahren undercover bei den Nordkoreanern arbeitete. Der Mann war so tief eingebettet, dass viele dachten, er sei übergelaufen. Oder ermordet worden. Er schickte nur unregelmäßig Botschaften und ihnen wurde die höchste Priorität eingeräumt.
Sie wurden durch einen japanischen Geheimdienst an Homeland Security weitergeleitet und dann, aufgrund einer kürzlich getroffenen Vereinbarung zwischen der japanischen und amerikanischen Regierung, sofort einer kleinen, geheimen Behörde übergeben.
Die kleine, geheime Behörde war frisch gegründet und sie hatte einen beeindruckenden neuen Namen. Special Response and Recon. Einige der Mitglieder nannten sie kurz SPEAR.
Die Behörde steckte noch in den Kinderschuhen und es einige Regierungen hatten bisher die erforderlichen Vollmachten verweigert – die Schweden spielten mit harten Bandagen und auch die Briten gaben sich erstaunlich widerspenstig. Andere Behörden, wie die japanischen, räumten der Behörde schneller eingeschränkte Berechtigungen ein, auf ihrem Boden zu operieren; vermutlich erhofften sie sich davon einen Vorteil.
Büroräume an der baumbestandenen Nebraska Avenue in Washington D.C. waren angemietet, gereinigt und möbliert worden. Aus den Fenstern auf der einen Seite des Gebäudes sah man den Park und auf der anderen den Campus einer Universität. Das sorgte für ein entspanntes Ambiente. Es gab jede Menge Platz und alles war sehr geräumig, aber es würde noch lange dauern, bis man sich hier heimisch fühlen konnte. Die Computer liefen schon; ein neu eingerichteter Mainframe-Rechner surrte vor sich hin und das Telefonsystem war online. Davon abgesehen wurden noch weitere Betriebssysteme und Hardware installiert. Viele »Spielzeuge«, auf die alle sehnsüchtig warteten, waren noch nicht vorhanden. Die Büros standen mit leeren Kartons voll und überall hingen Kabel. Ein Verhörraum wurde gerade gebaut, ebenso eine gesicherte Tiefgarage und ein hochmodernes Alarmsystem.
Aber der Weg von ein paar zusammengewürfelten Kameraden im Kampfeinsatz hin zu einem organisierten Team war nicht einfach. Die Teammitglieder waren so unterschiedlich, dass es ein sicheres Rezept für Chaos war. Mai Kitano und Alicia Myles waren beide brillant und instabil gleichzeitig. Hayden Jaye und Mano Kinimaka waren diszipliniert und zurückhaltend, was wiederum einengend wirken konnte. Ben und Karin Blake waren beide genial sowie unsicher und verletzlich zugleich. Torsten Dahl war der Supermann, auf den man sich stets verlassen konnte. Komodo blieb ganz der Soldat und ein treuer Freund.
Und dann war da noch Matt Drake. Mental zerstört durch den Tod seiner Frau, wiederaufgebaut durch die Liebe von Kennedy Moore und dann erneut gebrochen, weil der Blutkönig dafür gesorgt hatte, dass sie ermordet worden war. Drake war ein Mann, der darum kämpfte, sich an den Trümmern seines Lebens festzuklammern. Ständige Action und Chaos halfen ihm, damit fertig zu werden, aber die vergangenen zwei Wochen Stillstand hatten seine Fähigkeit, mit der Trauer umzugehen, schwer auf die Probe gestellt.
Tagsüber organisierte das Team sein neues Hauptquartier und begann, handverlesene Kommunikationskanäle zu überwachen; am Abend gewöhnten sie sich an ihre neue Stellung und das Leben in einer unbekannten Stadt. Sie lebten immer noch in Hotelzimmern, weil die übergeordneten Stellen es nicht gerade eilig hatten, ihnen allen Wohnungen zu besorgen.
Mai schlenderte durch den Kommunikationsraum ihres Hauptquartiers, nickte Drake zu und strich sich die Haare hinter die Ohren. »Gelangweilt?«
»Aye.« Drake hatte den Versuch aufgegeben, seinen Yorkshire-Akzent abzulegen, wenn er mit ihr redete. Sie kamen sich täglich näher. Er deutete auf die Reihe von Bildschirmen. »Hundert Kanäle und nichts, was man sich verdammt noch mal ansehen könnte.«
Alicia kicherte. »Bist du so scharf drauf, dich wieder ins Getümmel zu stürzen, Drakey? Das Gefecht in der Tschechischen Republik war dir wohl nicht groß genug?«
»Es hatte ein paar Höhepunkte«, gab Drake zu. »Aber Nichtstun kann einen schneller umbringen als eine Kugel. Das weißt du selbst.«
»Ich würde es nicht ›Nichtstun‹ nennen«, meinte Mai und gestikulierte quer durch den Raum. Die Techniker installierten immer noch die spezielle Isolation und ein Ventilationssystem. Momentan herrschte Ratlosigkeit und eifriges Kopfkratzen. Einige der Maße schienen nicht zu stimmen.
»Er meint Action.« Alicia kniff die Augen zusammen. »Ich könnte einen von denen erledigen, wenn du willst.«
»Wenn du das so sagst« – Drake seufzte – »weiß ich nicht, ob du ihn erschießen oder vögeln willst.«
Alicia nickte zustimmend. »Beides im Bereich des Möglichen.«
Drake sah Hayden, die auf sie zukam, Mano Kinimaka neben ihr, der sie stets im Auge behielt. In den letzten zwei Wochen waren sie umeinander herumgeschlichen und anscheinend unsicher, ob sie sich zueinander hingezogen fühlten. Aber keiner wollte den ersten Schritt machen. Für Mano lag es daran, dass die Sache zu wichtig war. Für Hayden hatte es andere Gründe. Wohl eine Mischung aus der Melancholie, die daraus entstanden war, dass sie sich von Ben getrennt hatte und der Druck im Job – sie war zum Teamleader von SPEAR ernannt worden – sowie der Druck, den sie auf sich selbst ausübte, weil sie immer noch im Schatten ihres berühmten Vaters stand. Es zählte nicht, dass sie bereits seine größten Taten übertroffen hatte. Sie glaubte, sie würde der Legende nie gerecht werden – egal, wie viel sie erreichte.
Drake verließ den Raum und betrat die kleine Küche. Komodo, der nicht nur ein erstaunlicher Kämpfer war, sondern auch Karins Freund, hatte sich darüber hinaus als erstklassiger Koch und Kaffeekenner erwiesen. Mit seinen genialen Fähigkeiten in der Küche hatte er sie alle schon so oft vor dem Verhungern gerettet, dass Drake nicht mehr mitgezählt hatte.
Komodo drückte gerade Knoblauch durch eine Knoblauchpresse, als Drake eintrat. Der Engländer atmete ein. »Riecht lecker.«
Komodo blinzelte. »Ist nur Spaghettisoße, Mann.«
»Für dich vielleicht.« Alicia war ihm gefolgt. »Aber nach Wochen von Feldrationen, die wie Odins Arsch schmecken, kann ich dir sagen, Trevor, dass deine Gerichte göttlich schmecken.«
Komodo schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht glauben, dass Karin ausgerechnet dir meinen Vornamen verraten hat.«
Alicia hob die Kaffeetasse. »Wir sind alle Freunde hier, Kumpel. Keiner hat eine geheime Agenda. Trevor ist ein toller, männlicher Name.«
Drake konzentrierte sich auf den kochenden Inhalt der Pfanne. Die Tatsache, dass Alicia von einer geheimen Agenda geredet hatte, lenkte nur die Aufmerksamkeit auf ihre eigene. Wenn sie eine hatte … Aber Drake kannte sie schon lange genug. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass sie jemals nicht insgeheim für sich selbst gearbeitet hätte.
Er schob sich durch die Tür und überließ Komodo sich selbst. Auf der anderen Seite des engen Korridors war der leere Konferenzraum, auf den bisher nicht viel Aufmerksamkeit gelegt worden war. Ein Stück weiter den Flur entlang waren Arbeiter und Techniker gerade dabei, sichere Büroräume zu errichten, den Verhörraum und einen Bunker im Keller für die Waffenkammer. Vielleicht auch noch andere geheime Anlagen, in die man ihn nicht eingeweiht hatte. Wer wusste, welche streng geheimen Pläne Jonathan Gates wirklich für diesen Ort hatte?
Drake war sicher, dass nicht einmal Hayden Jaye es wusste. Gates ließ sich nicht in die Karten schauen.
Er blieb kurz stehen. Der Konferenzraum war leer. Sein Leben war ein Trümmerhaufen, die Vergangenheit nichts als ein Aschehaufen. Aber Träume konnten sich ebenso leicht aus der Asche erheben, wie aus Ehre geboren werden, somit war seine Zukunft ein unbeschriebenes Blatt. Mai Kitano blieb ihm weiter ein Rätsel, wenn auch ein sehr verlockendes.
Er ließ die Fingerknöchel über die kahlen Wände gleiten, die eine Textur wie Sandpapier hatten und rau unter den Fingern waren. Das einzige Fenster des Raumes überblickte eine belebte Straße. Autos flitzten vorbei und hielten beim Einkaufszentrum gegenüber. Das Weiße Haus stand wie ein Monument in Richtung Südosten und Langley und die CIA lagen Richtung Westen.
Wohin soll für mich die Reise von hier aus gehen?
Er musste mit der Vergangenheit abschließen. Die vielen Schichten aus Bedauern und tief verwurzelter Schuld abtragen und sich ihr stellen. Der sonnigere Teil seines Gemüts fragte: Was nützt es schon, zu grübeln? Aber die dunklere Seite wollte mehr. Sie sehnte sich nach Action.
Sie versprach ihm, je mehr er sich in die Arbeit stürzte, desto weiter würden sich die Albträume der Schuld zurückziehen. Irgendjemand hat einmal gesagt, die Zeit heilt alle Wunden. Was für ein Blödsinn. Die Zeit bedeckt sie nur mit Narbengewebe. Das Herz und der Verstand vertieften den Verlust.
Am Ende des Flurs war Stimmengewirr zu hören. Hayden sagte etwas, dann Gates und schließlich Torsten Dahl. Der große Schwede hörte sich nicht sehr glücklich an. Jemand – es klang nach Karin – versuchte ihn zu überreden, leise zu sein. Viel Glück damit.
Drake seufzte. Die verdammten Experten hatten vermutlich das Lüftungssystem installiert. Leicht deprimiert schlenderte er wieder in die Kommandozentrale und war überrascht, als er sah, dass Mai – normalerweise ein Ausbund an Zurückhaltung – aufgeregt mit ihrem Boss debattierte, Jonathan Gates.
Sein Radar löste Alarm aus.
Auf einem der großen Bildschirme flackerte wiederholt eine Nachricht auf.
»Unser Kriegsschiff ist zu der merkwürdigen Insel zurückgekehrt, von der ich bereits berichtet habe. Dieses Mal durfte ich das Schiff verlassen und an Land gehen. Ich sah Dinge, die ich nicht erwartet hatte. Ein riesiges, gut ausgestattetes Labor. Leichen von Europäern. Und noch schlimmer waren die … Experimente. Viele Waffen – aus Amerika, das Beste vom Besten. Manche futuristisch. Und noch etwas – es wurde ein mögliches Ziel erwähnt. Der US-Senator James Turner.«
Eine blaue Flagge, die die Nachricht markierte, zeigte an, dass sie von Homeland Security stammte. Als Karin draufklickte, sah Drake, dass sie aus dem Hauptquartier der Japanese Defense Intelligence in Shinjuku, Tokio, weitergeleitet worden war.
Mai tippte Gates auf die Schulter. »Ich kenne diesen Mann, diesen Dai Hibiki, sehr gut. Er hat Jahre seines Lebens dieser Mission geopfert. Sie können nicht …«
»Genau mein Punkt. Jahre seines Lebens. Selbst die Japaner sind nicht ganz sicher, dass Hibiki nicht übergelaufen ist.«
»Ich habe es Ihnen doch gesagt, Gates. Ich kenne ihn.«
Angespanntes Schweigen senkte sich über den Raum. Dahl schüttelte den Kopf. »Das ist doch gar keine Frage«, sagte er. »Das ist eine Drohung gegen einen US-Staatsdiener. Das muss untersucht werden.«
»Sehe ich auch so«, meinte Hayden, die vielleicht jeden daran erinnern wollte, wer hier das Sagen hatte. Sie tippte mit der Kaffeetasse gegen einen Bildschirm. »Die Frage ist – sollen wir übernehmen oder es weitergeben?«
»Es geht nicht nur um die Sicherheit des Senators«, sagte Mai geduldig. »Die Insel sollte ebenfalls untersucht werden. Was passiert da?«
Drake las die Nachricht erneut. Die Worte ›Europäer‹, ›Experimente‹ und ›Waffen‹ stachen ihm wie Warnsignale ins Auge. »Special Response and Recon. Klingt genau nach unserer Kragenweite«, sagte er. Und alles, was ihn ablenkte, war es wert, genauer untersucht zu werden.
»Aber trauen Sie Hibiki nicht«, beharrte Gates. »Nicht, bis Sie mit ihm allein gesprochen haben.«
Mai sagte nichts.
Hayden ließ kurz ein Lächeln über die Lippen huschen. »Neues Team. Neue Mission. Neue Regeln. Wir reagieren. Wir klären auf, wir greifen nicht an. Und wir sind jetzt offiziell. Das heißt, keine Gesetze brechen.«
»Und wenn das nicht geht«, meldete sich Alicia, »sorgt dafür, dass niemand die Bastarde je findet.«
»Es gibt Leute, die wollen, dass dieses Team scheitert«, sagte Gates mit ernster Stimme. »Rivalen in der Regierung. Ich könnte gleich zwei nennen, ohne groß zu überlegen. Ich bin mir nur nicht sicher, wie sehr sie gegen mich agieren werden.«
Drake verstand das, aber es war der Kampfeinsatz, der ihm Sorgen machte, nicht die Politik. »Sie kümmern sich darum. Wir …« – er deutete auf den Bildschirm – »… kümmern uns um das hier.«
Hayden meldete sich zu Wort. »Mai. Drake. Ihr steigt in den Flieger. Der Rest von uns stellt Recherchen über Senator Turner an.«
Alicia blinzelte überrascht. »Was ist mit …?«
Mano warf ihr einen Blick zu. »Ich glaube, du fällst unter ›der Rest von uns‹.«
Alicia blaffte ihn an. »Echt jetzt, Mano? Ehrlich? Du machst dich hier lustig, nach allem, was ich über dich in der Bar erfahren habe?«
Der Hawaiianer schnaubte und hielt die Hände hoch. Tatsächlich konnte er sich an nicht viel an diesem Abend erinnern, als sie zusammen mit Daniel Belmonte getrunken und aus dem Nähkästchen geplaudert hatten, während die Nacht in Österreich sich dem Morgenrot zuneigte und sie nicht wussten, ob es ihr letzter Tag sein würde. Für einen von ihnen war es das auch, aber Belmonte hatte gekämpft bis zum bitteren Ende.
Kinimaka blieb vorsichtig. »Hier in D.C. wird auch nicht nur herumgeflirtet.«
Alicia warf Komodo einen Blick zu. »Verlass dich nicht drauf.«
Drake sah auf die Uhr und ging zu Mai. »Ist ein guter Plan. Ein kleines Team. Wir gehen nicht rein. Wir beobachten nur. Vielleicht kann Mai Kontakt zu Hibiki aufnehmen. Er kennt sie. Vielleicht macht er für sie eine Ausnahme.« Er ging auf die Tür zu und rief über die Schulter. »Schickt mir die Details in den Flieger. Ist ja langsam Zeit für ein bisschen Action!«
Die Lockheed C-130 hatte schon viele Einsätze für die United States Air Force hinter sich. Heute Abend transportierte sie Matt Drake, Mai Kitano und ein Viermann-Team aus Soldaten der Aufklärungseinheit der Marines über den nördlichen Pazifik auf ihr Ziel zu – eine kleine, namenlose Insel vor der Küste Koreas.
In dem viermotorigen Militärtransportflugzeug herrschte verhaltene Anspannung. Drake und Mai hatten einige Zeit im Kommunikationsbereich verbracht, aber nicht viel Neues während des Fluges erfahren. Das Team daheim in D.C. hatte mit der Recherche über diese Bedrohung begonnen, aber mit aller nötigen Diskretion – eine Anweisung von Gates.
Das war nicht gerade Drakes Stärke. Ebenso wenig die von Alicia, dachte Drake, aber sie waren nun in offiziellem Auftrag unterwegs und ihr Gönner, Gates, stand unter genauer Beobachtung.
Im Passagierbereich saßen die vier Marines herum und plauderten. Die Männer wirkten entspannt, aber nichts entging ihrer Aufmerksamkeit. Als Drake und Mai zurückkamen, richtete sich der Anführer des Teams, ein Mann namens Romero, in seinem Sitz auf.
»Alles in Ordnung?«
»Könnte besser sein«, murmelte Drake.
»Probleme zu Hause?«
Drake blinzelte und sah ihn an. Zuerst hatte er angenommen, der Soldat meinte, zu Hause in York, und wollte ihm gerade sagen, er solle sich um seinen eigenen Mist kümmern, aber dann wurde ihm klar, dass er das Hauptquartier gemeint hatte. Verdammt, dachte er, ich muss wirklich aufhören, Geschäft und Vergnügen zu vermischen.
Und dann berührte Mai seinen Arm und der Körperkontakt zerstörte auch diesen winzigen Vorsatz.
»Ja«, sagte er, »Senatoren erhalten jeden Tag Todesdrohungen. Es wird unmöglich sein, ihm klarzumachen, dass er es etwas ruhiger angehen soll.«
»Vielleicht ist es einfach nur das. Eine Drohung.« Romero schob sein kantiges Kinn vor und ließ den Blick schweifen, um die Stimmung einzuschätzen.
Mai seufzte. »Glauben Sie, ein japanischer Agent, der es geschafft hat, die Koreaner zu infiltrieren, würde sich melden, ohne einen guten Grund zu haben, Romero?«
»Vermute, nein«, sagte der Amerikaner und entspannte sich. »Aber wir werden es sicher herausfinden. Wir arbeiten alle für dasselbe Team, Miss.«
»Nennen Sie mich Mai.« Sie ging dicht genug an ihm vorbei, um ihn zu streifen, als sie zur Bar ging. »Einen Drink?«
Der Marine runzelte die Stirn. Drake wirkte einen Moment hoffnungsvoll, aber zwang sich dann zu einem ähnlichen Gesichtsausdruck. Er würde eine ganze Weile nichts trinken. Diese Nächte in Hawaii, die er im Vollrausch verbracht hatte, nachdem sie die Männer des Blutkönigs gejagt hatten – das war einer der Tiefpunkte seines Lebens. Auf keinen Fall wollte er das noch einmal erleben.
Er sah zu, wie sich Mai einen Whisky pur eingoss und ihn mit einem Schluck austrank. Die Marines betrachteten sie argwöhnisch. Sie wussten zweifellos etwas über ihre Vergangenheit und ihre Fähigkeiten, aber sie konnten vermutlich nicht einmal die Hälfte ihrer Story zusammenpuzzeln. Drake kannte die ganze Geschichte. Sie waren einst ein Paar gewesen, unzertrennlich, und hatten all ihre Geheimnisse miteinander geteilt.
Es würde nur einen kleinen Funken brauchen, um die Flamme wieder zu entfachen, und alles würde sich wiederholen. Aber war es zu früh? Kürzliche Ereignisse, wie der Tod Kennedys, waren ihm noch in lebhafter Erinnerung. Neue Enthüllungen, wie der Mord an seiner Frau, waren immer noch frisch genug, um einen stechenden Schmerz in der Brust auszulösen.
Ein Ruf: »Dreißig Minuten zum Ziel.«
Drake sammelte sich. Der Plan war, über das südliche Japan zu fliegen und so nahe wie möglich an die unidentifizierte Insel heranzukommen, ohne das Misstrauen der Koreaner zu wecken. Dann würde das Team die Amphibienfahrzeuge einsetzen und das Flugzeug würde nach Japan zurückkehren. Wie sie wieder zurückkommen sollten, war – wie meistens – noch ungeklärt.
Wie sollte es auch anders sein, hatte Romero gemeint und gegrinst, als sie es ihm gesagt hatten.
Drake hatte gelächelt. Den ersten Test hatte Romero bestanden.
Die anderen drei Mitglieder von Romeros Team, Smyth, Wardell und Matthews standen auf, um den letzten Check durchzuführen. Drake schnallte sich die Waffen um, nahm den Fallschirm und stellte sicher, dass am Anzug aus Gore-Tex alles in Ordnung war. Nach ein paar Minuten drehten sich alle um und überprüften ihre Partner. Drake kniete sich auf einen der Sitze und drückte das Gesicht ans Fenster. Er versuchte, durch die mitternächtliche Finsternis zu blicken, die über dem ostchinesischen Meer herrschte.
Schwere, finstere Wellen rollten unter ihnen wie der monströse Körper einer mythischen Seeschlange.
Romero sagte hinter ihm: »Keine Sorge.« Er grinste. »So was haben wir schon mal gemacht.«
Auf einmal ein gewaltiger Lichtblitz und ein ohrenbetäubender Knall. Das Flugzeug machte einen Satz. Die Zeit stand eine Sekunde still und als sie sich umdrehten, schien sich die gesamte Seite des Flugzeugs in seine Bestandteile aufzulösen.
Ein Feuerball wurde im Himmel draußen sichtbar, der einen Moment neben dem Flugzeug schwebte. Trümmer und Metallsplitter flogen durch die Flammen. Romero schrie: »Jemand … jemand hat uns abgeschossen!«
Mai schnappte ihn. »Noch nicht.«
Sie verloren an Höhe. Schnell. Drake klammerte sich an einem Sitz fest. Er schlang den Arm um die Kopfstütze und hielt mit der anderen Hand sein Handgelenk fest. Der Pilot schrie, als er sich abmühte, das Flugzeug abzufangen. Selbst bei aller Mühe schaffte er es kaum, die Nase der Maschine anzuheben. Die C-130 raste unaufhaltsam aufs Meer zu.
»Wir müssen raus aus diesem Mistding«, sagte Drake. »Auf der richtigen Höhe, damit sich die Fallschirme entfalten können.«
Mai nickte. Drake sah sich nach den anderen um. Er stellte fest, dass Wardell und Matthews von der ersten Explosion getroffen worden waren. Beide Männer lagen tot auf dem Kabinenboden und wurden auf das klaffende Loch in der Maschine zugezogen.
Drake spürte den zunehmenden Sog, der an seinem Körper zerrte. Windböen peitschten und pfiffen durch die Kabine. Es war so laut, als würde ein Güterzug auf ihn zurasen. Sie konnten sich einfach vom Sog nach draußen tragen lassen, aber sie mussten den Ausstieg kontrollieren können, wie bei einem normalen Absprung. Er sah den anderen Marine, Smyth, der sich an einem angeschraubten Tisch in der Mitte der Kabine festhielt und zu seinem vorgesetzten Offizier blickte, als warte er auf Befehle.
Gut, dachte Drake. Diese Männer gehörten zur Elite der US-Streitkräfte. Sie konnten sogar das Amphibienfahrzeug absetzen. Sie hatten drei CRRCs, Combat Rubber Raiding Craft, besser als Zodiac bekannt. Es würde schwierig werden, aber es war nicht unmöglich.
Das Problem war der Pilot. Sie mussten …
… eine zweite Explosion erschütterte das angeschlagene Flugzeug bis ins stählerne Mark. Ein gewaltiges Kreischen verdeutlichte, unter welcher Belastung die Maschine stand. Ein Feuerball traf das Cockpit und drang bis in die Hauptkabine. Der Pilot war in einem Wimpernschlag verschwunden.
»Bewegung!« Drake reagierte sofort. Als das Feuer erstarb, schob er Romero auf das klaffende Loch zu. Mai hastete zu Smyth. Sie balancierte mit katzenhafter Anmut geschickt über die Stuhllehnen.
Die Zodiacs waren im hinteren Teil des Flugzeugs untergebracht. Große, aufblasbare Schlauchboote mit 55-PS-Zweitakt-Außenborder. Drake wusste aus Erfahrung, dass vorn im Boot ein elastischer Tank und eine Tasche mit Ausrüstung waren. Er wusste auch, dass es nicht der beste Plan war, tausende Meter hinter einem Zodiac her in die aufgewühlte See zu springen, aber irgendein mieser Bastard ließ ihnen keine andere Wahl.
Drake hielt sich an irgendetwas fest, das solide schien, und kämpfte sich zu den Schlauchbooten vor. Es wäre leichter, einfach aus dem Flugzeug zu springen, aber die weite See lag unter ihnen und sie brauchten das bisschen Schutz und Sicherheit, das ihnen die Zodiacs bieten konnten. Sein Kopf wurde zurückgeworfen, als ihm eine heftige Windbö ins Gesicht wehte. Ein verbogenes Metallstück, das im rasenden Wind erzitterte, wurde abgerissen, schoss durch die Luft und bohrte sich durch die gegenüberliegende Wand. Die Sitze ächzten in ihren Verankerungen, als der Druck zunahm. Es dauerte nur Sekunden, aber Drake hatte das Gefühl, eine Ewigkeit zu brauchen, bis er bei den sorgsam übereinander verstauten Zodiacs ankam.
Mai wartete schon auf ihn. »Bereit?«
»Wenn ich je das Gefühl habe, bereit für diese Scheiße zu sein, dann hänge ich den Beruf an den Nagel«, schrie Drake.
Mai löste die Sicherungsseile und die Zodiacs gerieten ins Rutschen. Mai und Smyth wuchteten das erste Boot auf das Loch zu. Drake und Romero mühten sich mit dem zweiten ab. Das abwärts gerichtete Flugzeug erleichterte es ihnen, die schweren Boote an Ort und Stelle zu bringen. Nur Minuten waren seit der ersten Explosion vergangen. Teile des Rumpfs standen in Flammen und brennender Treibstoff erhellte die stockfinstere Nacht. Drake fragte sich, wie der letzte Funkspruch des Piloten wohl gelautet hatte. Wusste irgendjemand, dass sie abstürzten? Er überprüfte erneut seinen Fallschirm.
»Irgendwelche letzten Worte?« Romero atmete schwer neben ihm und konzentrierte sich auf das Loch, das in die Wand des Flugzeugs gesprengt worden war.
»Nur eines.« Drake wuchtete das Zodiac aus dem Flugzeug. »Scheiße!« Er sprang in die tobende, tosende Nacht.
Die wogenden Wellen schwollen an, als würden sie nach ihrem nächsten Opfer gieren.
Die Universität von Baltimore war von Senator James Turner ausgewählt worden, als idealer Ort, um eine der bedeutendsten Reden seiner Wahlkampftour zu halten, die ihn wie ein Wirbelwind die Ostküste entlang führte.
Als Alicia eintraf, hatte sich bereits ein Menschenauflauf gebildet und auf der Bühne fanden letzte Vorbereitungen statt. Die Atmosphäre war fröhlich, erwartungsvoll und das Murmeln der Stimmen wurde stetig lauter. Alicia umrundete die Menge. Sie war etwas unentschlossen, wie sie weiter vorgehen sollte. Bisher hatte das Team noch keine Bestätigung, dass der Senator wirklich in Gefahr war. Sie hatte sich freiwillig gemeldet, um sich die Rede anzuhören, aber hauptsächlich, weil sie dadurch aus dem Büro herauskam und einen Einsatz hatte. Sie war Soldatin, so wie Drake und Mai. Herumzusitzen langweilte sie nicht nur, es betäubte ihre raubtierhaften Instinkte.
Sie ging einen Grashügel hinauf. Die Wintersonne blendete und sie hielt sich die Hand über die Augen. Die Menschenmenge lag wie ein Meer vor ihr, Leute wedelten mit Broschüren und Flyern, texteten Freunden und sahen auf ihre Handys. Die kleine Bühne vor ihnen war nicht viel mehr als ein erhöhtes Podium mit einem Vorhang dahinter, einem Mikrofon und einigen Stühlen. Senator James Turner machte sich nichts aus Luxus. Er war dafür bekannt, sich für schärfere Waffengesetze auszusprechen, gut vernetzt zu sein und sich an seine Versprechen zu halten. Ein gewiefter Senator und mit ausreichenden finanziellen Mitteln versorgt.
Alicia sah geschäftiges Treiben auf und neben der Bühne. Die Mitarbeiter des Senators bereiteten alles für die Rede vor. Sie rechnete damit, dass sich Hayden jede Sekunde meldete und ihr sagte, dass sie die Bedrohung identifiziert hatten. In das Team hatte sie volles Vertrauen und angesichts von Karins IQ, der jede Skala sprengte, rechnete sie damit, dass sie irgendetwas herausfand.
Es waren nur noch drei Minuten bis zum Beginn der Rede. Alicia ließ den halb leeren Kaffeebecher fallen und besorgt den Blick über die Menge schweifen. Vielleicht war die Drohung genauso leer gewesen, wie die zahllosen anderen, die Turner schon erhalten hatte. Vielleicht war das nicht der richtige Ort oder die richtige Zeit. Aber die Security hier hatte Alicias kritischem Blick nicht wirklich standgehalten. Jeder Irre mit einer Waffe konnte hier hereinmarschieren und herumballern.
Sie holte ihr Handy heraus und rief Hayden an. »Schon Glück gehabt?«
»Wir haben hier noch gar nichts. Wie sieht es bei dir aus?«
»Viel los«, sagte Alicia. »Hohes Risiko.«
»Bleib dran. Wir suchen noch.«
Trotz ihrer Differenzen vertraute Alicia Mais Instinkt. Wenn die Japanerin darauf bestand, dass ihr alter Freund Dai Hibiki nicht übergelaufen war und immer noch verlässliche Informationen lieferte, dann glaubte Alicia ihr. Sie betrachtete die Bühne und überlegte, ob sie einfach hinauf spazieren und sich den Bodyguards vorstellen sollte. Aber das würde nicht funktionieren. Das neue Team hatte noch keine Dienstausweise erhalten.
Nicht, dass Alicia unbedingt einen wollte. Sie hatte schon für alle Seiten gearbeitet – die Guten, die Bösen und die verflucht Hässlichen. Dieses freie Gelände, die Unsicherheit, das lag außerhalb ihrer Komfortzone. Ihre übliche Taktik – einschüchtern, angreifen und provozieren – funktionierte hier nicht. Sie hatte den Job aus Neugier übernommen.