Wage es nur! - Megan Abbott - E-Book

Wage es nur! E-Book

Megan Abbott

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Beschreibung

Addy Hanlon war schon immer Beth Cassidys beste Freundin. Beth gibt Befehle, Addy führt sie aus. Gemeinsam dominieren sie das von Wettbewerb geprägte Team der Cheerleader. Bis der neue Coach kommt. Colette French, cool, souverän, eine Abgesandte der Erwachsenenwelt, unerreichbar für Addy und den Rest des Teams, zieht alle in ihr Leben. Nur Beth, verunsichert durch das neue Regiment, bleibt außerhalb des goldenen Zirkels der Trainerin und führt eine subtile und zugleich bösartige Kampagne, um ihre Position als »Top Girl« wiederzuerlangen – sowohl im Team als auch bei Addy. Das traditionell männliche Genre des Noir kommt über Megan Abbotts Cheerleader weiblicher daher. Der zur Schau getragene Teamgeist vermag kaum das Geflecht aus Gehässigkeit und Manipulation zu kaschieren, das die Mädchen zusammenhält.

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Wage es nur!
Megan Abbott
Widmung
Für meine Eltern, die mich gelehrt haben, ehrgeizig zu sein.
Der Höllenfluch verdammt den glatten Stenz
Und gibt dem Kapitän den letzten Rest,
Zerfleischt das Herz, zerstört die Existenz,
Und Geier wetzen Schnäbel im Geäst.
John Crowe Ransom
Prolog
»Es ist was passiert, Addy. Ich glaube, du kommst besser her.«
Die Luft ist schwer, feucht, schön. Es ist fast zwei Uhr morgens, und ich stehe oben auf dem Hügel, drücke den Daumen fest auf den silbernen Knopf: Nr. 27-G.
»Beeil dich bitte!«
Die Gegensprechanlage surrt, die Tür klackt, und ich bin drin.
Während ich die Lobby durchquere, summt es immer noch, die Glaswände vibrieren.
Wie bei der Tornado-Übung in der Grundschule, Beth und ich eng zusammengedrängt, die Beine aneinandergepresst, in enge Jeans gezwängt. Das Geräusch unseres eigenen Atems. Als wir noch alle glaubten, kein Tornado oder sonst irgendwas könnte uns jemals etwas anhaben.
»Ich kann nicht hinschauen. Wenn du herkommst, zwing mich bitte nicht, hinzuschauen.«
Im Aufzug nach oben schwanken meine Beine, 1-2-3-4, die Zahlen leuchten, glühen.
In der Wohnung ist es dunkel, eine Bodenlampe wirft in der hinteren Ecke einen Lichtkegel an die Decke.
»Zieh die Schuhe aus«, sagt sie leise, ihre dürren Arme schwingen hin und her.
Wir stehen in der Diele, die in einen Essbereich übergeht, der Lacktisch sieht aus wie eine Tintenpfütze.
Direkt dahinter sehe ich das Wohnzimmer, beherrscht von einer Couchgarnitur aus Leder, eine schwarze Klammer, die den Raum zusammendrückt wie meine Brust.
Ihre Haare sind feucht, das Gesicht bleich. Ihr Kopf schwankt wie lose auf den Hals gesetzt, sie meidet meinen Blick, ich soll ihre Augen nicht sehen.
Ich will ihre Augen auch gar nicht sehen, glaube ich.
»Es ist was passiert, Addy. Was Schlimmes.«
»Was ist da drüben?«, frage ich schließlich, den Blick fest auf das Sofa gerichtet. Ich habe das Gefühl, dass es lebt und sich sein schwarzes Leder bewegt wie der Panzer eines Käfers.
»Was ist das?« Ich werde lauter. »Ist dahinter irgendwas?«
Sie kann nicht hinschauen, deshalb weiß ich es.
Zuerst fällt mein Blick auf den Boden, ich sehe Haare im Fadenlauf des Teppichs schimmern.
1. Kapitel
VIER MONATE ZUVOR
Nach einem Spiel dauert es unter der Dusche eine halbe Stunde, bis das ganze Haarspray raus ist. Bis die Pailletten abgepellt sind. Die letzte Haarnadel herausgepult, die sich tief in deinen Haaren vergraben hat.
Manchmal stehst du sehr lange unter dem heißen Wasserstrahl, schaust deinen Körper an, zählst jeden blauen Fleck. Betastest jede schmerzende Stelle. Beobachtest den Wirbel zu deinen Füßen, in dem der Glitter strudelt. Wie eine Meerjungfrau, die ihre Schuppen ab­wirft.
Eigentlich versuchst du nur, deinen Herzschlag zu beruhigen.
Du denkst: Das ist mein Körper, er macht, was ich will. Ich kann ihn drehen, wirbeln, fliegen lassen.
Danach stehst du vor dem beschlagenen Spiegel, die pinken Streifen sind weg, die Wimpern ohne Glitzer. Und du bist hier ganz allein und erkennst dich selbst nicht wieder.
Du siehst völlig unscheinbar aus.
Anfangs war das Cheerleading für mich, für uns alle, ein Zeitvertreib.
Zwischen vierzehn und achtzehn müssen Mädchen schließlich mit irgendwas die viele Zeit totschlagen: das endlose kribbelige Warten, jede Stunde, jeden Tag, das Warten darauf, dass irgendetwas – egal, was – beginnt.
»Langeweile bei Teenagermädchen hat etwas Gefährliches an sich.« Das hat die Trainerin mal gesagt, eines Nachmittags im Herbst vor langer Zeit, als raschelnde Blätter um unsere Füße wirbelten.
Aber sie sagte es nicht wie eine Mutter, eine Lehrerin oder die Rektorin, oder am schlimmsten: wie ein Vertrauenslehrer. Sie sagte es, als ob sie es kennen und verstehen würde.
All diese nebelhaften Bilder von fröhlichen Mädchen in Umkleidekabinen, von Pompons vor nackten, knospenden Brüsten. All diese endlosen Fantasien und schmutzigen Jungenträume, in gewisser Weise sind sie alle wahr.
Hauptsächlich ist es hart, es ist Schweiß, es ist die Rohheit zerschrammter, lädierter Mädchenkörper, mit vom Aufstampfen auf dem Hallenboden schmerzenden Füßen, die Ellbogen rot und aufgeschürft.
Aber es hat auch etwas sehr, sehr Schönes: Wir alle in diesem stickigen, nassen Raum, wo es sicherer ist als überall sonst auf der Welt.
Je länger ich es machte, desto mehr vereinnahmte es mich. Bestimmte Dinge wurden wichtig. Es verlieh meinem richtungslosen Leben ein Rückgrat, und dieses Rückgrat wurde kräftiger, wurde zu Wirbelsäule, Rippen, Schlüsselbein, einem hochgereckten Hals.
Es hatte Bedeutung. Und jetzt sagt nicht, dass das nicht stimmt.
Die Trainerin hat uns das alles vermittelt. Bevor sie kam, hatten wir das nicht. Kann man mir also einen Vorwurf machen, dass ich es erhalten wollte? Dass ich bis zum Ende dafür kämpfen wollte?
Sie war diejenige, die mir all die düsteren Wunder des Lebens gezeigt hat, des wahren Lebens. Des Lebens, das ich nur am Rande meines Sichtfelds hatte aufblitzen sehen. Habe ich überhaupt je etwas gefühlt, bevor sie mir zeigte, was Gefühle sind? Sie schlug mit geballten Fäusten auf die Ecken ihrer beengten Welt ein und zeigte mir, was es bedeutet, zu leben.
Das bin ich: Addy Hanlon, sechzehn Jahre alt. Haare wie ein langer Strang Toffee. Haut, so straff wie ein Gummiband. Hier auf dem Turnhallenboden, meine beste Freundin Beth neben mir. Kirschrotes Lächeln, mit Selbstbräuner besprühte Beine, unsere Pferdeschwänze wippen im Takt.
Seht mal, wie ich immer wieder die Augen schließe, als wäre alles einfach zu viel.
Ich habe nie zu diesen Teenagern mit den maskenhaften Gesichtern gehört, mit Kaugummi im Mundwinkel, rollenden Augen und langen Seufzern. So ein Mädchen war ich nicht. Aber ich kannte diese Mädchen. Und als die Trainerin kam, konnte ich zuschauen, wie all ihre Masken in sich zusammenfielen.
Oberflächlich betrachtet sind wir alle gleich, nicht wahr? Wir alle wollen Dinge, die wir nicht verstehen. Dinge, die wir nicht einmal benennen können. Tiefe Sehnsucht, als hätten unsere Herzen Schwungfedern.
Also seht mich an, in der Umkleide vor dem Spiel.
2. Kapitel
FOOTBALL-SAISON
Ihr erster Tag. Wir mustern sie sehr genau, die Köpfe zur Seite geneigt. Ein paar von uns, ich vielleicht auch, verschränken sogar die Arme vor der Brust.
Die neue Trainerin.
Es gibt so viel aufzunehmen, zu bedenken und abzuwägen, immer knapp vor der Verachtung. Ihre Körpergröße, gerade mal eins sechzig, Füße wie eine Tänzerin, die Haltung sehr gerade, das goldfarbene Schlüsselbein steht vor, hohe Stirn.
Die scharfen Kanten ihres glatten Bobs: Wenn man genau genug hinschaut, sieht man die Schnitte der Schere. (Hat sie ihn an diesem Morgen schneiden lassen, vor der Schule? Das war ihr anscheinend sehr wichtig.) Die Art, wie sie ihr Kinn reckt, als wäre es ein Zeigestab, wie sie sich hierhin und dorthin dreht, uns beobachtet. Vor allem aber ist sie auffallend hübsch, eine klare, klingende Schönheit, wie eine Glocke. Das trifft uns hart. Aber wir werden uns davon nicht erschüttern lassen.
Wir alle fläzen lässig herum, in den Taschen piepst es, die Hände wischen – Was glaubt ihr, wie alt?, die Trillerpfeife, WTF –, die Texte fliegen zwischen den piepsenden Handys hin und her. Sie bekommt nur glasige Blicke und hängende Köpfe zu sehen, wir haben wichtige Dinge zu erledigen auf dem Handy.
Wie schwer das für sie sein muss.
Aber sie steht da, mit geradem Rücken wie ein Drill Sergeant, ihr Blick könnte nicht härter sein.
Ihre Augen scannen unsere ungleichmäßige Reihe, sie schätzt uns ab. Sie schätzt jede Einzelne von uns ab. Ich spüre, wie ihr Blick mich zerpflückt – meine krummen Beine, die losen Härchen in meinem Nacken, oder wie schlecht mein BH sitzt, wie ich mich winde und von einem Bein aufs andere trete und nie so still stehe wie ich möchte. So still wie sie.
»Die würde Fish zum Frühstück verputzen«, murmelt Beth. »Von der würden sogar zwei in Fish reinpassen.«
Fish war unser Spitzname für Coach Templeton, die vorherige Trainerin. Schon deutlich im späten mittleren Alter, mit dem stämmigen, stabilen Körper eines semiaktiven Schweinswals, rund und glatt, mit immer denselben goldenen Ohrsteckern und dem Polohemd mit dem weichen Kragen, dazu hässliche Turnschuhe mit dicken Sohlen. Fest in den Händen immer diesen zerfledderten Spiralblock mit den Übungen, in Schönschrift aufgeschrieben, der seit den Zeiten herhalten musste, als Cheerleaderinnen einfach nur mit Pompons wedelten und die Beine hoch und immer noch höher schleuderten. Sis-boom-bah und so.
In ihrem verhärmten Mund hing schlaff die Trillerpfeife. So verbrachte Fish die meisten ihrer Stunden am Schreibtisch und spielte Spider Solitär. Durch das Bürofenster mit den heruntergelassenen Jalousien erspähten wir immer das Flattern der Karten, wenn sie sich drehten. Mir tat sie fast leid.
Sie hatte schon lange kapituliert. Vor der zunehmenden Arroganz jeder neuen Mädchenklasse, jede noch frecher, noch vorlauter, noch unverschämter als die vorige.
Wir Mädchen, wir gaben ihr den Rest.
Vor allem Beth. Beth Cassidy, unser Captain.
Ich, ihre ewige Stellvertreterin seit wir neun und bei den Kleinsten waren, den Peewees, sozusagen Baby-Cheerleader. Ihre rechte Hand, ihr treuer Achates. So nennt sie mich, das bin ich. Alle kuschen vor Beth und damit auch vor mir.
Und Beth macht, was sie will.
Wir brauchten eigentlich gar keine Trainerin.
Aber jetzt das. Das.
Fish war plötzlich in den Everglades von Florida un­entbehrlich, weil sie sich um das ungeplante Neugeborene ihrer Teenie-Enkelin kümmern musste – und da ist sie nun.
Die Neue.
Die Trillerpfeife baumelt zwischen ihren Fingern wie ein Talisman, ein Amulett. Mit ihr wird nicht zu spaßen sein.
Wenn man sie ansieht, weiß man es sofort.
»Hallo«, sagt sie mit leiser, aber fester Stimme. Kein Grund, die Stimme zu erheben. Im Gegenteil, alle beugen sich vor. »Ich bin Coach French.«
Und ihr seid meine Bitches, leuchtet auf dem Bildschirm meines Handys auf, das ich in meiner Handfläche versteckt halte. Beth.
»Ich sehe schon, wir haben viel zu tun«, sagt sie und richtet den Blick auf mich. Mein Handy ist eine Sirene, das Bull’s Eye der Zielscheibe.
Ich spüre noch, wie es in meiner Hand vibriert, aber ich schaue nicht hin.
Vor ihren Füßen steht ein Plastikkorb. Sie hakt anmutig den Fuß unter den Rand und kippt ihn um, sodass die Hockey-Pucks darin über den glänzenden Boden schlittern.
»Hier rein«, sagt sie und schiebt den Korb mit dem Fuß zu uns herüber.
Wir sehen ihn an.
»Ich glaube nicht, dass wir da alle reinpassen«, sagt Beth.
Coach schaut Beth mit einem Blick an, so leer wie das Basketballbrett über ihr.
Der Moment dauert lange, und Beths Finger quietschen auf der Klappe ihres Handys.
Coach zuckt nicht mit der Wimper.
Die Handys fallen, ausnahmslos. RiRis, Emilys, Brinnie Cox’, der Rest. Das von Beth als letztes. Ein bonbonfarbenes Handy nach dem anderen landet im Korb. Klick, klack, klapper, ein bimmelndes Durcheinander von Piepstönen, Vogelstimmen, Disco-Rhythmen, die schließlich von selbst verstummen.
Hinterher zieht Beth ein Gesicht. Ich sehe jetzt schon, wie es für sie laufen wird.
»Colette French«, grinst sie. »Klingt wie ein Pornostar, aber mit Niveau, Anal macht sie nicht.«
»Von der hab ich gehört«, sagt Emily, immer noch atemlos von der letzten Runde Grundfigurentraining.  Uns allen zittern die Knie. »Den Squad in Fall Wood hat sie bis ins Halbfinale gebracht.«
»Halbfinale, Halbfinale. Ist ja der Wahnsinn«, höhnt Beth. »Lebe deinen Traum.«
Emily lässt die Schultern hängen.
Keine von uns macht wegen des Ruhms, der Pokale, der Turniere Cheerleading. Vielleicht weiß keine von uns so genau, warum wir das alles machen, außer dass es ein Schutzschild gegen die Gewohnheit und die fürchterliche Langeweile des Schulalltags ist. Die Jacke, die Spieltage, die wehenden Röcke sind deine Rüstung. Wer könnte dir etwas anhaben? Niemand.
Meine Frage ist die:
Die neue Trainerin.
3. Kapitel
WOCHE EINS
Es passiert nicht sofort. Keine krasse Veränderung, die alles über den Haufen wirft.
Aber mit jedem Tag dieser Woche schafft es die neue Trainerin, dass wir ganz bei der Sache bleiben – eine echte Leistung.
Wir lassen uns von ihr drillen, wir spulen Tumblings ab. Wir zeigen ihr alle unsere Tanznummern, wir klatschen perfekt im Takt und unsere Radwenden sind flüssig.
Dann zeigen wir ihr unsere berühmteste Nummer, mit der wir die letzte Basketball-Saison beendet haben, eine Menge Chorus-Line-Flips und Toe Touches und ein großes Finale, wo wir alle Beth im Spagat in die Luft heben und sie die Arme V-förmig über den Kopf reckt.
Coach sieht aus, als würde sie nur halb zuschauen, den Fuß hat sie auf den wummernden Ghettoblaster gestützt.
Dann fragt sie uns, was wir noch können.
»Aber die Nummer lieben alle!«, piepst Brinnie Cox. »Wir mussten sie zur Abschlussfeier extra noch mal machen.«
Wir wollen, dass Brinnie den Mund hält.
Coach ist einfach strenger, schneller, als wir erwartet ha­ben, und in dieser ersten Woche fällt uns das auf. Sie steht vor uns, die Körperhaltung so lässig, aber auch selbst­sicher.
Wir können sie nicht aus dem Konzept bringen, und das überrascht uns.
Wir können jeden aus dem Konzept bringen, nicht nur Fish, sondern auch die endlose, traurige Parade der Aushilfslehrer-Marionetten, Mathelehrer mit eingestaubten Schultern und Schulpsychologinnen mit trocken-faltiger Haut.
Seien wir ehrlich, wir sind der einzige Spaß in dieser ganzen Gruft von einer Schule mit ihren niedrigen De­cken und den Glasbausteinen. Wir sind die einzigen lebenden, atmenden Wesen, außer uns gibt es nichts zu sehen.
Und das wissen wir. Man spürt, dass wir es wissen.
Schau sie dir an, hören wir sie – ausnahmslos alle —sagen, wenn wir am Game Day durch die Flure streifen wie ein Rudel, mit wippenden Pferdeschwänzen und Röcken wie Diamanten.
Was glauben die, wer sie sind?
Aber wir wissen genau, wer wir sind.
Genau wie die Trainerin weiß, wer sie ist. Man er­kennt es daran, wie unnahbar und ungerührt sie gleichzeitig ist. Unser Quatsch ist ihr völlig gleichgültig. Es langweilt sie. Eine Langeweile, die wir sehr gut kennen.
Damit hat sie von Anfang an etwas gewonnen, ob­wohl – oder weil – sie nicht darum gebeten hat und es ihr egal war. Nicht weil sie gelangweilt ist, sondern weil wir nicht interessant genug für sie sind.
Jedenfalls noch nicht.
Am zweiten Tag kneift sie Emily in den Speck. Die elfenäugige, apfelbrüstige Emily streckt die Arme träge über den Kopf und gähnt demonstrativ. Oh, wir kennen diese Angewohnheit, die Mrs. Dieterle immer so provoziert und bei der Mr. Callahan rot wird und die Beine überkreuzt. Coachs Hand taucht aus dem Nichts auf und landet an der nackten Stelle, die Emilys hochgerutschtes Tanktop freigelegt hat. Sie kneift in den Babyspeck und dreht ihn einmal kräftig zwischen den Fingern. So fest, dass Emily der Mund offenstehen bleibt. Sie schnappt nach Luft, klingt dabei wie ein Quietschspielzeug.
»Das muss weg«, sagt Coach und hebt den Blick von der Haut zwischen ihren Fingern zu Emilys erschrockenen Augen.
Das muss weg. Einfach so.
Das muss weg? Das muss weg? Hinterher in der Umkleidekabine weint Emily, und Beth verdreht die Augen, lässt entnervt den Kopf auf den Schultern kreisen.
»So was darf sie doch gar nicht sagen, oder?«, heult Emily.
Emily, deren Ballonbrüste und Hüftkaskaden eine der­artige Freude für alle Jungs sind, die ihre verblödeten Hälse recken, wenn sie vorbeigeht, und die um Korridorecken schielen, nur um ihren Cheerleader-Rock tanzen zu sehen.
All die Poster, Fernsehbeiträge und Gesundheitskurse über Körperbilder und wie Blutgefäße im Gesicht platzen und die Speiseröhre reißen kann, wenn man jeden Abend massenweise Süßkram in sich reinstopft, wohl wissend, dass er wieder raus muss, du schwaches kleines Mädchen.
Aber deshalb kann Coach doch einem sensiblen, figurbewussten Teeniemädchen unmöglich sagen, dass es den weichen kleinen Ring um seine Hüften loswerden soll, oder?
Doch, kann sie.
Coach kann alles sagen.
Und Emily kniet nach dem Training über der Kloschüssel und fleht mich an, sie in den Magen zu treten, damit der Rest herauskommt, der Plätzchenteig und die Taco-Chips, vom Geruch dieser Mischung wird mir schlecht. Emily besteht komplett aus Keksen, Chips und Haribo.
Ich trete zu, ich tu’s.
Sie würde dasselbe für mich tun.
Am Mittwoch sagt Brinnie Cox, sie wolle vielleicht aufhören. »Ich kann das nicht«, jammert sie bei Beth und mir. »Habt ihr gehört, wie mein Kopf beim Runterkommen auf die Matte geknallt ist? Ich glaube, Mindy hat das mit Absicht gemacht. Für eine Base ist das einfach. Ihr Körper ist wie ein riesiger Gummiklotz. Stunts trainieren wir nicht.«
»Genau deshalb trainieren wir ja jetzt Stunts«, sage ich. Ich weiß, Brinnie würde in der Halbzeitpause, ja, eigentlich immer, lieber mit Pompons wedeln, mit den Hüften kreisen und sich auf den Arsch klatschen.
Brinnie schikanieren Beth und ich immer am meisten, weil sie uns nervt. »Ich kann ihre großen Zähne und ihre Storchenbeine nicht leiden«, sagt Beth immer. »Schaff sie mir weg.«
Einmal gaben Beth und ich beim Double-Hook-Üben so lange quer durch die Sporthalle Kommentare über Brinnies nuttige Schwester ab, die dabei erwischt wurde, wie sie mit dem Aushilfshausmeister rummachte, dass Brinnie in die Dusche rannte und heulte.
»Also, ich weiß nur«, lispelt Brinnie jetzt mit ihren großen Zähnen, »dass ich unerträgliche Kopfschmerzen habe.«
»Wenn dir ein Blutgefäß geplatzt ist«, erwidert Beth, »dann könnte es sein, dass du langsam in deinen Kopf ausblutest.«
»Du hast wahrscheinlich schon einen Hirnschaden«, füge ich hinzu und beäuge sie genau. »Tut mir leid, aber ist so.«
»Das Blut drückt dir vielleicht das Gehirn an den Schädelknochen«, sagt Beth, »und das bringt dich dann schließ­lich um.«
Brinnies weit aufgerissene Augen schwimmen in Tränen, und ich weiß, wir haben unser Ziel erreicht.
Am letzten Tag der ersten Woche beruft Coach ein Sondertreffen ein. Es wird nervös gechattet und telefoniert. Gerüchte, dass der Squad verkleinert wird, und wer fliegt dann wohl raus?
Doch als sie dann vor uns steht, kommt eine einfache Ansage.
»Es wird keinen Team-Captain mehr geben«, sagt sie.
Alle schauen Beth an.
Ich kenne Beth seit der zweiten Klasse, seit wir uns im Mädchenzeltlager in unseren Schlafsäcken zusammengekuschelt haben, seit wir Blutsbrüderschaft geschlossen haben. Ich kenne Beth und kann jede hochgezogene Augenbraue, jede Zehenbewegung lesen. Sie lehnt ge­wisse Dinge – Infinitesimalrechnung, aufs Klo gehen während des Unterrichts, ihre Mutter, Stoppschilder – beinhart ab, und das macht sie selbst hart.
Einmal hat sie die Zahnbürste ihrer Mutter in die Toilette getunkt, und sie nennt ihren Vater den »Maulwurf«, auch wenn keine von uns mehr weiß, warum, und irgendwann hat sie unsere Sportlehrerin eine Fotze ge­nannt, auch wenn es ihr niemand nachweisen konnte.
Aber es gibt auch noch andere Seiten an ihr, die niemand kennt.
Sie reitet, hat eine geheime Bibliothek mit erotischer Literatur, ist gerade mal eins zweiundfünfzig groß und hat doch die stärksten Beine, die ich je gesehen habe.
Und das kann ich eigentlich auch noch erzählen: In der achten Klasse, nein, im Sommer danach, hat Beth bei einer Bierparty ihren spöttischen Kleinmädchenmund bei Ben Trammel zur Anwendung gebracht, ihr wisst schon, wo. Ich erinnere mich an den Anblick. Er hielt grinsend ihren Kopf unten, die Hand in ihren Haaren, als hätte er mit bloßen Händen eine Forelle gefangen. Und alle wussten davon. Ich hab’s nicht verraten. Trotzdem reden die Leute immer noch darüber. Ich nicht.
Ich habe nie erfahren, warum sie das gemacht hat oder was sie seitdem sonst noch so gemacht hat. Ich habe nie gefragt, so sind wir nicht.
Wir werten nicht.
Die Hauptsache an Beth ist aber: Sie war schon im­mer unser Captain, mein Captain, sogar damals bei den Kleinen, in der Junior High, dann Junior Varsity, und jetzt in der Big League.
Beth war immer der Captain, und ich ihr cooler Lieutenant, und zwar seit dem Tag, als sie und ich, nachdem wir drei Wochen lang zusammen Radwenden geübt hatten, gemeinsam in den Squad aufgenommen wurden.
Sie war wie geboren dafür, und wir konnten uns Cheer­leading anders einfach nicht vorstellen.
Manchmal denke ich, Captain zu sein ist für Beth der einzige Grund, überhaupt zur Schule zu kommen, sich mit uns abzugeben, für irgendwas im Leben.
»Ich sehe einfach keinen Bedarf für einen Captain. Ich verstehe nicht, warum du es geworden bist«, sagt Coach mit einem flüchtigen Blick auf Beth. »Aber danke für deinen Einsatz, Cassidy.«
Geben Sie mir Ihre Marke und Ihre Waffe.
Alle tappen nervös mit ihren Turnschuhen, und RiRi späht theatralisch mit durchgedrücktem Rücken zu Beth hinüber, um ihre Reaktion zu sehen.
Aber Beth reagiert nicht. Beth scheint es komplett egal zu sein. Nicht einmal ein Gähnen ist es ihr wert.
»Ich wusste, dass es schlimm würde«, flüstert Emily mir später in der Umkleide zu. »Wie damals, als sie sauer auf den Mathe-Aushilfslehrer war und sein Auto zerkratzt hat.«
Aber da ich Beth kenne, denke ich, es wird noch eine Weile dauern, bis wir ihre wahre Reaktion sehen.
»Wie das Cheerleading wohl jetzt wird?«, sinniert Emily, macht schwer atmend eine Kniebeuge. Bleibt unten. »Was heißt das jetzt?«
Was es heißt, sehen wir bald: keine vertrödelten Stunden mehr, in denen wir über die Limonadendiät reden und wer in den Sommerferien eine Abtreibung hatte.
Die Trainerin hat daran natürlich kein Interesse. Sie sagt, wir sollen uns zusammenreißen.
Am Ende der ersten Woche unter dem neuen Regime sind unsere Beine wacklig und weich, unsere Körper schlapp. Unsere Bewegungen alles andere als im Takt. Sie sagt, wir sehen schlaff und kindisch aus, wie junge Disney-Teenies auf einem Festwagen. Sie hat recht.
Das bedeutet Treppensprints für uns.
Oh, dieser Schmerz. Im Takt ihrer ewigen Trillerpfeife rennen wir die Tribünentreppen rauf und runter. Einundzwanzig Doppelstufen, dreiundvierzig einzelne. Wieder und wieder und wieder.
Wir spüren es am nächsten Tag in unseren Schienbeinen.
In unseren Wirbelsäulen.
Wir spüren es überall.
4. Kapitel
WOCHE ZWEI
Die Treppensprints sind anstrengend, und ich spüre, wie mein ganzer Körper zittert – bumm-bumm-bumm —, meine Zähne klappern, es ist fast schon ekstatisch – bumm-bumm-bumm, bumm-bumm-bumm –, fast kommt es mir vor, als könnte ich von den hämmernden Schmerzen sterben – bumm —, ich habe das Gefühl, mein Körper explodiert gleich, und wir machen weiter und immer noch weiter. Ich will, dass es niemals aufhört.
Es ist sehr anders als früher, als wir unsere Zeit mit Nägellackieren und Klebetattoos verbracht und immer auf Captain Beth gewartet haben, die dann, nachdem sie mit Todd Grinnell noch einen Joint geraucht oder hinter ihrer Spindtür mit Pfefferminzschnaps gegurgelt hatte, erst zehn Minuten vor dem Spiel auftauchte und uns trotzdem alle verblüffte, wenn sie auf Mindys und Coris Schultern schnellte und sich zur Arabesque streckte.
Damals kümmerte uns kaum etwas, unsere Bewegungen waren schlampig und ohne Energie. Wir malten uns einfach Glitzerstreifen auf, machten Straddle Jumps und wackelten zu Kanye mit dem Hintern. Alle liebten uns. Sie wussten, wir waren sexy Bitches. Das genügte.
Cheerutantes, Anfängerinnen, so nannten uns die Lehrer.
Cheerlebrities, Stars, so nannten wir uns selbst.
Wir streunten die ganze Saison lang herum, ein um­schwärmter Schwarm, die Pferdeschwänze gleich lang, in den gleichen Nfinity-Turnschuhen, alles synchron, die Augenlider goldgesprenkelt, und niemand konnte uns etwas anhaben.
Aber es lag eine Trägheit darin, das sehe ich jetzt. Ein eigenartiger Kitzel, und manchmal schaute sogar ich die anderen in den Klassenzimmern an, die Debattierclub-Mädchen und die Jahrbuchfotografinnen, die Leichtathletinnen mit den dicken Beinen und die Girls vom Schulorchester, die ihre zerbeulten Geigenkästen schwangen, und fragte mich, wie es sich wohl anfühlte, wenn einem alles so gar nicht egal war.
Jetzt ist alles anders.
Beth saugt an ihrem Strohhalm, das Quietschen geht mir auf die Nerven.
Ich müsste zu Hause sein, Parabeln zeichnen, stattdessen sitze ich hier in Beths Auto, weil Beth aus dem Haus musste, um nicht ständig den Seidenmorgenmantel ihrer Mutter auf dem Flur rascheln zu hören.
Beth und ihre Mutter, zwei Impalas mit ineinander verkeilten Hörnern, seit Beth sprechen kann und ihre erste coole Antwort gab.
»Meine Tochter ist seit ihrer Geburt eine Kriminelle«, hat Mrs. Cassidy einmal verächtlich zu mir gesagt, während sie ihren Hals mit Crème de la Mer einschmierte.
Also steige ich in Beths Auto, weil ich denke, eine Rundfahrt könnte vielleicht eine beruhigende Wirkung auf sie haben, wie bei einem Baby mit Koliken.
»Morgen ist der Test«, sage ich und knete mein Ma­the­buch zwischen den Fingern.
»Sie wohnt an der Fairhurst«, sagte sie, ohne darauf einzugehen.
»Wer?«
»French. Die Trainerin.«
»Woher weißt du das?«
Beth zuckt nicht mal mit den Schultern, sie hat noch nie im Leben eine Frage beantwortet, wenn ihr nicht danach war.
»Willst du’s sehen? Ist echt uninteressant.«
»Ich will’s nicht sehen«, sage ich, aber es stimmt nicht. Natürlich will ich.
»Hier geht’s nicht um die Captain-Sache, oder?«, frage ich sehr leise, nicht ganz sicher, ob ich es laut sagen will.
»Was für eine Captain-Sache?«, fragt Beth, ohne mich anzusehen.
Das Haus an der Fairhurst Street ist nicht klein. Ein niedriges Haus mit zwei versetzten Ebenen. Es ist ein Haus, was soll ich dazu sagen? Aber es hat schon was. Zu wissen, dass Coach da drin ist, hinter dem großen Panoramafenster, in dem weichen, warmen Licht, das macht es irgendwie bedeutender.
In der Einfahrt steht ein Dreirad, mit rosa Bändern geschmückt, die in der Nachtluft flattern.
»Ein kleines Mädchen«, sagt Beth gespielt cool. »Sie hat ein kleines Mädchen.«
»Denkt euch die Pyramide nicht als festes Gebilde«, er­klärt uns die Trainerin. »Denkt sie euch überhaupt nicht als Gebilde. Sie ist ein lebendiges Wesen.«
Bei Coach Fish stellten wir uns bei Pyramiden immer vor, dass wir uns stapelten. Sie Schicht um Schicht aufbauten.
Jetzt lernen wir, dass es bei der Pyramide nicht darum geht, dass Mädchen aufeinanderklettern und still stehen. Es geht darum, einer Sache Leben einzuhauchen. Ge­meinsam. Jede von uns ein einzelnes Organ, das die anderen Organe nährt, etwas Größeres schafft.
Wir lernen, dass unsere Körper uns gehören und dem Team, mehr nicht.
Wir lernen, dass wir auf der Bühne die Einzigen auf der Welt sind. Wir werden unser Lächeln als Maske tragen, starr und ausdruckslos, aber im Inneren ist für uns nur der Stunt von Bedeutung. Der Stunt ist alles.
Ganz unten unsere Hardcore-Bases Mindy und Cori, meine Füße auf Mindys Schultern, die Vibration ihres Körpers überträgt sich auf mich, meine auf Emily über mir.
Wenn die mittlere Ebene steht, steigt der Flyer auf. Nicht durch Klettern, nicht, indem wir sie hochheben, es ist keine Treppe, keine Reihe mühsamer Stufen. Nein, wir federn und schwingen und bringen so alle nach oben, beim Schwung begreifst du, dass du Teil von etwas bist. Etwas Echtem.
»Eine Pyramide ist ein Körper, sie braucht Blut, Herzschlag und Wärme. EINS, ZWEI, DREI. Was sie aufrecht hält, was sie am Leben erhält, ist das Federn eurer Körper, der Rhythmus, den ihr gemeinsam aufbaut. Mit jedem Takt werdet ihr zur Einheit, ihr schafft Leben. VIER, FÜNF, SECHS.«
Und ich spüre Mindy unter mir, ihre Kraft, wir bewegen uns, als wären wir eine Person. Wir heben Beth nach oben, und sie ist genauso ein Teil von uns, ihr Blut rauscht durch mich, ihr Herz schlägt mit meinem. Dasselbe Herz.
»Die Pyramide steht nur still, wenn ihr sie stillstehen lasst«, sagt Coach. »Eure Körper sind eins, und ihr RÜHRT EUCH NICHT. Ihr seid Marmor. Ihr seid Stein.
Und ihr bewegt euch nicht, weil ihr es nicht könnt, denn ihr seid nicht das sexy Chick, das durch die Schulflure hüpft, kein plapperndes, pferdeschwanzschwingendes Mädchen. Ihr seid nicht niedlich, ihr seid nicht hübsch, ihr seid überhaupt kein Mädchen, nicht einmal ein Mensch. Ihr seid der wichtigste Teil einer Sache, die Perfektion. Und dann, SIEBEN, ACHT, …
… reißen wir ab.«
Hinterher, mit erschöpften Körpern und schweißglitschigen Gliedern, fragen wir sie aus.
Vollkommen trocken und hoch aufgerichtet schaut sie auf unsere abgemagerten Mitten herab, während wir uns kühle Wasserflaschen über Brust und Stirn rollen.
»Coach, auf welcher Highschool waren Sie?«, fragt eine von uns.
»Coach, wie ist Ihr Mann so?«
»Coach, ist das Ihr Auto auf dem Lehrerparkplatz, oder gehört das Ihrem Mann?«
Wir versuchen es jeden Tag, die meisten von uns. Die Informationen tröpfeln langsam, wir müssen ihr alles aus der Nase ziehen. Sie ist drüben in Stony Creek zur Schule gegangen; ihr Mann arbeitet in einem verspiegelten Büroturm in Downtown, und er hat ihr das Auto gekauft. Es sind sehr spärliche Informationen. So wenig sie eben sagen kann, ohne gar nichts zu sagen.
Sie ist so konzentriert, so aufmerksam, und sie beantwortet nur dann Fragen, wenn wir unsere Sprints absolviert haben, unsere Brücken, Hunderte von ätzenden Bauchpressen, bei denen wir mit dem Rücken quietschend über den Boden rutschen.
Diese Schönheit, diese strahlende Schönheit, die sie fast wie etwas Schändliches trägt, wie einen Rüschenvolant, den sie permanent glattstreicht, ein klingelndes Bettelarmband, das sie ruhig hält.
Erst als sie geht, als sie das Training beendet und uns entlassen hat, ruft RiRi ihr nach: »Hey Coach, hey Co-o-ach! Was ist das an Ihrem Knöchel?«
Das Tattoo zieht sich unter ihren Laufsocken nach oben, ein violetter, verwaschener Fleck.
Sie dreht nicht mal den Kopf, man hätte nicht sagen können, ob sie es gehört hat.
»Coach, was ist das?«
»Ein Fehler«, sagt sie. Diese harte, leise Stimme. Ein Fehler.
Ah, eine stahlbesaitete Trainerin mit einer verwegenen Vergangenheit, einer unzüchtigen Vergangenheit.
»Ich wette, wir finden sie in einer uralten Folge von Girls Gone Wild aus der Zeit, als es noch Dinosaurier gab.« Das ist natürlich Beth. An Emilys Laptop. Wie sie den Namen der Trainerin bei YouTube eintippt, um im Netz schleppfischen zu gehen.
Sie findet nichts. Irgendwie wusste ich das. Bei jemandem, der so stählern ist, kann man nichts finden.
Nach dem Training liegt die immer weniger werdende Emily auf dem Linoleum der Umkleide und macht in ihrem Kampf, noch straffer zu werden, sich noch weiter an Coachs Bauchmuskeln heranzuarbeiten, immer noch einen Bauchaufzug mehr. Ich bleibe mit ihr zurück, halte ihre Beine unten, damit sich ihre moppeligen Knöchel nicht drehen.
Und wie sich herausstellt, ist Coach gar nicht gegangen. Sie telefoniert in ihrem Büro. Wir sehen sie durch die Scheibe, wie sie mit der Hand am Plastikstab die Jalousie öffnet und schließt. Wie sie durchs Fenster auf den Parkplatz hinausstarrt. Auf, zu, auf, zu.
Dann legt sie auf und öffnet die Bürotür. Der Luftzug der Tür, und dann fängt es an.
Sie öffnet die Tür und sieht uns, ein Nicken als Er­laubnis zum Eintreten.
Das Büro riecht nach Rauch, nach dem Sofa im Lehrerzimmer mit diesem verkrusteten Fleck in der durchgesessenen Mitte. Alle haben zu diesem Fleck ihre eigene Geschichte.
Auf ihrem Schreibtisch steht das Foto eines kleinen Mädchens. Coach sagt, ihr Name sei Caitlin; sie ist vier Jahre alt, hat einen verschlafenen Mund und gerötete Haut und Augen, die so dümmlich glasig aussehen, dass ich mich frage, warum irgendwer Kinder bekommt.
»Sie ist so süß!«, platzt Emily heraus. »Wie eine Puppe oder sowas.«
Wie eine Puppe. Oder sowas.
Coach schaut das Foto an, als hätte sie es noch nie gesehen. Sie blinzelt.
»Langsam sind sie in der Kita sauer auf mich«, sagt sie, als dächte sie darüber nach. »Ich bin immer die Letzte, die zum Abholen kommt. Zumindest die letzte Mom.«
Sie stellt das Foto wieder hin und sieht uns an.
»An die erinnere ich mich«, sagt sie mit einem Nicken zu den stylischen Armbändern, die wir an den Handgelenken tragen.
Sie erzählt uns, dass sie selbst welche gemacht hat, als sie jung war, und nicht fassen kann, dass sie jetzt wieder in Mode sind. Freundschaftsbändchen nennt sie sie. Wir würden sie natürlich nie so nennen.
»Das sind nur Armbänder«, sage ich.
Sie schaut mich an, zündet sich mit einem dürren alten Streichholz eine Zigarette an, wie der Mann, der uns am Hintereingang seines Geschäfts in der Shelter Road Wein in Krügen verkauft.
»Das Muster haben wir ›Schlange am Stab‹ genannt«, sagt sie und hakt den Finger unter das an Emilys Handgelenk. Ihre Zigarette glüht auf.
»Das ist eine Strickleiter«, sage ich. Keine Ahnung, warum ich sie unbedingt korrigieren muss.
»Und was ist das da?«, fragt sie und zeigt auf mein Handgelenk, der Zigarettenfilter berührt meine Haut.
Ich starre die Zigarette und Coachs kühlen, gebräunten Finger an.
»Ein Liebesknoten.« Emily grinst. »Das ist der einfache. Ich weiß, wer dir den gemacht hat.«
Ich sage nichts.
Coach sieht mich an. »Jungs machen sowas nicht.«
»Das stimmt allerdings«, bestätigt Emily, und man kann ihre Zunge fast herausschnellen sehen.
»Ich weiß nicht mal, woher ich das habe«, sage ich.
Doch dann fällt mir wieder ein, dass Casey Jaye es mir geschenkt hat, das Mädchen, mit dem ich letzten Sommer im Cheer-Camp Bodenturnen trainiert habe, aber Beth mochte sie nicht, und dann war das Camp sowieso zu Ende. Lustig, wie nahe dir Leute sein können, die du in einem Camp kennenlernst, und dann ist der Sommer vorbei und du siehst sie nie wieder.
Coach sieht mich an, und in ihrem Mundwinkel ist die Andeutung eines Grübchens zu sehen.
»Zeig es mir«, sagt sie und deutet mit ihrer Zigarette darauf. »Zeig mir, wie man einen Liebesknoten macht.«
Ich sage, ich hätte kein Garn dabei, aber Emily hat welches, ganz unten in ihrer Beuteltasche.
Wir zeigen ihr, wie man es macht, dann schauen wir zu, wie sie die Fäden knüpft, hin und her. Sie lernt schnell, ihre Finger fliegen. Ich frage mich, ob es irgendetwas gibt, das sie nicht kann.
»Ich weiß es wieder«, sagt sie. »Schaut mal, hier.«
Sie zeigt uns, wie man ein Muster namens Katzenzunge knüpft, das so ähnlich ist wie eine unterbrochene Strickleiter, gekreuzt mit einem einfachen Flechtmuster, und dann noch eines, das sie »Böser Wolf« nennt, dem ich überhaupt nicht folgen kann.
Als sie mit dem bösen Wolf fertig ist, wirbelt sie das Armband um den Finger und schnippt es nach mir. Ich sehe, wie auf Emilys Gesicht die Eifersucht aufflackert.
»Mehr macht ihr in eurer Freizeit nicht, Leute?«, fragt sie.
Doch, tun wir.
»Man hätte meinen können, sie interessiert sich wirklich für unser Leben«, sagt Emily allen hinterher und streicht über mein neues Armband.
»Erbärmlich«, sagt Beth. »Nicht mal mich interessiert unser Leben.« Sie schiebt den Finger unter das Armband und zieht und zieht, bis es von meinem Handgelenk abreißt.
Am nächsten Tag nach der Schule sehe ich Coach über den Parkplatz zu ihrer lustigen kleinen silbernen Raupe von einem Auto gehen.
Mit meiner Flasche Cola Light in der Hand trödle ich herum und warte auf Beth, die mich mitnimmt und es ab und zu gut findet, mich warten zu lassen, während sie mit Mr. Feck plaudert, der ihr jede Menge flattrige rosa Entschuldigungsformulare aus seiner Schreibtischschublade gibt.
Mir ist nicht einmal bewusst, dass Coach mich gesehen hat, bis sie eine Kopfbewegung zu ihrer offenen Autotür macht.
»Na, komm schon«, sagt sie. »Steig ein.«
Als wüsste sie, dass ich auf die Einladung gewartet habe.
Unterwegs schüttelt Coach einen dieser seltsamen, schlam­mig aussehenden Säfte, die sie ständig trinkt und von denen man pelzige Zähne bekommt. Ich glaube nicht, dass irgendeine von uns sie je hat essen sehen.
»Ihr Mädchen habt eine Menge schlechte Angewohnheiten«, sagt sie mit einem Seitenblick auf meine Limo.
»Die ist light«, sage ich, aber sie schüttelt nur weiter den Kopf.
»Wir bekommen euch schon hin. Die Zeiten der Zwie­belringe zum Mittagessen und der Sonnenbänke – die sind vorbei, Mädchen.«
»Okay«, sage ich, aber wohl nicht unbedingt überzeugend. Und überhaupt habe ich in meinem ganzen Leben noch keinen Zwiebelring gegessen.
»Du wirst sehen«, sagt sie. Hals und Rücken absolut gerade, die Augenbrauen zu makellosen Bögen gezupft. Das golden schimmernde Tennisarmband und die glatten, glänzenden Haare. Blendend weiße Zähne, die tatsächlich blenden. Coach ist so perfekt.
»Also, welcher von den Footballern ist dein Typ?«, fragt Coach mit Blick aus dem Fenster.
»Was? Keiner von denen.«
»Keinen Freund?« Sie wirkt etwas interessierter, setzt sich ein wenig aufrechter hin. »Warum nicht?«
»Es gibt an der Sutton Grove High nicht viel, was mich interessiert«, erwidere ich, wie Beth es wahrscheinlich ausdrücken würde. Ich beäuge die Zigarettenschachtel auf der Konsole zwischen uns, stelle mir vor, wie ich eine herauszupfe und mir in den Mund stecke. Würde sie mich aufhalten?
»Sag mir«, fragt sie weiter. »Wer ist der Junge mit den vielen Locken?« Sie tippt sich an die Stirn. »Und der krummen Nase?«
»Im Team?«
»Nein«, sagt sie und beugt sich ein bisschen zum Lenkrad vor. »Ich sehe ihn auf der Laufstrecke immer in diesen Basketballstiefeln mit den silbernen Totenköpfen.«
»Jordy Brennan?«
Es gab da eine Gruppe: zehn, zwölf Jungs, mit denen man vielleicht abhängen, auf deren Schoß man auf Partys vielleicht mit Bier-Atem sitzen, deren Teamjacke man vielleicht eine Woche oder einen Monat tragen könnte.
Jordy Brennan gehörte nicht dazu. Er war einfach irgendwie da. Kaum mehr als ein Punkt auf dem Radarschirm meiner Schule.
»Ich hab nie über ihn nachgedacht«, sage ich.
»Er ist süß«, meint sie. An der Art, wie sie einatmet, das Lenkrad dreht, spürt man, dass sie gerade nur an Jordy Brennan denkt, genau in dieser Sekunde.
Und dann denke ich auch an ihn.
Mein Rock schiebt sich hinten hoch, Jordys nervöse, schwitzige Hände darunter, und bevor ich weiß, wie mir geschieht, dreht sich der Cheerleader-Rock um meine Taille, arbeitet sich den Bauch hinauf, seine Hände auch, und meine sind zu kleinen, nervösen Fäusten geballt: Tue ich es jetzt?
Diese Gedanken habe ich im Kopf, als ich an diesem Abend mit meiner waldgrünen Bettdecke herumnestle. So ist mir das bisher noch nicht passiert, ein scharfes Ziehen da unten, genau da, und ein Pulsieren, so atemlos.
Jordy Brennan, dem ich nie einen zweiten Blick ge­schenkt habe.
Nachher will ich noch Beth wegen unserer nächt­lichen Manöverkritik anrufen, aber dann beschließe ich, es nicht zu tun.
Ich glaube, sie wird sauer sein, weil ich nach der Schule nicht auf sie gewartet habe. Oder wegen etwas anderem. Sie ist oft sauer auf mich, vor allem seit dem letzten Sommer im Cheerleading-Camp, als es plötzlich irgendwie anders zwischen uns wurde. Ich hatte langsam genug von meinen Stellvertreterpflichten und ihrer Art, keine Gefangenen zu machen, und fing an, mit anderen Mädchen im Camp zu trainieren. Die Sache mit Beth und mir reicht tief in die Vergangenheit. Wir sind schon sehr lange sehr eng verbunden.
5. Kapitel
WOCHE DREI
Wir werden ständig besser.
Wir üben Stunts, sind konzentriert. Emily kann jetzt den Flickflack aus dem Stand, das hätten wir bei den weichen Brüsten, die sie mal hatte, nie gedacht. Wir sind stärker und haben langsam ein Gefühl für den Körper der anderen, lernen, zu spüren, wann wir nicht herunterfallen werden.
Nachts im Bett höre ich die dumpfen Schläge auf den Hallenboden, spüre es in den Knochen, in meiner Mitte.
Schon jetzt kann ich fühlen, wie meine Muskeln unter der Haut arbeiten. Ich fange sogar an zu essen, denn wenn ich es nicht tue, wird mir schwummrig. In der ersten Woche werde ich in Mathe zweimal ohnmächtig, beim zweiten Mal schlage ich mir den Kopf — RUMMS – an der Tischkante an.
Das darf nicht passieren, sagt Coach.
»Du kannst nicht vor der Schule aufs Laufband gehen und dann erwarten, dass du nur mit Cola Light bis zum Mittagessen durchhältst«, sagt Coach, als sie im Schulkrankenzimmer nach mir sehen kommt. Sie stürmt mit solcher Entschlossenheit herein, dass sogar Schwester Vance, mit einer Brust wie ein Holzfäller und doppelt so groß wie sie, einen Satz rückwärts macht.
Sie durchwühlt meine Tasche, knallt mir die Tüte zuckerfreie Jolly Ranchers vor den Latz.
Ich soll sie wegwerfen, was ich auch ganz schnell tue.
»Keine Sorge«, sagt Coach. »Bei mir wird niemand fett.«
Also fange ich mit dem Eiweiß, den Mandeln und dem Spinat an, welke Seerosenblätter zwischen meinen Zähnen. Es ist so langweilig, gar nicht wie Essen, denn du spürst nicht Tag und Nacht die körnige Süße auf der Zunge, das Knirschen zwischen den Zähnen.
Doch mein Körper wird fest, fest, fester. Hart und glatt wie ihrer, meine Taille auf ein Nichts zusammengeschrumpft, wie ihre.
Der Gang, ihr Gang, die Füße nach außen gedreht wie bei einer Ballerina. Ich frage mich, ob Coach früher mal Ballerina war, mit einem strengen dunklen Haarknoten und vorstehenden Schlüsselbeinen.
Wir übernehmen alle diesen Gang.
Nur nicht Beth und ein paar der anderen Mädchen, wie Tacy Slaussen, die mehr für Beths finsteren Blick übrig haben, die Art, wie sie ihren Cheerleaderrock tief herunterzieht, zu der Truppe von Freshmen schleicht, die auf der Tribüne sitzt, um uns zuzusehen. Wie sie sich nach oben streckt, den Puschel von der Socke eines der Mädchen abreißt und ihn demonstrativ in ihrem Plastikbecher Coke versenkt.
So etwas tut Beth, während wir anderen uns hart und schön machen.
Jordy Brennan, leichtfüßig auf der Laufbahn, von seinen Kopfhörern hängt Kabelgewirr herunter.
Ich beobachte ihn vier Tage hintereinander, von unterhalb der Tribüne, das Handgelenk an einen der Pfosten gestützt, balle rhythmisch die Fäuste.
»Hast du ’ne Schwäche für schiefe Nasen, Addy-Faddy?«, will Beth wissen.
»Keine Ahnung«, antworte ich und kratze mich an den Handflächen.
»Was soll das überhaupt?«, hakt Beth nach. »Der ist so langweilig wie ein Holzpfosten.« Sie klopft gegen den Tribünenpfosten, der in Wirklichkeit aus Aluminium ist.
»Er sieht aus, als würde er sich Gedanken machen«, sage ich, wippe ein bisschen auf den Zehen, fühle mich wie eine dumme kleine Cheerleaderin. »Vielleicht denkt er ja wirklich über vieles nach.«
»Tiefschürfende Gedanken«, sagt Beth und zieht ihren Pferdeschwanz fester, »über Laufschuhmarken.«
Ich habe ihr nicht erzählt, was Coach gesagt hat. Irgendwie wollte ich ihr nicht verraten, dass Coach mich sogar nach Hause gefahren hat.
Beth bewegt sich unter dem Tribünenskelett nach vorn und bleibt am Rand der Laufstrecke stehen.
Er kommt auf uns zugerannt, sein Schnaufen bringt mich ganz durcheinander, zuckt zwischen meinen Hüften.
»Jordy Brennan«, ruft Beth mit tiefer, klarer Stimme. »Komm mal her.«
Irgendetwas tobt in meiner Brust, als er, gerade an uns vorbei, langsamer wird, um anzuhalten, dann eine Kehrtwendung macht und lässig zu uns herüberschlendert.
»Ja?« Aus der Nähe sind seine Augen grün und ausdruckslos wie eine Pokermatte.
»Jordy Brennan«, sagt Beth und wirft ihre Zigarette zu Boden. »Heute ist dein Glückstag.«
Eine Viertelstunde später fahren wir in seinem Spielzeug-Malibu herum. Beth lenkt Jordy zum Supermarkt auf der Royston Road, wo die Footballspieler alle bei dem Mann mit dem grimmigen Gesicht hinterm Tresen ihr Bier kaufen, fünf Dollar extra nur für die Plastiktüte.
Wir nehmen die Literflaschen, die ich nicht mag, weil sie nach der Hälfte warm und sauer sind, und wir drei fahren zum Sutton Ridge, wo letztes Frühjahr das Mädchen gesprungen ist.
Siebzehn und ein gebrochenes Herz, da ist sie ge­sprungen.
RiRi hat das Ganze von Blake Barnetts Auto aus gesehen.
Direkt davor sah RiRi hinter dem Wassertank eine Kreischeule auffliegen.
Blake und sie schauten ihr nach bis zu dem zerfurchten Felsgrat. Ein Ort, an dem verzweifelte Indianerinnen herumspuken, das hatte man uns als Kinder an Halloween immer erzählt. Apache-Jungfrauen, die aus Liebeskummer über weiße Männer, die sie verlassen hatten, kopfüber vom Felsen sprangen.
Gemeinsam sahen RiRi und Blake hin.
Blake kannte das Mädchen vom St. Reggie’s und hätte sie fast gerufen, tat es dann aber nicht.
Mit weit ausgestreckten Armen, die Hände merkwürdig wirbelnd, ging sie sehr schnell rückwärts.
RiRi schaute zu, sah alles.
Sie sagte, es war schrecklich, aber auch irgendwie schön.
Das kann ich mir gut vorstellen, wenn man von so weit oben in die alles verschlingende Dunkelheit dieser Trauerschlucht springt.
Wir Mädchen schauen wahrscheinlich in manchen Nächten, versunken in den Schmerz des Frauseins, alle in diese Schlucht. Ich selbst hatte dieses Bedürfnis nie, aber wenn ich es mir jetzt recht überlegte, dachte ich, das könnte noch kommen.
Beth marschiert besonders weit hinauf, schwingt ihre Literflasche mit überraschender Eleganz, und Jordy senkt seinen großen Jungenkopf zu mir herab und küsst mich schmierig eine halbe Stunde oder länger.
Er erzählt mir, das sei ein besonderer Ort für ihn.
Nachts renne er manchmal hier rauf, spiele seine Mu­sik und vergesse alles andere.
»Vielleicht«, sagt er, »ist das für dich beim Cheerleading auch so.«
Dann streicht er mit seinen Händen sanft an meinem Körper rauf und runter, die großen, leeren Augen fest geschlossen, seine Wimpern so lang wie die eines Mädchens. Ist schon komisch, seine leicht nach rechts gebogene Nase, wie die eines Boxers.
»Ist sie nicht hübsch, Jordy?«, höre ich Beths Stimme von irgendwo murmeln. »Wenn sie dir in die Augen sieht?«
Ich lege die Lippen an seine Wangenknochen, ne­ben dem Knick in seiner Nase, und er bebt.
Wie seine Wimpern kitzeln, seine harten, schweren Jungenhände, ernsthaft und unruhig: Ich kann spüren, wie ihn Staunen und Überraschung durchströmen.
Das alles berührt mich auf machtvolle Weise. Der Tag erscheint mir außergewöhnlich, die Dämmerung sinkt lila herab, und ich muss betrunken sein, denn ich meine, von weit her Beths Stimme zu hören, die verrückte Sachen sagt, die mich fragt, ob ich mich anders fühle. Geliebt.