Walter Kömpff - Hermann Hesse - E-Book

Walter Kömpff E-Book

Hermann Hesse

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Beschreibung

Diese 1908 entstandene Geschichte spielt in den letzten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts im Kleinstadtmilieu des schwäbischen Städtchens Gerbersau, einem erfundenen Ort, dessen sich Hesse in vielen seiner frühen Erzählungen bedient, wenn er unvergeßliche Erlebnisse und Eindrücke aus seiner eigenen Calwer Kindheit gestaltet. Hermann Hesse schildert hier das tragische Schicksal eines redlichen und gutwilligen jungen Mannes, der, durch die berufliche Familientradition gezwungen, seine individuellen Anlagen zu entfalten versäumt, weil er das Geschäft des Vaters übernehmen muß.

Ursprünglich hieß die Erzählung »Der letzte Kömpff vom Markt«, eine Anspielung auf den Sohn eines Kaufmannes, der bis 1887 Inhaber eines Ladens im Erdgeschoß von Hesses Geburtshaus am Calwer Marktplatz gewesen war. Hesse nimmt das Schicksal dieses Erben (sein wirklicher Name war Emil Dreiß) zum Anlaß, um mit genauen Milieustudien aus einer inzwischen fast versunkenen Welt ein Leitmotiv vieler seiner Schriften zu aktualisieren: das Recht und die Verpflichtung zu Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung des Menschen.

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Seitenzahl: 64

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Hermann Hesse Walter Kömpff

Erzählung

Suhrkamp

Inhalt

Walter Kömpff

Walter Kömpff

Über den alten Hugo Kömpff ist wenig zu sagen, als daß er in allem ein echter Gerbersauer von der guten Sorte war. Das alte, feste und große Haus am Marktplatz mit dem niedrigen und finsteren Kaufladen, der aber für eine Goldgrube galt, hatte er von Vater und Großvater übernommen und führte es im alten Sinne fort. Nur darin war er einen eigenen Weg gegangen, daß er seine Braut von auswärts geholt hatte. Sie hieß Kornelie und war eine Pfarrerstochter, eine hübsche und ernste Dame ohne das geringste bare Vermögen. Das Erstaunen und Reden darüber dauerte seine Weile, und wenn man die Frau auch später noch ein wenig seltsam fand, gewöhnte man sich doch zur Not an sie. Kömpff lebte in einer sehr stillen Ehe und bei guten Geschäftszeiten unauffällig nach der väterlichen Art dahin, war gutmütig und wohlangesehen, dabei ein vortrefflicher Kaufmann, so daß es ihm an nichts fehlte, was hierorts zum Glück und Wohlsein gehört. Zur rechten Zeit stellte sich ein Söhnlein ein und wurde Walter getauft; er hatte das Gesicht und den Gliederbau der Kömpffe, aber keine graublauen, sondern von der Mutter her, braune Augen. Nun war ein Kömpff mit braunen Augen freilich noch nie gesehen worden, aber genau betrachtet schien das dem Vater kein Unglück, und der Bub ließ sich auch nicht an wie ein aus der Art Geschlagener. Es lief alles seinen leisen, gesunden Gang, das Geschäft ging vortrefflich, die Frau war zwar immer noch ein wenig anders, als man gewohnt war, aber das war kein Schade, und der Kleine wuchs und gedieh und kam in die Schule, wo er zu den Besten gehörte. Nun fehlte dem Kaufmann noch, daß er in den Gemeinderat kam, aber auch das konnte nimmer lang auf sich warten lassen, und dann wäre seine Höhe erreicht und alles wie beim Vater und Großvater gewesen.

Es kam aber nicht dazu. Ganz wider die Kömpffsehe Tradition legte sich der Hausherr schon mit vierundvierzig Jahren zum Sterben nieder. Es nahm ihn langsam genug hinweg, daß er alles Notwendige noch in Ruhe bestimmen und ordnen konnte. Und so saß denn eines Tages die hübsche dunkle Frau an seinem Bette, und sie besprachen dies und jenes, was zu geschehen habe und was die Zukunft etwa bringen könnte. Vor allem war natürlich von dem Buben Walter die Rede, und in diesem Punkte waren sie, was sie beide nicht überraschte, keineswegs derselben Gesinnung und gerieten darüber in einen stillen, doch zähen Kampf. Freilich, wenn jemand an der Stubentüre gehorcht hätte, der hätte nichts von einem Streit gemerkt.

Die Frau hatte nämlich vom ersten Tage der Ehe an darauf gehalten, daß auch an unguten Tagen Höflichkeit und sanfte Rede herrsche. Mehr als einmal war der Mann, wenn er bei irgendwelchem Vorschlag oder Entschlusse ihren stillen, aber festen Widerstand spürte, in Zorn geraten. Aber dann verstand sie ihn beim ersten scharfen Wort auf eine Art anzusehen, daß er schnell einzog und seinen Groll wenn nicht abtat, so doch in den Laden oder auf die Gasse trug und die Frau damit verschonte, deren Willen dann meistens ohne weitere Worte bestehen blieb und erfüllt wurde. So ging auch jetzt, da er schon nah am Tode war und seinem letzten und stärksten Wunsch ihr festes Andersmeinen gegenüberstand, das Gespräch in Maß und Zucht seine Bahn. Doch sah das Gesicht des Kranken so aus, als wäre es mühsam gebändigt und könne von Augenblick zu Augenblick die Haltung verlieren und Zorn oder Verzweiflung zeigen.

»Ich bin an mancherlei gewöhnt, Kornelie«, sagte er, »und du hast ja gewiß auch manchmal gegen mich recht gehabt, aber du siehst doch, daß es sich diesmal um eine andre Sache handelt. Was ich dir sage, ist mein fester Wunsch und Wille, der seit Jahren feststeht, und ich muß ihn jetzt deutlich und bestimmt aussprechen und darauf bestehen. Du weißt, daß es sich hier nicht um eine Laune handelt und daß ich den Tod vor Augen habe. Wovon ich sprach, das ist ein Stück von meinem Testament, und es wäre besser, du würdest es in Güte hinnehmen.«

»Es hilft nichts«, erwiderte sie, »soviel drüber zu reden. Du hast mich um etwas gebeten, was ich nicht gewähren kann. Das tut mir leid, aber zu ändern ist nichts daran.«

»Kornelie, es ist die letzte Bitte eines Sterbenden. Denkst du daran nicht auch?«

»Ja, ich denke schon. Aber ich denke noch mehr daran, daß ich über das ganze Leben des Buben entscheiden soll, und das darf ich so wenig, wie du es darfst.«

»Warum nicht? Es ist etwas, was jeden Tag vorkommt. Wenn ich gesund geblieben wäre, hätte ich aus Walter doch auch gemacht, was mir recht geschienen hätte. Jetzt will ich wenigstens dafür sorgen, daß er auch ohne mich Weg und Ziel vor sich hat und zu seinem Besten kommt.«

»Du vergißt nur, daß er uns beiden gehört. Wenn du gesund geblieben wärst, hätten wir beide ihn angeleitet, und wir hätten es abgewartet, was sich als das Beste für ihn gezeigt hätte.«

Der kranke Herr verzog den Mund und schwieg. Er schloß die Augen und besann sich auf Wege, doch noch in Güte zum Ziel zu kommen. Allein er fand keine, und da er Schmerzen hatte und nicht sicher sein konnte, ob er morgen noch das Bewußtsein haben werde, entschloß er sich zum letzten.

»Sei so gut und bring ihn her«, sagte er ruhig.

»Den Walter?«

»Ja, aber sogleich.«

Frau Kornelie ging langsam bis an die Tür. Dann kehrte sie um.

»Tu es lieber nicht!« sagte sie bittend.

»Was denn?«

»Das, was du tun willst, Hugo. Es ist gewiß nicht das Rechte.«

Er hatte die Augen wieder zugemacht und sagte nur noch müde: »Bring ihn her!«

Da ging sie hinaus und in die große, helle Vorderstube hinüber, wo Walter über seinen Schulaufgaben saß. Er war zwischen zwölf und dreizehn, ein zarter und gutwilliger Knabe. Im Augenblick war er freilich verscheucht und aus dem Gleichgewicht, denn man hatte ihm nicht verheimlicht, daß es mit dem Vater zu Ende gehe. So folgte er der Mutter verstört und mit einem inneren Widerstreben kämpfend in die Krankenstube, wo der Vater ihn einlud, neben ihm auf dem Bettrand zu sitzen.

Der kranke Mann streichelte die warme, kleine Hand des Knaben und sah ihn gütig an.

»Ich muß etwas Wichtiges mit dir sprechen, Walter. Du bist ja schon groß genug, also hör gut zu und versteh mich recht. In der Stube da ist mein Vater und mein Großvater gestorben, im gleichen Bett, aber sie sind viel älter geworden als ich, und jeder hat schon einen erwachsenen Sohn gehabt, dem er das Haus und den Laden und alles hat ruhig übergeben können. Das ist nämlich eine wichtige Sache, mußt du wissen. Stell dir vor, daß dein Urgroßvater und dann der Großvater und dann dein Vater jeder viele Jahre lang hier geschafft hat und Sorgen gehabt hat, damit das Geschäft auch in gutem Stand an den Sohn komme. Und jetzt soll ich sterben und weiß nicht einmal, was aus allem werden und wer nach mir der Herr im Hause sein soll. Überleg dir das einmal. Was meinst du dazu?«

Der Junge blickte verwirrt und traurig vor sich nieder; er konnte nichts sagen und konnte auch nicht nachdenken, der ganze Ernst und die feierliche Befangenheit dieser sonderbaren Stunde in dem dämmernden Zimmer umgab ihn wie eine schwere, dicke Luft. Er schluckte, weil ihm das Weinen nahe war, und blieb in Trauer und Verlegenheit still.