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War Jesus schwul? Diese und 99 weitere Fragen werden vom Autor unerschrocken gestellt und mutig beantwortet. Er ist evangelisch-reformierter Theologe und war fast 50 Jahre lang Gemeindepfarrer in der Schweiz. Er bezeichnet sich als „schwergläubig“, was ihn die Bibel und die kirchlichen Traditionen sehr genau und kritisch studieren ließ. Dieses Studium hat ihn nah an den historischen Jesus geführt. Konsequenterweise nennt er sich seit vielen Jahren „Jesuaner“. Mit diesem Buch bietet Reinhard Rolla 100 Anregungen, sich mit der Bibel und der Kirche kritisch auseinanderzusetzen. Wer auf der Suche nach einem zeitgemäßen Glauben ist, wird hier Impulse für seinen Weg finden. Die 100 kurzen Texte belehren nicht und offenbaren keine endgültigen Wahrheiten. Sie zeigen aber Wege auf, führen ins jesuanische Denken ein, bestärken und stellen gleichfalls in Frage. Ein herausforderndes Buch für Anfänger und Profis gleichermaßen.
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Seitenzahl: 334
Reinhard Rolla
War Jesus schwul?
100 unerschrockene Fragen und Antworten zu Bibel, Kirchen und Religionen
Impressum
Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN: 978-3-95894-066-6
Titelgestaltung und Satz: Frank Petrasch
Coverabbildung: © Solomnikov / Shutterstock
© Copyright: Omnino-Verlag, Berlin / 2017
Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.
War Jesus schwul?
Der Verfasser des Johannesevangeliums erwähnt mehrfach einen „Jünger, den Jesus lieb hatte“. Hatte Jesus nicht alle Jünger lieb und überhaupt alle Menschen? Warum diese seltsame Wortwahl?
Es brauchte schon etwas Mut, die obige Frage laut zu stellen und sogar als Buchtitel zu wählen. Es ist eine der letzten von vielen Fragen, die ich rund um Bibel und Kirche gestellt und um deren Beantwortung ich mich ein Pfarrerleben lang redlich bemüht habe.
Früh schon habe ich mich als „schwergläubig“ bezeichnet. Wie ich auch dem „ungläubigen“ Thomas aus dem Johannesevangelium bald einmal „Schwergläubigkeit“ attestiert habe. Er wollte seinen Jünger-Kollegen nicht glauben, dass Jesus ihnen erschienen war. „Erst wenn ich meine Hände und Finger in seine Wunden gelegt habe, werde ich es glauben“, sagte er. Jesus soll dann tatsächlich noch einmal erschienen sein und Thomas sei regelrecht zusammengebrochen. Fortan trug er den Zusatz „ungläubiger Thomas“.
„Das glaube ich nicht!“ – Wer von Ihnen hat diesen Satz noch nie gesagt? In diesem Buch sind einhundert Texte zusammengefasst, die ich in den letzten Jahren unter dem Arbeitstitel „Bibel, Kirche(n) und Religion(en) kritisch beleuchtet“ geschrieben habe. Es sind die Ergebnisse meiner Schwergläubigkeit, ja meines Unglaubens: Nicht zuletzt für den Religionsunterricht am Lehrerseminar habe ich Unstimmiges und Widersprüchliches in den Texten des Alten und des Neuen Testamentes aufgespürt und mutig aufgedeckt. Ich wollte zeigen, dass die Bibel und überhaupt alle Religionsschriften keine „Heiligen Bücher“ sind. Und dass Glauben kein ehrfürchtiges und gehorsames Für-wahr-Halten ist, sondern – wie bei Jesus – ein mutiges Für-möglich-Halten sein sollte, das zu Taten führt: Ich habe nach und nach freigelegt, was ich die Vision Jesu von der Menschwerdung des Menschen nenne. Diese führt für mich zu einem jesuanischen Prozess, der ein ständiges seelisches Training erfordert, bei dem das Ziel „Mensch“ ein Ehrentitel ist. Ich habe in meinen Predigten die Hörerschaft ehrlich über meine Entdeckungen informiert. Ich legte und lege jeweils zuerst den biblischen Text möglichst originalgerecht vor und zeige dann je nachdem Unstimmigkeiten und Widersprüche auf. Beziehungsweise meine Überzeugung, dass ein bestimmter Text unmöglich von Jesus gesagt worden sein kann und ihm also später untergeschoben worden sein muss.
Ich sage auch, Glaubensaussagen müssten grundsätzlich mit „ich glaube“ beginnen, mit „meiner Meinung nach“ oder „nach meiner Überzeugung“. Dann könne man freimütig darüber diskutieren, warum die einen etwas glauben und die anderen nicht. Und es müsse dabei nicht zu Streitigkeiten oder gar zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen, weil alles relativ ist. Und ich setze hinzu, niemand müsse das übernehmen, was ich zu einem biblischen Text oder Thema sage.
Glauben ist in meinen Augen intim, privat und individuell und kann weder befohlen noch verboten werden. Man soll einfach das mitnehmen, was hilft und gut tut und sogar befreit. Eine Rückmeldung, die ich sehr oft erhalten habe und noch erhalte.
Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen und Entdecken!
Man hat Jesus bestohlen. Man hat ihm den Vater gestohlen. Die Evangelisten Matthäus und Lukas beziehungsweise deren Quellen haben seine „Zeugung durch den Heiligen Geist“ und also „ohne Zutun eines Mannes“ propagiert, die zum Glaubensgut geworden ist. Man hat ihm seine leiblichen Brüder und Schwestern gestohlen. Die „ewige Jungfräulichkeit Marias“ wurde sehr früh schon zur „Glaubenswahrheit“. Also durfte Maria nach ihm keine Kinder haben. Seine in den Evangelien namentlich erwähnten Brüder wurden zu Cousins gemacht, von einigen Quellen auch zu Kindern des Josef aus dessen erster Ehe.
Dass aus Jesu Kindheit bis auf eine einzige Ausnahme nichts bekannt ist, verwundert nicht: Bis er sich als Erwachsener hat taufen lassen, war er völlig unbekannt. Und auch nachher noch war an ihm zunächst nichts Auffälliges: „Der Sohn von Maria, der Sohn des Zimmermanns, der Sohn Josefs“, so wird er in den vier Evangelien genannt. Und man hat auf seine Herkunft bezogen sogar spöttisch eine Redensart zitiert: „Was kann aus Nazareth schon Gutes kommen?“
Als er dann bekannter geworden war, haben ihn die einen verehrt und andere haben ihn abgelehnt und sogar verfolgt. Er sei vor allem zu den „Menschen im Abseits“ gegangen, hat man von ihm berichtet. Zu den Kranken, den Ausgestoßenen, den Außenseitern, den Schwachen und Verachteten.
Als er schon längst gestorben war, hat man Geburtsgeschichten von ihm erdichtet. Zwei davon sind in unserem Neuen Testament enthalten, jene des Lukas und jene des Matthäus. Beide Verfasser haben ihre je eigene Botschaft darin verarbeitet, ihre Sicht von ihm, ihre Interpretation seines Kommens.
Die Tradition hat beide Geschichten vermischt und zwar so, dass beide ihre wichtigsten Aussagen eingebüßt haben. Mit der Folge, dass eine ziemlich rührselige Version entstanden ist, die wunderbar vermarktet werden konnte und immer noch vermarktet wird. Mit dem Ergebnis, dass wenige Tage nach dem Fest seiner Geburt die Krippenfiguren in Seidenpapier verpackt werden und bis zum nächsten Weihnachtsfest in der Versenkung verschwinden. Und mit ihnen die Weihnachtsbotschaft:
„Friede auf Erden den Menschen, die Gott liebhat!“
So singen in der Version des Lukas die Engel auf dem Feld den Hirten. Weitgehend verlorengegangen ist, dass diese Botschaft revolutionär und für die damals Herrschenden sogar subversiv war. Denn dass die „Menschen im Dunkeln“, der Abschaum der Gesellschaft – die Hirten – als „von Gott geliebt“ bezeichnet wurden, war ungeheuerlich. Wie überhaupt die neue Botschaft ungeheuerlich war, dass es bei Gott keine „Verlorenen“ gibt, keine „Aussortierten“.
Dass Jesus sich als Erwachsener genau zu diesen gesellt hat, das ließ viele seiner Volksgenossen zu seinen Gegnern werden. Und die so genannten Christen haben sehr schnell die „alten Ordnungen“ wiederhergestellt und neue Klassen geschaffen: Hier die „Heiligen“ – die Priester und Bischöfe, sogar der „Heilige Vater“ – und dort das Volk, die Sündigen, die Unwürdigen und die Auszumerzenden.
Von Jesu Liebesbotschaft ist nicht viel übriggeblieben. Mit „Liebe“ kann man eben nicht gut herrschen. Und herrschen wollten und wollen viele – bis zum heutigen Tag.
Wer Jesus an den traditionellen Messias-Vorstellungen mass, musste sich an seinem menschlichen und sanftmütigen Auftreten stören. Denn der Messias der Juden würde „in der Macht des Herrn“ kommen, die Besatzungstruppen aus dem Land werfen und Zion zum Mittelpunkt des jüdischen Glaubens und Volkes machen.
Jesus hat dem traditionellen Messiasbild nicht entsprochen, hat im Gegenteil immer stärker von Liebe und Friedfertigkeit gepredigt, von Verzeihen und Sanftmütigkeit. Das „Himmelreich“, von dem er träumte, sollte nicht ein jenseitiges sein, aber auch kein mit Waffen erkämpftes und verteidigtes Staatsgebilde. Also auch kein „Gottesstaat“, wie ihn gewisse Religionen und „Religiöse“ bis zum heutigen Tag mit Gewalt errichten wollen.
Jesus war ein Prophet. Einer, der laut dachte, der seine Träume, seine Ängste und Hoffnungen nach außen kehrte und in den Dienst von Visionen stellte. Visionen, die keine Tagträume und keine Luftschlösser waren, sondern auf Hoffnungen beruhten – und auf einer großen Wertschätzung der dem Menschen innewohnenden Kräfte. Jesus traute den Seinen viel zu. Er traute ihnen sogar etwas Unerhörtes zu: „Ihr könnt vollkommen werden, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist!“
Was hat man aus dieser großartigen Einschätzung gemacht, als er nicht mehr da war!
Als aus dem von Hass gegen Jesu Anhänger besessenen und sie unerbittlich verfolgenden Saulus ein ebenso besessener „Paulus“ geworden war, ein selbst ernannter „Apostel von Jesu Gnaden“, hat der sich des Lebens Jesu bemächtigt und vor allem seines Sterbens. Er hat die Hilf- und Ratlosigkeit der Jünger nach Jesu Tod aufgegriffen und ihr seine Deutung gegenübergestellt: Jesu Leiden und Sterben war für Paulus nicht unverständlich und sinnlos, sondern eine Erlösungstat, d i e Erlösungstat nach dem Sündenfall der ersten beiden Menschen im Paradies. Es war die Versöhnung mit Gott und eine Versicherung der Aufnahme in den Himmel, sofern man dieser Botschaft glaubte und sich taufen ließ.
„Für unsere Sünden gestorben!“ Das wurde zur bestimmenden Heilsbotschaft, zum Evangelium, welches vor allem durch den unermüdlichen Einsatz des Paulus höchstpersönlich die damalige Welt eroberte. Dass das zu einem wesentlichen Teil nicht Jesu Botschaft war, das spielte keine Rolle. Man hatte etwas, an das man sich halten und klammern konnte. Dass die Christen genau genommen „Pauliner“ sind, ist den allermeisten nicht bewusst. Jesu Botschaft, vor allem sein Leiden und Sterben als seine letzte Predigt in der langen Reihe seines prophetischen Redens und Handelns, wurde nicht verstanden und deswegen auch nicht verkündigt. Das aber hat die Kirche sehr schnell in eine Richtung gelenkt, die alles andere als gut und in seinem Sinn war.
Man hat ihn seiner Botschaft beraubt. – Und entsprechend sieht die Welt nach zweitausend Jahren Christentum aus! Seine Botschaft war der „Aufruf zur Menschwerdung des Menschen“, zum Lieben und Dienen und zum Kampf gegen alle negativen Aspekte der Triebhaftigkeit, die wir Menschen unserer animalischen Herkunft „verdanken“. Jesu Botschaft in seiner Passion war der Aufruf, all das Entsetzliche inskünftig zu verhindern, dass er sich am Ende an Leid und Erniedrigung durch die Mächtigen hat auferlegen und antun lassen. Ein letztes Aufbäumen dagegen, dass aus unschuldigen Kindern brutale Folterknechte gemacht und Bäume zu Kreuzen missgestaltet werden. „Ihr könnt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist!“ Das war Jesu Vision, das war sein Vermächtnis, sein Appell und Auftrag. Und das hat man ihm gestohlen.
Man hat Jesus schon sehr bald nach seinem Tod Worte in den Mund gelegt, die er so nicht gesagt haben kann: Sein „Gebet im Garten Gethsemane“ ist für mich ein solcher untergeschobenen Text. Laut den Evangelisten Markus, Matthäus und Lukas hat er einen Steinwurf weg von den drei Jüngern gebetet, die er von den Zwölfen ausgewählt und tiefer in den Garten mit hineingenommen hatte. Sie also konnten nicht hören, was er gebetet hat. Außerdem waren sie schon kurze Zeit später, als Jesus nochmal kurz zu ihnen zurückgekehrt ist, tief eingeschlafen und er musste sie wecken, damit sie mit ihm wachen würden. Als dann Judas und die Soldaten der Tempelwache kamen, um Jesus gefangen zu nehmen, war keine Zeit, zu erzählen, was er gebetet hatte. Es kam zu einem Handgemenge, in dem einer der Zwölf – war es wirklich Petrus? – ein Kurzschwert zog und einem Mann ein Ohr abhieb. Jesus habe es angeheilt und dafür gesorgt, dass die Jünger unbehelligt blieben. Dann ließ er sich widerstandslos abführen, und alle Jünger flohen in die Nacht. Niemand konnte also wissen, was er gebetet hat.
Irgendjemand hat später das „Gebet“ erfunden und in es hineingelegt, was er sich so gedacht beziehungsweise Jesus nachempfunden hat. Dann hat das Ganze eine Eigendynamik entwickelt und Zusätze erhalten. So dass nun – auf die drei synoptischen Evangelien Markus, Matthäus und Lukas verteilt – Jesus sogar Blut geschwitzt und Gott gebeten haben soll, der „Kelch“ möge an ihm vorübergehen. Dann aber habe er doch noch gesagt; „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ Und Engel seien gekommen, um ihm zu dienen.
Schon möglich, dass er doch noch Angst bekommen hat bei der Vorstellung, was ihm nun alles widerfahren würde im „Mechanismus der Macht“. Obwohl er sich doch freiwillig und bewusst dort hineinbegeben wollte, um seine letzte Predigt zu halten, sein Vermächtnis an die Seinen.
Dafür ein Gebet zu erfinden – das mochte in der damaligen Zeit noch angehen. Aber spätestens seit der Aufklärung und der historisch-kritischen Bibelarbeit hätte man die Erfindung offenlegen müssen. Und es wieder offenlassen, was Jesus in dieser letzten Stunde gedacht hast.
Aber „Tradition“ hat eine große Macht. Textveränderungen und Fälschungen können angesichts der weitverbreiteten religiösen Lethargie nahezu unmöglich ans Licht gebracht werden. Und lieb gewordene Text-Montagen wie die Vermischung der beiden Geburtsgeschichten von Matthäus und Lukas sind sogar bei vielen zeitgenössischen Pfarrerinnen und Pfarrern so tief verankert, dass sie sich gegen jede „Aufklärung“ sträuben. Und das, obwohl die „Geschenke der Weisen aus dem Morgenland“ aus der Matthäusversion die Armut und Niedrigkeit des Stalles in der Lukasversion mehr als nur stören. Und kaum jemand die ursprünglichen kraftvollen bis subversiven Aussagen beider Erzählungen mehr kennt und das Jahr hindurch bei sich fruchtbar werden lassen kann.
Man hat nicht nur Jesus bestohlen. Auch unbekannte Autoren sowohl des Alten als auch des Neuen Testamentes sind Opfer solcher Diebstähle geworden. Besonders schlimm ist, dass kaum ein Theologe die Menschen über diese Diebstähle und ihre schlimmen Folgen aufklärt. Wobei die schlimmste Folge sicher ist, dass sowohl die Bibel als auch die Kirchen mehr und mehr ins Abseits geraten. Obwohl sie noch so viel Potential hätten.
Im Grunde ginge es jetzt darum, so gut man kann aufzuklären, aufzudecken und vor allem Jesu Botschaft in ihrer ursprünglichen Form und Kraft zu verkündigen.
Im Markus- und im Johannesevangelium ist nicht von einer Jungfrau die Rede. Und auch nicht von einer biologisch-geistlichen „Gottessohnschaft“ Jesu. Jesus wird dort mehrfach „Sohn des Josef, des Zimmermanns aus Nazareth“ genannt, was fast ein wenig geringschätzig war. Ob tatsächlich Josef der biologische Vater Jesu war, kann nur vermutet werden. Längst hat sich hingegen die „Jungfrauengeburt“ durchgesetzt, obwohl in dem zugrundeliegenden Prophetentext nur von einer „jungen Frau“ die Rede ist, die „schwanger ist und ein Kind gebiert“ – in längst vergangen Zeiten. Bei den Verfassern des Matthäus- und des Lukasevangeliums ist Maria eine „Jungfrau“, die dem Josef anvertraut beziehungsweise mit ihm verlobt ist. Beide Evangelisten betonen, dass Gott selbst – durch die Kraft des Heiligen Geistes – der Vater des Kindes ist, das Maria gebären wird. (Später und in gewissen Kreisen bis zum heutigen Tag wird man sogar an die „ewige Jungfrauschaft“ der Maria glauben und sie propagieren).
Die „Jungfrauengeburt“ war damals weit verbreitet: Hervorgegangen aus Verbindungen von Göttern mit Menschenfrauen, wie sie auch in der uralten Erzählung von der Sintflut berichtet werden. Dort zeugen „Gottessöhne“ mit Menschenfrauen die „Riesen der Urzeit“. Im Grund sind auch die beiden „Jungfrauengeburten“ des Matthäus und des Lukas solche Erzählungen. Aber den jüdischen Gott konnte man sich natürlich nicht als „Zeugenden“ vorstellen, und so kam der „heilige Geist“ ins Spiel beziehungsweise die „Kraft des Höchsten“, welche die junge Maria „überschatten“ würde.
Interessant ist, dass im Lukasevangelium alles, was mit der Schwangerschaft und der Geburt zusammenhängt, allein über Maria abläuft, während Josef nur als der dient, der „aus dem Hause und Geschlecht Davids“ ist. Und das deswegen, weil der Messias ein „Davidide“ sein muss. Der Engel kommt leibhaftig zu Maria und kündigt ihr die Schwangerschaft an. Sie gibt ihre Einwilligung und gilt seither ihrer Anhängerschaft als Vorbild im Glaubensgehorsam.
Im Matthäusevangelium hingegen ist Maria völlig stumm und nur passiv vorhanden. Alles läuft über Josef, in dessen Haus in Bethlehem sie wohnt. Es beginnt damit, dass Josef ihre Schwangerschaft bemerkt, das Schlimmste annimmt und sie deswegen bei Nacht und Nebel zu ihren Eltern zurückschicken will. Er will ihr und sich die Schande einer vorehelichen Geburt ersparen. Erst jetzt erscheint ein Engel dem Josef „im Traum“ und sagt ihm, das Kind sei „vom heiligen Geist“. Bei allem, was danach geschieht, erscheint jeweils der Engel dem Josef im Traum und sagt ihm, was er tun soll: Maria heiraten, dem Kind den Namen „Emanuel“ geben, mit seiner jungen Familie nach Ägypten fliehen, weil Herodes das Kind töten will und nach einer – uns unbekannten – Zeit wieder in die Heimat zurückkehren, weil Herodes gestorben ist. Selbstverständlich will er in sein Haus in Bethlehem zurückkehren. Aber aus Angst vor dem jetzt dort herrschenden Herodes-Sohn wandert er „in eine Stadt mit Namen Nazareth“ aus.
Bei Lukas wohnt Josef in Nazareth und muss mit Maria, seiner Frau auf Befehl des Kaisers in Rom nach Bethlehem reisen, um sich dort in eine Steuerliste eintragen zu lassen. Nach der Geburt* bleiben sie noch vierzig Tage in Bethlehem, um nach dem alten Mose-Gesetz ihren Buben im Tempel Gott symbolisch zu „opfern“. Dann kehren sie nach Nazareth zurück.
Deutlich ist, dass beide Geburtsgeschichten nicht zusammenpassen. Dass es zwei völlig verschiedene „Geburtsgeschichten“ gibt, die von der Tradition zusammengefügt worden sind. Davon – und dass sie dabei ihre je eigene Botschaft weitgehend verloren haben, soll dann ein anderes Mal die Rede sein.
Von der Kindheit Jesu berichtet nur das Lukasevangelium in der Erzählung „Der zwölfjährige Jesus im Tempel“: Seine Familie sei mit ihm – wohl in einer größeren Gruppe – zum Passafest nach Jerusalem gereist. Als seine Sippe nach dem Passafest wieder nach Nazareth zurückkehrt, ist Jesus unbemerkt in Jerusalem im Tempel zurückgeblieben. Auf den Vorwurf seiner Mutter reagiert er recht verständnislos: „Wusstet ihr nicht, dass ich im Haus meines Vaters sein muss?“ Dann aber ist er doch mit nach Nazareth zurückgegangen und ein braves und unauffälliges Kind gewesen.
Als er dann mit dreißig auf seinem „Weg“ ist, da ist von Familie nichts mehr zu spüren. Einmal sollen „deine Mutter und deine Brüder“ zwar versucht haben, ihn nach Hause zu holen. Wahrscheinlich weil sie sich seiner schämten. Oder vielleicht, weil sie Angst um ihn hatten. Aber er habe sich vehement und deutlich von ihnen distanziert: „Die mit mir sind, das sind meine Mutter und meine Schwestern und Brüder!“ – Es werden also Brüder und Schwestern erwähnt, die allerdings nach der Lehre von der „ewigen Jungfrauschaft Marias“ zu Cousinen und Cousins gemacht wurden beziehungsweise zu „Kindern Josefs aus einer ersten Ehe“. Josef selber verschwindet bei Matthäus nach der Geburtsgeschichte und bei Lukas nach der „Reise nach Jerusalem“ sang- und klanglos. (Bei Markus und Johannes kommt er überhaupt nicht vor!)
Der Evangelist Johannes erzählt als einziger die Episode „Das Weinwunder von Kana“: Dort findet eine, wohl mehrere Tage dauernde, Hochzeit statt, bei der Jesu Mutter anwesend ist. Auch Jesus und seine Jünger sind eingeladen. Irgendwann ist der Wein ausgegangen. Johannes lässt Jesus seine Mutter recht grob anfahren, als sie ihn darauf anspricht. Vielleicht bittet sie ihn ja indirekt, den ausgegangenen Weinvorrat – durch ein Wunder vielleicht – zu ergänzen. Jesus reagiert äußerst schroff: „Weib, was habe ich mit dir zu schaffen“ soll er zornig ausgerufen haben. Am Ende verwandelt er dann aber doch „Wasser in Wein“ und rettet so die Ehre der Hochzeitsfamilie.
Laut den Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas war Jesu Mutter während der ganzen Zeit seines Weges nicht bei ihm. Auch nicht beim Kreuz. Der Evangelist Johannes lässt sie als einziger – zusammen mit dem „Jünger, den Jesus lieb hatte“ – unter dem Kreuz stehen. Jesus fügt beide als „Mutter und Sohn“ zusammen. Eine rührende und zu Herzen gehende Geschichte, aber doch wohl eher ein „Märchen“, als eine historische Tatsache.
Wenn Lukas in seiner Apostelgeschichte Jesu Mutter nach der „Himmelfahrt“ zusammen mit seinen Brüdern „bei den Jüngern“ sein lässt, dann mag das historisch stimmen. Aber das wäre eben doch eine sehr, sehr „nachträgliche“ Sache. Zu nachträglich, um die spätere Ehrung und Verheiligung seiner Mutter und auch Josefs zu rechtfertigen.
Diesbezüglich wird übrigens gesagt, diese Ehrung der Maria – bis hin zur „Himmelskönigin“ – sei den Christen zu verdanken, die damals aus anderen Religionen dazugekommen waren und die ihre alten Muttergottheiten schmerzlich vermissten.
Jesus ist letztendlich vater- und mutterlos seinen Weg gegangen. Stattdessen hat er den herrischen und unnahbar strengen jüdischen Gott vom Sockel geholt und zum „Vater“ gemacht. Für sich und für alle, die ihm folgten.
Ein katholischer Feiertag, der jeweils am 8. Dezember begangen wird und in der Schweiz den Menschen in mehrheitlich katholischen Kantonen einen freien Tag beschert. Gefeiert wird der Akt, mit dem Maria seinerzeit von ihren Eltern gezeugt beziehungsweise von ihrer Mutter empfangen wurde.
Und das wird gefeiert?! Nicht „das“, sondern ein Wunder: „Die unbefleckte Empfängnis“! Was ist das?
Paulus, selbst ernannter „Apostel Jesu“ lehrte: Gott hat im Paradies die beiden ersten Menschen verflucht, weil sie ungehorsam waren. Für alle Zeiten sogar! Und dieser Fluch beziehungsweise die Erbsünde wird seither durch die Zeugung an jeden Menschen weitergegeben. Jesu Sühnetod am Kreuz reinigt aber nun all jene Menschen, die an ihn glauben und sich taufen lassen.
Nun aber war der Glaube entstanden, dass Maria durch den „Heiligen Geist“ schwanger geworden und Jesus „Gottes Sohn“ war. Und genau hier war das Problem: Maria war vor Jesu Erlösungstat gezeugt worden und war also logischer Weise wie alle Menschen mit der „Erbsünde“ befleckt. Konnte aber Gott seinen „heiligen Samen“ in eine durch die Erbsünde befleckte Frau geben? Undenkbar!
In den „Geburtsgeschichten“ der Evangelisten Matthäus und Lukas steht nichts darüber. Sie wussten offensichtlich nichts von einer „Erbsünde“. Aber das Problem bestand! Also musste die Regel herhalten, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. – Und so entstand die „Mär“ von der „unbefleckten Empfängnis “ der Maria. Die besagt: Gott hat durch ein Wunder bewirkt, dass sein Fluch, also die „Erbsünde“, bei der Zeugung der Maria nicht an sie weitergegeben wurde. Maria war für die Gläubigen also „die reine Magd“, wie sie in alten Weihnachtsliedern besungen wird.
Aus der „Mär“ wurde mehr und mehr eine Glaubenswahrheit, ein Dogma, das bis zum heutigen Tag Gültigkeit hat. Und das vielen Menschen am 8. Dezember einen freien Tag beschert.
Die „Verkündigung Mariä“, also die Geschichte mit dem Erzengel, der Maria die besondere Schwangerschaft verkündet, wird fristgemäß am 24. März begangen.
„Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden (bei) den Menschen seines Wohlgefallens.“
Das genau lässt der Evangelist Lukas in seiner Geburtsgeschichte die Engel den „Hirten auf dem Feld“ verkünden, welche die Schafe ihrer Herrschaften hüteten. Nicht weit entfernt von dem Dörflein Bethlehem, wo Jesus geboren und in eine Futterkrippe gelegt worden war. In der Tradition wurde daraus „…und den Mensch ein Wohlgefallen“. Kein großer Unterschied? Von wegen! Ein entscheidender Unterschied, der allerdings noch so gerne vergessen wurde! Die Botschaft der Engel galt den Hirten und mit ihnen allen „Menschen im Dunkeln“, im Abseits. Sie ist eine Zusage, ein Versprechen oder sogar eine Kampfansage: „Kampf gegen die Ungerechtigkeiten“ dieser Welt. Kampf gegen die Armut, gegen die Diffamierung und Ausgrenzung von Menschen, die nicht dazugehören dürfen. Die draußen bleiben sollen, am liebsten weit weg – im Dunkeln. Dort wo man sie nicht sieht.
Genau das waren damals die „Hirten des Lukas“. Sie hüteten keineswegs „ihre“ Schafe, sondern die Schafe derer, die sie – für einen Hungerlohn – angeheuert hatten. Sie hatten überhaupt nichts außer dem, was sie auf dem Leib trugen. Und das war abgerissen genug. Und dreckig – auch im übertragenen Sinn. Sie waren so ziemlich das Letzte, was man werden kann. Sie waren pauschalverdächtig als potentielle Räuber und Mörder. Man traute ihnen alles Schlimme zu. Sie waren ausgegrenzt – ihre Welt war dunkel, niemand mochte sie. Irgendwie sind sie vergleichbar mit den „Sozialhilfebezüger/innen“ und den „Asylant/innen“ unserer Zeit, die ebenso pauschal als „Schädlinge“ und Schmarotzer diffamiert und an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden.
Genau da hinein zielt das „Weihnachts-Märchen“ des Lukas. Jawohl, es ist ein Märchen, also eine Art Bildergeschichte. Eine Geschichte mit einer deutlichen „Mär“, also einer „Botschaft“. Einer Botschaft, die zuvor schon Jesus radikal und konsequent mit dem Einsatz seines Lebens verkündet und verwirklicht hatte:
Wo es um das „Himmelreich mitten unter euch“ geht, kann und darf es keine Menschen im Dunkel geben und also kein Ausgrenzen, kein Verachten und kein Diffamieren. Nur Solidarität und Achthaben aufeinander. Eben die weiteste und anspruchsvollste Form von Lieben.
Fazit: „Weihnachten“ ist nicht dort, wo die Lichterketten am hellsten leuchten, weder die öffentlichen noch die privaten. Sondern dort, wo man daran ist, „Frieden für alle“ zu schaffen.
Er ist ein Höhepunkt in der Geburtsgeschichte Jesu, die der Evangelist Matthäus der Nachwelt hinterlassen hat.
König Herodes hatte laut Matthäus die „Weisen aus dem Morgenland“ empfangen, die nach dem neu geborenen König der Juden“ gefragt hatten. Seine Schriftgelehrten hatten auf seinen Befehl in den alten Schriften gesucht und herausgefunden, dass „einst ein Herrscher von Betlehem im Lande Juda hervorgehen“ werde. Also hatte er seine Gäste dorthin geschickt. Sie sollten zu ihm zurückkommen und ihm berichten, wo genau das „Königskind“ war. Er wolle es ebenfalls anbeten und ihm huldigen, hatte er die Weisen angelogen. Aber der bei Matthäus mehrfach in Träumen auftretende „Engel des Herrn“ hatte sie direkt in ihre Heimat zurückkehren lassen. Und als Herodes wutschnaubend einen Trupp Soldaten nach Bethlehem schickte, um „alle Knaben bis zu zwei Jahren“ umzubringen, wurde Josef durch besagten Engel gewarnt und mit Frau und Kind nach Ägypten ins Exil geschickt.
Wie lange die Familie Josef dort blieb, ist nicht bekannt. Eines Tages kam wieder der Engel im Traum zu Josef mit der Botschaft: „Herodes ist gestorben. Du kannst wieder in deine Heimat zurückkehren.“ Josef machte sich sofort auf, aber dann erfuhr er, dass der Herodessohn Archelaos jetzt in Judäa herrschte. Aus Angst traute er sich nicht nach Bethlehem in sein Haus, sondern er „wanderte aus in eine Stadt mit Namen Nazareth.
Und so sind beide Geburtsgeschichten – die des Lukas und die des Matthäus – wenigstens bei folgenden „Fakten“ einig: Jesus wurde als „Gottes Sohn“ in Bethlehem von der Jungfrau Maria geboren und wuchs in Nazareth auf. Und: Josef hieß der Mann von Maria.
Dann aber die großen Unterschiede: Die Matthäusgeschichte findet zu Lebzeiten von König Herodes statt, also sechs bis sieben Jahre vor der Variante des Lukas. Bei Matthäus treten „Weise aus dem Morgenland“ auf und geschieht der „Kindermord in Bethlehem“ mit der „Flucht nach Ägypten“. Matthäus hämmert seinen jüdischen Landsleuten in die Köpfe: „Der von euch zu Tode gebrachte Jesus von Nazareth war und ist der von uns Juden erwartete Messias, der „Gesandte Gottes“. Ihn hat Gott geschickt, um unser Volk zu früherer Größe zurück zu führen und auf dem Berg Zion Wohnsitz zu nehmen.
Matthäus spickt seine Geburtsgeschichte mit „prophetischen Weissagungen“ aus alten Zeiten, die für ihn durch und in Jesus erfüllt wurden: Eine „Jungfrau“, die schwanger wird, die Geburt in Bethlehem, die „Weisen aus dem Morgenland“, der „Kindermord“, beziehungsweise das „Wehklagen in Rama“, die „Flucht nach Ägypten“ und die „Auswanderung nach Nazareth“, alles quasi nach Drehbuch!
Zwei starke Anklagen: „Fremde mussten kommen und euren Vorfahren die Augen öffnen, dass der Messias bei euch geboren ist!“ Und: „Ihr habt von Anfang an mit Verfolgung und Hass auf ihn reagiert. Und am Ende habt ihr den Messias mit Hilfe der römischen Besatzungsmacht getötet!“
So gesehen ist die Geburtsgeschichte des Matthäus eher eine Passionsgeschichte. Und als solche ziemlich ungeeignet als Festlegende zur Weihnacht. Die Tradition hat aber schon relativ früh einen „genialen“ Schachzug gemacht: Man vereinte die beiden so unterschiedlichen Geburtsgeschichten. Man ließ den Kindermord als zu grausam weg, ließ die Weisen alias „Drei Könige“ aus dem Morgenland des Matthäus mit ihren wertvollen Geschenken erst nach Jerusalem und dann nach Bethlehem reisen. Jetzt aber nicht ins Haus des Josef, wie bei Matthäus, sondern in den „Stall“ der Lukasgeschichte. Man ließ die „Engel auf dem Feld“ den Hirten erscheinen und sie „nach Bethlehem“ schicken, um das „Kind zu sehen, das Gott ihnen geschenkt hatte“. So dass im „Stall“ also seither treulich vereint sind: Die Hirten des Lukas in ihren Lumpen und die prächtige gewandeten Weisen des Matthäus mit ihren königlichen und überaus wertvollen Geschenken.
Das von Lukas so stark betonte „Dunkel“ beziehungsweise die „Menschen im Dunkel“ wurden mehr und mehr in grelles Licht getaucht, der dunkle Stall geriet zu einer Art königlichem „Festsaal“ und die Engel steuerten den himmlischen „Gloria-Glanz“ bei.
Ganz so, wie viele Menschen es – vor allem nach der Elektrifizierung ihrer Welt – zu tun pflegen und „Weihnachten“ dabei oft vollends zum reinen Spektakel ohne tieferen Sinn werden lassen.
Weihnachten ist vorbei, wenn die Reste versorgt und entsorgt sind. Das Bäumchen hat wahrscheinlich noch bis zum 6. Januar gehalten, aber dann ist auch es entsorgt – hoffentlich recycelt – worden. Aber was ist mit der Weihnachts-Botschaft?
Diejenige des Matthäus lautet ja: „Jesus ist der von uns Juden erwartete Messias – auch wenn ihr ihn habt ermorden lassen!“ Sie ist für uns also nicht oder nur bedingt bestimmt.
Ganz und gar aber für uns bestimmt ist jene des Lukas: „Bei Gott beziehungsweise bei Jesus und damit bei all denen, die sich „Christen“ nennen, darf es keine Menschen geben, die ausgegrenzt werden. Keine „Menschen im Dunkel“, keine Menschen, für die man sich nicht verantwortlich fühlt, die man einfach ihrem traurigen oder gar brutalen Schicksal überlässt.
„Wer ist mein Nächster“ – so fragte einer damals Jesus. Er hatte von Jesus wissen wollen, was er tun könne, um „in den Himmel zu kommen“. Und Jesus hatte gesagt: „Liebe deinen Nächsten!“ Und der Mann hatte gefragt: „Wer ist mein Nächster?“
Jesus hat ihm damals die Geschichte „Vom barmherzigen Samariter“ erzählt. Da war ein Judäer, also ein Jude, von Räubern überfallen, ausgeraubt und halbtot liegen gelassen worden. Ein Priester und ein Tempeldiener waren an dem Verletzten vorübergegangen, ohne sich um ihn zu kümmern. Ein Mann aus Samaria aber, für die Juden ein „Ausländer“, hatte dem Verletzten geholfen. Es hatte ihn nicht gekümmert, dass zwischen den Samaritanern und den Juden eine Art Feindschaft herrschte und er absolut keinen Grund hatte, einem „solchen“ zu helfen.
Zum Schluss fragt Jesus den Fragenden ein wenig kompliziert: „Wer von den Dreien ist dem Verletzten ein Nächster geworden?“
Genial! Es ist egal, wer oder was der Andere ist. Entscheidend ist, dass ich ihm nahekomme. So nahe, dass ich in ihm vor allem den Menschen, den Mitmenschen erkenne.
Übertragen auf unsere Zeit und Welt: Es ist egal, ob die „Anderen“ Flüchtlinge sind, Asylbewerber, Ausländer, Sozialhilfeempfänger oder was auch immer. Entscheidend ist, dass ich auf sie zu und auf ihre Situation eingehe. Am besten so nahe, dass ich ihre Nöte und ihre Ängste mit Leib und Seele spüre. Und mich nicht durch menschenverachtende Parolen von Menschen verachtenden Personen oder Parteien beeinflussen lasse.
Mittlerweile geht es gar nicht mehr so sehr um ein Seelenheil in einem immer geheimnisvoller werdenden Jenseits. Es geht darum, hier und jetzt zu helfen und zu heilen. Wenigstens im Kleinen, wenn wir doch in der großen weiten Welt dem Unheil machtlos gegenüberstehen, weil unsere Kräfte nicht reichen oder nicht zu reichen scheinen.
Wer eine Krippe aufgestellt hatte, könnte irgendeine der Figuren nehmen und diese separat an einem gut sichtbaren Ort aufstellen. Das wäre dann „der Mensch, dem ich nahekommen möchte.“ Bis wieder Weihnachten ist.
„Gott kam zur Welt“ – „Gott wurde Kind“. – Maria ist „Gottesmutter“. Wirklich?
I c h feiere an Weihnachten die Geburt des Menschen Jesus!
Für den Verfasser des Markus-Evangeliums war die Geburt Jesu nichts Erwähnenswertes. Auch Jesu Kindheit nicht und auch nicht seine Eltern. Im Alter von dreißig Jahren kommt laut Markus ein Mann mit Namen Jesus zu einem Täufer namens Johannes an den Jordan, um sich wie viele andere von ihm taufen zu lassen. Johannes kündete den Menschen einen an, „der stärker ist, als ich und der euch mit heiligem Geist statt wie ich mit Wasser taufen wird.“ Zur Vorbereitung sollen die Menschen Buße tun und sich durch die Taufe reinwaschen lassen.
Weiter erzählt Markus, Jesus habe nach der Taufe eine Vision gehabt, in welcher der „Himmel sich auftat und der Geist wie eine Taube auf ihn herabschwebte. Und eine Stimme erscholl aus dem Himmel und sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden!“ – Danach wandert Jesus ein Jahr lang durch das Land bis nach Jerusalem, sammelt zwölf Männer um sich, predigt vom „Reich Gottes mitten unter euch“ und lässt sich am Ende gefangen nehmen und am Kreuz zu Tode bringen.
Matthäus und Lukas erzählen unabhängig voneinander in ihren Evangelien von der Geburt des Jesuskindes. Ihre Erzählungen sind so verschieden, dass man sich für eine entscheiden muss. Oder man hält beide – wie ich – für Erfindungen, für „Märchen“. Märchen sind Geschichten, die eine „Mär“ enthalten, eine „Botschaft“. Genau betrachtet, sind Märchen gar nicht für Kinder erfunden worden. Sie richten sich an die Erwachsenen und enthalten mehr oder weniger versteckt Anspielungen auf Verhaltensweisen, die gut oder böse sind. „Rotkäppchen“ ist solch ein Märchen.
Die beiden Geburtserzählungen des Lukas und des Matthäus berichten kein historisches Geschehen, sondern transportieren Botschaften des erwachsenen Jesus. Sie sind genau genommen vorweggenommene Passions-Erzählungen.
Lukas lässt die „Engel des Herrn“ den Hirten in Bethlehem, den „Menschen im Dunkel“, verkünden: „Für euch ist heute der Heiland geboren, der Retter! Gott liebt euch genauso wie die so genannten Guten und Braven!“ Eine Ungeheuerlichkeit für die damaligen Durchschnittsmenschen! Und doch: Jesus ist nach seiner Taufe genau zu solchen Menschen gegangen und hat ihnen seine Liebe gezeigt und sein Verständnis für sie und ihre Situation. Und er hat ihnen Wege aufgetan, sich aus ihren Nöten zu befreien. Und hat sich für das alles den Zorn der Mächtigen im Land zugezogen und damit seinen Tod am Kreuz provoziert.
Matthäus hingegen lässt „Weise aus dem Morgenland“ kommen, die König Herodes darauf stoßen, dass „der Messias“ geboren ist, der von Gott gesandte „König“. Und er lässt Herodes durch dessen Soldaten eine „Maschinerie der Macht“ in Gang setzen, der in Bethlehem alle Knaben bis zu zwei Jahren zum Opfer fallen. Das Jesuskind entkommt zwar durch die „Flucht nach Ägypten“. Aber Jesus wird im Alter von einunddreißig Jahren solch einer Maschinerie – jener der Römer – zum Opfer fallen. Zwar mit seiner „freundlichen“ Mitwirkung. Aber doch so, dass die Seinen „ihn verließen und flohen“.
Keinen Moment geht es in den beiden Erzählungen darum, dass „Gott in die Welt“ kommt oder „Mensch wird“ oder „Kind“. Das hat man später dazu gedichtet. Wie man später auch die beiden so verschiedenen Erzählungen vermischt und damit beide ihrer je eigenen Botschaft weitgehend beraubt hat.
Deswegen konnte Weihnachten zu dem werden, was es oft ist: Kitsch und Kommerz.
Zunächst: „Gott“ ist kein Vorname wie Hans oder Hanna. Das Wort ist eine „Gattungsbezeichnung“ wie zum Beispiel „Mensch“ oder „Tier“ oder auch „Auto“. Und wie bei den Menschen und Tieren – und auch Autos – folgen dann die Rasse oder die Fabrikmarke und weitere Kennzeichen. Das Wort „Gott“ kommt von dem alten Verb „gotten“, das „gießen“ oder „geussen“ (schreien) bedeutete. „Gott“ ist eine Kurzfassung von „der oder die oder das Begottete“. Also das Wesen, zu dem oder vor dem man etwas (aus)gießt, also opfert oder zu oder vor dem man geusst (schreit), also betet.
Der Begriff „Gott“ – sagt also nichts über das Wo und Wie dieses Wesens, sondern beschreibt nur, was Menschen tun, um es, das „unsichtbare“ Wesen, zu ehren. Oder gnädig zu stimmen. Der Begriff sagt auch nichts über das Geschlecht dieses Wesens, also ob es weiblich oder männlich ist. Das hat man später mit der „Göttin“ nachgeholt. Eigentlich müsste man „das Gott“ sagen.
In den verschiedenen Religionen und Kulten kamen in grauer Vorzeit viele Beschreibungen und Bilder hinzu, die den Menschen bei der Verehrung helfen sollten. Das waren natürlich „erfundene“ Bilder, „geglaubte“ Beschreibungen. Und je nach Kult oder Religion stand es den Menschen frei, eigene „Zutaten“ beizusteuern. Oder man bediente sich bei benachbarten Religionen. – Irgendwann wurden diese erfundenen Bilder und Beschreibungen „heilig“ und damit unveränderlich. Die Israeliten waren das erste Volk, das nicht viele verschiedene Götter verehrte, sondern das sich – laut Bibel – für einen einzigen Gott entscheiden mussten. Der hatte wie alle Götter auch einen Namen, aber der wurde bald einmal so heilig, dass man ihn nicht in den Mund nehmen durfte. Sie nannten ihn „Adonai“ (Herr) oder „Elohim“ (Gottheit). Jesus forderte die Seinen auf, Gott „Vater“ zu nennen.