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Durch die Offenlegung des jahrzehntelangen Missbrauchs und das Schweigen darüber ist nicht nur die Kirche, sondern auch die Gesellschaft erschüttert worden. Die Kirche muss sich dieser Erschütterung und Beschämung stellen. Aber sie darf sich davon nicht lähmen lassen. Und sie darf sich nicht einreden lassen, dass sie ein Auslaufmodell sei und ihre Bedeutung in der Gesellschaft verliere. Gegen diese Grundhaltung möchte ich ermutigende Impulse geben, trotz allem in der Kirche zu bleiben. Ich möchte Möglichkeiten aufzeigen, wie die Kirche als Institution und Christinnen und Christen auf diese Situation antworten und die Kirche so von innen erneuern können.
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Seitenzahl: 31
Anselm Grün
Warum ich in der Kirche bleibe
Vier-Türme-Verlag
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Printausgabe
© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2022
ISBN 978-3-7365-0449-3
E-Book-Ausgabe
© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2022
ISBN 978-3-7365-xxxx-x
Alle Rechte vorbehalten
E-Book-Erstellung: Dr. Matthias E. Gahr
Lektorat: Marlene Fritsch
Covergestaltung: Dr. Matthias E. Gahr
Coverfoto: © Julia Martin, Abtei Münsterschwarzach
www.vier-tuerme-verlag.de
Stand der Dinge
Durch die Missbrauchsstudie der Erzdiözese München-Freising ist nicht nur die Kirche, sondern auch die Gesellschaft erschüttert worden. Die Kirche muss sich dieser Erschütterung und Beschämung stellen. Aber sie darf sich davon nicht lähmen lassen. Und sie darf sich nicht einreden lassen, dass sie ein Auslaufmodell sei und die Kirche ihre Bedeutung in der Gesellschaft verlieren würde.
Gegen diese pessimistische Grundhaltung, die nicht nur in den Medien, sondern teilweise auch in der Kirche transportiert wird, möchte ich einige ermutigende Impulse geben, trotz allem in der Kirche zu bleiben. Daher möchte ich kurz einige Möglichkeiten nennen, wie die Kirche als Institution und der einzelne Christ oder Christin auf diese Situation antworten kann.
Die Kirche soll und muss das Unrecht aufarbeiten, das in ihr geschehen ist. Aber sie darf nicht in der Schockstarre verharren und nur darüber jammern, wie schlimm alles ist. Statt in das allgemeine Jammern einzustimmen, möchte ich daher ermutigende Gedanken darlegen, die dafürsprechen, in der Kirche zu bleiben und die Kirche zu erneuern.
Das Betrauern des Leids
Die erste Aufgabe der Kirche ist es, alles aufzudecken, was an Unrecht durch sie geschehen ist. Nur was aufgedeckt wird, so sagt es der Epheserbrief, kann vom Licht erleuchtet werden (Epheser 5,13).
Dann gilt es, zu betrauern, dass so viele Kinder und auch Erwachsene durch Vertreter der Kirche sexuellen Missbrauch oder sexuelle Übergriffe erlebt haben. Und es gilt, das Leid der Opfer zu betrauern, mit den Opfern zu fühlen und sich für die Opfer einzusetzen. Statt die Täter zu schützen, wie es in der Vergangenheit leider oft geschehen ist, sollte sich die Kirche um die Opfer kümmern und ihr Leid lindern helfen. Die Opfer sehnen sich danach, dass ihr Leid anerkannt und gesehen wird und dass die Täter nicht weiter über sie triumphieren dürfen. Daher braucht es auch eine angemessene Bestrafung der Täter.
Alexander und Margarete Mitscherlich haben in ihrem Buch »Die Unfähigkeit zu trauern« festgestellt: Eine Gesellschaft, die das Unrecht nicht betrauert, das in ihrer Mitte geschehen ist, erstarrt. Das war beispielsweise in der Nachkriegszeit des Zweiten Weltkriegs so in Deutschland. Die Kirche sollte daraus lernen und durch das Betrauern hindurch wieder ihre eigene Lebendigkeit finden.
In den letzten 31 Jahren habe ich in der Abtei Münsterschwarzach im Recollectio-Haus – eine Einrichtung für Ordensleute, Priester sowie kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in eine Krise geraten sind – viele Männer und Frauen begleitet. Darunter waren immer wieder auch solche, die selbst Opfer geworden waren. So habe ich ihr Leid hautnah miterlebt. Ich weiß, wie tief missbrauchte Menschen verletzt worden sind.
In der Begleitung war mir immer wichtig, die Verletzungen der Opfer zu würdigen und mit ihnen zu fühlen. Aber zugleich war für mich klar: Ich kann jemanden nur begleiten, wenn ich darauf hoffe, dass seine Wunden – wie Hildegard von Bingen sagt – in Perlen verwandelt werden. Natürlich weiß ich, dass das oft ein schmerzlicher Prozess ist, der lange dauert. Aber auch die schwerste Verletzung kann verwandelt werden. Das habe ich oft erleben dürfen. Und nur wenn ich aus dieser Hoffnung heraus Menschen begleite, darf ich darauf vertrauen, dass auch die verletzten Menschen Hoffnung schöpfen.