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Es ist unbestritten, dass jeder von uns in seiner eigenen Filterblase lebt. Die sozialen Medien präsentieren uns ausschließlich Inhalte, die wir unterstützen. Doch ist der Einfluss solcher Algorithmen wirklich so groß, dass er auch den Erfolg von Fake News erklärt? Eine alternative Erklärung liefert das Konzept des digitalen Tribalismus. Wie Lars Urhahn erläutert, beschreibt dieses die Bildung von virtuellen sozialen Gruppen. In Zeiten der Digitalisierung identifizieren wir uns vermehrt über virtuelle Bezugspunkte und beurteilen Informationen gemäß den Interessen der Gruppe. Urhahn geht den psychologischen Grundlagen für die Entstehung solcher digitalen Tribes nach. Anhand einer eigenen Studie klärt er, inwiefern die Verarbeitung von Fake News von der Gruppenzugehörigkeit abhängt. Lars Urhahn deckt auf, wie wir heutzutage Nachrichteninhalte verarbeiten. Aus dem Inhalt: - Glaubwürdigkeit; - Neuigkeit; - Authentizität; - Social Media; - Kommunikation
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Seitenzahl: 147
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Impressum:
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Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Fake News
2.1.1 Erscheinungsformen und Definition
2.1.2 Prävalenz und Einfluss
2.1.3 Ursachen
2.1.4 Korrektur
2.2 Digitaler Tribalismus
2.2.1 Einführung: Zur Existenz von „Filterblasen“ und „Echo-Kammern“
2.2.2 Schlüsselstudie und Konzept
2.2.3 Psychologische Grundlagen
3 Wahrnehmung und Wirkung von Fake News
3.1 Nachrichtenqualität
3.2 Perzipierter Wahrheitsgehalt
3.3 Botschafts- und Kommunikatorglaubwürdigkeit
3.4 Anschlusskommunikation
4 Methodik
4.1 Untersuchungsanlage und Sample
4.2 Stimuli
4.3 Skalen
4.4 Exkurs: Forschungsethik
5 Ergebnisse und Diskussion
5.1 Nachrichtenqualität
5.2 Perzipierter Wahrheitsgehalt
5.3 Botschafts- und Kommunikatorglaubwürdigkeit
5.4 Anschlusskommunikation
5.5 Weiterführende Ergebnisse
5.6 Zwischenfazit
6 Fazit
7 Literatur- und Quellenverzeichnis
Abbildung 1: Konzeptualisierung und Abgrenzung verschiedener Arten von Mis- und Desinformationen
Abbildung 2: Visualisierung des Twitter-Diskurses zur kolportierten Reisewarnung für Schweden
Abbildung 3: Anteile der Fake News-Verbreiter mit und ohne Richtigstellung
Abbildung 4: Ergebnisse des Kahan-Experiments zu Prozessen der „identity-protective cognition“
Abbildung 5: Beurteilung der Nachrichtenqualität verschiedener Artikel in Abhängigkeit von der politischen Orientierung der Probanden
Abbildung 6: Beurteilung des Wahrheitsgehalts verschiedener Artikel in Abhängigkeit von der politischen Orientierung der Probanden
Abbildung 7: Beurteilung der Botschaftsglaubwürdigkeit verschiedener Artikel in Abhängigkeit von der politischen Orientierung der Probanden. Quelle: Eigene Darstellung.
Abbildung 8: Beurteilung der Glaubwürdigkeit des KFN in Abhängigkeit von der politischen Orientierung der Probanden
Tabelle 1: Untersuchungsanlage mit vier Experimentalgruppen.
Tabelle 2: Mittelwerte der zum Mittelwertindex "Anschlusskommunikation" zusammengefassten Items.
Eine riesige Bühne, ein gebanntes Auditorium und zwei prominente Persönlichkeiten im Dialog – mehr braucht es nicht für die Netflix-Show My next guest needs no introduction, dem neuen Format der amerikanischen Late-Night-Legende David Letterman. Zum Auftakt der ersten Staffel ist Barack Obama geladen und spricht – wie von einem Ex-Präsidenten nicht anders zu erwarten – über die großen Themen unserer Zeit. An einer Stelle kommt das Gespräch auf soziale Netzwerke, die in Obamas Präsidentschaftswahlkampf 2008 eine zentrale Rolle spielten.[1] Er spricht dabei über Algorithmen, die Menschen in ihren Einstellungen bestätigten, über virtuelle Blasen, in denen Nutzer kaum noch mit konträren Ansichten konfrontiert würden und kommt schließlich sogar zu der These, dass soziale Netzwerke ein Hauptgrund seien, warum die Politik in den USA immer stärker polarisiere. Obama steht damit stellvertretend für eine Forschungsrichtung, die sich auf die technischen Besonderheiten und daraus folgenden Konsequenzen einer mittels sog. „Recommender-Algorithmen“ vermittelten Online-Umgebung konzentriert (u.a. Pariser 2011; Sunstein 2001, 2017). Als eine dieser Konsequenzen gilt in jüngerer Zeit auch das Phänomen Fake News, das sich besonders in sozialen Netzwerken manifestiert (Allcott & Gentzkow 2017: 221ff.).[2]
Spätestens seit dem US-Wahlkampf und dem EU-Referendum in Großbritannien 2016 ist die Debatte um Fake News allgegenwärtig. Obwohl diese keineswegs neu sind und im Laufe der Jahre bereits unterschiedlich konzeptualisiert wurden (Tandoc, Zheng & Ling 2018), definiert aktuelle Forschung Fake News zumeist als „[…] news articles that are intentionally and verifiably false, and could mislead readers“ (Allcott & Gentzkow 2017: 213). Das Fake News das Potenzial besitzen, Leser zu täuschen, ist – zumindest für die USA – recht gut belegt. So ergab eine Studie im Auftrag der Nachrichten- und Unterhaltungsseite „BuzzFeed“, dass sich erwachsene US-Bürger in etwa 75 Prozent der Fälle von fehlerhaften oder nachweislich falschen Artikel-Überschriften täuschen lassen (Silverman & Singer-Vine 2016: Par. 1). In Deutschland glauben laut einer Befragung des Forschungsinstituts „YouGov“ zwar lediglich sechs Prozent der Wahlberechtigten, dass Fake News einen Einfluss auf sie selbst haben könnte, etwa die Hälfte sieht in ihnen jedoch „eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie“ (Mannott & Kosboth 2017: 11ff.).
In der Tat bringen Fake News gravierende Implikationen für Gesellschaft und Demokratie mit sich. Bakir und McStay (2018: 159ff.) identifizieren in diesem Kontext drei Problemkomplexe: Erstens produzieren Fake News eine fehlinformierte Bürgerschaft, die zweitens durch sog. „echo chambers“ sehr wahrscheinlich fehlinformiert bleibt und drittens durch die emotionale Beschaffenheit derartiger „Nachrichten“ weiter polarisiert wird. Einige Autoren konstruieren darüber hinaus bereits das Szenario einer „post-truth era“, also einem Zeitalter in dem kollektive zugunsten individueller Wahrheiten zurücktreten und die Popularität in sozialen Medien zuweilen mehr zählt als wissenschaftlich abgesicherte Fakten (Lewandowsky, Ecker & Cook 2017: 354).
Akademische Untersuchungen von Fake News finden derzeit hauptsächlich im Kontext sozialer Medien statt (u.a. Allcott & Gentzkow 2017; Guess, Nyhan & Reifler 2018; Vosoughi, Roy & Aral 2018), da Nachrichteninhalte immer häufiger über diese konsumiert werden (Newman, Fletcher, Kalogeropoulos, Levy & Nielsen 2017: 10). In Bezug auf Fake News konkurrieren dabei bislang zwei maßgebliche Forschungsstränge. Während sich der erste Forschungsstrang auf die technologische Komponente einer durch Algorithmen determinierten Online-Wirklichkeit und deren Auswirkung auf den Nutzer konzentriert (Stichwort „filter bubble“), stellt der zweite vielmehr den aktiven Nutzer und seine Auswahl und Verarbeitung von Informationen in den Mittelpunkt (Spohr 2017: 150).
Wie das einführende Beispiel Obamas zeigt, dominiert im öffentlichen Diskurs zumeist die Lesart ersterer Forschungsrichtung (siehe auch Behrens 2016), die postuliert, dass Nutzer online mit einem auf Basis eigener Präferenzen algorithmisierten Nachrichtenstrom konfrontiert werden, der sich konsonant zu ihren politischen Ansichten verhält (Flaxman, Goel & Rao 2016: 299). Man konsumiert letztlich – so die These – nur noch Nachrichteninhalte, die die eigenen Einstellungen bestätigen.[3] Ohne die Existenz technologisch bedingter „filter bubbles“ und „echo chambers“ zu negieren, zeigen neuere Studien am Beispiel von Google jedoch, dass Prävalenz und Effekte der erwähnten Phänomene ersterer Forschungsrichtung möglicherweise überschätzt werden (Haim, Graefe & Brosius 2018: 339). Garrett (2017: 370) kommt sogar zu dem Schluss „[that] there is ample evidence that echo chambers are not a typical part of Internet users’ experience“. Doch wie erklärt sich der Erfolg von Fake News online, wenn Algorithmen eine eher untergeordnete Rolle spielen?
Eine mögliche Erklärung bietet das Konzept des „digitalen Tribalismus“, das die Entstehung virtueller Äquivalente zu vormals physischen sozialen Gruppen beschreibt (Seemann 2017a). Als wichtigster sozialer Bezugspunkt dient Menschen demnach der eigene „Stamm“ dessen Wertvorstellungen übernommen und verteidigt werden. Die Evaluation von eintreffenden Informationen findet dann nicht auf Grundlage von Fakten statt, sondern je nachdem, ob die Informationen dem Gruppeninteresse dienen (Roberts 2017: Par. 10). Bezogen auf Fake News bedeutet dies, dass diese besonders deswegen verbreitet werden, da sie ein Zeichen für die Mitgliedschaft in einer bestimmten sozialen Gruppe darstellen (Seemann 2017a: 1). „Die Leute ahnen häufig, dass eine geteilte Merkel-News so kaum stimmen kann – aber es ist nicht so wichtig, weil die Verbreitung eine soziale Funktion erfüllt: ein Symbol der Gruppenzugehörigkeit“ (Lobo 2017: Par. 20).
Als eine potenzielle psychologische Grundlage des digitalen Tribalismus kann die sog. „identity-protective cognition thesis (ICT)“ gelten (Kahan, Peters, Dawson & Slovic 2013; Kahan 2017). ICT „[is] a tendency to selectively credit and discredit evidence in patterns that reflect people’s commitments to competing cultural groups“ (Kahan 2017: 1). Die Forschung von Kahan und Kollegen (2013: 10) zeigt, dass vorhandene kognitive Fähigkeiten – bei kulturell aufgeladenen Themen – nicht dazu genutzt werden, ein möglichst evidenzbasiertes Bild der Welt zu formen, sondern dazu, den persönlichen Einstellungen widersprechende Interpretationen abzuwerten und so die eigene soziale Identität zu schützen. Mit der Untersuchung des Einflusses der Gruppenzugehörigkeit auf die Verarbeitung von Informationen schließt die ICT unter anderem an klassische Arbeiten zur „Social Identity Theory“ an (u.a. Tajfel 1974, 1982; Turner, Brown & Tajfel 1979), jedoch auch an neuere Forschung zum Thema „motivated reasoning“ (u.a. Epley & Gilovich 2016; Kahan 2013).
Um zur weiteren Erforschung des digitalen Tribalismus beizutragen sowie zu klären, inwiefern die Verarbeitung von Fake News von der Gruppenzugehörigkeit abhängt, wurde eine „Paper-and-Pencil-Studie“ durchgeführt, der ein 2x2-Experimentaldesign zugrunde liegt (für Details siehe Kapitel 4.1). In dieser wurden die zentralen Annahmen der ICT auf die Verarbeitung von Nachrichteninhalten übertragen und anhand des polarisierenden Themas „Flüchtlingskriminalität“ einem Test unterzogen. Sollte die Studie zu dem Ergebnis kommen, dass Individuen (fiktive) Nachrichteninhalte tatsächlich im Sinne einer „identity-protective cognition“ verarbeiten, hätte dies auch Implikationen für den Umgang mit Fake News. Rein technologische Lösungen zur Identifikation und dem anschließenden automatischen Herausfiltern von Fake News aus sozialen Medien (u.a. Conroy, Rubin & Chen 2015; Figueira & Oliveira 2017) würden dann vermutlich nur kurzfristig helfen, da das Problem in Wirklichkeit kognitionspsychologische Ursachen hätte.
Die Arbeit ist dabei wie folgt aufgebaut. Zunächst liefert ein ausführlicher theoretischer Block eine aktuelle Bestandsaufnahme zu Fake News, in dem ihre relevantesten Charakteristika sowie weitere zentrale Themen der Fake News-Forschung aufgearbeitet werden. Anschließend soll anhand des wissenschaftlichen Diskurses zu „filter bubbles“ und „echo chambers“ zum Phänomen des „digitalen Tribalismus“ übergeleitet werden. Nachdem dessen Prämissen erläutert wurden, soll es in einem zusätzlichen Kapitel um die psychologischen Grundlagen gehen, die für die Entstehung „digitaler Tribes“ wichtig sind. Das dritte Kapitel zeigt dann mögliche Wirkungen von Fake News und beschäftigt sich mit den in dieser Arbeit untersuchten Konstrukten sowie der Herleitung von Hypothesen. Im methodischen Teil geht es danach um das angewandte Untersuchungsdesign und das Erhebungsinstrument. Genauer wird diesbezüglich auf die Kreation der Stimuli sowie die eingesetzten Skalen eingegangen. Dieser Teil wird zudem um einen kurzen Exkurs zum Thema „Forschungsethik“ ergänzt, welche bei Untersuchungen zu Fake News besonders zu berücksichtigen ist. Zuletzt werden dann die Ergebnisse bezüglich der Hypothesen sowie weiterführende Ergebnisse präsentiert und diskutiert.
Wie später noch genauer zu erläutern sein wird, stehen Fake News selbst nur zum Teil im Mittelpunkt dieser Untersuchung. Vielmehr sollen die im Experiment gewonnen Erkenntnisse im Hinblick auf die Verarbeitung von Nachrichteninhalten zusammen mit den im Theorieteil erarbeiteten Prinzipien und Prozessen sozialer Gruppen auf das Phänomen übertragen werden. Trotzdem sollen Fake News an dieser Stelle ein eigenes Kapitel gewidmet werden, da sie den Startpunkt für diese Studie liefern. Dabei gilt es zunächst zu klären, was sich hinter dem Konstrukt konkret verbirgt, welche Erscheinungsformen es annimmt und wie es definiert wird. Anschließend soll aufgezeigt werden, wie verbreitet Fake News online tatsächlich sind. Zudem sollen mögliche Ursachen von Fake News erarbeitet sowie skizziert werden, inwiefern sich Fake News korrigieren lassen.
Wie bereits zu Anfang der Arbeit angeklungen ist, sind Fake News nicht gleich Fake News. Da der Terminus im öffentlichen Diskurs aktuell jedoch omnipräsent ist und häufig unreflektiert verwendet wird, gilt mittlerweile fast alles als Fake News, was entweder falsch ist oder auch nur den Anschein erweckt, falsch zu sein. Auch die politische Instrumentalisierung des Begriffs, in dem Argumente des politischen Gegners strategisch als Fake News denunziert werden (Dentith 2017: 75f.), hat zu diesem Umstand beigetragen. An dieser Stelle soll daher eine systematische Einordnung der verschiedenen Erscheinungsformen von Fake News erfolgen und definiert werden, was im Kontext dieser Studie unter Fake News zu verstehen ist.
Tatsächlich galten Fake News in der „Pre-Trump-Era“ lange als das Produkt von Satire-Sendungen wie etwa – den in den USA beliebten – The Daily Show with Jon Stewart oder The Colbert Report. Selbst viele wissenschaftliche Publikationen (u.a. Balmas 2014; Marchi 2012) verwiesen auf die Ursprünge von Fake News in derartigen Unterhaltungssendungen. So stellt etwa Balmas (2014: 432) fest: „Fake news genre represents programming where either the program’s central focus or a very specific and well-defined portion is devoted to political satire“. Marchi (2012: 253) betont darüber hinaus, dass Fake News zwar real existierende Nachrichtenformate imitiere, mittels Satire im Kern jedoch eine ernsthafte Diskussion über politische Themen anstoßen wolle. Dort liegt der Unterschied zur Parodie, einer weiteren Erscheinungsform von Fake News, die sowohl in Format als auch Inhalt fiktiv ist (Tandoc et al. 2018: 142). Beiden Fake News-Formen ist hingegen gemein, dass der Rezipient in der Regel nicht getäuscht wird, sondern sich bewusst ist, dass es sich nicht um „echte“ Nachrichten handelt (ebd.).
In den letzten Jahren hat der Begriff „Fake News“ jedoch einen Bedeutungswandel erfahren. Die wiederholte Verbreitung von Unwahrheiten im Zuge der Brexit-Kampagne und besonders auch des US-Wahlkampfs im Jahre 2016[4] hat dazu geführt, dass Fake News zunehmend im Kontext von Misinformationen und Desinformationen verortet werden (Wardle 2017). Misinformationen sind dabei falsche oder fehlerhafte Informationen, die jedoch auch versehentlich bzw. unbewusst produziert und verbreitet werden können, während Desinformationen die intentionale Täuschung des Lesers durch Manipulation von Inhalten bzw. durch Kreation fiktiver Inhalte bezeichnen (Lazer et al. 2018: 1094). Eine gute Orientierung bietet in diesem Zusammenhang die Systematisierung der „Stiftung Neue Verantwortung“ (Abbildung 1), die konkretisiert, was unter Misinformationen und Desinformationen zu verstehen ist und so Fake News von anderen Formen der Falschinformation abgrenzt.
Abbildung 1: Konzeptualisierung und Abgrenzung verschiedener Arten von Mis- und Desinformationen
Quelle: Sängerlaub, Meier & Rühl 2018: 11.
Neben der bereits erwähnten Satire sowie der strategischen Verwendung des Labels „Fake News“ in der Politik („Poor Politics“) wird hier unter die Kategorie „Poor Journalism“ subsumiert, was sich als Misinformation klassifizieren lässt. Darunter fällt zum Beispiel die seit einigen Jahren prävalente (journalistische) Technik des „Clickbaitings“ (dt. „Klickködern“), die hauptsächlich darauf abzielt, Überschriften eines Teasers mittels linguistischer Techniken derart aufzubauen, dass potenzielle Leser zum Klicken auf eine Zielseite animiert werden (Rony, Hassan & Yousuf 2017). Zudem wird die klassische journalistische Falschmeldung, die sog. „Ente“, als Misinformation eingestuft. Diese entsteht, wie im Falle des angeblichen „Sex-Mobs“ in Frankfurt am Silvesterabend 2016 (für Details siehe Seemann 2017a), häufig aus einer ungenügenden journalistischen Prüfung von Informationen bzw. dem einseitigen Bezug auf unseriöse Quellen. Obwohl Misinformationen unter bestimmten Umständen zu Fake News mutieren können, sind sie definitorisch von diesen zu trennen, da eine bewusste Täuschung einerseits häufig nicht intendiert ist und Falschmeldungen andererseits in der Regel nachträglich richtiggestellt werden (siehe Abbildung 1).
In Anlehnung an die vorliegende Systematisierung werden Fake News in dieser Studie daher als bewusst gestreute Desinformationen verstanden, die das Ziel verfolgen, einer sozialen Gruppe, dem politischen Gegner und/oder gesellschaftlichen Institutionen zu schaden. Dabei kann es jedoch zu Abstufungen bezüglich der Intensität von Fake News kommen – von teilweise richtigen Darstellungen, die lediglich dekontextualisiert werden, über Bild-Manipulationen bis hin zu völlig frei erfundenen Inhalten (ebd.).[5]
Zwei weitere wichtige Dimensionen des Konstrukts lassen sich zudem ergänzen, in dem man gängige Definitionen von Fake News zu Rate zieht. Erstens handelt es sich bei Fake News um Inhalte, die sich nachweislich und auf Basis gesicherter Fakten, also intersubjektiv nachvollziehbar und möglichst objektiv, als falsch einstufen lassen (Allcott & Gentzkow 2017: 213). Zweitens spielt die Gestaltung von Fake News eine elementare Rolle wie Lazer et al. (2018: 1094) in ihrer Definition betonen:
We define “fake news” to be fabricated information that mimics news media content in form but not in organizational process or intent [Hervorhebung d. Verf.]. Fake-news outlets, in turn, lack the news media’s editorial norms and processes for ensuring the accuracy and credibility of information.
Der Umstand, dass Fake News die formale Gestaltung realer Nachrichtenseiten annehmen und darüber hinaus online häufig unter ähnlichen Domain-Namen (z.B. WashingtonPost.com.co) erscheinen (Allcott & Gentzkow 2017: 217), macht es für Internetnutzer besonders schwer, Fakt und Fiktion zu trennen. Wie Untersuchungen zur Zuschreibung von Glaubwürdigkeit in Online-Quellen gezeigt haben, spielen kognitive Heuristiken eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Inhalte im Internet zu evaluieren (Metzger & Flanagin 2013). Schreibt der Nutzer der Quelle als Ergebnis des heuristischen Prozesses Glaubwürdigkeit zu, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass dem Inhalt vertraut und die Quelle nicht weiter hinterfragt bzw. geprüft wird (Tandoc et al. 2018: 7). Eine auf Basis der Heuristik „äußere Form“ angenommene Seriosität einer Seite muss sich jedoch nicht zwangsläufig auch in den inhaltlichen Arbeitsweisen der Betreiber widerspiegeln.
Nachdem Fake News begrifflich genauer gefasst wurden, gilt es nun zu klären, wie weit verbreitet sie sind und wie stark ihr Einfluss tatsächlich ist. Wie bereits beschrieben, werden Fake News sowohl im gesellschaftlichen als auch im wissenschaftlichen Kontext recht prominent diskutiert. Doch haben sie das Potenzial, Wahlen zu beeinflussen, wie nach der Wahl Donald Trumps vereinzelt behauptet wurde (Jang & Kim 2018: 295)?
Zunächst muss man die zirkulierenden Zahlen zur Verbreitung von Fake News etwas relativieren, da es sich notwendigerweise stets um Schätzungen handelt. Die genaue Bestimmung des Einflusses von Fake News wird zudem durch automatisierte Verbreitungswege wie etwa sog. „social bots“ erschwert.[6] Diese täuschen eine Reichweite vor, die real nicht vorhanden ist und machen es damit wahrscheinlicher, dass auch echte Nutzer – im Sinne der „Bandwagon-Heuristik“ – den Beitrag weiterverbreiten (Tandoc et al. 2018: 3). Laut Lazer et al. (2018: 1095) sind beispielsweise auf dem Kurznachrichtendienst Twitter etwa 9–15 Prozent aller aktiven Accounts Bots. Obwohl unumstritten ist, dass Fake News online sehr große Reichweiten erzielen, bleibt somit bislang unklar, zu welchem Anteil es sich dabei um organische Reichweiten handelt.
Trotz aller Schwierigkeiten, Prävalenz und Einfluss von Fake News online exakt zu bestimmen, wurden spätestens seit 2016 einige wissenschaftliche Versuche in diese Richtung unternommen (u.a. Allcott & Gentzkow 2017; Guess et al. 2018; Vosoughi et al. 2018). Dabei konzentriert sich die überwiegende Mehrheit der Artikel auf Fake News in sozialen Medien, da diese nicht nur die massenhafte Verbreitung von Nachrichteninhalten beschleunigt haben, sondern mittlerweile über Zweidrittel (67%) der Amerikaner angeben, Nachrichten über soziale Medien zu beziehen (Shearer & Gottfried 2017: Par. 1).[7] Die Verbreitungsmechanismen dieser Medien führen zudem dazu, dass Nutzer auf Inhalte – so auch Fake News – treffen nach denen sie überhaupt nicht aktiv gesucht hatten („incidental news exposure“; Karnowski, Kümpel, Leonhard & Leiner 2017).